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Document 52011AE0991

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Besteuerung des Finanzsektors“ KOM(2010) 549 endg.

ABl. C 248 vom 25.8.2011, p. 64–67 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

25.8.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 248/64


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Besteuerung des Finanzsektors“

KOM(2010) 549 endg.

2011/C 248/11

Berichterstatter: Stasys KROPAS

Die Europäische Kommission beschloss am 7. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 113 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Besteuerung des Finanzsektors

KOM(2010) 549 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Wirtschafts- und Währungsunion, wirtschaftlicher und sozialer Zusammenhalt nahm ihre Stellungnahme am 31. Mai 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 472. Plenartagung am 15./16. Juni 2011 (Sitzung vom 15. Juni) mit 102 gegen 16 Stimmen bei 28 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss begrüßt die umfassenden Initiativen der Kommission zur Wiederherstellung des Wachstums, der Widerstandsfähigkeit und der finanziellen Stabilität. Sollen Stabilität und ein reibungsloses Funktionieren der Finanzbranche gewährleistet und damit eine unverhältnismäßig große Risikobereitschaft begrenzt sowie für die Finanzinstitute gebührende Anreize geschaffen werden, muss eine angemessene Regulierung und Überwachung gewährleistet sein. In diesem Zusammenhang hat sich der EWSA bereits kürzlich für die Entwicklung eines Systems mit einem Bankensanierungsfonds als Teil des Krisenmanagementrahmens ausgesprochen.

1.2   Nach der Krise mussten die Regierungen Anstrengungen zur Haushaltskonsolidierung unternehmen, um die Kosten der Krise ebenso wie die weiterreichenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen bewältigen zu können. Der EWSA ist der Ansicht, dass der Finanzsektor zu diesen Bemühungen einen angemessenen und substanziellen Beitrag leisten sollte.

1.3   Wie in der Mitteilung der Kommission hervorgehoben wird, haben mehr und mehr Mitgliedstaaten bereits einseitige Maßnahmen zur Besteuerung des Finanzsektors ergriffen. Verschiedene Besteuerungssysteme mit unterschiedlichen Bemessungsgrundlagen, effektiven Steuersätzen und Anwendungsbereichen wurden beschlossen. Der EWSA ist der Auffassung, dass die Bemessungsgrundlage für derartige steuerliche Mechanismen harmonisiert und Maßnahmen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung koordiniert werden sollten. Dies sollte bei der Annahme von Initiativen durch die Kommission ebenso berücksichtigt werden wie die unterschiedlichen möglichen Auswirkungen der Initiativen in den einzelnen Mitgliedstaaten, die Bedeutung und Robustheit der nationalen Finanzmärkte, die bestehenden nationalen steuerlichen Rahmenbedingungen sowie ggf. die Steuern im Finanzsektor, die der jeweilige Mitgliedstaat nach der Finanzkrise neu erhoben hat.

1.4   Die Folgen neuer Steuern, Anforderungen und Vorschriften für das Finanzsystem und die Gesamtwirtschaft könnten mannigfaltig sein. Dementsprechend sollten ihre Auswirkungen auf die Kapitalgrundlage und die Fähigkeit von Banken und Finanzinstituten, ihrer Rolle bei der Finanzierung der Wirtschaft und insbesondere von KMU sorgfältig erwogen werden. Der Gesamtanteil des Finanzsektors am Steueraufkommen der EU sollte mit dem anderer Branchen verglichen werden. Es sollte berücksichtigt werden, wie sich zusätzliche Steuern auf die internationale Wettbewerbsfähigkeit von Finanzinstituten der EU auswirken.

1.5   Da Spannungen im Bereich der Liquidität und Solvenz ein zentrales Element im Vorfeld der Krise waren, empfiehlt der EWSA, jegliche neue Steuer für Finanzinstitute so zu gestalten, dass die Zahlungsfähigkeit der Finanzinstitute ebenso berücksichtigt wird wie ihre Fähigkeit, neue Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen.

