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Document 52011AE0984

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Intelligente Regulierung in der Europäischen Union“ KOM(2010) 543 endg.

ABl. C 248 vom 25.8.2011, p. 87–91 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

25.8.2011   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 248/87


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der „Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Intelligente Regulierung in der Europäischen Union“

KOM(2010) 543 endg.

2011/C 248/15

Berichterstatter: Jorge PEGADO LIZ

Die Europäische Kommission beschloss am 8. Oktober 2010, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 304 AEUV um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen:

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen: Intelligente Regulierung in der Europäischen Union

KOM(2010) 543 endg.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Binnenmarkt, Produktion und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 26. Mai 2011 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 472. Plenartagung am 15./16. Juni 2011 (Sitzung vom 15. Juni) mit 128 gegen 1 Stimme bei 5 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1

Der EWSA begrüßt das nicht nur in dieser Mitteilung, sondern auch in den Dokumenten zur Europa-2020-Strategie und zur Binnenmarktakte zum Ausdruck kommende Interesse der Kommission, die politischen, legislativen und administrativen Verfahren für eine rationellere und angemessenere Erarbeitung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts zu vertiefen. Dieser Prozess soll sich über den gesamten Rechtsetzungsprozess erstrecken, vom Entwurf bis zur Anwendung durch die zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten und zur abschließenden Bewertung der tatsächlichen Einhaltung durch diejenigen, für die die Rechtsvorschriften letztlich bestimmt sind.

1.2

Der Ausschuss kann jedoch nicht nachvollziehen, warum der etablierte Begriff „bessere Rechtsetzung“ durch eine neue Bezeichnung ersetzt werden musste – außer wenn es sich bei der Mitteilung um ein rein politisches Dokument handeln sollte.

1.3

Der Ausschuss stellt mit Befriedigung fest, dass auf diesem Gebiet mehrere seiner Vorschläge aus früheren Stellungnahmen aufgegriffen wurden. Er befürwortet daher die bekundete Absicht, die Kontrolle von Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit zu stärken, strengere Folgenabschätzungen durchzuführen, die Ex-post-Bewertung stärker strategisch auszurichten und zu integrieren, für eine aktivere Einbindung der Mitgliedstaaten und der nationalen Parlamente mit mehr Verantwortung zu sorgen und die Staaten und Parlamente bei ihrer eigenen Tätigkeit im Rechtsetzungsprozess zu unterstützen. Besonders zu begrüßen ist der Vorschlag für eine stärkere Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger und anderer Akteure an der Ausarbeitung, Umsetzung und Anwendung des Gemeinschaftsrechts, was sich konkret in längeren Fristen für öffentliche Konsultationen und in der Vereinfachung und wirksameren Gestaltung der Vertragsverletzungsverfahren niederschlägt.

1.4

Nach Ansicht des Ausschusses bleibt die Mitteilung jedoch hinter den Erwartungen zurück und trägt somit nicht ausreichend zur Konkretisierung der Rechtsetzungsaspekte für die Umsetzung der Europa-2020-Strategie oder zur Anwendung der vorrangigen Maßnahmen der Binnenmarktakte bei.

1.5

Der EWSA hält es für unverzichtbar, dass sich an die Mitteilung ein Aktionsprogramm anschließt, in dem Ziele festgelegt, Maßnahmen konkretisiert, Instrumente genannt, Folgen abgeschätzt, Optionen definiert und Kosten-Nutzen-Analysen aufgestellt werden. Dies sollte im Vorfeld ausführlich mit der Zivilgesellschaft auf europäischer, einzelstaatlicher, regionaler und lokaler Ebene diskutiert werden.

1.6

Der Ausschuss ruft die Kommission daher auf, in den Folgemaßnahmen zu dieser Mitteilung den in dieser Stellungnahme genannten allgemeinen Ausrichtungen und Standpunkten, die der Ausschuss bereits seit Jahren vertritt, besonders Rechnung zu tragen.

