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Document 52006IE0414

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Verhütung von Jugendkriminalität, Wege zu ihrer Bekämpfung und Bedeutung der Jugendgerichtsbarkeit in der Europäischen Union

ABl. C 110 vom 9.5.2006, p. 75–82 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

9.5.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 110/75


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Verhütung von Jugendkriminalität, Wege zu ihrer Bekämpfung und Bedeutung der Jugendgerichtsbarkeit in der Europäischen Union“

(2006/C 110/13)

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss beschloss am 10. Februar 2005 gemäß Artikel 29 Absatz 2 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zur „Verhütung von Jugendkriminalität, Wege zu ihrer Bekämpfung und Bedeutung der Jugendgerichtsbarkeit in der Europäischen Union“ zu erarbeiten.

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 22. Februar 2006 an. Berichterstatter war Herr ZUFIAUR NARVAIZA.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 425. Plenartagung am 15./16. März 2006 (Sitzung vom 15. März) mit 98 Ja-Stimmen bei 1 Stimmenthaltung folgende Stellungnahme:

1.   Einleitung

1.1

Die Jugendkriminalität kristallisiert sich derzeit als eines der Phänomene heraus, das in den europäischen Gesellschaften Anlass zu immer größerer Besorgnis gibt, und ist seit dem letzten Jahrhundert auch eines der kriminologischen Probleme, das international im Zentrum kontinuierlicher Beobachtung steht. Den Verhaltensweisen von Jugendlichen wird jedoch häufig eine größere soziale Bedeutung beigemessen als denen von Erwachsenen — insbesondere dann, wenn es sich um Verfehlungen handelt -, wodurch jugendliche Straftäter in den Augen der Gesellschaft besonders negativ wahrgenommen werden. In vielen Fällen sind es aber auch die Jugendlichen selbst, die der Jugendkriminalität zum Opfer fallen. In Anbetracht des Stellenwertes, den die europäische Gesellschaft dem Phänomen der Jugendkriminalität beimisst, müssen daher wirksame Antworten entwickelt werden, die hauptsächlich auf drei Säulen bzw. Aktionslinien aufbauen: Prävention, Sanktions-/Erziehungsmaßnahmen sowie soziale Integration und Wiedereingliederung minderjähriger und jugendlicher Straftäter.

1.2

Nach Auffassung des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses (EWSA) sollte die Erarbeitung einer gemeinsamen Strategie zur Bekämpfung der Jugendkriminalität ein Ziel sein, dem die Europäische Union (EU) größte Aufmerksamkeit schenkt, und zwar nicht nur, weil dieses Phänomen einen besonders anfälligen Teil der Bevölkerung betrifft (Minderjährige und Jugendliche, darunter häufig auch solche aus von sozialer Ausgrenzung bedrohten Gruppen), sondern auch, weil Prävention und Intervention bei minderjährigen und jugendlichen Delinquenten heute nicht nur der Versuch einer sozialen Wiedereingliederung, sondern auch der Verhütung der Erwachsenenkriminalität von morgen ist. Obwohl es bereits einige Vorhaben und Maßnahmen der EU gibt, die sich flankierend auf die Verhütung der Jugendkriminalität auswirken können (wie etwa die auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates im November 1997 in Luxemburg angenommene Europäische Beschäftigungsstrategie oder die auf dem Gipfeltreffen des Europäischen Rates im Dezember 2000 in Nizza angenommene Europäische Sozialagenda, der vom Europäischen Rat in Brüssel im März 2005 angenommene Europäische Pakt für die Jugend und Förderung der aktiven Bürgerschaft usw.), und verschiedene an die Jugend gerichtete Vereinbarungen und Entschließungen (1) angenommen wurden, die den normalen Prozess der Integration dieses Bevölkerungsteils in ihre jeweiligen Gesellschaften ebenfalls begünstigen, fehlt es an Instrumenten und Maßnahmen, die speziell auf das Phänomen der Jugendkriminalität zugeschnitten sind.

