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Document 52011DC0011

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN Jahreswachstumsbericht: Gesamtkonzept der EU zur Krisenbewältigung nimmt weiter Gestalt an

/* KOM/2011/0011 endg. */


DE

EUROPÄISCHE KOMMISSION

Brüssel, den 12.1.2011

KOM(2011) 11 endgültig

 

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN

Jahreswachstumsbericht: Gesamtkonzept der EU zur Krisenbewältigung nimmt weiter Gestalt an 

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN

Jahreswachstumsbericht: Gesamtkonzept der EU zur Krisenbewältigung nimmt weiter Gestalt an 

Hintergrund

Mit diesem ersten Jahreswachstumsbericht wird ein neuer Zyklus wirtschaftspolitischer Steuerung in der EU und gleichzeitig das erste Europäische Semester der wirtschaftspolitischen Ex-ante-Koordinierung eingeleitet. Die EU ist energisch gegen die Krise vorgegangen, so dass die Verschlechterung der öffentlichen Finanzen und der Anstieg der Arbeitslosigkeit nicht die Ausmaße erreicht haben wie in anderen Teilen der Welt. Die schlimmsten Auswirkungen der Krise wurden durch den hohen Sozialschutz in der EU gedämpft, aber die Erholung geht in Europa wegen des schwachen Produktivitätszuwachses langsamer vonstatten.

Den neuesten Prognosen zufolge gibt es bereits vereinzelt Anzeichen für eine wirtschaftliche Erholung. Das Geschehen an den Finanzmärkten bleibt volatil, aber in der Realwirtschaft zeichnet sich in einigen Bereichen bereits eine Besserung ab, die von wachsenden Exporten nach dem Wiederaufleben des Welthandels getragen wird. Dennoch bleibt die weitere Entwicklung ungewiss. Zeiten, in denen das Vertrauen auf die Rückkehr zum Wachstum zurückkehrt, und Rückschläge wechseln einander ab, nicht zuletzt auch wegen der Risiken, die mit dem Markt für staatliche Schuldtitel verbunden sind. Die Volkswirtschaften in Europa stehen vor größeren Anpassungen. Die Lage im Finanzsektor hat sich noch nicht normalisiert, die Belastbarkeit ist noch nicht wiederhergestellt und einzelne Bereiche sind nach wie vor auf staatliche Unterstützung angewiesen. Die Kreditbedingungen haben sich ebenfalls noch nicht normalisiert, und in einigen Mitgliedstaaten ist die Verschuldung der privaten Haushalte und Unternehmen nach wie vor zu hoch.

Auswirkungen der Krise

Trotz des umgehenden Handelns der EU sind die Folgen der Krise weithin spürbar. Bei der Wirtschaftstätigkeit ist ebenso wie bei der Produktivität ein starker Einbruch zu verzeichnen, und die öffentlichen Finanzen sind ganz erheblich geschwächt. Es steht zu erwarten, dass die Produktion in elf Mitgliedstaaten bis Ende 2012 noch unter dem Vorkrisenniveau liegen wird. Der öffentliche Bruttoschuldenstand stieg 2010 insgesamt auf etwa 85 % des BIP im Euroraum und auf 80 % EU-weit. Durch den demografischen Wandel werden sich die budgetären Folgen der Krise, die langfristig eine zusätzliche Steuerbelastung von rund 4,5 % des BIP erwarten lassen, noch verstärken. Strukturschwächen, die vor der Krise nicht angegangen wurden, treten nun mit größerer Dringlichkeit zutage.

Trotz der Abfederung durch die Systeme der sozialen Sicherung hat die Krise den europäischen Volkswirtschaften einen hohen Zoll abverlangt. Der Anstieg der Arbeitslosigkeit ist ein zentrales Problem. Insgesamt sind 9,6 % der Erwerbsbevölkerung ohne Arbeit. In manchen Ländern erreicht die Jugendarbeitslosigkeit sogar 40 %. Schätzungsweise 80 Millionen Menschen leben in Europa unter der Armutsgrenze.

Die Wirtschaftskrise war eine globale Krise, aber mit weltweit sehr unterschiedlichen Folgen. Arbeitslosigkeit und Haushaltsdefizit stiegen in den USA zwar rasanter an als in der EU, aber gleichzeitig nahm das Arbeitsproduktivitätsgefälle zwischen den USA und der EU durch die Krise weiter zu. Sorge bereitet auch die Entwicklung der Preis- und Kostenwettbewerbsfähigkeit. Einige Schwellenländer stehen zwar ebenfalls vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen, doch insgesamt sind diese Länder schneller auf den Wachstumspfad zurückgekehrt. Die EU muss deshalb die Krise nutzen, um ihre globale Wettbewerbsfähigkeit entscheidend zu verbessern.

Ausblick

Die Krise könnte das potenzielle Wachstum nachhaltig beeinflussen. Das mittelfristige potenzielle Wachstum in Europa bleibt bis 2020 mit rund 1,5 % voraussichtlich niedrig, wenn keine Strukturmaßnahmen getroffen werden, um vor allem das Arbeitsproduktivitätsgefälle im Verhältnis zu unseren Hauptkonkurrenten auszugleichen. Die konjunkturelle Erholung allein reicht für Europa als Antrieb nicht aus, um zu der wirtschaftlichen Situation vor der Krise zurückzufinden und das angesammelte Defizit zu absorbieren.

Um Stagnation, eine untragbare Schuldenbelastung und Kumulierung der Ungleichgewichte zu vermeiden und die Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen, muss Europa die Konsolidierung seiner öffentlichen Finanzen und die Reform des Finanzsektors jetzt beschleunigen und Strukturreformen Vorrang einräumen.

Vor diesem Hintergrund billigte der Europäische Rat die Strategie Europa 2020 mit ehrgeizigen Zielen für einen neuen Wachstumspfad 1 . Die ersten Angaben der Mitgliedstaaten zu den nationalen Zielen in den fünf Bereichen der Strategie Europa 2020 zeigen ganz klar, in welche Richtung die EU steuern muss, um ihre eigenen ehrgeizigen Ziele zu verwirklichen.

Die vollständige Umsetzung dieser Strategie wird dazu beitragen, dass die EU gestärkt aus der Krise hervorgeht und sich zu einer wissensbasierten, nachhaltigen und integrativen Wirtschaft mit einem hohen Grad an Beschäftigung, Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und sozialem Zusammenhalt entwickelt. Damit werden wir die wettbewerbsfähige, soziale Marktwirtschaft des 21. Jahrhunderts schaffen, die das Vertrauen des Marktes – der Unternehmen wie der Bürger – stärkt.

Europäisches Semester der wirtschaftspolitischen Ex-ante-Koordinierung

Vor diesem Hintergrund hat die EU auch beschlossen, ihre wirtschaftliche Governance zu ändern. Dieser Jahreswachstumsbericht leitet zum Januar 2011 auf der Grundlage der Strategie Europa 2020 das erste Europäische Semester der wirtschaftspolitischen Ex-ante-Koordinierung ein.

In diesem Bericht werden die verschiedenen Maßnahmen zusammengeführt, die notwendig sind, um die Erholung kurzfristig zu stärken, den Anschluss an unsere Hauptkonkurrenten zu schaffen und der EU den Weg zur Verwirklichung ihrer Agenda 2020 zu ebnen.

Angesichts des dringenden Handlungsbedarfs hat sich die Kommission für zehn prioritäre Maßnahmen entschieden. Die Kommission wird ihre Arbeit in anderen Politikbereichen einschließlich Handel sowie in der Innenpolitik fortsetzen. Auf diese wird hier nicht weiter eingegangen. Die Kommission stellt in dieser Mitteilung auf ein Gesamtkonzept für die wirtschaftliche Erholung mit Schlüsselmaßnahmen aus der Strategie Europa 2020 ab, die sich auf drei Schwerpunkte konzentrieren:

Notwendigkeit einer konsequenten Haushaltskonsolidierung zur Stärkung der makroökonomischen Stabilität

Arbeitsmarktreformen zur Förderung der Beschäftigung

wachstumsfördernde Maßnahmen.

Dieser erste Jahreswachstumsbericht gilt für die gesamte EU, muss aber der besonderen Situation jedes einzelnen Mitgliedstaats angepasst werden. Die vorgeschlagenen Maßnahmen zielen besonders auf den Euroraum ab, der derzeit unter der staatlichen Schuldenkrise leidet. Der Euroraum muss mit Haushaltskonsolidierung, Strukturreformen und wachstumsfördenden Maßnahmen auf die Krise reagieren.

Zu einem Gesamtkonzept für die Krisenbewältigung gehören aber noch andere Elemente, beispielsweise die Überprüfung der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Nach Auffassung der Kommission müssen die effektiven Finanzierungskapazitäten der EFSF aufgestockt und ihr Einsatzbereich erweitert werden. Auch dieser Jahreswachstumsbericht trägt zu der umfassenden Reaktion des Euroraums auf die Staatsschuldenkrise bei.

Darüber hinaus müssen die Arbeiten zur Einrichtung eines unbefristeten Mechanismus für die Bewältigung von Staatsschuldenkrisen vorangebracht werden, um Sicherheit und Stabilität auf den Märkten zu garantieren. Der neue Europäische Stabilitätsmechanismus soll ab 2013 den neuen Rahmen für eine verstärkte wirtschaftliche Governance ergänzen, der eine effektive, rigorose Wirtschaftsaufsicht zum Ziel hat. Hierzu zählt auch die Überprüfung der Wirksamkeit der derzeitigen Rettungsschirme.

Eine eingehendere Analyse, die die Einschätzung der Kommission unterstützt, ist den drei Berichten zu entnehmen, die diese Mitteilung begleiten und eine Bewertung der ersten Maßnahmen zur Umsetzung der Strategie Europa 2020 auf Ebene der Mitgliedstaaten enthalten.

I.MAKROÖKONOMISCHE WACHSTUMSVORAUSSETZUNGEN

1.Die Haushalte konsequent konsolidieren

Die dringendste Aufgabe der EU ist die Wiederherstellung des Vertrauens, um den Teufelskreis aus nicht mehr tragbarer Schuldenbelastung, Turbulenzen auf den Finanzmärkten und geringem Wachstum zu durchbrechen. Die öffentlichen Ausgaben müssen als Voraussetzung für künftiges Wachstum auf den Pfad der Nachhaltigkeit zurückgeführt werden. Jährliche Anpassungen des strukturellen Haushaltssaldos in einer Größenordnung von 0,5 % des BIP reichen eindeutig nicht aus, um die Schuldenquoten an das 60 %-Limit heranzuführen. Eine stärkere Haushaltskonsolidierung ist daher vonnöten und sollte auf der Grundlage der von der Kommission vorgeschlagenen strengeren Fiskalregelungen erfolgen.

Alle Mitgliedstaaten, insbesondere die Staaten, gegen die das Verfahren bei einem übermäßigen Defizit eingeleitet wurde, sollten das Wachstum der öffentlichen Ausgaben streng unter der mittelfristigen BIP-Wachstumsquote halten und die Ausgaben vorzugsweise nachhaltigen, wachstumsorientierten Bereichen wie Forschung und Innovation, Bildung und Energie vorbehalten. Alle Mitgliedstaaten sollten zeigen, dass ihre Stabilitäts- oder Konvergenzprogramme auf konservativen Wachstums- und Einnahmenprognosen basieren.

Mitgliedstaaten, gegen die das Defizitverfahren eingeleitet wurde, sollten ihre Ausgabenplanung und die Maßnahmen offen legen, die sie zur Beseitigung ihres übermäßigen Defizits erwägen.

Mitgliedstaaten mit einem ausgeprägten strukturellen Haushaltsdefizit, einer sehr hohen Staatsverschuldung oder beträchtlichen Zahlungsschwierigkeiten müssen 2011 besondere Anstrengungen unternehmen. Sollten das Wirtschaftswachstum oder die Einnahmen höher ausfallen als erwartet, sollte die Haushaltskonsolidierung beschleunigt werden.

Einige Mitgliedstaaten werden unter Umständen die Steuern erhöhen müssen. Indirekte Abgaben sind wachstumsfreundlicher als direkte Steuern, und es ist besser, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern, als die Steuersätze anzuheben. Ungerechtfertigte Subventionen, z. B. Beihilfen mit negativen Auswirkungen auf die Umwelt, sollten gestrichen werden.

2.Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte

Starke, anhaltende makroökonomische Ungleichgewichte tragen erheblich zur Verwundbarkeit der Volkswirtschaften insbesondere im Euro-Währungsgebiet bei. Viele Mitgliedstaaten müssen sich nachdrücklicher als bisher mit ihrer mangelnden Wettbewerbsfähigkeit befassen.

Stark verschuldete Mitgliedstaaten mit hohen Leistungsbilanzdefiziten sollten entsprechende konkrete Maßnahmen vorsehen (beispielsweise strikte, nachhaltige Lohndisziplin u.a. im Wege der Überprüfung von Indexierungsklauseln).

Mitgliedstaaten mit hohen Leistungsbilanzüberschüssen sollten die Ursachen anhaltend schwacher Inlandsnachfrage ermitteln und bekämpfen (beispielsweise durch weitere Liberalisierung des Dienstleistungssektors und Verbesserung der Investitionsbedingungen). Wo jedoch die Inlandsnachfrage aufgrund einer bestimmten Politik oder aufgrund von Marktversagen auf niedrigem Niveau verharrt, sollten geeignete politische Maßnahmen getroffen werden.

3.Stabilisierung des Finanzsektors

Auf EU-Ebene müssen die einschlägigen Regelungen und die Qualität der Aufsicht durch den ESRB und die europäischen Aufsichtsbehörden, die seit Anfang 2011 tätig sind, weiter verbessert werden. Die Umstrukturierung im Bankwesen ist zu beschleunigen, um die finanzielle Stabilität zu gewährleisten und die Vergabe von Krediten an die Realwirtschaft zu unterstützen.

Die Umstrukturierung von Banken, insbesondere derjenigen, die hohe staatliche Beihilfen erhalten haben, ist zur Sicherung der langfristigen Lebensfähigkeit der Banken und zur Gewährleistung eines reibungslos funktionierenden Kreditwesens von wesentlicher Bedeutung. Die öffentlichen Finanzhilfen für den Banksektor insgesamt sollten unter Berücksichtigung der notwendigen Sicherung der finanziellen Stabilität schrittweise zurückgenommen werden.

In Einklang mit den Basel III-Regeln werden die Banken ihre Eigenkapitalausstattung allmählich erhöhen müssen, um Erschütterungen besser widerstehen zu können. Die Kommission arbeitet an umfassenden Regelungen zur Bewältigung der Bankenkrise. Zudem werden die Banken 2011 einem weiteren, anspruchsvolleren und strengeren EU-weiten Stresstest unterzogen.

II.MOBILISIERUNG DER ARBEITSMÄRKTE, SCHAFFUNG VON BESCHÄFTIGUNGSMÖGLICHKEITEN

Es besteht die Gefahr, dass die Wirtschaft wieder wächst, ohne dass dies mit ausreichender Dynamik bei der Schaffung von Arbeitsplätzen verbunden ist. Der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und dem Schutz gegen langfristigen Ausschluss vom Arbeitsmarkt kommt wesentliche Bedeutung zu. Eines der fünf Ziele der Strategie Europa 2020 ist die Anhebung der Beschäftigungsquote bis 2020 auf 75 %. Derzeit sieht es danach aus, dass die EU dieses Ziel um 2-2,4 % verfehlen wird – dem kann aber durch Maßnahmen zur Schaffung von Arbeitsplätzen und zur Steigerung der Beschäftigungsquote begegnet werden. In Anbetracht der Alterung der EU-Bevölkerung und der im Vergleich zu anderen Teilen der Welt relativ geringen Nutzung des Arbeitskräftepotenzials sind Reformen zur Förderung von fachlichen Qualifikationen und zur Schaffung von Arbeitsanreizen notwendig.

4.Arbeit attraktiver machen

Hohe Arbeitslosigkeit bei geringer Beschäftigungsquote und im Vergleich zu anderen Teilen der Welt kürzere Arbeitszeiten bedrohen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der EU. Die Beteiligung von Geringverdienenden, jungen Menschen und Zweitverdienern am Arbeitsmarkt ist beunruhigend niedrig. Sozial Schwachen droht ein lang andauernder Ausschluss vom Arbeitsmarkt. Um dem zu begegnen, sollte der Leistungsbezug enger mit Schulungsmaßnahmen und Arbeitssuche verbunden werden.

Die steuerliche Entlastung des Faktors Arbeit sollte in allen Mitgliedstaaten Vorrang haben, um die Nachfrage nach Arbeitskräften zu stimulieren und Wachstum zu schaffen.

Steuer- und Sozialsysteme, flexible Arbeitszeitregelungen und Kinderbetreuungsmöglichkeiten sollten darauf ausgerichtet werden, die Einbeziehung von Zweitverdienern am Arbeitsleben zu erleichtern. Die Bemühungen um Reduzierung der Schwarzarbeit sowohl durch striktere Durchsetzung der geltenden Vorschriften als auch durch Überarbeitung der Steuer- und Sozialsysteme sollten beschleunigt werden.

5.Reform der Rentensysteme

Die fiskalische Konsolidierung sollte durch eine auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Reform der Rentensysteme unterstützt werden.

Diejenigen Mitgliedstaaten, die dies noch nicht getan haben, sollten das Rentenalter anheben und an die Lebenserwartung knüpfen.

Die Mitgliedstaaten sollten dem Abbau von Vorruhestandsregelungen Vorrang einräumen und gezielte Anreize zur Beschäftigung älterer Arbeitnehmer und zur Förderung des lebenslangen Lernens einsetzen.

Angesichts des demographischen Wandels sollten die Mitgliedstaaten keine rentenpolitischen Maßnahmen beschließen, die die langfristige Tragfähigkeit und Angemessenheit ihrer öffentlichen Finanzen beeinträchtigen.

Die Mitgliedstaaten sollten den Aufbau von privatem Sparvermögen zur Aufstockung von Rentenbezügen fördern.

Die Kommission wird die Richtlinie über Pensionsfonds 2 überprüfen und neue Maßnahmen im Anschluss an das 2010 vorgelegte Grünbuch über Renten vorstellen.

6.Arbeitslose wieder in Arbeit bringen

Dank der europäischen Wohlfahrtssysteme waren die Menschen während der Krise geschützt. Jetzt aber, wo der Aufschwung wieder in Gang kommt, sollte die Unterstützung von Arbeitslosen daraufhin überprüft werden, ob sie Anreize zur Aufnahme einer Arbeit vermitteln, die Abhängigkeit von Arbeitslosenleistungen verhindern und die Anpassung an den Wirtschaftszyklus unterstützen.

Die Mitgliedstaaten sollten die Leistungen für Arbeitslose durch Befristung der Unterstützung so gestalten, dass sich die Wiederaufnahme der Arbeit lohnt oder Anreize zur Selbstständigkeit vermittelt werden, sowie den Leistungsbezug enger mit Schulungsmaßnahmen und Stellensuche verbinden.

Die Mitgliedstaaten müssen dafür sorgen, dass sich Arbeit lohnt, indem sie die Höhe der Einkommensteuer (insbesondere bei niedrigen Einkommen) und den Umfang der Leistungen aus der Arbeitslosenversicherung besser aufeinander abstimmen.

Die Mitgliedstaaten müssen ihre Arbeitslosenversicherungssysteme in der Weise der Konjunktur anpassen, dass der Schutz in Zeiten des wirtschaftlichen Abschwungs verstärkt wird.

7.Ausgewogenes Verhältnis von Sicherheit und Flexibilität

In einigen Mitgliedstaaten haben die Arbeitsschutzvorschriften einen starren Arbeitsmarkt zur Folge und verhindern eine stärkere Beteiligung am Arbeitsmarkt. Derartige Arbeitsschutzvorschriften sollten reformiert werden, um den übermäßigen Schutz von Beschäftigten mit unbefristeten Verträgen zu reduzieren und denjenigen, die außerhalb oder am Rand des Arbeitsmarkts stehen, einen gewissen Schutz zu vermitteln. Außerdem ist es überaus wichtig, die Schulabbrecherquoten zu verringern und die schulischen Leistungen zu verbessern, um jungen Menschen den Zugang zum Arbeitsmarkt zu erleichtern.

Die Mitgliedstaaten könnten dafür sorgen, dass der Schwerpunkt mehr auf unbefristete Arbeitsverträge als auf Zeitverträge oder prekäre Arbeitsverhältnisse gelegt wird, um die Beschäftigungsaussichten für die neu Eingestellten zu verbessern. 3  

Die Mitgliedstaaten sollten ihre Vorschriften für die Anerkennung von beruflichen Qualifikationen vereinfachen, um den freien Verkehr von Bürgern, Arbeitnehmern und Forschern zu erleichtern.

III.SCHWERPUNKT WACHSTUM — WACHSTUMSFÖRDERNDE MASSNAHMEN

Die EU wird ihre ehrgeizigen Ziele für ein nachhaltiges und integratives Wachstum im Rahmen von Europa 2020 nur erreichen, wenn als erstes die dringend erforderliche Reformierung bestimmter Strukturen auf den Dienstleistungs- und Produktmärkten angegangen wird, durch die die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen verbessert werden sollen. Um in einer globalisierten Wirtschaft bestehen zu können, müssen die Mitgliedstaaten mit den nötigen tiefgreifenden strukturellen Reformen beginnen, um die Spitzenforschung und unsere Innovationsfähigkeit zu fördern, unsere Ideen zu auf Wachstumsmärkten nachgefragten Produkten und Dienstleistungen weiterzuentwickeln, das technologische Know-how unserer Industrie auszuschöpfen und kleinen und mittleren Unternehmen die Chance zur Expansion und zur Erschließung neuer Märkte im Ausland zu bieten. Die EU muss sich durch ihre Reformagenda neue Wachstumsquellen erschließen, indem sie aus dem Umstand, dass der ressourcenbasierten Entwicklung Grenzen gesetzt sind, durch eine effizientere Ressourcenverwendung neue wirtschaftliche Möglichkeiten schafft. Sie muss sich dadurch Vorteile verschaffen, dass sie bei wettbewerbsfähigen Umweltgütern und –dienstleistungen die Führung übernimmt.

Der Binnenmarkt kann – wie bereits in der Mitteilung zur Binnenmarktakte erläutert – zu einer wichtigen Wachstumsquelle werden, vorausgesetzt, die noch bestehenden Hindernisse werden zügig abgebaut. 2011 und 2012 wird die Kommission daher, wie nachstehend ausgeführt, den wachstumsfördernden Maßnahmen der Binnenmarktakte Vorrang einräumen.

8.Ausschöpfung des Binnenmarktpotenzials

Der Binnenmarkt leidet nach wie vor unter Zugangsschranken und Behinderungen des Unternehmertums. Grenzüberschreitend erbrachte Dienstleistungen machen nur 5 % des BIP, d.h. weniger als ein Drittel des grenzüberschreitenden Handels mit Waren, aus, und nur 7 % der Verbraucher beziehen Waren über das Internet, da die Entwicklung des Internethandels durch zahlreiche Beschränkungen gebremst wird.

Die Dienstleistungsrichtlinie sollte von allen Mitgliedstaaten vollständig umgesetzt werden. Die Kommission überprüft derzeit den Stand der Umsetzung und die Möglichkeiten für weitere wachstumsfördernde Maßnahmen durch eine weitere Öffnung des Dienstleistungssektors.

Die Mitgliedstaaten sollten feststellen, wo bei den freien Berufen – beispielsweise in Form von Quoten oder Abschottungsmaßnahmen – oder im Einzelhandel in Form von unverhältnismäßigen Beschränkungen der Öffnungszeiten oder Gebietsaufteilungen noch ungerechtfertigte Hindernisse bestehen, und diese Hindernisse ausräumen.

2011 wird die Kommission Maßnahmen vorschlagen, um räumlich bedingte Unterschiede beim elektronischen Handel innerhalb des Binnenmarktes zu beseitigen. Ferner wird sie einen europäischen Regelungsrahmen für den Schutz der Rechte an geistigem Eigentum vorschlagen, da hierin ein Schlüsselfaktor für die Entwicklung sowohl des elektronischen Handels als auch der digitalen Wirtschaft liegt.

Neben den fortlaufenden intensiven Bemühungen um den erfolgreichen Abschluss der Doha-Runde wird die Kommission die Verhandlungen über die Freihandelsabkommen mit Partnern wie Indien, Kanada und den Mercosur-Staaten voranbringen, die gemeinsam mit wichtigen Partnern unternommenen Anstrengungen um eine Annäherung des Regelungsumfelds beschleunigen und auf eine Angleichung der Zugangsbedingungen zu öffentlichen Beschaffungsmärkten in Industrie- und wichtigen Schwellenländern hinarbeiten.

2011 soll außerdem eine gesetzliche Regelung vorgeschlagen werden, die eine rasche, Interoperabilität garantierende Normung im IKT-Bereich ermöglichen soll.

Wenngleich ein sensibler Bereich, sollten die Arbeiten im Steuerbereich fortgesetzt werden. Dies bietet ein beträchtliches Wachstums- und Beschäftigungspotenzial und kann viel zum Bürokratieabbau und zum Abbau von Binnenmarkthindernissen beitragen. Steuerregelungen, die den grenzüberschreitenden Handel oder grenzübergreifende Investitionen beeinträchtigen, sollten außer Kraft gesetzt werden. 2011 wird die Kommission vor allem Maßnahmen zur Reformierung des Mehrwertsteuersystems, zur Einführung einer einheitlichen konsolidierten Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage und zur Entwicklung eines koordinierten europäischen Vorgehens in der Frage der Besteuerung des Finanzsektors vorschlagen. Ferner sollten die Abgaben auf den Faktor Arbeit auf ein Minimum begrenzt und die europäischen Vorschriften zur Energiebesteuerung auf die EU-Energie- und Klimaziele abgestimmt werden.

9.Beschaffung von privatem Kapital zur Finanzierung des Wachstums

Es braucht innovative Lösungen, um rasch mehr privates Kapital aus EU- und Nicht-EU-Ländern zu mobilisieren.

