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Document 52012AE1313

    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der digitale Markt als Wachstumsmotor“ (Sondierungsstellungnahme)

    ABl. C 229 vom 31.7.2012, p. 1–6 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    31.7.2012   

    DE

    Amtsblatt der Europäischen Union

    C 229/1


    Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Der digitale Markt als Wachstumsmotor“ (Sondierungsstellungnahme)

    2012/C 229/01

    Berichterstatterin: Laure BATUT

    Der dänische Ratsvorsitz beschloss am 11. Januar 2012, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgendem Thema zu ersuchen:

    Der digitale Markt als Wachstumsmotor

    (Sondierungsstellungnahme).

    Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Verkehr, Energie, Infrastrukturen, Informationsgesellschaft nahm ihre Stellungnahme am 10. Mai 2012 an.

    Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 481. Plenartagung am 23./24. Mai 2012 (Sitzung vom 23. Mai) mit 141 gegen 7 Stimmen bei 5 Enthaltungen folgende Stellungnahme:

    1.   Einleitung

    1.1   Die digitale Wirtschaft verändert tiefgreifend alle Gewohnheiten und berührt das gesamte wirtschaftliche und soziale Gefüge unserer Gesellschaften. In der digitalen Wirtschaft kommt es auf Sicherheit und Interoperabilität an. Die Digitale Agenda ist eine Leitinitiative im Rahmen der Europa-2020-Strategie. Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss hat sich bereits in zahlreichen Stellungnahmen zu den Auswirkungen der digitalen Medien in unserer Gesellschaft geäußert (1).

    1.2   Im Bewusstsein der Problematik hat der dänische Ratsvorsitz den Ausschuss ersucht, zu ergründen, was getan werden muss, damit die digitalen Medien zum Wachstumstreiber werden. Nach Meinung des Ausschusses müssen der soziale und der zivile Dialog integraler Bestandteil der Überlegungen, Beratungen und Partnerschaften im Zusammenhang mit der digitalen Wirtschaft sein.

    1.3   Der Markt kann nicht Selbstzweck sein (2). Die digitalen Medien müssen in den Dienst der Wirtschaft gestellt werden, ohne die wirtschaftlichen, sozialen, menschlichen und kulturellen Errungenschaften zu gefährden. Onlineproduktion, Internethandel und die Entwicklung der digitalen Wirtschaft verändern den Arbeitsmarkt. Der Ausschuss plädiert für erhöhte Sichtbarkeit, für mehr Informationen für Unternehmer und Verbraucher und für einschlägige Garantien für alle.

    1.4   Die EU hat den Anschluss verloren – bei Entwicklung und Internetdiensteangebot liegen die USA vorn, bei der Herstellung Asien. Sie müsste schleunigst ihre digitale Strategie komplett umsetzen und in ihrem Ansatz sowohl den kurzfristigen Herausforderungen (wie Rechte des geistigen Eigentums) und langfristigen Problemen (Bevölkerungsalterung) Rechnung tragen. Vorrang gebührt nach Ansicht des Ausschusses der gezielten Förderung von wirtschaftlicher Intelligenz, dem Aufbau europäischer marktführender Unternehmen, deren Entscheidungs-zentralen, Forschungs- und Entwicklungstätigkeiten in der EU angesiedelt sind, und die letztlich allen Bürgern zugute kommen, dem Aufbau von Vertrauen, der Steigerung der Kapazitäten aller, der Entwicklung der Produktivität und der Einbeziehung der digitalen Medien in die Strategie für nachhaltiges Wachstum.

    Der Ausschuss spricht folgende Empfehlungen aus:

    2.   Digitale Medien als Wachstumstreiber

    2.1   Im gesamten EU-Gebiet einschließlich der überseeischen Länder und Gebiete müssen rasch die notwendigen Infrastrukturen auf- bzw. ausgebaut werden (3). Die Netzbetreiber müssen für alle, auch abgelegene Gebiete, universellen Internetzugang gewährleisten. Die Mitteilung der Kommission zur Stärkung des Vertrauens in den digitalen Binnenmarkt (COM(2011) 942 final) wird womöglich nicht ausreichen.

    2.2   Der barrierefreie Zugang zu Soft- und Hardware für alle  (4) und eine entsprechende Schulung im Umgang damit sind grundlegende Voraussetzungen. Ein Viertel der Bevölkerung hat das Rentenalter erreicht. Ihrem Wirtschaftspotenzial muss Rechnung getragen werden. Der barrierefreie Zugang muss ein vorrangiger Punkt auf der Agenda sein.

