Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52013IP0091

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 2013 zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vor endokrinen Disruptoren (2012/2066(INI))

    ABl. C 36 vom 29.1.2016, p. 85–91 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    29.1.2016   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 36/85


    P7_TA(2013)0091

    Der Schutz der öffentlichen Gesundheit vor endokrinen Störungen

    Entschließung des Europäischen Parlaments vom 14. März 2013 zum Schutz der öffentlichen Gesundheit vor endokrinen Disruptoren (2012/2066(INI))

    (2016/C 036/14)

    Das Europäische Parlament,

    unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH), zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe, zur Änderung der Richtlinie 1999/45/EG und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 793/93 des Rates, der Verordnung (EG) Nr. 1488/94 der Kommission, der Richtlinie 76/769/EWG des Rates sowie der Richtlinien 91/155/EWG, 93/67/EWG, 93/105/EG und 2000/21/EG der Kommission (1), (nachfolgend „REACH-Verordnung“),

    unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1272/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen, zur Änderung und Aufhebung der Richtlinien 67/548/EWG und 1999/45/EG und zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 (2),

    unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1107/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln und zur Aufhebung der Richtlinien 79/117/EWG und 91/414/EWG des Rates (3),

    unter Hinweis auf die Verordnung (EU) Nr. 528/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über die Bereitstellung auf dem Markt und die Verwendung von Biozidprodukten (4),

    unter Hinweis auf die Richtlinie 2000/60/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2000 zur Schaffung eines Ordnungsrahmens für Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich der Wasserpolitik (5) (nachstehend „WRR“),

    unter Hinweis auf die Richtlinie 2009/128/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über einen Aktionsrahmen der Gemeinschaft für die nachhaltige Verwendung von Pestiziden (6),

    unter Hinweis auf die Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über Kosmetikprodukte (7),

    unter Hinweis auf den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinien 2000/60/EG und 2008/105/EG in Bezug auf prioritäre Stoffe im Bereich der Wasserpolitik,

    unter Hinweis auf den konzeptionellen Rahmen der OECD über Tests und Bewertungen von hormonstörenden Stoffen,

    unter Hinweis auf den Entwurf einer Anleitung zu standardisierten Testrichtlinien zur Bewertung von Chemikalien unter dem Aspekt Hormonstörungen (2011),

    unter Hinweis auf den Entwurf eines detaillierten Prüfungsberichts mit dem Titel „Stand der Wissenschaft in der Novel-in-vitro- und In-vivo-Untersuchung sowie Testmethoden und Endpunkte zur Bewertung von hormonstörenden Stoffen“,

    unter Hinweis auf den bevorstehenden Vorschlag der Kommission zu einem „Plan zum Schutz der Wasserressourcen Europas“,

    unter Hinweis auf das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen zu dem Thema „Umsetzung der ‚Gemeinschaftsstrategie für Umwelthormone‘ — Stoffe, die im Verdacht stehen, sich störend auf das Hormonsystem des Menschen und der wildlebenden Tiere auszuwirken“ (KOM(1999)0706, KOM (2001)0262 und SEK (2004)1372),

    unter Hinweis auf das Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen mit dem Titel „4. Bericht zur Umsetzung der ‚Gemeinschaftsstrategie für Umwelthormone‘ — Stoffe, die im Verdacht stehen, sich störend auf das Hormonsystem des Menschen und der wildlebenden Tiere auszuwirken“ (KOM(1999)0706 — SEK (2011)1001),

    unter Hinweis auf die Europäische Strategie für Umwelt und Gesundheit und den Europäischen Aktionsplan für Umwelt und Gesundheit (2004–2010), in denen u. a. festgestellt wird, dass bei Risikobewertungen den Kombinationseffekten von Expositionen gegenüber Chemikalien Rechnung zu tragen ist,

    unter Hinweis auf die Mitteilung der Kommission an den Rat zum Vorsorgeprinzip (KOM(2000)0001),

    unter Hinweis auf den Technischen Bericht Nr. 2/2012 der Europäischen Umweltagentur „Auswirkungen von Umwelthormonen auf wildlebende Tiere, Menschen und ihre Umwelt“,

