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Document 52013PC0926

    Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES über die Unterzeichnung des Vertrags von Marrakesch um den Zugang zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Personen zu erleichtern im Namen der europäischen Union

    /* COM/2013/0926 final - 2013/0444 (NLE) */

    52013PC0926

    Vorschlag für einen BESCHLUSS DES RATES über die Unterzeichnung des Vertrags von Marrakesch um den Zugang zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Personen zu erleichtern im Namen der europäischen Union /* COM/2013/0926 final - 2013/0444 (NLE) */


    BEGRÜNDUNG

    1.           HINTERGRUND DES VORSCHLAGS

    Menschen, die blind, sehbehindert oder anderweitig lesebehindert sind, müssen gleichermaßen Zugang zu Büchern und gedrucktem Material haben, um vollständig und wirksam am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu können. Die Weltgesundheitsorganisation schätzt, dass weltweit 285 Millionen Menschen sehbehindert sind: 39 Millionen sind blind und 246 Millionen sehbehindert.[1] Laut der Weltblindenunion sind in Europa lediglich 5 % der veröffentlichten Bücher in einem für sehbehinderte Menschen zugänglichem Format erhältlich, während in den Entwicklungsländern – in denen rund 90 % der sehbehinderten Menschen leben – dieser Anteil bei nur 1 % liegt.[2]

    Kopien von Büchern in einem zugänglichen Format werden derzeit für gewöhnlich auf nationaler Ebene durch spezialisierte Stellen, wie zum Beispiel Blindenbüchereien, entweder in Lizenz oder unter Einschränkung des Urheberrechts oder unter Gewährung von Ausnahmen vom Urheberrecht hergestellt und verbreitet. Das Fehlen eines internationalen Rechtsrahmens, der einen grenzüberschreitenden Austausch von unter Einschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf das Urheberrecht hergestellten Kopien von Werken in einem zugänglichen Format ermöglichen würde, führt jedoch zu Doppelarbeit bei der Herstellung dieser Kopien, auch in verschiedenen Ländern mit derselben Sprache. Dies stellt aufgrund der Kosten für die Herstellung von Kopien in einem zugänglichen Format sowie der eingeschränkten Ressourcen von Blindeneinrichtungen ein Problem dar.

    Seit Januar 2011 ist die Europäische Union an das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gebunden, in dem das Recht auf Zugang zu Informationen (Artikel 21) sowie das Recht von Menschen mit Behinderungen auf gleichberechtigte Teilnahme am kulturellen Leben (Artikel 30) verankert sind. Das Übereinkommen ist mittlerweile zu einem wesentlichen Bestandteil der EU-Rechtsordnung geworden. 25 Mitgliedstaaten sind bereits Vertragsparteien des Übereinkommens und drei Mitgliedstaaten schließen gerade seine Ratifizierung ab.

    2009 wurden im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) Verhandlungen über einen möglichen internationalen Vertrag zur Einführung von Einschränkungen des Urheberrechts und Ausnahmen vom Urheberrecht zugunsten von blinden, sehbehinderten oder anderweitig lesebehinderten Personen aufgenommen, um den grenzüberschreitenden Austausch von Kopien in einem zugänglichen Format zu erleichtern.

    Am 26. November 2012 verabschiedete der Rat einen Beschluss, durch den die Kommission zur Teilnahme an den Verhandlungen im Namen der Europäischen Union ermächtigt wurde.[3] Die Verhandlungen im Rahmen der WIPO wurden bei der in Marrakesch vom 17. bis 28. Juni 2013 abgehaltenen Diplomatischen Konferenz erfolgreich abgeschlossen und führten am 27. Juni 2013 zur Verabschiedung des Vertrags von Marrakesch um den Zugang zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Personen zu erleichtern (nachfolgend als „der Vertrag“ bezeichnet).

    Der Vertrag legt eine Reihe internationaler Regeln fest, um sicherzustellen, dass auf nationaler Ebene Einschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf das Urheberrecht zugunsten von blinden, sehbehinderten oder anderweitig lesebehinderten Personen bestehen und der grenzüberschreitende Austausch von Kopien veröffentlichter Werke in einem zugänglichen Format, die unter einer Einschränkung oder Ausnahme in Bezug auf das Urheberrecht einer der Vertragsparteien dieses Vertrags erstellt wurden, ermöglicht wird.

    Mit diesem Vorschlag für einen Beschluss des Rates ersucht die Kommission beim Rat um eine Ermächtigung, den Vertrag im Namen der Europäischen Union vorbehaltlich seines Abschlusses zu einem späteren Zeitpunkt zu unterzeichnen.

    2.           RECHTLICHE ASPEKTE DES VORSCHLAGS

    Bei den Begünstigten des Vertrags handelt es sich um Personen, die blind, sehbehindert oder lesebehindert sind, unter einer Wahrnehmungsstörung leiden oder aus anderen Gründen, zum Beispiel aufgrund einer körperlichen Behinderung, nicht in der Lage sind, ein Buch zu halten oder zu handhaben oder ihre Augen in dem Umfang zu bewegen oder zu fokussieren, wie es für das Lesen von Büchern normalerweise erforderlich ist.

    Der Vertrag verpflichtet jede Vertragspartei, in ihren nationalen Urheberrechten Einschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht, Vertriebsrecht sowie das Recht der öffentlichen Bereitstellung vorzusehen, um die Verfügbarkeit von Werken in für die Begünstigten zugänglichen Formaten zu gewährleisten.[4] Die Vertragsparteien können beschließen, diese Einschränkungen oder Ausnahmen auf Fälle zu begrenzen, in denen Kopien in einem zugänglichen Format im Gebiet der Begünstigten nicht zu angemessenen Bedingungen im Handel erhältlich sind. In der EU ist bereits durch Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 2001/29/EG zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft[5] eine freigestellte Ausnahme oder Einschränkung dieser Rechte vorgesehen, was die Verwendung zugunsten von Menschen mit Behinderungen betrifft, die direkt mit der Behinderung verbunden und nichtkommerzieller Art ist sowie in dem für die spezifische Behinderung erforderlichen Ausmaß. Abweichend vom Vertrag ist Artikel 5 Absatz 3 Buchstabe b der Richtlinie 2001/29/EG nicht auf eine bestimmte Behinderung beschränkt. Zusätzlich steht es den Mitgliedstaaten frei, ob sie diese Einschränkung oder Ausnahme anwenden. Nach der ständigen Rechtsprechung müssen die Mitgliedstaaten von dem Ermessensspielraum, über den sie verfügen, wenn sie von der Ausnahme in Artikel 5 der Richtlinie 2001/29/EG Gebrauch machen, allerdings innerhalb der vom Unionsrecht gezogenen Grenzen Gebrauch machen.[6]

    Der Vertrag definiert „Werke“ als literarische und künstlerische Werke im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Berner Übereinkunft über den Schutz von Werken der Literatur und Kunst (nachfolgend als „Berner Übereinkunft“ bezeichnet) in Form von Text, Schriftwerken und/oder damit verbundenen Darstellungen, unabhängig davon, ob diese veröffentlicht oder anderweitig in Medien öffentlich verfügbar gemacht werden. Der Vertrag legt außerdem fest, dass die Definition auch Hörbücher umfasst.