    2.3   Für die IKT (Informations- und Kommunikationstechnologien) sollten unter Mitwirkung der Industrie, der KMU und aller weiteren Interessenträger der Zivilgesellschaft (5) Normen festgelegt werden, um die vollständige Interoperabilität und Kompatibilität der IKT-Dienste und –Anwendungen sicherzustellen und eine modernisierte IKT-Normungspolitik zur Unterstützung der EU-Politiken zu ermöglichen (Entschließung des Europäischen Parlaments vom 21. Oktober 2010 zur Zukunft der europäischen Normung, Punkt 69 und 72 (6). Der Ausschuss hält es für sinnvoll, die an der Entwicklung von Normen beteiligten KMU und gesellschaftlichen Akteure finanziell zu unterstützen.

    2.4   Der Verbund der europäischen Netze muss bewerkstelligt werden, um die digitale Wirtschaft voranzubringen und das Waren- und Dienstleistungsangebot zu erweitern (Stellungnahme CESE 490/2012, TEN/469).

    2.5   Die Interoperabilität des Angebots muss auf EU-Ebene geregelt werden. Durch eine Normung können sich die europäischen Interessenträger neue globale Märkte erschließen.

    2.6   Der Ausschuss hat sich bereits für ein offenes Internet und Netzneutralität ausgesprochen (7).

    2.7   Der Binnenmarkt muss alle möglichen Nutzungsgarantien bieten, um das Nachfragepotenzial über die Nutzung von freier und Open-Source-Software freizusetzen.

    2.8   Der Ausschuss befürwortet die Entwicklung gemeinsamer Schnittstellenstandards.

    2.9   Der Ausschuss hält es für unabdingbar, eine gute Verwaltungszusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten sicherzustellen und grenzüberschreitende öffentliche elektronische Behördendienste einzurichten, was durch eine generelle Nutzung des Binnenmarkt-Informationssystems (IMI) erleichtert werden könnte. Diese Entwicklung erfordert eine europäische multilaterale Steuerung (8).

    2.10   Dem Internethandel wäre eine Angleichung der nationalen Mehrwertsteuersätze förderlich: Dies wäre nach Meinung der Ausschusses ein echter Vorteil für Unternehmen und Verbraucher, sofern nicht eine Angleichung nach oben betrieben wird.

    2.11   Betreiber und Verbraucher müssen auf einfache Weise Zugang zu allen Informationen über ihre Rechte finden, um unbesorgt grenzübergreifende Geschäfte tätigen zu können.

    2.12   Der Ausschuss hält es für erforderlich, dass die Vertreter der Zivilgesellschaft (im Einklang mit der Europa-2020-Strategie „Beteiligte und Zivilgesellschaft“) am Aufbau der europäischen digitalen Wirtschaft mitwirken und in den Dialog und die partnerschaftliche Zusammenarbeit einbezogen werden. Die digitale Wirtschaft erfasst alle Gesellschaftsbereiche. Jedes Projekt sollte eine digitale und eine soziale Dimension haben.

    2.13   Die Entwicklung der digitalen Gesellschaft begünstigt eine Dienstleistungswirtschaft, die zu Deindustrialisierung und letztlich zum Verlust von Arbeitsplätzen führen kann. Auf der Suche nach neuen Märkten muss in Europa technologische Innovation und Fertigung im Verbund erfolgen. Die Start-up-Unternehmen im IKT-Bereich sollten in der Lage sein, ihr Potenzial für rasches Wachstum selbst auszuschöpfen. Nach Ansicht des Ausschusses sollte dringend geklärt werden, an was es mangelt, um große europäische Internetdiensteanbieter und weltweit bekannte Internet-Verkaufsportale hervorzubringen.

    2.14   Fortbildung und lebensbegleitendes Lernen machen Arbeitsplätze sicherer. Digitale Medien können dabei hilfreich sein, insbesondere in abgelegenen Gebieten oder in Situationen der Hilfsbedürftigkeit. Geeignete Schulungen im Umgang mit den digitalen Medien sind allgemein erforderlich.