1.6   In ihrer Folgenabschätzung sollte die Kommission dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit eine besondere Aufmerksamkeit schenken. Das heißt, dass der den Marktteilnehmern und Finanzinstituten zur Einhaltung der Vorschriften auferlegte Verwaltungsaufwand in einem angemessenen Verhältnis zum Zweck der neuen Steuer stehen muss. Wenn die Kommission die Einführung einer neuen Steuer nach dem Modell der Finanztransaktionssteuer (FTS) erwägt, dann sollte sie sich um Konsistenz mit der in den letzten Jahren entwickelten Politik zur Vereinfachung der als Hürden für den Nachhandel erachteten Steuerverfahren bemühen. Falls die Einführung einer Finanzaktivitätssteuer (FAS) erwogen wird, dann sollte die Bemessungsgrundlage in einer Weise gestaltet werden, die mit den den Finanzinstituten bereits im Rahmen der gegenwärtigen Finanzberichterstattung leicht verfügbaren Angaben vereinbar ist.

1.7   Der EWSA bekräftigt noch einmal die Schlussfolgerungen und Empfehlungen seiner Stellungnahme vom 15. Juli 2010 zu Gunsten der Einführung einer Finanztransaktionssteuer (1), weist aber gleichzeitig darauf hin, dass angesichts der Gefahr, einer Verlagerung der Finanzaktivitäten in Finanzzentren außerhalb der EU Vorschub zu leisten, die globale Einführung einer derartigen Steuer einer EU-weiten Finanztransaktionssteuer vorgezogen werden sollte. Falls sich jedoch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf globaler Ebene als nicht machbar erweisen sollte, würde der EWSA unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission die Einführung einer EU-Finanztransaktionssteuer vorschlagen.

1.8   Eine Finanzaktivitätssteuer könnte mit ähnlichen Nachteilen wie die Finanztransaktionssteuer einschließlich des Effektes einer Verlagerung behaftet sein. Auf Fragen dieser Art sollte in einer ersten Folgenabschätzung der Kommission eingegangen werden.

1.9   Die Einführung einer neuen cashflow-basierten Steuer außerhalb des Mehrwertsteuersystems unter unveränderter Beibehaltung der unbefriedigenden MwSt-Ausnahmeregelungen würde ein sehr kompliziertes Steuersystem für Finanzinstitute schaffen. Daher ist der EWSA vorbehaltlich der Ergebnisse der Folgenabschätzung der Kommission der Auffassung, dass bei Erwägungen, den Cashflow oder ähnliche Faktoren als Grundlage für eine neue Steuer im Finanzsektor zu wählen, die Kommission prüfen sollte, welche Vorteile es böte, diese im Rahmen der Mehrwertsteuer anzusiedeln, um einen geringeren Verwaltungsaufwand für die Finanzbranche sicherzustellen und das Problem der nicht erstattungsfähigen Mehrwertsteuer zu mindern. Berücksichtigt werden müssen ebenfalls die unbeabsichtigten Konsequenzen, die die Einführung einer Steuer auf den Finanzsektor haben könnte, insbesondere die Entwicklung alternativer Systeme ohne Regulierung, Aufsicht oder Kontrolle, was wiederum große Probleme hervorrufen könnte.

1.10   Die Wettbewerbsfolgen dieser neuen Steuern für das Bankgewerbe dürfen sowohl mit Blick auf die Wettbewerbsfähigkeit des Bankensektors gegenüber dem Nichtbankensektor als auch auf die Fähigkeit des Bankengewerbes zur Erfüllung des Finanzbedarfs der Realwirtschaft nicht außer Acht gelassen werden. Dies ist umso wichtiger, als sich die Wirtschaft müht, aus der Rezession herauszukommen.

2.   Hintergrund

2.1   Nach der Krise stehen die nationalen Regierungen weltweit vor einem schwierigen zweifachen Problem: Erstens muss das Finanz- und Bankensystem dringend reformiert werden. Zweitens müssen neue Einnahmequellen erschlossen werden.

2.2   Eine Besteuerung wird aus verschiedenen Gründen erwogen, unter anderem zur Eindämmung negativer externer Effekte, zur Konsolidierung der Staatshaushalte, als Beitrag des Finanzsektors zur Rückzahlung gewährter Mittel, zur Einhaltung der Verpflichtungen gegenüber Entwicklungsländern und zur Bekämpfung des Klimawandels sowie - unter der Annahme einer zu geringen Besteuerung des Finanzsektors - als angemessener und substanzieller Beitrag des Finanzsektors zu den Staatshaushalten. Bis jetzt sind die Ziele der Besteuerung des Finanzsektors recht weit gestreut, und die Art derartiger Steuern sowie die zugrunde zu legenden Mechanismen werden noch geprüft.