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 20. Oktober 1998 zu Chemikalien, die Störungen des Hormonsystems verursachen (8),

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 6. Mai 2010 zu der Mitteilung der Kommission mit dem Titel „Maßnahmen zur Krebsbekämpfung: Europäische Partnerschaft“ (9),

    unter Hinweis auf seine Entschließung vom 20. April 2012 zu der Überprüfung des 6. Umweltaktionsprogramms und der Festlegung der Prioritäten für das 7. Umweltaktionsprogramm: Mehr Lebensqualität durch Umweltschutz (10),

    unter Hinweis auf die „Studie zur wissenschaftlichen Bewertung von 12 Stoffen im Zusammenhang mit der Liste vorrangiger Maßnahmen in Bezug auf Umwelthormone“,

    unter Hinweis auf die Studie des Beratungs- und Forschungsunternehmens „DHI Water and Environment“ zur Verbesserung der Liste vorrangiger Maßnahmen in Bezug auf Umwelthormone mit Schwerpunkt auf LPV-Chemikalien,

    unter Hinweis auf die „Bewertung von Umwelthormonen nach aktuellem Wissensstand“, Projektvereinbarung Nummer 070307/2009/550687/SER/D3,

    unter Hinweis auf den Bericht „Die Auswirkungen von Umwelthormonen auf wildlebende Tiere, Menschen und ihre Umwelt“, den Bericht „Weybridge+15 (1996–2011)“ (ISSN 1725-2237),

    unter Hinweis auf die Richtlinie 2010/63/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. September 2010 zum Schutz der für wissenschaftliche Zwecke verwendeten Tiere,

    unter Hinweis auf die Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und des Internationalen Programms über die Sicherheit im Zusammenhang mit chemischen Stoffen (IPCS) für hormonstörende Chemikalien (11),

    gestützt auf Artikel 48 seiner Geschäftsordnung,

    in Kenntnis des Berichts des Ausschusses für Umweltfragen, Volksgesundheit und Lebensmittelsicherheit (A7-0027/2013),

    A.

    in der Erwägung, dass in den letzten zwanzig Jahren hormonbezogene Störungen und Krankheiten bei Menschen zugenommen haben und dass verschlechterte Spermienqualität, früherer Eintritt in die Pubertät, häufigeres Vorkommen von Missbildungen an Geschlechtsorganen, erhöhtes Vorkommen bestimmter Krebsarten und Stoffwechselkrankheiten Beispiele dafür sind; in der Erwägung, dass bestimmte neurologische Störungen und neurodegenerative Krankheiten, Auswirkungen auf die Entwicklung des Nervensystems, das Immunsystem oder die Epigenetik möglicherweise in Zusammenhang mit den Auswirkungen von Chemikalien mit hormonstörenden Eigenschaften stehen; in der Erwägung, dass zum besseren Verständnis der Ursachen dieser Störungen weitere Forschungstätigkeiten vonnöten sind;

    B.

    in der Erwägung, dass chemische Stoffe mit hormonstörenden Eigenschaften östrogene oder anti-östrogene Wirkung bei Frauen haben können, was das weibliche Fortpflanzungssystem beeinträchtigt, den Hormonspiegel durcheinanderbringt, den Menstruationszyklus verändert und sich auf die Fruchtbarkeit auswirkt, die Entwicklung von Gebärmuttererkrankungen wie Myome und Endometriose begünstigt und das Brustwachstum und die Laktation beeinträchtigt; in der Erwägung, dass derartige Stoffe als Risikofaktoren und als Ursache für den verfrühten Eintritt von Mädchen in die Pubertät, Brustkrebs, Fehlgeburten sowie Fruchtbarkeitsstörungen oder Unfruchtbarkeit erkannt wurden;

    C.

    in der Erwägung, dass immer mehr wissenschaftliche Studien nahelegen, dass hormonstörende Chemikalien, insbesondere in Kombination, eine Rolle sowohl bei chronischen Krankheiten, darunter hormonell bedingter Erkrankungen, Krebserkrankungen, Adipositas, Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, als auch reproduktionsbezogenen Problemen spielen;

