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Document 52010IE0104

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Nachhaltige Entwicklung der Küstenregionen“ (Initiativstellungnahme)

ABl. C 339 vom 14.12.2010, p. 7–12 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

14.12.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 339/7


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Nachhaltige Entwicklung der Küstenregionen“

(Initiativstellungnahme)

(2010/C 339/02)

Berichterstatter: Stéphane BUFFETAUT

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 26. Februar 2009 gemäß Artikel 29 Absatz 2 seiner Geschäftsordnung, eine Initiativstellungnahme zu folgendem Thema zu erarbeiten:

„Nachhaltige Entwicklung der Küstenregionen“.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Landwirtschaft, ländliche Entwicklung, Umweltschutz nahm ihre Stellungnahme am 13. Oktober 2009 an.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 459. Plenartagung am 20./21. Januar 2010 (Sitzung vom 20. Januar) mit 138 Ja-Stimmen bei 4 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Schlussfolgerungen und Empfehlungen

1.1   Der Ausschuss betont, dass die 136 000 km Küste der EU ein wertvolles Gut sind, doch kann der demografische, bauliche, landwirtschaftliche, wirtschaftliche und touristische Druck, der auf den Küstenregionen lastet, ihre Attraktivität und ihre Zukunft gefährden. Nur Maßnahmen, die auf eine nachhaltige Entwicklung sowohl in wirtschaftlicher als auch ökologischer Hinsicht ausgerichtet sind, können eine erfolgreiche Zukunft der Küstenregionen sichern.

Der Ausschuss spricht diesbezüglich folgende Empfehlungen aus:

1.2.1   Umweltschutz

Einrichtung eines europäischen Netzes der mit der Verwaltung der Meeresschutzgebiete beauftragten Gremien und Einführung eines europäischen Gütezeichens für diese Gebiete;

Aufbau einer europäischen Datenbank der Mitgliedstaaten über bewährte Rechts- und Verwaltungsverfahren zum Schutz der Küstenregionen;

erhöhte Aufmerksamkeit für das allzu lange ignorierte Problem der Verbauung der Küstenregionen (mit Ausnahme der baulichen Maßnahmen zum Schutz des natürlichen, historischen oder kulturellen Erbes bzw. der Bevölkerung) und Einrichtung eines europäischen Beobachtungsnetzes der marinen Forschungseinrichtungen, um die Auswirkungen der Bauten auf aus der See gewonnenem Land zu überwachen;

Einrichtung eines wissenschaftlichen und technischen Ausschusses der maritimen Regionen, um den Auswirkungen des Anstiegs des Meeresspiegels und - für die Polarregionen - der Abschmelzung der Polkappen vorweg zu begegnen und Lösungen vorzuschlagen;

Verbreitung von Informationen und Sensibilisierung für die Meeresumwelt.

1.2.2   Verkehr

Der Ausschuss bekräftigt seine Unterstützung für das TEN-V-Programm, dessen Umsetzung auch die europäische Wirtschaft fördern wird. Im Hinblick auf die nachhaltige Entwicklung der Küstenregionen betont der Ausschuss insbesondere die Bedeutung von folgenden Vorhaben: Hochgeschwindigkeitsseewege (Ostsee, Atlantischer Bogen, Südosteuropa, westliches Mittelmeer), Eisenbahnachse „Rail Baltica“ und Eisenbahnachse im intermodalen Korridor Ionisches Meer/Adria. Diese Verlagerung auf den See- und Schienenverkehr ist sinnvoll, doch muss gleichzeitig auch die damit einhergehende Umweltverschmutzung unter Kontrolle gehalten werden.

1.2.3   Küstennahe Wirtschaftstätigkeiten in Schwierigkeiten

Der Ausschuss betont, dass die Mittel des Europäischen Sozialfonds (ESF), des Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE) und des Europäischen Fischereifonds (EFF) auf diejenigen Küstenregionen ausgerichtet werden müssen, die mit besonderen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, um ihnen den Übergang zu neuen Wirtschaftstätigkeiten zu erleichtern.

Er verweist auf die Kosten, die die Mitgliedstaaten und die Europäische Union für die Investitionen und baulichen Vorkehrungen zur Eindämmung des prognostizierten Anstiegs der Meeresspiegel zu tragen haben, für die umfangreiche Haushaltsmittel bereitgestellt werden müssen.