    2.15   Bis 2015 werden 95 % aller Arbeitsplätze E-Kompetenzen voraussetzen. Der Ausschuss setzt sich dafür ein, dass negative Auswirkungen auf das Arbeitsleben vermieden werden, wie bspw.:

    die Belastung der Arbeitnehmer durch fortwährende „Dringlichkeit“ und ihre quasi-polizeiliche Überwachung;

    Telearbeit zu Niedrigstpreisen unter Umgehung des sozialen Dialogs, der Gewerkschaften und der Tarifverträge zum Nachteil der Beschäftigten.

    In der digitalen Wirtschaft sollte wie in allen anderen Bereichen auch für menschenwürdige Arbeitsplätze gesorgt werden, da dies letztlich die Nachfrage fördert.

    3.   Wachstumsgrundlage Vertrauen in die digitale Wirtschaft

    3.1   Grundrechte

    3.1.1   Der Ausschuss plädiert für den Schutz der Grundrechte und der Sicherheit der Bürger, ohne dass dadurch ihre Freiheit eingeschränkt wird. 2012 steht die Ausarbeitung einer gesamteuropäischen Strategie für die Internetsicherheit an. Dem Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Cyberkriminalität, dessen Errichtung bis 2013 geplant ist, wird eine besondere Bedeutung zukommen. Der Ausschuss fordert schließlich, dass die EU die Entwicklung einer großen europäischen Internet-Suchmaschine nach dem Vorbild von „Google“ fördert.

    3.1.2   Der Ausschuss befasst sich in einer Stellungnahme mit dem Schutz personenbezogener Daten, einem Thema von großer Tragweite (COM(2012) 10 final). Er hat bereits das Recht auf Vergessen befürwortet (9) und sich zu den Rechten der Internetnutzer, insbesondere der Kinder und Jugendlichen und der schutzbedürftigen Personenkreise geäußert. Er hofft, dass der Vorschlag der Kommission baldmöglichst angenommen und seinen Bemerkungen Rechnung getragen wird, auch wenn sich bereits Widerstände bei Internetdiensteanbietern aus Drittstaaten regen.

    3.1.3   Der Ausschuss erwartet, dass die EU Innovation fördert und das eigene kreative Schaffen schützt. Das europäische Patent, eine Chance für den digitalen Binnenmarkt, muss schleunigst eingeführt werden.

    3.2   Entwicklung des elektronischen Handels

    3.2.1   Beim Warenangebot muss die Marktzersplitterung beendet und grenzüberschreitende Online-Einkäufe müssen gefördert werden, um Käufern und Verkäufern Zugang zu wettbewerbsfähigen Preisen zu bieten (fünftes Verbraucherbarometer der EU-Kommission http://ec.europa.eu/consumers/consumer_research/editions/cms6_en.htm).

    3.2.2   Die Interoperabilität des Angebots muss auf EU-Ebene geregelt werden. Durch eine Normung können sich die europäischen Interessenträger neue globale Märkte erschließen.

    3.2.3   Der Ausschuss hält es für dringend erforderlich, die Probleme im Zusammenhang mit Online-Einkäufen zu lösen und Ungleichbehandlungen aufgrund der Nationalität oder des Wohnorts zu beseitigen und allen das gleiche Recht auf Zugang zu gewähren.

    3.2.4   Die Anwender müssen einfachen Zugang zu Informationen über ihre Rechte (COM(2011) 794 final - Online-Streitbeilegung) und die möglichen Rechtsbehelfe haben. Die Einrichtung zentraler Online-Anlaufstellen ist eine Notwendigkeit. Der Ausschuss (10) begrüßt, dass durch ein solches System weder gerichtliche Verfahren ersetzt noch Verbrauchern oder Unternehmern das Recht genommen wird, den Schutz ihrer Rechte vor Gericht einzufordern. Die Kommission sollte die intelligenten Schnittstellen wie BATNA (Best Alternative to a Negotiated Agreement – ermittelte beste Alternative zu einem geplanten Verhandlungsziel) in ihre Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr 2000/31/EG aufnehmen, um die Normen der ersten Generation zu aktualisieren. Die Möglichkeit für Verbraucher, eine wirksame Beilegung der Streitigkeiten  (11) zu erreichen, die im Rahmen von Geschäftsbeziehungen entstehen können, ist wichtig, um die Online-Nachfrage zu steigern. Die Anwender sollten klar und verständlich über ihre Rechte informiert werden. Alle Arten von Online-Streitigkeiten sollten erfasst werden.