    Eine „Kopie in einem zugänglichen Format“ ist eine Kopie in alternativer Form – verglichen mit dem Format, in dem das Werk veröffentlicht wurde –, die den Begünstigten auf eine komfortable Art Zugang zu diesem Werk gewährt, wie dies bei normalsichtigen Personen der Fall ist. Die Kopie in einem zugänglichen Format darf ausschließlich von den Begünstigten verwendet werden, und die Integrität des ursprünglichen Werks muss gewahrt bleiben.

    Die unter Einschränkung des Urheberrechts oder unter Gewährung einer Ausnahme vom Urheberrecht hergestellten Kopien in einem zugänglichen Format können durch „befugte Stellen“ exportiert werden. Diese sind definiert als staatliche Einrichtungen und andere Organisationen, die Ausbildungen, Schulungen und adaptiven Lese- oder Informationszugang für blinde, sehbehinderte oder anderweitig lesebehinderte Personen auf gemeinnütziger Basis bereitstellen. Die Stellen müssen gewährleisten, dass die Kopien in einem zugänglichen Format nur an Begünstigte verbreitet werden, die Vervielfältigung, Verbreitung und Bereitstellung nicht genehmigter Kopien verhindert wird und bei der Handhabung der Kopien mit entsprechender Sorgfalt gewaltet wird und diesbezüglich Aufzeichnungen geführt werden.

    Die Vertragsparteien dürfen den Export von Kopien in einem zugänglichen Format nur erlauben, wenn sie sicherstellen, dass Einschränkungen oder Ausnahmen hinsichtlich der Rechte auf Vervielfältigung, Verbreitung und Bereitstellung für die Öffentlichkeit der Anforderung des „dreistufigen Tests“ unterliegen. Dies geschieht entweder dadurch, dass sie selbst Vertragsparteien des WIPO-Urheberrechtsvertrags (WIPO Copyright Treaty / WCT) sind oder indem sie anderweitig sicherstellen, dass die betreffenden Einschränkungen oder Ausnahmen auf bestimmte und besondere Fälle beschränkt sind, die weder im Widerspruch zu einer normalen Nutzung des Werks stehen noch die legitimen Interessen des Rechteinhabers ungebührlich verletzen.

    Der Vertrag präzisiert, dass die Einfuhr von Kopien ebenso in dem Maße gestattet werden sollte, wie eine Vertragspartei einer begünstigten Partei oder befugten Einrichtung die Herstellung von Kopien von Werken in einem zugänglichen Format erlaubt.

    Die Vertragsparteien sind verpflichtet, gegebenenfalls angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um sicherzustellen, dass, wenn sie einen angemessenen Rechtsschutz und wirksame Rechtsbehelfe gegen die Umgehung wirksamer technologischer Vorkehrungen vorsehen, die im Vertrag für die Begünstigten vorgesehenen Einschränkungen und Ausnahmen durch diesen Rechtsschutz nicht ausgehebelt werden. Eine entsprechende Verpflichtung wurde in der EU bereits in Artikel 6 Absatz 4 der Richtlinie 2001/29/EG festgelegt.

    Laut Vertrag sind die Vertragsparteien ebenso verpflichtet, die Privatsphäre begünstigter Personen zu schützen und zusammenzuarbeiten, um den grenzüberschreitenden Austausch von Kopien in einem zugänglichen Format zu ermöglichen. Die WIPO wird einen Informationszugangspunkt einrichten, um befugte Stellen zu unterstützen, sich gegenseitig zu identifizieren. Des Weiteren ermutigt der Vertrag die befugten Stellen, interessierten Parteien und der Öffentlichkeit Informationen über ihre Methoden und Verfahrensweisen bereitzustellen.

    Im Vertrag wird bekräftigt, dass es den Vertragsparteien frei steht, die geeigneten Methoden zur Umsetzung des Vertrags im Rahmen ihres Rechtssystems und ihrer Verfahrensweisen zu bestimmen. Jedoch müssen diese die bestehenden internationalen Verpflichtungen gemäß der Berner Übereinkunft, dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums und dem WIPO-Urheberrechtsvertrag erfüllen. Der Vertrag erkennt die Möglichkeit der Vertragsparteien an, zugunsten von begünstigten Personen und Personen mit anderen Behinderungen andere Einschränkungen und Ausnahmen beizubehalten oder umzusetzen, die außerhalb des Vertragsumfangs liegen.

    Die Artikel 13 bis 22 beinhalten administrative und verfahrensrechtliche Bestimmungen, die denen des am 24. Juni 2012 verabschiedeten Vertrags von Peking zum Schutz von audiovisuellen Darbietungen weitestgehend entsprechen. Der Vertrag tritt in Kraft, sobald dieser von zwanzig Vertragsparteien ratifiziert wurde.

    Die Europäische Union kann Vertragspartei dieses Vertrags werden, da sie während der Diplomatischen Konferenz in Marrakesch erklärt hatte, zuständig für die im Rahmen dieses Vertrags abgedeckten Angelegenheiten zu sein, ihre eigenen Rechtsvorschriften diesbezüglich bindend für alle ihre Mitgliedstaaten seien und dass sie gemäß ihren internen Verfahren ordnungsgemäß ermächtigt sei, Partei dieses Vertrags zu werden. Die Europäische Union unterzeichnete am 28. Juni 2013 ebenfalls die Schlussakte der Diplomatischen Konferenz. Der Vertrag liegt ein Jahr lang nach seiner Annahme für jede berechtigte Partei zur Unterzeichnung auf.

    Die Kommission zeigt sich mit den Ergebnissen der Verhandlungen zufrieden und ersucht den Rat, die Unterzeichnung des Vertrags von Marrakesch um den Zugang zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Personen zu erleichtern im Namen der Europäischen Union zu genehmigen.

    In Anbetracht des Vertragsgegenstands sollte der Beschluss des Rates auf den Artikeln 114 und 207 sowie auf Artikel 218 Absatz 5 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union beruhen.