Die Auswirkungen des Klimawandels auf die Küstenregionen könnten auch zur Abwanderung der Bevölkerung führen, die wiederum Folgen auf sozialer Ebene und für die Beschäftigung nach sich zieht, die in den Planungen berücksichtigt werden müssen.

1.2.4   Tourismus

Der Ausschuss empfiehlt die Abhaltung einer regelmäßigen europäischen Konferenz des verantwortungsbewussten Badetourismus, z.B. unter gemeinsamer Federführung von AdR und EWSA, auf der bewährte Verfahren in der EU erörtert werden könnten.

Er befürwortet außerdem die Festlegung von Umweltqualitätskriterien für Badeorte, Häfen und Marinas in der gesamten EU.

1.2.5   Klimawandel

Der Ausschuss plädiert für die Auflage eines europäischen Kooperationsprogramms, um die Möglichkeiten für die Küstenregionen zur Anpassung an den Anstieg des Meeresspiegels zu untersuchen, sowie für die Einrichtung eines Informationsnetzes der Forschungseinrichtungen und eines europäischen wissenschaftlichen und technischen Ausschusses, der diesem Anstieg des Meeresspiegels vorweg begegnen und konkrete Lösungsmöglichkeiten entwickeln soll.

1.2.6   Sensibilisierung für die Meeresumwelt

Der Ausschuss empfiehlt die Ausarbeitung von Maßnahmen zur Sensibilisierung für die Meeresumwelt und ihre Bedeutung für das Wohlergehen unserer und künftiger Generationen. Diese Maßnahmen müssen in erster Linie auf Schulen und die breite Öffentlichkeit ausgerichtet sein und könnten während der Urlaubssaison in den Küstenregionen durchgeführt werden.

2.   Einleitung

2.1   Die Bevölkerungen des 21. Jahrhunderts wenden sich dem Meer zu. Es handelt sich dabei um einen allgemeinen Trend, und einige Megametropolen wie Shanghai, Tokio, Osaka und Hongkong breiten sich an Meeresküsten, vor allem an Flachwasserküsten, aus. Prognosen zufolge wird sich diese Entwicklung auf allen Kontinenten fortsetzen.

2.2   Dieses Phänomen macht auch vor der Europäischen Union nicht Halt. Die EU muss sich daher damit auseinandersetzen, zumal da sie über 136 000 Kilometer Küste verfügt. Die maritimen Regionen, in denen 40 % der Unionsbürger leben, erwirtschaften knapp 40 % des BIP.

2.3   Die Küstenregionen werden daher nicht nur als Quelle wirtschaftlichen Wohlstands, sondern auch hoher Lebensqualität und sozialen Wohlergehens angesehen. Ungeachtet ihrer Anziehungskraft sind zahlreiche Tätigkeiten auf engem Raum konzentriert, und zwar Tourismus, Fischerei, Landwirtschaft, Häfen und Flughäfen, Städte im Wachstum, Wirtschaftstätigkeiten, Verkehrsinfrastruktur usw. All diese Tätigkeiten setzen den Ökosystemen oftmals schwer zu. Die Küstenregionen sind ein Raum, in dem verschiedenste Nutzungszwecke in Verbindung mit menschlichen Tätigkeiten miteinander konkurrieren. Unter den marinen Ökosystemen weisen die küstennahen Flachgewässer bei weitem die größte ökologische Vielfalt auf.

2.4   Die menschlichen Tätigkeiten konzentrieren sich auf die per definitionem begrenzten und außerdem durch den Anstieg des Meeresspiegels und Erosion bedrohten Küstenstreifen. Daraus ergibt sich eine Bedrohung der Lebensqualität, der Natur sowie der Ökosysteme auf der Land- und Seeseite.

Die Europäische Union konnte angesichts dieser Entwicklungen und wirtschaftlichen, sozialen und ökologischen Herausforderungen nicht untätig bleiben.

2.5   So hat die Europäische Kommission 2000 eine Mitteilung über eine Europäische Strategie für das integrierte Küstenzonenmanagement (IKZM) vorgelegt, die in die Empfehlung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2002 zur Umsetzung einer Strategie für ein integriertes Management der Küstengebiete in Europa mündete. Im Juni 2007 hat die Europäische Kommission einen Bericht zur Bewertung des integrierten Küstenzonenmanagements in Europa veröffentlicht, in dem sie zu dem Schluss kommt, dass sich die Empfehlung der EU zwar positiv ausgewirkt hat, der europäischen IKZM-Politik aber neue Impulse verliehen werden müssen.