    3.2.5   Die europäischen Rechtstexte müssen den Verbrauchern ein ebenso hohes Vertrauen in den digitalen Markt einflößen, wie sie es in ihrem Mitgliedstaat voraussetzen könnten. Aufgeklärte Verbraucher benötigen Informationen über den Markt. Die Verbreitung eines Verbraucherleitfadens über digitale Medien wäre diesbezüglich hilfreich.

    Mit Blick auf die geplante Richtlinie 2011/942, fordert der Ausschuss die EU-Behörden auf, Initiativen in folgenden Bereichen zu ergreifen:

    Information der Internetdiensteanbieter und Schutz der Internetnutzer,

    sichere Zahlungs- und Liefersysteme,

    Bekämpfung der übermäßig häufigen Missbrauchsfälle.

    3.2.6   Mittel wie:

    die gesicherte elektronische Signatur;

    der elektronische Zeitstempel auf Dokumenten;

    die Interoperabilität der elektronischen Signatursysteme;

    die gegenseitige Anerkennung der Zertifizierungsgremien (SSCD - „Secure Signature Creation Devices“) und der Zulassung der Zertifizierungsdiensteanbieter;

    das System zur Zusammenarbeit im Verbraucherschutz (CPCS) und die Harmonisierung der Rechtsbehelfe (Richtlinie 2011/83/EU und Dokument COM(2012) 100 final)

    der Bericht über die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 2004 über die Zusammenarbeit zwischen den für die Durchsetzung der Verbraucherschutzgesetze zuständigen nationalen Behörden;

    die Verordnung über die Zusammenarbeit im Verbraucherschutz.

    dürften, wenn sie allgemein eingeführt werden, ein Vertrauensklima fördern.

    3.2.7   Der Ausschuss befürwortet nach wie vor kollektive Rechtsdurchsetzungsverfahren, um in den Fällen kollektive Rechtsbehelfe zu ermöglichen, in denen zahlreiche Verbraucher vom selben Rechtsverstoß betroffen sind. Dadurch würde der bestehende Rechtsschutz durch alternative gerichtliche Streitbeilegungsverfahren ergänzt (12) (s. Richtlinie 98/27/EG vom 19. Mai 1998). Im Binnenmarkt muss ein redlicher Wettbewerb gewährleistet werden (AEUV, Präambel, 4. Absatz). Das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf ist in der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert (Artikel 47).

    3.2.8   Der Ausschuss begrüßt die Mitteilung der Kommission über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht  (13). Die Verbraucher benötigen Rechtssicherheit. Der Ausschuss ist erfreut darüber, dass die Kommission das von ihm vorgeschlagene fakultative zweite Vertragsrecht aufgegriffen hat, hätte jedoch zwei getrennte Rechtstexte bevorzugt (B2B zum einen, B2C zum anderen).

    3.2.9   Der Ausschuss erwartet mit Spannung die von der Kommission (COM(2011) 777 final/2) angekündigte Europäische Verbraucheragenda, in deren Mittelpunkt unter anderem die Auswirkungen der digitalen Revolution auf das Verbraucherverhalten stehen werden. Ein gesamteuropäischer Rahmen für die gegenseitige Anerkennung der elektronischen Identifizierung und Authentifizierung sowie über digitale Signaturen ist erforderlich, um das Volumen des elektronischen Handels zu verdoppeln und sein Potenzial als Wachstumstreiber freizusetzen. (COM(2011) 942 final).

    3.3   Sicherung des Handels

    3.3.1   Zur Bekämpfung von Piraterie und Nachahmungen sollen im Rahmen des Aktionsprogramms für Zoll und Steuern „FISCUS“ (14) Online-Kontrollen in allen Mitgliedstaaten eingeführt werden. Nach Meinung des Ausschusses müssen die Zollverwaltungen personalmäßig verstärkt und mehr Kontrollen durchgeführt werden. Das Profil der Europäischen Beobachtungsstelle für Marken- und Produktpiraterie könnte geschärft werden, indem ihre Handlungsmöglichkeiten den wirtschaftlichen Herausforderungen und den öffentlichen Sicherheitsbelangen entsprechend erweitert werden.

    3.3.2   Das geltende Recht sollte die Verwaltungsbehörden dabei unterstützen, suspekte finanzielle Transaktionen im Internet zu untersuchen. Die Zollverwaltungen können beauftragt werden, das kulturelle und immaterielle europäische Erbe zu schützen und die Unterstützung der KMU über die Datenbank zum Marktzugang (MADB), den Export-Helpdesk oder das einheitliche virtuelle Informationsportal zu verstärken.