1.7

Nach Auffassung des EWSA sollten insbesondere solche Aspekte besser definiert werden wie die Art und Weise der Durchführung von Ex-ante-Folgenabschätzungen durch alle für die Umsetzung zuständigen EU-Institutionen, die Art und Zusammensetzung des für die Kontrolle der Folgenabschätzungen zuständigen Gremiums, die dabei verwendeten Parameter, insbesondere wenn es um Auswirkungen auf die Grundrechte geht, und die Frage, wie und mit welchen neuen Mitteln für mehr Transparenz gesorgt werden soll. Des Weiteren sollten der Finanzsektor und die Bereiche Gesundheit und soziale Sicherheit im Rahmen einer eingehenderen sektorspezifischen Prüfung genauer untersucht werden, und die Prioritätskriterien, Mechanismen zur Bewertung und Prüfung von Beschwerden, spezielle Instrumente zur amtlichen Aufdeckung von Verstößen, Maßnahmen zur Verbesserung der Funktionsweise der nationalen Gerichte sowie weitere Instrumente besser dargelegt werden.

1.8

Der Ausschuss vertritt abschließend die Ansicht, dass die Kommission mehrere wichtige Aspekte außer Acht gelassen hat, und fordert sie auf, diese angemessen zu erwägen und ausdrücklich zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die Kriterien und Parameter zur Bewertung der Qualität der Rechtsvorschriften, konkrete Maßnahmen zur Rechtsvereinfachung, das unerklärliche Fehlen einer klaren Entscheidung für das Instrument „Verordnung“, insbesondere zur Herbeiführung einer vollständigen Harmonisierung in Bereichen, die die Vollendung des Binnenmarktes betreffen, das unverzeihliche Fehlen eines Verweises auf optionale Regelungen und auf die Rolle der Selbst- und Koregulierung, und die überraschende Tatsache, dass auch keinerlei Verbindung zu den sehr wichtigen Arbeiten im Zusammenhang mit dem „gemeinsamen Referenzrahmen“ und den jüngsten Vorschlägen zur stärkeren Harmonisierung des europäischen Vertragsrechts hergestellt wird.

1.9

Besondere Schwachpunkte der Mitteilung sind nach Ansicht des EWSA die Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung des EU-Rechts. Der Ausschuss ersucht daher die Kommission, stärker auf die Ursprünge und Hauptgründe für die allgemein unzulängliche Durchführung des EU-Besitzstands einzugehen, die Jahr um Jahr in den Berichten über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts festgestellt wird, und die zahlreichen Beiträge und Empfehlungen angemessen zu berücksichtigen, die der EWSA in mehreren einschlägigen Stellungnahmen beigesteuert hat. Die Kommission sollte zudem systematisch prüfen, welche Maßnahmen für eine grundlegende Änderung der derzeitigen Situation unverzichtbar sind.

2.   Einleitung: Begriff und Hintergrund

2.1

Gemäß der hier geprüften Mitteilung ist unter „intelligenter Regulierung“ eine Regulierung zu verstehen:

die den gesamten politischen Entscheidungsprozess vom Entwurf eines Rechtsakts bis zur Umsetzung, Durchsetzung, Bewertung und Überarbeitung betrifft;

die nach wie vor eine gemeinsame Aufgabe der Mitgliedstaaten und der europäischen Organe ist;

bei der die Ansichten der von der Regulierung am stärksten Betroffenen entscheidend sind, weshalb Bürger und Interessengruppen verstärkt einbezogen werden müssen.

2.2

Wie der Vertreter der Kommission in den Vorbereitungssitzungen für diese EWSA-Stellungnahme wiederholt und nachdrücklich betont hat, handelt es sich nach Ansicht der Kommission um ein rein politisches Dokument und nicht um ein technisches. Deshalb wird man darin auch vergeblich nach einer echten Begriffsbestimmung für „intelligente Regulierung“ suchen.

2.3

Die jetzige Initiative für „intelligente Regulierung“ ist jedoch die Nachfolgerin der Strategie für „bessere Rechtsetzung“, auf die die Institutionen der EU im Allgemeinen und die Kommission im Besonderen in den letzten zehn Jahren viel Mühe verwandt haben, und zwar mit großem Erfolg, wie der EWSA, der diese Bemühungen stets unterstützt und angeregt hat, in mehreren Stellungnahmen klar aufgezeigt hat (1).

3.   Allgemeine Bemerkungen

3.1

Angesichts der derzeitigen Situation des EU-Rechts sind eingehende Überlegungen über dessen Konzipierung, Ausarbeitung, Umsetzung und Anwendung notwendig. Solche Überlegungen sollten auch bezüglich der Überprüfung und Vereinfachung der Rechtsvorschriften angestellt werden.