2.6   Die EU hat ihre Maßnahmen jedoch nicht allein auf diesen Aspekt beschränkt. Im Oktober 2007 hat die Europäische Kommission die Mitteilung „Eine integrierte Meerespolitik für die Europäische Union“ vorgelegt.

2.7   Im Juni 2008 wurde schließlich die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie angenommen, in der die einzelnen Mitgliedstaaten in Zusammenarbeit mit den anderen Mitgliedstaaten und den benachbarten Drittstaaten zur Ausarbeitung von Strategien für ihre Meeresgewässer verpflichtet werden. Ziel ist, „[spätestens bis zum Jahr 2021] einen guten Zustand der Meeresumwelt zu erreichen, ihren Schutz und ihre Erhaltung auf Dauer zu gewährleisten und eine Verschlechterung der Umweltqualität zu vermeiden“.

2.8   Das Europäische Parlament hat seinerseits im November 2008 eine einschlägige Entschließung zu den Auswirkungen des Fremdenverkehrs in Küstenregionen – Aspekte der regionalen Entwicklung angenommen.

2.9   Die EU hat auf die mannigfaltigen Fragen im Zusammenhang mit den Küstenregionen mit ebenso vielen Dokumenten und Initiativen geantwortet, deren Durchführung Aufgabe der Mitgliedstaaten und der betroffenen lokalen Gebietskörperschaften ist.

2.10   Darüber hinaus wird das wirtschaftliche und soziale Leben in den Küstenregionen auch durch die gemeinsame Fischereipolitik beeinflusst.

2.11   Jedwede Politik zur nachhaltigen Entwicklung der Küstenregionen muss daher sektorspezifische Politiken (z.B. die gemeinsame Agrarpolitik) und Konzepte umfassen, die aufeinander abgestimmt und miteinander in Einklang gebracht werden müssen. Dies ist allerdings keine leichte Aufgabe, da die Interessen und Anliegen sowohl auf der Land- als auch auf der Seeseite durchaus widersprüchlich sein können.

2.12   Die Politik der Europäischen Union für die Küstenregionen stützt sich somit auf fünf Rechtsinstrumente:

1)

das integrierte Küstenzonenmanagement (IKZM), das auf einer Empfehlung des Rates und des Europäischen Parlaments (2002) beruht. Mit dem IKZM sollen eine nachhaltige Entwicklung gefördert und die Mitgliedstaaten zur Ausarbeitung nationaler Strategien angehalten werden. Es gibt den Rahmen für den Austausch bewährter Verfahren und Initiativen vor und unterstützt diesen;

2)

die integrierte Meerespolitik für die Europäische Union, die detaillierter ist und besonders wichtige Handlungsbereiche umfasst, und zwar

den Europäischen Seeverkehrsraum ohne Hindernisse,

die Europäische Strategie für Meeresforschung,

die integrierten Meerespolitiken der Mitgliedstaaten,

das europäische Netzwerk für die Meeresüberwachung,

den Fahrplan für die maritime Raumordnung,

die Strategie zur Eindämmung der Auswirkungen des Klimawandels in den Küstenregionen,

die Reduzierung der von Schiffen ausgehenden Umweltverschmutzung,

die Ausmerzung der Piratenfischerei und der Zerstörung der Fischereiressourcen,

das europäische Netzwerk von maritimen Clustern,

das europäische Arbeitsrecht im Fischereisektor und für die Schifffahrt;

3)

die gemeinsame Fischereipolitik, die eindeutig Auswirkungen auf das wirtschaftliche und soziale Leben in bestimmten Küstenregionen hat;

4)

die Habitat-Richtlinie (Natura 2000), angewendet auf den Meeresraum;

5)

die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie.

2.13   Es darf keinesfalls vergessen werden, dass jede Küstenregion ein Einzelfall ist und ihre geografischen und physischen Unterschiede differenzierte Maßnahmen erfordern: Tiefsee oder Flachgewässer, Meer mit oder ohne Gezeiten, Küstenregion mit gemäßigtem oder polarem Klima, Steil- oder Flachküsten, Stein- oder Sandstrände usw. Daher können zwar gemeinsame Ziele festgelegt werden, die Gestaltung einer einheitlichen Politik für alle Küstenregionen ist jedoch zumindest in Bezug auf ihre Durchführungsmodalitäten unmöglich.

