EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 52009DC0527

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuß der Regionen und die Europäische Zentralbank - Jährliche Erklärung zum Euroraum 2009 {SEK(2009) 1313}

/* KOM/2009/0527 endg. */

52009DC0527

Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuß der Regionen und die Europäische Zentralbank - Jährliche Erklärung zum Euroraum 2009 {SEK(2009) 1313} /* KOM/2009/0527 endg. */


[pic] | KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN |

Brüssel, den 7.10.2009

KOM(2009) 527 endgültig

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT, DEN RAT, DEN EUROPÄISCHEN WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSS, DEN AUSSCHUSS DER REGIONEN UND DIE EUROPÄISCHE ZENTRALBANK

Jährliche Erklärung zum Euroraum 2009

{SEK(2009) 1313}

1. Die Wirtschaft des Euroraums 2009

Nachdem die Schockwellen der schlimmsten Krise seit den 30er Jahren verebbt sind, sind Anzeichen für eine Stabilisierung der Wirtschaft erkennbar. Weltweit ist es gelungen, durch massive Eingriffe der Politik wieder ein gewisses Maß an Stabilität im Finanzsystem herzustellen. Im Laufe des Sommers haben sich die Finanzierungsbedingungen verbessert und verschiedene Finanzindikatoren haben mittlerweile wieder ihren Stand von vor der Krise erreicht. Auch die Indikatoren des Unternehmer- und Verbrauchervertrauens haben sich in den letzten Monaten verbessert. Der Welthandel hat sich stabilisiert und es gibt Anzeichen dafür, dass der Abbau von Lagerbeständen bald die Talsohle erreicht. Die relative Krisenfestigkeit des Verbrauchs hat sich während der Rezession als stabilisierender Faktor erwiesen, da die in den Konjunkturpaketen enthaltenen disinflationären und entlastenden Maßnahmen das Einkommen der privaten Haushalte gestützt haben.

Nach der jüngsten Zwischenprognose der Kommissionsdienststellen vom September 2009 dürfte das Wachstum im Euroraum 2009 um 4 % zurückgehen, was auch schon im Frühjahr 2009 prognostiziert worden war. Der unerwartet starke Konjunkturrückgang im ersten Quartal wurde durch eine unverhofft rasche Stabilisierung im zweiten Quartal, insbesondere in Deutschland und Frankreich, kompensiert.

Stärke und Belastbarkeit der Konjunkturerholung müssen sich allerdings noch erweisen. Auch wenn die Banken nun ihre Solvabilitätskoeffizienten erhöhen, was ihnen durch die akkommodierende Geldpolitik und die Konjunkturpakete erleichtert wird, hat die Finanzmarktstabilisierung bei der Kreditvergabe an die Wirtschaft, die sich in der gesamten ersten Jahreshälfte 2009 beträchtlich verlangsamt hat, noch keine konkreten Ergebnisse gebracht. Auch die Verschlechterung der Beschäftigungsaussichten trägt zu Unsicherheit und Besorgnis bei. Auf der anderen Seite darf nicht vergessen werden, dass die von der Politik gesetzten Konjunkturimpulse noch beträchtliche Wirkung entfalten dürften. Alles in allem muss sich die Nachhaltigkeit des Aufschwungs aber noch erweisen.

Der Euro hat in der Krise erfolgreich als Schutzschild gewirkt. Der Euro hat den Euroraum wirksam gegen die Wechselkurs- und Zinsturbulenzen abgeschirmt, die den Mitgliedstaaten in früheren Finanzmarktkrisen so zugesetzt haben. Außerdem hat er eine wichtige Rolle als Anker einer soliden makroökonomischen Politik in jenen Mitgliedstaaten gespielt, die seine Einführung aktiv anstreben oder deren Währung an den Euro gebunden ist. Schließlich hat auch die Fähigkeit des Euroraums, umgehend in Abstimmung mit anderen Zentralbanken zu handeln, zur Stabilität des gesamten Weltwährungssystems beigetragen.