2.3   Am 7. Oktober 2010 veröffentlichte die Europäische Kommission ihre Mitteilung zur Besteuerung des Finanzsektors (2), die durch ein Arbeitspapier (3) ihrer Dienststellen ergänzt wurde und in der zwei Instrumente in Betracht gezogen werden:

Eine Finanzaktivitätssteuer sollte auf EU-Ebene eingeführt werden, um zusätzliche Einnahmen für die Haushalte der Mitgliedstaaten zu generieren und gleichzeitig eine größere Stabilität der Finanzmärkte sicherzustellen. Wenn eine derartige Finanzaktivitätssteuer sorgfältig konzipiert und umsichtig umgesetzt wird, dürfte sie nach Ansicht der Kommission die Wettbewerbsfähigkeit der EU nicht übermäßig gefährden.

Auf globaler Ebene befürwortet die Kommission die Idee einer Finanztransaktionssteuer, die ihrer Auffassung nach als zusätzliche Finanzierungsquelle für den Umgang mit internationalen Herausforderungen, z.B. in den Bereichen Entwicklung und Klimawandel, dienen könnte.

2.4   Außerdem vertritt die Kommission angesichts des globalen und systemischen Charakters der Finanzkrise die Auffassung, dass die Bankensteuer eine abschreckende Wirkung auf eine unverhältnismäßig hohe Risikobereitschaft entfalten könnte. Die Steuer wäre nach Ansicht der Kommission aufgrund einer Stärkung der Effizienz, Robustheit und Stabilität der Finanzmärkte sowie einer Verringerung ihrer Volatilität eine angemessene Ergänzung der Reformen des Regulierungs- und Aufsichtsrahmens.

2.5   Als Teil des Krisenmanagementrahmens hat die Kommission außerdem weitere Initiativen vorgeschlagen, darunter die Schaffung eines Bankensanierungsfonds (4), auf den der EWSA bereits in einer Stellungnahme (5) eingegangen ist.

3.   Angemessener und substanzieller Beitrag des Finanzsektors zu den Staatshaushalten

3.1   Aufgrund der Rolle der Finanzmarktakteure im Vorfeld der Krise, in deren Verlauf in Schieflage geratene Finanzinstitute finanzielle Unterstützung vom Staat erhielten, ist die Meinung weitverbreitet, dass die entsprechenden Kosten nicht von den Bürgern oder anderen Branchen getragen werden sollten. Diese Meinung findet ihren Niederschlag in dem Ziel, „dass der Finanzsektor einen angemessenen und substanziellen Beitrag zu den Staatshaushalten leistet“. In diesem Zusammenhang sieht die Kommission vor, in ihre wirtschaftliche Studie eine umfassende Folgenabschätzung aufzunehmen, in welcher unterschiedliche Besteuerungsoptionen analysiert werden, um zu einem ausgewogenen Vorschlag zu kommen.

Der EWSA empfiehlt der Kommission, eine Untersuchung des Gesamtanteils des Finanzdienstleistungssektors am Steueraufkommen in der Europäischen Union mit all den unterschiedlichen Steuern durchzuführen, die Finanzdienstleistungsunternehmen bereits zahlen. Diese Studie könnte ein umfassendes Bild der entrichteten Körperschaftssteuern, der nicht erstattungsfähigen Mehrwertsteuer und der von den Banken als Arbeitgebern mitgetragenen beschäftigungsbezogenen Steuern vermitteln. Als Maß des weiterreichenden wirtschaftlichen Beitrags müssten die arbeitnehmerbezogenen Steuern gesondert berücksichtigt werden. Dann ließe sich überprüfen, ob die Besteuerung und der Mehrwert des Bankensektors in einem angemessenen Verhältnis stehen, und weiterhin, ob der Anteil des Bankensektors am Gesamtsteueraufkommen unter oder über dem Anteil anderer wichtiger Wirtschaftszweige liegt. Abschließend könnte die Gesamtbelastung aus neuer Bankensteuer und dem derzeitigen Gesamtsteueranteil abgeschätzt werden.