3.2

Nach Auffassung des EWSA sollte dieses Thema unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft eingehend diskutiert werden, nicht nur weil sich die EU-Rechtsvorschriften auf die Zivilgesellschaft auswirken, sondern auch weil ihre Mitwirkung entscheidend zur angestrebten Verbesserung des geltenden Rechtsrahmens beitragen kann.

3.3

Vor diesem Hintergrund wird die Mitteilung, die ja lediglich ein rein politisches Dokument ist, nicht den Erfordernissen gerecht. Das heißt, sie beinhaltet zu viele gute Vorsätze und Absichten und zu wenige konkrete Maßnahmen und wirksame Instrumente.

3.4

Generell muss der Vorschlag aufgrund seiner rein politischen Natur durch ein konkretes Programm vervollständigt werden, in dem Ziele festgelegt, Maßnahmen konkretisiert, Instrumente genannt und Folgen abgeschätzt werden. Darin sollten auch Optionen definiert werden und ein Kosten-Nutzen-Verhältnis aufgestellt werden.

3.5

Der Ausschuss begrüßt die in der Mitteilung vorgenommene Analyse und vorgeschlagenen Ziele nachdrücklich. Er kann nicht nachvollziehen, warum die „bessere Rechtsetzung“ nun in „intelligente Regulierung“ umbenannt wird - außer wenn es sich dabei um ein rein politisches Instrument handeln sollte.

3.6

In diesem Zusammenhang hält es der Ausschuss für zweckmäßig, seine Standpunkte auf diesem Gebiet zu bekräftigen:

a)

striktere Anwendung der Grundsätze der besseren Rechtsetzung;

b)

Transparenz in allen Phasen der Gestaltung und Erarbeitung der Rechtsvorschriften;

c)

bessere Auswahl der Rechtsinstrumente, einschließlich Selbstregulierungs- und Koregulierungsmechanismen;

d)

Entwicklung eines Systems der planmäßigeren Begleitung der Umsetzung von Richtlinien in nationales Recht;

e)

dabei dürfen die neue Rolle und die größeren Befugnisse nicht vergessen werden, die der Vertrag von Lissabon den nationalen Parlamenten zuweist;

f)

wichtig ist auch, dass die Kommission häufiger auf Mitteilungen zur Auslegung der Rechtsvorschriften zurückgreift;

g)

notwendig sind außerdem größere Anstrengungen zur Vereinfachung und Kodifizierung der Rechtsvorschriften.

4.   Besondere Bemerkungen

A.   Begrüßenswerte Aspekte

4.1

Bei der Einzelbetrachtung sind mehrere in der Mitteilung enthaltene positive Aspekte zu nennen, die der Ausschuss begrüßt und unterstützt.

4.2

Dazu gehören sicherlich die Vorschläge, die Einhaltung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit genauer zu prüfen, die Qualität der Rechtstexte zu verbessern und strengere Folgenabschätzungen vorzunehmen.

4.3

Zu begrüßen ist auch, dass die Programme zur Vereinfachung der Rechtsvorschriften und zur Verringerung der unnötigen Verwaltungslasten um mindestens 25 % fortgeführt werden sollen.

4.4

Befürwortet wird auch die Idee einer stärker strategisch ausgerichteten und integrierten Ex-post-Evaluierung, bei der nicht nur die bestehenden Rechtsvorschriften, sondern auch alle relevanten wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und ökologischen Auswirkungen berücksichtigt werden und die nicht nur fallweise und vereinzelt für die jeweilige Rechtsvorschrift erfolgen soll.

4.5

Besonders zu begrüßen sind alle Initiativen, mit denen die Mitgliedstaaten zur Übernahme von Eigenverantwortung im Rechtsetzungsprozess angeregt werden, z.B. indem die nationalen Parlamente im Rahmen der ihnen durch den AEUV (insbesondere durch die Artikel 8 bis 13) übertragenen neuen Zuständigkeiten in die Ausarbeitung der Rechtstexte einbezogen werden.