Die Finanzkrise hat den Euro für Mitgliedstaaten außerhalb des Euroraums attraktiver gemacht. Sie hat insbesondere zwei potenzielle Vorteile einer Euro-Teilnahme vor Augen geführt: Erstens würde sie das Risiko unvermittelter disruptiver Wechselkursbewegungen ausschalten und zweitens erhielten inländische Institute dadurch Zugang zu Euro-Zentralbankliquidität. Zugleich hat die Krise jedoch auch gezeigt, dass der Euro nicht alle Probleme einer Wirtschaft lösen kann - insbesondere Probleme aufgrund binnen- und außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte, was daran zu erkennen war, dass gewisse Euroraum-Länder mit solchen Ungleichgewichten besonders schwer in Mitleidenschaft gezogen wurden. Diese Erfahrung bestätigt, dass vor der Einführung des Euro ein hoher Grad an dauerhafter Konvergenz erreicht sein muss, wie es der EG-Vertrag vorschreibt. Länder, die den Euro einführen wollen, sollten ihre Volkswirtschaften für den Euroraum rüsten, indem sie eine Politik betreiben, die auf mehr Haushaltsdisziplin, die Verhinderung makrofinanzieller Ungleichgewichte sowie die Steigerung ihrer Produktivität, Wettbewerbsfähigkeit und letztlich Anpassungsfähigkeit innerhalb der WWU ausgerichtet ist.

Einige Herausforderungen im Euroraum sind durch die Krise noch gewachsen. Die Krise belastet die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen und das Potenzialwachstum. Außerdem helfen die kriseninduzierten Anpassungen zwar, bestimmte Ungleichgewichte im Euroraum abzubauen, doch besteht die Gefahr, dass die Unterschiede in der Wettbewerbsfähigkeit wieder zunehmen, wenn politische Maßnahmen nicht richtig aufeinander abgestimmt werden.

Infolge des steilen Einnahmeneinbruchs, der Konjunkturmaßnahmen im Rahmen des Europäischen Konjunkturprogramms und der Wirkung der automatischen Stabilisatoren haben sich die öffentlichen Haushaltssalden drastisch verschlechtert. Dank wirksamer politischer Maßnahmen seit dem Herbst 2008, die im Rahmen des Europäischen Konjunkturprogramms koordiniert wurden, konnten der völlige Zusammenbruch des Finanzsystems und ein allgemeiner Vertrauensschwund verhindert werden. Fiskalpolitische Maßnahmen wurden erfolgreich auf die dringende Notwendigkeit ausgerichtet, die Wirtschaft aus der Rezession zu holen. Diskretionäre Konjunkturfördermaßnahmen und ungebremste automatische Stabilisatoren haben die Konjunktur abgefedert und zu den jüngsten Anzeichen für eine Verbesserung beigetragen, haben jedoch auch zu einer erheblichen Verschlechterung der öffentlichen Finanzen geführt. Wachsende Haushaltsdefizite und geringes oder negatives Wachstum sowie die Hilfen für den Bankensektor schlagen sich allenthalben in einem erheblich höheren öffentlichen Schuldenstand nieder. Inzwischen wird damit gerechnet, dass das durchschnittliche Haushaltsdefizit des Euroraums von 2 % des BIP 2008 auf über 5 % des BIP 2009 anwachsen wird. Ausgehend von den derzeitigen Plänen und Projektionen wird das Defizit des Euroraums 2010 weiter auf 6 ½ % des BIP anschwellen, während der öffentliche Schuldenstand 2010 84 % des BIP, d.h. 18 Prozentpunkte mehr als 2007, erreichen könnte. Im Jahr 2009 wird das öffentliche Defizit im Verhältnis zum BIP in fast allen Mitgliedstaaten des Euroraums, möglicherweise mit Ausnahme von Zypern und Luxemburg, über der 3 %-Marke liegen, in einigen Ländern sogar deutlich. In der ersten Jahreshälfte 2009 leitete der Rat auf Initiative der Kommission Defizitverfahren gegen Griechenland, Irland, Frankreich, Malta und Spanien ein, da der Referenzwert 2008 (in Griechenland 2007) überschritten wurde[1]. Die Kommission schlägt dem Rat heute die Einleitung von Defizitverfahren gegen jene Länder vor, die den Referenzwert voraussichtlich 2009 überschreiten werden. Die im Rahmen des Stabilitäts- und Wachstumspakts mögliche flexible Anwendung des Defizitverfahrens ist für die Mitgliedstaaten unter diesen schwierigen Umständen eine wichtige Unterstützung und Orientierungshilfe. Die im Rahmen des Defizitverfahrens empfohlenen Anpassungspfade wurden daher weitgehend mittelfristig angelegt, und je nach Situation der einzelnen Länder wurden längere Fristen für die Korrektur der übermäßigen Defizite empfohlen.