Die Kommission wird projektbezogene Euro-Anleihen vorschlagen, über die sowohl öffentliche als auch private Finanzmittel für vorrangige Investitionsvorhaben besonders im Energie-, Verkehrs- und IKT-Bereich beschafft werden sollen; diese neuen Finanzierungsinstrumente sollen in die Vorschläge für den nächsten mehrjährigen Finanzrahmen einfließen.

Um die Kapitalbeschaffung für KMU und innovative Unternehmensneugründungen zu erleichtern, will die Kommission Vorschläge unterbreiten, die es ermöglichen, dass ein in einem Mitgliedstaat gegründeter Risikokapitalfonds in der gesamten EU ungehindert Geschäfte tätigen kann und die noch bestehenden steuerlichen Hindernisse für grenzüberschreitende Tätigkeiten beseitigt werden.

10.Kostengünstige Energieversorgung

Energie ist wichtiger Wachstumsfaktor. Für die Wirtschaft bedeuten die Energiepreise einen Kostenfaktor und für die privaten Haushalte stellen die Strom- und Heizungsrechnungen einen großen Ausgabenposten dar, der besonders einkommensschwache Familien trifft. Wenn die Mitgliedstaaten bei ihren derzeitigen Plänen bleiben, dürfte das in der Strategie Europa 2020 angestrebte Ziel einer 20%igen Steigerung der Energieeffizienz kaum zu realisieren sein. Damit würden Wachstumschancen für viele Wirtschaftszweige und Regionen und die Aussicht auf einen Beschäftigungszuwachs vergeben.

Die Mitgliedstaaten sollten das dritte Maßnahmenpaket für den Energiebinnenmarkt rasch zur Gänze umsetzen.

Die Mitgliedstaaten müssen zügiger Maßnahmen ergreifen, um die Energieeffizienz zu steigern. Dadurch wären erhebliche Einsparungen sowie neue Beschäftigungsmöglichkeiten im Bau- und Dienstleistungsgewerbe möglich.

2011 wird die Kommission Initiativen zur stärkeren Integration der Verkehrs-, Energie- und Telekommunikationsinfrastruktur im Binnenmarkt vorschlagen.

Die Kommission entwickelt derzeit EU-weite Standards für energieeffiziente Produkte, damit die Märkte für innovative Erzeugnisse und Technologien weiter wachsen können.

Konkrete Umsetzung

Die dringlichste Aufgabe für die Jahre 2011 und 2012 besteht darin zu verhindern, dass ein Teufelskreis aus übermäßiger Verschuldung, Finanzmarktturbulenzen und niedrigem Wirtschaftswachstum entsteht. Der diesjährige Wachstumsbericht steht daher ganz im Zeichen der Rückkehr zu einer soliden Haushaltspolitik im Wege einer rigorosen Haushaltskonsolidierung und zu einem normal funktionierenden Finanzsektor. Eine weitere vorrangige Aufgabe besteht in der raschen Eindämmung der Arbeitslosigkeit im Wege von Arbeitsmarktreformen. Alle diesbezüglichen Anstrengungen würden jedoch verpuffen, wenn nicht gleichzeitig alles getan würde, um das Wachstum anzukurbeln.

Wachstum führt zu höheren Steuereinnahmen und verringert den Bedarf an staatlichen Transferleistungen, weshalb sich Wachstum fördernde Maßnahmen auch positiv auf die Haushaltskonsolidierung auswirken und dazu beitragen, dass die Gefahr makroökonomischer Ungleichgewichte abnimmt. Mit Strukturreformen lassen sich bereits in kurzer Zeit Erfolge erzielen. Produktionssteigerungen und Beschäftigungszuwächse sind das Ergebnis von Produktmarkt- und Arbeitsmarktreformen.

Der Handel ist ein starker Wachstumsmotor. Die Exportchancen für Waren und Dienstleistungen aus der EU sind bei weitem noch nicht ausgeschöpft, doch wurde Europas Exportwirtschaft vom Zusammenbruch des Welthandels hart getroffen. Die positiven Ausfuhrleistungen einiger Mitgliedstaaten zeigen, dass der Wettbewerb auf den Weltmärkten nicht nur über den Preis ausgetragen wird, sondern dass die Wettbewerbsfähigkeit de facto noch durch andere Faktoren wie den Grad der Spezialisierung, die Innovationsfähigkeit oder die Qualifikation der Beschäftigten gesteigert wird.

Die Kommission hat in diesem ersten Jahreswachstumsbericht für die EU für die Jahre 2011 und 2012 zehn Aktionen umrissen, die auf der Strategie Europa 2020 gründen. Sie schlägt vor, dass sich der Europäische Rat darauf verständigt, dass diese zehn Aktionen von den Mitgliedstaaten mit Nachdruck umgesetzt werden. Wegen der Wechselbeziehungen zwischen den Mitgliedstaaten, speziell im Euro-Währungsgebiet, ist eine vorherige Abstimmung im Rat eine wesentliches Merkmal des „europäischen Semesters“.

Unter Anleitung des Europäischen Rates sollen die Mitgliedstaaten bis Mitte April im Rahmen ihrer Stabilitäts- und Konvergenzprogramme ihre mittelfristige Haushaltsstrategie verbindlich darlegen und in ihren nationalen Reformprogrammen die Maßnahmen erläutern, die nötig sind, um dem hier geschilderten, auf der Strategie 2020 beruhenden Gesamtkonzept zur Krisenbewältigung Rechnung zu tragen. Ausgehend von den Empfehlungen der Kommission wird der Rat bis zum Sommer länderspezifische Leitlinien vorlegen, die die Mitgliedstaaten bei der Ausarbeitung ihres Haushalts für 2012 und der Umsetzung ihrer Wachstumspolitiken berücksichtigen müssen. Wie es das integrierte Konzept zur Abstimmung der Maßnahmen verlangt, wird der Rat die Haushalts- und die Wachstumsstrategien sowie deren Ziele, Schlüssigkeit und Auswirkungen auf die gesamte EU einschließlich der Wechselwirkungen im Euro-Währungsgebiet parallel begutachten.

Die Kommission schlägt vor, dass der Europäische Rat die Umsetzung der Strategien auf seinen nachfolgenden Tagungen regelmäßig überprüft, um gegebenenfalls Defizite auf Ebene der Mitgliedstaaten und der EU zu benennen und sich auf Abhilfemaßnahmen zu einigen. Die in dieser Mitteilung genannten Vorschläge sind so geartet, dass der Europäische Rat neben der Festlegung eines konkreten Zeitplans für deren Umsetzung bereits auf seiner nächsten Tagung konkrete Schritte einleiten könnte, um die Dynamik, die die Bemühungen um rasche Ankurbelung des Wachstums gewonnen haben, aufrechtzuerhalten und zu beschleunigen. Zwei Marken wurden vom Europäischen Rat bereits gesetzt: Bis März soll die Arbeit am permanenten Europäischen Stabilitätsmechanismus (EMS) und bis Juni das Gesetzespaket zur Verbesserung der wirtschaftspolitischen Steuerungsprozesse fertig gestellt sein. In der Zwischenzeit soll ein neuer Stresstest Aufschluss darüber geben, wie vorgegangen werden soll, um die endgültige Gesundung des Bankensektor herbeizuführen.

Dieser erste Jahreswachstumsbericht wird auch dem Europäischen Parlament und den übrigen Institutionen sowie den nationalen Parlamenten zugeleitet.

(1) Anhebung der Beschäftigungsquote und der FuE-Investitionen, Verwirklichung der Klimaschutz- und Energieziele, Steigerung des Anteils der Hochschulabsolventen und Senkung der Schulabbrecherquote, Förderung der sozialen Integration durch Reduzierung der Armut.
(2) Richtlinie 2003/41/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. Juni 2003 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung, ABl. L 235 vom 23.9.2003, S. 10.
(3) Wie von der Kommission bereits in ihrer „Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten: Europas Beitrag zur Vollbeschäftigung“ (KOM(2010)682  endg./2 vom 26.11.2010) vorgeschlagen.
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EUROPÄISCHE KOMMISSION

Brüssel, den 12.1.2011

KOM(2011) 11 endgültig
ANHANG 1

 

JAHRESWACHSTUMSBERICHT

ANHANG 1

FORTSCHRITTSBERICHT ZU EUROPA 2020

JAHRESWACHSTUMSBERICHT

ANHANG 1

FORTSCHRITTSBERICHT ZU EUROPA 2020

Dieser Jahreswachstumsbericht, der den Beginn des ersten „Europäischen Semesters“ einleitet, wird zu einer Zeit vorgelegt, in der die Europäische Union sich an einem Wendepunkt befindet. Europa ist dabei, sich nach zwei Jahren langsam aus der Rezession zu befreien. Die Erholung verstetigt und beschleunigt sich zusehends, auch wenn die Staatsanleihenmärkte noch nicht wieder gefestigt sind und der Finanzsektor weiter umgestaltet und reformiert werden muss.

Da sich die wirtschaftlichen Perspektiven nun wieder aufzuhellen beginnen, ist es an der Zeit, entschlossene politische Maßnahmen zu ergreifen. Ein einfaches „Weiter so“ ist nach der Überwindung der Krise in Europa undenkbar. Die Krise hat grundlegende Schwächen unserer Wirtschaft zutage gefördert und wachsende Ungleichgewichte aufgezeigt. Eine Erholung, die auf nachhaltigem und beschäftigungswirksamem Wachstum basiert, ist nur möglich, wenn die zugrunde liegenden strukturellen Schwächen beseitigt werden und Europa die Krise nutzen kann, um einen tiefgreifenden Wandel seiner Wirtschaftsstrukturen herbeizuführen.

Obwohl Europa im Vergleich zu anderen Teilen der Welt die Auswirkungen der Krise recht erfolgreich bekämpft und in den Griff bekommen hat, droht die Gefahr, dass die europäische Wirtschaft sich langsamer von den globalen Turbulenzen erholen wird. Durch die Krise hat das Produktivitätsgefälle zwischen den USA und der EU weiter zugenommen; auch die Entwicklung der Preis- und Kostenwettbewerbsfähigkeit bereitet Sorge. Einige Schwellenländer stehen zwar ebenfalls vor großen wirtschaftlichen Herausforderungen, doch insgesamt sind diese Länder schneller als die EU auf den Wachstumspfad zurückgekehrt.

Die EU und die Mitgliedstaaten haben beschlossen, mit der Strategie Europa 2020 Europa dabei zu „helfen, die Krise zu überwinden und gestärkt aus ihr hervorzugehen, und zwar sowohl auf interner als auch auf internationaler Ebene“. 1 Um Europa aus der Krise zu führen, bedarf es eines koordinierten und umfassenden Reformprogramms, mit dem die Konsolidierung der öffentlichen Haushalte vorangetrieben und vorteilhafte makroökonomische Bedingungen wiederhergestellt werden können sowie vorrangig wachstumsfördernde Maßnahmen gestärkt werden.

Die EU und ihre Mitgliedstaaten tragen gemeinsam die Verantwortung dafür, die notwendigen strukturellen und zukunftsorientierten Reformen zu ergreifen, auch wenn dies mit Schwierigkeiten verbunden ist, und zugleich die öffentlichen Finanzen in Ordnung zu bringen und stabile makroökonomische Bedingungen zu schaffen.

Europa muss seine Reformen und seine Wirtschaftspolitik besser koordinieren, um zu gewährleisten, dass makroökonomische Anpassungen, Haushaltskonsolidierung und politische Reformen einander ergänzen. Die Konsolidierung der öffentlichen Finanzen ist zwar eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum, reicht als alleiniger Wachstumstreiber jedoch nicht aus – ohne entsprechende aktive Strategien ist abzusehen, dass das potenzielle Wachstum in den nächsten zehn Jahren auf einem niedrigen Niveau verharren wird. Wirtschaftliches Wachstum hängt stark von den Rahmenbedingungen für Industrie und Unternehmen ab, insbesondere für KMU. Ohne Wachstum wird es noch schwieriger, die öffentlichen Finanzen zu konsolidieren.

Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung im Juni 2010 das Konzept des „Europäischen Semesters“ eingeführt, das wirtschaftspolitische Entwicklungen und Strukturreformen im Rahmen von Europa 2020 zusammenführen wird. Beim „Europäischen Semester“ handelt es sich um einen mit dem Jahresbeginn einsetzenden Sechsmonatszyklus, in dem die Koordinierungsprozesse im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts und der Strategie Europa 2020 aufeinander abgestimmt werden und die Mitgliedstaaten im Vorfeld ihrer nationalen Haushaltsverfahren politische Leitlinien und Empfehlungen erhalten. Dies wird der Koordinierung und Überwachung der Wirtschaftspolitik in der EU eine stärkere Ex-Ante-Dimension verleihen und ermöglichen, die Vorteile einer gemeinsamen Agenda auf EU-Ebene und gezielter Maßnahmen auf nationaler Ebene miteinander zu verbinden. Die EU kann auf diese Weise rechtzeitig auf Entwicklungen in den Mitgliedstaaten reagieren und die Mitgliedstaaten ihrerseits können bei ihrer Politik im folgenden Jahr die europäischen Perspektiven und Orientierungen einbeziehen.

Die Kommission wird im Rahmen dieses neuen Verfahrens zur Politikkoordinierung alljährlich im Jahreswachstumsbericht die wichtigsten wirtschaftlichen Herausforderungen der EU benennen und vorrangige Maßnahmen zu deren Bewältigung empfehlen. Gestützt auf diesen Bericht wird der Europäische Rat auf seiner Frühjahrstagung Leitlinien zu den wesentlichen künftigen Herausforderungen formulieren. Die Mitgliedstaaten werden diese Leitlinien bei der Ausarbeitung ihrer mittelfristigen Haushaltsstrategien im Rahmen der Stabilitäts- und Konvergenzprogramme berücksichtigen und nationale Reformprogramme mit Maßnahmen zur Verwirklichung der Ziele der Strategie Europa 2020 und zur Beseitigung von Wachstumshemmnissen vorlegen. Die Stabilitäts- und Konvergenzprogramme sowie die nationalen Reformprogramme werden gleichzeitig bis Mitte April vorgelegt. Gegen Ende des Semesters wird der Rat ausgehend von den Empfehlungen der Kommission länderspezifische Leitlinien unterbreiten, die die Mitgliedstaaten bei der Vorbereitung ihrer Haushaltspläne für das folgende Jahr aufgreifen können.

Im ersten „Europäischen Semester“ konzentriert sich der Jahreswachstumsbericht auf Kernaussagen zu Maßnahmen, die von den Mitgliedstaaten prioritär in Angriff genommen werden müssen. Die Analyse, auf die sich diese Kernaussagen stützen, wird in drei beigefügten Berichten erläutert.

1.Vorrang für Initiativen zur Wachstumsförderung

Maßnahmen auf Ebene der Mitgliedstaaten sind unverzichtbar, um das Szenario eines „verlorenen Jahrzehnts“ zu verhindern.

Aus dem Bericht über die makroökonomischen Bedingungen und die Arbeitsmarktlage in der EU geht hervor, dass die Mitgliedstaaten 2011 und 2012 Maßnahmen ergreifen müssen, um ein Abgleiten in schleppendes Wachstum mit hohen Arbeitslosenzahlen abzuwenden (Szenario „verlorenes Jahrzehnt“). Die dringendste Aufgabe ist es, den Teufelskreis aus zu hoher Schuldenbelastung, Turbulenzen auf den Finanzmärkten und geringem Wachstum in einigen Mitgliedstaaten zu durchbrechen. Die erste Priorität besteht darin, die Haushaltspolitik wieder auf Kurs zu bringen, gleichzeitig wachstumsfördernde Strategien zu schützen und rasch auf die Wiederherstellung eines gesunden Finanzsektors hinzuarbeiten, um eine Konjunkturerholung zu ermöglichen. Die zweite Priorität bilden ein zügiger Abbau der Arbeitslosigkeit und die Durchführung wirksamer Arbeitsmarktreformen für mehr und bessere Arbeitsplätze. Diese Prioritäten können nur dann wirksam in Angriff genommen werden, wenn gleichzeitig erhebliche Anstrengungen unternommen werden, das Wachstum anzukurbeln.

Erfolgreiche Reformen werden auf die Verbesserung der Funktionsweise der Arbeits- und Produktmärkte abzielen, Innovationsanreize setzen und bessere Rahmenbedingungen für die Geschäftstätigkeit in Europa schaffen. Dies wird Investitionen aus dem Privatsektor anziehen, was wiederum der Qualität der öffentlichen Finanzen zugute kommen wird. Mit den Arbeitsmarktreformen sollten in erster Linie die geringe Arbeitsmarktbeteiligung bestimmter Gruppen und das schlechte Funktionieren des Arbeitsmarkts bekämpft werden. Derartige Strategien würden sich zudem positiv auf die Haushaltskonsolidierung auswirken, da sie höhere Steuereinnahmen und geringere Ausgaben für soziale Transferleistungen nach sich ziehen und das Risiko künftiger makroökonomischer Ungleichgewichte senken dürften. Strukturreformen können sogar kurzfristig wesentliche Vorteile bewirken, da auch Produktions- und Beschäftigungszuwächse von verbesserten Rahmenbedingungen und von Produktmarkt- und Arbeitsmarktreformen getragen werden.



Leitinitiativen und EU-Instrumente müssen mobilisiert werden, um die Anstrengungen der Mitgliedstaaten zu unterstützen

Auch Maßnahmen auf EU-Ebene werden zur Förderung von intelligentem, nachhaltigem und integrativem Wachstum einen Beitrag leisten. Die Kommission hat eine ehrgeizige Agenda ausgearbeitet, die durch sieben Leitinitiativen und parallel dazu durch Maßnahmen in horizontalen Politikbereichen, mit denen die Strategie unterstützt werden soll, umgesetzt wird.

Die sieben Leitinitiativen wurden von der Kommission im Rahmen der Strategie Europa 2020 unterbreitet. 2 In jeder Leitinitiative werden spezifische Probleme thematisiert und Maßnahmen für bestimmte Politikbereiche aufgeführt; zugleich sind die Initiativen eng miteinander verzahnt und verstärken sich gegenseitig. Es gibt daher bestimmte Schlüsselmaßnahmen, die mit mehreren Leitinitiativen verknüpft sind – so ist etwa die notwendige Einrichtung eines neuen Systems zum Schutz geistigen Eigentums sowohl für die Initiativen „Innovationsunion“ und „Industriepolitik“ als auch für die Initiative „Digitale Agenda“ von Relevanz.

Der Erfolg der Strategie Europa 2020 ist auch von der wirksamen Mobilisierung und Neuausrichtung aller EU-Instrumente zur Unterstützung von Reformen abhängig. Daher erfordert die Strategie, den Binnenmarkt, den EU-Haushalt und die Instrumente für externe wirtschaftliche Maßnahmen zu stärken und sie auf die Verwirklichung der Europa 2020-Ziele auszurichten:

Die Kommission hat vor diesem Hintergrund Beratungen über eine künftige Binnenmarktinitiative eingeleitet, um den Binnenmarkt zu erneuern und neue Wachstumsquellen zu nutzen. 3

In der Mitteilung über die „Überprüfung des EU-Haushalts“ werden allgemeine Orientierungen und mögliche Optionen für eine Unterstützung der Europa 2020-Ziele durch den EU-Haushalt dargelegt, damit die Prioritäten der Strategie besser in der Ausgabenpolitik der EU berücksichtigt werden können. 4  

Schließlich wird in der Mitteilung „Handel, Wachstum und Weltgeschehen – Handelspolitik als Kernbestandteil der EU-Strategie Europa 2020“ erläutert, wie von der Handels- und Investitionspolitik maßgebliche Wachstumsimpulse ausgehen können. 5

Prioritäten für Wachstum auf EU-Ebene

Die Strategie Europa 2020 enthält zahlreiche integrierte politische Reformen, die in den nächsten Jahren zu verwirklichen sind. Angesichts der Tragweite und Dringlichkeit der Herausforderung, die wirtschaftliche Erholung und das Beschäftigungswachstum zu beschleunigen, müssen die Anstrengungen der EU 2011 und 2012 auf die Annahme von Maßnahmen abstellen, die die Reformmaßnahmen der Mitgliedstaaten unmittelbar unterstützen, keine wesentlichen öffentlichen Ausgaben verursachen und die größte Wirkung auf Wachstum und Beschäftigung entfalten. Die Kommission wird sich auf eine Reihe von prioritären Maßnahmen auf EU-Ebene konzentrieren, die das Wachstum ankurbeln sollen. Diese Maßnahmen werden aus den für die Leitinitiativen relevanten Bereichen ausgewählt, sollten kurz- bis mittelfristig offensive Wachstumsimpulse setzen und relativ schnell anzunehmen sein. Priorität sollten z. B. die Erneuerung des Binnenmarktes durch die Ausschöpfung des gesamten Potenzials im Dienstleistungssektor haben, die Mobilisierung von Privatkapital zur Finanzierung rasch wachsender innovativer Unternehmen, die Modernisierung der Normenfestsetzung und der Regelungen im Bereich des geistigen Eigentums sowie der kostengünstige Zugang zu Energie. Darüber hinaus wird die Kommission Maßnahmen in den Bereichen Mehrwertsteuer, einheitliche konsolidierte Körperschaftsteuer und Energiebesteuerung vorschlagen, um die steuerlichen Rahmenbedingungen für Unternehmen zu verbessern, gegen die Doppelbesteuerung vorzugehen und die Ziele der Klima- und Energieagenda der EU zu verwirklichen.

Angesichts der Bedeutung des Dienstleistungssektors und seiner Rolle als Innovationsmotor für andere Wirtschaftszweige wird ein vertiefter Binnenmarkt für Dienstleistungen maßgeblich zur Förderung von Wachstum und Arbeitsplätzen in der Europäischen Union beitragen. Die vollständige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie wird den Wettbewerb beleben, den Regelungsrahmen modernisieren und entscheidende Strukturreformen voran bringen. Es sind jedoch noch weitere Maßnahmen notwendig, um den Binnenmarkt für Dienstleistungen zu vertiefen.

Mit Hilfe von Maßnahmen, die eine offenere und effizientere öffentliche Beschaffung fördern, könnten die Ausgaben des öffentlichen Sektors deutlich gesenkt und der Wettbewerb in den einschlägigen Märkten gestärkt werden. Ein sinnvoller Einsatz der dadurch eingesparten Mittel könnte beträchtliche makroökonomische Vorteile bewirken. Darüber hinaus könnte Europa zusätzlich von einem besseren Zugang zu Beschaffungsmärkten in Drittstaaten profitieren.

Eine bessere Infrastruktur in den Bereichen nachhaltige Energie, Verkehr und Informationstechnologie (insbesondere Breitbandtechnologie) kann Wachstum und Beschäftigung im Einklang mit den langfristigen Dekarbonisierungszielen stimulieren. In diesem Zusammenhang leisten innovative Finanzierungsmechanismen, einschließlich projektbezogener EU-Anleihen, möglicherweise einen Beitrag dazu, die wirtschaftliche Anpassungsfähigkeit zu verbessern.

Auf mikroökonomischer Ebene könnte ein stärkerer Wettbewerb in den Sektoren Verkehr und Energie dazu führen, dass neue Versorger auf dem Markt Fuß fassen und die Preise sinken, was wiederum größere wirtschaftliche Effizienz sowie einen innovationsbedingt rationelleren Einsatz von Arbeit und Kapital zur Folge hätte. Auf makroökonomischer Ebene könnten diese Maßnahmen die Wirtschaftstätigkeit beleben, da ökonomische Gewinne im Verkehrs- und Energiesektor für einen Rückgang der Produktionskosten in anderen Bereichen sorgen können und sich damit positiv auf andere Wirtschaftssektoren auswirken.

Unternehmen und Industrie sind eine Hauptquelle für Innovation und technologische Entwicklung und liefern den Großteil der EU-Ausfuhren. Ihre Erholung ist für das Wirtschaftswachstum von entscheidender Bedeutung. Zudem bietet ein gut funktionierender Binnenmarkt für umweltfreundliche Produkte und Dienstleistungen wesentliches Potenzial für Wachstum, Innovation und Beschäftigung.

Bei der Normenfestsetzung muss unbedingt eine globale Vorreiterrolle eingenommen werden. Die Kommission wird daher Maßnahmen vorschlagen, mit denen die Normenfestsetzung in Europa, u. a. im IKT-Sektor, beschleunigt und modernisiert wird. In der sich schnell ändernden und stark interdependenten IKT-Branche stellt dies eine besondere Herausforderung dar. Die Kommission wird darüber hinaus EU-weite spezifische Normen entwickeln, um die Entwicklung eines Marktes für innovative, ressourceneffiziente Produkte und Technologien mit niedriger CO2-Intensität zu fördern.

Um grenzüberschreitende Transaktionen im Binnenmarkt zu erleichtern, wird die Kommission außerdem im Jahr 2011 ein nutzerfreundliches Rechtsinstrument zum europäischen Vertragsrecht, das Unternehmen und Verbraucher bei Transaktionen im Binnenmarkt einsetzen können, und eine Verordnung vorlegen, mit der die Wiedereinziehung von Außenständen erleichtert wird, u. a. durch Kontenpfändungen. Dies sollte dazu beitragen, das Problem zu überwinden, dass in der EU derzeit lediglich 37 % der Forderungen in einem anderen Mitgliedstaat eingetrieben werden können.

Um der gegenwärtigen Situation, in der in den Mitgliedstaaten unterschiedliche Regelungen für den Zugriff auf Online-Inhalte gelten, ein Ende zu bereiten, wird die Kommission einen europäischen Rahmen für geistiges Eigentum vorlegen, der insbesondere den elektronischen Handel und digitale Wirtschaftszweige fördern soll.