    2013/0444 (NLE)

    Vorschlag für einen

    BESCHLUSS DES RATES

    über die Unterzeichnung des Vertrags von Marrakesch um den Zugang zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Personen zu erleichtern im Namen der europäischen Union

    DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION –

    gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union, insbesondere auf die Artikel 114 und 207 in Verbindung mit Artikel 218 Absatz 5,

    auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    (1)       Seit dem 22. Januar 2011 ist die Europäische Union an das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen gebunden, deren Bestimmungen zu einem wesentlichen Bestandteil der Unionsrechtsordnung geworden sind.[7]

    (2)       Am 26. November 2012 ermächtigte der Rat die Kommission, im Namen der Europäischen Union Verhandlungen zu führen, um innerhalb der Weltorganisation für geistiges Eigentum ein internationales Abkommen über einen besseren Zugang zu Büchern für Menschen mit Lesebehinderung zu erzielen.

    (3)       Die Verhandlungen wurden bei der in Marrakesch vom 17. bis 28. Juni 2013 abgehaltenen Diplomatischen Konferenz erfolgreich abgeschlossen und führten am 27. Juni 2013 zur Verabschiedung des Vertrags von Marrakesch um den Zugang zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Personen zu erleichtern (nachfolgend als „der Vertrag“ bezeichnet).

    (4)       Der Vertrag legt eine Reihe internationaler Regeln fest, um sicherzustellen, dass auf nationaler Ebene Einschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf das Urheberrecht zugunsten von blinden, sehbehinderten oder anderweitig lesebehinderten Personen bestehen und der grenzüberschreitende Austausch von Kopien veröffentlichter Werke in einem zugänglichen Format, die unter Einschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf das Urheberrecht erstellt wurden, ermöglicht wird.

    (5)       Der Vertrag liegt bis ein Jahr nach seiner Annahme für jede berechtigte Partei zur Unterzeichnung auf. Dieser Vertrag sollte im Namen der Europäischen Union unterzeichnet werden, vorbehaltlich eines möglichen späteren Abschlusses –

    HAT FOLGENDEN BESCHLUSS ERLASSEN:

    Artikel 1

    Die Unterzeichnung des Vertrags von Marrakesch um den Zugang zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Personen zu erleichtern wird hiermit genehmigt, vorbehaltlich eines späteren Abschlusses des besagten Vertrags.

    Artikel 2

    Vorbehaltlich des Abschlusses des Vertrags stellt das Generalsekretariat des Rates die zu seiner Unterzeichnung erforderliche Bevollmächtigungsurkunde für die von der Europäischen Kommission benannte(n) Person(en) aus.

    Artikel 3

    Dieser Beschluss tritt am Tag seiner Annahme in Kraft.

    Geschehen zu Brüssel am […]

                                                                           Im Namen des Rates

                                                                           Der Präsident

    [1]               Infoblatt Nr. 282, Juni 2012; http://www.who.int

    [2]               http://www.worldblindunion.org

    [3]               Beschluss des Rates über die Teilnahme der Europäischen Union an den Verhandlungen über ein internationales Übereinkommen im Rahmen der Weltorganisation für geistiges Eigentum über einen besseren Zugang zu Büchern für Menschen mit Lesebehinderung; 16259/12 EU RESTRICTED

    [4]               Die Vertragsparteien können ebenfalls eine Einschränkung oder Ausnahme bezüglich des Rechts der öffentlichen Aufführung sowie – gemäß der beigefügten vereinbarten Erklärung – der Übersetzungsrechte in dem von der Berner Übereinkunft erlaubten Umfang vorsehen.

    [5]               ABl. L 167 vom 22.6.2001, S. 10.

    [6]               Siehe z. B. Rechtssache C-145/Eva Maria Painer, Randnr. 104.

    [7]               Beschluss des Rates 2010/48/EG vom 26. November 2009 über den Abschluss des Übereinkommens der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Europäische Union. ABl. L 23 vom 27.1.2010, S. 35-61.

    ANHANG

    zum Vorschlag für einen

    BESCHLUSS DES RATES

    über die Unterzeichnung des Vertrags von Marrakesch um den Zugang zu veröffentlichten Werken für blinde, sehbehinderte oder sonst lesebehinderte Personen zu erleichtern im Namen der europäischen Union

    VERTRAG VON MARRAKESCH UM DEN ZUGANG ZU VERÖFFENTLICHTEN WERKEN FÜR BLINDE, SEHBEHINDERTE ODER SONST LESEBEHINDERTE PERSONEN ZU ERLEICHTERN

    Präambel

    Die Vertragsparteien sind –

    unter Hinweis auf die Grundsätze der Nichtdiskriminierung, Chancengleichheit, Zugänglichkeit, vollständiger und wirksamer Teilnahme und Mitwirkung in der Gesellschaft, wie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen niedergelegt,

    eingedenk der Herausforderungen, die der vollen Entfaltung von Personen mit Sehbehinderungen oder anderen Behinderungen entgegenstehen und ihre Meinungsäußerung einschränken, einschließlich der Freiheit, Informationen sowie Ideen aller Art gleichberechtigt mit anderen Personen zu suchen, zu empfangen und zu übermitteln, einschließlich durch sämtliche Kommunikationsformen ihrer Wahl, und die der Ausübung des Rechts auf Bildung und der Möglichkeit entgegenstehen, Forschungen durchzuführen,

    unter Betonung der Bedeutung des Urheberrechtschutzes als Anreiz und Belohnung für literarische und künstlerische Werke sowie der Verbesserung der Möglichkeiten für alle Menschen, einschließlich Personen mit Sehbehinderungen oder anderen Behinderungen, um am kulturellen Leben der Gemeinschaft teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und seinen Vorteilen teilzuhaben,

    eingedenk der Hindernisse, denen Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen beim Zugang zu veröffentlichten Werken vor dem Hintergrund der Chancengleichheit in der Gesellschaft gegenüberstehen, sowie der Notwendigkeit, sowohl die Anzahl der Werke in zugänglichen Formaten zu steigern als auch die Verbreitung dieser Werke zu verbessern,

    unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Mehrheit der Personen mit Sehbehinderung oder sonstigen Lesebehinderungen in Entwicklungsländern sowie in den am wenigsten entwickelten Ländern lebt,

    in Anerkennung, dass trotz der in den nationalen Urheberrechtsgesetzen bestehenden Unterschiede die positiven Auswirkungen neuer Informations- und Kommunikationstechnologien auf das Leben von Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen durch einen verbesserten Rechtsrahmen auf internationaler Ebene verstärkt werden können,