    D.

    in der Erwägung, dass mittlerweile gesicherte Erkenntnisse vorliegen, wonach hormonelle Störungen bei wildlebenden Tieren (darunter reproduktionsbezogene Krankheiten, Maskulinisierung bei Bauchfüßern, Feminisierung bei Fischen oder Rückgang vieler Molluskenpopulationen in verschiedenen Teilen der Welt) in Zusammenhang mit den Auswirkungen von Chemikalien mit hormonstörenden Eigenschaften stehen;

    E.

    in der Erwägung, dass die zunehmende Anzahl hormonbedingter Störungen bei Menschen mehrere Ursachen haben dürfte; in der Erwägung, dass heute bedeutende wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die darauf hindeuten, dass dies zum Teil auf den Einfluss von Chemikalien mit hormonstörenden Eigenschaften zurückzuführen ist;

    F.

    in der Erwägung, dass der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen einer Exposition gegenüber einzelnen Chemikalien und der Störung des hormonellen Gleichgewichts (mit dem Risiko von Gesundheitsbeeinträchtigungen) mit großen Schwierigkeiten verbunden ist;

    G.

    in der Erwägung, dass im Fall von Chemikalien mit hormonstörenden Eigenschaften der Nachweis eines ursächlichen Zusammenhangs beispielsweise aus folgenden Gründen erschwert ist:

    Die Zeit zwischen der Exposition und den epigenetischen Auswirkungen kann lang sein, und hormonstörende Stoffe können sich auf mehrere nachfolgende Generationen nachteilig auswirken;

    die Gefahr nachteiliger Auswirkungen ist in verschiedenen Entwicklungsphasen unterschiedlich groß; kritische Zeitfenster, z. B. während der embryonalen Entwicklung, können sehr kurz sein;

    Menschen sind im Laufe ihres Lebens einer großen Anzahl Chemikalien in komplexen Gemischen ausgesetzt;

    hormonstörende Stoffe können untereinander und mit dem körpereigenen Hormonsystem in Wechselwirkung treten;

    hormonstörende Stoffe können schon in sehr niedrigen Konzentrationen wirken und dadurch bereits bei niedriger Dosis schädliche Auswirkungen haben; in Fällen von nicht linearer Dosis-Wirkungs-Beziehung nimmt der Schwierigkeitsgrad der Vorhersage weiter zu;

    unser Wissen über die Hormonsysteme von Mensch und Tier sind nach wie vor begrenzt;

    H.

    in der Erwägung, dass die Rechtsvorschriften der EU zwar Bestimmungen über hormonstörende Stoffe, aber keine Kriterien für die Entscheidung darüber, ob ein Stoff als Stoff mit hormonstörenden Eigenschaften einzustufen ist, enthalten, was die ordnungsgemäße Anwendung der Rechtsvorschriften aushöhlt; in der Erwägung, dass ein Zeitplan aufgestellt werden sollte, mit dem für die zügige Anwendung der künftigen Kriterien gesorgt wird;

    I.

    in der Erwägung, dass es auf EU-Ebene keine koordinierten oder kombinierten Überwachungsprogramme speziell für hormonstörende Stoffe gibt;

    J.

    in der Erwägung, dass die Art und Weise, auf die Daten in den einzelnen Überwachungsprogrammen erhoben, verarbeitet, begutachtet und gemeldet werden, wenig bis gar nicht koordiniert ist;

    K.

    in der Erwägung, dass eine Berücksichtigung von Kombinationseffekten zwischen hormonstörenden Substanzen, die aus Produkten und Waren freigesetzt werden welche verschiedenen Rechtsvorschriften unterliegen, derzeit rechtlich nicht möglich ist;

    L.

    in der Erwägung, dass die im Chemikalienrecht der EU vorhandenen Standarddatenanforderungen nicht zur angemessenen Ermittlung hormonstörender Eigenschaften ausreichen;

    M.