1.3

Eine Untersuchung der Sachlage in den Ländern der EU ist kein einfaches Unterfangen, da jeder der Mitgliedstaaten bei seiner Definition des Begriffs Jugendkriminalität auf unterschiedliche Variablen zurückgreift. So umfasst das Konzept in einigen Ländern die Verhaltensweisen Minderjähriger, die unter einen der in den einschlägigen Rechtsvorschriften oder Strafgesetzbüchern vorgesehenen Tatbestände fallen. In anderen Ländern, in denen das Jugendstrafsystem auf dem Modell der Erziehung oder der Wohlfahrt beruht, weitet sich das Feld der strafrechtlich verfolgbaren Verhaltensweisen Jugendlicher auch auf Handlungen aus, die — würden sie von Erwachsenen begangen — nur auf verwaltungs- oder zivilrechtlichem Weg bzw. überhaupt nicht geahndet würden (2). Bei den strafrechtlichen Sanktionen gibt es ebenfalls große Unterschiede, da einige Länder ein Jugendstrafrecht mit einem speziellen Sanktionskanon haben, während andere für Jugendliche dieselben Strafen wie für Erwachsene verhängen, wenn auch mit bestimmten Strafbegrenzungen und -milderungen. Hinzu kommt die unterschiedliche Eingrenzung der Altersspanne für das Erfordernis der Strafmündigkeit Jugendlicher: Während beim Höchstalter größere Ähnlichkeiten zu finden sind (18 Jahre, in einigen Ländern mit der Möglichkeit der Ausweitung auf 21 Jahre) treten beim Mindestalter deutliche Unterschiede zutage (die Altersspanne liegt zwischen 7 und 16 Jahren) (3).

1.4

Unter Berücksichtigung der sich aus diesen Divergenzen ergebenden Einschränkungen sei darauf hingewiesen, dass die Jugendkriminalität den vergleichenden Statistiken der Mitgliedstaaten der EU zufolge im Durchschnitt 15 %, in einigen Ländern auch bis zu 22 % der Gesamtkriminalität ausmacht. In jedem Fall aber tritt die so genannte Kriminalitäts„dunkelziffer“ (Prozentsatz oder Anzahl der Delikte, die sich der Kenntnis der Instanzen der formellen sozialen Kontrolle, d.h. Polizei und Gerichten, entziehen) großenteils bei den von Jugendlichen begangenen Straftaten in Erscheinung; dies ist in erster Linie darauf zurückzuführen, dass es sich hierbei generell um geringfügige Delikte handelt und die Opfer häufig auch minderjährig und weniger geneigt sind, die Hilfe dieser Instanzen in Anspruch zu nehmen.

1.5

Fest steht, dass in den europäischen Ländern — unabhängig von den Angaben, die zu einem gegebenen Zeitpunkt aus den Statistiken hervorgehen — die weit verbreitete Auffassung herrscht, dass die Jugendkriminalität ansteigt und die von Jugendlichen begangenen Delikte an Schwere zunehmen. Angesichts dieser Situation fordern die Bürger effizientere Kontrollmaßnahmen, was in vielen Ländern zu einer Verschärfung der Jugendstrafgesetze geführt hat. Zusammen genommen ergibt sich daraus die Notwendigkeit von Koordinierungs- und Orientierungsmaßnahmen, die ein europäisches Vorgehen gegen dieses Phänomen ermöglichen, aber auch von angemessenen Informationspolitiken, die dazu beitragen, die in Ziffer 1 dieser Stellungnahme angesprochene übertrieben negative Wahrnehmung zu entdramatisieren und zu relativieren.

1.6

Ohne die Relevanz einer Ursachenerforschung des Phänomens der Jugendkriminalität (einer Problematik, die, wenn auch kurz, unter der nachfolgenden Ziffer abgehandelt wird) und der Notwendigkeit einer Vertiefung der Präventionsmaßnahmen (auf die im Laufe dieses Dokuments ebenfalls eingegangen wird, die jedoch auf jeden Fall darauf abzielen sollten, die erwähnten Ursachen zu beseitigen) in Abrede zu stellen, ist das vorrangige Ziel dieser Stellungnahme eine Analyse der Situation jener Jugendlichen, die wegen eines strafbaren Verhaltens der jeweiligen Jugendgerichtsbarkeit unterworfen werden, sowie der Interventionsinstrumente, die zum Schutz, zur Umerziehung und Wiedereingliederung dieser Jugendlichen in die Gesellschaft eingesetzt werden können, um dadurch ihren Rückfall in fehlgeleitete Verhaltensweisen zu vermeiden.