4.6

Der Ausschuss begrüßt deshalb, dass sich die Kommission nicht nur bereit erklärt, die verschiedenen Organe und Institutionen der Mitgliedstaaten, die an der Umsetzung und Anwendung des EU-Rechts beteiligt sind, zu unterstützen, sondern auch die Beteiligung der Bürger und anderer Interessengruppen an den Diskussionen sicherzustellen, die während der Ausarbeitung, Anwendung und Umsetzung von EU-Rechtstexten in einzelstaatliches Recht in den einzelnen Mitgliedstaaten geführt werden müssen.

4.7

Der Ausschuss begrüßt insbesondere die Entschlossenheit der Kommission, die Vertragsverletzungsverfahren schneller zu bearbeiten und dabei Prioritäten festzulegen, ohne die Rolle von SOLVIT zu schmälern, angesichts der Notwendigkeit eines neuen Impulses und einer größeren Verbreitung und Glaubwürdigkeit bei den betroffenen Interessengruppen.

4.8

Die Verlängerung der Dauer öffentlicher Konsultationen von acht auf zwölf Wochen findet den besonderen Zuspruch des Ausschusses. Dadurch soll „den Bürgern und Interessengruppen ein stärkeres Gewicht zukommen“, was nach Auffassung des EWSA in unmittelbarem Zusammenhang mit Artikel 11 des Vertrags von Lissabon steht, da dies ein Beitrag zur partizipativen Demokratie in der EU ist.

B.   Verbesserungswürdige Aspekte

4.9

Der Ausschuss versteht die Gründe, die die Kommission zur Auffassung bewogen haben, dass der zuständige interne Ausschuss weiterhin die Kontrolle über die Folgenabschätzungen ausüben sollte. Dabei dürfen aber auch nicht die in der öffentlichen Anhörung vorgebrachten Argumente übersehen werden, wonach diese Kontrolle durch ein unabhängiges externes Gremium erfolgen sollte. Eine Alternative wäre die Einrichtung eines internen Gremiums mit Vertretern aller Mitgliedstaaten. Auf jeden Fall muss das Mandat des Ausschusses für Folgenabschätzung (Impact Assessment Board – IAB) durch einen Mechanismus gestärkt werden, der die verpflichtende Durchführung von Folgenabschätzungen vorsieht. Zudem hat der IAB nicht die Befugnis, den Bericht über die Folgenabschätzung und de facto die betroffene Rechtsvorschrift zurückzustellen, wenn sich aus der Prüfung des Berichts größere Defizite bei der durchgeführten Untersuchung ergeben. Diese Fragen sollten eingehender erörtert werden, da es sich dabei laut Kommission um „ein entscheidendes Element dieses Systems“ handelt.

4.10

Überdies gelangte der Europäische Rechnungshof in einem unlängst erstellten Bericht zu dem Schluss, dass die Europäische Kommission es nicht für notwendig hält, wie von Interessengruppen immer wieder verlangt, Anhörungen zu Entwürfen von Folgenabschätzungen durchzuführen. Solche Konsultationen würden aus der Sicht der Interessengruppen zur Verbesserung des Verfahrens beitragen und sicherstellen, dass das bestmögliche Produkt in das Mitgesetzgebungsverfahren zwischen Rat und Parlament einfließt.

4.11

Als besonderen Schwachpunkt des EU-Systems der Folgenabschätzungen stellt der Rechnungshof in diesem Bericht heraus, dass weder das Europäische Parlament noch der Rat systematisch Folgenabschätzungen für die von ihnen vorgenommenen Änderungen erstellen. Der EWSA ersucht den Rat und das Europäische Parlament, benutzerfreundliche Zusammenfassungen ihrer eigenen Folgenabschätzungen zu erstellen und zu veröffentlichen sowie die Interinstitutionelle Vereinbarung (2) einzuhalten.

4.12

Aus der Mitteilung wird nicht deutlich, welche Parameter in den von ihr angestrebten Folgenabschätzungen verwendet werden sollen (3).

4.13

Im Hinblick auf die größere Transparenz des Systems sollte die Kommission ausführen, wie und mit welchen neuen Mitteln sie für mehr Transparenz sorgen will.

4.14

Im Hinblick auf die Abschätzung der Folgen für die Grundrechte sollte die Kommission ebenfalls die Art und Weise und die Mittel dieser Bewertung konkretisieren.

