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Document 52007DC0693
Commission working document on the feasibility of EU legislation in the area of protection of witnesses and collaborators with justice
Arbeitsdokument der Kommission über die Durchführbarkeit einer EU-Regelung für den Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten
Arbeitsdokument der Kommission über die Durchführbarkeit einer EU-Regelung für den Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten
/* KOM/2007/0693 endg. */
Arbeitsdokument der Kommission über die Durchführbarkeit einer EU-Regelung für den Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten /* KOM/2007/0693 endg. */
[pic] | KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN | Brüssel, den 13.11.2007 KOM(2007) 693 endgültig ARBEITSDOKUMENT DER KOMMISSION über die Durchführbarkeit einer EU-Regelung für den Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten ARBEITSDOKUMENT DER KOMMISSION über die Durchführbarkeit einer EU-Regelung für den Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten 1. Einführung Dieses Dokument stützt sich auf Vorarbeiten, die für die Folgenabschätzung eines Legislativvorschlags der EU im Bereich des Schutzes von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten, notwendig sind. Es gibt einen Überblick über den Stand der Rechtsetzung und der allgemeinen Vorgehensweise auf nationaler, europäischer und internationaler Ebene. Im Anschluss daran folgt eine Analyse der Probleme, Ziele und möglichen politischen Optionen. Dabei werden auch einige zentrale Themen angesprochen, die eingehender erörtert werden müssen, bevor eine harmonisierte Zeugenschutzregelung auf EU-Ebene in Angriff genommen werden kann. Im Legislativ- und Arbeitsprogramm der Kommission für 2007[1] ist der Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten, als vorrangige Initiative aufgeführt. Im Folgenabschätzungsverfahren hat sich jedoch gezeigt, dass es zum jetzigen Zeitpunkt nicht ratsam ist, mit Legislativarbeiten auf EU-Ebene zu beginnen. 2. Hintergrund Ein zuverlässiger Zeugenschutz kann bei der Überführung von Straftätern eine entscheidende Rolle spielen, da es häufig von der Kooperationsbereitschaft der Zeugen abhängt, ob die einzelnen Phasen des Strafverfahrens erfolgreich abgeschlossen werden können. Straftäter versuchen häufig, Zeugen durch Einschüchterung von einer Aussage abzuhalten. Als Zeuge auszusagen, ist eine Bürgerpflicht, und der Staat hat die Pflicht, Zeugen vor Übergriffen zu schützen. Zeugenschutz bedeutet, dass Zeugen, die in einem Strafverfahren aussagen, durch prozessuale und nicht prozessuale Maßnahmen besonders geschützt werden, um ihre Sicherheit – mitunter auch die ihrer Familie – vor, während und nach ihrer Zeugenaussage zu gewährleisten. Diese Schutzmaßnahmen können auch von Personen in Anspruch genommen werden, die mit der Justiz zusammenarbeiten. Dabei handelt es sich um Personen, die in Fällen, in denen es um organisierte Kriminalität geht, selbst in kriminelle Aktivitäten verstrickt sind und deshalb mit Strafverfolgung und Strafe rechnen müssen. Schon seit Jahren gibt es Überlegungen, den Zeugenschutz EU-weit zu regeln. Bereits 1997 wurde in der Empfehlung Nr. 16 des Aktionsplans zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität[2] nahe gelegt, den Schutzbedarf von Zeugen und Personen, die mit den Justizbehörden zusammenarbeiten, zu prüfen. Auch in der Erklärung des Europäischen Rates vom 25. März 2004 zur Bekämpfung des Terrorismus und im Haager Aktionsplan[3] wird auf einen Vorschlag betreffend den Schutz von Zeugen und Informanten Bezug genommen. 