    in Anerkennung, dass zwar viele Mitgliedstaaten Einschränkungen und Ausnahmen zugunsten von Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen in ihren nationalen Urheberrechtsgesetzen vorgesehen haben, aber weiterhin ein Mangel an verfügbaren Werken in zugänglichen Formaten für diese Personen besteht, und dass beträchtliche Ressourcen erforderlich sind, um diesen Personen Werke zugänglich zu machen, und die fehlenden Möglichkeiten eines grenzüberschreitenden Austauschs von Kopien in einem zugänglichen Format Doppelarbeit erforderlich gemacht haben,

    in Anerkennung sowohl der Bedeutung der Rolle der Rechteinhaber bei der Bereitstellung ihrer Werke für Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen als auch der Bedeutung geeigneter Einschränkungen und Ausnahmen, um die Werke diesen Personen zugänglich zu machen, insbesondere, wenn der Markt nicht in der Lage ist, einen solchen Zugang zu bieten,

    in Anerkennung der Notwendigkeit, ein Gleichgewicht zwischen einem wirksamen Schutz der Rechte der Urheber und dem Interesse der breiteren Öffentlichkeit – insbesondere Ausbildung, Forschung und Informationszugang betreffend – zu wahren, und dass durch ein solches Gleichgewicht der wirksame und rechtzeitige Zugang zu Werken zugunsten von Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen erleichtert werden muss,

    in Bekräftigung der Verpflichtungen der Vertragsparteien, die aus den bestehenden internationalen Verträgen über den Urheberrechtschutz erwachsen, sowie der Bedeutung und Flexibilität des dreistufigen Tests für die in Artikel 9 Absatz 2 der Berner Übereinkunft über den Schutz von Werken der Literatur und Kunst und anderen internationalen Dokumenten festgelegten Einschränkungen und Ausnahmen,

    unter Hinweis auf die Bedeutung der 2007 durch die Generalversammlung des Übereinkommens zur Errichtung der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) verabschiedeten Empfehlungen (WIPO-Development-Agenda), die sicherstellen sollen, dass der Aspekt der Weiterentwicklung einen festen Bestandteil der Arbeit der Organisation darstellt,

    in Anerkennung der Bedeutung des internationalen Urheberrechtssystems und des Wunsches nach einer Harmonisierung der Einschränkungen und Ausnahmen im Hinblick auf eine Erleichterung des Zugangs und der Nutzung von Werken durch Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen –

    wie folgt übereingekommen:

    Artikel 1 - Verhältnis zu anderen Übereinkommen und Verträgen

    Dieser Vertrag darf weder so ausgelegt werden, dass sich daraus Abweichungen von Verpflichtungen ergeben, die die Vertragsparteien gemäß anderen Verträgen untereinander eingegangen sind, noch werden durch diesen Vertrag die Rechte einer Vertragspartei beeinträchtigt, die diese gemäß anderen Verträgen innehat.

    Artikel 2 - Definitionen

    Für die Zwecke dieses Vertrags bezeichnet

    (a)          „Werke“ literarische und künstlerische Werke im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Berner Übereinkunft über den Schutz von Werken der Literatur und Kunst in Form von Text, Schriftwerken und/oder damit verbundenen Darstellungen, unabhängig davon, ob diese veröffentlicht oder anderweitig in Medien öffentlich verfügbar gemacht werden;[1]

    (b)          „Kopie in einem zugänglichen Format“ die Kopie eines Werks in alternativer Form, durch die eine begünstigte Person Zugang zum Werk erhält und der Person der Zugang so vollständig und angenehm, wie dies auch bei Personen ohne Sehbehinderung oder einer sonstigen Lesebehinderung der Fall ist, ermöglicht wird. Die Kopie in einem zugänglichen Format wird ausschließlich von begünstigen Personen benutzt, und die Integrität des ursprünglichen Werks muss unter angemessener Berücksichtigung der für den Zugang zum Werk in alternativer Form erforderlichen Änderungen sowie der Bedürfnisse der begünstigten Personen hinsichtlich des Zugangs gewahrt bleiben;

    (c)          „befugte Stelle“ eine Stelle, die vom Staat befugt oder anerkannt wurde, Ausbildungen, Schulungen und adaptiven Lese- oder Informationszugang für begünstigte Personen auf gemeinnütziger Basis bereitzustellen. Dies umfasst auch staatliche Einrichtungen oder gemeinnützige Organisationen, die im Rahmen ihrer Haupttätigkeiten oder institutionellen Verpflichtungen begünstigten Personen dieselben Dienste bereitstellen.[2]

                Die befugten Stellen legen ihre eigenen Verfahrensweisen fest und befolgen diese,

    (i)      um sicherzustellen, dass es sich bei den Personen, die in den Genuss ihrer Dienste kommen, um begünstigte Personen handelt;

    (ii)     um die Verbreitung und Bereitstellung von Kopien in einem zugänglichen Format auf begünstigte Personen und/oder befugte Stellen zu begrenzen;

    (iii)    um die Vervielfältigung, Verbreitung und Bereitstellung unbefugter Kopien zu verhindern und

    (iv)    um bei der Handhabung der Kopien der Werke entsprechende Sorgfalt walten zu lassen und diesbezüglich Aufzeichnungen zu führen, wobei die Privatsphäre begünstigter Personen in Übereinstimmung mit Artikel 8 gewahrt bleibt.

    Artikel 3 - Begünstige Personen

    Eine begünstigte Person ist eine Person, die unabhängig von sonstigen anderen Behinderungen

    (a)          blind ist;

    (b)          unter einer Sehbehinderung, Wahrnehmungsstörung oder Lesebehinderung leidet, die nicht solcherart behandelt werden kann, dass die visuelle Funktion im Wesentlichen wiederhergestellt werden könnte, wie das bei einer Person der Fall ist, die nicht unter einer solchen Beeinträchtigung oder Behinderung leidet, und die daher außerstande ist, Druckerzeugnisse mit derselben Leichtigkeit zu lesen, wie das bei einer Person ohne Beeinträchtigung oder Behinderung der Fall ist, oder[3]

    (c)          anderweitig aufgrund einer körperlichen Behinderung außerstande ist, ein Buch zu halten oder zu handhaben oder ihre Augen in dem Umfang zu bewegen oder zu fokussieren, wie es für das Lesen von Büchern normalerweise erforderlich ist.