2.   Ursachen der Jugendkriminalität

2.1

Es gibt vielfältige Ursachen oder Umstände, die einen Jugendlichen zum Begehen einer Straftat veranlassen können; unter den Forschern auf dem Gebiet der Jugendkriminalität herrscht diesbezüglich kein allgemeiner Konsens. Ausgehend von den weithin am meisten akzeptierten Ursachen — und unter besonderer Gewichtung der durch wirtschaftliche und umfeldspezifische Faktoren bedingten, die im Rahmen dieser Stellungnahme hauptsächlich interessieren — sind die folgenden zu nennen:

2.1.1

Die Herkunft der Jugendlichen aus zerrütteten Familien (sog. „Broken Homes“) sowie die bisweilen auftretende Schwierigkeit, Familien- und Berufsleben miteinander zu vereinbaren — Situationen, in denen es immer häufiger zu Vernachlässigung und einem Fehlen an Grenzen und Kontrolle gegenüber den Kindern kommt. Dies führt bisweilen dazu, dass einige Jugendliche diese Defizite durch die Zugehörigkeit zu Banden oder Cliquen auszugleichen suchen, deren Mitglieder von Affinitäten unterschiedlichster Art (ideologischen, musikalischen, ethnischen, sportlichen usw.) zusammengehalten werden, in der Regel jedoch durch ihr grenzüberschreitendes Verhalten gekennzeichnet sind. Innerhalb dieser Art von Gruppen wird ein hoher Prozentsatz an asozialen (Vandalismus, Graffiti) oder unmittelbar gewalttätigen und delinquenten Handlungen verübt.

2.1.2

Die soziale und wirtschaftliche Marginalisierung oder die Armut, die den angemessenen Prozess der Sozialisierung des Jugendlichen ebenfalls erschwert. Diese Marginalisierung findet zum größten Teil unter Jugendlichen aus Einwandererfamilien (wobei minderjährige Einwanderer ohne Begleitung besonders gefährdet sind) und in bestimmten großstädtischen „Ghettos“ statt — Orten mit verrohtem urbanem Gefüge, die bei ihren Bewohnern Gefühle der Angst und der Aggression hervorrufen.

2.1.3

Das Schuleschwänzen und Schulversagen, das schon in der Schule eine soziale „Stigmatisierung“ bewirkt, die in vielen Fällen den Weg zu gesellschaftsfeindlichem Verhalten oder Kriminalität vorzeichnet.

2.1.4

Die Arbeitslosigkeit, die unter Jugendlichen am höchsten ist, führt in vielen Fällen zu Frustration und Hoffnungslosigkeit, die ebenfalls ein Nährboden für fehlgeleitete Verhaltensweisen sind (4).

2.1.5

Die Übertragung gewalttätiger Bilder und Handlungen durch bestimmte Programme einiger Medien der Sozialkommunikation oder in Videospielen für das jugendliche Zielpublikum, die dazu beiträgt, dass den Jugendlichen ein Wertesystem vermittelt wird, in dem Gewalt ein akzeptables Verhalten darstellt.

2.1.6

Der Konsum von Drogen und Rauschmitteln, der in vielen Fälle dazu führt, dass der Drogenabhängige gezwungen ist, Straftaten zu begehen, um sich die wirtschaftlichen Mittel zur Finanzierung seiner Abhängigkeit zu beschaffen. Außerdem verringert sich unter den Folgen des Konsums oder Entzugs die Hemmschwelle oder fällt ganz. Hier ist auch der (selbst sporadisch auftretende) übermäßige Alkoholkonsum zu nennen, der sich insbesondere in Vandalismusdelikten und Vergehen gegen die Straßenverkehrssicherheit niederschlägt.

2.1.7

Persönlichkeits- oder Verhaltensstörungen (mit dem vorgenannten Faktor verbundenen bzw. auch unabhängig davon), die in der Regel mit anderen sozialen oder Umweltfaktoren einhergehen und den Jugendlichen zu impulsivem oder unreflektiertem, durch die gesellschaftlich akzeptierten Verhaltensnormen nicht motiviertem Verhalten verleiten.

2.1.8

Die unzulängliche Vermittlung und Weitergabe von prosozialen oder staatsbürgerlichen Werten, wie die Achtung von Normen, Solidarität, Großzügigkeit, Toleranz, Respekt vor dem anderen, Selbstkritik, Einfühlungsvermögen, gut gemachte Arbeit usw., die in unseren „globalisierten“ Gesellschaften durch stärker utilitaristische Werte wie Individualität, Konkurrenz und übermäßigen materiellen Konsum ersetzt werden und unter bestimmten Umständen das Auftreten einer gewissen sozialen Anomie hervorrufen.

2.2

Dieses Faktorenbündel ist in allen Ländern der Europäischen Union — Gesellschaften mit hohem Wohlstandsniveau, in denen jedoch Elemente von Auflösungserscheinungen und fehlender sozialer Zusammenhalt zu finden sind, die diese Art von asozialem oder fehlgeleitetem Verhalten erklären — mehr oder weniger ausgeprägt vorhanden.