3. Vorarbeiten Die Vorarbeiten an einer europaweit verbindlichen Regelung für den Zeugenschutz gehen auf das Jahr 2004 zurück. Damals ging es darum, Informationen über das Recht der Mitgliedstaaten, Verwaltungsstrukturen und praktische Erfahrungen einzuholen, um Rechtslücken und Schwachstellen in der Praxis aufzudecken, die sich auf EU-Ebene auswirken, und Lösungen vorzuschlagen, die einen europäischen Mehrwert aufweisen. Im Zuge einer komparativen Studie zum Zeugenschutz im Rahmen eines AGIS-Projekts[4] wurden Recht und Praxis am Beispiel dreier Mitgliedstaaten analysiert und Vorschläge für eine EU-Regelung ausgearbeitet. Die Kommission arbeitete überdies in der gemeinsamen Europol-ISISC-OPCO[5]-Arbeitsgruppe mit, in der Möglichkeiten für eine Harmonisierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften zum Zeugenschutz ausgelotet wurden[6]. Auf den Sachverständigensitzungen, die von der Kommission 2006 und 2007[7] veranstaltet wurden, kamen Vertreter der Mitgliedstaaten und Zeugenschutz-Experten zu Wort, die der Kommission wertvolle Anhaltspunkte zur Beurteilung der Frage lieferten, ob auf EU-Ebene in diesem Bereich Handlungsbedarf besteht. Eine Eurobarometer-Umfrage aus dem Jahr 2006[8] ergab, dass eine Zeugenschutzregelung auf EU-Ebene von den EU-Bürgern unterstützt würde. 86 % der Befragten befürworten eine EU-Politik, die sich für eine grenzüberschreitende und internationale Zusammenarbeit beim Zeugenschutz einsetzt; von 45 % der Befragten wird eine solche Politik sogar stark befürwortet[9]. Es wurde große Mühe auf die Beschaffung zuverlässiger Daten und Statistiken verwandt (z. B. Informationen von Europol, Veröffentlichungen der Mitgliedstaaten, Antworten auf Fragebögen der Sonderarbeitsgruppe des Europarats, Expertentreffen). Über den Zeugenschutz in konkreten Fällen sind keine genauen statistischen Angaben verfügbar, da diese Fälle vertraulich behandelt werden. Um den Betroffenen ein Höchstmaß an Sicherheit zu bieten, ist die vertrauliche Behandlung sowohl der personenbezogenen Daten als auch der Einzelheiten von Zeugenschutzprogrammen von größter Bedeutung. Dennoch ist festzustellen, dass der Bedarf an Zeugenschutzprogrammen in den letzten 5-10 Jahren in den meisten Ländern gestiegen ist, was sich sowohl an der Zahl der Anträge als auch an der Zahl der zu den Programmen zugelassenen Zeugen erkennen lässt . 4. Rechtsetzung und Vorgehensweise auf europäischer, nationaler und internationaler Ebene Die geltenden EU-Instrumente - Entschließung über den Schutz von Zeugen im Rahmen der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität (1995)[10] und Entschließung über Personen, die im Rahmen der Bekämpfung der internationalen organisierten Kriminalität mit den Justizbehörden zusammenarbeiten (1996)[11] – sind rechtlich nicht verbindlich und von ihrem Anwendungsbereich her begrenzt, da sie nur den Bereich der organisierten Kriminalität anvisieren. In verbindlichen Rechtsakten wie dem Rahmenbeschluss des Rates zur Terrorismusbekämpfung[12] und dem Rahmenbeschluss des Rates über die Stellung des Opfers im Strafverfahren[13] ist daneben die Möglichkeit der Strafmilderung im Austausch gegen Informationen bzw. ein Recht des Opfers auf Schutz vorgesehen. Die meisten EU-Mitgliedstaaten verfügen entweder in einem gesonderten Gesetz oder in der Strafprozessordnung über eine Zeugenschutzregelung . Darin enthalten sind in der Regel Begriffsbestimmungen (geschützter Zeuge, anonymer Zeuge, Person, die mit der Justiz zusammenarbeitet), prozessuale Maßnahmen (besondere Vorkehrungen im Prozess, alternative Verfahren der Zeugenaussage), nicht prozessuale Maßnahmen (physischer Schutz, Wohnortwechsel, Tarnidentität), Durchführungsbestimmungen in Bezug auf die verschiedenen Strafverfolgungsorgane und deren Rolle vor, während und nach dem Strafverfahren sowie Rechte und Pflichten der am Zeugenschutz beteiligten Personen. Auch die internationale Zusammenarbeit wird gewöhnlich erwähnt, allerdings ohne ins Detail zu gehen. In einigen Ländern sind die Zeugenschutzprogramme in eigenen Gesetzen geregelt, in anderen nicht. Manche Länder sehen im Zeugenschutz in erster Linie eine Aufgabe der Polizei, während andere der