Die Krise könnte den Abwärtsdruck auf das Trendwachstum erhöhen. Die Kommission hatte projiziert, dass das potenzielle BIP-Wachstum im Euroraum aufgrund der Bevölkerungsalterung langfristig sinken würde. Dieses Phänomen könnte sich nun durch verschiedene krisenbedingte Faktoren verstärken. Erstens würden durch Arbeitslosigkeit - sollte sie langfristig anhalten - wertvolle Fertigkeiten längerfristig, möglicherweise sogar dauerhaft verloren gehen. Zweitens wird der Ausrüstungs- und Infrastrukturbestand schrumpfen und infolge von niedrigeren Investitionen und Strukturwandel möglicherweise veralten. Drittens könnte die Innovation gebremst werden, weil Unternehmen in einer Rezession üblicherweise auch zuerst bei Forschung und Entwicklung sparen. Höhere Risikoprämien könnten die Finanzierung von FuE künftig verteuern. Die Einbuße beim Potenzialwachstum dürfte in Ländern mit tiefer Rezession höher ausfallen.

Die Verringerung der Unterschiede innerhalb des Euroraums unmittelbar nach der Krise ist zu begrüßen. Unmittelbar nach der Finanzkrise rutschte das Wachstum in allen Ländern des Euroraums ab, allerdings in unterschiedlichem Maße. Die Zwischenprognose der Kommissionsdienststellen zeigt, dass sich die Wachstumsverläufe innerhalb des Euroraums allmählich auffächern. So wurde das Wachstum 2009 für Deutschland und Frankreich nach oben korrigiert, für Italien und Spanien hingegen heruntergeschraubt. Was die Leistungsbilanzpositionen angeht, so dürften die laufende Korrektur am Wohnungsmarkt und ihre Auswirkungen auf die Inlandsnachfrage die Unterschiede ein gutes Stück verringern - ein willkommener Schritt hin zu ausgewogeneren Wachstumsmustern. Allerdings verläuft diese Konvergenz verhalten und nicht in allen Mitgliedstaaten des Euroraums übereinstimmend.

2. Aufgelaufene Ungleichgewichte haben die Krisenanfälligkeit einiger Euroraum-Mitgliedstaaten erhöht

Die Krise hat einige schon bestehende Ungleichgewichte ins Blickfeld gerückt. Auf globaler Ebene haben Tempo und Intensität der Ansteckung nach der Insolvenz von Lehman Brothers überrascht. In einigen Mitgliedstaaten des Euroraums sind Nachfrage und BIP ebenso tief eingebrochen wie in anderen, potenziell exponierteren Volkswirtschaften. Auch wenn die Ausweitung der Krise hauptsächlich auf die globale Ausrichtung und engen Verflechtungen im Banken- und Finanzsystem zurückgeführt werden kann, haben die Schwierigkeiten einiger Länder doch auch verschiedene Schwachstellen im Euroraum selbst offenbart.

Aufgrund aufgelaufener Ungleichgewichte innerhalb des Euroraums waren einige Volkswirtschaften schockanfälliger als andere. Günstige makroökonomische Bedingungen, die durch ein kräftiges Wirtschaftswachstum, tiefe Inflationsraten, niedrige Zinssätze und geringe Finanzmarktvolatilität geprägt waren, führten dazu, dass die Wirtschaftsakteure einige dem Finanzsystem innewohnende Risiken auf globaler Ebene weit unterschätzt haben, und leisteten dem Kreditwachstum weltweit Vorschub. In einigen Mitgliedstaaten des Euroraums ermöglichten diese günstigen makroökonomischen Bedingungen auch die Finanzierung eines raschen Wachstums auf Kosten hoher Leistungsbilanzdefizite (vor allem EL, ES, PT und CY, aber auch IE, MT, SI, SK), während andere Mitgliedstaaten immer höhere Leistungsbilanzüberschüsse anhäuften (DE, LU, AT, NL, FI). Innerhalb des Euroraums nahm die Streuung der Leistungsbilanzsalden zwischen diesen beiden Gruppen seit Mitte der 90er Jahre beständig zu und erreichte unmittelbar vor der Krise ein Allzeithoch. Nachdem die Leistungsbilanzen 1999 noch ausgeglichen waren, schwollen die Überschüsse bis 2007 auf 7,7 % des BIP an, während sich die Defizite zusammengenommen von 3,5 % des BIP 1999 auf 9,7 % 2007 erhöhten.