Im Hinblick auf den Zugang zu Krediten, in erster Linie für KMU und innovative Existenzgründungen, kann ein Paket von Maßnahmen – darunter der „Wagniskapitalpass“, der darauf abzielt, die aus den unterschiedlichen Regelungen innerhalb der Union resultierenden Hindernisse (auch im Steuerbereich) bei der grenzüberschreitenden Finanzierung zu beseitigen – zur Senkung der Finanzierungskosten für Neugründungen beitragen, indem sich die Risikoprämien verringern und damit die Innovation gefördert wird. Die Kommission wird sich außerdem mit der Frage befassen, wie die EU für langfristige Investitionen aus dem Ausland attraktiver werden kann.

2.Erste Schritte zur Verwirklichung der Europa 2020-Ziele

Der Europäische Rat nahm auf seiner Tagung im Juni 2010 die Strategie Europa 2020 und die fünf Kernziele an und forderte die Mitgliedstaaten auf, nun tätig zu werden, „um diese politischen Prioritäten auf ihrer Ebene umzusetzen. Sie sollten in engem Dialog mit der Kommission die Festlegung ihrer nationalen Ziele gemäß ihren nationalen Beschlussfassungsverfahren rasch abschließen und dabei ihrer jeweiligen Ausgangslage und ihren nationalen Gegebenheiten Rechnung tragen. Sie sollten zudem die Haupthindernisse für das Wachstum ermitteln und in ihren nationalen Reformprogrammen erläutern, wie sie diese überwinden wollen.“

Im Herbst 2010 arbeiteten die Mitgliedstaaten in engem Dialog mit der Kommission an der Festlegung nationaler Ziele und der Entwicklung von Strategien zu deren Umsetzung. Sie wurden aufgefordert, bis Mitte November ihre nationalen Reformprogramme (NRP) im Entwurf vorzulegen und darin ihre angestrebten nationalen Ziele sowie die zur Verwirklichung der Ziele und zum Abbau der seit langem bestehenden Wachstumshemmnisse erforderlichen Reformen darzulegen. Jeder Mitgliedstaat kann selbst festlegen, wie ambitioniert seine Ziele vor dem Hintergrund der Europa 2020-Ziele ausfallen sollen; auf diese Weise wird sichergestellt, dass sich die die Mitgliedstaaten die nationalen Ziele zu Eigen machen, z. B. indem sie zunächst Gegenstand politischer Konsultationen sind.

Bis auf zwei Mitgliedstaaten legten alle Mitgliedstaaten ihre nationalen Ziele selbst fest. In manchen Fällen unterbreiteten Länder allerdings lediglich vorläufige oder qualitative Ziele. Da es sich um Programme mit vorläufigem Charakter handelt, legten außerdem einige Mitgliedstaaten im Hinblick auf bestimmte Ziele breitere Zielkorridore fest oder formulierten Minimalziele auf der Grundlage gegenwärtiger Strategien.

Auch wenn sich noch keine endgültigen Schlüsse aus den in den NRP-Entwürfen enthaltenen vorläufigen Zahlenangaben ziehen lassen, sind einige allgemein relevante Tendenzen erkennbar. So droht die Gefahr, dass die nationalen Ziele eher unambitioniert ausfallen, eine übermäßige Fixierung auf kurzfristige Ergebnisse stattfindet und dabei der Gestaltung eines Reformprozesses, der sich über den gesamten Zeitraum bis 2020 erstrecken soll, zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Ziele sollten mehr sein als reine Zahlen, sie sollen die Mitgliedstaaten anspornen, größtmögliche Anstrengungen zu unternehmen, um messbare Erfolge in den unter den fünf Kernzielen aufgeführten Schlüsselbereichen zu erzielen. Ein Überblick über die vorläufigen nationalen Ziele zeigt, dass die EU in den meisten Bereichen noch ein gutes Stück davon entfernt ist, die vom Europäischen Rat vereinbarten EU-Kernziele zu erreichen. Es ist nachvollziehbar, dass es für manche Mitgliedstaaten schwierig ist, in Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit ambitionierte Verpflichtungen einzugehen. Da die nationalen Reformprogramme jedoch langfristiger Natur sein werden, sollte in ihnen ein Reformkurs skizziert werden, der den gegenwärtigen Umständen zwar Rechnung trägt, aber auch dafür sorgt, dass die einschlägigen Ziele bis 2020 verwirklicht werden. Der Kommission ist bewusst, dass es sich um ein neues Konzept handelt, der dieses Jahr erstmalig umzusetzen ist, und die Festlegung ambitionierter Ziele parallel zur Haushaltskonsolidierung für viele Mitgliedstaaten besondere Probleme birgt. Sie schlägt daher vor, 2014 eine Zwischenbewertung vorzunehmen. Auf diese Weise kann die EU analysieren, ob die angestrebten Fortschritte erreicht werden können, und bei Bedarf zusätzliche Maßnahmen ergreifen.

Ein vorläufiger Überblick über den aktuellen Stand der von den Mitgliedstaaten konzipierten nationalen Ziele ist der Tabelle im Anhang zu entnehmen. Die endgültigen von den fünf EU-Kernzielen abgeleiteten nationalen Ziele sind von allen Mitgliedstaaten bis April 2011 vorzulegen. Ab dem kommenden Jahr wird die Kommission im Jahreswachstumsbericht stärker auf die Überprüfung der Fortschritte bei der Verwirklichung der Kernziele und der endgültigen nationalen Ziele eingehen.

2.1.Beschäftigung

Nach dem EU-Kernziel im Bereich Beschäftigung soll die Beschäftigungsquote der Bevölkerung im Alter von 20 bis 64 Jahren bis 2020 auf 75 % steigen. Dieses Ziel soll durch eine vermehrte Einbeziehung junger Menschen, älterer Arbeitnehmer und gering qualifizierter Arbeitskräfte und eine bessere Eingliederung von Migranten in das Erwerbsleben erreicht werden. Die geringe Beschäftigungsquote gehört seit langem zu den größten strukturellen Schwächen Europas. Vor der Krise lagen die Beschäftigungsquoten in Europa einige Prozentpunkte unter denen der USA und Japans. Durch die Krise hat sich das Problem der Arbeitslosigkeit dramatisch verschärft, während gleichzeitig die Anzahl der verfügbaren Arbeitskräfte durch den demografischen Wandel weiter zu schrumpfen droht. Eine Steigerung der Beschäftigungsquote hätte wesentliche Auswirkungen auf Europas künftiges Wachstum.

Die Analyse der NRP-Entwürfe ergibt, dass die Mitgliedstaaten Eigenverantwortung für dieses Ziel übernommen haben und die meisten Länder gegen Engpässe auf dem Arbeitsmarkt vorgehen wollen. Die Mitgliedstaaten setzten sich überwiegend einen festen Prozentsatz zum Ziel, doch einige Länder – Belgien, Italien, Österreich, Slowakei und Zypern – haben einen Zielkorridor vorgeschlagen. Von den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich wurden noch keine offiziellen nationalen Ziele vorgelegt. Die angestrebten Beschäftigungsquoten bewegen sich zwischen 62,9 % (Malta) und 80 % (Schweden).

Wenn alle Mitgliedstaaten ihre spezifizierten nationalen Ziele bzw. die untere Grenze ihres Zielkorridors 2020 erreichen, wird die durchschnittliche Beschäftigungsquote in der EU für diejenigen Länder, die ein nationales Ziel festgelegt haben, bei 72,4 % liegen. Sollten alle Mitgliedstaaten die obere Grenze ihres Zielkorridors erreichen, läge die durchschnittliche Beschäftigungsquote in der EU bei 72,8 %. Anders ausgedrückt: Auch für den Fall, dass die Mitgliedstaaten ihre aktuellen Beschäftigungsziele erfolgreich umsetzen, wird das Kernziel, in der EU eine Beschäftigungsquote von 75 % zu erreichen, um 2,2-2,6 Prozentpunkte verfehlt.

2.2.Forschung und Entwicklung 

Sowohl was den Umfang der investierten Mittel (insbesondere aus dem Privatsektor) als auch deren Wirksamkeit angeht, hinkt Europa deutlich hinter den USA und anderen fortgeschrittenen Volkswirtschaften hinterher. Eine solche Lücke beeinträchtigt die Wachstumsaussichten, insbesondere in den Sektoren mit dem größten Wachstumspotenzial. Das Europa 2020-Ziel sieht vor, dass die Bedingungen für Investitionen in Forschung und Entwicklung verbessert werden müssen, um die Höhe der Investitionen aus öffentlichen und privaten Mitteln zusammen auf mindestens 3 % des BIP anzuheben.

Aus der Gesamtheit der vorläufigen nationalen Ziele ergibt sich ein aggregierter Wert von 2,7 bzw. 2,8 % für den in Forschung und Entwicklung investierten BIP-Anteil, der damit unter dem Zielwert von 3 % des BIP bleibt, aber insbesondere angesichts der gegenwärtigen Haushaltslage einen großen Sprung nach vorne bedeutet. Einige Mitgliedstaaten haben Schritte unternommen, um die öffentlichen Mittel für Forschung, Innovation und Bildung deutlich zu erhöhen, da sie davon überzeugt sind, dass durch diese Investitionen künftiges Wachstum gefördert wird. Trotz der Schwierigkeiten, private Mittel für die Erreichung ihres FuE-Ziels zu mobilisieren, wurden von verschiedenen Mitgliedstaaten hohe, aber dennoch realistische Ziele vorgelegt.

Ein weiterer Aspekt, der eng mit der Erfolgsbilanz der EU im Bereich Innovation zusammenhängt, ist der Anteil der schnell wachsenden und innovativen Unternehmen in einer Volkswirtschaft. 6 Die Mitgliedstaaten sind angehalten, ihre Reformen auf die Beseitigung von Wachstumshemmnissen, denen innovative Unternehmen gegenüber stehen, auszurichten, u. a. durch verbesserte Rahmenbedingungen und Zugang zu Finanzierungsmöglichkeiten.

2.3.Klimaschutz und Energiepolitik

Um Bedingungen für nachhaltiges Wachstum zu schaffen, muss in Europa der Übergang zu einer wettbewerbsstarken, ressourceneffizienten und emissionsarmen Wirtschaft und Gesellschaft gemeistert werden. Dieser Herausforderung wird in der Strategie Europa 2020 mit folgenden drei Zielen Rechnung getragen: Verringerung der Treibhausgasemissionen, ausgehend vom Niveau des Jahres 1990, um mindestens 20 % bzw. um 30 %, sofern die Bedingungen hierfür gegeben sind; Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien am Endenergieverbrauch in der EU um 20 %; Steigerung der Energieeffizienz um 20 %.

Zur Erhöhung des Anteils der erneuerbaren Energien und zur Verringerung der Treibhausgasemissionen bestehen bereits nationale Ziele.

Hinsichtlich des Energieeffizienzziels lässt die Analyse der NRP-Entwürfe derzeit nur geringe Bereitschaft der Mitgliedstaaten erkennen, sich dieser Herausforderung zu stellen. Einige Mitgliedstaaten legten keine Angaben zu diesem Ziel vor, andere verwendeten bei der Festlegung ihrer nationalen Ziele unterschiedliche Methoden. Aufgrund dieser Asymmetrien und der nicht vollständigen Angaben ist es dringend geboten, dass jeder Mitgliedstaat seine Ziele genau spezifiziert.

Eine vorläufige Bewertung hat jedoch ergeben, dass die kumulierten Anstrengungen der Mitgliedstaaten das allgemeine EU-Ziel, den Energieverbrauch in der EU bis 2020 um 20 % zu senken, deutlich verfehlen werden (sie bewirken eine Reduktion um weniger als 10 %). Dies ist besorgniserregend, da Energieeffizienz die wirtschaftlichste Art ist, Emissionen zu senken, die Energieversorgungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern, die Energiekosten für die Verbraucher zu senken und Arbeitsplätze zu schaffen. Auch im Bereich Klimaschutz reichen die bestehenden und geplanten Maßnahmen nicht aus, um die Kernziele von Europa 2020 zu erreichen.

2.4.Bildung und Ausbildung

Die Förderung von Innovation und Wachstum erfordert auch ein entsprechendes Angebot an qualifizierten und gut ausgebildeten Arbeitskräften. Darüber hinaus können die Herausforderungen, die demografischer Wandel und soziale Integration in Europa mit sich bringen, nur mit einer hoch qualifizierten Bevölkerung bewältigt werden. Investitionen in eine hochwertige Bildung, in Ausbildung und in lebenslanges Lernen sind daher ein wesentlicher Baustein für intelligentes, nachhaltiges und integratives Wachstum.

Das Kernziel der Strategie Europa 2020 im Bereich Bildung stellt darauf ab, bis 2020 die Schulabbrecherquote auf unter 10 % zu senken und den Anteil der EU-Bevölkerung im Alter zwischen 30 und 34, der ein Hochschulstudium abgeschlossen hat, auf mindestens 40 % zu erhöhen. Die Analyse der NRP-Entwürfe macht deutlich, dass der Untersuchung aktueller Herausforderungen und möglicher Lösungen im Allgemeinen mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als der Erarbeitung konkreter Reformpläne und Maßnahmen. Aus den meisten NRP-Entwürfen geht nicht klar hervor, ob die skizzierten Maßnahmen in Anlehnung an die Prioritäten von Europa 2020 auf den Weg gebracht werden sollen oder sich zumindest an der Strategie orientieren.

Abgesehen von zwei Ausnahmen werden in allen NRP-Entwürfen nationale Ziele zur Senkung der Schulabbrecherquote und zur Steigerung des Anteils der Hochschulabsolventen aufgeführt – der Entwurf Großbritanniens enthält keine Ziele und der Entwurf der Niederlande enthält zwar ein Ziel für die Schulabbrecherquote, nicht aber für den Anteil der Hochschulabsolventen.

Was die Schulabbrecherquote anbelangt, haben einige Mitgliedstaaten sehr ambitionierte Ziele festgelegt, doch insgesamt wird die Quote bis 2020 voraussichtlich nicht auf unter 10 % gesenkt werden können. Ausgehend von den in den NRP-Entwürfen vorgelegten Zielen, und ohne diejenigen Länder einzubeziehen, die keine Ziele festgelegt haben (VK sowie NL in puncto Hochschulabsolventenquote), könnte in Europa eine Schulabbrecherquote von 10,5 % erreicht werden, die damit über den angestrebten 10 % liegt. In absoluten Zahlen bedeutet dies, dass es im Jahr 2020 im Vergleich zum 2020-Zielwert rund 200 000 Schulabbrecher mehr geben wird.

Auch die vorliegenden nationalen Ziele für die Steigerung des Anteils der Hochschulabsolventen werden nicht ausreichen, um das gemeinsame 2020-Ziel zu verwirklichen. Nach derzeitigem Stand würde sich der Anteil im Jahr 2020 auf 37,3 % belaufen und somit unter dem 2020-Ziel von 40 % liegen. Im Jahr 2020 wird es daher in absoluten Zahlen 800 000 junge Hochschulabsolventen weniger geben als im Rahmen des 2020-Ziels angestrebt.

2.5.Soziale Integration/Bekämpfung der Armut 

Nachhaltiges Wachstum ist nur möglich, wenn seine Vorteile allen Teilen der Gesellschaft zugute kommen. In den letzten zehn Jahren ist die Ungleichheit in Europa jedoch gewachsen, und immer mehr Menschen sind von Armut und sozialer Ausgrenzung betroffen. Durch die Wirtschaftskrise ist die Zahl der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben oder Gefahr laufen, künftig unter der Armutsgrenze leben zu müssen, dramatisch gestiegen. Ein wesentliches Ziel der Strategie Europa 2020 ist es, diese Entwicklung umzukehren und sicherzustellen, dass Wachstum und soziale Kohäsion miteinander einhergehen. Konkret lautet das EU-Kernziel „Verringerung der Zahl der unter den nationalen Armutsgrenzen lebenden Europäer um 25 %, wodurch 20 Millionen Menschen aus der Armut befreit würden“. Es wurde auf der Basis von drei Indikatoren 7 festgelegt, die zahlreiche Faktoren der Armut und Ausgrenzung in Europa berücksichtigen. Das Ziel geht damit über das ursprüngliche Konzept der relativen Einkommensarmut hinaus und umfasst zusätzlich die nichtmonetäre Dimension von Armut und Ausgrenzung vom Arbeitsmarkt. Darüber hinaus wird auf diese Weise den unterschiedlichen Gegebenheiten und Prioritäten in den Mitgliedstaaten Rechnung getragen.

Erste Analysen zeigen, dass die relative Armut in den meisten EU-Ländern nach wie vor ein großes Problem darstellt. Die Steigerung des allgemeinen Lebensstandards kann maßgeblich dazu beitragen, Armut und Ausgrenzung in Ländern mit niedrigerem Pro-Kopf-BIP und einem hohen Anteil an materiell unterversorgten Menschen zu verringern. Für alle Mitgliedstaaten stellt die Bekämpfung von Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt eine Priorität dar, auch für jene mit hoch entwickelten Sozialsystemen, die relativ guten Schutz vor Einkommensarmut bieten. Dennoch setzen die Mitgliedstaaten in diesem Bereich nur schwache Anreize und bieten geringe Unterstützung, um die Teilnahme derjenigen am Erwerbsleben zu fördern, die auf dem Arbeitsmarkt am schwersten zu vermitteln sind.

Die meisten Länder haben in ihren NRP-Entwürfen entsprechende Ziele festgelegt, die jedoch weniger ambitioniert ausfallen als die vom Europäischen Rat vereinbarten Zielvorstellungen. Die vereinbarten Indikatoren, mit denen das EU-Ziel definiert wird, wurden von der Mehrheit der Mitgliedstaaten verwendet, die damit anerkennen, dass zur Bekämpfung der Armut in all ihren Formen breit angelegte Strategien erforderlich sind. Es sollten jedoch ehrgeizigere Ziele angestrebt werden, die zum Ausdruck bringen, dass die Ziele miteinander verflochten sind und insbesondere die Verbindung zwischen Erwerbsbeteiligung und Armut widerspiegeln. Einige Länder haben noch kein einschlägiges Ziel festgelegt; es ist dringend geboten, dies rasch nachzuholen.

3.Nationale Reformprogramme

3.1.Entwürfe der nationalen Reformprogramme 

Die Europa 2020-Ziele sind ein Kernelement der nationalen Reformprogramme, in denen eine breiter angelegte und umfassende Reformagenda dargelegt werden soll. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert, bis 12. November 2010 ihre NRP-Entwürfe einzureichen, die vier Elemente enthalten sollten:

Entwicklung eines mittelfristigen makroökonomischen Szenarios: Sämtliche NRP-Entwürfe enthalten ein makroökonomisches Szenario und gehen insbesondere auf makrostrukturelle Wachstumshemmnisse ein, in erster Linie im Haushaltsbereich.

Festlegung der nationalen Ziele in Anlehnung an die Kernziele der Strategie Europa 2020: Die meisten NRP-Entwürfe enthalten entsprechende Ziele (siehe oben).

Ermittlung der Haupthemmnisse für Wachstum und Beschäftigung: In den NRP-Entwürfen wurden die vom AWP im Juni 2010 und vom Beschäftigungsausschuss im Oktober 2010 ermittelten Wachstumshemmnisse in der Regel bestätigt. Einige Mitgliedstaaten nannten nur wenige zusätzliche Herausforderungen.

Wichtige Maßnahmen, mit denen wachstumsfördernden Initiativen Vorrang eingeräumt wird: In fast allen Entwürfen fehlten Erläuterungen zu vorrangigen Strukturreformen, die mittelfristig das nachhaltige Wachstum fördern sollen.

Die NRP-Entwürfe sind unterschiedlich detailliert und ausgereift, einige sind umfassender und stärker ausgearbeitet als andere. Im Allgemeinen wurden in den NRP-Entwürfen die Belastungen für potenzielles Wachstum und Beschäftigung nicht vollständig anerkannt. Die von den Mitgliedstaaten vorgelegten makroökonomischen Szenarien fallen gegenüber der Bewertung der Kommission eher zu optimistisch aus. Gleichzeitig sind die Szenarien für den Arbeitsmarkt zu pessimistisch, da sie von kurzfristigen negativen Faktoren beeinflusst werden. Im Folgenden werden die im Rahmen einer Vorabprüfung der NRP-Entwürfe ermittelten wichtigsten Herausforderungen aufgeführt:

Die überwiegende Mehrheit der Mitgliedstaaten steht bei der Verringerung von Strukturdefiziten und hohen Schuldenquoten sowie der Eindämmung der Ausgaben angesichts der Bevölkerungsalterung erheblichen haushaltspolitischen Schwierigkeiten gegenüber. In zahlreichen Ländern könnte eine verbesserte Qualität der öffentlichen Finanzen und des institutionellen Rahmens durch größere Haushaltskontrolle dazu beitragen, die finanzielle Nachhaltigkeit zu stärken.

Die meisten Mitgliedstaaten wiesen auf die Notwendigkeit eines stabilen und gut funktionierenden Finanzsektors hin, der ohne staatliche Unterstützung Kredite vergeben kann. Zu den Herausforderungen in diesem Gebiet zählen die Überschuldung der Haushalte, eine effiziente Aufsicht durch Regulierungsbehörden und ein gut funktionierender Bankensektor.

Alle Mitgliedstaaten sind der Auffassung, dass die Themen Wettbewerbsfähigkeit und Ungleichgewichte bei der Leistungsbilanz angegangen werden müssen, insbesondere um ein ordnungsgemäßes Funktionieren der WWU sicherzustellen. Im Euro-Raum findet dies seinen Niederschlag in Maßnahmen zum Austarieren der Ungleichgewichte innerhalb des Euro-Währungsgebiets, z. B. durch die Stärkung der inländischen Nachfrage, relative Lohn- und Preisanpassungen, größere Lohnflexibilität und die Umschichtung von Ressourcen aus dem Sektor der nicht handelbaren Güter in den Sektor der handelbaren Güter.

Die Mitgliedstaaten haben außerdem festgestellt, dass die Erwerbsbeteiligung und/oder die Beschäftigungsbedingungen verbessert werden müssen und die Probleme der schlecht funktionierenden Arbeitsmärkte und Arbeitsmarktsegmentierung, der mangelnden beruflichen und geografischen Mobilität, der unzulänglichen Arbeitsanreize und der Ausgrenzung verschiedener Altersgruppen bewältigt werden müssen.

Darüber hinaus erkennen die meisten Mitgliedstaaten an, dass Produktivitätssteigerungen und die Umstellung auf Produkte und Ausfuhren mit höherem Mehrwert mit Herausforderungen verbunden sind und höhere Kapitalinvestitionen, wirksame ordnungspolitische Rahmenbedingungen für Unternehmen, administrative Effizienz und einen stärkeren Wettbewerb erfordern.

Schließlich erkennen die Mitgliedstaaten an, dass die Innovationskapazitäten und Investitionen in Humanressourcen gefördert werden müssen, um das Wachstumspotenzial zu steigern und die strukturellen Probleme auf dem Arbeitsmarkt zu verringern.

Zu diesem Zeitpunkt bieten die in den NRP-Entwürfen vorgestellten Strategien jedoch keine zufriedenstellende Antwort auf die zentralen makroökonomischen Herausforderungen und Wachstumshindernisse. Oft wird in den Kapiteln über die strategischen Maßnahmen dargelegt, wie die Herausforderungen angegangen werden könnten; konkrete Maßnahmen fehlen allerdings. Die Schritte zur Haushaltskonsolidierung wurden zwar detaillierter beschrieben, doch den mittel- bis langfristig wachstumsfördernden Strukturreformen kam wenig Aufmerksamkeit zu. Viele NRP-Entwürfe enthielten einen Überblick über die geplanten Maßnahmen, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen sollen, ihre nationalen Ziele zu erreichen. Darunter wurden jedoch auch häufig Maßnahmen aufgeführt, die bereits umgesetzt worden sind oder deren Umsetzung recht fortgeschritten ist. Die geplanten Strategiemaßnahmen wurden oft eher vage formuliert und hinsichtlich ihrer Art, der Umsetzungsfrist, der erwarteten Auswirkungen, der Risiken einer teilweisen oder nicht erfolgreichen Umsetzung, der Kosten und der Inanspruchnahme von EU-Strukturfonds kaum konkretisiert. Eine Ausnahme stellten die Programme von Mitgliedstaaten dar, die finanzielle Unterstützung erhalten. Diese haben detailliertere Maßnahmen vorgelegt.

3.2.Zusammenarbeit bei der Ausarbeitung der endgültigen nationalen Reformprogramme

Der Zeitraum zwischen der Vorlage der Entwürfe und der Vorlage der endgültigen NRP wird für einen Gedankenaustausch zwischen Kommission und Mitgliedstaaten und für eine Überprüfung im Rat genutzt. Im November 2010 bewertete der Beschäftigungsausschuss die in den NRP-Entwürfen enthaltenen Beschäftigungsaspekte, und im Dezember 2010 war der AWP mit einer horizontal angelegten Überprüfung der makroökonomischen Elemente befasst.

Nach der Annahme dieses Jahreswachstumsberichts, der allgemeine Orientierungshilfen für die Mitgliedstaaten zur endgültigen Ausgestaltung ihrer NRP enthält, wird die Kommission bilaterale Gespräche mit den Mitgliedstaaten suchen, um vor dem Hintergrund dieser Orientierungshilfen und unter Berücksichtigung der jeweiligen Gegebenheiten in den Mitgliedstaaten deren endgültige NRP zu erörtern.

Parallel dazu sollten die Konsultationen auf nationaler Ebene abgeschlossen werden, damit die NRP angemessen im politischen Gefüge der Mitgliedstaaten verankert sind. An den Konsultationen sollten politische Akteure (nationale Parlamente, regionale und lokale Behörden) sowie Sozialpartner und andere an den Vorbereitungen beteiligte Interessenträger teilnehmen. Nur wenige der NRP-Entwürfe wurden bereits auf unterschiedlichen Ebenen von den Beteiligten diskutiert. Einige Mitgliedstaaten wiesen darauf hin, dass vor der Finalisierung ihrer NRP Konsultationen stattfinden werden. Die meisten haben jedoch keine Angaben zu Konsultationsverfahren gemacht.