    in der Erwägung, dass eine Reihe von EU-Rechtsvorschriften Bürger vor der Exposition gegenüber schädlichen Chemikalien schützen sollen, dass aber im gegenwärtig geltenden Unionsrecht jede Exposition für sich behandelt und keine umfassende, integrierte Bewertung kumulativer Auswirkungen vorgesehen wird, bei der verschiedene Expositionswege bzw. Produktarten berücksichtigt werden;

    1.

    vertritt auf der Grundlage einer umfassenden Beurteilung der Kenntnislage die Auffassung, dass das Vorsorgeprinzip nach Artikel 192 Absatz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) die Kommission und die Rechtsetzungsorgane verpflichtet, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um nötigenfalls die kurz- und langfristige Exposition von Menschen gegenüber hormonstörenden Stoffen auf ein Minimum zu beschränken, wobei es die Forschungsanstrengungen erheblich zu verstärken gilt, um die wissenschaftlichen Kenntnisse über die Auswirkungen hormonstörender Stoffe auf die menschliche Gesundheit zu verbessern;

    2.

    weist darauf hin, dass das Vorsorgeprinzip in einer Gesamtlage Anwendung findet, in der wissenschaftliche Unsicherheit besteht, in der zur Risikobeschreibung nur unvollständige, sich verändernde und nicht unumstrittene Kenntnisse vorliegen, jedoch Handlungsbedarf besteht, um das Risiko potenziell schwerer oder unumkehrbarer Folgen für die menschliche Gesundheit und/oder die Umwelt abzuwenden oder zu verringern;

    3.

    vertritt die Auffassung, dass Maßnahmen zum Schutz der menschlichen Gesundheit geboten sind, soweit der begründete Verdacht besteht, dass hormonstörende Stoffe Schäden verursachen; betont, dass angesichts der Möglichkeit, dass hormonstörende Stoffe schädliche oder irreversible Auswirkungen haben, der Mangel an exakten Kenntnissen, unter anderem an endgültigen Nachweisen der ursächlichen Zusammenhänge, nicht verhindern sollte, dass entsprechend dem Vorsorgeprinzip und unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit Maßnahmen zum Schutz der Gesundheit ergriffen werden;

    4.

    ist der Auffassung, dass der Schutz von Frauen vor potenziellen Gefahren durch hormonstörende Stoffe für ihre reproduktive Gesundheit äußerst wichtig ist; fordert deshalb die Kommission auf, vorrangig Forschung zur Untersuchung der Auswirkungen hormonstörender Stoffe auf die Gesundheit von Frauen zu finanzieren, Langzeitstudien zur Gesundheit von Frauen über große Zeiträume ihres Lebens zu unterstützen und damit eine Bewertung der langfristigen und generationenübergreifenden Auswirkungen der Exposition gegenüber hormonstörenden Stoffen, die auf gesicherten Erkenntnissen basiert, zu ermöglichen;

    5.

    fordert die Kommission deshalb auf, möglichst zügig Vorschläge zu übergreifenden Kriterien auf der Grundlage der im Internationalen Programm der Weltgesundheitsorganisation über die Sicherheit im Zusammenhang mit chemischen Stoffen (WHO/IPCS) ausgearbeiteten Definition für hormonstörende Stoffe und zu entsprechenden Test- und Informationsanforderungen für kommerziell gehandelte Chemikalien vorzulegen, und verlangt, in den Rechtsvorschriften der EU klarzustellen, was als Stoff mit hormonstörenden Eigenschaften zu betrachten ist; tritt dafür ein, die Einführung der Kategorie „hormonstörende Stoffe“ als regulatorische Kategorie in Erwägung zu ziehen, wobei verschiedene Kategorien eingeführt werden, die auf der Stichhaltigkeit der Nachweise beruhen;

    6.