In Defizitländern spiegelte der divergierende Trend die Entstehung zunehmender binnenwirtschaftlicher Ungleichgewichte wider. Diese äußerten sich in übermäßigem inländischem Nachfragedruck, einem sprunghaften Anstieg der Wohnungspreise und einer Aufblähung der Bauwirtschaft. Besonders offenkundig war dies in Irland, Spanien und Griechenland, die in den letzten zehn Jahren durchweg höhere Wachstums- und Inflationsraten verbuchten als der Rest des Euroraums. Hohe Leistungsbilanzdefizite - und der damit verbundene Zustrom ausländischen Kapitals - sind in einem Aufholszenario insofern gerechtfertigt, als sie einer Volkswirtschaft die Möglichkeit geben, ihren Kapitalstock zu erhöhen und die Voraussetzungen für ein nachhaltiges mittelfristiges Wachstum zu schaffen. Allerdings wurde Kapital in den Ländern mit Leistungsbilanzdefizit nicht immer den produktivsten Verwendungszwecken zugeführt. Folge davon war, dass ein erheblicher Teil der Erwerbsbevölkerung von stark konjunkturabhängigen Branchen wie der Bauwirtschaft angezogen wurde, was nunmehr eine erhebliche Anpassung erforderlich macht.

Umgekehrt schlugen die Überschussländer Kapital aus ihren traditionellen Stärken und konzentrierten ihr Wachstumsmodell auf eine bereits wettbewerbsfähige Exportwirtschaft. In diesen Ländern ist die Inlandsnachfrage niemals wirklich angesprungen, um die Exporte als Wachstumsmotor abzulösen. Die Auswirkungen der Krise haben gezeigt, wie anfällig dieses Wachstumsmodell für Schwankungen der Weltnachfrage ist, was entsprechende Folgen für das Wachstum im Euroraum insgesamt hat.

Eine weitere Ursache der Ungleichgewichte war das rasche Wachstum des Finanzsektors. Bestes Beispiel ist Irland, dessen Finanzsektor 2007 10,6 % zur gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung beitrug, gegenüber lediglich 5 % im Durchschnitt des Euroraums. Nach der Krise führten massive wertgeminderte Vermögenswerte zur Schwächung des Bankensektors und setzten die öffentliche Hand als Kreditgeber letzter Instanz unter Druck.

Diese Ungleichgewichte erklären, warum die Krise einige Mitgliedstaaten härter getroffen hat als andere. Da die hohen Verbindlichkeiten gegenüber dem Ausland die Anfälligkeit für Finanzschocks erhöhten, hatten die Länder mit Leistungsbilanzdefizit unter der geringeren Risikobereitschaft an den Finanzmärkten zu leiden. Auch die Anpassung der aufgeblähten Bausektoren hat Wachstum und Beschäftigung in der Krise von Anfang an schwer belastet. Derweil wurden die Länder mit Leistungsbilanzüberschuss nahezu sofort von dem globalen Nachfragerückgang in Mitleidenschaft gezogen und mussten einen drastischen Wachstumseinbruch hinnehmen. Auf Länder mit größerem Bankensektor könnten erhebliche Finanzverbindlichkeiten zukommen. Insgesamt betrachtet ist die Konjunktur in Mitgliedstaaten mit unausgewogenen Wachstumsmodellen besonders stark eingebrochen.

Die Auswirkungen der Krise zeigen den Handlungsbedarf. Zwar wurden diese Ungleichgewichte und die damit verbundenen Risiken schon vor Jahren erkannt, doch war ihre Beseitigung seit langem überfällig, da sie von den politisch Verantwortlichen in den Mitgliedstaaten in Zeiten günstiger Konjunktur großteils ignoriert wurden. Damit muss jetzt Schluss sein.

3. Die Reaktionsfähigkeit des Euroraums nach der Krise wurde auch durch Unerledigte Aufgaben beeinträchtigt

Die tiefere Finanzintegration im Euroraum ging nicht mit einer entsprechender Stärkung der Aufsichtsstrukturen einher. Mit den bestehenden Aufsichtsstrukturen ist es nicht gelungen, eine gemeinsame Aufsichtskultur zu schaffen, die systemischen Zusammenhänge zwischen Finanzmärkten und Realwirtschaft zu begreifen und einen belastbaren Rahmen für eine zügige und koordinierte Reaktion gleich bei Ausbruch der Krise abzustecken. Die ersten Reaktionen waren Alleingänge und weitgehend durch inländische Erwägungen bestimmt. Beispielsweise haben die Initiativen im Bereich Einlagensicherungssysteme und die als Notaktion durchgeführte Dekonsolidierung eines großen grenzübergreifenden Finanzinstituts drastisch vor Augen geführt, dass es keine Verfahren für ein funktionsfähiges Krisenmanagement gibt. Das erste Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der Eurogruppe im Oktober 2008 in Paris hat dazu beigetragen, eine EU-Reaktion in Gang zu bringen.