4.15

Die gegenwärtige Finanz- und Wirtschaftskrise hat die Notwendigkeit deutlich gemacht, die Rolle der Regulierung und Reglementierung der Marktteilnehmer zu überdenken. Die neue Strategie für eine intelligente Regulierung sollte deshalb sektoriell und sektorübergreifend angegangen werden, wobei die Kommission in ihrer Mitteilung u.a. dem Finanzsektor sowie den Bereichen Gesundheit und soziale Sicherheit besondere Aufmerksamkeit hätte widmen sollen.

4.16

Im Hinblick auf die Ausübung ihrer Befugnisse bei Vertragsverletzungen sollte die Kommission insbesondere „die zur vertragsgetreuen, wirksamen und unparteiischen Erfüllung dieser Aufgabe notwendigen intern-organisatorischen Maßnahmen“ (4) näher ausführen, wie z.B. Prioritätskriterien, Mechanismen zur Bewertung und Prüfung von Beschwerden, spezielle Instrumente zur offiziellen Ermittlung von Verstößen, Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeit der nationalen Gerichte sowie weitere Instrumente (SOLVIT, FIN-NET, ECC-NET sowie alternative und außergerichtliche Mittel).

C.   Fehlende Aspekte

4.17

Im Hinblick auf die Verbesserung der Qualität der Gesetzestexte fehlen konkrete Angaben zu Kriterien und Parametern, die diesbezüglich angelegt werden könnten.

4.18

Bezüglich der Vereinfachung der Rechtsvorschriften fehlen Hinweise auf konkrete Maßnahmen, die offensichtlich erscheinen, wie zum Beispiel:

Bemühungen um eine wirkliche und gründliche Kodifizierung, nicht nur eine bloße Kompilation von Rechtstexten;

überprüfte und geänderte Rechtstexte sollten vollständig veröffentlicht werden und nicht nur als bloße „Kollage“ mit Verweisen auf die Artikel verschiedener Rechtstexte.

4.19

Es fehlt eine klare Entscheidung für das Instrument „Verordnung“ anstatt des Einsatzes von Richtlinien, obgleich dies in der Europa-2020-Strategie propagiert wird.

4.20

Zudem wird keinerlei Verbindung hergestellt zu den sehr wichtigen Arbeiten im Zusammenhang mit dem „gemeinsamen Referenzrahmen“ und den jüngsten Vorschlägen der Kommission zur stärkeren Harmonisierung des europäischen Vertragsrechts, über die derzeit diskutiert wird (5).

4.21

In der Mitteilung wird nicht auf die Notwendigkeit hingewiesen, ein optionales „28. Regime“ im Rahmen der Initiativen zur besseren Rechtsetzung systematisch in Erwägung zu ziehen (6).

4.22

Ebenso verwundert es, dass die Mitteilung kein Wort zur Rolle der Selbst- und Koregulierung enthält und auch keines zur notwendigen vorherigen Erwägung bezüglich dessen, was sinnvollerweise durch nichtzwingendes Recht („soft law“) statt durch Regulierung gelöst werden könnte.

4.23

Besondere Schwachpunkte der Mitteilung sind die Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung des EU-Rechts. Hier möchte der EWSA auf seine einschlägigen Stellungnahmen (7) sowie auf die Schlussfolgerungen der Konferenz hinweisen, die unlängst vom belgischen Ratsvorsitz zu diesem Thema veranstaltet wurde (8).

4.24

In diesem Zusammenhang besonders relevant ist der Bericht der Kommission vom 1. Oktober 2010 über die Anwendung des Gemeinschaftsrechts (9). Darin wird zwar eine begrenzte Verbesserung gegenüber dem Vorjahr festgestellt, aber auch ein durchschnittlicher Anteil der Verspätungen bei der Umsetzung von 51 % und eine durchschnittliche Bearbeitungsdauer der Vertragsverletzungsverfahren von 24 Monaten.