    Artikel 4 – Im nationalen Urheberrecht verankerte Einschränkungen und Ausnahmen bezüglich Kopien in einem zugänglichen Format

    1.         (a)        Die Vertragsparteien müssen in ihren nationalen Urheberrechtsgesetzen Einschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht, das Recht der Verbreitung sowie das Recht der öffentlichen Bereitstellung vorsehen, wie durch den WIPO-Urheberrechtsvertrag festgelegt, um die Verfügbarkeit von Werken in zugänglichen Formaten für die Begünstigten zu gewährleisten. Die im nationalen Recht vorgesehenen Einschränkungen und Ausnahmen sollten Spielraum für Änderungen bieten, die erforderlich sind, um Werke in alternativen Formaten zugänglich zu machen.

    (b)     Die Vertragsparteien können außerdem Einschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf das Recht der öffentlichen Aufführung vorsehen, um begünstigten Personen den Zugang zu Werken zu erleichtern.

    2.         Eine Vertragspartei kann den Anforderungen von Artikel 4 Absatz 1 bezüglich aller dort aufgeführten Rechte nachkommen, indem sie in ihrem nationalen Recht eine Einschränkung oder Ausnahme vorsieht, für die Folgendes gilt:

    (a)          Den befugten Stellen muss – ohne Genehmigung des Rechteinhabers – die Erstellung von Kopien von Werken in einem zugänglichen Format, der Erhalt von Kopien in einem zugänglichen Format von anderen befugten Stellen, die Bereitstellung dieser Kopien für begünstigte Personen auf beliebige Art und Weise, einschließlich durch nicht gewerblichen Verleih oder elektronische drahtgebundene oder drahtlose Kommunikation, sowie die Einleitung unmittelbarer Schritte zum Erreichen all dieser Ziele gestattet sein, sofern sämtliche der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

    (i)      die befugte Stelle, die die besagten Maßnahmen einzuleiten beabsichtigt, hat rechtmäßigen Zugang zu dem betreffenden Werk oder einer Kopie des Werks;

    (ii)     das Werk wurde in eine Kopie in einem zugänglichen Format konvertiert, was den Einsatz von Mitteln zur Nutzung der Informationen in dem zugänglichen Format beinhalten kann, jedoch keine weiteren Änderungen umfasst, mit Ausnahme derjenigen, die für die Bereitstellung des Werks in einem zugänglichen Format für begünstigte Personen erforderlich sind;

    (iii)    die Kopien in einem zugänglichen Format werden ausschließlich für die Nutzung durch begünstigte Personen bereitgestellt und

    (iv)    die Tätigkeit erfolgt auf gemeinnütziger Basis;

    und

    (b)          Eine begünstigte Person oder eine in ihrem Namen handelnde Person einschließlich einer Hauptbetreuungsperson oder Pflegekraft darf eine Kopie eines Werks in einem zugänglichen Format zur persönlichen Nutzung durch die begünstigte Person erstellen oder die begünstigte Person anderweitig dabei unterstützen, Kopien in einem zugänglichen Format herzustellen oder zu verwenden, vorausgesetzt, dass die begünstigte Person rechtmäßigen Zugang zu diesem Werk oder einer Kopie dieses Werks hat.

    3.         Eine Vertragspartei kann den Anforderungen von Artikel 4 Absatz 1 nachkommen, indem sie in ihrem nationalen Recht weitere Einschränkungen und Ausnahmen gemäß den Artikeln 10 und 11 vorsieht.[4]

    4.         Eine Vertragspartei kann Einschränkungen und Ausnahmen gemäß diesem Artikel auf Werke beschränken, die in dem einschlägigen zugänglichen Format für die begünstigten Personen nicht unter angemessenen Bedingungen auf dem betreffenden Markt erhältlich sind. Jede Vertragspartei, die von dieser Möglichkeit Gebrauch macht, erklärt dies in einer Notifizierung, die beim Generaldirektor der WIPO zum Zeitpunkt der Ratifizierung, der Annahme oder des Beitritts zu diesem Vertrag oder zu einem späteren Zeitpunkt hinterlegt wird.[5]

    5.         Die Festlegung, ob Einschränkungen oder Ausnahmen gemäß diesem Artikel einer Vergütung unterliegen, unterliegt dem nationalen Recht.

    Artikel 5 - Grenzüberschreitender Austausch von Kopien in einem zugänglichen Format

    1.         Für den Fall, dass eine Kopie in einem zugänglichen Format nach Maßgabe einer Einschränkung oder Ausnahme oder kraft Gesetzes erstellt wird, stellen die Vertragsparteien sicher, dass eine befugte Stelle einer begünstigten Person oder einer befugten Stelle einer anderen Vertragspartei die Kopie in einem zugänglichen Format bereitstellen oder sie ihr zur Verfügung halten kann.[6]

    2.         Eine Vertragspartei kann den Anforderungen von Artikel 5 Absatz 1 nachkommen, indem sie eine Einschränkung oder Ausnahme in ihrem nationalen Recht vorsieht, für die Folgendes gilt:

    (a)          befugten Stellen ist es gestattet, ohne die Genehmigung des Rechteinhabers befugten Stellen anderer Vertragsparteien Kopien in einem zugänglichen Format für die ausschließliche Nutzung durch begünstigte Personen bereitzustellen oder zur Verfügung zu halten und

    (b)          befugten Stellen ist es gestattet, ohne die Genehmigung des Rechteinhabers und gemäß Artikel 2 Buchstabe c begünstigten Personen anderer Vertragsparteien Kopien in einem zugänglichen Format bereitzustellen und zur Verfügung zu halten;

    vorausgesetzt, dass die ursprüngliche befugte Stelle vor der Verbreitung oder Bereitstellung nicht wusste oder keinen berechtigten Grund zur Annahme hatte, dass die Kopie in einem zugänglichen Format zu anderen Zwecken als für die Nutzung durch begünstigte Personen verwendet wird.[7]

    3.         Eine Vertragspartei kann den Anforderungen von Artikel 5 Absatz 1 nachkommen, indem sie in ihrem nationalen Urheberrecht weitere Einschränkungen und Ausnahmen nach Maßgabe von Artikel 5 Absatz 4 und von Artikel 10 und 11 vorsieht.

    4.         (a)        Erhält eine befugte Stelle einer Vertragspartei zugängliche Kopien in einem zugänglichen Format gemäß Artikel 5 Absatz 1 und hat diese Vertragspartei keine Verpflichtungen gemäß Artikel 9 der Berner Übereinkunft, so stellt sie in Einklang mit ihrem eigenen Rechtssystem und ihren Verfahrensweisen sicher, dass die Kopien in einem zugänglichen Format lediglich zugunsten der begünstigten Parteien innerhalb ihres gerichtlichen Zuständigkeitsbereichs vervielfältigt, verbreitet oder bereitgestellt werden.