    erachtet es als wichtig, die Kriterien für die Bestimmung hormonstörender Eigenschaften auf der Grundlage einer den Stand der Wissenschaft entsprechenden umfassenden Gefahrenbeurteilung festzulegen und dabei potenzielle Kombinationseffekte ebenso wie langfristige Auswirkungen und Auswirkungen in kritischen Entwicklungsphasen zu berücksichtigen; stellt fest, dass die Gefahrenbeurteilung anschließend in den in einschlägigen Rechtsvorschriften dargelegten Verfahren zur Risikobewertung und Risikobewältigung herangezogen werden sollte;

    7.

    fordert die Kommission auf, weitere Maßnahmen im Bereich der Chemikalienpolitik zu ergreifen und die diesbezügliche Forschung zu intensivieren, die die Beurteilung sowohl des hormonstörenden Potenzials einzelner Chemikalien als auch der kumulativen Wirkung identifizierter Kombinationen von Stoffen auf das Hormonsystem ermöglichen;

    8.

    ist der Auffassung, dass den Kriterien für hormonstörende Stoffe Kriterien zur Definition von „schädliche Auswirkung“ und „hormonbezogener Wirkungsmechanismus“ zugrunde gelegt werden müssen, wobei die WHO/IPCS-Definition dafür eine geeignete Grundlage ist; hält es für erforderlich, in einer umfassenden Beurteilung die „schädliche Auswirkung“ und den „hormonbezogenen Wirkungsmechanismus“ parallel zu untersuchen und umfassend zu bewerten; hält es für notwendig, bei den festgestellten Auswirkungen Schädlichkeit zu vermuten, wenn wissenschaftliche Daten darauf hindeuten; betont, dass mögliche Kombinationseffekte wie Mischungs- oder Cocktaileffekte zu berücksichtigen sind;

    9.

    betont, dass die Kriterien für die Einstufung eines Stoffes als hormonstörender Stoff wissenschaftlich begründet und Fachgebiete übergreifend gefasst sein müssen; ist der Auffassung, dass das Beweiskraftkonzept herangezogen werden und kein einzelnes Kriterium als das Ausschlusskriterium oder das entscheidende Kriterium für die Einstufung als hormonstörender Stoff gelten sollte; ist der Auffassung, dass anschließend eine sozioökonomische Begutachtung in Übereinstimmung mit den einschlägigen Rechtsvorschriften vorgenommen werden sollte;

    10.

    vertritt die Auffassung, dass die Vorzüge und Mängel aller überprüften wissenschaftlichen Daten und Informationen, einschließlich einer Prüfung der wissenschaftlichen Literatur und nicht GLP-konformer Studien, berücksichtigt werden sollten, wenn es zu beurteilen gilt, inwieweit ein Stoff hormonstörende Eigenschaften besitzt oder nicht, und dass die Beachtung moderner Methoden und aktueller Forschung ebenso wichtig ist;

    11.

    fordert die Kommission auf, in allen relevanten EU-Rechtsvorschriften Testanforderungen einzuführen, die geeignet sind, Stoffe mit hormonstörenden Eigenschaften zu ermitteln; stellt fest, dass die in jüngster Zeit validierten und international anerkannten Prüfmethoden, die beispielsweise im Rahmen der OECD, des Europäischen Labors für alternative Methoden zu Tierversuchen (EURL ECVAM) oder des „Endocrine Disruptor Screening Program“ des amerikanischen Umweltbundesamts (EPA) ausgearbeitet wurden, umgesetzt werden müssen; stellt fest, dass das Prüfmethodenprogramm der OECD die Geschlechts- und Schilddrüsenhormone sowie die Steroidgenese erfasst; stellt andererseits fest, dass es für viele andere Bereiche des Hormonsystems, z. B. Insulin und Wachstumshormone, keine Tests gibt; ist der Auffassung, dass Prüfverfahren und Leitlinien entwickelt werden sollten, um hormonstörende Stoffe, eventuelle Niedrigdosiseffekte, Kombinationseffekte und nichtlineare Dosis-Wirkungs-Beziehungen besser zu berücksichtigen, insbesondere im Zusammenhang mit kritischen Expositionszeitfenstern in der Entwicklungsphase;

    12.