3.2   Falls eine neue Steuer im Finanzsektor eingeführt werden sollte, ist der EWSA der Überzeugung, dass sich eine derartige Studie als nützlich erweisen würde, um den Umfang einer solchen Steuer sowohl in Hinsicht auf ihren Anwendungsbereich als auch den effektiven Steuersatz abzustimmen. Dabei sollte die Fähigkeit der Banken zur Wiederherstellung und Stärkung ihrer Kapitalgrundlage ebenso wie ihre Fähigkeit zur Finanzierung von Privathaushalten und Unternehmen, insbesondere KMU, in der Europäischen Union sorgfältig geprüft werden.

3.3   Die Vorschläge zu einer möglichen Beteiligung des Finanzsektors an den Kosten möglicher zukünftiger Krisen können nach Auffassung des EWSA nicht getrennt von der Diskussion über weitergehende Änderungen am Regulierungssystem und dem umfangreichen Bündel von Maßnahmen zur Reduzierung sowohl der Wahrscheinlichkeit als auch der Folgen eines Finanzkollapses gesehen werden.

3.3.1   Die Besteuerung des Finanzsektors wäre dann optimal gestaltet, wenn sie einerseits das fiskalische Ziel der Generierung von Einnahmen und andererseits das Ziel der Beschränkung der Risikobereitschaft in einem ausgewogenen Verhältnis erfüllt.

4.   Finanztransaktionssteuer

4.1   Die Finanztransaktionssteuer könnte in mehrfacher Hinsicht nützlich sein: insbesondere zur Eindämmung unproduktiver Tätigkeit auf den Finanzmärkten durch die Verringerung von Spekulation und Volatilität und gleichzeitig zur Rückführung von Mitteln an den Staat.

4.2   Das Europäische Parlament hat im März 2010 eine Entschließung zu Steuern auf Finanzgeschäfte und einen Bericht über innovative Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene verabschiedet (6).

4.3   Mit der Finanztransaktionssteuer wollen die Behörden die Zahl riskanter, spekulativer („gesellschaftlich sinnloser“) (7) Finanztransaktionen senken. Außerdem mögen sie in der Steuer ein Mittel sehen, ein Zu-groß-Werden von Banken zu verhindern oder zu vielen zu riskanten Transaktionen in Zukunft einen Riegel vorzuschieben.

4.4   Der EWSA hat seine Haltung zur Finanztransaktionssteuer in seiner Initiativstellungnahme zum Thema „Steuer auf Finanztransaktionen“ dargelegt und ist dabei zu folgenden Schlussfolgerungen und Empfehlungen gelangt:

Das vorrangige Ziel einer Finanztransaktionssteuer muss ein Verhaltenswandel im Finanzsektor sein, indem kurzfristige spekulative Finanztransaktionen eingeschränkt werden. Dadurch können die Tätigkeiten in der Finanzbranche nach dem Preismechanismus des Marktes ablaufen. Der gewünschte Effekt könnte erzielt werden, da die Finanztransaktionssteuer im Hochfrequenzhandel am stärksten greift.

Außerdem verfolgt eine Steuer auf Finanztransaktionen das Ziel, Mittel für die öffentlichen Kassen zu erschließen. Diese neue Einnahmequelle könnte zur Unterstützung der wirtschaftlichen Entwicklung in Entwicklungsländern, für die Finanzierung klimapolitischer Maßnahmen in Entwicklungsländern oder zur Stützung öffentlicher Haushalte eingesetzt werden. Letzteres bedeutet auch, dass die Finanzbranche die öffentlichen Finanzhilfen zurückerstattet. Langfristig könnte eine solche Steuer eine neue allgemeine Einnahmequelle für die öffentliche Hand sein.

4.5   Da von manchen Seiten Bedenken wegen der Gefahr von Verlagerungseffekten bei einer örtlich begrenzten Einführung der Steuer geäußert werden, sollte eine Finanztransaktionssteuer, wie von der Kommission gefordert, zuerst global angestrebt werden. Falls sich jedoch die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf globaler Ebene als nicht machbar erweist, befürwortet der EWSA die Einführung einer EU-Finanztransaktionssteuer unter Berücksichtigung der Ergebnisse der Folgenabschätzung der Europäischen Kommission.