3.   Schutz der natürliche Lebensräume auf der Land- und Seeseite

3.1   Die Herausforderungen einer nachhaltigen Entwicklung der Küstenregionen können an bestimmten besonders sensiblen Aspekten festgemacht werden:

3.2   Angesichts der hohen Nachfrage nach Bauland haben einige Mitgliedstaaten Initiativen zur Erhaltung der Küsten ergriffen bzw. unterstützt. Beispiele sind der National Trust im Vereinigten Königreich, das Conservatoire du littoral in Frankreich oder die Einrichtung von Naturparks, die eine Küstenregion einschließen. Diese Art von Initiativen, mit denen die empfindlichsten und am stärksten gefährdeten oder die herausragendsten natürlichen Lebensräume erhalten werden sollen, indem die öffentliche Hand gegebenenfalls im Interesse des Gemeinwohls die Aufgabe der Privateigentümer übernehmen kann, sollten ausgeweitet werden. Wie für historische Bauwerke oder museale Kunstwerke sollte eine Kategorie im Rahmen des nationalen Kulturerbes geschaffen werden.

3.3   Die Richtlinie 92/43/EWG, besser bekannt als die Habitat-Richtlinie, dient der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Einige Mitgliedstaaten haben auf ihrer Grundlage die Natura 2000-Schutzgebiete auf das Meer ausgedehnt. Es muss hinterfragt werden, ob dieses Instrument zur Erhaltung der Umwelt auch sinnvoll eingesetzt wird (insbesondere in Bezug auf die Rechtfertigung der Ausdehnung der Schutzgebiete auf Tiefseegebiete, denn das Wissen über die Biodiversität in diesen Lebensräumen und die sie bedrohenden Faktoren ist vielfach noch sehr begrenzt).

3.4   Zum Schutz der marinen Biodiversität und zur Erhaltung des Fischreichtums in Küstennähe haben viele Mitgliedstaaten Netze so genannter Meeresschutzgebiete eingerichtet. Derartige Initiativen sind noch wirkungsvoller, wenn sie von allen Anrainerstaaten mitgetragen werden. Daher sollten diese Netze der Meeresschutzgebiete zusammengeführt, harmonisiert und gefördert werden. Ein europäisches Netz der mit der Verwaltung dieser Schutzgebiete beauftragten Gremien und ein europäisches Gütezeichen könnten sich diesbezüglich als sehr sinnvoll erweisen.

3.5   Besonderes Augenmerk muss der rasanten Verstädterung der Küstenregionen, der Überbewirtschaftung der küstennahen landwirtschaftlichen Anbauflächen und dem Anstieg des Salzgehalts im küstennahen Grundwasser gewidmet werden, um der Bevölkerung in den Küstenregionen einen dauerhaften Zugang zu qualitativ hochwertigem Süßwasser zu sichern.

4.   Vermeidung und Beseitigung von Umweltverschmutzung

4.1   Es geht hier natürlich um die grundlegende Frage der Behandlung der direkt ins Meer verbrachten Abfälle, des Verschmutzungseintrags aus Flüssen und Wasserläufen sowie der spezifischen Verschmutzung von Hafengewässern und der durch den Seeverkehr verursachten Verschmutzung.

4.2   In der europäischen Rechtssetzung werden diese Fragen teilweise aufgegriffen, so insbesondere in der Wasserrahmenrichtlinie und ihren Tochterrichtlinien. Die Europäische Kommission hat jedoch 2007 deren unzureichende Umsetzung in innerstaatliches Recht sowie die ebenfalls unzureichende internationale Zusammenarbeit angeprangert. In der Tat hat sich die Umsetzung dieser Richtlinie stark verzögert. Die Mitgliedstaaten müssen bis 2010 die Bewirtschaftungspläne für die Einzugsgebiete vorlegen, in denen insbesondere Maßnahmen zur Gewährleistung und gegebenenfalls zur Wiederherstellung der Wasserqualität verankert sein müssen. Vor diesem Hintergrund ist eine Koordinierung der Bemühungen in Bezug auf Gewässer, die im Hoheitsgebiet der EU und von Drittstaaten liegen, unbedingt erforderlich. Außerdem sollte eine klare Hierarchie der negativen Auswirkungen der Wasserverschmutzung festgelegt werden, wobei zwischen den „Zielgruppen“ (einerseits der Mensch - seine Gesundheit, die Wirtschaft, sein Wohlergehen – und andererseits die Meeresfauna und -flora) zu unterscheiden und der Zeitraum zu berücksichtigen ist, in dem die Beeinträchtigung des Lebensraums und der Artenvielfalt noch rückgängig gemacht werden können bzw. nach dem sie irreversibel sind.