Judikative und den Ministerien eine tragende Rolle zuweisen. In einigen Ländern gibt es ein nationales Zeugenschutzprogramm, während andere über mehrere Programme auf substaatlicher Ebene verfügen. Auch unterscheiden sich die Länder beträchtlich in der Art der Maßnahmen, mit denen die Mitwirkung der Zeugen erleichtert werden soll. Zum Teil sind Schwere und Art der Straftat maßgebend, zum Teil spielen Unterschiede in den Rechtstraditionen und Rahmenbedingungen eine Rolle (siehe Anhang). Obwohl in den nationalen Strafgesetzbüchern selten von Personen die Rede ist, die mit der Justiz zusammenarbeiten , sehen fast alle Länder die Möglichkeit vor, dass Straftätern Strafmilderung gewährt werden kann, wenn sie der Polizei/den Justizbehörden bei der Aufklärung ihrer oder anderer Straftaten helfen. Einige Mitgliedstaaten haben davon abgesehen, besondere Vorschriften für Personen einzuführen, die mit der Justiz zusammenarbeiten (entweder weil sie es selten mit Straftaten zu tun haben, bei denen eine solche Regelung sinnvoll wäre, oder weil sie aus moralischen Gründen eine Strafmilderung oder Strafbefreiung ablehnen), während in anderen Mitgliedstaaten solche Möglichkeiten der Strafmilderung oder –befreiung in großem Umfang genutzt werden. Die Arbeiten des Europarats wurden mit besonderer Aufmerksamkeit verfolgt. Der Europarat beschäftigt sich seit Mitte der 90er Jahre mit der Zeugenschutzproblematik und hat dazu auch Empfehlungen ausgesprochen: In den Empfehlungen des Ministerkomitees Nr. (97) 13 über die Einschüchterung von Zeugen und die Rechte der Verteidigung sowie Nr. (2005) 9 zum Schutz von Zeugen und Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten, wird auf eine Vielzahl unterschiedlicher Situationen Bezug genommen, in denen Zeugen unter Umständen Schutz benötigen. In Bezug auf prozessuale Schutzmaßnahmen hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte insbesondere in seiner Rechtsprechung zu Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Recht auf ein faires Verfahren) einen wichtigen Beitrag geleistet. Zu erwähnen sind daneben eine Reihe weiterer Entschließungen des Europarats[14], die einschlägige Schutzvorschriften enthalten. Darüber hinaus gibt es in Europa eine ganze Reihe von Kooperationsvereinbarungen im Bereich des Zeugenschutzes. Im Jahr 2000 wurde das European Liaison Network ins Leben gerufen. Dieses Netzwerk, in dem die Leiter der Spezialeinheiten für den Zeugenschutz auf freiwilliger Basis zusammengeschlossen ist, wird von Europol koordiniert, das allerdings nicht über ein konkretes Mandat verfügt. Im Laufe der Jahre hat sich das Netz zu einem weltumspannenden Fachforum entwickelt, das sich über alle fünf Kontinente erstreckt[15]. Die Zusammenkünfte innerhalb des Netzwerks dienen dem Informationsaustausch und der Erarbeitung von Regeln und Leitlinien, haben aber keinen Bezug zu operativen Tätigkeiten. Die Diskussionen innerhalb des Europol-Netzwerks mündeten in zwei Dokumente, die als ‚EU-Leitlinien’ verbreitet wurden: Die Grundprinzipien der polizeilichen Zusammenarbeit in der Europäischen Union beim Zeugenschutz („Basic principles of European Union police co-operation in the field of Witness Protection“) betreffen in erster Linie die internationale Zusammenarbeit bei einem Wohnortwechsel, während in den Gemeinsamen Kriterien für die Aufnahme eines Zeugen in ein Schutzprogramm („Common Criteria for taking a witness into a Protection Programme“) die Voraussetzungen festgelegt sind, unter denen ein Zeugenschutzprogramm in Anspruch genommen werden kann. Was die internationale Zusammenarbeit beim Zeugenschutz – einschließlich der Zusammenarbeit zwischen EU-Mitgliedstaaten und der Zusammenarbeit mit internationalen Gerichten oder Drittstaaten – anbelangt, ist festzustellen, dass bilaterale Abkommen generell ad hoc geschlossen werden. Die einzige multilaterale Übereinkunft auf europäischer Ebene wurde von