2.3

Um gewalttätigem Verhalten vorzubeugen und gegen die Jugendkriminalität anzugehen, müssen die Gesellschaften Strategien anwenden, die eine Kombination aus Präventions-, Interventions- und Repressionsmaßnahmen darstellen. Die Präventions- und Interventionsstrategien müssen auf die — hauptsächlich von der Familie, der Gemeinschaft, der Gruppe von Gleichaltrigen, der Schule, der Ausbildung und dem Arbeitsmarkt getragene — Sozialisierung und Integration aller Minderjährigen und Jugendlichen ausgerichtet sein.

Die Justiz- und Repressionsmaßnahmen bzw. -reaktionen müssen in jedem Fall auf den Grundsätzen der Rechtmäßigkeit, der Unschuldsvermutung, dem Recht auf Verteidigung, der Gerichtsverhandlung mit allen Garantien, der Achtung des Privatlebens, der Verhältnismäßigkeit und der Flexibilität beruhen. Sowohl der Verlauf des Strafverfahrens als auch die Wahl der Maßnahmen und ihre anschließende Vollstreckung müssen vom Grundsatz des übergeordneten Interesses des Minderjährigen geleitet sein (5).

3.   Beschränkungen der traditionellen Jugendgerichtsbarkeit

3.1

Die klassischen Modelle der Jugendstrafjustiz waren kaum in der Lage, auf die heutige Realität der Kriminalität zu reagieren und sich an sie anzupassen. So waren die Jugendstrafsysteme in Europa langsam, ineffizient und wirtschaftlich unrentabel, mit häufig langen Wartezeiten und sehr hoher Rückfallquote. Gleichzeitig haben auch die traditionellen Instanzen der informellen sozialen Kontrolle (Schule, Familie, Arbeitsplatz usw.) immer mehr an Gewicht verloren.

3.2

Von dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts aufgekommenen paternalistischen Schutzmodell, bei dem jugendliche Gesetzesbrecher als sozial krank galten (und mit anderen schutzbedürftigen Jugendlichen in einen Topf geworfen und gleichgesetzt wurden), ging man in einigen Ländern (insbesondere Nordeuropas) auf das Erziehungs- oder Wohlfahrtsmodell über, ein Modell der sozialen bzw. gemeinschaftlichen Antwort auf die Jugendkriminalität, das — da es am Rande des Justizsystems angesiedelt war — den Jugendlichen jedoch die notwendigen Rechtsgarantien vorenthielt.

3.2.1

Seit den 1980er Jahren hat sich dank verschiedener internationaler Übereinkommen und Verträge im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit (die Rahmenbestimmungen der Vereinten Nationen für die Jugendgerichtsbarkeit — „Beijing-Regeln“ — von 1985; die Leitlinien der Vereinten Nationen für die Verhütung der Jugendkriminalität — „Riad-Leitlinien“ — von 1990; die Regeln der Vereinten Nationen für den Schutz von Jugendlichen, denen ihre Freiheit entzogen ist, von 1990; die Empfehlung Nr. R (87) 20 des Ministerkomitees des Europarats über soziale Reaktionen auf die Jugendkriminalität) ein allmählicher Wandel in den Jugendstrafsystemen der EU-Mitgliedstaaten vollzogen, und es wurde das Verantwortungsmodell eingeführt. In diesem Prozess ist insbesondere die am 20. November 1989 von der UNO-Generalversammlung verabschiedete Konvention über die Rechte des Kindes zu nennen -, die von allen EU-Mitgliedstaaten ratifiziert und somit zu einer für sie verbindlichen Rechtsnorm umgewandelt wurde -, deren Artikel 37 und 40 dem Gegenstand dieser Stellungnahme gewidmet sind. Das Verantwortungsmodell bewirkt eine Stärkung der Rechtsstellung von Jugendlichen und eine Annäherung der Jugendstrafjustiz an das Erwachsenenstrafrecht, indem Jugendlichen dieselben Rechte und Garantien wie Erwachsenen gewährt werden. Dabei geht es darum, das erzieherische Element — unter Anwendung eines Gewährleistungsmodells und von Maßnahmen mit herausragendem Erziehungswert — mit der strafrechtlichen Komponente zu verbinden. Ziel war es, die jugendlichen Straftäter „zur Verantwortung zu erziehen“.