Diese Lücke wurde von der Kommission zügig geschlossen. So lieferte sie einen gemeinsamen Rahmen für die Umsetzung der nationalen Bankenrettungspläne in Einklang mit den Beihilfevorschriften, der auch die Unterstützung der EZB fand. Den Schlussfolgerungen der de Larosière-Gruppe entsprechend hat die Kommission ferner ihre Legislativvorschläge für die neue europäische Finanzaufsichtsarchitektur vorgelegt. Diese zielen darauf ab, die Aufsicht der Finanzinstitute und des Finanzsystems insgesamt zu verstärken. Parallel dazu steht die EU bei der Reform der Finanzmarktregulierung an vorderster Front, indem sie die Initiativen und Engagements der G-20 mitformuliert.

Auch wenn die öffentlichen Finanzen der meisten Mitgliedstaaten bei Ausbruch der Krise in Ordnung waren, hatten einige Länder bei der Krisenbewältigung doch nur geringen Handlungsspielraum. Nach einer mehrjährigen, weitgehend erfolgreichen Haushaltskonsolidierung gemäß den Empfehlungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts waren die meisten Mitgliedstaaten des Euroraums weitaus besser für die Krise gewappnet als dies vorher der Fall gewesen wäre. Doch war die Konsolidierung in einigen Ländern des Euroraums trotz günstiger Konjunktur noch nicht abgeschlossen. So war der öffentliche Schuldenstand in Griechenland, Italien und Belgien nach wie vor hoch, während Frankreich, Griechenland und Portugal ihre Haushaltskonsolidierung nur langsam und zögerlich durchführten. In anderen Ländern waren die öffentlichen Finanzen von Steuereinnahmen aus dem Finanz- oder Immobiliensektor abhängig, deren Absturz zur Verschlechterung der Finanzlage beigetragen und den finanzpolitischen Spielraum für Krisenmaßnahmen stark eingeschränkt hat. Mehrere Mitgliedstaaten mussten deshalb ihren Beitrag zum gemeinsamen europäischen Konjunkturprogramm begrenzen oder ganz darauf verzichten. Wäre die Konsolidierung überall abgeschlossen gewesen, hätte der Euroraum noch entschlossenere Konjunkturanreize setzen können.

Alles in allem haben die Regierungen des Euroraums im Rahmen des Europäischen Konjunkturprogramms einen angemessenen Beitrag zu den abgestimmten Bemühungen um Stützung der Nachfrage geleistet. Sie haben zu diesem Zweck ein breites Spektrum umfangreicher finanz- und strukturpolitischer Maßnahmen eingesetzt. Insgesamt beläuft sich die haushaltsfinanzierte Unterstützung auf rund 4,6 % des BIP im Euroraum (etwa 5 % der EU insgesamt). Darin eingeschlossen sind die Wirkungen der automatischen Stabilisatoren und die kombinierten diskretionären Konjunkturimpulse der Mitgliedstaaten in den Jahren 2009 und 2010 in der Größenordnung von 1,8 % des Euroraum-BIP. Von den 590 Maßnahmen, die die Mitgliedstaaten des Euroraums mitgeteilt haben, zielen 22 % auf die Stärkung der Kaufkraft der privaten Haushalte ab (worunter auch die sozial Schwächsten fallen), stützen 25 % die Investitionstätigkeit und 32 % Branchen oder einzelne Unternehmen und sind 21 % dafür vorgesehen, die Funktionsweise des Arbeitsmarkts zu verbessern. In ihrer Bewertung vom Juni 2009 gelangte die Kommission zu dem Schluss, dass die meisten dieser Maßnahmen rechtzeitig getroffen wurden und zielgerichtet sind und damit den Grundsätzen des Europäischen Konjunkturprogramms entsprechen. Anlass zur Sorge bereitet jedoch die Frage, ob einige von ihnen überhaupt zurückgenommen werden können, da sie die Wirksamkeit expansiver Maßnahmen einschränken.