    (b)     Die Verbreitung und Bereitstellung von Kopien in einem zugänglichen Format durch eine befugte Stelle gemäß Artikel 5 Absatz 1 ist auf diesen gerichtlichen Zuständigkeitsbereich begrenzt, es sei denn, die Vertragspartei ist eine Partei des WIPO-Urheberrechtsvertrags oder sie begrenzt bei der Umsetzung des Vertrags anderweitig die Einschränkungen und Ausnahmen in Bezug auf das Recht zur Verbreitung und Bereitstellung an die Öffentlichkeit auf bestimmte und besondere Fälle, die weder im Widerspruch zu einer normalen Nutzung des Werks stehen noch die legitimen Interessen des Rechteinhabers ungebührlich verletzen.[8],[9]

    (c)      Dieser Artikel berührt in keiner Weise die Festlegung, was als Akt der Verbreitung oder Bereitstellung an die Öffentlichkeit gilt.

    5.         Keine Bestimmung dieses Vertrags darf zur Behandlung von Angelegenheiten bezüglich der Erschöpfung von Rechten angewendet werden.

    Artikel 6 - Einfuhr von Kopien in einem zugänglichen Format

    In dem vom nationalen Gesetz einer Vertragspartei gegenüber einer begünstigten Person, einer in ihrem Namen handelnden Person oder einer befugten Stelle gestatteten Ausmaß zur Erstellung einer Kopie eines Werks in einem zugänglichen Format ist es diesen ebenso gestattet, eine Kopie in einem zugänglichen Format zugunsten von begünstigten Personen ohne Genehmigung des Rechteinhabers einzuführen.[10]

    Artikel 7 - Verpflichtungen hinsichtlich technologischer Vorkehrungen

    Die Vertragsparteien ergreifen gegebenenfalls angemessene Maßnahmen, um sicherzustellen, dass, wenn sie einen angemessenen Rechtsschutz und wirksame Rechtsbehelfe gegen die Umgehung wirksamer technologischer Vorkehrungen vorsehen, die im Vertrag für die Begünstigten vorgesehenen Einschränkungen und Ausnahmen durch diesen Rechtsschutz nicht ausgehebelt werden.[11]

    Artikel 8 - Achtung der Privatsphäre

    Die Vertragsparteien sind bestrebt, bei der Umsetzung der in diesem Vertrag vorgesehenen Einschränkungen und Ausnahmen die Privatsphäre der begünstigten Personen in gleichem Maße wie bei anderen Personen zu schützen.

    Artikel 9 - Zusammenarbeit zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs

    1.         Die Vertragsparteien sind bestrebt, den grenzüberschreitenden Austausch von Kopien in einem zugänglichen Format zu fördern, indem sie den freiwilligen Informationsaustausch unterstützen und somit befugten Stellen helfen, sich gegenseitig zu identifizieren. Das Internationale Büro der WIPO wird zu diesem Zweck einen Informationszugangspunkt einrichten.

    2.         Die Vertragsparteien verpflichten sich, ihre mit den in Artikel 5 festgelegten Tätigkeiten betrauten befugten Stellen bei der Bereitstellung von Informationen über ihre Verfahrensweisen gemäß Artikel 2 Buchstabe c zu unterstützen, sowohl durch den Informationsaustausch zwischen den befugten Stellen als auch durch die Bereitstellung von Informationen über ihre Methoden und Verfahrensweisen für interessierte Parteien und gegebenenfalls die Öffentlichkeit, einschließlich in Bezug auf den grenzüberschreitenden Austausch von Kopien in einem zugänglichen Format.

    3.         Das Internationale Büro der WIPO wird ersucht, gegebenenfalls Informationen über die Funktionsweise des Vertrags zu teilen.

    4.         Die Vertragsparteien erkennen die Bedeutung der internationalen Zusammenarbeit und ihrer Förderung zur Unterstützung der nationalen Bemühungen hinsichtlich der Verwirklichung des Zwecks und der Ziele dieses Vertrags an.[12]

    Artikel 10 - Allgemeine Grundsätze der Umsetzung

    1.         Die Vertragsparteien verpflichten sich, die erforderlichen Maßnahmen anzunehmen, um die Anwendung dieses Vertrags sicherzustellen.

    2.         Den Vertragsparteien steht es frei, die für die Umsetzung der Bestimmungen dieses Vertrags innerhalb ihres eigenen Rechtssystems und ihrer Verfahrensweisen geeignete Methode zu bestimmen.[13]

    3.         Die Vertragsparteien können ihre Rechte und Verpflichtungen aus diesem Vertrag durch insbesondere zugunsten von begünstigten Personen bestehende Einschränkungen und Ausnahmen, sonstige Einschränkungen und Ausnahmen oder eine Kombination davon im Rahmen ihres eigenen nationalen Rechtssystems und ihrer Verfahrensweisen erfüllen. Diese können rechtliche, verwaltungsrechtliche oder behördliche Festlegungen zugunsten von begünstigten Personen bezüglich gerechter Verfahrensweisen, Verhandlungen oder Verwendungen umfassen, um ihre Bedürfnisse in Übereinstimmung mit den Rechten und Verpflichtungen der Vertragsparteien gemäß der Berner Übereinkunft oder anderen internationalen Verträgen sowie Artikel 11 zu erfüllen.

    Artikel 11 - Allgemeine Verpflichtungen hinsichtlich der Einschränkungen und Ausnahmen

    Bei der Umsetzung erforderlicher Maßnahmen, um die Anwendung dieses Vertrags sicherzustellen, kann eine Partei die Rechte ausüben und hat die Verpflichtungen zu erfüllen, die für sie gemäß der Berner Übereinkunft, dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums und dem WIPO-Urheberrechtsvertrags, einschließlich der einschlägigen Auslegungen, gelten, so dass:

    (a)          gemäß Artikel 9 Absatz 2 der Berner Übereinkunft eine Vertragspartei die Vervielfältigung von Werken in bestimmten und besonderen Fällen gestatten kann, vorausgesetzt, dass eine solche Vervielfältigung nicht im Widerspruch zu einer normalen Nutzung des Werkes steht und die legitimen Interessen des Autors nicht ungebührlich verletzt;

    (b)          gemäß Artikel 13 des Übereinkommens über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums eine Vertragspartei die Einschränkungen oder Ausnahmen auf ausschließliche Rechte bei bestimmten Fällen beschränkt, die weder im Widerspruch zu einer normalen Nutzung des Werks stehen noch die legitimen Interessen des Rechtsinhabers ungebührlich verletzen;

    (c)          gemäß Artikel 10 Absatz 1 des WIPO-Urheberrechtsvertrags eine Vertragspartei Einschränkungen oder Ausnahmen für die gemäß WCT gewährten Autorenrechte in besonderen Fällen vorsehen kann, wenn diese weder im Widerspruch zu einer normalen Nutzung des Werks stehen noch die legitimen Interessen des Autors ungebührlich verletzen;

    (d)          gemäß Artikel 10 Absatz 2 des WIPO-Urheberrechtsvertrags eine Vertragspartei bei Anwendung der Berner Übereinkunft Einschränkungen oder Ausnahmen in Bezug auf Rechte in bestimmten und besonderen Fällen beschränkt, wenn diese weder im Widerspruch zu einer normalen Nutzung des Werks stehen noch die legitimen Interessen des Autors ungebührlich verletzen.

