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Document 52009IP0022(01)

Ermordung von Menschenrechtsaktivisten in Russland Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. September 2009 zur Ermordung von Menschenrechtsaktivisten in Russland

ABl. C 224E vom 19.8.2010, p. 27–29 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

19.8.2010   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

CE 224/27


Donnerstag, 17. September 2009
Ermordung von Menschenrechtsaktivisten in Russland

P7_TA(2009)0022

Entschließung des Europäischen Parlaments vom 17. September 2009 zur Ermordung von Menschenrechtsaktivisten in Russland

2010/C 224 E/07

Das Europäische Parlament,

unter Hinweis auf seine früheren Entschließungen zu Russland, und insbesondere auf die Entschließungen vom 25. Oktober 2006 zu den Beziehungen EU-Russland nach der Ermordung der russischen Journalistin Anna Politkowskaja (1) und vom 18. Dezember 2008 zu den Angriffen gegen Menschenrechtsaktivisten in Russland und dem Mordprozess im Fall Anna Politkowskaja (2),

in Kenntnis der Erklärung des Vorsitzes des Rates im Namen der Europäischen Union vom 12. August 2009 zur Ermordung der tschetschenischen Menschenrechtsverteidigerin Sarema Sadulajewa und ihres Ehemannes Alik Dschabrailow,

unter Hinweis auf das Partnerschafts- und Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Union und der Russischen Föderation, das 1997 in Kraft trat und dessen Geltung verlängert worden ist, bis es durch ein neues Abkommen ersetzt wird,

unter Hinweis auf die laufenden Verhandlungen für ein neues Abkommen, durch das ein neuer, umfassender Rahmen für die Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland geschaffen werden soll,

in Kenntnis der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten, der Erklärung der Vereinten Nationen zu Menschenrechtsverteidigern und der Erklärung der Vereinten Nationen über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen,

gestützt auf Artikel 122 Absatz 5 seiner Geschäftsordnung,

A.

in der Erwägung, dass sich die Russische Föderation als Mitglied des Europarates und der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa verpflichtet hat, die Menschenrechte, die Grundfreiheiten und die Rechtsstaatlichkeit zu schützen und zu fördern,

B.

in der Erwägung, dass eine verstärkte Zusammenarbeit und gutnachbarschaftliche Beziehungen zwischen der Europäischen Union und Russland für die Stabilität, die Sicherheit und den Wohlstand ganz Europas von wesentlicher Bedeutung sind,

C.

in der Erwägung, dass die Europäische Union eine strategische Partnerschaft mit Russland anstrebt, die auf den Werten der Demokratie, der Menschenrechte und der Rechtsstaatlichkeit beruht,

D.

in der Erwägung, dass sich die Situation der Menschenrechtsaktivisten besonders im Nordkaukasus drastisch verschlechtert,

E.

in der Erwägung, dass die Arbeit von Menschenrechtsorganisationen wie Memorial oder Demos für die Schaffung einer stabilen und freien Gesellschaft von großer Bedeutung ist und die russische Regierung daher stolz auf die wichtige Rolle sein sollte, die diese Organisationen spielen,

F.

in der Erwägung, dass der Menschenrechtsanwalt Stanislaw Markelow, der unter anderen die ermordete Journalistin Anna Politkowskaja vertreten hatte, am 20. Januar 2009 gemeinsam mit der Journalistin Anastassija Barburowa, die noch versucht hatte, ihn zu retten, ermordet wurde,

G.

in der Erwägung, dass am 10. Juli 2009 die Leiche des Menschenrechtsaktivisten Andrej Kulagin zwei Monate nach seinem Verschwinden in einer Sandgrube in Petrosawodsk aufgefunden wurde,

H.

in der Erwägung, dass die Leiterin der Menschenrechtsorganisation Memorial in Tschetschenien, Natalja Estemirowa, 15. Juli 2009 in Grosny entführt und im benachbarten Inguschetien tot aufgefunden wurde; in der Erwägung, dass das Europäische Parlament in seiner Sitzung am 16. Juli 2009 im Gedenken an Natalja Estemirowa eine Schweigeminute eingelegt hat; in der Erwägung, dass die Organisation Memorial nach der Ermordung Estemirowas ihre Arbeit in Tschetschenien eingestellt hat,

I.

in der Erwägung, dass auf der Grundlage einer vom tschetschenischen Präsidenten Ramsan Kadirow wegen Rufmords eingereichten Beschwerde gegen Oleg Orlow, Vorsitzender des Menschenrechtszentrums der Organisation Memorial, im September 2009 in Moskau ein Verfahren wegen Verleumdung eröffnet werden soll, wobei Gegenstand des Verfahrens eine am 15. Juli 2009 auf der Website von Memorial veröffentlichte Äußerung Orlows sein wird, in der er Präsident Kadirow beschuldigte, in den Mord an Natalja Estemirowa verwickelt zu sein,

J.

in der Erwägung, dass am 10. August 2009 die tschetschenische Bürgerrechtlerin Sarema Sadulajewa und ihr Ehemann, Alik Dschabrailow, die beide für die humanitäre Hilfsorganisation „Rettet die nächste Generation“ arbeiteten, aus ihrem Büro in Grosny entführt und am nächsten Tag ermordet aufgefunden wurden,

K.