3.3

Dieses von den erwähnten internationalen Normen abgeleitete Modell hat allmählich Eingang in die Rechtsvorschriften der derzeit 25 EU-Mitgliedstaaten gefunden.

3.3.1

Das Verantwortungsmodell beruht auf den folgenden Grundsätzen:

Prävention vor Repression: Die beste Methode zur Bekämpfung der Jugendkriminalität besteht darin zu verhindern, dass Jugendliche überhaupt erst straffällig werden; dafür sind geeignete Sozialhilfe-, Beschäftigungs-, Wirtschafts- und Bildungsprogramme erforderlich (hierzu zählen auch Programme zur Erleichterung und Ermöglichung des geeigneten Umgangs mit Freizeit).

Begrenzung der Nutzung des traditionellen Justizsystems auf das erforderliche Mindestmaß und Einrichtung neuer, speziell auf die Jugendkriminalität abgestellte Justizsysteme, die die Handhabung weiterer Situationen, die bei Minderjährigen auftreten können (verlassene, misshandelte, unangepasste Jugendliche usw.), anderen Diensten (Hilfs- und Sozialeinrichtungen) überlassen.

Verringerung der Strafinterventionen des Staates bei gleichzeitiger Belebung von Präventionsstrategien in den Bereichen Jugendsozialhilfe, Sozialpolitik, Arbeitsmarkt, Freizeitangebote und Kommunalpolitik allgemein sowie parallel dazu stärkere Beteiligung der Gemeinschaft und anderer Gruppen des sozialen Lebens (wie Familie, Sozialarbeiter, Schule, Gemeinwesen, soziale Organisationen usw.) an der Lösung von Konflikten und der Suche nach gangbaren Alternativen.

Größtmögliche Verringerung der freiheitsberaubenden Maßnahmen oder Sanktionen und deren Reduzierung auf Ausnahmefälle.

Flexibilisierung und Diversifizierung der strafrechtlichen Antwort anhand flexibler Maßnahmen, die in Abhängigkeit der Bedingungen sowie der Fortentwicklungen und Fortschritte bei der Behandlung oder der Maßnahmendurchführung an die jeweiligen Umstände des Jugendlichen angepasst und als Alternative zum Freiheitsentzug angeboten werden können.

Anwendung aller Rechte und Garantien, die Erwachsenen im Strafverfahren gewährt werden, auf jugendliche Straftäter (gerechtes, unparteiisches und angemessenes Urteil).

Professionalisierung und Spezialisierung der im Jugendstrafsystem einschreitenden Instanzen der formellen sozialen Kontrolle. Diesbezüglich ist eine entsprechende Schulung aller in der Strafrechtspflege für Jugendliche tätigen Akteure (Polizei, Richter, Staatsanwälte, Rechtsanwälte und Vollzugsbeauftragte) unbedingt erforderlich.

4.   Neue Tendenzen der Jugendgerichtsbarkeit

4.1

Es gibt demnach alternative Wege zur Bekämpfung der Jugendkriminalität, die eine Abkehr vom traditionellen Freiheitsentzugssystem darstellen. So gehen die neuen internationalen Tendenzen — ohne dass die erzieherischen Maßnahmen des Freiheitsentzugs, sofern diese unbedingt erforderlich sind, hiervon berührt werden — in Richtung von Systemen zum Ersatz oder zur Ergänzung dieser Maßnahmen, um die Behandlung von Jugendlichen effizienter und vor allem erzieherisch wertvoller für ihre persönliche und beruflich-soziale Entwicklung zu machen.

4.2

Die vorbildlichen Praktiken auf dem Gebiet der Jugendgerichtsbarkeit in der EU können in drei große Bereiche aufgeteilt werden: Prävention, erzieherische Intervention im eigenen Gemeinwesen oder in Anstalten sowie beruflich-soziale Eingliederung.

4.2.1

Auf die Prävention wurde bereits eingegangen. Die erzieherische Intervention sollte hauptsächlich durch Ressourcen oder Einrichtungen im sozialen Umfeld der Jugendlichen vorgenommen werden, denn es geht darum, ihnen die Bildungsfähigkeiten bzw. -notwendigkeiten zu verschaffen, deren Fehlen überhaupt erst die Ursache dafür war, dass sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Die betroffenen Jugendlichen sollten von Spezialisten verschiedener Fachrichtungen eingehend untersucht werden, um festzustellen, um welche Defizite es sich bei ihnen handelt und wie man ihnen helfen kann, das Risiko einer Wiederholung ihres fehlgeleiteten Verhaltens zu verringern. Dementsprechend sollte auch mit den Familien der Jugendlichen gearbeitet werden, um sie im Rahmen der Erziehung und Resozialisierung der Jugendlichen zu Mitarbeit und Engagement zu bewegen.