    3.4   Für die Bürger wünscht der Ausschuss eine Charta der Governance und Transparenz. Er erachtet die Regulierung des elektronischen Handels mitsamt den elektronischen und mobilen Zahlungssystemen als dringlich.

    3.4.1   Die Sicherheit der neuen digitalen Zahlungssysteme muss durch öffentliche Normen gewährleistet werden. Derzeit haben nur private Akteure (Betreiber) Einfluss auf die von ihnen festgelegten Normen und ihre Interoperabilität. Der Ausschuss erachtet die Möglichkeit, dass ein Drittland sämtliche europäischen Zahlungsvorgänge kontrollieren kann, als nachteilig.

    4.   Förderung von Produktivität und inklusivem Wachstum

    4.1   Wachstumsfreundliches Umfeld

    4.1.1   Der digitale Binnenmarkt benötigt eine europäische Governance, die gerecht ist und die Bürgerrechte achtet. Ab 2015 sollte die zentrale Anlaufstelle für Waren und Dienstleistungen den Akteuren der europäischen Wirtschaft Unterstützung bieten. Die Unternehmen der digitalen Wirtschaft müssen den CSR-Grundsätzen genügen und am sozialen Dialog teilnehmen.

    4.1.2   Der digitale Binnenmarkt ist nach wie vor in nationale Segmente zersplittert. Einheitliche Rechtsvorschriften würden den wirtschaftlichen Akteuren Effizienzgewinne verschaffen. Nach Meinung des Ausschusses sollte die Kommission das Synergiepotenzial ihrer Dienststellen zum Tragen bringen und dadurch die notwendige Führungskraft entfalten, um die Entwicklung der digitalen Medien in der EU voranzutreiben und alle Entwicklungsrückstände aufzuholen; die EU sollte schleunigst eine europäische Entsprechung zum „Silicon Valley“ ins Leben rufen, wo sich konzentriert Talente und öffentliches und privates Kapital ansiedeln können, um aussichtsreiche Joint Ventures zu wagen.

    4.1.3   Der Ausschuss verweist auf seine Stellungnahme zum inklusiven digitalen Binnenmarkt, in der er erläutert, wie die Ungleichheiten beim Zugang zum Internet überwunden werden können; er fordert die EU auf, den Zugang zu Hard- und Software als Grundrecht anzuerkennen und die digitalen Medien als Inklusionsinstrument zu begreifen.

    4.2   Die Unternehmen und der Wachstumstreiber digitale Medien

    4.2.1   Die digitale Wirtschaft muss ein rasches BIP-Wachstum zum Ziel haben, insbesondere durch die Finanzierung von Start-up-Unternehmen. Ein gewisses amerikanisches Start-up-Unternehmen hat mittlerweile einen Wert von ca. 75 Mrd. EUR …. Die Förderung von Innovation setzt ein wissensbasiertes Wirtschaftsmodell voraus und begünstigt die Zunahme der Online-Angebote.

    4.2.2   Die Marktakzeptanz neuer Dienste hängt von der E-Kompetenz der KMU  (15) und ihren Interoperabilitätsvoraussetzungen ab. Daher sollten ihre einschlägigen Vorhaben unterstützt werden. Der Ausschuss ersucht den Ratsvorsitz, Bilanz folgender Maßnahmen zu ziehen:

    der Partnerschaft zwischen Behörden und führenden IKT-Akteuren;

    der Bereitstellung von 300 Mio. EUR für Unternehmen, die energiesparende Infrastrukturen und damit verbundene intelligente Technologien entwickeln.

    4.2.3   Elektronische und mobile Bezahldienste: Europa sollte in diesen Bereichen eine marktbestimmende Position einnehmen, wie schon bei der Chipkarte, deren Einführung einen starken Rückgang der Betrugsfälle zur Folge hatte.

    4.2.4   Das Projekt SEPA (Single Euro Payments Area – einheitlicher Euro-Zahlungsverkehrsraum; die Verordnung vom Februar 2012 legt den Auslauftermin für die nationalen Zahlverfahren für Überweisungen und Lastschriften und ihre Ersetzung durch europäische Verfahren auf den 1. Februar 2014 fest) erfasst alle wichtigen Zahlungsinstrumente des Massenzahlungsverkehrs. Nach Meinung des Ausschusses sollten Entgelte zwischen Kreditinstituten und Mitgliedstaaten angeglichen werden. Wettbewerb darf keine Innovationen hemmen und auch keine Zusatzkosten für die Verbraucher verursachen.