    ist der Auffassung, dass die Entwicklung von anderen Versuchen als Tierversuchen gefördert werden sollte, damit für den Menschen relevante Sicherheitsdaten gewonnen und die derzeit gebräuchlichen Tierversuche ersetzt werden;

    13.

    ist der Auffassung, dass der Einsatz von anderen Versuchen als Tierversuchen und andere Risikobewertungsstrategien gefördert werden sollten und dass Tierversuche auf einen Mindestumfang beschränkt und Versuche an Wirbeltieren als letzte Möglichkeit durchgeführt werden sollten; weist darauf hin, dass aufgrund der Richtlinie 2010/63/EU Wirbeltierversuche zu ersetzen, einzuschränken oder zu verbessern sind; fordert deshalb die Kommission auf, Vorschriften zur Unterbindung von Doppelversuchen festzulegen und dafür zu sorgen, dass die Wiederholung von Versuchen und Studien an Wirbeltieren untersagt wird;

    14.

    fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, Register der Erkrankungen der Reproduktionsorgane Krankheiten zu erstellen, um die gegenwärtig auf EU-Ebene bestehende Datenlücke zu schließen;

    15.

    fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, zuverlässige Daten über die sozioökonomischen Auswirkungen hormonbezogener Störungen und Krankheiten zu erstellen;

    16.

    ist der Auffassung, dass es möglich sein sollte, dass die Entscheidungsträger Stoffe mit gleichen Wirkmechanismen und Eigenschaften gruppenweise behandeln, wenn ausreichende Daten verfügbar sind, wohingegen es aber durchaus sinnvoll sein kann, die Stoffe anhand struktureller Ähnlichkeiten zu gruppieren, wenn die Daten nicht ausreichen, beispielsweise um Prioritäten für weitere Tests festzulegen, um die Allgemeinheit möglichst rasch und wirkungsvoll vor den Auswirkungen einer Exposition gegenüber hormonstörenden Stoffen zu schützen und um die Zahl der Tierversuche zu begrenzen; vertritt die Auffassung, dass die Gruppierung von Stoffen mit strukturellen Ähnlichkeiten vorgenommen werden sollte, wenn der Hersteller oder Importeur keinen Nachweis der Unbedenklichkeit einer Chemikalie erbringen kann, der den zuständigen Entscheidungsträgern genügt; weist darauf hin, dass die Entscheidungsträger in solchen Fällen Informationen über Stoffe mit ähnlicher Struktur heranziehen können, um die verfügbaren Daten zu einem bestimmten von ihnen zu prüfenden Stoff zu ergänzen, damit diese ihnen Anhaltspunkte für die anschließend zu treffenden Maßnahmen geben;

    17.

    fordert die Kommission auf, die Strategie der EU für hormonstörende Stoffe zu überarbeiten, damit die menschliche Gesundheit dadurch wirksam geschützt wird, dass das Vorsorgeprinzip in der Strategie einen höheren Stellenwert bekommt und zugleich das Prinzip der Verhältnismäßigkeit beachtet wird, und, soweit notwendig, auf die Reduzierung der Exposition von Menschen gegenüber hormonstörenden Stoffen hinzuwirken;

    18.

    fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, stärker zu berücksichtigen, dass die Informationen für die Verbraucher über die Bedrohung durch hormonstörende Stoffe, ihre Auswirkungen und die Möglichkeiten, sich vor ihnen zu schützen, sachlich und gut verständlich ausgedrückt in geeigneter Form bereitgestellt werden müssen;

    19.

    fordert die Kommission auf, einen konkreten Zeitplan für die Anwendung der künftigen Kriterien und geänderten Testanforderungen für hormonstörende Stoffe in den einschlägigen Rechtsvorschriften zu erstellen, wozu auch die Überprüfung der Zulassung für Wirkstoffe, die in Pestiziden und Bioziden verwendet werden, sowie ein Fahrplan mit konkreten Maßnahmen und Zielen zur Verringerung der Exposition gegenüber hormonstörenden Stoffen gehören;

    20.

    vertritt die Auffassung, dass die Datenbank über hormonell wirksame Stoffe, die im Rahmen der derzeitigen Strategie eingerichtet wurde, laufend aktualisiert werden sollte;