4.2.2

Anderseits gehören jugendliche Straftäter — ebenso wie behinderte Menschen, ethnische Minderheiten, ältere Menschen usw. — Bevölkerungsgruppen an, die sozial ausgegrenzt sind bzw. bei denen die Gefahr der sozialen Ausgrenzung besteht: Aufgrund ihrer bereits angesprochenen besonderen Schwächen und Probleme sind sie in ihrem Bestreben nach persönlicher Autonomie auf konkrete Unterstützung angewiesen, da sie andernfalls Gefahr laufen, zu scheitern und folglich die Anpassung an ihr Umfeld verlieren, wodurch die Gefahr der Rückfälligkeit steigt und sie letztendlich in der Erwachsenenstrafjustiz enden.

4.2.3

Deshalb müssen diese Jugendlichen in ihrem Integrationsprozess auf unterschiedlichste Weise unterstützt und geführt werden (soziale, kulturelle, sprachliche Integration usw.). Es gibt weder einen Königsweg, um die soziale Integration jugendlicher Delinquenten zu gewährleisten, noch unfehlbare Formeln, um zu verhindern, dass eine voll integrierte Person ein asoziales Verhalten entwickelt. Es herrscht jedoch breiter Konsens darüber, dass die berufliche Eingliederung maßgeblich ist, um jugendliche Straftäter an wirtschaftliche und soziale Integration und Stabilität heranzuführen.

4.3

In Bezug auf die Entwicklung der Jugendstrafsysteme und unter Berufung auf die Bemerkungen in Ziffer 3.2 und 3.3 sei zunächst darauf hingewiesen, dass neben dem Konzept der retributiven Justiz (Schadensregulierung) das Konzept der restorativen Justiz (Wiederherstellung oder Wiedergutmachung) aufgekommen ist, das auf die politisch-kriminologische Bewegung zugunsten des Opfers — die Viktimologie — und die Aufwertung seiner Rolle im Strafverfahren zurückgeht. Die restorative Justiz ist das Paradebeispiel für eine Justiz, in der das Opfer, der Beschuldigte und die Gemeinschaft gemeinsam an der Suche nach Lösungen für die Folgen des durch das Delikt verursachten Konflikts einbezogen werden, um die Wiedergutmachung des Schadens, die Versöhnung zwischen den Beteiligten und die Stärkung des kollektiven Sicherheitsgefühls zu fördern. Die restorative Justiz ist bemüht, sowohl das Interesse des Opfers (wobei der Angreifer den dem Opfer zugefügten Schaden anerkennen und sich um Wiedergutmachung bemühen muss) als auch das Interesse der Gemeinschaft (das auf die Rehabilitierung des Angreifers, die Rezidivprävention und die Reduzierung der Kosten der Strafjustiz ausgerichtet ist) und das Interesse des Beschuldigten (er gerät nicht in den Kreislauf der Strafjustiz, und seine verfassungsrechtlichen Garantien werden geachtet) zu schützen.

4.4

Darüber hinaus hat die Wiedergutmachung eine besondere erzieherische Wirkung auf den Beschuldigten, da der betreffende Jugendliche bei der direkten Konfrontation mit dem Opfer zum Nachdenken über seine Schuld angeregt und möglicherweise davon abgehalten werden kann, künftig ähnlich zu handeln. Da sie kaum stigmatisiert, großen pädagogischen Wert hat und nur geringfügig ahndet, stellt sie für das Jugendstrafsystem ein geeignetes Modell dar.

4.5

Insgesamt haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten sowohl die Verfahrensweisen als auch die Sanktions- und Urteilsarten im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit grundlegend verändert. Die nicht punitiven Sanktionen wie Gemeinschaftsdienst, Schadensausgleich und Schadensregulierung, Mediation zwischen Täter und Opfer bzw. Täter und Herkunftsgemeinschaft, Berufsausbildungspraktika oder Spezialbehandlungen bei Drogenabhängigkeit und anderen Abhängigkeitsstörungen wie Alkoholsucht gewinnen immer mehr an Boden. Bei diesen Arten von Maßnahmen ist eine dauernde Überwachung und Kontrolle der vom Jugendlichen erzielten Fortschritte und Resultate erforderlich. Der Einsatz dieser Maßnahmen nimmt heute immer mehr zu, häufig in Form von offener oder halboffener Unterbringung, Dauerüberwachung und -kontrolle, Strafaufsicht, elektronisch überwachtem Hausarrest usw. oder einer Kombination aus verschiedenen Maßnahmen. Trotz allem ist der Freiheitsentzug in einer Erziehungs- oder Haftanstalt jedoch nach wie vor weit verbreitet.