4.3   Die Meeresstrategie-Rahmenrichtlinie ist eine spezifische Antwort auf die Notwendigkeit, die Meeresgewässer zu schützen und ihre Qualität zu verbessern, indem Meeresschutzgebiete und -unterschutzgebiete ausgezeichnet und die Mitgliedstaaten aufgefordert werden, gemeinsam Meeresstrategien zu konzipieren und Umweltziele festzulegen.

4.4   Die Meeresverschmutzung durch Schiffe stand im Mittelpunkt der „Erika-Maßnahmenpakete“.

4.5   Eine Art der Umweltverschmutzung wird jedoch allzu oft ignoriert, und zwar die irreversible Zerstörung der Flachgewässer (Lebensräume und Ökosysteme) durch den exzessiven Flächenverbrauch in den Küstenregionen aus Gründen, die weder mit der Sicherheit der Bevölkerung noch dem Schutz des Kulturerbes in Verbindung stehen. Die Verbauung der europäischen Küstenregionen aufgrund einer rasanten Zunahme der Bautätigkeit direkt am Meer, namentlich Marinas, Häfen und sonstige Bauten sowie mittelfristig die zum Schutz der Küsten gegen den Anstieg des Meeresspiegels unumgänglichen baulichen Maßnahmen, erfordert ein gemeinsames Vorgehen der EU (z.B. die Einrichtung einer Beobachtungsstelle nach dem Vorbild der französischen Beobachtungsstelle für bauliche Maßnahmen an der Mittelmeerküste MEDAM (Côtes MEDiterranéennes françaises. Inventaire et impact des AMénagements gagnés sur le domaine marin) (1)). Aufgrund ihres Ausmaßes steht der Flächenverbrauch in Küstenregionen im Widerspruch zur nachhaltigen Entwicklung. Die Erhaltung des natürlichen Charakters der Küstenregionen und der Flachgewässer muss ein vorrangiges Anliegen werden. In der EU gibt es erste Anzeichen für eine Sensibilisierung in dieser Frage. So erfolgt die Anpassung an den Anstieg des Meeresspiegels in der französischen Camargue nach Möglichkeit dadurch, dass das Meer sich wieder auf Gebiete ausdehnen darf, aus denen es sich zurückgezogen hatte. In der italienischen Maremma, dem toskanischen Küstenstreifen, wird überlegt, den Ausbau der Yachthäfen durch eine Überwinterung der Schiffe an Land und eine ausgefeilte Bewirtschaftung der Liegeplätze im Hafen einzudämmen.

5.   Der Verkehr in den Küstenregionen

5.1   Die Straßenverbindungen in den Küstenregionen sind häufig überlastet. Die Folgen: mangelnde Verkehrssicherheit, hoher CO2- und Schadstoffausstoß und wirtschaftliche Verluste. Die Europäische Union bemüht sich schon seit langem um die Verlagerung eines Teils dieses Straßenverkehrs auf die Schiene oder die Hochgeschwindigkeitsseewege, jedoch ohne greifbare Ergebnisse. In diesem Zusammenhang sei darauf hingewiesen, dass

Natur- und Umweltschutzaktivisten nicht immer logisch durchdacht vorgehen und sich oftmals der Verwirklichung von Infrastrukturvorhaben widersetzen, die eine Verringerung des Straßenverkehrs durch den Ausbau alternativer Verkehrsträger ermöglichen würden (z.B. die Blockierung des Baus der Eisenbahnverbindung Lyon-Turin für den Huckepackverkehr, die traditionelle Ablehnung jedweden Ausbaus bestehender Häfen wie Le Havre 2000 oder Rotterdam oder der Widerstand gegen den Bau des Rhein-Rhône-Kanals);

die Politik der EU zur Entwicklung des Schienengüterverkehrs trotz der jüngsten Initiativen der Europäischen Kommission (Mitteilung „Aufbau eines vorrangig für den Güterverkehr bestimmten Schienennetzes“ aus dem Jahr 2007 und Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines europäischen Schienennetzes für einen wettbewerbsfähigen Güterverkehr aus dem Jahr 2009) sowohl aufgrund „gewachsener“ Denkmuster, insbesondere des traditionellen Vorrangs für den Personenverkehr, als auch fehlenden wirtschaftsorientierten Denkens auf der Stelle tritt.