    21.

    fordert die Kommission auf, im Zuge ihrer derzeitigen Überarbeitung der EU-Strategie für hormonstörende Stoffe von 1999 alle relevanten derzeit geltenden Rechtsvorschriften einer systematischen Überprüfung zu unterziehen und bei Bedarf bis zum 1. Juni 2015 geltende Rechtsvorschriften zu ändern oder neue Rechtsvorschriften — auch über Risikobewertungen — vorzuschlagen, um die Exposition von Menschen, insbesondere Risikogruppen wie Schwangeren, Säuglingen, Kindern und Jugendlichen, gegenüber hormonstörenden Stoffen zu reduzieren;

    22.

    fordert die Kommission auf, im Rahmen der anstehenden Überarbeitung der EU-Strategie für Umwelthormone einen genauen Zeitplan mit Festlegung von Zwischenfristen für folgende Schritte vorzulegen:

    Anwendung der künftigen Kriterien zur Identifizierung potenziell hormonstörender chemischer Stoffe;

    Überarbeitung der in Ziffer 22 genannten einschlägigen Rechtsvorschriften;

    Veröffentlichung einer regelmäßig zu aktualisierenden Liste prioritärer hormonstörender Stoffe, wobei die erste Fassung dieser Liste bis zum 20. Dezember 2014 veröffentlicht werden sollte;

    alle Maßnahmen, die erforderlich sind, um die Exposition von Menschen oder der Umwelt in der EU gegenüber hormonstörenden Stoffen zu verringern;

    23.

    ist der Auffassung, dass hormonstörende Stoffe als besonders gefährliche Stoffe im Sinn der Reach-Verordnung oder als deren Entsprechungen in anderen Rechtsvorschriften einzustufen sind;

    24.

    betont, dass nach dem heutigen Stand der Wissenschaft keine ausreichende Handhabe besteht, um einen Grenzwert festzulegen, unterhalb dessen keine schädlichen Auswirkungen auftreten, dass hormonstörende Stoffe aus diesem Grund als Stoffe ohne Schwellenkonzentration gelten sollten und dass jede Exposition gegenüber solchen Stoffen ein Risiko mit sich bringen kann, sofern der Hersteller keine wissenschaftlichen Nachweise dafür erbringen kann, dass sich ein Schwellenwert ermitteln lässt, wobei erhöhte Anfälligkeit im Fall kritischer Expositionszeitfenster während der Entwicklung und Mischungseffekte zu berücksichtigen sind;

    25.

    fordert die Kommission auf, gezielte Forschungsprojekte zu Stoffen, die das Hormonsystem beeinflussen können, zu fördern und einen Schwerpunkt auf die schädlichen Auswirkungen bei niedriger Konzentration oder kombinierter Exposition zu legen, wozu auch die Entwicklung neuer Test- und Analysemethoden gehört, und für einen Paradigmenwechsel zu plädieren, der bei den Verbreitungswegen der Toxizität bzw. der schädlichen Auswirkungen ansetzt, zu fördern; fordert die Kommission auf, hormonstörende Stoffe, ihre Kombinationswirkungen und damit verwandte Themen in die Prioritäten für das Rahmenprogramm Forschung und Entwicklung aufzunehmen;

    26.

    fordert die Kommission auf, In-vitro- und In-silico-Methoden zu entwickeln, um Tierversuche beim Screening in Bezug auf hormonstörende Stoffe auf ein Minimum zu reduzieren;

    27.

    fordert die Kommission auf, bei allen aus Drittländern importieren Produkten die Erfüllung aller derzeitigen und künftigen Rechtsvorschriften über hormonstörende Stoffe zu verlangen;

    28.

    fordert die Kommission auf, alle Interessenträger an der Kooperation im Hinblick auf die Änderungen von Rechtsvorschriften, die für einen besseren Schutz der menschlichen Gesundheit gegen Chemikalien mit hormonstörenden Eigenschaften und zur Konzipierung von Informationskampagnen erforderlich sind, zu beteiligen;