4.6

Andererseits hat die öffentliche Bedeutung der neuen Phänomene, die insbesondere in den großen europäischen Ballungsräumen aufgetreten sind (organisierte Kriminalität, Jugendbanden, Straßenvandalismus, Gewalt beim Sport, Rowdytum an den Schulen, Übergriffe gegen Eltern, fremdenfeindliche und extremistische Verhaltensweisen, Verbindung zwischen neuen Kriminalitätsformen und Einwanderung, Drogenabhängigkeit usw.), in den letzten Jahren dazu geführt, dass in einigen europäischen Ländern eine Tendenz zur Verschärfung des Jugendstrafrechts mit einer Erhöhung der Höchststrafen, der Einführung verschiedener Formen der Unterbringung in Anstalten des geschlossenen Vollzugs und sogar der Forderung nach bestimmten Haftungsverantwortungen der Eltern jugendlicher Delinquenten zu beobachten ist.

4.6.1

Anzuführen sind in diesem Zusammenhang auch die Reformen des Jugendstrafrechts 1995 in den Niederlanden und 1996 in Frankreich sowie der Criminal Justice Act des Vereinigten Königreichs von 1994 zur Heraufsetzung der Höchststrafe für Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren von einem auf zwei Jahre und zur Verhängung einer Unterbringung im geschlossenen Vollzug zwischen sechs Monaten und zwei Jahren schon für Jugendliche zwischen 12 und 14 Jahren. Außerdem wurde die so genannte „Parenting Order“ eingeführt, mit der die Eltern von straffällig gewordenen Jugendlichen oder von Jugendlichen, die z.B. wegen unentschuldigten Fernbleibens von der Schule polizeilich erfasst wurden, dazu verpflichtet werden, bis zu drei Monaten lang einmal wöchentlich an Erziehungsmaßnahmen teilzunehmen. Gegen Eltern, die ihre Erziehungspflichten wiederholt vernachlässigt haben, können Geldstrafen von bis zu 1 000 GBP verhängt werden.

4.6.2

Das Problem mit Bestimmungen dieser Art ist, dass sie eine „Freistellung von der Verantwortung“ des Jugendlichen mit sich bringen, wo er doch eigentlich derjenige ist, der — entsprechend den heutigen Ansätzen des „verantwortlich machenden“ Strafrechts — dazu angehalten werden sollte, den von ihm verursachten Schaden zu regulieren oder auszugleichen. Hinzu kommt, dass Eltern (insbesondere jene mit geringem Einkommen und weniger Möglichkeiten zur Beaufsichtigung und Überwachung ihrer Kinder) unter bestimmten Umständen ungerechtfertigte Nachteile erleiden, wenn sie nicht in der Lage sind, einen Entlastungsnachweis zu erbringen. Was die Eltern jedoch wirklich benötigen, ist eine Hilfestellung, um ihre Kinder angemessen erziehen zu können, und keine ungebührende Schuldzuweisung.

4.6.3

In einigen Ländern dagegen werden Konzepte wiederaufgenommen, die in den 1980er Jahren schon als überholt galten, wie die Unterbringung in Anstalten des geschlossenen Vollzugs, die gleichzeitig auch zur Erbringung von Fürsorgeleistungen für schutzbedürftige Jugendliche bestimmt sind. Dadurch entsteht erneut eine Durchmischung von Jugendlichen, die dem Schutz- und solchen, die dem Strafsystem unterliegen.

5.   Derzeitige Handhabung auf EU-Ebene

5.1

Der Europarat ist schon bei verschiedenen Gelegenheiten speziell auf die Frage der Jugendgerichtsbarkeit eingegangen (darunter vor allem in der bereits genannten Empfehlung Nr. R (87) 20 des Ministerkomitees des Europarats über soziale Reaktionen auf die Jugendkriminalität sowie unlängst in der Empfehlung Rec(2003) 20 des Ministerkomitees über neue Wege zur Bewältigung der Jugendkriminalität und die Rolle der Jugendgerichtsbarkeit  (6)), wohingegen die Organe und Einrichtungen der EU diese Frage im Rahmen der Abhandlung anderer, allgemeinerer Themen wie der Kriminalitätsverhütung lediglich tangenziell berührt haben.