Es ist besorgniserregend, dass den Strukturreformen, die sich mittel- bis langfristig wachstumsfördernd auswirken könnten, zu wenig Aufmerksamkeit gewidmet wurde. Ohne derartige wachstumsfördernde Strategien könnten sich die Konsolidierungsstrategien als wirkungslos erweisen.

In den endgültigen NRP sollen zielführende Reformprogramme erläutert werden, über die bei den verschiedenen Akteuren in den Mitgliedstaaten ein Konsens besteht, und die gleichzeitig bestimmte allgemeine Kriterien erfüllen, um Synergien und eine bessere Überwachung zu ermöglichen. Insbesondere sollte in den endgültigen NRP Folgendes enthalten sein:

Schätzungen für das potenzielle und effektive mittelfristige Wirtschaftswachstum über einen Zeitraum von (mindestens) vier Jahren. Die makroökonomischen Szenarien, die in den Programmen 2011 vorgelegt werden, sollten daher den Zeitraum bis 2014 abdecken.

Ambitionierte realistische Ziele, um alle fünf EU-Kernziele zu verwirklichen, Pläne, wie die Ziele bis 2020 zu erreichen sind, und einen Zwischenbericht im Jahr 2014;

Einzelheiten zu langfristigen Maßnahmen, die über jene hinausgehen, deren Vorbereitung bereits angelaufen ist, darunter ein kohärenter Plan für die Reform von Forschungs- und Innovationssystemen auf der Grundlage einer Analyse der Stärken und Schwächen eines jeden Mitgliedstaats; 8

Auswirkungen der Reformen auf den Haushalt; bei Bedarf auch genauere Angaben zu Fortschritten auf nationaler Ebene und einer geplanten Inanspruchnahme von Strukturfonds, um wachstumsfördernde Investitionen zu unterstützen;

Maßnahmen zur Beseitigung von Wachstumshindernissen, einschließlich Angaben zu Zeitplanung, erwarteten Auswirkungen und Haushaltsauswirkungen. Diese Maßnahmen betreffen Wachstumsmotoren oder wachstumsfördernde Rahmenbedingungen; hierzu zählen z. B. Maßnahmen zur Unterstützung des Binnenmarkts und der Rahmenbedingungen für Unternehmen, Maßnahmen zur Unterstützung von Wachstum und Internationalisierung von KMU, Strukturreformen in Dienstleistungsmärkten (z. B. die Dienstleistungsrichtlinie), die Förderung einer digitalen Gesellschaft und Wirtschaft, besserer Verbraucherschutz usw. Die Vorteile, die eine stärkere Verbreitung von Informations- und Kommunikationstechnologien mit sich bringt (in erster Linie Produktivitätssteigerungen), sind wohl bekannt; hier sind daher in vielen Fällen gezielte politische Maßnahmen gefordert.

Informationen über die Beteiligung und Beiträge der verschiedenen Interessenträger. Kommunikationsmaßnahmen, mit denen Interessenträger und Bürger über die Reformprogramme informiert werden, und Mechanismen der Mitgliedstaaten zur Überwachung der Reformen sind vor diesem Hintergrund ebenfalls zu erwähnen.

4.Schlussfolgerungen

Da die Strategie Europa 2020 erst kürzlich eingeführt wurde, stellt die Überprüfung und Bewertung von Fortschritten in diesem ersten Jahreswachstumsbericht eine besondere Herausforderung dar. In den Monaten nach der Annahme der Strategie und deren Unterstützung durch den Europäischen Rat im Juni 2010 konzentrierten sich die Maßnahmen auf EU-Ebene darauf, einen entsprechenden Rahmen zu schaffen und die sieben Leitinitiativen auf den Weg zu bringen. Die Mitgliedstaaten haben erste Schritte unternommen, um ihre eigenen Reformprogramme einzuleiten. Da es sich bei diesem ersten Umsetzungszyklus von Europa 2020 um ein Novum handelt, haben die Mitgliedstaaten nationale Reformprogramme im Entwurf vorgelegt; die endgültigen Programme sind bis April 2011 zu unterbreiten.

Wie die thematische Überprüfung ergab, ist den Mitgliedstaaten allgemein bewusst, dass die öffentlichen Finanzen dringend konsolidiert und der Finanz- und Bankensektor stabilisiert werden müssen. Weitaus weniger Anstrengungen wurden jedoch unternommen, um die zur Beseitigung von Ungleichgewichten und zur Wiederbelebung von Wachstum und Beschäftigung notwendigen Reformen auszuarbeiten. Dies trifft auch auf die vorläufigen nationalen Ziele zu, die voraussichtlich nicht weit genug gehen, um die auf EU-Ebene vereinbarten Kernziele in der Union zu erreichen. Aus den ersten Daten geht jedoch hervor, dass die Lücken nicht so groß sind, als dass sie durch entschiedene Maßnahmen in den nächsten Jahren nicht geschlossen werden könnten. In den Anfangsjahren ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Mitgliedstaaten – ungeachtet ihrer jeweiligen Ausgangslage – ambitionierte Ziele verfolgen und ihnen die notwendige Dynamik verleihen. In den kommenden Monaten sollten Fortschritte bei den Strukturreformen im Mittelpunkt stehen, indem die Mitgliedstaaten handeln und vor dem Hintergrund der Kernaussagen dieses Jahrswachstumsberichts wachstumsfördernde Maßnahmen ergreifen, die sich aus den Leitinitiativen ableiten lassen.

Die Hauptthemen des „Europäischen Semesters“ werden die Rückkehr zu Haushaltsdisziplin und makroökonomischer Stabilität sein, während gleichzeitig Strukturreformen in Gang gesetzt werden müssen. Gestützt auf die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom März wird die Kommission die NRP und Stabilitäts- und/oder Konvergenzprogramme bis Juni 2011 bewerten, auf der Grundlage der integrierten Leitlinien zu Europa 2020 länderspezifische integrierte Empfehlungen aussprechen und Orientierungshilfen für Haushaltsstrategien im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts bieten. 9 Die Empfehlungen und die Stellungnahmen des Rates zu den Stabilitäts- und Konvergenzprogrammen werden vom Rat im Juli 2011 angenommen. Daraufhin wird die EU handeln und die Mitgliedstaaten werden anhand der Empfehlungen und Stellungnahmen konkrete Entscheidungen treffen, wenn sie in der zweiten Jahreshälfte ihren nationalen Haushalt für 2012 beschließen.

Anhang:
Vorläufige nationale Ziele für Europa 2020
10

Ziele in den Entwürfen der Mitglied-staaten

Beschäfti-gungsquote (in %)

FuE-Investitionen (% des BIP)

Emissionsre-duktionsziele (verglichen mit 2005) 11

Erneuerbare Energien

Energieeffizienz – Reduktion des Energiever-brauchs in Mio. t 12  

Schulab-brecherquote in %

Anteil der Hochschul-absolventen

in %

Verringerung der Anzahl der in Armut lebenden Personen 13  

AT

77-78%

3,76%

-16%

34%

7,2

9,5%

38% (einschließlich ISCED 4a, dessen Anteil derzeit bei rund 12 % liegt)

235.000

BE

71-74%

2,6-3,0%

-15%

13%

kein Ziel im NRP angegeben

9,5-10%

46-48%

330.000-380.000

BG

76%

1,5%

20%

16%

3,2

11%

36%

260.000 (500.000)

CY

75-77%

0,5%

-5%

13%

0,46

10%

46%

18.000

CZ

75%

2,70

9%

13%

kein Ziel im NRP angegeben

5,5%

32%

30.000

DE

75%

3%

-14%

18%

37,7

unter 10%

42% (einschließlich ISCED 4, dessen Anteil derzeit bei 11,4 % liegt)

330.000
(660.000)

DK

78,5%

3%

-20%

30%

kein Ziel im NRP angegeben

unter 10%

40%

22.000

EE

76%

3%

11%

25%

0,49 (nur Endverbrauch)

9,5%

40%

49.500

EL

70%

2%

-4%

18%

5,4

10%

32%

450.000

ES

74%

3%

-10%

20%

25,2

15%

44%

kein Ziel im NRP angegeben

FI

78%

4%

-16%

38%

4,21

8%

42%

150.000

FR

75%

3%

-14%

23%

43

9,5%

50%

1.600.000 bis 2015

HU

75%

1,8%

10%

13%

kein Ziel im NRP angegeben

10%

30,3%

450.000-500.000

IE

kein Ziel im NRP angegeben

kein Ziel im NRP angegeben

-20%

16%

2,75

8%

60%

186.000

IT

67-69%

1,53%

-13%

17%

27,9

15-16%

26-27%

2.200.000

LT

72,8%

1,9%

17%

23%

0,74 (nur Endverbrauch)

9%

40%

170.000

LU

73%

2.6%

5%

11%

0,19 (nur Endverbrauch)

unter 10%

40%

3.000

LV

73%

1,5%

-16%

40%

0,67

13,4%

34-36%

121.000

MT

62,9%

0,67%

14%

10%

0,24

29%

33%

6.560

NL

kein Ziel im NRP angegeben

kein Ziel im NRP angegeben

1%

14%

kein Ziel im NRP angegeben

Senkung der Anzahl der Schulabbrecher auf 25 000
(= entspricht einer Quote von 9%)

kein Ziel im NRP angegeben

kein Ziel im NRP angegeben

PL

71%

1,7%

19%

15%

13,6

4,5%

45%

1.500.000-2.000.000

PT

75%

2,7-3,3%

-17%

31%

kein Ziel im NRP angegeben

10%

40%

200.000

RO

70%

2%

4%

24%

10

11,3%

26,7%

580.000

SE

80%

4%

13%

49%

kein Ziel im NRP angegeben

10%

40-45%

kein Ziel im NRP angegeben

SI

75%

3%

17%

25%

kein Ziel im NRP angegeben

5.1%

40%

40.000

SK

71-73%

0,9-1,1%

5%

14%

1,08 (nur Endverbrauch)

6%

30%

170.000

UK

kein Ziel im NRP angegeben

kein Ziel im NRP angegeben

-16%

15%

kein Ziel im NRP angegeben

kein Ziel im NRP angegeben

kein Ziel im NRP angegeben

Ziel im Zshg. mit Kinderarmut

Schätzungen EU

72,4-72,8%

2,7-2,8%

-20%

(gegenüber 1990 )

20%

k.A.

10,5%

37,3%

EU-Kernziel

75%

3%

-20%

(gegenüber 1990)

20%

Steigerung der Energieeffizienz um 20%

10%

40%

20.000.000



(1) Schlussfolgerungen des Europäischen Rats vom 17. Juni 2010.
(2) Digitale Agenda für Europa (KOM(2010) 245 endg./2 vom 19.5.2010), Jugend in Bewegung (KOM(2010) 477 vom 15.9.2010), Innovationsunion (KOM(2010) 546 vom 6.10.2010), Eine integrierte Industriepolitik für das Zeitalter der Globalisierung (KOM(2010) 614 vom 27.10.2010), Eine Agenda für neue Kompetenzen und Beschäftigungsmöglichkeiten: Europas Beitrag zur Vollbeschäftigung. (KOM(2010) 682 vom 23.11.2010), Europäische Plattform gegen Armut und soziale Ausgrenzung: Ein europäischer Rahmen für den sozialen und territorialen Zusammenhalt (KOM(2010) 758 vom 16.12.2010). Die Leitinitiative „Ressourcenschonendes Europa“ wird Ende Januar 2011 vorgelegt.
(3) „Auf dem Weg zu einer Binnenmarktakte“ (KOM(2010) 608 vom 27.10.2010).
(4) „Überprüfung des EU-Haushalts“ (KOM(2010) 700 vom 19.10.2010).
(5) „Handel, Wachstum und Weltgeschehen – Handelspolitik als Kernbestandteil der EU-Strategie Europa 2020“ (KOM(2010) 612 vom 9.11.2010).
(6) Wie vom Europäischen Rat gefordert (KOM(2010) 546 endgültig vom 6.10. 2010, S. 34), arbeitet die Kommission an der Entwicklung eines entsprechenden Indikators.
(7) Armutsgefährdungsrate, Index der materiellen Deprivation und Prozentsatz von Menschen, die in einem Haushalt mit sehr niedriger Erwerbsbeteiligung leben.
(8) Die Mitgliedstaaten werden ermutigt, diese Analyse mit Hilfe der „Selbstbeurteilungstools“ vorzunehmen, die im Rahmen der Leitinitiative „Innovationsunion“ (KOM(2010) 546 endg.) bereitgestellt werden.
(9) Die Empfehlung des Rates vom 13. Juli 2010 über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik der Mitgliedstaaten und der Union (2010/410/EU) und der Beschluss des Rates vom 21. Oktober 2010 über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (2010/707/EU) bilden zusammen die integrierten Leitlinien zu Europa 2020.
(10) Die endgültigen nationalen Ziele werden in den nationalen Reformprogrammen im April 2011 vorgelegt.
(11) Die in der Entscheidung Nr. 406/2009/EG (Entscheidung über die Verteilung der Anstrengungen) festgelegten Obergrenzen für die Treibhausgasemissionen der Mitgliedstaaten gelten für Emissionen, die nicht vom Emissionshandelssystem erfasst werden. Emissionen, die diesem Handelssystem unterliegen, werden gegenüber dem Niveau von 2005 um 21 % reduziert. Die entsprechende Emissionsreduktion insgesamt wird bei -20 % gegenüber dem Stand von 1990 liegen.
(12) Die Mitgliedstaaten haben für ihre Berechnungen der geschätzten Einsparungen unterschiedliche Basisjahre verwendet.
(13) Geschätzter Beitrag zum EU-Ziel.
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DE

EUROPÄISCHE KOMMISSION

Brüssel, den 12.1.2011

KOM(2011) 11 endgültig
ANHANG 2

 

Jahreswachstumsbericht

Anhang 2

MAKROÖKONOMISCHER BERICHT

Jahreswachstumsbericht

Anhang 2

MAKROÖKONOMISCHER BERICHT

Die Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Zeitraum 2011-2012 werden von entscheidender Bedeutung sein, um das „Szenario eines verlorenen Jahrzehnts“ abzuwenden. Politische Prioritäten, Zeitplan und Maßnahmeninhalte müssen den nationalen Rahmenbedingungen Rechnung tragen, unter anderem den Risiken für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der Notwendigkeit, übermäßige Ungleichgewichte zu korrigieren. Die dringlichste Aufgabe besteht darin, den Teufelskreis von nicht tragfähiger Verschuldung, Finanzmarktstörungen und schwachem Wirtschaftswachstum, in dem einige Mitgliedstaaten gefangen sind, zu durchbrechen. In den im November vorgelegten Entwürfen der nationalen Reformprogramme wird zwar anerkannt, dass es dringend notwendig ist, die makroökonomischen Herausforderungen im Rahmen eines integrierten Ansatzes in Angriff zu nehmen, häufig fehlt es jedoch an Vorschlägen für geeignete politische Maßnahmen.

Zweck des vorliegenden Begleitdokuments ist es daher, diejenigen Maßnahmen zu umreißen, die das größte Potenzial im Sinne einer positiven makroökonomischen Wirkung besitzen und deren Durchführung die Mitgliedstaaten in den kommenden zwei Jahren ins Auge fassen könnten. Im ersten Abschnitt des Dokuments wird der Hintergrund beleuchtet: Ungleichgewichte und Defizite, die sich bereits vor der Krise abgezeichnet hatten, ebenso wie die Hinterlassenschaft der schlimmsten Wirtschaftskrise seit der Großen Depression in den 1930er Jahren. Im zweiten Abschnitt wird dargelegt, wie wichtig es ist, die öffentlichen Finanzen wieder auf einen soliden Pfad zu bringen. Der dritte Abschnitt ist der Frage gewidmet, wie eine rasche Gesundung des Finanzsektors bewerkstelligt werden kann. Im letzten Abschnitt wird aufgezeigt, dass dringend Strukturreformen erforderlich sind, um makroökonomische Ungleichgewichte zu korrigieren und die schwächenden Wachstumstreiber wieder zu mobilisieren.

1.Europa in einer Zeit gewaltiger Herausforderungen

Allmählich erholt sich die europäische Wirtschaft von der tiefsten Rezession seit Jahrzehnten. Im Zuge dieser Krise hat die Wirtschaft in der EU stark an Dynamik eingebüßt – eine Entwicklung, die mit dem Verlust von Millionen Arbeitsplätzen und mit hohen menschlichen Kosten einherging. Die strukturellen Schwächen, die bereits vor der Krise bestanden und die zu beheben man versäumt hatte, traten nun offen zutage.

Schon vor der Krise litt die EU unter strukturellen Schwächen 

Obgleich die EU eine reiche Region ist, verzeichnete sie im vergangenen Jahrzehnt lediglich ein im internationalen Vergleich schwaches Wirtschaftswachstum (siehe Schaubild 1). Nach dem Pro-Kopf-BIP ist die EU der 27 wesentlich reicher als der Durchschnitt der G20-Länder, doch liegt sie immer noch deutlich hinter vielen nicht der EU angehörenden OECD-Ländern und hinter der OECD insgesamt. Die Wachstumsleistung der EU seit 2000 war sehr enttäuschend; sie fiel geringer aus als in allen entwickelten Volkswirtschaften mit Ausnahme Japans und blieb deutlich hinter der der meisten aufstrebenden Volkswirtschaften zurück. Dies bedeutet, dass sich der Abstand zu den anderen entwickelten Volkswirtschaften vergrößert. Der Aufholprozess allein liefert keine hinreichende Erklärung für diese unterschiedliche Entwicklung; somit muss die schwache Wachstumsleistung der EU auf strukturelle Defizite zurückzuführen sein. Zieht man neben BIP-bezogenen Indikatoren weitere Indikatoren heran, so sind in diesem insgesamt recht düsteren Bild auch einige Stärken zu erkennen, die den Lebensstandard betreffen, wie etwa relativ geringe Einkommensunterschiede, eine hohe Lebenserwartung und eine relativ hohe Umweltleistung (gemessen z. B. in CO2-Emissionen pro Produktionseinheit).

Verschiedene „Flaschenhälse“ haben im vergangenen Jahrzehnt das Wachstum in der EU gehemmt. Herkömmliche Growth-Accounting-Analysen zeigen, dass Haupttriebkraft des Wachstums in der Vorkrisenzeit (2001-2007) die Arbeitsproduktivität war, wohingegen die Arbeitskräftenutzung und der Anstieg der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter lediglich mit etwa einem Viertel des Gesamtwachstums zu Buche schlugen; gedämpft wurde das Wachstum in der EU der 27 insbesondere durch die sinkende Arbeitsmarktbeteiligung bei Jugendlichen und Männern im Haupterwerbsalter und durch den Rückgang der Zahl der geleisteten Arbeitsstunden pro Person (siehe Schaubild 2). Mit der Krise sind die Aussichten noch düsterer geworden. Das BIP ist geschrumpft, die Arbeitslosigkeit stark gestiegen und die Gesamtfaktorproduktivität („total factor productivity“, TFP) deutlich gesunken, was vor allem eine Folge des Einbruchs in der Kapazitätsauslastung war. Sowohl in Bezug auf die TFP als auch in Bezug auf die Nutzung des Arbeitskräftepotenzials hinken EU und Euroraum deutlich hinter den Vereinigten Staaten und Japan hinterher; was die Nutzung des Arbeitskräftepotenzials betrifft, ist die Diskrepanz am oberen und am unteren Ende des Altersspektrums besonders stark ausgeprägt, wie sich an den eklatanten Unterschieden bei den Beschäftigungsquoten ablesen lässt (siehe Schaubild 3).

Schaubild 1: Höhe und Wachstum des BIP

Pro-Kopf-BIP 2010 (% Abstand gegenüber der EU-27 in KKS)

Durchschnittliches Wirtschaftswachstum 2000-2010

Schaubild 2: Zusammensetzung des BIP-Wachstums 

Schaubild 3: Beschäftigungsquote

Gesamtbeschäftigung – Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter (20-64 Jahre)

Schaubild 4: Reale Primärausgaben vs. reales BIP-Wachstum

Durchschnittliche Wachstumsraten 2003-2007

Anmerkung: Die Mitgliedstaaten wurden nach dem Wert geordnet, um den das durchschnittliche Wachstum der realen Primärausgaben das durchschnittliche Wachstum des realen BIP übersteigt.

In den Jahren vor der Krise sind mehrere Mitgliedstaaten von den Grundprinzipien einer vorsichtigen Haushaltspolitik abgewichen. Die in den Jahren 2003-2007 im Zuge der wirtschaftlichen Expansion erzielten erheblichen Mehreinnahmen wurden nur zum Teil zur Beschleunigung der haushaltspolitischen Anpassung genutzt. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Mehreinnahmen floss in die Finanzierung zusätzlicher Ausgaben. In den Zeiten günstiger Konjunktur vor der Krise (2003-2007) übertraf das Wachstum der Primärausgaben in zwölf EUMitgliedstaaten das durchschnittliche Wirtschaftswachstum, in einigen Fällen sogar in beträchtlichen Umfang (siehe Schaubild 4). Dass eine solche Politik unhaltbar ist, zeigte sich bei Ausbruch der Krise, als die öffentlichen Einnahmen wegbrachen und plötzlich offenkundig wurde, wie angeschlagen die öffentlichen Haushalte waren und dass vielfach nur wenig oder gar kein Manövrierspielraum blieb, um auf den Konjunktureinbruch zu reagieren.

Auch die in der EU bestehenden makroökonomischen Ungleichgewichte haben sich in den zehn Jahren vor der Krise deutlich verschärft. In einigen Mitgliedstaaten haben sich beträchtliche binnenwirtschaftliche Ungleichgewichte aufgebaut. Dies spiegelte sich wider in einem starken Auseinanderdriften der Entwicklung der Leistungsbilanzen und der Wettbewerbsfähigkeit (siehe Schaubild 5 für den Euroraum). Darüber hinaus kam es in mehreren Mitgliedstaaten des Euroraums zu einem beunruhigend hohen Verlust an Exportmarktanteilen. Zusätzlich verstärkt wurden die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte durch eine der Produktivitätsentwicklung nicht angemessene Lohnentwicklung, durch ein übermäßiges Kreditwachstum im privaten Sektor, durch Immobilienpreisblasen sowie durch strukturelle Schwächen der Inlandsnachfrage. 1  

Schaubild 5: Entwicklung der Preiswettbewerbsfähigkeit im Vergleich zum übrigen Euroraum 

(Indizes; 1998 = 100; ein Anstieg entspricht einem Verlust an Wettbewerbsfähigkeit)


Auswirkungen der Krise auf Realwirtschaft und Beschäftigung

Schaubild 6: BIP und Beschäftigung

(2008Q1=100)

Quellen: Eurostat; Herbstprognose der GD ECFIN

Anmerkung: Aus dem Profil der prognostizierten Beschäftigung, das lediglich auf Jahresbasis verfügbar ist, wurde durch lineare Interpolation das Quartalsprofil abgeleitet.

Der tiefe Einbruch des BIP hat im Durchschnitt vier Jahre Wachstum zunichte gemacht. Der Verlust an Wirtschaftsleistung in den Jahren 2008 und 2009 hat das BIP der EU auf den Stand von 2006 zurückgeworfen. Nach den Wirtschaftsprognosen der Kommission vom Herbst 2010 ist davon auszugehen, dass die EU erst im zweiten Quartal 2012 wieder das Vorkrisenniveau vom ersten Quartal 2008 – bevor die Krise die Realwirtschaft traf – erreichen wird (siehe Schaubild 6). Den Projektionen zufolge wird es bis Ende 2011 lediglich zehn Mitgliedstaaten gelungen sein, ihre Wirtschaftsleistung wieder auf das Niveau von 2008 anzuheben oder dieses Niveau gar zu übertreffen. In elf Mitgliedstaaten dürfte das Vorkrisenniveau auch bis Ende 2012 noch nicht wieder erreicht sein. Der Beschäftigungsstand wird den Prognosen zufolge Ende 2012 immer noch (um mehr als 1 %) unter dem Vorkrisenniveau liegen.

Die Krise hat Europa einen hohen gesellschaftlichen Tribut abverlangt und zu einem starken Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt. Im Jahr 2008 waren 7 % der Erwerbsbevölkerung in der EU der 27 arbeitslos. Im Jahr 2010 waren es bereits fast 10 %, und es ist davon auszugehen, dass die Arbeitslosenquote auch im Jahr 2012 noch über 9 % liegen wird (siehe Schaubild 7). Mit über 12 % ist die Arbeitslosenquote besonders hoch in Estland, Irland, Griechenland, der Slowakei, Lettland, Litauen und Spanien. Die Langzeitarbeitslosigkeit – also die Zahl derjenigen, die bereits länger als ein Jahr arbeitslos sind – ist steil angestiegen und macht derzeit einen Anteil von etwa 40 % der Gesamtarbeitslosigkeit in der EU aus. Dies verdeutlicht das Risiko eines dauerhaften Ausschlusses vom Arbeitsmarkt. Besonders hoch ist die Arbeitslosenquote bei Geringqualifizierten, Migranten und Jugendlichen. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt in mehr als der Hälfte der EU-Mitgliedstaaten bei über 20 % und erreicht in einem Land (Spanien) sogar 42 %.

Schaubild 7: Tatsächliche und strukturelle Arbeitslosenquoten in der EU-27 

(2008Q1=100)

Mit der Krise hat das Potenzialwachstum, bedingt durch den erheblichen Anstieg der strukturellen Arbeitslosigkeit und den starken Rückgang der Investitionsquote, weiter abgenommen. Innerhalb des Prognosehorizonts (2010-2012) wird angesichts des geringen Produktivitätswachstums und der geringen Arbeitskräftenutzung ein ausgesprochen niedriges Potenzialwachstum (1,1 %) in der EU der 27 erwartet. Noch trüber sind die Aussichten für den Euroraum, für den weitgehend dieselben, wenn auch stärker ausprägten Entwicklungsmuster erwartet werden. Die geringere Arbeitskräftenutzung hängt zum einen mit dem beträchtlichen Anstieg der NAWRU (siehe Schaubild 7) zusammen, zum anderen aber auch mit dem weiteren Rückgang der durchschnittlich geleisteten Arbeitszeit pro Beschäftigten und der Schrumpfung der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Negativ auf das Potenzialwachstum werden sich auch die langsamere Kapitalakkumulation, bedingt durch historisch niedrige Investitionsquoten infolge der Krise, und das langsame Wachstum der Gesamtfaktorproduktivität auswirken, die sich zwar allmählich wieder erholt, jedoch lediglich in Richtung des schwachen Vorkrisenwachstumspfads.