5.2   Trotz all dieser Schwierigkeiten können die Straßenverkehrsverbindungen in den Küstenregionen nur durch die Verlagerung eines Teils des Verkehrs auf die Schiene bzw. das Meer entlastet werden. Es gilt, wirtschaftliche und soziale Entwicklung und Umweltschutz miteinander in Einklang zu bringen.

6.   Hin zu einem nachhaltigen Küstentourismus

6.1   Der Tourismus wird den Küstenregionen in Schwierigkeiten oft als Allheilmittel angepriesen. Die Tourismussaison ist jedoch meist viel zu kurz, um eine echte Alternative zu einer Wirtschaftstätigkeit im Niedergang zu bieten. Der Tourismus als Allheilmittel kann zum Raubbau an den Küstenregionen und zu einer irreversiblen Umweltzerstörung führen, ohne eine dauerhafte Lösung für die wirtschaftlichen Probleme zu bieten. Außerdem kann touristische Überbeanspruchung durch Landschaftszerstörung auch „das Huhn schlachten, das goldene Eier legt“. Es gilt, einen nachhaltigeren Tourismus zu entwickeln; in diesem Bereich wurden bereits einige Initiativen von öffentlicher Seite wie auch von NGO auf den Weg gebracht.

6.2   In Frankreich wurde 1986 als Antwort auf die „Zubetonierung“ der Küsten das Gesetz über Entwicklung, Schutz und Förderung der Küstenregionen verabschiedet, mit dem der Erhalt des biologischen und ökologischen Gleichgewichts, der Schutz der Gebiete und Landschaften sowie die Weiterführung und Entwicklung wirtschaftlicher Tätigkeiten in Wassernähe (Fischfang, marine Aquakultur, Hafenbetrieb usw.) gewährleistet werden sollen. Im Mittelpunkt dieses Gesetzes stehen die Kommunen in den Küstenregionen. Die Raumplanungsverantwortlichen werden zum Schutz der herausragenden natürlichen Lebensräume verpflichtet. Außerdem wird jedweder Neubau in einer Entfernung von weniger als 100 Metern von der Küste außerhalb von städtischen Gebieten verboten. Nach mehr als zwanzig Jahren ist die Bilanz dieses Gesetzes durchaus positiv. Die Europäische Union verfügt über keinerlei Zuständigkeiten in der Raumordnungs- und Küstenbewirtschaftungspolitik, könnte die Mitgliedstaaten aber zumindest zum Austausch bewährter Rechts- und Verwaltungsverfahren anhalten.

6.3   Die französische Gesellschaft für Umwelterziehung (Fédération pour l'éducation à l'environnement) hat 1985 die „Blaue Flagge“ als Umweltzeichen eingeführt, das mittlerweile für ganz Europa besteht. Dieses Umweltzeichen gilt für Küstengemeinden und Häfen und wird für die Einhaltung bestimmter Kriterien in Bezug auf Umwelterziehung, Sicherheit, Sauberkeit und Dienstleistungsangebot an den Stränden, Abfall- und Wasserbewirtschaftung, Badewasserqualität und Umweltsanierung vergeben. Für Yachthäfen gelten gesonderte Kriterien. Diese Initiative zielt zwar auf die Förderung des Tourismus ab, wirkt sich aber unbestreitbar vorteilhaft aus.

6.4   Der „Ökotourismus“ oder verantwortungsbewusste Tourismus findet in ganz Europa immer mehr Anklang und wird oftmals von den lokalen Gebietskörperschaften gefördert. Der „Agrotourismus“, sprich Ferien auf dem Bauernhof, bietet den Landwirten in Küstenregionen eine zusätzliche Einnahmequelle.

7.   Die europäische Fischereipolitik

7.1   Die Fischereiwirtschaft ist Aufgabe der Europäischen Kommission. In der nachhaltigen Fischereipolitik der EU werden einige Wirtschaftsmodelle dieses Industriezweigs in Frage gestellt. Dies hat erhebliche wirtschaftliche und soziale Auswirkungen. Für eine nachhaltige Fischerei sind zunächst bessere wissenschaftliche Erkenntnisse erforderlich, um langfristig eine bessere Bewirtschaftung der Fischereibestände zu ermöglichen. Dabei muss bei jeder Meeresregion zwischen internationalen Fischereigewässern und Hoheitsgewässern unterschieden werden. Gleichzeitig müssen die Subventionen sinnvoll und vor allem im Einklang mit einer besseren Bewirtschaftung der Fischereibestände eingesetzt werden.