in der Erwägung, dass am 4. Dezember 2008 die Büroräume des Forschungs- und Informationszentrums der Organisation Memorial in St. Petersburg von maskierten Männern der russischen Generalstaatsanwaltschaft gestürmt und Festplatten sowie CDs beschlagnahmt wurden, auf denen die gesamte Datenbank mit den Namen tausender Opfer der stalinistischen Unterdrückung gespeichert war, sowie in der Erwägung, dass diese Datenbank infolge einer gerichtlichen Verfügung an Memorial zurückgegeben wurde,

L.

in der Erwägung, dass am 3. September 2009 die Wohnhäuser, in denen sich die Wohnungen von Oleg Orlow, Leiter des Menschenrechtszentrums von Memorial, und seinem Mitarbeiter Alexander Tscherkassow befinden, von Ermittlungsbeamten der Regierung durchsucht wurden, die vorgaben, für das Finanzamt zu arbeiten,

M.

in der Erwägung dass der Oberste Gerichtshof Russlands am 3. September 2009 eine neue Untersuchung des Mordes an Anna Politkowskaja im Jahr 2006 verfügt hat, zwei Monate nachdem er die Wiederaufnahme des Verfahrens gegen drei Verdächtige, die im Februar dieses Jahres freigesprochen wurden, angeordnet hat,

N.

in der Erwägung, dass zahlreiche Beschwerden russischer Bürger beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg eingereicht wurden,

1.

verurteilt auf das Schärfste, dass Menschenrechtsaktivisten, Anwälte und Journalisten in Russland schikaniert werden, und bedauert zutiefst die auf sie verübten Attentate;

2.

fordert die russischen Behörden nachdrücklich auf, alles in ihrer Macht Stehende zu unternehmen, um den Schutz von Menschenrechtsaktivisten gemäß der Erklärung der Vereinten Nationen über das Recht und die Verpflichtung von Einzelpersonen, Gruppen und Organen der Gesellschaft, die allgemein anerkannten Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern und zu schützen, sicherzustellen; fordert insbesondere die zuständigen Stellen auf, Bedingungen zu schaffen, unter denen es Memorial und anderen Menschenrechtsorganisationen möglich ist, ihre Arbeit in Tschetschenien unter sicheren Bedingungen fortzusetzen; begrüßt, dass die am 4. Dezember 2008 bei einer Razzia beschlagnahmte Datenbank der Organisation Memorial in St. Petersburg zurückgegeben wurde;

3.

fordert die russischen föderalen Behörden auf, diese Morde rasch, gründlich und effizient zu untersuchen und die für diese Morde verantwortlichen und die in diese brutalen Taten verwickelten Personen zur Rechenschaft zu ziehen;

4.

weist darauf hin, dass die in Tschetschenien herrschende Straffreiheit zur Destabilisierung der gesamten Nordkaukasus-Region beiträgt;

5.

nimmt das Telegramm des russischen Präsidenten Dmitri Medwedew vom Juli dieses Jahres an die Menschenrechtsorganisation Memorial zur Kenntnis, in dem er zusichert, sich für die vollständige Aufklärung des Mordes an Natalija Estemirowa einzusetzen;

6.

begrüßt die von Präsident Medwedew ergriffene Initiative zur Änderung des Gesetzes über Nichtregierungsorganisationen, durch die einige für russische Nichtregierungsorganisationen geltende Einschränkungen gelockert sowie Schwierigkeiten bei der Registrierung solcher Organisationen beseitigt werden sollen, und erhofft sich erhebliche Verbesserungen;

7.

begrüßt den Beschluss des Obersten Gerichtshofs der Russischen Föderation vom 3. September 2009, dass das Gerichtsverfahren wegen des Mordes an Anna Politkowskaja wieder aufgenommen und die Ermittlungen im Falle der drei im ersten Verfahren freigesprochenen Männer gemeinsam mit dem Verfahren gegen den mutmaßlichen Attentäter Rustam Machmudow und seine Unterstützer behandelt werden sollen; fordert, dass dieses Verfahren so schnell wie möglich eröffnet wird, vor einem Geschworenengericht stattfindet und Journalisten und Medien zu den Verhandlungen zugelassen werden;

8.

fordert eine Intensivierung des Menschenrechtsdialogs zwischen der Europäischen Union und Russland und verlangt, dass es dem Europäischen Parlament, der Duma, den russischen Justizbehörden sowie der Zivilgesellschaft und den Menschenrechtsorganisationen ermöglicht wird, aktiv zu diesem Prozess beizutragen; fordert Russland auf, seinen Verpflichtungen als Mitglied der OSZE und des Europarats, einschließlich der Gewährleistung der Vereinigungsfreiheit und der Wahrung des Rechts auf friedliche Demonstrationen, in vollem Umfang nachzukommen; vertritt mit Nachdruck die Ansicht, dass der Schutz der Menschenrechte auf dem nächsten EU-Russland-Gipfel vorrangig behandelt und im neuen EU-Russland-Abkommen verankert werden sollte;

9.

fordert die russischen Behörden auf, die gesamte Rechtssprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu befolgen und das Protokoll Nr. 14 zur Konvention zum Schutze der Menschrechte und Grundfreiheiten über die Änderung des Kontrollsystems der Konvention umgehend zu ratifizieren;

10.

beauftragt seinen Präsidenten, diese Entschließung dem Rat, der Kommission, den Regierungen und Parlamenten der Mitgliedstaaten sowie der Regierung und dem Parlament der Russischen Föderation, der OSZE und dem Europarat zu übermitteln.


(1)  ABl. C 313 E vom 20.12.2006, S. 271.

(2)  ABl. C 58 E vom 12.3.2009, S. 180.


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