Verschärfung von Haushaltsungleichgewichten bei langsamem Abbau makroökonomischer Ungleichgewichte

Schaubild 8: Öffentlicher Schuldenstand 2008 und prognostizierter Anstieg im Zeitraum 2008-2012

(in % des BIP)

 Quelle: Herbstprognose der GD ECFIN 

Die Krise hatte dramatische Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen im Euroraum und in der EU insgesamt. Innerhalb eines kurzen Zeitraums ist die Schuldenquote in fast allen Mitgliedstaaten in die Höhe geschnellt, so dass die in den Vorkrisenjahren erzielten moderaten Fortschritte wieder zunichte gemacht wurden (siehe Schaubild 8). Ende 2010 dürfte der öffentliche Bruttoschuldenstand im Euroraum etwa 84 % des BIP und in der EU insgesamt etwa 79 % des BIP erreicht haben und damit rund 20 Prozentpunkte über dem Stand von 2007 liegen. Bei Festhalten an der derzeitigen Politik dürfte sich dieser Trend fortsetzen.

Die aktuelle erhebliche Verschlechterung der Lage der öffentlichen Finanzen ist das Ergebnis sinkender Einnahmen und eines erhöhten Ausgabendrucks sowie diskretionärer Konjunkturmaßnahmen. In einigen Mitgliedstaaten waren die Staatsfinanzen von stark konjunkturabhängigen oder vorübergehenden Einnahmequellen abhängig geworden. Dies war, als die Wirtschaftstätigkeit drastisch zurückging, die staatlichen Ausgaben aber weitgehend auf dem ursprünglich geplanten Niveau blieben, einer der Gründe für den Einbruch bei den staatlichen Einnahmen. Die Mitgliedstaaten ließen die automatischen Stabilisatoren ihre volle Wirkung entfalten, so dass die Folgen der weltweiten Krise für die Realwirtschaft abgefedert werden konnten. Dies reichte jedoch nicht aus, um den Nachfragerückgang zu verkraften und das Risiko eines Zusammenbruchs der Finanzsysteme abzuwenden; deshalb haben die meisten Regierungen in der EU darüber hinaus diskretionäre Konjunkturmaßnahmen im Kontext des gemeinsamen Rahmens getroffen, der durch das von der Europäischen Kommission im Dezember 2008 lancierte europäische Konjunkturprogramm geschaffen wurde. 

Der jüngste zusätzliche Druck auf die öffentlichen Finanzen verstärkt die negativen Auswirkungen, die die demografische Alterung auf die öffentlichen Finanzen hat. Diese Entwicklung war bereits seit langem abzusehen und wird, wenn nicht bald Reformen auf den Weg gebracht werden, langfristig unausweichlich zu einer erheblichen Belastung für die Haushalte werden, so dass sich die ohnehin bereits beunruhigende Haushaltslage weiter verschärfen wird. Bei unveränderter Politik wird sich den Projektionen zufolge die staatliche Unterstützung für ältere Menschen in Form von Rentenzahlungen und anderen Altersversorgungsleistungen (Gesundheitsversorgung und Langzeitpflege) in der EU in den kommenden 50 Jahren um rund 4½ Prozentpunkte des BIP erhöhen. In etwa einem Drittel der Mitgliedstaaten wird der Anstieg der alterungsbedingten öffentlichen Ausgaben wahrscheinlich mehr als 7 Prozentpunkte des BIP betragen.

Die Krise hat nur zum Teil und auch nur vorübergehend eine Korrektur der vor Ausbruch der Krise in vielen Mitgliedstaaten bestehenden erheblichen makroökonomischen Ungleichgewichte bewirkt. Die aktuelle Rezession hat dazu geführt, dass Nachfrageüberschüsse abgebaut und bestimmte Divergenzen fördernde Faktoren (wie Immobilienblasen und Kreditwachstum) beseitigt oder eingedämmt wurden, so dass sich die Leistungsbilanzdefizite verringert haben. Nichtsdestoweniger sind die Leistungsbilanzdefizite nach wie vor beträchtlich, insbesondere im Euroraum, und es ist auch nicht davon auszugehen, dass sich dies in absehbarer Zeit ändert (siehe Schaubild 9). EU-Länder mit hohem Defizit (bzw. Überschuss) in der Waren- und Dienstleistungsbilanz bei Ausbruch der Krise wiesen in der Regel auch noch zwei Jahre später, nachdem bereits eine wirtschaftliche Erholung eingesetzt hatte, ein Defizit (bzw. einen Überschuss) aus (siehe Schaubild 10). Gründe hierfür sind zum Teil strukturelle Schwächen wie eine schwache Inlandsnachfrage (in Ländern, die einen Überschuss ausweisen) und eine geringe Preis- und Kostenwettbewerbsfähigkeit, die häufig mit einem hohen Schuldenstand verbunden ist (in Ländern, die ein Defizit ausweisen).

Schaubild 9: Zusammensetzung der Leistungsbilanz

Schaubild 10: Waren- und Dienstleistungsbilanz und prognostizierte Veränderung bis 2010

(positive Werte = Überschuss; negative Werte = Defizit; in % des BIP)

Quelle: Herbstprognose der GD ECFIN

Anmerkung: Die Einstufung der dem Euroraum angehörenden Mitgliedstaaten als Überschuss- oder Defizitländer erfolgt auf der Grundlage ihrer Leistungsbilanzposition im Jahr 2006.



Unterschiedlicher politischer Handlungsbedarf in den Mitgliedstaaten

Schaubild 11: Unterschiedliche Ausgangsbedingungen im Jahr 2010

Öffentliches Defizit / Nettoeinfuhr von Waren und Dienstleistungen**

 

Öffentlicher Schuldenstand / Leistungsbilanzdefizit*

Quelle: Herbstprognose der GD ECFIN

* Leistungsbilanzdefizit bedeutet Nettokreditaufnahme gegenüber dem Rest der Welt (Leistungsbilanztransaktionen plus Kapitaltransaktionen). Das Leistungsbilanzdefizit gibt Aufschluss über die jährliche Veränderung bei der Auslandsverschuldung.

** Nettoeinfuhr von Waren und Dienstleistungen wird auch „negativer Außenbeitrag“ genannt. Der Außenbeitrag wird unmittelbar von der Preiswettbewerbsfähigkeit beeinflusst. Der Überschuss für LU übersteigt 30 % des BIP; der betreffende Wert befindet sich außerhalb des von dem Diagramm erfassten Bereichs.

Die haushaltspolitischen und außenwirtschaftlichen Rahmenbedingungen waren für die EU-Mitgliedstaaten höchst unterschiedlich, so dass es maßgeschneiderter Maßnahmen bedarf. Schaubild 11, das lediglich der Veranschaulichung dient, zeigt anhand verschiedener Indikatoren, dass einige Mitgliedstaaten vor besonders großen Herausforderungen stehen, was die Anpassung ihrer nicht tragfähigen öffentlichen Finanzen und die Korrektur ihrer außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte betrifft. Eine Einheitslösung wäre nicht zielführend; bei der Festlegung der Prioritäten der Mitgliedstaaten für den Zeitraum 2011-2012 sollte unter anderem den Risiken für die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und der Notwendigkeit, Ungleichgewichte zu korrigieren, Rechnung getragen werden. Mitgliedstaaten, in denen erhebliche Haushalts- und/oder makroökonomische Ungleichgewichte bestehen, sind in der Wahl der politischen Optionen stark eingeschränkt und sollten ihre Anstrengungen in erster Linie auf die Korrektur dieser Ungleichgewichte konzentrieren. Mitgliedstaaten, die nicht mit größeren makroökonomischen Problemen oder erkennbaren Risiken konfrontiert sind, sollten Verbesserungen bei den längerfristigen Wachstumstreibern anstreben und gleichzeitig künftige Ungleichgewichte verhindern.

2.Die Staatsverschuldung durch eine rigorose und nachhaltige Haushaltskonsolidierung eindämmen

Die Konsolidierung muss jetzt erfolgen

Schaubild 12: Strukturelle Defizite und mittelfristige Haushaltsziele

(in % des BIP)

Zwar hat die Krise die öffentlichen Haushalte in allen EU-Mitgliedstaaten in Mitleidenschaft gezogen, doch stellt sich die Lage der öffentlichen Finanzen von einem Mitgliedstaat zum anderen sehr unterschiedlich dar. Wie aus Schaubild 12 ersichtlich, ist in zwölf Mitgliedstaaten der Abstand des strukturellen Defizits (konjunkturbereinigt und ohne einmalige Maßnahmen) vom mittelfristigen Haushaltsziel („medium-term budgetary objective“, MTO) besonders groß (mehr als 5 Prozentpunkte des BIP). Mitgliedstaaten, die bereits vor dem beispiellosen Konjunktureinbruch einen vorsichtigeren haushaltspolitischen Kurs eingeschlagen hatten, befinden sich in einer vergleichsweise günstigeren Situation. Sie verfügten über einen größeren haushaltspolitischen Spielraum, um der Rezession zu trotzen, und haben somit in der Krise nur geringere Haushaltsungleichgewichte aufgebaut.

Eine Rücknahme der in der Krise gesetzten diskretionären fiskalischen Impulse wird nicht ausreichen, um die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen wiederherzustellen. Negativ auf die Schuldenquote auswirken werden sich nicht nur die Kumulierung öffentlicher Defizite, sondern auch die absehbaren impliziten Verbindlichkeiten im Zusammenhang mit der demografischen Alterung und das zu erwartende langsame mittelfristige Wachstum im Euroraum und in der EU insgesamt. Zudem haben die öffentlichen Schuldenquoten in der EU inzwischen zum Teil einen Stand erreicht, bei dem eine zusätzliche staatliche Kreditaufnahme das Wirtschaftswachstum eher hemmt als ankurbelt. Die Bedienung hoher Staatsschulden erfordert höhere – potenziell verzerrend wirkende – Steuern oder verhindert aufgrund der höheren Zinsaufwendungen produktive Staatsausgaben oder auch beides. Mit dem Aufbau weiterer Schulden dürften auch die Risikoaufschläge für Staatsanleihen weiter steigen, wodurch die Schuldendienstbelastung weiter erhöht, eine unnachhaltige Dynamik in Gang gesetzt und letztlich die Zahlungsfähigkeit der Staaten auf den Finanzmärkten in Zweifel gezogen würde. 

Es sind beträchtliche Anpassungsanstrengungen erforderlich, um die öffentlichen Finanzen wieder auf den Pfad der Nachhaltigkeit zu bringen; entsprechende Anstrengungen sollten durch wachstumspolitische Maßnahmen ergänzt werden. Einfache Simulationen zeigen, dass eine jährliche Verbesserung des strukturellen Haushaltssaldos um 0,5 % des BIP – der vereinbarten Benchmark im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts – in vielen EUMitgliedstaaten eindeutig nicht ausreichen würde, um die Schuldenquote in absehbarer Zukunft an den im Vertrag festgelegten Referenzwert von 60 % des BIP heranzuführen (siehe Schaubild 13). Erst haushaltspolitische Korrekturen in einer Größenordnung von 1 % des BIP pro Jahr oder mehr würden die Schuldenquote – in Prozent des BIP – in den kommenden zwei Jahrzehnten auf einen soliden Abwärtspfad bringen. Eine Haushaltskonsolidierung ist zwar unbedingt notwendig, aber unter Umständen nicht immer ausreichend, um die negative Schuldendynamik rasch und dauerhaft umzukehren. Eine zwingende Vorbedingung für höhere Steuereinnahmen und weniger Ausgaben für Arbeitslosigkeit ist ein kräftigeres Produktionswachstum. Damit würde automatisch auch der Schuldenstand als Anteil am BIP gesenkt.

Schaubild 13: Projektion des öffentlichen Schuldenstands in der EU

Prozentsatz des BIP 

Anmerkung: Bei den Projektionen wurden die derzeitigen Konsolidierungsraten der Mitgliedstaaten bis zur Erreichung ihrer mittelfristigen Haushaltsziele (MTO) zugrunde gelegt.

Somit stehen die Finanzpolitiker in der EU vor einer gewaltigen doppelten Herausforderung: Zum einen gilt es, die Fiskalpolitik wieder auf den Pfad der Nachhaltigkeit zu bringen, zum anderen müssen kurzfristig Wirtschaftswachstum und Beschäftigung gesichert bzw. gefördert werden. Unter den derzeitigen Bedingungen besteht Grund zu der Annahme, dass sich die Sanierung der öffentlichen Finanzen mittelfristig positiv auf das Wirtschaftswachstum auswirken wird. Mit einer haushaltspolitischen Anpassung noch zu warten würde das Problem nur hinausschieben und verschärfen. Dadurch würden unsere Möglichkeiten ernsthaft eingeschränkt, unsere Zukunft aktiv zu gestalten; für künftige Generationen wäre dies eine schwere Hypothek.

Auch wenn nicht in allen Mitgliedstaaten die gleiche Dringlichkeit geboten ist, bleibt die Haushaltskonsolidierung nach wie vor eine zentrale politische Priorität für alle. Im Jahr 2010 hat die Fiskalpolitik weiterhin die aggregierte Nachfrage in der EU und im Euroraum gestützt. Da davon auszugehen ist, dass die wirtschaftliche Erholung in den kommenden Jahren schrittweise an Dynamik gewinnt, ist es nun an der Zeit, den politischen Kurs zu ändern. Mitgliedstaaten mit einem sehr hohen strukturellen Haushaltsdefizit oder mit einer sehr hohen Schuldenquote sollten den Anpassungsprozess möglichst früh in den Jahren 2011-2012 auf den Weg bringen. Dies gilt insbesondere für Mitgliedstaaten, die sich in einer schweren finanziellen Notlage befinden: Einige Mitgliedstaaten, wie etwa Griechenland und Irland, werden die Anpassungsmaßnahmen in beiden Jahren beschleunigt vorantreiben, wohingegen Spanien und Portugal dies erst im Jahr 2012 tun werden.

Schlüsselelemente einer dauerhaften und wachstumsfreundlichen Konsolidierung

Die Geschichte ist reich an Beispielen dafür, wie eine erfolgreiche, langfristige fiskalische Konsolidierung zum Wohle der öffentlichen Finanzen und des wirtschaftlichen Wachstums vorgenommen werden kann. Die Erfahrung hat uns gelehrt, dass fünf direkt miteinander verknüpfte Faktoren über Erfolg oder Misserfolg fiskalpolitischer Maßnahmen entscheiden können: konkrete Ausgestaltung der fiskalischen Anpassung, Glaubwürdigkeit der fiskalpolitischen Strategie, institutioneller Kontext, flankierende politische Initiativen und gesellschaftliche Lastenverteilung.

(1)Konkrete Ausgestaltung der fiskalischen Anpassung: Dies ist ohne Frage der wichtigste und entscheidende Faktor für eine erfolgreiche fiskalische Konsolidierung. Korrekturen, die auf der Ausgabeseite ansetzen, insbesondere bei den aktuellen Primärausgaben, versprechen eher eine langfristige Verbesserung der öffentlichen Finanzen und ermöglichen „mildere“ und unter gewissen Umständen sogar positive Impulse für das kurzfristige Wirtschaftswachstum als Anpassungen auf der Einnahmenseite. Ausgabenkürzungen haben weniger verzerrende Auswirkungen auf das Wachstum als Steuererhöhungen; die Steuerlast ist in der EU ohnehin bereits hoch, auch wenn erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten bestehen. Zudem sind Ausgabenkürzungen ein klareres Zeichen für die Konsolidierungsbemühungen der Regierung und stärken die finanzpolitische Glaubwürdigkeit der Maßnahmen. Einnahmenerhöhungen und Kürzungen der Investitionsausgaben sind zwar politisch einfacher durchzusetzen, belasten jedoch die mittel- bis langfristigen Wachstumsaussichten einer Volkswirtschaft und werden oft wieder rückgängig gemacht. In vielen Mitgliedstaaten muss die Ausgabenkontrolle durch Maßnahmen zur Einnahmenerhöhung ergänzt werden. Auch der Qualität der Besteuerung muss gebührende Aufmerksamkeit geschenkt werden. Die Steuererhebung sollte effizient gestaltet sein, und die negativen Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum müssen auf ein Minimum beschränkt werden, ohne dass der Aspekt der Ausgewogenheit aus den Augen verloren wird. Eine Ausweitung der Steuerbemessungsgrundlage, z. B. durch Abschaffung von Steuerbefreiungen oder gutschriften mit nachteiligen Umweltauswirkungen, ist einer Anhebung der Steuersätze vorzuziehen. Einigen bestehenden Steuerausgaben fehlt es an einer soliden wirtschaftlichen Grundlage oder sie bieten Anreize, die nicht mehr den ursprünglichen Zielen der Steuermaßnahme entsprechen. Steuern auf unbewegliches Vermögen sowie Verbrauchsteuern (einschließlich Umweltsteuern) haben die geringste verzerrende Wirkung, während höhere Einkommensteuer- und Körperschaftsteuersätze Wachstum erschweren können.

(2)Glaubwürdigkeit der fiskalpolitischen Strategie: Überzeugende und glaubwürdige Konsolidierungspläne wecken bei den Privathaushalten und der Privatwirtschaft die Hoffnung auf niedrigere Realzinssätze und Steuerverbindlichkeiten. Potenziell können sie also höhere Konsumausgaben der Privathaushalte und höhere Investitionsausgaben der Privatwirtschaft herbeiführen. Gestärkt werden kann die Glaubwürdigkeit eines sich über mehrere Jahre erstreckenden Konsolidierungsplans durch im Vorfeld erlassene Rechtsvorschriften, in denen sukzessiv aufeinander folgende Maßnahmen festgelegt sind, die den geplanten mehrjährigen Anpassungsprozess unterstützen.

(3)Finanzpolitische Institutionen: Der Erfolg der fiskalischen Konsolidierung hängt auch davon ab, inwieweit es der Regierung gelingt, die vereinbarten finanzpolitischen Maßnahmen tatsächlich über geeignete nationale fiskalische Rahmenvorgaben umzusetzen. Inwieweit Regierungen in der Lage sind, fiskalpolitische Konsolidierungsprogramme aufzustellen und wirksam umzusetzen, ohne übermäßige politische und wirtschaftliche Spannungen hervorzurufen, hängt nämlich auch von der Qualität der institutionellen und verfahrenstechnischen Vorkehrungen für haushaltspolitische Maßnahmen (z. B. Steuerregeln und mehrjährige fiskalpolitische Rahmenvorgaben) ab.

(4)Flankierende Maßnahmen: Haushaltspolitische Maßnahmen stehen in der Regel in direkter Wechselwirkung mit anderen wirtschaftspolitischen Instrumenten – auch im Falle der fiskalpolitischen Konsolidierung. Strukturelle Reformen, die parallel zur fiskalischen Konsolidierung durchgeführt werden, erhöhen die Chancen auf eine erfolgreiche fiskalische Korrektur und dienen kurzfristig auch der Sicherung des Wirtschaftswachstums. Strukturreformen unterstützen die fiskalische Konsolidierung in zweierlei Hinsicht: direkt, indem sie bestehende Ausgabentrends eindämmen bzw. abschwächen, und indirekt, indem sie das Funktionieren der Märkte verbessern, die letztlich die Wirtschaftstätigkeit tragen. Den dauerhaften Charakter einer fiskalischen Anpassung gewährleistet im Grunde die Strukturreformkomponente. Einige Strukturreformen, insbesondere die Reformen der Rentensysteme, könnten sich bereits mittelfristig positiv auf die öffentlichen Finanzen auswirken, indem sie eine Ausgabensenkung ermöglichen und das Arbeitskräfteangebot erhöhen.

(5)Sozial ausgewogene fiskalische Anpassungen: Nur mit soliden öffentlichen Haushalten kann verhindert werden, dass unsere sozialen Sicherungssysteme durch eine außer Kontrolle geratende Staatsverschuldung ins Wanken geraten. Um die erforderliche politische Akzeptanz zu erreichen, müssen die Lasten der fiskalischen Anpassung fair zwischen den verschiedenen Gesellschaftsschichten verteilt werden. Anpassungen, die auf bestimmte Interessengruppen ausgerichtet sind, würden bei jeder neuen Regierungsbildung geändert werden, was die Nachhaltigkeit einer jeden fiskalischen Anpassung unterminieren würde.

Politische Prioritäten

In Anbetracht der vorgenannten politischen Herausforderungen besteht 2011–2012 in folgenden Bereichen besonderer Handlungsbedarf:

Auf EU-Ebene sollten die Vorschläge für Rechtsvorschriften zur Stärkung der wirtschaftlichen Governance in dem von Rat und Parlament vereinbarten Schnellverfahren angenommen werden.

Alle EU-Mitgliedstaaten müssen 2011 unbedingt mit der Konsolidierung ihrer öffentlichen Finanzen beginnen bzw. ihre diesbezüglichen Maßnahmen fortsetzen. Die fiskalische Konsolidierung sollte einem ehrgeizigen Zeitplan folgen und in den meisten Mitgliedstaaten deutlich über die für eine strukturelle Verbesserung anvisierte Benchmark von jährlich 0,5 % des BIP hinausgehen. Mitgliedstaaten mit einem sehr hohen strukturellen Haushaltsdefizit oder einer sehr hohen Schuldenquote und Mitgliedstaaten, die sich in einer schweren finanziellen Notlage befinden, sollten 2011 möglichst früh die erforderlichen Abhilfemaßnahmen in Angriff nehmen. Im Falle eines Wirtschaftswachstums oder von Einnahmen, die höher als erwartet ausfallen, sollte die fiskalische Konsolidierung beschleunigt werden.

Mitgliedstaaten, gegen die ein Defizitverfahren läuft, sollten die Ausgabenentwicklung und die generell geplanten Maßnahmen zum Abbau ihres übermäßigen Defizits festlegen.

Alle Mitgliedstaaten sollten vor allem die Staatsausgaben anpassen, gleichzeitig aber ihre wachstumsfördernden Ausgaben (z. B. für öffentliche Infrastrukturen, Bildung, Forschung und Innovation) aufrechterhalten. Alle Mitgliedstaaten, insbesondere jene, gegen die ein Defizitverfahren läuft, sollten eine vorsichtige Haushaltspolitik verfolgen und die öffentlichen Ausgaben konsequent unter der mittelfristigen Trendwachstumsrate des BIP halten. Ergänzend sollten Maßnahmen zur Steigerung der Kosteneffizienz der öffentlichen Ausgaben ergriffen werden. Bei besonders dringendem Anpassungsbedarf wären Ausgabenkürzungen angezeigt. Alle Mitgliedstaaten müssen nachweisen, dass ihren Stabilitäts- bzw. Konvergenzprogrammen vorsichtige Wachstums- und Einnahmeprognosen zugrunde liegen.

Sollte ein Beitrag aus Steuern erforderlich sein, müssen die wirtschaftlichen Verzerrungen so gering wie möglich gehalten werden. Unabhängig von der Höhe der Steuerlast sollten die Steuersysteme mit Blick auf eine beschäftigungs-, umwelt- und wachstumsfreundlichere Ausgestaltung geprüft werden; denkbar wären z. B. „grüne Steuerreformen“, die eine Erhöhung der Umweltsteuern bei gleichzeitiger Senkung anderer Steuern – mit stärker verzerrender Wirkung – vorsehen. Eine Ausweitung der Steuerbemessungsgrundlage ist einer Erhöhung der Steuersätze vorzuziehen.

Rentenreformen, in deren Rahmen unter anderem auch das effektive Rentenalter angehoben wird, sollten unverzüglich erlassen und umgesetzt werden, damit die Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen sichergestellt und die Zahl der Erwerbstätigen erhöht werden kann. Die Gesundheitssysteme müssen einer strengen Kontrolle unterzogen und, falls erforderlich, reformiert werden, um insbesondere mit Blick auf die demografische Alterung eine höhere Kosteneffizienz und Nachhaltigkeit zu erzielen. 

Die Mitgliedstaaten werden ermutigt, ihre nationalen fiskalischen Rahmenvorgaben zu verbessern, die sich auf ihre Systeme der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen und Statistiken sowie ihre makroökonomischen Prognosen und Haushaltsprognosen, ihre numerischen Haushaltsregeln, ihre mittelfristigen Haushaltsvorgaben, die Transparenz der gesamtstaatlichen Finanzen und den Deckungsgrad der haushaltspolitischen Rahmenvorgaben beziehen.

3.Schnelle Sanierung des Finanzsektors, um den Weg zur Konjunkturerholung zu ebnen

Schaubild 14: Kreditvolumen der Banken in der EU

Quelle: EZB

Es besteht eine enge Korrelation zwischen einem gesunden Kreditwachstum und einer nachhaltigen wirtschaftlichen Entwicklung. Seit Beginn der Finanzkrise ist das Kreditwachstum verhalten, insbesondere was die Kreditvergabe an Unternehmen betrifft. Die Banken haben ihre Bonitätsanforderungen verschärft und der Finanzierungsbedarf der Unternehmen ist angesichts der schlechten wirtschaftlichen Aussichten gering. Seit Anfang 2010 hat die Kreditaufnahme bei zögerlicher Konjunkturerholung wieder etwas angezogen (siehe Schaubild 14). Aus der EZB-Erhebung über die Vergabe von Bankdarlehen (ECB Bank Lending Survey) vom Oktober 2010 geht hervor, dass die Banken die Bonitätsanforderungen an Unternehmen nicht weiter verschärft haben, und auch bei den Kreditkonditionen für Privathaushalte wird eine Lockerung erwartet. Die Kreditvergabebedingungen entsprechen allerdings noch nicht dem, was für eine kräftige wirtschaftliche Erholung erforderlich wäre, insbesondere was die Kredite an nichtfinanzielle Kapitalgesellschaften anbetrifft (siehe Tabelle im Anhang).