den drei baltischen Staaten geschlossen[16] mit dem Ziel, in Strafsachen zusammenzuarbeiten, wenn es darum geht, bei Personen, die mit den Strafverfolgungsbehörden einer anderen Vertragspartei zusammengearbeitet haben, von einer weiteren Strafverfolgung abzusehen oder ihre Strafe zu mildern. Für Fragen der internationalen gerichtlichen Zuständigkeit und des internationalen Strafprozessrechts hat sich der Internationale Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (IStGHJ, 1993) als maßgebende Referenz und fruchtbare Quelle der Rechtsschöpfung erwiesen, da einschlägige Regeln erst im Ansatz vorhanden sind. Die vom IStGHJ angewandten Regeln gelten weitgehend auch für den Internationalen Strafgerichtshof (IStGH, 1998). Zwar gibt es im internationalen Strafrecht keine Zeugendefinition und keinen Anhaltspunkt dafür, welches Maß an Schutz ein Zeuge in einem Strafverfahren erwarten darf, doch lässt sich aus der Verfahrensordnung und der Rechtsprechung dieser beiden Gerichtshöfe schließen, dass es für Zeugen, die in Strafverfahren aussagen, bestimmte Regeln und Leitlinien gibt. Die Schwierigkeiten beim Zeugenschutz sind hauptsächlich darauf zurückzuführen, dass es an einem Hoheitsgebiet und damit an der gerichtlichen Zuständigkeit fehlt, dass für den Zeugenschutz nur begrenzte Mittel zur Verfügung stehen und die Zusammenarbeit mit anderen Ländern unzureichend ist. Da diesen Gerichten eine entscheidende Rolle bei der Wahrung von Frieden und Gerechtigkeit zukommt, könnten sie in Bezug auf den Zeugenschutz von einer künftigen EU-Regelung profitieren[17]. Es gibt zwar keine eigenständige, verbindliche oder nicht verbindliche UN-Regelung , die allein den Zeugenschutz betrifft, doch besteht in den letzten Jahren die Tendenz, in UN-Konventionen einen Hinweis auf den Zeugenschutz aufzunehmen (z. B. UN-Übereinkommen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität (UNTOC, 2001)[18] und UN-Übereinkommen gegen Korruption (UNCAC, 2003)[19]). In den Übereinkommen werden die Vertragsstaaten aufgefordert, in Übereinstimmung mit ihrer innerstaatlichen Rechtsordnung und im Rahmen ihrer Möglichkeiten geeignete Maßnahmen zu treffen, um Zeugen, die zu Straftaten im Sinne dieser Übereinkommen aussagen, wirksam zu schützen. Um den UN-Mitgliedstaaten bei der Umsetzung dieser Übereinkommen behilflich zu sein, begann das Büro der Vereinten Nationen für Drogen- und Verbrechensbekämpfung (UNODC) 2005 mit der Ausarbeitung von Leitlinien für den Zeugenschutz. 5. Probleme aufgrund der jetzigen Rechtslage Die Untersuchung der Rechtslage und Praxis beim Zeugenschutz bestätigt, dass trotz gewisser Fortschritte vor allem in den letzten Jahren die Rahmenbedingungen nicht hinreichend gefestigt sind, d. h. dass es zum einen zwischen den Mitgliedstaaten große Unterschiede in rechtlicher und administrativer Hinsicht gibt und dass zum anderen die Entwicklung in diesem Bereich im Fluss ist. Hierfür sind mehrere Faktoren verantwortlich: - Auf internationaler Ebene laufen viele verschiedene Arbeiten gleichzeitig, die Aspekte des Zeugenschutzes berühren (EU, einschließlich Europol, Europarat, IStGHJ/IStGH, G8). - Der Umsetzungsstand der mehrheitlich nicht verbindlichen Rechtsinstrumente ist uneinheitlich. - Die Koordinierung zwischen den Behörden der Mitgliedstaaten und den EU-Institutionen bei der Ausarbeitung von Zeugenschutzprogrammen und –strategien ist verbesserungsbedürftig. Es gibt keine gemeinsam vereinbarten Standards für einen wirksamen Zeugenschutz. - Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit ist im operativen Bereich schwierig. Die bestehenden Netzwerke müssen stärker genutzt werden. - Es fehlt an einem Gesamtüberblick über das bisher Erreichte, da in erster Linie wegen des vertraulichen Charakters der Informationen keine ausreichenden Daten und Analysen vorliegen. Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Kampf gegen oft äußerst professionell arbeitende kriminelle Vereinigungen wird durch die erheblichen Unterschiede im innerstaatlichen Strafrecht behindert. Besonders schwierig erweist sich die grenzüberschreitende Zusammenarbeit beim Zeugenschutz mit Ländern, die keinen rechtlichen und/oder administrativen Rahmen für den Zeugenschutz und Zeugenschutzprogramme haben, auch wenn sie solche Leistungen für ihre eigenen Staatsbürger im Inland erbringen. Länder, in denen der Zeugenschutz aufgrund geografischer (kleines Staatsgebiet) oder demografischer (hohe Bevölkerungsdichte) Besonderheiten in der Praxis problematisch ist, oder Länder, in denen kriminelle Organisationen besonders aktiv sind, sind immer häufiger mit dem Problem konfrontiert, dass sie geschützte Personen in andere Länder umsiedeln müssen. 6. Gründe für ein Tätigwerden der Europäischen Union Für den Zeugenschutz sind zwar in erster Linie die Staaten selbst zuständig, doch lässt sich bei näherer Betrachtung durchaus eine europäische Dimension feststellen. Ein Tätigwerden auf EU-Ebene würde einen Mehrwert im Kampf gegen die organisierte Kriminalität bedeuten, da Zeugen darin bestärkt würden, als Gegenleistung für einen im Rahmen der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit verstärkten Schutz auszusagen. Eine gemeinsame Strategie zum Schutz von Zeugen, Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten, und ihnen nahe stehenden Personen, die den verschiedenen Rechts- und Verwaltungssystemen der Mitgliedstaaten Rechnung trägt, könnte im Falle der organisierten Kriminalität zu mehr Schuldsprüchen führen. Zeugenschutz sollte in allen Mitgliedstaaten zur Verfügung stehen, da dies ein sehr wirksames Instrument zur Bekämpfung von organisierter Kriminalität und Terrorismus ist. Konventionelle Ermittlungsmethoden führen aufgrund des hermetischen Charakters krimineller und terroristischer Vereinigungen häufig ins Leere. Es ist zu überlegen, wie die bestehenden Netze nationaler Stellen wie das Europol-Netz am besten genutzt werden können, um Doppelaufwand und unnötige Kosten zu vermeiden. 6.1 Lösungsmöglichkeiten Mehrere Optionen wurden in Betracht gezogen und auf ihre Stärken und Schwächen geprüft. Auf der Grundlage des Folgenabschätzungsverfahrens wurden drei Optionen festgehalten: Erhalt des Status quo sowie zwei Optionen für eine EU-Zeugenschutzregelung (eine allgemeine Regelung und eine Regelung, die hauptsächlich auf die Umsiedlung von Zeugen abstellt). In jedem Fall ist Doppelarbeit zu vermeiden: Es gibt bereits viele nicht verbindliche Rechtsinstrumente aus unterschiedlichen internationalen Quellen. 6.1.1. Option 1 - Status quo (mit Ausbau bestehender Vereinbarungen) Wird am Status quo festgehalten, sollte das bestehende legislative und operative Instrumentarium ergänzt durch eine umfassendere Koordinierung den Kern einer europäischen Zeugenschutzpolitik bilden. Eine gemeinsame EU-Zeugenschutzpolitik sollte auf eine größere Kohärenz und Wirksamkeit der legislativen und praktischen Tätigkeit sowie auf eine bessere Koordinierung abzielen. 6.1.2. Option 2 – Harmonisierung des Zeugenschutzes in der EU durch Festlegung von Mindeststandards in einer verbindlichen Regelung Auf der Grundlage der Europol-Arbeiten und der Empfehlungen des Europarats könnte eine EU-Regelung ausgearbeitet werden, die alle EU-Mitgliedstaaten zur Einführung einer Zeugenschutzregelung mit entsprechender Infrastruktur verpflichtet. Eine auf EU-Ebene harmonisierte Zeugenschutzregelung könnte in allen Mitgliedstaaten unter Wahrung der verschiedenen nationalen Rechtsordnungen und Verwaltungssysteme eingeführt werden. Auf diese Weise würde eine größere Kompatibilität der nationalen Strafrechtssysteme erreicht (mit gemeinsamen Sockelvorschriften und einer für den Zeugenschutz zuständigen Stelle in jedem Mitgliedstaat). In diesem Zusammenhang ist allerdings zu erwähnen, dass der Europarat 2005 in dieser Frage bereits einen