4.6   Der EWSA ist der Ansicht, dass die Finanztransaktionssteuer so zu gestalten ist, dass sie über Wertpapiersammelbankensysteme einfach eingezogen werden kann. Berücksichtigt werden sollten dabei die mit der Beitreibung und Einhaltung einer breit angelegten Finanztransaktionssteuer verbundenen Probleme und Kosten ebenso wie die Rechtsunsicherheit für die Stellen, die im außerbörslichen Handel („over the counter“, OTC) mit nicht-börsengehandelten Wertpapieren und Derivaten für die Einziehung der Steuer verantwortlich sein sollen.

4.7   Schließlich weist der EWSA darauf hin, dass es weiterhin viele Hoheitsgebiete gibt, die Offshore-Finanzzentren bilden und sich durch eine Intransparenz auszeichnen, die mit dem Bankgeheimnis und niedrigen Steuersätzen oder gar einer gänzlich fehlenden Besteuerung einhergeht. Angesichts der Leichtigkeit, mit der dort Zweigniederlassungen gegründet und die Geschäfte über das Internet abgewickelt werden können, muss parallel zur Einführung einer Finanztransaktionssteuer die Erhöhung der Transparenz sowie die wirksame Zusammenarbeit im Bereich der Rechtsprechung und des Steuerrechts verpflichtend werden.

5.   Finanzaktivitätssteuer

5.1   Der Hauptunterschied zwischen der Finanztransaktions- und der Finanzaktivitätssteuer ist, dass die Finanzaktivitätssteuer Körperschaften der Finanzbranche und die Finanztransaktionssteuer die Finanzmarktteilnehmer besteuert. Während durch erstere die Handelsaktivitäten besteuert werden, die sich auf wenige Finanzzentren konzentrieren, betrifft letztere die Gewinne und Entgelte des Finanzsektors, die gleichmäßiger verteilt sind.

5.2   Die Kommission geht aufgrund des Berichts des IWF davon aus, dass durch ein anderes Instrument, nämlich durch die Finanzaktivitätssteuer, die Besteuerung des Finanzsektors verbessert und die potenziell negative Wirkung auf die übrige Wirtschaft verringert werden kann.

5.3   Bei der Gestaltung einer Finanzaktivitätssteuer könnte die Kommission eine abschlussbezogene Steuergrundlage wählen.

5.4   Das gewählte Konzept sollte im Rahmen der gegenwärtigen Rechnungslegungspraktiken nachvollziehbar sein, ob dies nun die Internationalen Finanzberichterstattungsnormen (IFRS) sind oder, wenn diese von Finanzinstituten nicht angewandt werden, allgemein anerkannte Buchführungsgrundsätze (GAAP), die vor Ort gelten.

5.5   Sollte sie cashflow-basiert sein, könnte die Einführung einer Finanzaktivitätssteuer Auswirkung auf die Liquidität haben und die Liquiditätsflüsse verteuern. Dabei waren gerade Spannungen im Bereich der Liquidität ein zentrales Element im Vorfeld der Krise. Daher ist es ratsam, bei der Wahl der Grundlage für die Finanzaktivitätssteuer die Zahlungsfähigkeit der Institute und ihre Fähigkeit, neue Eigenkapitalanforderungen zu erfüllen, ebenso zu berücksichtigen wie die Wechselbeziehung zwischen Finanzaktivitäts- und Mehrwertsteuer.

6.   Mehrwertsteuer

6.1   Nach Auffassung der Kommission ist die Einführung einer neuen Steuer auch daher geboten, weil der Bereich der Finanzdienstleistungen nach Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem („Mehrwertsteuerrichtlinie“) von der Mehrwertsteuer befreit ist.