    Artikel 12 - Sonstige Einschränkungen und Ausnahmen

    1.         Die Vertragsparteien erkennen an, dass eine Vertragspartei in ihrem nationalen Recht andere Einschränkungen und Ausnahmen des Urheberrechts zugunsten von begünstigten Personen aufnehmen kann als diejenigen, die in diesem Vertrag vorgesehen sind, unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Situation der Vertragspartei und ihrer sozialen und kulturellen Bedürfnisse, in Übereinstimmung mit den internationalen Rechten und Verpflichtungen der Vertragspartei und – im Falle der am wenigsten entwickelten Länder – unter Berücksichtigung ihrer besonderen Bedürfnisse sowie ihrer besonderen internationalen Rechte, Verpflichtungen und diesbezüglichen Flexibilitäten.

    2.         Dieser Vertrag lässt die im nationalen Recht vorgesehenen sonstigen Einschränkungen und Ausnahmen für Personen mit Behinderungen unberührt.

    Artikel 13 - Versammlung

    1.         (a)        Die Vertragsparteien haben eine Versammlung.

    (b)     Jede Vertragspartei wird durch einen Delegierten vertreten, der von Stellvertretern, Beratern und Sachverständigen unterstützt werden kann.

    (c)      Die Kosten jeder Delegation werden von der Vertragspartei getragen, die sie entsandt hat. Die Versammlung kann die WIPO um finanzielle Unterstützung bitten, um die Teilnahme von Delegationen von Vertragsparteien zu erleichtern, die nach der bestehenden Praxis der Generalversammlung der Vereinten Nationen als Entwicklungsländer angesehen werden oder Länder im Übergang zur Marktwirtschaft sind.

    2.         (a)        Die Versammlung behandelt Fragen, die die Erhaltung und Entwicklung sowie die Anwendung und Durchführung dieses Vertrags betreffen.

    (b)     Die Versammlung nimmt in Bezug auf die Zulassung bestimmter zwischenstaatlicher Organisationen als Vertragspartei die ihr nach Artikel 15 übertragenen Aufgaben wahr.

    (c)      Die Versammlung beschließt die Einberufung einer Diplomatischen Konferenz zur Überarbeitung dieses Vertrags und erteilt dem Generaldirektor der WIPO die notwendigen Weisungen für die Vorbereitung einer solchen Konferenz.

    3.         (a)        Jede Vertragspartei, die ein Staat ist, verfügt über eine Stimme und stimmt nur in ihrem eigenen Namen ab.

    (b)     Eine Vertragspartei, die eine zwischenstaatliche Organisation ist, kann anstelle ihrer Mitgliedstaaten an der Abstimmung teilnehmen und verfügt über eine Anzahl von Stimmen, die der Anzahl ihrer Mitgliedstaaten entspricht, die Vertragspartei dieses Vertrags sind. Eine zwischenstaatliche Organisation kann nicht an der Abstimmung teilnehmen, wenn einer ihrer Mitgliedstaaten sein Stimmrecht ausübt und umgekehrt.

    4.         Die Versammlung tritt, wenn keine außerordentlichen Umstände vorliegen, nach Einberufung durch den Generaldirektor der WIPO in demselben Zeitraum und am selben Ort wie die Generalversammlung der WIPO zusammen.

    5.         Die Versammlung ist bestrebt, ihre Beschlüsse einvernehmlich zu fassen, und gibt sich eine Geschäftsordnung, in der auch die Einberufung außerordentlicher Sitzungen, die Voraussetzungen für die Beschlussfähigkeit und vorbehaltlich der Bestimmungen dieses Vertrags die erforderlichen Mehrheiten für die verschiedenen Arten von Beschlüssen geregelt sind.

    Artikel 14 - Internationales Büro

    Das internationale Büro der WIPO nimmt die Verwaltungsaufgaben im Rahmen dieses Vertrags wahr.

    Artikel 15 - Voraussetzungen für Vertragsparteien

    1.         Jeder Mitgliedstaat der WIPO kann Vertragspartei dieses Vertrags werden.

    2.         Die Versammlung kann beschließen, zwischenstaatliche Organisationen als Vertragsparteien zuzulassen, die erklären, für die durch diesen Vertrag geregelten Bereiche zuständig zu sein, über diesbezügliche Vorschriften, die für alle ihre Mitgliedstaaten bindend sind, zu verfügen und in Übereinstimmung mit ihren internen Verfahren ordnungsgemäß ermächtigt worden zu sein, Vertragspartei zu werden.

    3.         Die Europäische Union, die auf der Diplomatischen Konferenz, auf der dieser Vertrag angenommen wurde, eine Erklärung gemäß dem vorstehenden Absatz abgegeben hat, kann Vertragspartei dieses Vertrags werden.

    Artikel 16 - Rechte und Pflichten nach dem Vertrag

    Sofern dieser Vertrag nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt, gelten für jede Vertragspartei alle Rechte und Pflichten nach diesem Vertrag.

    Artikel 17 - Unterzeichnung des Vertrags

    Dieser Vertrag liegt zur Unterzeichnung durch jede berechtigte Partei bei der Diplomatischen Konferenz in Marrakesch und danach ein Jahr lang nach seiner Annahme am Hauptsitz der WIPO auf.

    Artikel 18 - Inkrafttreten des Vertrags

    Dieser Vertrag tritt drei Monate nach Hinterlegung der zwanzigsten Ratifikations- oder Beitrittsurkunde durch die berechtigten Parteien im Sinne von Artikel 15 in Kraft.