Vorstoß unternommen hat. Die Sondergruppe zum Zeugenschutz sprach sich damals für eine neue Empfehlung aus. Zwar wurde eine Studie durchgeführt, um die Unzulänglichkeiten des bestehenden Systems festzustellen, doch wurde auf dieser Grundlage kein neues Rechtsinstrument ausgearbeitet. Es erscheint durchaus möglich, auf EU-Ebene ein harmonisiertes Zeugenschutzsystem auf der Grundlage einheitlicher verbindlicher Mindeststandards einzuführen, die den bestehenden Rechtsinstrumenten und Praktiken Rechnung tragen . Angesichts der vorstehend erläuterten Schwierigkeiten bedarf es allerdings zuvor einer eingehenderen Prüfung dieses durch raschen Wandel gekennzeichneten Bereichs . 6.1.3 Option 3 – Intensivere Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten bei der Umsiedlung von Zeugen durch verbindliche Vorschriften Es gibt kein multilaterales Übereinkommen, das die Umsiedlung von Zeugen und die internationale Zusammenarbeit beim Zeugenschutz allgemein regelt. Staaten schließen ad hoc untereinander und/oder mit internationalen Gerichten bilaterale Abkommen zur Erleichterung der Zusammenarbeit. Einer der Hauptgründe für eine Formalisierung bestehender Praktiken besteht darin, dass der Handlungsbedarf bei der zeitweiligen oder dauerhaften Umsiedlung geschützter Personen ins Ausland aufgrund der zunehmenden Zahl der Fälle (geografische Faktoren, Kriminalitätsrate usw.) bei weitem am höchsten ist. Um in diesem Bereich eine funktionsfähige Umsiedlungsstruktur einzuführen, bedarf es rechtsverbindlicher Vorschriften sowie administrativer Vorkehrungen, die von den Mitgliedstaaten umzusetzen wären. Haben EU-Bürger die Gewähr, dass ihnen die erforderliche Sicherheit – wenn nötig auch im Ausland – geboten wird, wären sie sehr viel eher bereit, als Zeuge aufzutreten. Obwohl sich die praktischen Vorteile eines harmonisierten Umsiedlungskonzepts nicht von der Hand weisen lassen, setzte sich auf den Sachverständigensitzungen der Kommission die Überzeugung durch, dass die Mitgliedstaaten ein zentralisiertes System zur Erleichterung der Zusammenarbeit nicht akzeptieren würden. Die Sachverständigen kamen deshalb überein, dass Europol/Eurojust kein operatives Mandat erhalten soll. Welche Rolle diese europäischen Einrichtungen bei einer EU-weiten Kooperationsregelung im Bereich des Zeugenschutzes übernehmen können, bedarf einer weitergehenden Prüfung. Der Vorschlag der Europol-ISISC-OPCO-Arbeitsgruppe zur Einführung von Mindestvorschriften auf EU-Ebene wird als Muster für bilaterale Abkommen über die Umsiedlung von Zeugen verwendet. Als Vorbild dienen die derzeitigen Praktiken zwischenstaatlicher Zusammenarbeit. Solche Abkommen werden aus Gründen der Sicherheit und Vertraulichkeit nicht in den nationalen Amtsblättern veröffentlicht. Zwar wäre es rechtlich möglich, ein solches Musterabkommen in ein EU-Rechtsinstrument zu integrieren und die Mitgliedstaaten aufzufordern, dieses Muster zu nutzen[20], doch würde dies in der Praxis auf EU-Ebene nicht die gewünschten Verbesserungen bringen. Da der Zeugenschutz ein komplexer Bereich ist, der eine Vielzahl sensibler und komplizierter Aspekte beinhaltet (z. B. Tarnidentität), sollten weitere Untersuchungen angestellt werden, um nach akzeptablen Lösungen für eine europaweite Zusammenarbeit beim Zeugenschutz zu suchen . Auch neue für den Zeugenschutz relevante Entwicklungen wie der Einsatz der Biometrie müssen aufmerksam verfolgt werden. 