7.2   Außerdem muss zwischen handwerklicher Fischerei und Großfischerei unterschieden werden. Durch die Einrichtung eines europäischen Netzes der Meeresschutzgebiete könnte für die handwerkliche Fischerei eine bessere Bewirtschaftung der küstennahen Fischbestände ermöglicht werden, indem in den nicht fischereimäßig genutzten Zonen dieser Gebiete eine hohe natürliche Fischdichte und ein für eine gute Schwarmbildung der Fischlarven und Jungfische erforderliches normales Geschlechterverhältnis für die Fische sichergestellt werden. Gleichzeitig sollte die Gründung von „Fischereivereinen“ (wie sie bereits in einigen Ländern in Form von Genossenschaften, Vereinen, Zünften, beratenden regionalen Ausschüssen usw. bestehen) zwischen Fischereiunternehmern mit einer aktiven Beteiligung wissenschaftlicher Berater gefördert werden, um eine bessere Bewirtschaftung der küstennahen Fischereigebiete zu ermöglichen, die sich nicht auf die derzeitigen Bewirtschaftungszonen (d.h. auf Gebiete rund um Häfen oder Küstengemeinden oder andere administrativ oder historisch begründete Gebietseinheiten), sondern ein ökologisch homogenes Gebiet erstrecken. Eine Vernetzung der Fischereivereine könnte dem Austausch von Erfahrungen und bewährten Verfahren dienen.

7.3   Die Frage der Freizeit(Hobby-)fischerei muss ebenfalls angegangen werden, da sie keinerlei Einschränkungen (in den meisten Ländern gibt es kaum verpflichtende Vorschriften für die Hobby-Hochseefischerei) noch wirtschaftliche Auflagen (die von einigen Hobbyfischern eingesetzten Mittel stehen in keinerlei Maßstab zum Fangwert) kennt und ihr Umfang negative Auswirkungen auf einige Fischarten zeitigt.

8.   Küstennahe Wirtschaftstätigkeiten

8.1   Seit Jahrhunderten haben sich in ganz Europa küstennahe Wirtschaftstätigkeiten entwickelt: Häfen, Schiffbau, Fischerei. Auf dem Hoheitsgebiet der EU befinden sich einige der wichtigsten Häfen der Welt, Schiffbau und Fischerei allerdings stehen vor enormen Strukturproblemen.

8.2   Seit Ende des Zweiten Weltkrieges haben die europäischen Werften mit der Konkurrenz aus Asien zu kämpfen. Aufgrund dieser Konkurrenz haben sie auf Umstrukturierung und Spezialisierung gesetzt. Dennoch stehen einige Werften vor erheblichen Schwierigkeiten, beispielsweise in Gdansk (Danzig), Gdynia und Szczecin (Stettin). Zur Bewältigung dieser Probleme sind umfangreiche Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer in den Werften, und zwar nicht nur in Polen, erforderlich.

8.3   Europa ist außerdem einer der weltweiten Marktführer in der Yachtindustrie. Vor Ausbruch der Krise waren in den über 37 000 Unternehmen in der Yachtindustrie mehr als 270 000 Arbeitnehmer beschäftigt. Diese Branche wurde durch die Krise sehr hart getroffen, und die Arbeitnehmer stehen vor einer schwierigen Lage. Auch hier sind Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen für die Arbeitnehmer unumgänglich. Dieses Aushängeschild der europäischen Industrie muss erhalten werden.

8.4   Wie bereits erwähnt haben die Erschöpfung der Fischbestände, das Verbot einiger Fischfangmethoden in der EU (aber nicht unbedingt in Drittstaaten) und die Überfischung zur Konzipierung einer europäischen Fischereipolitik geführt, die erhebliche Auswirkungen auf den Fischereisektor nach sich zieht, in dem ebenfalls Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen erforderlich sind.