Ohne Bilanzbereinigungen wird der Bankensektor seine Kosteneffizienz nicht steigern, seine Wettbewerbsfähigkeit nicht zurückerlangen und nicht zu einem normalen Kreditgeschäft zurückkehren können. Die Gewinnaussichten der Banken sind angesichts des schleppenden Konjunkturaufschwungs, der hohen Risikoexponierung auf dem Immobilienmarkt und der Spannungen auf dem Markt für Staatsanleihen ungewiss. In einigen Mitgliedstaaten hat sich die negative Rückkopplung zwischen Realwirtschaft und Finanzsektor durch die hohe Verschuldung von Privathaushalten und nichtfinanziellen Kapitalgesellschaften noch verstärkt, so dass die Zahl notleidender Kredite erheblich gestiegen ist und kurzfristig noch weiter steigen wird (siehe Schaubild 15). Seit kurzem zeichnet sich eine zögerliche Verbesserung der allgemeinen Lage im Bankensektor ab: zu beobachten sind höhere Gewinne und solidere Kapitalpuffer, die allerdings in einigen Fällen auf staatliche Kapitalspritzen zurückgehen.

Durch einen zügigen Ausstieg aus den umfangreichen staatlichen Unterstützungsmaßnahmen zugunsten von Banken können etwaige Wettbewerbsverzerrungen in der Finanzbranche beseitigt werden. In über der Hälfte der Mitgliedstaaten betrug die staatliche Unterstützung mehr als 5 % des BIP und beinhaltete Maßnahmen wie Kapitalzuführungen, Liquiditätsfazilitäten, Entlastungsmaßnahmen für wertgeminderte Vermögenswerte und Garantien (siehe Schaubild 16). Exit-Strategien für staatliche Unterstützungsmaßnahmen zugunsten von Banken sind bereits eingeleitet worden, wobei ein gewisser Spielraum gelassen wird, um etwaigen makrofinanziellen Stabilitätsbelangen Rechnung tragen zu können. Angesichts der hohen Finanzintegration in der Europäischen Union – in vielen Mitgliedstaaten beträgt das Auslandsvermögen des Bankensektors 50 % des BIP (siehe Schaubild 14) – müssen grenzüberschreitende Auswirkungen der staatlichen Interventionen berücksichtigt werden.

Schaubild 15: Notleidende Kredite in der EU

Prozentualer Anteil am Gesamtkreditvolumen

% des BIP

Schaubild 16: Staatliche Interventionen im EU-Bankensektor 

% des BIP

Quelle: EZB, IWF

Quelle: Dienststellen der Kommission (Januar 2010)

Ohne Vertrauen in den Bankensektor ist eine Aufrechterhaltung der Finanzstabilität nicht möglich. Eines der Instrumente zur Wahrung des Vertrauens bezüglich der Geschwindigkeit der Exit-Strategien ist der Stresstest. Zweck einer solchen Maßnahme ist es, die Widerstandsfähigkeit des Bankensektors im Falle von Ereignissen mit geringer Wahrscheinlichkeit, aber schwerwiegenden Auswirkungen zu erfassen. Es wird geprüft, wie empfindlich der Kapitalpuffer bei widrigen wirtschaftlichen und finanziellen Bedingungen reagiert. Der nächste EU-weite Stresstest, der von strengen Annahmen ausgehen wird, ist für 2011 geplant. Die Ergebnisse werden im Juni 2011 vorliegen. Eine gute Zusammenarbeit zwischen den nationalen Aufsichtsbehörden und den zuständigen Stellen der EU sowie eine klare und transparente Verbreitung der Ergebnisse und ihrer Bedeutung sind in diesem Zusammenhang unverzichtbar. 

Schaubild 17: Auslandsvermögen des Bankensektors

% des BIP

Schaubild 18: Gesamtvermögen des Bankensektors

% des BIP 

Quelle: BIZ, Eurostat

Quelle: EZB

Die jüngste Krise hat eine Lücke in den EU-Rechtsvorschriften für den Bankensektor und den Handlungsbedarf auf EU-Ebene aufgezeigt. Angesichts der Verflechtung der Banken und Finanzinstitute innerhalb der Europäischen Union – aber auch über die Grenzen der EU hinweg – sollten die Entwicklungen im Finanzsektor unbedingt in einem internationalen Kontext verfolgt werden. Am Vermögensbestand des Bankensektors als Prozentsatz des BIP lässt sich ablesen, wie gefährdet einige Mitgliedstaaten im Falle einer systemischen Krise wären und wie unzureichend die fiskalischen Vorkehrungen im Falle schwerwiegender finanzieller Störungen sind (siehe Schaubild 18). Deshalb wurden auf EU-Ebene die Rahmenvorgaben für Finanzregulierung und Finanzaufsicht verschärft; sie sollten schnell umgesetzt werden. Im Oktober 2010 formulierte die Kommission die Ziele eines Rechtsrahmens für das Krisenmanagement im Finanzsektor, der im Frühjahr 2011 im Entwurf vorgelegt werden wird. Das übergeordnete Ziel besteht darin, Banken – unabhängig von ihrer Größe – in die Insolvenz gehen zu lassen, ohne dass die Fortsetzung zentraler Bankdienstleistungen gefährdet ist, die Auswirkungen der betreffenden Insolvenz auf das Finanzsystem so gering wie möglich zu halten und zusätzliche Kosten für die Steuerzahler zu verhindern. Nur so kann dem Problem des „Moral Hazard“ begegnet werden, das aus der Annahme erwächst, dass bestimmte Banken „too big to fail“ („zu groß, um zu scheitern“) seien. Die Behörden müssen nicht nur mit gemeinsamen und wirksamen Instrumenten und Befugnissen ausgestattet werden, damit sie angemessen auf eine Bankenkrise reagieren können, sondern es muss auch eine reibungslose Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den EU-Organen – sowohl im Vorfeld als auch während einer Krise – sichergestellt werden.

Die Mitgliedstaaten des Euroraums werden einen ständigen „Europäischen Stabilitätsmechanismus“ (ESM) einrichten, der für Finanzstabilität im Euroraum sorgen soll und der den derzeitigen Europäischen Stabilitätsmechanismus, der aus der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) und dem Europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus (EFSM) besteht und bis Juni 2013 in Kraft bleibt, ersetzen wird. 

Mit dem Basel III-Regelwerk wurden zur Stärkung der makrofinanziellen Stabilität strengere Auflagen für die Eigenkapitalausstattung von Banken eingeführt. Im September 2010 kündigte der Basler Ausschuss für Bankenaufsicht eine erhebliche Verschärfung der bestehenden Eigenkapitalabgrenzung an. Nach der neuen Abgrenzung wird das Kapital der Banken generell niedriger sein, so dass die Banken noch mehr Eigenkapital aufbringen müssen, um die aufsichtsrechtlichen Mindestanforderungen zu erfüllen. Zusätzlich zu den strengeren Definitionen werden die Mindestkapitalanforderungen schrittweise erhöht werden.

Politische Prioritäten

In Anbetracht der vorgenannten politischen Herausforderungen besteht 2011-2012 in folgenden Bereichen besonderer Handlungsbedarf. Eine Koordinierung auf EU-Ebene ist dabei von zentraler Bedeutung.

Eine Restrukturierung der Banken, insbesondere derjenigen, die umfangreiche staatliche Beihilfen erhalten haben, ist für die Wiederherstellung ihrer langfristigen Existenzfähigkeit und die Gewährleistung eines funktionierenden Kreditwesens von größter Bedeutung. Die Bankenrestrukturierung dient der Finanzstabilität und sichert die Kreditvergabe an die Realwirtschaft. Die staatliche finanzielle Unterstützung des Bankensektors als Ganzem sollte schrittweise und unter Berücksichtigung von Finanzstabilitätsgesichtspunkten eingestellt werden.

Für einen dauerhaften Mechanismus zur Bewältigung staatlicher Schuldenkrisen sind weitere Fortschritte erforderlich, damit die Finanzmärkte beruhigt und stabilisiert werden können. Ab 2013 wird der neue Europäische Stabilitätsmechanismus Stabilität in die Märkte bringen. Er ist eine Ergänzung zu den neuen Rahmenvorgaben für eine verstärkte wirtschaftliche Governance, die eine wirksame und strenge wirtschaftspolitische Überwachung herbeiführen sollen (hierzu zählt auch die Überprüfung der Wirksamkeit der derzeitigen Rettungsschirme).

Die Umsetzung der Finanzreformen muss fortgesetzt werden. Dies beinhaltet auch eine Stärkung der Rahmenvorgaben für Finanzregulierung und Finanzaufsicht und die Vermeidung eines Marktversagens, wie es die Krise zutage gebracht hat. Auf EU-Ebene müssen die Rechtsvorschriften weiter ausgebaut werden, während der Europäische Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) und die Europäischen Finanzaufsichtsbehörden, die ab 2011 ihre Arbeit aufnehmen werden, zur Verbesserung der Finanzaufsicht beitragen werden.

Die Banken müssen ihre Eigenkapitalbasis schrittweise erhöhen, damit sie im Falle negativer Schocks widerstandsfähiger sind, wie es auch das neue Basel III-Regelwerk vorsieht. Darüber hinaus ist für 2011 ein ehrgeizigerer und strengerer EU-weiter Stresstest geplant, mit dem die Widerstandsfähigkeit des Bankensektors gemessen werden soll.

4.Strukturreformen zur Wachstumsförderung und zur Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte

Strukturreformen haben eine doppelte Funktion: Sie sollten die wichtigsten Triebkräfte des Wirtschaftswachstums mobilisieren und gleichzeitig Ungleichgewichte verhindern bzw. korrigieren – eine unabdingbare Voraussetzung für Wachstum. Strukturreformen können Beschäftigung und Arbeitsproduktivität steigern. Kurzfristig können Strukturreformen auch zur Wiederherstellung von Wettbewerbsfähigkeit und zum Abbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte beitragen, indem starre Preis- und Lohnstrukturen abgebaut werden. Maßnahmen, die die Reallokation von Arbeit und Kapital zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen und Unternehmen erleichtern, sind sowohl für das Wachstum als auch den Abbau außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte von größter Bedeutung. Während viele Strukturmaßnahmen sowohl wachstumspolitische als auch makroökonomische Anpassungen unterstützen können, greifen einige Maßnahmen (z. B. in der Bildungspolitik) erst nach längerer Zeit und sollten deshalb genutzt werden, um die Triebkräfte langfristigen Wirtschaftswachstums zu mobilisieren. Dies soll allerdings nicht bedeuten, dass derartige Maßnahmen „auf die lange Bank geschoben’“ werden sollten.

Beschleunigung der Reformen, um Wachstum und Beschäftigung zu beleben

Ohne konsequente Maßnahmen wird das Potenzialwachstum im nächsten Jahrzehnt schwach bleiben 2 . Prognosen für den Zeitraum 2011–2020 sagen für die EU der 27 ein durchschnittliches Potenzialwachstum von ca. 1½ % voraus, wenn keine politischen Änderungen erfolgen sollten (siehe Schaubild 19). Dies liegt deutlich unter den Wachstumsraten, die in den letzten zwei Jahrzehnten für die EU verzeichnet wurden und die überdies weit unter jenen der USA liegen. Gründe hierfür sind die ungenügende Nutzung des Arbeitskräftepotenzials unmittelbar nach der Krise sowie der durch die Bevölkerungsalterung bedingte Rückgang des Arbeitskräfteangebots zum Ende dieses Zeitraums und das relativ schwache Produktivitätswachstum in der EU der 27. Die meisten Mitgliedstaaten wurden hart von der Krise getroffen, was sich in der Kapitalakkumulation wie auch der Nutzung des Arbeitskräftepotenzials niederschlägt. Es steht zu erwarten, dass bis Ende der Dekade die Arbeitskräftezahlen aufgrund der demografischen Alterung zurückgehen.

Schaubild 19: Potenzialwachstum bis 2020 in der EU der 27

Makroökonomisches Szenario nach dem Produktionsfunktionsansatz

Quelle: Herbstprognose der GD ECFIN

Die Wachstumsaussichten bestätigen bisherige Trends und sind noch pessimistischer für den Euroraum. Im Zeitraum 2001–2010 lag das Potenzialwachstum im Euroraum bei durchschnittlich 1,6 % gegenüber 1,8 % in der EU der 27 (siehe Schaubild 20). Für den Euroraum zeichnet sich für die nächste Dekade mit einem prognostizierten Produktions- und Produktivitätswachstum von jeweils durchschnittlich rund 1¼ % ein besonders düsteres Bild ab. Die Prognosen für die Nutzung des Arbeitskräftepotenzials ähneln hingegen sehr denen für die EU insgesamt.

Schaubild 20: Potenzialwachstum bis 2020 im Euroraum 

Makroökonomisches Szenario nach dem Produktionsfunktionsansatz

Quelle: Herbstprognose der GD ECFIN

Die letzten Wirtschafts- und Finanzkrisen haben gezeigt, dass es dringend politischer Antworten bedarf. So waren die schweren Rezessionen, die 1991 Schweden und Finnland erschütterten, nur von kurzer Dauer und bewirkten keinen Rückgang des potenziellen Produktionswachstums. Dies ist unter anderem den grundlegenden Umstrukturierungen zu verdanken, die diese Länder in ihren Wirtschaftssystemen vornahmen. Demgegenüber kam es in Japan in den 1990er Jahren aufgrund einer unzureichenden politischen Reaktion auf die damalige Finanzkrise und eines zunehmenden von den Schwellenländern ausgehenden Wettbewerbsdrucks zu einer Verlangsamung des langfristigen Potenzialwachstums.

Sowohl auf nationaler als auch EU-Ebene besteht dringender Handlungsbedarf. Politische Maßnahmen auf EU-Ebene können zur Wachstumsförderung beitragen, indem sie zum Beispiel den Binnenmarkt stärken und günstigere Investitionsbedingungen schaffen. Wenn die größten Wachstumshindernisse mittelfristig beseitigt werden sollen, müssen in allen Mitgliedstaaten im Vorfeld Strukturreformen vorgenommen werden (nähere Ausführungen hierzu befinden sich im Fortschrittsbericht zu Europa 2020 im Anhang des Jahreswachstumsberichts).

Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte und Wiederherstellung der Rahmenbedingungen für Wachstum

Die Bewältigung außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte ist für den Euroraum besonders wichtig und wird weitreichende Strukturreformen erfordern, die auf eine Beschleunigung und Verbesserung der Anpassungen ausgerichtet sein müssen. Diese Korrekturen sind für die EU, vor allem aber auch für den Euroraum als Währungsunion, von entscheidender Bedeutung. Ungleichgewichte in einigen Mitgliedstaaten des Euroraums können zudem der Glaubwürdigkeit der einheitlichen Währung schaden. In vielen verschiedenen Bereichen (u. a. auf den Arbeits-, Produkt- und Dienstleistungsmärkten) sind wirtschaftspolitische Maßnahmen vonnöten. Je nach Mitgliedstaat werden sehr unterschiedliche Maßnahmen erforderlich sein, die genauestens auf die spezifischen Schwachpunkte und Erfordernisse des betreffenden Landes ausgerichtet sein und gleichzeitig den potenziellen Auswirkungen auf die gesamte EU Rechnung tragen müssen. Grundsätzlich sollten die strukturpolitischen Maßnahmen den Volkswirtschaften mehr Flexibilität verleihen, damit sie auf einen etwaigen Anpassungsbedarf in der EU reagieren können.

Schaubild 21: Netto-Auslandsverbindlichkeiten – Mitgliedstaaten des Euroraums 

in % des BIP 

Schaubild 22: Netto-Auslandsverbindlichkeiten – Mitgliedstaaten, die nicht dem Euroraum angehören

in % des BIP (anderer Maßstab als in Schaubild 21) 

Anmerkung: Für Zypern, das Vereinigte Königreich, Malta und Luxemburg lagen keine Daten vor.

Für Mitgliedstaaten mit hohem Leistungsbilanzdefizit, schwacher Wettbewerbsfähigkeit und geringen Anpassungskapazitäten werden umfangreiche Preis- und Kostenanpassungen erforderlich sein, um ihre Wettbewerbsfähigkeit im In- und Ausland wiederherzustellen. Ein aufschlussreicher Anhaltspunkt für die Bewertung der Tragfähigkeit der derzeitigen Leistungsbilanzdefizite ist die Nettoauslandsposition als Maß für die Höhe der Auslandsverschuldung (siehe Schaubilder 21 und 22). Trotz des Abbaus der derzeitigen Leistungsbilanzdefizite im Anschluss an die Krise steigen nach wie vor die Schulden hoch defizitärer Mitgliedstaaten gegenüber dem Rest der Welt. Während Marktmechanismen eine Anpassung durch einen massiven Rückgang der Inlandsnachfrage und einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit befördern könnten, würde eine geeignete Lohnpolitik eine schnellere und weniger schmerzliche Anpassung bewirken. Zu den lohnpolitischen Maßnahmen würden Änderungen der Lohnindexierungsregeln, geeignete Signale durch Lohnvereinbarungen im öffentlichen Sektor und effizientere Lohnfindungsmechanismen zählen. Es werden aber auch Produktmarktreformen erforderlich sein, um nominale Rigiditäten zu beseitigen und die Endverbraucherpreise durch Minderung der enthaltenen Gewinne (d. h. geringere Gewinnaufschläge auf die Kosten) zu senken. Die vollständige Umsetzung der Dienstleistungsrichtlinie, die den Wettbewerb für regulierte Dienstleistungen stärken wird, ist ein besonders wichtiger politischer Schritt. In diesem Zusammenhang sind auch Strategien zur Stärkung der nichtpreislichen Wettbewerbsfähigkeit wichtig.

Maßnahmen zur Behebung nominaler Rigiditäten müssten durch Strukturmaßnahmen ergänzt werden, die eine Reallokation von Arbeit zwischen Unternehmen und Wirtschaftszweigen ermöglichen. Wenn die Wirtschaft auf einen nachhaltigeren Weg gebracht werden soll, müssen alle Entgleisungen der Vergangenheit korrigiert und folglich nicht nur der Preiswettbewerb der Exportbranche gestärkt und die relativen Preise für nicht handelbare Güter gesenkt werden. Die Anpassung der Preise wird mit einer Umschichtung von Kapital und Arbeitsressourcen vom Sektor für nicht handelbare Güter hin zum Sektor für handelbare Güter einhergehen, der dem ausländischen Wettbewerb direkt ausgesetzt ist. In der Arbeitsmarktpolitik beinhaltet diese Reallokation eine Anpassung des Arbeitnehmerschutzes und bessere finanzielle Anreize, um Arbeitslose zur Beschäftigungsaufnahme zu motivieren. Diese Reallokation wird durch relative Lohnanpassungen zwischen den Wirtschaftszweigen für handelbare und nicht handelbare Güter gestützt. In diesem Zusammenhang haben aktive Arbeitsmarktpolitiken eine unterstützende Funktion. Dabei gilt es, die Arbeitsvermittlungsagenturen in ihrer Arbeit zu stärken, Aus- und Fortbildungsmaßnahmen anzubieten und die aktive Arbeitsmarktpolitik besser auf die schwächsten Gruppen auszurichten. Die Verbesserung der Rahmenbedingungen für Unternehmen (einschließlich der Stärkung des Wettbewerbs bei regulierten Dienstleistungen und der weiteren Verringerung des Verwaltungsaufwands) könnten die Kapitalmobilität zugunsten der produktivsten Branchen fördern.

In Mitgliedstaaten mit hohem Leistungsbilanzüberschuss müssen die Ursachen für die anhaltend geringe Inlandsnachfrage ermittelt werden. Die neuesten Daten sind ermutigend und lassen erkennen, dass eine Anpassung erfolgt: die Inlandsnachfrage gewinnt zunehmend an Dynamik und der Prozess der Bilanzanpassungen (in den Unternehmen) nähert sich seinem Ende. Wo die Inlandsnachfrage nach wie vor aus politischen Gründen oder aufgrund eines Marktversagens eher verhalten ist, sollten geeignete Maßnahmen ergriffen werden. In Frage kämen unter anderem eine weitere Liberalisierung der Dienstleistungsbranche und Maßnahmen zur Verbesserung des Investitionsklimas.

Es müssen Maßnahmen ergriffen werden, die verhindern, dass sich derartige Ungleichgewichte in der Zukunft wiederholen. Es muss den Ursachen für das übermäßige Kreditwachstum und die Vermögenspreisblasen auf den Grund gegangen werden. Eine der größten Herausforderungen für die wirtschaftspolitischen Entscheidungsträger wird somit darin bestehen, einerseits Strukturreformen auf den Weg zu bringen, die Kreditexzesse und Preisblasen verhindern, und andererseits spezifische Instrumente zu entwickeln, mit denen gegebenenfalls die Nachfrage gedrosselt werden kann. In diesem Zusammenhang sind Regulierungsmaßnahmen, die die Prozyklizität des Kreditgeschäfts mindern, besonders relevant. Hier besteht weiterer Handlungsbedarf. Ohne die Grundsätze des Binnenmarktes untergraben zu wollen, müsste dennoch sichergestellt werden, dass bei den Mindestkapitalanforderungen für Banken den regionalen Unterschieden in Bezug auf die Überbewertung der Aktien- und Immobilienwerte Rechnung getragen wird. Die strukturellen Merkmale des Immobilienmarktes (einschließlich Steueranreizen für Hypotheken), die einer Aufblähung der Immobilienpreise Vorschub leisten könnten, müssen geprüft werden. Indem die Volkswirtschaften durch Produkt- und Arbeitsmarktreformen flexibler gestaltet werden, gewinnen sie an Widerstandsfähigkeit und werden besser auf etwaige größere Schocks reagieren können.

Politische Prioritäten

In Anbetracht der vorgenannten politischen Herausforderungen besteht 2011-2012 in folgenden Bereichen besonderer Handlungsbedarf:

Die wichtigsten Triebkräfte des Wachstums auf EU-Ebene müssen mobilisiert werden. Es sollte eine Einigung über Legislativvorschläge angestrebt werden, die im Kontext der Binnenmarktakte von zentraler Bedeutung sind (nähere Ausführungen hierzu befinden sich im Fortschrittsbericht zu Europa 2020).

Mitgliedstaaten mit hohem Leistungsbilanzdefizit oder hoher Schuldenquote brauchen Reformen, die sich auf die Lohnfindungsmechanismen und Dienstleistungsmärkte auswirken, damit Preis- und Lohnreagibilität verbessert werden. Bessere Rahmenbedingungen für Unternehmen durch eine Stärkung des Wettbewerbs (z. B. durch die Dienstleistungsrichtlinie) und eine Verringerung des Verwaltungsaufwands sind diesbezüglich förderlich. 

Dringend benötigt werden Maßnahmen, die eine Reallokation der Arbeitskräfte zwischen Unternehmen und Wirtschaftszweigen erleichtern. Hierzu zählen ein Arbeitnehmerschutz, der eine Umschichtung von Ressourcen zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen nicht erschwert, bessere finanzielle Anreize für die Beschäftigungsaufnahme und eine aktive Arbeitsmarktpolitik, die besser auf die schwächsten Gruppen ausgerichtet ist. Aber auch Maßnahmen, die die Hindernisse für den Marktein- und austritt bzw. Investitionen beseitigen (z. B. die Bedingungen für Unternehmensgründungen und eine Harmonisierung der Bemessungsgrundlagen für die Körperschaftssteuer), sind wichtig, da sie eine sektorale Reallokation zugunsten von Tätigkeiten mit höherem Mehrwert und schnellerem Wachstum begünstigen.

Mitgliedstaaten mit hohem Leistungsbilanzüberschuss müssen die Ursachen für die schwache Inlandsnachfrage ermitteln. Denkbare Ansätze wären unter anderem eine weitere Liberalisierung der Dienstleistungsbranche sowie Maßnahmen zur Verbesserung des Investitionsklimas.

Alle Mitgliedstaaten sollten zunächst Strukturreformen vornehmen, um die größten Hindernisse für mittelfristiges Wachstum zu beseitigen. Die von den Mitgliedstaaten in den Entwürfen ihrer nationalen Reformprogramme (NRP) beschriebenen Maßnahmen sind nicht ehrgeizig genug; es ist deshalb unwahrscheinlich, dass sie mittelfristig eine nachhaltige wachstums- und beschäftigungsfördernde Wirkung entfalten werden. Die Mitgliedstaaten müssen in ihren endgültigen NRP in Bezug auf ihre Reformvorhaben wesentlich präziser sein, im Vorfeld einige Leitaktionen vorsehen und sich insgesamt ehrgeizigere Ziele setzen.

Anhang – Tabelle 1: Einige länderspezifische Indikatoren für Wachstum und Beschäftigung, Haushaltslage, Finanzmarktlage und makroökonomische Ungleichgewichte

(1) Siehe: Europäische Kommission (2010), Surveillance of intra-euro-area competitiveness and imbalances, European Economy 1.
(2) Potenzialwachstum beruht auf dem Konzept, dass nachhaltiges und mit den Angebotsbedingungen der Wirtschaft kompatibles Trendwachstum kurzfristig konjunkturbedingte Schwankungen im tatsächlichen BIP-Wachstum korrigieren kann.
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EUROPÄISCHE KOMMISSION

Brüssel, den 12.1.2011

KOM(2011) 11 endgültig
ANHANG 3

JAHRESWACHSTUMSBERICHT

ANHANG 3

ENTWURF DES GEMEINSAMEN BESCHÄFTIGUNGSBERICHTS

JAHRESWACHSTUMSBERICHT

ANHANG 3

ENTWURF DES GEMEINSAMEN BESCHÄFTIGUNGSBERICHTS

Der diesjährige, laut Artikel 148 AEUV zu erstellende gemeinsame Beschäftigungsbericht ist Teil des Kommissionspakets zum Auftakt des „europäischen Semesters“. Als wichtiger Input für die verstärkte wirtschaftliche Ausrichtung ist der gemeinsame Beschäftigungsbericht in erster Linie ein zukunftsorientierte Analyse, die die im Jahreswachstumsbericht enthaltenen zentralen Aussagen zur Beschäftigung näher ausführt. Analyse und Aussagen des Berichts basieren auf der Beschäftigungslage in Europa, der Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien 1 sowie den Ergebnissen der vom Beschäftigungsausschuss 2 geprüften Entwürfe für die nationalen Reformprogramme.