    Artikel 19 - Inkrafttreten des Vertrags für eine Vertragspartei

    Dieser Vertrag bindet

    (a)          die zwanzig berechtigten Parteien im Sinne von Artikel 18 ab dem Tag, an dem dieser Vertrag in Kraft getreten ist;

    (b)          jede andere berechtigte Partei im Sinne von Artikel 15 nach Ablauf von drei Monaten nach Hinterlegung ihrer Ratifikations- oder Beitrittsurkunde beim Generaldirektor der WIPO.

    Artikel 20 - Kündigung des Vertrags

    Dieser Vertrag kann von jeder Vertragspartei durch eine an den Generaldirektor der WIPO gerichtete Notifizierung gekündigt werden. Die Kündigung wird ein Jahr nach dem Tag wirksam, an dem die Notifizierung beim Generaldirektor der WIPO eingegangen ist.

    Artikel 21 - Vertragssprachen

    1.         Dieser Vertrag wird in einer Urschrift in englischer, arabischer, chinesischer, französischer, russischer und spanischer Sprache unterzeichnet, wobei jeder Wortlaut gleichermaßen verbindlich ist.

    2.         Ein amtlicher Wortlaut in einer anderen als den in Artikel 21 Absatz 1 genannten Sprachen wird durch den Generaldirektor der WIPO auf Ersuchen einer interessierten Vertragspartei nach Rücksprache mit allen interessierten Vertragsparteien erstellt. Als „interessierte Vertragspartei“ im Sinne dieses Absatzes gelten alle Mitgliedstaaten der WIPO, deren Amtssprache betroffen ist, oder bei mehreren Amtssprachen, wenn eine der Amtssprachen betroffen ist, sowie die Europäische Union und jede andere zwischenstaatliche Organisation, die Vertragspartei dieses Vertrages werden kann, wenn eine ihrer Amtssprachen betroffen ist.

    Artikel 22 - Verwahrer

    Verwahrer dieses Vertrags ist der Generaldirektor der WIPO.

    Marrakesch, den 27. Juni 2013.

    [1]              Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 2 Buchstabe a: Für die Zwecke dieses Vertrags wird davon ausgegangen, dass diese Definition ebenso Werke in Audioformat umfasst, wie zum Beispiel Hörbücher.

    [2]              Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 2 Buchstabe c: Für die Zwecke dieses Vertrags wird davon ausgegangen, dass „staatlich anerkannte Stellen“ auch Stellen umfasst, die finanzielle Unterstützung des Staates für die Bereitstellung von Ausbildungen, Schulungen und adaptivem Lese- oder Informationszugang für begünstigte Personen auf gemeinnütziger Basis erhalten.

    [3]              Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 3 Buchstabe b: Dieser Satz ist keinesfalls so auszulegen, dass „die nicht solcherart behandelt werden kann“ den Einsatz aller möglichen medizinischen Diagnose- und Behandlungsverfahren erforderlich macht.

    [4]              Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 4 Absatz 3: Es wird davon ausgegangen, dass dieser Absatz den Anwendungsbereich von gemäß der Berner Übereinkunft gestatteten Einschränkungen oder Ausnahmen hinsichtlich der Übersetzungsrechte im Hinblick auf Personen mit Sehbehinderungen oder sonstigen Lesebehinderungen weder verringert noch erweitert.

    [5]           Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 4 Absatz 4: Es wird davon ausgegangen, dass die Anforderung einer kommerziellen Verfügbarkeit nichts darüber aussagt, ob eine Einschränkung oder Ausnahme gemäß diesem Artikel im Einklang mit dem dreistufigen Test steht.

    [6]           Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 5 Absatz 1: Es wird davon ausgegangen, dass keine Bestimmung dieses Vertrags dahingehend auszulegen ist, dass der Umfang ausschließlicher Rechte gemäß anderen Verträgen verringert oder ausgeweitet wird.

    [7]           Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 5 Absatz 2: Es wird davon ausgegangen, dass es zur direkten Verbreitung oder Bereitstellung von Kopien in einem zugänglichen Format an begünstigte Personen für eine befugte Stelle angemessen sein kann, weitere Maßnahmen anzuwenden, um sicherzustellen, dass es sich bei der Person, die in den Genuss ihrer Dienste kommt, um eine begünstigte Person handelt, und ihre eigenen Verfahrensweisen nach Artikel 2 Buchstabe c befolgt werden.

    [8]              Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe b: Es wird davon ausgegangen, dass keine Bestimmung dieses Vertrags so auszulegen ist oder voraussetzt, dass eine Vertragspartei über die in diesem Vertrag oder anderen internationalen Verträgen festgelegten Verpflichtungen hinausgehen muss und den dreistufigen Test annehmen oder anwenden muss.

    [9]           Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe b: Es wird davon ausgegangen, dass aus keiner Bestimmung dieses Vertrags Verpflichtungen für eine Vertragspartei erwachsen, den WCT zu ratifizieren oder ihm beizutreten oder seinen Bestimmungen nachzukommen und dieser Vertrag die im WCT festgehaltenen Rechte, Einschränkungen und Ausnahmen nicht berührt.

    [10]          Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 6: Es wird davon ausgegangen, dass die Vertragsparteien bei der Umsetzung ihrer Verpflichtungen nach Artikel 6 über dieselben Flexibilitäten gemäß Artikel 4 verfügen.

    [11]          Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 7: Es wird davon ausgegangen, dass die befugten Stellen in verschiedenen Situationen bei der Herstellung, Verbreitung und Bereitstellung von Kopien in einem zugänglichen Format für die Anwendung technologischer Vorkehrungen optieren und dieser Artikel derartige Verfahrensweisen nicht berührt, sofern sie im Einklang mit dem nationalen Recht stehen.

    [12]          Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 9: Es wird davon ausgegangen, dass Artikel 9 nicht so auszulegen ist, dass eine Registrierung befugter Stellen obligatorisch ist, und der Artikel nicht voraussetzt, dass befugte Stellen nach diesem Vertrag anerkannte Tätigkeiten ausüben; mit dem Artikel wird vielmehr der Informationsaustausch zur Erleichterung des grenzüberschreitenden Austauschs von Kopien in einem zugänglichen Format ermöglicht.

    [13]          Vereinbarte Erklärung bezüglich Artikel 10 Absatz 2: Es wird davon ausgegangen, dass in Bezug auf Werke nach Artikel 2 Buchstabe a, wozu auch Werke in Audioformat zählen, die Einschränkungen und Ausnahmen gemäß diesem Vertrag sinngemäß auf die verbundenen Rechte Anwendung finden, sofern dies für die Herstellung, Verbreitung und Bereitstellung von Kopien in einem zugänglichen Format für begünstige Personen notwendig ist.

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