7. Fazit Nach der Folgenabschätzung zu urteilen, wäre ein sofortiges legislatives Handeln im Bereich des Zeugenschutzes auf EU-Ebene verfrüht . Frühere Bemühungen auf internationaler Ebene zeigen, welche Schwierigkeiten mit der Annahme eines verbindlichen Rechtsinstruments verbunden sind. Obwohl es auf Ebene des Europarats Vorschriften, prioritäre Politikbereiche und gerichtliche Entscheidungen gibt, die das Erfordernis einer verbindlichen Zeugenschutzregelung unterstreichen, sind alle Bemühungen in dieser Richtung bisher gescheitert. Die letzten Arbeiten des Europarats, dem über 40 Mitgliedstaaten, darunter alle EU-Mitgliedstaaten, angehören, mündeten nicht in eine verbindliche Regelung, d. h. in ein Übereinkommen, da sich die Staaten hierzu nicht bereit fanden. Eine Einigung konnte daher nur über eine unverbindliche Regelung erzielt werden. Die von der Kommission veranstalteten Sachverständigensitzungen und schriftlichen Beiträge der Sachverständigen lassen erkennen, dass die Mitgliedstaaten derzeit eher abgeneigt sind, ihre jetzige informelle Zusammenarbeit durch eine verbindliche Regelung zu formalisieren. Dessen ungeachtet gibt es jedoch deutliche Anzeichen dafür, dass ein erhöhter Kooperationsbedarf besteht, der letztendlich den Weg für die Einführung formaler Regeln und Strukturen im Bereich des Zeugenschutzes ebnen wird. Die ersten Vorschriften und Praktiken in Europa sind nicht älter als 16 Jahre (Italien, 1991, zu Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten (pentiti)). In der Zwischenzeit haben die meisten EU-Mitgliedstaaten entweder spezielle Gesetze eingeführt oder zumindest einen Verweis auf den Schutz gefährdeter Zeugen in ihre Strafgesetzgebung aufgenommen. Dabei sind sie jedoch auf unterschiedliche Art und Weise vorgegangen. In den letzten Jahren tauschen die Länder allerdings untereinander informell Erfahrungen mit Zeugenschutzregelungen aus und orientieren sich an den Grundsätzen, die Europol und der Europarat entwickelt haben. Es gibt daher über die Unterschiede zwischen den Rechtssystemen und den Grundprinzipien des Verwaltungsaufbaus der Mitgliedstaaten hinaus gewisse Ähnlichkeiten zwischen den Zeugenschutzregelungen, die in den vergangenen 2-3 Jahren eingeführt worden sind. Die Staaten sehen sich aufgrund der immer häufiger und in immer größerem Umfang über die Grenzen hinweg agierenden kriminellen und terroristischen Vereinigungen veranlasst, ihre Kooperation zu intensivieren. Da auch gewöhnliche Bürger und nicht nur Kriminelle von der Reisefreiheit innerhalb der EU profitieren, ist damit zu rechnen, dass immer mehr EU-Bürger aufgefordert werden, als Zeuge in bedeutenden Strafsachen auszusagen. Bei den Arbeiten an einer EU-Zeugenschutzpolitik muss auch der Einsatz der neuesten Kommunikations- und Informationstechnologien (z. B. Videoverbindungen) berücksichtigt werden, um die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zu erleichtern. Solche Techniken sollten von den Strafverfolgungsbehörden in größerem Umfang eingesetzt werden, und zwar auch im Zeugenschutz. Die Anerkennung des gestiegenen Kooperationsbedarfs bei der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität mit Hilfe schutzbedürftiger Zeugen und die Arbeiten zur Einführung der von den UN-Übereinkommen geforderten Zeugenschutzregelungen werden möglicherweise auf politischer und operationeller Ebene eine Änderung des Verhaltens bewirken. Die Europäische Kommission schlägt daher vor, zum jetzigen Zeitpunkt von konkreten gesetzgeberischen Maßnahmen im Bereich des Zeugenschutzes abzusehen, aber die Möglichkeit, mittelfristig (in 4 bis 5 Jahren) zu einer EU-Regelung zu gelangen, zu prüfen. Weitere Studien und Erhebungen könnten hierzu aus dem spezifischen Finanzprogramm „Kriminalprävention und Kriminalitätsbekämpfung für 2007-2013[21]“ finanziert werden. ‚Schutz und Unterstützung von Zeugen’ ist dort als Themenbereich und spezifisches Ziel aufgeführt, was die Bedeutung dieser Thematik auf EU-Ebene unterstreicht. Anhang Zeugenschutzgesetze in den Mitgliedstaaten und Norwegen Zeugenschutzgesetz | Zeugenschutzstelle | Identitätswechsel möglich | Identitätswechsel gesetzlich möglich | Gesetz über Personen, die mit der Justiz zusammenarbeiten | ÖSTERREICH | NEIN | JA | JA | JA | NEIN | BELGIEN | JA | JA | NEIN | NEIN | NEIN | BULGARIEN | JA | JA | JA | NEIN | NEIN | TSCHECHISCHE REPUBLIK | JA | JA | JA | JA | NEIN | ZYPERN | JA | JA | JA | JA | JA | DÄNEMARK | NEIN | JA | JA | NEIN | NEIN | ESTLAND | JA | JA | JA | JA | KEIN SPEZIELLES GESETZ, REGELUNG IM ÜBERWACHUNGSGESETZ | FINNLAND | NEIN | JA | NEIN | NEIN | NEIN | FRANKREICH | NEIN | NEIN | NEIN | NEIN | DEUTSCHLAND | JA | JA | JA | JA | GRIECHENLAND | NEIN | NEIN | NEIN | NEIN | UNGARN | JA | JA | JA | JA | IRLAND | NEIN | JA | JA | NEIN | ITALIEN | JA | JA | JA | JA | JA | LETTLAND | JA | JA | JA | JA/NEIN[22] | JA[23] | LITAUEN | JA | JA | JA | JA | LUXEMBURG | NEIN | NEIN | JA | NEIN | MALTA | JA | NEIN | NEIN | NEIN | NIEDERLANDE | NEIN | JA | JA | NEIN | NEIN | NORWEGEN | NEIN | JA | NEIN | NEIN | NEIN | POLEN | JA | JA | JA | JA | JA | PORTUGAL | JA | JA | JA | JA | RUMÄNIEN | JA | JA | NEIN | JA | SLOWAKEI | JA | JA | JA | JA | JA | SLOWENIEN | JA | JA | JA | JA | NEIN | SPANIEN | NEIN | NEIN | JA | NEIN | SCHWEDEN | JA | JA | NEIN | NEIN | VEREINIGTES KÖNIGREICH[24] | JA | JA | JA | JA | JA | [1] Mitteilung KOM(2006) 629 endg. (24.10.2006), S. 24. [2] ABl. C 251 vom 15.8.1997, S. 1. [3] Mitteilung KOM(2005) 184 endg. (10.5.2005), S. 23. [4] Gert Vermeulen , EU standards in witness protection and collaboration with justice, IRCP Universität Gent; Auftraggeber: Europäische Kommission (JAI/2004/AGIS/077). [5] Istituto Superiore Internazionale di Scienza Criminale (ISISC) und Osservatorio Permanente sulla Criminalità Organizzata (OPCO); beide Einrichtungen sind in Syrakus (Sizilien) ansässig. [6] Aus den Sitzungen der Arbeitsgruppe vom 8.-10. März 2005 und 26.-29. Oktober 2005 in Syrakus gingen ein Dokument mit dem Titel „Final Proposal on minimum requirements for potential legislation at European Union level“ und ein Erläuternder Bericht („Explanatory report“) hervor. [7] Die Sitzungen fanden am 21. Februar 2006 („Workshop on the Protection of Witnesses and Collaborators of Justice“) und 5. März 2007 („Meeting of European Witness Protection Experts“) in Brüssel statt. [8] Spezial-Eurobarometer Nr. 264 „The role of the European Union in fighting against organised crime“, http://ec.europa.eu/public_opinion/archives/ebs/ebs_264_en.pdf. [9] Nur 7 % waren gegen eine solche EU-Politik und 7 % antworteten „weiß nicht“. [10] ABl. C 327 vom 7.12.1995, S. 5. [11] ABl. C 10 vom 11.1.1997, S. 1. [12] ABl. L 164 vom 22.6.2002, S. 3, Artikel 6. [13] ABl. L 82 vom 22.3.2001, S. 1, Artikel 8. [14] Empfehlung Rec (2001) 11 über Grundsätze zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität; Empfehlung 1325 (1997) zu Frauenhandel und Zwangsprostitution in den Mitgliedstaaten des Europarats; Empfehlung Nr. R (2000) 11 zu Maßnahmen gegen den Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung; Strafrechtsübereinkommen über Korruption (SEV-Nr.: 173 vom 27.1.1999.) [15] Das Netz besteht derzeit aus den Leitern der Spezialeinheiten für den Zeugenschutz/nationalen Kontaktstellen aller 27 EU-Mitgliedstaaten, von 10 europäischen Drittstaaten, 7 Beobachtern aus dem außereuropäischen Ausland und 12 internationalen Organisationen, die in diesem Bereich tätig sind. [16] Übereinkommen zwischen der Regierung der Republik Litauen, der Regierung der Republik Estland und der Regierung der Republik Lettland über die Zusammenarbeit beim Zeugen- und Opferschutz (2000). [17] Abkommen zwischen dem Internationalen Strafgerichtshof und der Europäischen Union über Zusammenarbeit und Unterstützung (April 2006). [18] Artikel 24: Zeugenschutz. [19] Artikel 32: Zeugen-, Sachverständigen- und Opferschutz. [20] Ähnlich wie bei den gemeinsamen Ermittlungsteams. [21] Beschluss 2007/125/JI des Rates vom 12.2.2007, ABl. L 58 vom 24.2.2007, S. 7. [22] Gesetz lässt die Annahme einer neuen Identität zu, nicht jedoch die Aufgabe der alten Identität. [23] Das Parlament berät derzeit über einen Gesetzentwurf, der 2008 in Kraft treten dürfte. [24] Einschließlich der Rechtssysteme von England/Wales, Schottland und Nordirland.