1.Beschäftigungsperformanz beeinflusst die makroökonomischen Rahmenbedingungen

Eine bessere, aber noch immer instabile Arbeitsmarktsituation, …

Der Arbeitsmarkt in der EU hat sich weiter stabilisiert und in einigen Mitgliedstaaten gibt es Anzeichen für eine Erholung. In der zweiten Jahreshälfte 2010 scheint bei der Beschäftigung das Ende der Talfahrt erreicht worden zu sein, da sie erstmals seit fast zwei Jahren um 0,2 % gewachsen ist. Mit 221,3 Millionen Menschen 3 lag die Zahl der Beschäftigten allerdings immer noch um 5,6 Millionen unter dem Spitzenwert der zweiten Jahreshälfte 2008 und spiegelt den starken Rückgang in den Bereichen Fertigung und Bau wider. Von den 20- bis 64-Jährigen hatten 208,4 Millionen einen Arbeitsplatz, was einer Beschäftigungsquote von 68,8 % 4 entspricht.

Die aktuelle Arbeitslosenrate von 9,6 % hat sich seit Februar 2010 nicht verändert und ist weitgehend stabil. Derzeit sind 23,1 Millionen Menschen ohne Beschäftigung. Die Langzeitarbeitslosigkeit nimmt in allen Bevölkerungsgruppen zu, allerdings in unterschiedlichem Ausmaß. Von den Betroffenen waren fast 5 Millionen zwischen sechs und elf Monate arbeitslos. Die Krise hat das Risiko für Geringqualifizierte und Nicht-EU-Ausländer/innen verstärkt. Mit 5,2 Millionen ist die Jugendarbeitslosigkeit um fast 1,2 Millionen höher als im Frühjahr 2008 (eine Zunahme von beinahe 30 %). Trotzdem hat sich der Arbeitsmarkt für junge Menschen in der EU seit vergangenem Herbst verbessert – seit September 2009 sinkt die Jugendarbeitslosigkeit allgemein wieder. Die Jugendarbeitslosenrate liegt derzeit in der EU bei 20,4 %, 0,1 Prozentpunkte niedriger als vor einem Jahr.

Aufgrund der gestiegenen Arbeitslosigkeit ist die Zahl der Arbeitslosengeldempfänger/innen zwischen Juni 2009 und Juni 2010 in den meisten Mitgliedsländern ebenfalls angestiegen. Die Anzahl der Empfänger/innen von (nicht beitragsgebundenen) Sozialhilfeleistungen hat in der Mehrzahl der Mitgliedstaaten ebenfalls signifikant zugenommen und in einigen Ländern haben diese Leistungen den größten Teil der sozialen Auswirkungen der Krise abgefangen. Der Druck auf Erwerbsunfähigkeitsleistungen hat sich nicht verstärkt, allerdings ist in einigen wenigen Ländern die Anzahl der Begünstigten von vorzeitigen Ruhestandsregelungen angestiegen.

… mit kurzfristigen Unausgewogenheiten, …

Seit Kurzem ist bei der Arbeitskräftenachfrage eine relative Verbesserung zu beobachten, wobei die Anzahl der freien Stellen, die Online-Nachfrage nach Arbeitskräften und die Arbeitsplatzaktivität über Leiharbeitsunternehmen höher sind als vor einem Jahr.

Allerdings nimmt auch die Sorge über das Auseinanderklaffen von Angebot und Nachfrage zu. Im Laufe des vergangenen Jahres sind sowohl die Arbeitslosenquoten als auch die Anzahl der freien Stellen gestiegen. Das könnte auf ein Missverhältnis zwischen den Qualifikationen der Arbeitsuchenden und den für die verfügbaren Arbeitsplätze erforderlichen Qualifikationen hindeuten. In den nächsten Quartalen muss dieser Aspekt sorgfältig im Auge behalten werden, um festzustellen, ob dies nur ein in den letzten Jahren beobachteter vorübergehender Aufwärtstrend ist oder die Gefahr einer strukturellen Verfestigung besteht. In der Tat sind die Branchen, die sich rascher erholen, nicht die, in denen am Beginn der Krise die meisten Arbeitsplätze verloren gegangen sind, was möglicherweise auf einen durch die Krise ausgelösten Wandel der Qualifikationen und branchenabhängigen Anforderungen verweist.

… Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit …

Als Reaktion auf die Wirtschaftskrise hat die Mehrheit der Mitgliedstaaten Kurzarbeitsregelungen genutzt, um Unternehmen die Möglichkeit zu geben, den Produktionsrückgang aufzufangen, ohne sofort Personal entlassen zu müssen. Der Nachteil von Kurzarbeitsregelungen liegt im Horten von Arbeitskräften, was zu sinkender Produktivität pro Arbeitnehmer/in führt. Auf frühere Wirtschaftsabschwünge, in deren Folge es zum Horten von Arbeitskräften gekommen war, folgten tendenziell Phasen beschäftigungsneutralen Wachstums, da die höhere Produktion nicht durch zusätzliche Arbeitsplätze, sondern über die Erholung der Produktivität und die Rückkehr zu normalen Arbeitszeiten erreicht wurde. Zwischen Mitte 2008 und dem ersten Quartal 2009 war das Arbeitsproduktivitätswachstum negativ, danach allerdings mit rund 2 % pro Jahr positiv.

Aufgrund der Wirtschaftskrise hat in allen Mitgliedstaaten die Frage niedrigerer Gesamtlohnkosten zur Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit und zur Ankurbelung der Arbeitskräftenachfrage zusätzlich an Bedeutung gewonnen. Die Daten legen nahe, dass sich Löhne und Gehälter recht gut an die Wirtschaftslage mit niedriger Nachfrage im Euroraum insgesamt angepasst haben – allerdings mit Zeitverzögerung aufgrund langfristiger Kollektivverträge; die ausverhandelten Löhne und Gehälter waren im dritten Quartal 2008 um 3,5 % pro Jahr höher, im zweiten Quartal 2010 im Euroraum jedoch nur um 2,1 %.

Die realen Stückkosten in der EU stiegen zwischen dem dritten Quartal 2008 und Mitte 2009 stark an, fielen danach jedoch genau so rasch wieder und lagen im zweiten Quartal 2010 bei 2 % pro Jahr, weshalb sie für die Wettbewerbsfähigkeit der EU als Ganzes keine Gefahr darstellen sollten. Trotzdem werden einige Länder ihre Gesamtarbeitskosten pro Arbeitskraft wohl noch weiter senken müssen, um bei der Wettbewerbsfähigkeit außerhalb der EU wieder das Vorkrisen-Niveau zu erreichen.

… und Handlungsbedarf im Bereich der Besteuerung des Faktors Arbeit und bei den Sozialabgaben

Die Mitgliedstaaten haben Anstrengungen zur Senkung der Lohnnebenkosten unternommen, wie in der Abgabenschere 5 abgebildet. Während der Krise gewährten mehrere Mitgliedstaaten Nachlässe auf Sozialabgaben, um die Nachfrage nach Arbeitskräften anzukurbeln, knüpften dies jedoch meist an die Bedingung, Nettoarbeitsplätze zu schaffen, d. h. es wurden überwiegend Neueinstellungen gefördert. Einige Länder entschieden sich für eine allgemeine – meist auf Dauer angelegte – Senkung der Sozialabgaben für Arbeitgeber/innen. Die Senkung der Lohnnebenkosten erfolgte vor allem mit Blick auf die am schwierigsten vermittelbaren Menschen, wie z. B. Geringqualifizierte, junge Arbeitslose, Langzeitarbeitslose und ältere Arbeitnehmer/innen.

2.Festlegung prioritärer Bereiche für wachstumsfördernde Reformen

Das Erreichen der vereinbarten Kernziele in den Bereichen Beschäftigung, Bildung und soziale Eingliederung erfordert die Umsetzung eines breiten Spektrums integrierter Maßnahmen für flexiblere, sicherere und integrativere Arbeitsmärkte. Das beste Instrument dafür ist die Flexicurity-Politik; nichtsdestoweniger müssen die vier Flexicurity-Komponenten (flexible und verlässliche vertragliche Vereinbarungen, aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen, lebenslanges Lernen und moderne Systeme der sozialen Sicherheit) gestärkt werden, damit der Schwerpunkt auf den kostenwirksamsten Reformen liegt und trotzdem mehr Flexibilität und Sicherheit geboten werden 6 .

Das bedeutet in erster Linie die Beseitigung institutioneller Hindernisse, die das reibungslose Funktionieren der Arbeitsmärkte der Mitgliedstaaten verhindern. Diese Hindernisse können sich sehr negativ auf das Beschäftigungswachstum und die Arbeitsmarktperformanz auswirken sowie bis zu einem gewissen Grad auch die soziale Eingliederung und die Armutsreduktion verhindern. Die folgende Analyse fußt auf den vom Beschäftigungsausschuss und vom Ausschuss für Sozialschutz festgelegten Politikbereichen, deren begleitende Kontrolle für die Umsetzung der Leitlinien unbedingt erforderlich ist.

2.1.Vollbeschäftigung erreichen

Die Erreichung von Vollbeschäftigung erfordert die Umsetzung integrierter Maßnahmen, wie in der beschäftigungspolitischen Leitlinie 7 dargelegt.

Erwerbsbeteiligung

Die Erwerbsquote älterer Arbeitnehmer/innen (55- bis 64-Jährige) liegt bei lediglich 46,4 %. Das liegt an der Art des Altersmanagements am Arbeitsmarkt und am Arbeitsplatz, ist aber teilweise auch das Ergebnis verschiedener Formen des vorzeitigen und/oder arbeitsunfähigkeitsbedingten Ruhestandes. Für ältere Personen funktionieren die Arbeitsmärkte nur ungenügend (geringe Nachfrage seitens der Arbeitgeber/innen, geringes Ausmaß an Weiterqualifizierung, fehlende Unterstützung bei der Arbeitsplatzsuche, Beantragung von vorzeitigen Ruhestandsleistungen, ungenügende Wiedereingliederungs- und Umschulungsangebote nach Arbeitsplatzverlust), was zum vorzeitigen Ausstieg aus dem Arbeitsmarkt führen kann. In einigen Ländern besteht auch nur ein begrenzter Zusammenhang zwischen Beiträgen, Dauer der Erwerbstätigkeit und Höhe der Pensions- bzw. Rentenansprüche oder dieser Zusammenhang ist nicht ausreichend erkennbar.

Es besteht ein eindeutiger Bedarf, die Erwerbsbeteiligung von Frauen stärker zu fördern. Die Gesamterwerbsquote von Frauen liegt in Europa nach wie vor bei lediglich 62,4 % (Altersgruppe 20-64). In einigen Ländern wird die unangemessene steuerliche Behandlung von Zweitverdienenden (verheiratete Frauen zahlen effektiv höhere Steuern als alleinverdienende) als Hindernis für den Verbleib von Frauen am Arbeitsmarkt oder ihren Wiedereinstieg ins Berufsleben gesehen. Hohe effektive Grenzsteuersätze aufgrund von familienbezogenen Steuerelementen, das Auslaufen bedürftigkeitsabhängiger oder einkommensbezogener Leistungen (wie Kinder- oder Wohnbeihilfe) und der fehlende Einsatz von Lohn- bzw. Gehaltsergänzungsleistungen sind in mehreren Mitgliedstaaten potenzielle Hindernisse für die Rückkehr von Frauen auf den Arbeitsmarkt.

Zu wenige junge Menschen schaffen es auf den Arbeitsmarkt. Der positive Einstieg junger Menschen ins Berufsleben 7 wird durch das Fehlen maßgeschneiderter Wege behindert, die eine Kombination aus Berufsorientierung, Chancen zur Höherqualifizierung, hochwertigen Lehrstellen und Praktika vor dem Berufseintritt umfassen. Das Fehlen klarer Informationen über Arbeitsmarktneuzugänge lässt Arbeitgeber/innen zögern, freie Stellen mit ihnen zu besetzen, da vielleicht zu Beginn nicht klar ist, welche Fähigkeiten sie entwickeln, welche Produktivität sie erreichen und ob sie das Arbeitsplatzprofil erfüllen werden. Viele Mitgliedstaaten müssen deshalb verstärkt dafür sorgen, dass junge Menschen für den Arbeitsmarkt entsprechend gerüstet sind.

Funktionsweise und Segmentierung des Arbeitsmarktes

Viele Arbeitsmärkte sind aufgrund der sehr unterschiedlichen relativen Kündigungsschutzregelungen zweigeteilt, in geschützte Arbeitnehmer/innen mit unbefristeten Verträgen und geringer geschützten Arbeitnehmer/innen mit atypischen, meist zeitlich befristeten Verträgen. Die Krise hat diese Problematik besonders deutlich gemacht: Zeitarbeitskräfte haben ihren Arbeitsplatz viermal so häufig verloren wie Personen in unbefristeten Beschäftigungsverhältnissen. Zeitarbeit ist zwar an sich kein negatives Phänomen, da sie jedoch nur begrenzt als Einstiegshilfe in dauerhaftere Beschäftigungsverhältnisse funktioniert, schränkt sie die Produktivität ein und behindert bessere Karriere- und Verdienstchancen – vor allem für junge Menschen.

Gleichzeitig sehen sich viele Mitgliedstaaten dort, wo der Arbeitsmarkt von Rigidität und relativ geringer Fluktuation zur Bewältigung veränderter Nachfragemuster geprägt ist, mit dem Problem unzureichender oder schlecht ausgebildeter Arbeitsmarktübergänge konfrontiert. Die Ursache dafür sind, neben unangemessenen Regelungen für den Kündigungsschutz, rigide Arbeits(zeit)regelungen, d. h. mangelnde interne Flexibilität. Diese Faktoren wirken sich unmittelbar negativ auf die Wirtschaftsaktivität aus, indem sie die effiziente Zuteilung von Arbeitskräfteressourcen behindern.

Hindernisse für die geografische Mobilität von Arbeitskräften können das problemlose Funktionieren des Arbeitsmarktes ebenfalls verhindern. Die eingeschränkte Übertragbarkeit von Renten- bzw. Pensions- und sonstigen Sozialleistungsansprüchen verringert die Möglichkeit wirksamer (Wieder)zuteilung von Arbeitskräften ebenso wie eine schwierige Wohnungs- oder Verkehrslage, weil Menschen daran gehindert werden, dorthin zu übersiedeln oder zu pendeln, wo es Arbeitsplätze gibt.

In einzelnen Mitgliedstaaten gibt es auch ein signifikantes Maß an nichtangemeldeter Erwerbstätigkeit, bei der ein erheblicher Teil der Beschäftigten nicht angemeldet wird, weil die vorhandenen Bestimmungen nicht durchgesetzt werden und weil entsprechende Steueranreize fehlen. Das Ergebnis sind unnatürlich geringe offizielle Beschäftigungsquoten oder gearbeitete Stunden und ein zweigeteilter oder paralleler Arbeitsmarkt, in dem ein Teil der Beschäftigten sehr niedrigen Standards und Bedingungen unterliegt, was die Produktivität und die Steuereinnahmen senkt und gleichzeitig die Gefahr der Ausgrenzung erhöht.

Gute sozialpartnerschaftliche Beziehungen auf der Grundlage von Dialog und Vertrauen zwischen starken Sozialpartnern tragen dazu bei, Lösungen zur Verringerung der Segmentierung und für einen gut funktionierenden Arbeitsmarkt zu finden. In der Krise hat sich der soziale Dialog als wirksam erwiesen. Wenn Sparpakete beschlossen werden müssen, ist es wichtig, einen Konsens zu finden, weil nur als gerecht verteilt empfundene Bemühungen sozial verträgliche und erfolgreiche Reformen garantieren. Allerdings variieren die operationelle Kapazität von Sozialpartnerorganisationen und die Qualität der sozialpartnerschaftlichen Beziehungen; daher muss in mehreren Mitgliedstaaten das volle Potenzial autonomer, ausverhandelter Lösungen, die auf gemeinsamen Analysen und Verhandlungen zwischen den Sozialpartnern beruhen, erst entwickelt werden.


Arbeitsplatzschaffung

Viele Mitgliedstaaten haben als Reaktion auf die Krise ihre Lohnnebenkosten zeitlich befristet gesenkt. Weitere unbefristete Kürzungen werden die Beschäftigung vor allem dann fördern, wenn sie auf gering qualifizierte Einzelpersonen in den Ländern abstellen, in denen diese Gruppe ein hohes Arbeitskräftepotenzial repräsentiert. Aufkommensneutralität kann durch die Verlagerung der Besteuerung von Arbeit auf Energie und/oder Eigentum erreicht werden. In vielen Mitgliedstaaten läuft bereits eine Diskussion über die derzeitige Besteuerung von Arbeit und anderen Ressourcen.

Die aus der Krise hervorgehenden Arbeitsmärkte verändern sich und viele Mitgliedstaaten bemühen sich, nachhaltige grünere Wirtschaftsysteme mit hohem Mehrwert zu schaffen. Diese sind die Voraussetzung für mehr Arbeitsplätze und die Erreichung der Klima- und Energieziele. Gleichzeitig gilt es, die Anpassungsfähigkeit der Arbeitskräfte zu fördern. Für Synergien zwischen Politikfeldern – zur wechselseitigen Verstärkung und für eine Win-Win-Lösung für Wirtschaft, Umwelt und Beschäftigung – ist noch nicht überall gesorgt. Die Branchen, die am stärksten unter dem Verlust von Arbeitsplätzen leiden, sind männlich dominiert (Gas, Strom, Kohle, Öl). Während einige Arbeitsplätze in diesen Branchen überflüssig werden, werden andere neue Qualifikationen erfordern, was zu einer Umverteilung von Arbeitsplätzen innerhalb derselben Branche oder einer Verlagerung in andere Branchen führen wird. Neue Qualifikationen werden auch für die Branchen mit sogenannten „weißen“ Jobs wie das Gesundheitswesen gebraucht, in denen die Nachfrage steigt und die Engpässe angesichts der Bevölkerungsalterung akut sind und weiter zunehmen.

Weiterhin gering bleibt die Anzahl derer, die in die Selbstständigkeit wechseln oder ein Unternehmen gründen, und nicht einmal die Hälfte von ihnen übersteht die ersten drei Jahre. Verglichen mit anderen Alternativen wird der Nettonutzen der Selbstständigkeit nicht um so viel höher eingeschätzt, dass die Selbstständigkeit für die Besten und Klügsten eine attraktive Karriereoption wäre. Es gibt nach wie vor Maßnahmen, die den Mut zur Selbstständigkeit hemmen, und es gibt immer noch zu wenige Initiativen, die Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik kombinieren, um ein der unternehmerischen Initiative förderliches Umfeld zu schaffen.

Aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen

In einer Reihe von Mitgliedstaaten gibt es zu wenige gezielte aktive arbeitsmarktpolitische Maßnahmen für Langzeitarbeitslose, gefährdete und benachteiligte Personengruppen. In einigen Mitgliedstaaten ist die Wirkung der aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen gering, da es nach wie vor relativ viele freie Stellen bei gleichzeitiger hoher Langzeitarbeitslosigkeit gibt. Dies ist teilweise auf die schlechte Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen staatlichen Ebenen zurückzuführen, die an der Umsetzung der aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen beteiligt sind, wobei die Zuständigkeiten auf mehrere regionale Ebenen verteilt sind. In anderen Ländern liegt es u. a. an ineffizienten öffentlichen Arbeitsverwaltungen, Resultat der durch den Zustrom von Klientinnen und Klienten bedingten gestiegen Fallzahlen, von Mittelkürzungen und der Verschlankung der öffentlichen Arbeitsverwaltungen, des Mangels an qualifiziertem Personal, fehlender Schulung, ungeeigneter Ausgabenarten, die über die aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen bezahlt werden, oder der ungenügenden Fokussierung auf kostenwirksamere Maßnahmen. Die Modernisierung des Geschäfts- und Dienstleistungsmodells der öffentlichen Arbeitsverwaltungen reicht noch nicht aus, um zu gewährleisten, dass alle, die dies benötigen, auf die Einzelperson abgestimmte Unterstützung erhalten.

Gleichstellung und Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben

Die unfreiwillige Teilzeitbeschäftigung von Frauen ist in mehreren Mitgliedstaaten nach wie vor ein Thema; Gründe sind mangelnde Kinderbetreuungseinrichtungen während der Arbeitszeit oder nach der Schule sowie nicht vorhandene Leistungen für Kinder und andere betreuungsbedürftige Personen. Darüber hinaus wird die Betreuung älterer und behinderter Menschen angesichts der Bevölkerungsalterung zunehmend zu einer signifikanten Herausforderung sowohl für die Gesellschaft als auch für die Frauen. Arbeitsmärkte, die auf Berufsunterbrechungen unfreundlich reagieren, und die ungleiche Aufteilung von Elternpflichten sind in einigen Mitgliedstaaten zusätzliche Hürden für den Wiedereinstieg von Frauen in den Beruf. In mehreren Ländern birgt ein langer (bezahlter) Elternurlaub das Risiko eines Karriereknicks und stellt eine ernste Belastung für die öffentlichen Finanzen und – wegen des teilweisen Verlustes von Qualifikationen – die Produktivität dar.

Systeme der sozialen Sicherheit

Im Gefolge der Krise haben sich Langzeitarbeitslosigkeit und strukturelle Arbeitslosigkeit für viele Mitgliedstaaten zu einem akuten Problem entwickelt. Arbeitslosen- und andere Leistungen sollten die richtigen Anreize für Beschäftigung liefern, um Abhängigkeit von diesen Leistungen zu vermeiden, gleichzeitig aber auch die dringend notwendige Einkommensbeihilfe und die Anpassungsfähigkeit an den Konjunkturzyklus gewährleisten. In vielen Mitgliedstaaten gibt es keine geeigneten Kriterien mit zeitlich befristeten oder Teilsanktionen, wenn beschäftigungsbereite Leistungsempfänger/innen diese nicht einhalten. Darüber hinaus fehlen in einigen Mitgliedstaaten Verfahren zur Feststellung nicht beschäftigungsbereiter Personen genauso wie geeignete, auf diese Personengruppe ausgerichtete Strategien.

Löhne/Gehälter und Arbeitskosten

Löhne und Gehälter müssen sich so entwickeln, dass sie zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Arbeitskräfteangebot und nachfrage führen, den effizienten Einsatz von Arbeitskräften gewährleisten und eine dem Beitrag zur Wertschöpfung entsprechende Vergütung bieten. Unter diesem Aspekt ist es von zentraler Bedeutung, dass die Reallöhne und gehälter mittelfristig im Einklang mit der Arbeitsproduktivität über Berufe und Wirtschaftsaktivitäten hinweg steigen.

Aus makroökonomischer Sicht ist die Lohn- und Gehaltsdynamik auch wichtig, um interne und externe Ungleichgewichte zu korrigieren. Vor allem in einigen Ländern des Euroraums ist eine Dynamik bei den nominalen Arbeitskosten – darunter die mittelfristige angemessene Anpassung der preislichen Wettbewerbsfähigkeit – die Voraussetzung für eine dauerhafte Korrektur hoher akkumulierter Leistungsbilanzdefizite und die Absorption hoher Arbeitslosigkeit. Als Messlatte geeignet ist die Dynamik der nominalen Arbeitskosten in anderen Ländern des Euroraums.

Vor diesem Hintergrund ist es für mehrere Mitgliedstaaten eine Herausforderung, bei der Vereinbarung von Kollektivlöhnen und gehältern die richtige Balance zwischen der Flexibilität zu finden, die für die Anpassung der Arbeitsmärkte an sich verändernde Bedingungen notwendig ist, und Verträgen, die Lohn- und Gehaltshöhen festlegen, um die Investitionen zu schützen und zu fördern, die zur Aufwertung von Arbeitsplätzen nötig sind.

2.2.Hochqualifizierte und gut ausgebildete Arbeitskräfte

Eine starke Humankapitalbasis ist der Schlüssel für nachhaltiges Wachstum, Beschäftigung und internationale Wettbewerbsfähigkeit. Bis 2020 werden 85 % der Arbeitsplätze hohe oder mittlere Qualifikationen erfordern und der Anteil an Jobs für Geringqualifizierte wird auf 15 % sinken. Daher ist es unerlässlich, dass die Mitgliedstaaten – gemäß den integrierten Leitlinien 8 und 9 und dem strategischen Rahmen für die europäische Zusammenarbeit im Bereich der allgemeinen und beruflichen Bildung (ET 2020) 8 – die Reform ihrer allgemeinen und beruflichen Bildungssysteme fortsetzen und die Menschen mit höheren und relevanteren Qualifikationen und Schlüsselkompetenzen ausstatten.

Unzureichende Bildungs- und Berufsbildungsqualität behindert Arbeitsmarktübergänge, da eine große Zahl von Personen jeden Alters und jeden Qualifikationsniveaus nicht die richtige Mischung von Qualifikationen und Kompetenzen besitzen. Die Berufsbildungssysteme reagieren weiterhin zu langsam auf die Herausforderung, Arbeitskräfte und Arbeitsuchende mit den grundlegenden Qualifikationen und bereichsübergreifenden Schlüsselkompetenzen auszustatten. Dies lässt auf begrenzte Zusammenarbeit der Sozialpartner und öffentlichen Arbeitsverwaltungen bei der Curriculumsentwicklung schließen.