Die wirtschaftspolitischen Krisenmaßnahmen des Euroraums hätten zusammengenommen schneller und vielleicht stärker Wirkung zeigen können, wäre früher mit einer umfassenderen Koordinierung begonnen worden . Auch wenn Koordinierung für die EU insgesamt von Bedeutung ist, spielt sie für die Mitgliedstaaten des Euroraums wegen ihrer engen wirtschaftlichen und finanziellen Verzahnung und ihrer gemeinsamen Währung und Geldpolitik doch eine besonders große Rolle. Alles in allem hat das etablierte System der wirtschafts- und finanzpolitischen Koordinierung innerhalb des Euroraums in der Krise nicht gut funktioniert. Um hier Abhilfe zu schaffen, hat die Eurogruppe sich verpflichtet, die Koordinierung der nationalen Konjunkturmaßnahmen zu verbessern, um ungewollte negative Spillover-Effekte zu vermeiden und die im Stabilitäts- und Wachstumspakt festgelegten Überwachungsmechanismen in vollem Umfang umzusetzen. In schwierigen Zeiten wie diesen sollte der Euroraum mehr denn je eine Führungsrolle übernehmen.

4. Weiteres Vorgehen: Gewährleistung einer wirksamen internen Anpassung und eines nachhaltigen Wachstums unter schwierigen Rahmenbedingungen

Die Krise hat deutlich vor Augen geführt, dass die Mitgliedstaaten des Euroraums bei der WWU@10 Reformagenda, d.h. der Erweiterung und Vertiefung der makroökonomischen Überwachung, dringend Fortschritte erzielen müssen. Eine gut funktionierende WWU stellt für die EU insgesamt einen wichtigen Trumpf dar. In ihrer Mitteilung zum zehnjährigen Bestehen der Wirtschafts- und Währungsunion[2] vom Mai 2008 schlug die Kommission angesichts sich rasch wandelnder globaler Rahmenbedingungen, der Bevölkerungsalterung und zunehmender Sorge über Energieversorgung und Klimawandel eine Drei-Säulen-Agenda zur Verbesserung der WWU vor. Intern sollte es nach Auffassung der Kommission darum gehen, gemäß der Lissabon-Strategie für Wachstum und Beschäftigung die makroökonomische Überwachung in der WWU über die Finanzpolitik hinaus auf die makrofinanzielle Stabilität und auf Trends bei der Wettbewerbsfähigkeit auszuweiten und die Strukturreformen besser in die allgemeine Politikkoordinierung innerhalb der WWU zu integrieren. Die Kommission rief ferner dazu auf, die finanzpolitische Koordinierung zu vertiefen und die Überwachung zu verstärken. Extern sollte der Euroraum der Mitteilung zufolge eine größere Rolle bei der globalen wirtschaftspolitischen Governance spielen. Die Krise hat deutlich gemacht, dass diese Reformagenda entschlossen umgesetzt werden muss.

Die makroökonomische Überwachung muss dringend ausgeweitet werden, um dem Problem der Wettbewerbsfähigkeit durch eine verstärkte politische Koordinierung zu begegnen. Da strukturelle Unterschiede den Zusammenhalt des Euroraums zu beeinträchtigen drohen, müssen rasch und entschlossen Maßnahmen eingeleitet werden. Trotz wiederholter Warnungen wurden die Ungleichgewichte innerhalb des Euroraums in Zeiten günstiger Konjunktur nicht in Angriff genommen. Nun zwingt die Krise durch den Einbruch der Inlandsnachfrage und die rapide steigende Arbeitslosigkeit zu einer harten Anpassung der Leistungsbilanzen, was vor allem – wenn auch nicht ausschließlich – für Länder mit Defizit wie Spanien und Irland gilt. Auch die erneute Angleichung der Trends bei der Wettbewerbsfähigkeit könnte sich aus folgenden Gründen als etwas längerwierig erweisen: i) das globale Ausmaß der Krise steht einer exportorientierten Strategie im Wege, ii) das geringere Potenzialwachstum schränkt den Spielraum, der zum Ausgleich der aufgelaufenen Lohn- und Kostenunterschiede zur Verfügung steht, ein, iii) wenn sich die wirtschaftliche Erholung festigt, könnten Länder mit schwachem Wachstum mit höheren Realzinssätzen konfrontiert sein als der Rest des Euroraums. In dem Bestreben, die makroökonomische Überwachung auszuweiten, kam die Eurogruppe 2008 überein, die Euroraum-Trends bei der Wettbewerbsfähigkeit regelmäßig zu überwachen und die Mitgliedstaaten zu Anpassungsmaßnahmen zu ermutigen. Die Ursachen für schädliche Entwicklungen bei der Wettbewerbsfähigkeit an der Wurzel zu packen, ist für alle von Interesse und muss fester Bestandteil der Rückzugsstrategie des Euroraums sein.