4.25

In diesem Zusammenhang geht die Kommission nicht auf die Hauptgründe für die allgemein unzulängliche Durchführung des EU-Besitzstands in den Mitgliedstaaten ein, zu denen sich der EWSA vielfach geäußert hat, was sich nur durch die Tatsache erklären lässt, dass es sich um ein rein politisches Dokument handelt. Aufgrund ihrer Bedeutung im Zusammenhang mit der intelligenten Regulierung sollen jedoch folgende Aspekte genannt werden:

a)

die falsche oder unvollständige Aufnahme der EU-Rechtsvorschriften in das nationale Recht, wo sie oftmals als unerwünscht und als unvereinbar mit den nationalen Sitten, Gebräuchen und Interessen betrachtet werden;

b)

der Mangel an politischem Willen der nationalen Behörden, Vorschriften einzuhalten oder durchzusetzen, die als „Fremdkörper“ in ihrem Regelwerk und ihrer nationalen Tradition betrachtet werden;

c)

die anhaltende Tendenz, die Vorschriften der Gemeinschaft durch neue, unnötige Rechtsmechanismen zu ergänzen und nur gewisse Teile der EU-Rechtsvorschriften auszuwählen („gold-plating“ und „cherry-picking“), weshalb es empfehlenswert erscheint, die Mitgliedstaaten - über die von diesen vorzulegenden „Übereinstimmungstabellen“ hinaus, auf die die Interinstitutionelle Vereinbarung (10) und die Rahmenvereinbarung zwischen der Kommission und dem Europäischen Parlament Bezug nehmen – darum zu ersuchen anzugeben, welche Bestimmungen ihrer nationalen Umsetzungsgesetze eine Überregulierung darstellen;

d)

eine gewisse mangelnde fachliche Vorbereitung der nationalen Behörden, hinsichtlich des Verständnisses und der Durchsetzung des EU-Rechts;

e)

die mitunter unzulängliche fachliche Ausbildung einiger Richter und anderer Akteure des Justizwesens (Rechtsanwälte, Justizbeamte usw.) in Fragen des EU-Rechts, was in einigen Fällen zu einer falschen Anwendung oder Nichtanwendung der in das nationale Recht umgesetzten Vorschriften oder zur Anwendung „paralleler“ nationaler Rechtsvorschriften führt;

f)

die Notwendigkeit, die Maßnahmen der Verwaltungszusammenarbeit auszuweiten, um die Organisationen der Zivilgesellschaft, insbesondere die Verbraucherschutzverbände, einzubeziehen;

g)

die mangelnde Voraussicht und unzureichende Harmonisierung des Sanktionsrechts, das den Mitgliedstaaten überlassen wird.

4.26

Die Kommission müsste auch im Hinblick auf die Information und Schulung der nationalen Behörden, insbesondere derer mit unmittelbaren Zuständigkeiten im Bereich der Durchsetzung des Gemeinschaftsrechts in den Mitgliedstaaten, vorrangig Maßnahmen ergreifen. In diesem Bereich muss die Information und Schulung der Richter auf den verschiedenen Ebenen, die letztlich für die Auslegung und Anwendung des Rechts in konkreten Streitfällen zuständig sind, verstärkt werden.

Brüssel, den 15. Juni 2011

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Staffan NILSSON


(1)  Siehe insbesondere ABl. C 48 vom 15.2.2011, S. 107 und ABl. C 175 vom 28.7.2009, S. 26.

(2)  ABl. C 321 vom 31.12.2003, S. 1.

(3)  ABl. C 44 vom 11.2.2011, S. 23.

(4)  KOM(2002) 725 endg.

(5)  Grünbuch der Kommission - Optionen für die Einführung eines Europäischen Vertragsrechts für Verbraucher und Unternehmen (KOM(2010) 348 endg.).

(6)  Siehe die Initiativstellungnahme des EWSA zum „28. Regime“ (ABl. C 21 vom 21.1.2011, S. 26) sowie die in wichtigen Berichten jüngster Zeit enthaltenen Verweise auf dieses Verfahren, so im Monti-Bericht „Eine neue Strategie für den Binnenmarkt“ vom 9.5.2010, im Bericht von Felipe González „Projekt Europa 2030“ vom 8.5.2010 oder im Lamassoure-Bericht „Der Bürger und die Anwendung des Gemeinschaftsrechts“ vom 8.6.2008.

(7)  ABl. C 24 vom 31.1.2006, S. 52 und ABl. C 18 vom 19.1.2011, S. 100.

(8)  Hochrangige Konferenz „Tag der Durchsetzung des Europäischen Verbraucherschutzrechts“ (European consumer protection enforcement day) (Brüssel, 22.9.2010).

(9)  KOM(2010) 538 endg., „27. Jahresbericht über die Kontrolle der Anwendung des EU-Rechts (2009)“.

(10)  ABl. C 321 vom 31.12.2003, S. 1.


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