8.5   Die Aquakultur ist ein neuer Wirtschaftssektor, um der steigenden Nachfrage der Verbraucher nach Fisch zu begegnen. Es darf jedoch nicht vergessen werden, dass es sich dabei um einen ganz anderen Wirtschaftssektor als die Fischerei handelt, der eher der Landwirtschaft ähnelt. Außerdem erfordert die Aquakultur Gesundheits- und Umweltschutzvorkehrungen.

8.6   Für die nachhaltige Entwicklung der Küstenregionen müssen die auf ihrer geografischen Lage beruhenden Wirtschaftstätigkeiten erhalten werden. Eine die küstennahe Umwelt schonende Landwirtschaft ist unter geeigneten Rahmenbedingungen zweckdienlich. Der Tourismus hingegen kann nicht die Antwort auf alle Strukturprobleme sein, zumal einige touristische Infrastrukturvorhaben die noch verbleibenden küstennahen natürlichen Lebensräume bedrohen könnten. Die Europäische Union muss den wirtschaftlichen und sozialen Folgen ihrer Politik in diesem in wirtschaftlicher Hinsicht besonderen und sensiblen Umfeld ganz gezielte Aufmerksamkeit widmen.

9.   Sensibilisierung für die Meeresumwelt

9.1   40 % der europäischen Bevölkerung leben an den 136 000 km langen Küsten der EU, in die auch die größten Tourismusströme fließen. Es gilt, die reiche, durch diese starke Bevölkerungsdichte allerdings auch belastete Meeresumwelt besser zu erforschen. Erforderlich wäre ein Programm zur Sensibilisierung für die Meeresumwelt, das den verschiedenen maritimen Rahmenbedingungen, beispielsweise unter Berücksichtigung der für die Durchführung der Meeresstrategie festgelegten Meeresschutzgebiete und -unterschutzgebiete, zumindest jedoch der fünf Meere, die die EU umgeben (Ostsee, Nordsee, Atlantischer Ozean, Mittelmeer, Schwarzes Meer), gerecht würde. Über solch ein Programm könnten die Maßnahmen für den Schutz der Meeresumwelt besser verständlich gemacht und gerechtfertigt werden, um die Verschmutzung, die Überfischung der Meere und die „Verunstaltung“ der Küsten durch künstliche Verbauung zu bekämpfen. Daher ist es sehr wichtig, eine bessere, zielgerichtetere Information für Schulen und die mit der Verwaltung der Küstenregionen betrauten Gebietskörperschaften zu fördern.

10.   Weltweiter Klimawandel und Anstieg des Meeresspiegels

10.1   Die Erderwärmung wird einen allgemeinen Anstieg des Meeresspiegels und ein gehäuftes Auftreten extremer Wetterereignisse (Stürme, Wirbelstürme, Orkane, usw.) nach sich ziehen, die wiederum zu einer in einigen Ländern bereits deutlichen Erosion der Küsten, zur Überschwemmung von Stränden und zum Ausbau der Schutzvorkehrungen an den Küsten führen werden. Dieses Problem wird die einzelnen europäischen Länder und Regionen in sehr unterschiedlicher Weise treffen. Ganz allgemein werden sämtliche städtischen Gebiete an den Küsten, vor allem die Hafen- und Badeinfrastruktur, davon betroffen sein. Einige Mitgliedstaaten haben bereits umfangreiche Maßnahmen ergriffen, beispielsweise die Niederlande mit ihrem „Deltaplan“ nach der Sturmflutkatastrophe von 1953 oder Italien mit dem „Progetto Mo.S.E.“ zum Schutz von Venedig. Es gilt, auf Gemeinschaftsebene Leitlinien auszuarbeiten, um diese prognostizierten und irreversiblen Veränderungen so gut wie möglich zu begleiten, wobei sowohl die wirtschaftlichen als auch die ökologischen Interessen berücksichtigt werden müssen.

10.2   Zur Bewältigung des Klimawandels und seiner Folgen darf sich die EU nicht nur auf Vorbeugungsmaßnahmen beschränken, sondern muss ein groß angelegtes Forschungs- und Entwicklungsprogramm in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten auf den Weg bringen, das auf dem Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen den Forschungszentren und der Bündelung der Erkenntnisse beruht. Mit einer derartigen Initiative könnten die Zweckdienlichkeit und der Nutzen einer engen europäischen Zusammenarbeit in diesem Bereich aufgezeigt werden.

Brüssel, den 20. Januar 2010

Der Präsident des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Mario SEPI


(1)  http://www.medam.org.


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