Es gibt noch Entwicklungspotenzial für weitere Maßnahmen und Instrumente, um zukünftige Qualifikationslücken und Bedarfslagen auf regionaler, branchenspezifischer und nationaler Ebene (Qualifikationsprognosen, Arbeitgeberumfragen, Branchenstudien, qualitative Verbesserung der statistischen Daten) zu antizipieren und Prognosen zu erstellen. Das betrifft sowohl die Art, wie diese Aktivitäten durchgeführt werden, als auch wie die Ergebnisse unter den Schlüsselakteurinnen und akteuren, zum Beispiel Berufsorientierungseinrichtungen, statistischen Ämtern, NGO und Branchenorganisationen, verbreitet und von ihnen für die Curriculumsentwicklung genutzt werden.

Häufig ist auch die Beteiligung der Erwachsenen am lebenslangen Lernen zu gering. Das liegt vor allem an fehlenden Anreizen für Unternehmen, Arbeitskräfte auszubilden, an der unzureichenden Unterstützung für Arbeitskräfte, sich für Aus- und Weiterbildung zu engagieren, und am für die Bedürfnislagen bestimmter Gruppen ungeeigneten Angebot.

Darüber hinaus machen es die komplexe Finanzierungsstruktur und eine enorme Bandbreite an Anbieterinnen und Anbietern schwer, kohärente Strategien zur Koordinierung und Festlegung öffentlich, firmenintern oder privat initiierter Aus- und Weiterbildungsaktivitäten umzusetzen. Mehrfache Zuständigkeitsbereiche, überlappende Finanzierung und der Mangel an echter Führung schwächen die Governance des Systems. Vor allem der ungleiche Zugang zur lebenslangen beruflichen Aus- und Weiterbildung ist nach wie vor ein zentrales Thema: Ein Großteil des Weiterbildungsangebotes wird von Arbeitgeberinnen und Arbeitgebern bereitgestellt, sodass Beschäftigte mit unbefristeten Verträgen besseren Zugang zum lebenslangen Lernen haben als Personen mit befristeten Verträgen oder Arbeitslose. Gering qualifizierte Personen nehmen fünf Mal seltener an Erwachsenenbildung teil als Erwachsene mit einem hohen Qualifikationsniveau. Flexiblere Lernwege – dazu gehört auch die Validierung nichtformalen und informellen Lernens – und gezielte Maßnahmen, wie die Ausbildung am Arbeitsplatz und Partnerschaften mit sozialwirtschaftlichen Unternehmen und Organisationen, die sich an Menschen mit geringen Qualifikationen, arbeitslose Erwachsene, Migrantinnen und Migranten, ethnische Minderheiten und Menschen mit Behinderung wenden, sind noch zu wenig ausgereift, um für Lernende attraktiv zu sein. Spezielle flankierende Maßnahmen wären auch für Arbeitskräfte in rückläufigen Branchen hilfreich.

Gegen Schulabbruch und für bessere Basisqualifikationen und Schlüsselkompetenzen

Schulabbruch ist ein vielschichtiges Phänomen, dem zahlreiche sozioökonomische, bildungstechnische und persönliche Faktoren zugrunde liegen. Viele Mitgliedstaaten bekämpfen Schulabbruch, indem sie sich auf die Qualitätsverbesserung des allgemeinen und beruflichen Bildungsangebotes konzentrieren, u. a. mit Hilfe innovativer Lehr- und Lernmethoden, sowie auf die gezieltere Unterstützung gefährdeter Schüler/innen. Einige Länder planen auch strukturelle Änderungen, um die Flexibilität von Lernwegen zu verbessern und Lehrgänge anzubieten, die Lernen und Berufstätigkeit kombinieren. Die Wirkung derartiger Maßnahmen ist jedoch oft gering, da sie nicht immer durch eine Politik der Frühintervention (vor allem besserer Zugang zu Vorschulbildung) und kompensatorische Maßnahmen ergänzt werden, die Bildungsaussteigerinnen und aussteigern die Rückkehr ins Bildungssystem ermöglichen. Häufig mangelt es an ganzheitlichen Ansätzen, die eng mit anderen maßgeblichen Politikbereichen koordiniert sind, um alle multirelationalen Faktoren zu berücksichtigen.

Mehr Menschen müssen die höchsten Qualifikationsniveaus erreichen

In vielen Mitgliedstaaten sind die Investitionen in höhere Bildung zu gering oder werden aufgrund der Wirtschaftskrise sogar massiv gekürzt. Wissensintensive Volkswirtschaften setzen eine Gesamtinvestition von mindestens 2% des BIP (private und öffentliche Mittel zusammen) für ein modernes, gut funktionierendes Universitätssystem voraus. Die Modernisierung der tertiären Bildungssysteme mit maßgeschneiderten Studienplänen, praxis- und ergebnisorientierten Lernformen, besserer Governance und Finanzierung muss beschleunigt werden. Es bleibt eine Herausforderung, für tertiäre Bildungseinrichtungen Anreize für Kooperationen mit Unternehmen und dem breiteren Umfeld zu schaffen und diese Einrichtungen für die Bedürfnisse der Gesellschaft, vor allem der unterrepräsentierten Gruppen, zu öffnen.

Ein weiterer wesentlicher Schwachpunkt der beruflichen Aus- und Weiterbildung ist die Qualität und Attraktivität auf allen Ebenen.

2.3.Integratives Wachstum: Der Kampf gegen Armut und Ausgrenzung

Maßgebliche Armutsfaktoren sind Ausgrenzung aus dem Arbeitsmarkt, schlechte Arbeitsbedingungen und fehlende Möglichkeiten, in einem segmentierten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen und weiterzukommen. Die folgenden Punkte decken die in der beschäftigungspolitischen Leitlinie 10 dargelegten politischen Prioritäten ab.

Armut durch integrative Arbeitsmärkte verhindern und bekämpfen

Ein Arbeitsplatz ist der beste Schutz gegen Armut. Arbeitslose und Nichterwerbstätige (nicht im Ruhestand befindliche Erwachsene) stellen 10 % bzw. 21 % der von Armut oder Ausgrenzung bedrohten Bevölkerung (wobei Arbeitslose am meisten gefährdet sind: 58 % gegenüber 13,5 % für Beschäftigte). Allerdings sind 24 % der von Armut oder Ausgrenzung bedrohten Personen in der EU erwerbstätige Arme. Daher muss die Arbeitsmarktpolitik einerseits auf existenzsichernde Löhne und Gehälter für erwerbstätige Menschen abzielen, indem sie der Arbeitsmarktsegmentierung, geringer Qualifizierung, niedrigen Einkommen und Unterbeschäftigung (einschließlich unfreiwilliger Teilzeitbeschäftigung) den Kampf ansagt, und andrerseits Alleinerziehenden und Zweitverdienenden den Zugang zum Arbeitsmarkt erleichtert.

Armutsprävention durch angemessene und nachhaltige Sozialschutzsysteme sowie Zugang zu hochwertigen Leistungen

Die meisten Mitgliedstaaten berichten, dass sich die Maßnahmen zur Budgetkonsolidierung auf die Sozialschutzsysteme auswirken werden. Maßnahmen im Bereich der Leistungen, wie verschärfte Anspruchsvoraussetzungen, kürzere Bezugsdauer, geringere Höhe der Leistungen oder geänderte Indexierungsbestimmungen, könnten die Angemessenheit beeinträchtigen. Auf der Finanzierungsseite können Befreiungen von den Sozialversicherungs- und anderen Beiträgen zur sozialen Sicherheit die Nachhaltigkeit der Systeme schwächen, wohingegen Maßnahmen zur Ausweitung der Sozialversicherungsgrundlage hilfreich sein könnten. Unter diesen Bedingungen lässt sich die Effizienz der Sozialausgaben zwar durch bessere Umsetzung steigern (z. B. Vereinfachung der Bestimmungen, Abbau der Verwaltungskosten, Einführung von Leistungsindikatoren, Bekämpfung von Betrug und Fehlern), um die Effizienz und Wirksamkeit in allen Sozialschutzbereichen zu verbessern, braucht es jedoch umfassendere Strategien, darunter stärkere Fokussierung auf Prävention, ein integriertes Leistungsangebot und qualitativ bessere Interventionen.

In aktive Eingliederungsstrategien investieren

Schlechte Wirtschaftslage und hohe Arbeitslosigkeit lassen die Gefahr langfristiger Ausgrenzung entstehen, die sich negativ auf die Beschäftigungsfähigkeit und die Qualifikation der Arbeitskräfte auswirkt und die geistige und körperliche Gesundheit der Menschen untergräbt. Dünne Sicherheitsnetze und das Fehlen von Aktivierungsmaßnahmen für die Schwächsten bergen das Risiko, bereits bestehende soziale und arbeitsmarkttechnische Ausgrenzung weiter zu verschärfen. Diese Netze müssen dort, wo es notwendig ist, durch bessere Abdeckung und Angemessenheit verstärkt werden.

Es braucht aktive Eingliederungsstrategien, die eine angemessene Einkommenssicherung mit dem Zugang zum Arbeitsmarkt und zu Sozialleistungen kombinieren, um langfristige Ausgrenzung zu verhindern und die Effizienz der Sozialausgaben zu erhöhen. Dies lässt sich zum Beispiel dadurch erreichen, dass die Sozialhilfe an Aktivierungsmaßnahmen und an den Zugang zu befähigenden und auf die Person abgestimmten Angeboten gekoppelt wird.

Budgetkonsolidierung und fehlende öffentliche Mittel könnten sich negativ auf die Finanzierung und die Qualität der Sozialleistungen auswirken, die zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit der Arbeitskräfte und für die nachhaltige Wiedereingliederung der am stärksten ausgegrenzten Menschen in die Gesellschaft und die Arbeitsmärkte notwendig sind. Die Sicherung der nachhaltigen Finanzierung von Sozialleistungen und der Qualität der Interventionen ist für viele Mitgliedstaaten nach wie vor eine Herausforderung.

In vielen Mitgliedstaaten braucht es zielgerichtetere Anstrengungen, um bestimmte Gruppen (junge und behinderte Menschen, Migrantinnen und Migranten) zu unterstützen oder Überschuldung, Wohnungslosigkeit und Ausgrenzung vom Wohnungsmarkt zu bekämpfen bzw. zu verhindern. Mehrere Länder haben vor, soziale Innovation und öffentlich-private Partnerschaften zu fördern sowie das Potenzial der Sozialwirtschaft zu erschließen.

Die „soziale Vererbung“ von Armut unterbrechen – bessere Beschäftigungsmöglichkeiten für Eltern

25 Millionen Kinder sind von Armut oder Ausgrenzung bedroht. Die politischen Maßnahmen gegen Kinderarmut befinden sich noch immer in sehr verschiedenen Umsetzungsphasen und bei den Ergebnissen gibt es nach wie vor beträchtliche Unterschiede. Die Erfahrung von Armut und Deprivation in der Kindheit beeinträchtigt das Wohlbefinden von Kindern und kann sich langfristig negativ auf ihren Bildungsweg und ihre zukünftigen Lebenschancen auswirken.

Ein entscheidender Punkt im Kampf gegen Kinderarmut ist die Förderung der Erwerbsbeteiligung der Eltern, einschließlich Alleinerziehenden und Zweitverdienenden. Derartige Bemühungen müssen aber in breiter angelegte Strategien zur Förderung von Kindern und Familien eingebettet sein: Dazu zählen Investitionen in die Qualität der Kinderbetreuung (Qualitätsstandards, Professionalisierung des Personals usw.), Interventionen im frühen Kindesalter in Bereichen wie Gesundheit und Bildung und die Aufrechterhaltung und Verbesserung der Einkommenssicherung von Familien durch gezieltere Unterstützung und besser konzipierte Maßnahmen sowie durch eine Kombination aus spezifischen und allgemeinen Leistungen. Einige Länder berichten jedoch, dass sich die Budgetkonsolidierungsmaßnahmen auch auf die Kinderbeihilfe und Familienleistungen sowie weitere für Familien wichtige Zuschüsse (Wohnungsbeihilfe) negativ auswirken werden.

Um beim Ziel, 20 Millionen Menschen einen Weg aus der Armut zu eröffnen, in Zeiten der Budgetkonsolidierung voranzukommen, müssen die Sozialfürsorgesysteme Prioritäten setzen, die Effizienz und Fairness kombinieren. Mit der Aussicht auf eine Erholung der Wirtschaft können aktive Eingliederungsstrategien dafür sorgen, dass möglichst viele Menschen von Wachstum und Beschäftigung profitieren. Eine der obersten Prioritäten lautet, den Kreislauf der Armutsvererbung zuallererst bei den Kindern zu unterbrechen und faire Chancen für alle zu gewährleisten.

3.Die nächsten Schritte: Bemühungen für mehr Beschäftigung

Die meisten Mitgliedstaaten beginnen, vom Krisenmanagement zu Strukturreformen überzugehen ...

Laut der Herbstprognose der Kommission ist die EU-Konjunktur zwar noch schwach, erholt sich aber rascher als vorhergesehen, und die Arbeitsmarktperformanz könnte heuer etwas besser ausfallen als erwartet. Vor diesem Hintergrund wird wahrscheinlich die Mehrheit der Mitgliedstaaten ihre Schwerpunktsetzung von der konjunkturellen Nachfragesteuerung auf Strukturreformen verlagern.

Wie im Jahreswachstumsbericht betont, müssen folgende Prioritäten im Bereich der strukturellen Arbeitsmarktreformen sofort in Angriff genommen werden:

Die gezielte, zeitlich befristete Reduzierung des Arbeitgeberanteils der Sozialversicherungsbeiträge – vor allem im Fall von neu eingestellten jungen Arbeitskräften, Frauen oder Eltern nach dem Wiedereinstieg, älteren Arbeitslosen oder Personen mit niedrigem Einkommen – kann den Einstieg ins Berufsleben erleichtern, und das mit geringeren Kosten als jenen, die bei Nichtbeschäftigung dieser Menschen an Arbeitslosen- und Sozialleistungen anfallen würden.

Unter Sicherung eines angemessenen Arbeitsentgelts könnten mehr Flexibilität bei Lohn- bzw. Gehaltsanpassungen und bei der Einstellung – darunter nach Erfahrung differenzierte und von Sekundärleistungen flankierte Einstiegsgehälter  sowie besserer Zugang zu Arbeitsverwaltungen und beruflicher Bildung helfen, das gegenwärtig hohe Niveau der Jugendarbeitslosigkeit zu senken. Gemeinsam mit den Sozialpartnern muss auch bei Lohn- und Gehaltsfestsetzungsprozessen eine raschere Reaktion auf Marktentwicklungen bewerkstelligt werden, sodass Löhne und Gehälter die Arbeitsproduktivität zutreffend und prompt widerspiegeln und die Wettbewerbsfähigkeit der EU gegenüber dem Rest der Welt sowie innerhalb der EU und der Mitgliedstaaten gewährleistet ist.

Steuerreformen kombiniert mit besserem Zugang zu Leistungen und der stärkere Einsatz von Lohn- und Gehaltsergänzungsleistungen können große Wirkung entfalten, wenn es um den Abbau von Arbeitslosigkeit und die Beseitigung von Nichterwerbstätigkeitsfallen geht. Vor allem wirksamere Lohn- und Gehaltsergänzungsleistungen sowie Steuergutschriften in Kombination mit der rascheren Vermittlung junger Arbeitsloser in geeignete Schulungsprogramme oder Lehrangebote kann Arbeit für sie attraktiver machen. Die Frauenbeschäftigungsquote könnte auch über ein größeres Angebot an Sachleistungen in Verbindung mit einem niedrigeren effektiven Grenzsteuersatz für Zweitverdienende gefördert werden, indem die familienbezogene Besteuerung und Arbeitslosen- oder bedürftigkeitsabhängige Leistungen gekürzt werden. Allgemeiner formuliert, kann die Verknüpfung von Steuern und Leistungen in der Form, dass Personen mit Anspruch auf erwerbsunabhängige Leistungen eine Steuergutschrift auf ein aus einer Beschäftigung resultierendes Erwerbseinkommen erhalten, ein Beschäftigungsanreiz für Nichterwerbstätige sein.

Größere interne Flexibilität, einschließlich Anpassung der Arbeitsorganisation oder der Arbeitszeit, z. B. in Form von Kurzarbeitsregelungen (wie in den vergangenen 18 Monaten). Die öffentliche Hand kann die interne Flexibilität wirksam unterstützen und dadurch Arbeitsplätze erhalten und wertvolles Humankapital schützen, was aber beträchtliche öffentliche Ausgaben nach sich zieht.

Flexible Arbeitsregelungen (flexible Arbeitszeiten, Telearbeit) für diejenigen, die aus dem Elternurlaub zurückkehren, könnten die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben ebenfalls verbessern und vor allem zu einer höheren Frauenbeschäftigungsquote beitragen. Der Ausbau von Ganztagsbetreuungseinrichtungen, vor allem für Kinder unter drei Jahren, ist ein entscheidender Faktor, um die negativen, in erster Linie Frauen treffenden Auswirkungen von Elternschaft auf die Beschäftigung deutlich zu reduzieren. Darüber hinaus braucht es eine ausgewogenere Inanspruchnahme des Elternurlaubs durch beide Elternteile als Ausgleich zur notwendigen Kürzung des Elternurlaubs in Ländern, in denen er mehr als 12 Monate beträgt.

Es sind weitere Anstrengungen notwendig, um die Regelungen für den vorzeitigen Ruhestand zu beseitigen und das Regelpensionsantritts- bzw. Renteneintrittsalters anzuheben und so die Erwerbsbeteiligung älterer Arbeitnehmer/innen zu erhöhen. Der längere Verbleib im Beruf könnte auch durch eine unmittelbarere Verknüpfung von späterem Wechsel in den Ruhestand mit höheren Pensions- bzw. Rentenansprüchen sowie mit Maßnahmen für aktives und gesundes Altern gefördert werden. 

Weitere Reformen der Arbeitslosenleistungen und anderer Leistungssysteme sollten darauf abzielen, Effizienzgewinne und Fairness zu kombinieren. Die Reformen sollten vor allem auf eine Anpassung an den Konjunkturzyklus ausgerichtet sein; wenn Dauer und Deckung während des Abschwungs steigen und während eines Aufschwungs sinken, stärkt das die Sicherheitsnetze in Zeiten, in denen sie am stärksten gebraucht werden.

Arbeitslosenleistungen sollten dahingehend überprüft werden, dass sie Beschäftigungsanreize bieten. Die Leistungen sollten so ausgelegt sein, dass sie durch zeitlich befristete Unterstützung und durch an Weiterbildung und Arbeitsuche geknüpfte Anspruchsvoraussetzungen die Rückkehr arbeitsloser Personen ins Arbeitsleben belohnen: Der Ansatz der beiderseitigen Verantwortung sollte die Norm sein, d. h. der Zugang zu Arbeitslosenleistungen sollte erleichtert und mit häufigeren Kontakten, intensiverem Follow-up, begleitender Kontrolle der Bemühungen, einen Arbeitsplatz zu finden, und dem Einsatz von Sanktionen bei Nichteinhaltung kombiniert werden.

Ein Schwerpunkt muss auf dem Abbau der Arbeitsmarksegmentierung liegen, der durch eine Änderung der Kündigungsschutzvorschriften erleichtert werden könnte, z. B. durch die Ausweitung von Vereinbarungen mit offener Vertragslaufzeit und zeitlich gestaffelten Arbeitnehmerschutzrechten, um die bestehende Unterscheidung zwischen Beschäftigten mit atypischen und mit unbefristeten Arbeitsverträgen abzubauen.

Trotz des derzeit angespannten Budgetrahmens ist die Aufmerksamkeit dringend darauf zu richten, dass die Höhe der gezielten Investitionen in den allgemeinen und beruflichen Bildungssektor gleichbleiben oder wo möglich erhöht werden, sowie auf die Reformen in diesem Sektor. Es ist wichtig, das Risiko zu vermeiden, dass in einem nach der Krise umstrukturierten Arbeitsmarkt mit geänderten Arbeitsplatzanforderungen einem großen Teil der jungen Menschen und der gering qualifizierten Bevölkerung Beschäftigungschancen entgehen.

…. wobei der budgetäre Spielraum die Prioritätensetzung bei den Maßnahmen beeinflussen wird

Wenn in Zeiten ehrgeiziger Budgetkonsolidierung Reformmaßnahmen verstärkt werden sollen, ist Sorgfalt bei der Auswahl der Reformen angebracht. Das Tempo der wirtschaftlichen Erholung und der budgetäre Spielraum für die Finanzierung politischer Maßnahmen sind in den einzelnen Mitgliedstaaten sehr unterschiedlich.

Die Sozialausgaben werden 2011 voraussichtlich 30,7 % des BIP ausmachen; 2007 waren es 27,5 %. Hinter dieser Zahl stehen unterschiedlichste nationale Prozentsätze und unterschiedlichste Kapazitäten der Mitgliedstaaten, die steigende Nachfrage nach Sozialschutz zu befriedigen, wobei die Sicherheitsnetze in einigen Ländern große Lücken aufweisen, die geschlossen werden müssen. Die Budgetkonsolidierung wird auch einen gezielteren Einsatz der Sozialausgaben erfordern.

Darüber hinaus wird die Arbeitsplatzschaffung in der EU wohl auch in naher Zukunft eher gering ausfallen. Das spiegelt u. a. die übliche zeitverzögerte Reaktion der Arbeitsmärkte auf eine Veränderung in der Wirtschaftsaktivität und die Tatsache wider, dass während der Krise massiv Arbeitskräfte gehortet wurden bei gleichzeitiger Reduktion der Arbeitszeit.

Bei der Auswahl vordringlicher Reformen werden die Mitgliedstaaten ihre Entscheidungen wohl am ehesten an ihrem budgetären Spielraum und daran ausrichten, an welchem Punkt im Konjunkturzyklus sie angelangt sind. Die unten stehende Tabelle könnte eine Entscheidungshilfe liefern, da sie die politischen Prioritäten nach dem jeweils erforderlichen Ausmaß staatlicher Investitionen (geringere oder größere) und danach zusammenfasst, ob der politische Schwerpunkt kurz- oder längerfristig ist.

Der Rückbau von Regelungen für den vorzeitigen Ruhestand (erster Punkt im Feld oben links) zum Beispiel würde geringere öffentliche Investitionen erfordern und hätte wohl überwiegend längerfristige Auswirkungen auf die Beschäftigung. Andrerseits erfordert die Senkung der Lohnnebenkosten (im Feld rechts unten) deutlich höhere Investitionen der öffentlichen Hand bei kurzfristigeren Auswirkungen auf den Abbau der Arbeitslosigkeit. Die Tabelle kann Aufschluss darüber geben, welche politischen Prioritäten für die einzelnen Mitgliedsländer – je nach Budgetzwängen und Arbeitsmarktsituation – am besten geeignet sind.





Kurzfristig vordringliche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit

Längerfristige Erhöhung der Beschäftigungsquote

Geringere staatliche Investitionen erforderlich

gezielte Schulungen

Stärkung des Verpflichtungsansatzes bei Arbeitslosenleistungen

Abbau von Arbeitslosigkeitsfallen durch Lohn- bzw. Gehaltsergänzungsleistungen

raschere Lohn- und Gehaltsanpassungen

Rückbau von Regelungen für den vorzeitigen Ruhestand

stärkere Koppelung von Pensionsantritts- bzw. Renteneintrittsalter und Pensions-/Rentenansprüchen

Ausrichtung der Großzügigkeit von Arbeitslosenleistungen am Konjunkturzyklus

Überprüfung der Kündigungsschutzbestimmungen, um Segmentierung abzubauen

Verbesserung der Kooperation der Arbeitsverwaltungen, u. a. mit Anbietern von Schulungen

Höhere staatliche Investitionen erforderlich

Stärkung der internen Flexibilität, Anpassung der Arbeitsorganisation

Senkung der Lohnnebenkosten/ Angebot von Einstellungsförderungen

höhere Steueranreize für Zweitverdienende

besserer Zugang zu Kinderbetreuungseinrichtungen

Modernisierung des allgemeinen und beruflichen Bildungssystems

Als ein erster Meilenstein wird der gemeinsame Beschäftigungsbericht in die Beratungen der Frühjahrstagung des Europäischen Rates einfließen. Er bietet den Mitgliedstaaten Orientierung für ihre nationalen Reformprogramme insgesamt. In diesen Programmen werden die Mitgliedstaaten im Detail darlegen müssen, für welche Optionen sie sich entscheiden. Falls nötig, wird die Kommission Beschäftigungsempfehlungen für die Bereiche, die nicht ausreichend in Angriff genommen werden, vorschlagen und der Rat diese annehmen.

Die Schaffung von Arbeitsplätzen ist von entscheidender Bedeutung. „Europa 2020“ fördert die Interaktion der Politikfelder Beschäftigung, Innovation, F&E, Industrie und Umwelt, um so das Beschäftigungswachstum anzukurbeln und soziale Ausgrenzung abzubauen: Die Leitinitiativen legen dar, wie dies geschehen soll. Die für die Beschäftigungspolitik Verantwortlichen müssen die richtigen Entscheidungen treffen. Das Wichtigste ist der rasche Abbau der Arbeitslosigkeit und die Umsetzung wirksamer Arbeitsmarktreformen für mehr und bessere Arbeitsplätze.

(1) ABl. L 308 vom 24.11.2010, S. 46, „Beschluss des Rates vom 21. Oktober 2010 über Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (2010/707/EU)“.
(2) Brüssel, 23. und 24. November 2010.
(3) Daten der volkswirtschaftlichen Gesamtrechnung.
(4) Daten der Arbeitskräfteerhebung.
(5) Abgabenschere = ( Sozialabgaben Arbeitgeber/in + Sozialabgaben Arbeitnehmer/in + Lohnsteuer + Einkommensteuer) / Gesamtarbeitskosten.
(6) KOM(2010) 682, „Eine Agenda für neue Kompetenzen und neue Beschäftigungsmöglichkeiten: Europas Beitrag zur Vollbeschäftigung“.
(7) KOM(2010) 477, „Jugend in Bewegung“.
(8) Schlussfolgerungen des Rates vom 12. Mai 2009 (2009/C 119/02).
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