    4.2.5   Der Ausschuss hält es für erforderlich, die KMU durch geeignete Rahmenbedingungen zu unterstützen, um ihnen den Zugang zum digitalen Markt ebenso wie zu anderen Märkten zu ermöglichen.

    a)

    auf Ebene des Binnenmarkts:

    4.2.6.1

    Auf europäischer Ebene sollte der Umfang der digitalen Wirtschaft definiert und in Rechnungslegungstandards gefasst werden. Sie könnte digitale und digitalisierbare Güter sowie Güter umfassen, die auf digitale Medien angewiesen sind.

    4.2.6.2

    Die Unternehmen sollten ihre digitalen Güter in ihrer Bewertung berücksichtigen.

    4.2.6.3

    Die Messung des realen Einflusses der IKT auf die Unternehmen und den nationalen Wohlstand sollte auf einheitlichen europäischen Kriterien beruhen.

    4.2.6.4

    Das Statut der Europäischen Privatgesellschaft (2008) (16) (Verordnungsvorschlag COM(2008) 396 final) würde die Entwicklung der KMU durch die Erleichterung ihrer grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeiten fördern.

    b)

    auf globaler Ebene:

    4.2.7.1

    Ein industrielles Förderumfeld begünstigt die wissensbasierte Wirtschaft. Es erleichtert Investitionen, den grenzüberschreitenden Einsatz von IKT und die Nutzung der digitalen Medien. Aber die KMU leiden zunächst unter der rechtlichen und technischen Fragmentierung, dem Mangel an Transparenz und häufig ungeeigneten Lieferverfahren.

    4.2.7.2

    Erfolgsbeispiele wie DiSCwise oder der Aktionsplan Güterverkehrslogistik könnten anderen Unternehmen als Anregung dienen und so zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wachstum (intelligente Verkehrssysteme) beitragen.

    4.2.7.3

    Globalisierung: Um die Wettbewerbsfähigkeit der EU-Erzeugnisse mit hohem Mehrwert zu sichern, müssen in der EU Exportkonsortien und Cluster zur Unterstützung von F+E gegründet werden, die in den Mitgliedstaaten anerkannt sind, um die Internationalisierung der KMU zu fördern (http://ec.europa.eu/enterprise/newsroom/cf/itemlongdetail.cfm?item_id=4968).

    4.2.8   Cloud Computing kann für KMU von Vorteil sein (17), wenn die Datensicherheit, ein kritischer Punkt bei den Netz-Giganten und den Internetdienstleistern, wirklich gewährleistet wird. Die Europäische Kommission sollte Cloud Computing-Lösungen für KMU fördern und KMU beim Zugang zum Cloud Computing behilflich sein (Schulungen, Finanzierung).

    4.2.9   Die EU sollte verstärkt auf die Information der Unternehmen über Finanzierungsmöglichkeiten setzen und für das Konzept der projektbezogenenen Anleihen werben (18).

    4.2.9.1   Der Ausschuss empfiehlt, Risikokapitalinvestitionen zur Förderung von Forschern und innovativen Unternehmen zu erleichtern (COM(2011) 702 final – Mitteilung über „Kleine Unternehmen – große Welt“).

    4.2.10   Der Ausschuss empfiehlt ferner, einen Leitfaden für den Zugang der Unternehmen zur grenzüberschreitenden digitalen Wirtschaft aufzustellen.

    4.3   Geistiges Eigentum

    4.3.1   Nach Meinung des Ausschusses ist es wesentlich, dass die EU das kreative Schaffen als Garant ihrer Zukunftsfähigkeit auf dem Binnenmarkt und auf globaler Ebene schützt. Die kulturelle Ausnahme muss erhalten bleiben, da sie europäische Vielfalt sichert. Die aktuell erörterten Schutzmaßnahmen dürfen sie nicht zugunsten amerikanischer Produktionen beeinträchtigen.

    4.3.2    sichert nun Artikel 118 AEUV den Schutz der Rechte des geistigen Eigentums in der Union, aber die 27 Mitgliedstaaten üben eine unterschiedliche Kontrolle über die Nutzung des Internet aus.