6.2   Der EWSA betont, dass der Hauptgrund für diese Befreiung in dem konzeptionellen und praktischen Problem der Ermittlung des Wertes der von den Banken erbrachten Finanzdienstleistungen liegt. Dies gilt insbesondere für die traditionellen Finanzmittlerdienstleistungen der Einlagen und Darlehen. Die diesbezügliche Überlegung gilt der Differenz zwischen den für Darlehen geforderten und den auf Einlagen gewährten Zinsen. Diese Spanne ist eine allgemeine zusammengesetzte Größe der von einer Bank erbrachten Vermittlungsdienstleistungen für Anleger und Kreditnehmer, die für einzelne Geschäftsvorgänge zwecks Anwendung einer Mehrwertsteuer oder einer anderen transaktionsabhängigen Verbrauchssteuer nicht einfach zu bemessen ist. Es hat sich als schwierig erwiesen, ein Verfahren zur Zuordnung dieser Spanne zu einzelnen Geschäftsvorgängen zu entwickeln, um eine rechnungsgestützte Mehrwertsteuer zu erheben. Auf ähnliche Probleme stößt man bei der Besteuerung von Versicherungen und anderen Finanzdienstleistungen, wie etwa dem Handel mit Devisen und Wertpapieren.

6.3   Die Mehrwertsteuerbefreiung von Finanzdienstleistungen ist im MwSt-Recht mit keinem - oder nur einem beschränkten - Recht auf Vorsteuerabzug verknüpft. Dies bedeutet, dass Finanzinstitute die Mehrwertsteuer auf eigene Ausgaben nicht vollständig in Abzug bringen können und diese somit als reine Kosten zu Buche schlagen. Die Höhe dieser „versteckten Mehrwertsteuerkosten“ kann erheblich sein, denn bei ausgelagerten Dienstleistungen und gruppeninternen Transaktionen kommt es zu einem Kaskadeneffekt der Steuer.

6.4   Die Kommission hat 2007 einen Richtlinienvorschlag zur Reform der Anwendung der Mehrwertsteuer auf Finanzdienstleistungen vorgelegt, der auf drei Säulen basierte, darunter der vorgeschlagenen Möglichkeit einer Besteuerung von Finanzdienstleistungen. Der EWSA ist der Überzeugung, dass die Debatte über eine Besteuerung des Finanzsektors nicht losgelöst von der vorgeschlagenen Mehrwertsteuerreform geführt werden darf (8).

6.5   Weiterhin hat der EWSA Bedenken hinsichtlich des Anwendungsbereichs der Finanzaktivitätssteuer und der kumulativen Belastung, die sie gemeinsam mit den Beträgen der nicht erstattungsfähigen Mehrwertsteuer darstellt. Die Finanzaktivitätssteuer kann zwar so konzipiert werden, dass sie speziell auf ökonomische Renten und/oder Risiken abzielt, doch betrifft sie in ihrer umfassendsten Form (Additionsmethode) die gesamten Gewinne und Arbeitsentgelte. Der EWSA ist der Auffassung, dass wenn eine neue Steuer den Cashflow oder ähnliche Faktoren als Grundlage hätte, die Kommission prüfen sollte, welche Vorteile es böte, sie im Rahmen der Mehrwertsteuer zu gestalten, um die Auswirkungen der Nichterstattungsfähigkeit der Mehrwertsteuer zu mindern und somit eine Erhöhung der volkswirtschaftlichen Kosten für alle Wirtschaftsakteure in Europa abzuwenden.

Brüssel, den 15. Juni 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Stellungnahme des EWSA „Steuer auf Finanztransaktionen“, ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 81.

(2)  KOM(2010) 549/5.

(3)  SEK(2010) 1166/3.

(4)  KOM(2010) 254 endg.

(5)  EWSA-Stellungnahme zum Thema „Bankensanierungsfonds“, ABl. C 107 vom 6.4.2011, S. 16.

(6)  Entschließung des Europäischen Parlamentes vom 10. März 2010 zu dem Thema „Steuern auf Finanzgeschäfte - praktische Umsetzung“ und „Entwurf eines Berichts über innovative Finanzierung auf globaler und europäischer Ebene“ (2010/2105(INI)).

(7)  „Taxing the Speculators“ [Besteuerung der Spekulanten]: http://www.nytimes.com/2009/11/27/opinion/27krugman.html (auf Englisch).

(8)  KOM(2007) 746 und 747 endg.


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