Die Ausweitung der Überwachung sollte auch Finanzmarktentwicklungen einschließen. Die Überschuldung im privaten Sektor führte dazu, dass die wirtschaftlichen Trends auf Dauer nicht mehr tragfähig waren. Finanzielle Ungleichgewichte dieser Art sollten frühzeitig aufgedeckt und in Angriff genommen werden. In der Mitteilung zum zehnjährigen Bestehen der WWU wurde betont, dass „die Marktintegration, insbesondere im Finanzdienstleistungsbereich, für die WWU zwar insgesamt von Nutzen ist […], dass sie jedoch auch die bestehenden Unterschiede zwischen den teilnehmenden Ländern vergrößern kann, wenn sie nicht von geeigneten politischen Maßnahmen flankiert wird.“ Die Krise hat gezeigt, wie schnell finanzielle Schocks die Realwirtschaft treffen können und wie stark sie nachwirken. Neben der Ausweitung der makroökonomischen Überwachung auf Entwicklungen bei der Wettbewerbsfähigkeit innerhalb des Euroraums scheint die Früherkennung eines Preisbooms bei bestimmten Vermögenswerten wesentlich dazu beizutragen, kostspielige spätere Korrekturen finanzpolitischer und außenwirtschaftlicher Ungleichgewichte zu vermeiden.

Um die langfristige Tragfähigkeit der öffentlichen Finanzen zu gewährleisten, sollte die Überwachung vertieft werden. Unmittelbar nach der Krise droht die Kombination aus niedrigem Wachstum und rasch anwachsender Verschuldung die öffentlichen Finanzen in Schwierigkeiten zu bringen – und dies zu einem Zeitpunkt, zu dem erstmals die Folgen der Bevölkerungsalterung zum Tragen kommen. Bei unveränderter Politik wird der öffentliche Schuldenstand im Euroraum Prognosen zufolge im Jahr 2014 100 % des BIP erreichen. Als Teil einer tieferen finanzpolitischen Koordinierung im Euroraum bedarf es eines klaren Bekenntnisses zu einer finanzpolitischen Strategie, die einen angemessenen Ausgleich zwischen Stabilitäts- und Nachhaltigkeitserwägungen im Einklang mit dem Stabilitäts- und Wachstumspakt schaffen kann. Um kohärente finanzpolitische Maßnahmen für den Euroraum zu gewährleisten, haben sich die Finanzminister der Euroländer im Juni 2009 auf ein Mandat für die Ausarbeitung von Leitlinien für die Erstellung der Haushaltspläne 2010 verständigt (Halbzeit-Haushaltsüberprüfung). Es wurde insbesondere beschlossen, den Schwerpunkt der Finanzpolitik auf die Konsolidierung zu verschieben, sobald die wirtschaftliche Erholung Fuß fasst und das Risiko eines neuerlichen Konjunkturrückgangs weiter zurückgeht. Sie vereinbarten ferner, dass die Haushaltskonsolidierung nicht in allen Ländern gleich schnell vonstatten gehen solle, sondern sich sowohl nach dem Tempo der wirtschaftlichen Erholung, der Haushaltsposition und dem Schuldenstand als auch nach den projizierten Kosten der Bevölkerungsalterung, außenwirtschaftlichen Ungleichgewichten und Risiken im Finanzsektor richten solle.

Bei der Konsolidierung sollte auch die Qualität der öffentlichen Finanzen verbessert und die weitere Erhöhung des Schuldenstandes aufgehalten werden. Gleichzeitig sollte durch Konsolidierung der unproduktiven Ausgaben und durch verstärkte Anreize zur Erhöhung der Produktionskapazitäten der Wirtschaft zum langfristigen Wachstum beigetragen werden. Zusätzlich dazu muss der finanzpolitische Rahmen der Euroländer gestärkt werden, um zu gewährleisten, dass in Zeiten günstiger Konjunktur eine wirksame Konsolidierung stattfindet. Alles in allem lässt sich aus der Krise die Lehre ziehen, dass bei der makroökonomischen Überwachung die langfristige Tragfähigkeit als Eckpfeiler jeder Wirtschaftsstrategie betrachtet werden sollte.