    29.

    fordert die Kommission auf, die Möglichkeit der Einrichtung eines Forschungszentrums für hormonstörende Stoffe, das auf EU-Ebene Forschungen über hormonstörende Stoffe betreibt und entsprechende Erkenntnisse koordiniert, zu prüfen;

    30.

    fordert die Kommission auf, dafür zu sorgen, dass alle relevanten derzeitigen und künftigen Rechtsvorschriften die Kriterien für die Identifizierung von Stoffen, die erwiesenermaßen, wahrscheinlich oder potenziell eine hormonstörende Wirkung haben, horizontal zur Anwendung bringen, um ein hohes Schutzniveau zu erreichen;

    31.

    betont, dass diese Entschließung sich zwar in erster Linie auf den Schutz der menschlichen Gesundheit gegen hormonstörende Stoffe beschränkt, es aber durchaus auch wichtig ist, entschlossene Maßnahmen zum Schutz von wildlebenden Tieren oder Pflanzen und der Umwelt gegen hormonstörende Stoffe zu treffen;

    32.

    fordert die Kommission auf, Programme zu fördern und zu finanzieren, die der Information der Bürger über die mit hormonstörenden Stoffen verbundenen Gesundheitsrisiken dienen, damit die Menschen ihr Konsumverhalten und ihren Lebensstil in Kenntnis der Sachlage anpassen können, wobei die Informationsprogramme besonders auf die am stärksten schutzbedürftigen Gruppen (Schwangere und Kinder) zugeschnitten sein sollten, damit rechtzeitig Vorsorgemaßnahmen getroffen werden können;

    33.

    fordert die Mitgliedstaaten auf, die Fortbildungsmaßnahmen für Angehörige des Gesundheitswesens in diesem Bereich zu verbessern;

    34.

    begrüßt, dass hormonstörende Stoffe als neue politisch relevantes Thema wahrgenommen werden, das im Rahmen des Strategischen Konzepts für das internationale Chemikalienmanagement (SAICM) zu behandeln ist; fordert die Kommission und die Mitgliedstaaten auf, diese Tätigkeiten im Rahmen des SAICM zu unterstützen und in allen zuständigen internationalen Institutionen, auch in der WHO und im Umweltprogramm der Vereinten Nationen (UNEP), die Reduzierung der Exposition von Mensch und Umwelt gegenüber hormonstörenden Stoffen aktiv und energisch voranzutreiben;

    35.

    beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat und der Kommission zu übermitteln.


    (1)  ABl. L 396 vom 30.12.2006, S. 1.

    (2)  ABl. L 353 vom 31.12.2008, S. 1.

    (3)  ABl. L 309 vom 24.11.2009, S. 1.

    (4)  ABl. L 167 vom 27.6.2012, S. 1.

    (5)  ABl. L 327 vom 22.12.2000, S. 1.

    (6)  ABl. L 309 vom 24.11.2009, S. 71.

    (7)  ABl. L 342 vom 22.12.2009, S. 59.

    (8)  ABl. C 341 vom 9.11.1998, S. 37.

    (9)  ABl. C 81 E vom 15.3.2011, S. 95.

    (10)  Angenommene Texte, P7_TA(2012)0147.

    (11)  Definition aus dem Bericht von WHO und IPCS (2002): „Ein Stoff mit Wirkung auf das Hormonsystem ist ein exogener Stoff oder eine Mischung exogener Stoffe, die schädliche gesundheitliche Wirkungen in einem intakten Organismus oder seinen Nachkommen oder in Zielgruppen auslösen als Folge von Veränderungen der endokrinen Funktion.“ Ein Stoff mit potentieller Wirkung auf das Hormonsystem ist „ein exogener Stoff oder eine Mischung exogener Stoffe, die Eigenschaften besitzen, die vermuten lassen, dass es in einem intakten Organismus oder seinen Nachkommen oder in Zielgruppen zu einer Störung des Hormonsystems kommt.“ (http://www.who.int/ipcs/publications/en/ch1.pdf).


    Top