    4.3.3    überprüft die EU erneut die Durchsetzung der Rechte an geistigem Eigentum in Drittländern auf der Grundlage von Gegenseitigkeit und multilateralen Verhandlungen, so z.B. im Rahmen des Anti-Produktpiraterie-Handelsabkommens ACTA (Anti-Counterfeiting Trade Agreement, ein separates Abkommen im Rahmen der WHO, das im Januar 2012 von der Europäischen Kommission und 22 EU-Mitgliedstaaten unterzeichnet wurde).

    4.3.4   In seiner Stellungnahme zu den Rechten des geistigen Eigentums warnt der Ausschuss vor einem rein vermögens- und finanzorientierten Ansatz (19).

    4.3.4.1   Mit Blick auf den für 2012 angekündigten Legislativvorschlag der Kommission besteht der Ausschuss darauf, dass im Vorfeld die Verbände, die solche Rechte und Interessen vertreten, konsultiert werden (20). Er fordert die Transparenz und Kontrolle der Verwertungsgesellschaften der Urheberrechte und verwandter Schutzrechte. Der Ausschuss erachtet die Abgabe für Privatkopien als ungerecht, da diese fester Bestandteil des Fair Use (einer angemessenen Verwendung) sind. Es muss ein Unterschied gemacht werden zwischen Bürgern, die ein Werk zum persönlichen Gebrauch downloaden, und Personen, die für gewerbliche Zwecke Piraterie in großem Stil betreiben. Die Kulturindustrie darf nicht zur Geldmaschine werden und das Internet nicht zum Privatisierungsinstrument für Kultur und Wissen.

    4.3.4.2   Dem Europäischen Parlament wurde eine europäische Petition mit über zwei Millionen Unterschriften vorgelegt (Avaaz.org), in dem es dazu aufgerufen wurde „für ein freies und offenes Internet einzustehen und die Ratifizierung des Anti-Counterfeiting Trade Agreement (ACTA) abzulehnen“. Es muss darauf hingewiesen werden, dass China, Russland, Brasilien und Indien, Länder also, aus denen zahlreiche gefälschte Produkte stammen, das ACTA-Abkommen nicht unterzeichnet haben.

    Der Ausschuss hat den Eindruck, dass seine Bemerkungen zum ACTA-Abkommen ungehört verhallt sind (21). Sollte das Abkommen ratifiziert werden, dann sollte die Kommission über den Schutz der Freiheit und der schöpferischen Fähigkeit der Bürger wachen.

    4.3.5   Um Datenstromumleitungen und Dumping zu vermeiden und dennoch die Urheberrechte zu schützen, ist der Ausschuss der Ansicht (22), dass die Schaffung eines Europäischen Urheberrechtskodexes für Klarheit darüber sorgen könnte, welche Steuervorschriften anwendbar sind.

    4.4   Der öffentliche Sektor

    4.4.1   Auch öffentliche Aufträge, die 20 % des BIP ausmachen, müssen gesichert werden.

    4.4.2   Nach Meinung des Ausschusses müssen die öffentlichen Verwaltungen online durch sichere elektronische Identifizierung und Signatur für alle – Privatpersonen, Verwaltungen, Unternehmen, öffentliche Aufträge – rasch erreichbar sein.

    4.4.3   Für den öffentlichen Sektor führen die Mitgliedstaaten zusammen mit der Kommission im Zuge der Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie eine gegenseitige Evaluierung durch. Der Ausschuss empfiehlt, die Dienstleistungsrichtlinie unter dem Gesichtspunkt der Förderung des digitalen Binnenmarkts zu bewerten.

    4.4.3.1   Der Ausschuss ist überzeugt davon, dass der digitale Binnenmarkt durch Rechtssicherheit und Technologie zur Verbesserung der öffentlichen Vergabe beitragen kann: Die Einsparungen, die durch intelligente öffentliche Dienste erzielt werden, können in die Einführung eines nahtlosen elektronischen grenzüberschreitenden Auftragswesens fließen.

    4.4.4   Die von der Kommission in Angriff genommene Überarbeitung der Richtlinie (23) über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors (PSI-Richtlinie) kann die Arbeit von Unternehmen und Privatpersonen erleichtern (s. Stellungnahme TEN/478 – in Erarbeitung).

    5.   IKT als Träger nachhaltigen Wachstums

    5.1   Der Aufbau einer nachhaltigen und außerordentlich wettbewerbsfähigen sozialen Marktwirtschaft erfordert kreatives Schaffen und Innovation in der EU. Die IKT sind dabei ein Mittel und ein Wert mit nicht nur kommerzieller Dimension.