Die Koordinierung zwischen Politikbereichen und Mitgliedstaaten sollte verbessert werden, um umsichtige Rückzugsstrategien zu ermöglichen. Um ein nachhaltiges Wachstum zu gewährleisten und zu vermeiden, dass sich die potenziellen Wachstumsverläufe auffächern, wenn die Wirtschaft wieder an Fahrt gewinnt, sind glaubwürdige und gut koordinierte Rückzugsstrategien für den Euroraum von besonders großer Bedeutung. Koordinierung sollte im Wesentlichen bedeuten, dass sich die Vorstellungen über die richtige Zeitplanung, das richtige Tempo und die richtigen Abstände für die Normalisierung der politischen Vorgaben decken. Würden die Konjunkturanreize und Maßnahmen zur Unterstützung von Unternehmen letztlich zurückgenommen und gleichzeitig glaubhafte Programme für Haushaltskonsolidierung und Strukturreformen aufgestellt, würde dies die Aussichten auf Preisstabilität verbessern und dadurch die Geldpolitik erleichtern. Um zu gewährleisten, dass das Bankensystem dem Aufschwung nicht im Wege steht und das geldpolitische Ziel der Preisstabilität nicht mit dem Ziel der Finanzmarktstabilität kollidiert, müssen rasch Fortschritte bei den Hilfsmaßnahmen im Finanzsektor erzielt werden. Um global das beste Ergebnis zu erzielen, müssen die nationalen Rückzugsstrategien die Maßnahmen vorsehen, die den Gegebenheiten des jeweiligen Landes am besten Rechnung tragen. Nach den vom Rat im Rahmen der Lissabon-Strategie ausgesprochenen Empfehlungen für den Euroraum müssen bei der Umsetzung von Reformen, die das Wachstumspotenzial erhöhen und die Anpassungen an Schocks erleichtern, Fortschritte erzielt werden.

Lehren für die Governance. Die Krise hat gezeigt, wie dringend der Rahmen für Überwachung und Governance des Euroraums verstärkt werden muss. In ihrer Mitteilung zum zehnjährigen Bestehen der WWU von 2008 hatte die Kommission bereits darauf hingewiesen, dass die Euro-Länder deutlicher ihren politischen Willen und ihren Führungsanspruch zum Ausdruck bringen müssen, damit die gemeinsamen Vorstellungen in konzertierte politische Maßnahmen münden, und dazu aufgerufen, dass die Mitgliedstaaten die Möglichkeiten, die die Eurogruppe als politisches Gremium für offene Diskussionen und entschlossene Maßnahmen bietet, in vollem Umgang zu nutzen. Der Vertrag von Lissabon stellt die notwendige Ausgangsbasis für die weitere Verbesserung der wirtschaftlichen Governance im Euroraum dar. In einem neuen Protokoll zum Lissabon-Vertrag werden die Eurogruppe und ihr Vorsitzender förmlich anerkannt und so die Notwendigkeit einer immer engeren wirtschaftspolitischen Koordinierung im Euroraum unterstrichen. Auch die Rolle der Kommission bei der Überwachung der WWU wird im Vertrag von Lissabon gestärkt.

Mit vereinten Kräften können die Länder des Euroraums die globale Agenda beeinflussen. Die Tatsache, dass die G-20 künftig die Reform der globalen wirtschafts- und finanzpolitischen Governance vorantreiben will, stellt den Euroraum vor neue Herausforderungen. Unmittelbar nach der Krise sieht sich die Weltwirtschaft der großen Schwierigkeit gegenüber, in den größten Volkswirtschaften die Umstellung auf ein ausgewogeneres und nachhaltigeres Wachstumsmuster zu vollziehen. Zu diesem Zweck ist es gerechtfertigt, dass die globale Überwachung unter der Ägide des IWF an Bedeutung gewinnt. In diesem Kontext sollte der Euroraum als eine wirtschaftliche Einheit betrachtet werden, die mit der wachsenden Zahl ihrer Mitglieder schrittweise an Bedeutung gewinnen wird. Damit sich der Euroraum auf globaler Ebene mit einer Stimme Gehör verschaffen kann, muss die Außenvertretung der EU verstärkt werden, was insbesondere für den IWF gilt. Jetzt, wo die Diskussionen über eine Reform von Quoten und Vertretung in Gang kommen, ist dieser Moment gekommen. Aus diesem Grund ist der in der Mitteilung zum zehnjährigen Bestehen des Euroraums skizzierte Kurs der Kommission aktueller denn je.

[1] Alle einschlägigen Dokumente zum Defizitverfahren unter: http://ec.europa.eu/economy_finance/netstartsearch/pdfsearch/pdf.cfm?mode=_m2

[2] „WWU@10: Zehn Jahre Wirtschafts- und Währungsunion – Errungenschaften und Herausforderungen”, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss, den Ausschuss der Regionen und die Europäische Zentralbank, KOM(2008) 238 vom 7. Mai 2008.

Top