    5.2   Nach Ansicht des Ausschusses fehlt eine individualisierte Strategie zur Gewährleistung der Nachhaltigkeit des digitalen Binnenmarkts.

    5.3   Der CO2-Fußabdruck der in der digitalen Wirtschaft expandierenden Unternehmen sollte untersucht werden. Durch intelligente Technologien kann der globale Energieverbrauch optimiert und damit der CO2-Ausstoß verringert werden.

    5.4   Elektronikwerkstoffe müssen dekarbonisiert werden; der sachgerechte Umgang mit Elektronikschrott (einschl. Recycling wertvoller Metalle) in Europa ist ein wichtiger potenzieller Markt, der zur Vermeidung von Umweltverschmutzung in Drittländern beitragen könnte.

    5.5   Der Ausschuss fordert den Ratsvorsitz auf, 2012 als Europäisches Jahr für aktives Altern zu nutzen, um für die Vorteile der IKT in der medizinischen und sozialen Pflege, vor allem vor dem Hintergrund der demografischen Alterung, zu werben: Verbleib im Beschäftigungssystem durch Erleichterung von Arbeitserschwernissen, und allgemein Kommunikation, Bekämpfung von Ausgrenzung, Telemedizin, Robotik, Sicherheitslösungen für ältere Menschen. All diese Bereiche bieten Marktchancen und Beschäftigungs- und Wachstumspotenzial.

    5.6   Voraussetzung für einen echten digitalen Binnenmarkt der EU ist die Fertigstellung der Weltraum-Baustellen. Dafür müssen die notwendigen Mittel bereitgestellt werden. Der Ausschuss bedauert, dass Galileo und das globale Satellitennavigationssystem GNSS noch nicht einsatzbereit sind und alle Welt das amerikanische GPS nutzt (24).

    Brüssel, den 23. Mai 2012

    Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Staffan NILSSON


    (1)  Wesentliche einschlägige Stellungnahmen des Ausschusses:

    ABl. C 318 vom 23.12.2006, S. 20 - ABl. C 157 vom 25.5.1998, S. 1ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 62ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 69ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 99ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 105ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 28ABl. C 248 vom 25.8.2011, S. 144ABl. C 97 vom 28.4.2004, S. 21ABl. C 175 vom 27.7.2007, S. 91ABl. C 77 vom 31.3.2009, S. 60ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 8ABl. C 218 vom 11.9.2009, S. 36ABl. C 277 vom 17.11.2009, S. 85ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 72ABl. C 54 vom 19.2.2011, S. 58ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 44ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 53ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 58ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 92ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 40ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 9ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 120.

    (2)  ABl. C 175 vom 28.07.2009, S. 43.

    (3)  ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 178.

    (4)  ABl. C 318 vom 29.10.2011, S. 9.

    (5)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 69.

    (6)  ABl. C 70E vom 8.3.2012, S. 56.

    (7)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 139.

    (8)  ABl. C 376 vom 22.12.2011, S. 92.

    (9)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 120.

    (10)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1.

    (11)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Online-Beilegung verbraucherrechtlicher Streitigkeiten (Verordnung über Online-Streitbeilegung)“ (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht).

    (12)  ABl. C 162 vom 25.6.2008, S. 1.

    (13)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht“ und der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Ein Gemeinsames Europäisches Kaufrecht zur Erleichterung grenzübergreifender Geschäfte im Binnenmarkt“ (ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 75.).

    (14)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S. 48.

    (15)  ABl. C 80 vom 3.4.2002, S. 67.

    (16)  ABl. C 125 vom 27.5.2002, S. 100.

    (17)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 40.

    (18)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S 116 und ABl. C 143 vom 22.5.2012, S 134.

    (19)  ABl. C 68 vom 6.3.2012, S. 28.

    (20)  Siehe vorherige Fußnote.

    (21)  ABl. C 24 vom 28.1.2012, S. 139.

    (22)  ABl. C 143 vom 22.5.2012, S 69.

    (23)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 2003/98/EG über die Weiterverwendung von Informationen des öffentlichen Sektors“ (ABl. C 191 vom 29.6.2012, S. 129).

    (24)  Stellungnahme des EWSA zu dem „Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates betreffend den Aufbau und den Betrieb der europäischen Satellitennavigationssysteme“ (ABl. C 181 vom 21.6.2012, S. 179).


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