5.2

Die grundlegenden Texte der Europäischen Union und der Europäischen Gemeinschaft ermöglichen es, sich dem Gegenstand dieser Stellungnahme auf zweierlei Weise zu nähern: über Titel VI des EU-Vertrags (EUV), Bestimmungen über die polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen; und über Titel XI des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV), Sozialpolitik, allgemeine und berufliche Bildung und Jugend.

5.2.1

Auf dem Gebiet der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen sind die Bestimmungen von Artikel 29 ff. EUV maßgeblich, die zum Ziel haben, den Bürgern ein hohes Schutzniveau in einem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zu bieten. In diesen Bestimmungen sind Möglichkeiten der polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen auf zwischenstaatlicher Ebene vorgesehen, wie u.a. die Verhütung und Bekämpfung der organisierten und nicht organisierten Kriminalität. Zu dieser Frage hat die Kommission am 30. April 2004 das Grünbuch über die Angleichung, die gegenseitige. Anerkennung und die Vollstreckung strafrechtlicher Sanktionen in der EU vorgelegt. Mit diesem Konsultationsdokument will die Kommission untersuchen, ob das Nebeneinanderbestehen verschiedener Systeme innerhalb der EU Probleme mit der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten bereitet, und ermitteln, welche Hindernisse der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung entgegenstehen. Das genannte Dokument enthält keinerlei Verweis auf die Jugendkriminalität oder die Jugendstrafsysteme; einer Anwendung der in seiner Einleitung aufgeführten Ziele oder der Bezugnahmen auf sowohl freiheitsentziehende als auch alternative Strafmaße und die Mediation stünde jedoch nichts entgegen.

5.2.2

An dieser Stelle sei auch das am 22. Juli 2002 von der Europäischen Kommission angenommene Rahmenprogramm AGIS  (7) genannt, das die Zusammenarbeit der Polizei-, Zoll- und Justizbehörden in Strafsachen fördern und die mit der Weiterentwicklung der einschlägigen europäischen Politik in der Praxis befassten Personen unterstützen soll. Auf der Grundlage dieses Programms sind einige Initiativen für die gegenseitige Anerkennung der Rechtsvorschriften und vorbildliche Praktiken im Bereich der Jugendkriminalität und Jugendgerichtsbarkeit entstanden.

5.2.3

Im Zusammenhang mit Titel VI EUV sollte ferner auf den Beschluss des Rates vom 28. Mai 2001 zur Einrichtung eines Europäischen Netzes für Kriminalprävention  (8) verwiesen werden, der sich mit allen Kriminalitätsarten befasst, den Schwerpunkt jedoch vor allem auf die Jugendkriminalität (9), die Kriminalität in den Städten und die Drogenkriminalität legt.

5.2.4

Im Bereich der Sozial-, Bildungs-, Berufsbildungs- und Jugendpolitik wird in Artikel 137 EGV auf die Tätigkeit der Gemeinschaft zugunsten der beruflichen Eingliederung der aus dem Arbeitsmarkt ausgegrenzten Personen und der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung hingewiesen. Unter Bezugnahme auf die vorstehenden Ausführungen lässt sich zweifelsfrei sagen, dass die beruflich-soziale Eingliederung und die soziale Integration zwei der grundlegenden Komponenten der Verhütung und Bekämpfung der Jugendkriminalität bilden. Diesbezüglich wurden auf sukzessiven Tagungen des Europäischen Rates und seitens der Gemeinschaftsorgane und -einrichtungen zahlreiche Strategien, Agenden, Vorhaben und Programme angenommen, von denen einige bereits unter Ziffer 1.2 aufgeführt sind; aufgrund seines engeren Zusammenhangs mit jugendlichen Straftätern ist dabei besonders das Operative Programm zur Bekämpfung der Diskriminierung  (10) hervorzuheben, das Teil von Ziel 1des Europäischen Sozialfonds ist.

5.3

Das Europäische Parlament hat — wenn auch mit programmatischem Charakter — eine umfassende Tätigkeit auf dem Gebiet des Jugendschutzes entwickelt und zahlreiche Entschließungen angenommen, darunter in erster Linie die so genannte Europäische Charta der Rechte des Kindes, die mit der Entschließung A3-0172/1992 vom 8. Juli 1992 angenommen wurde. Artikel 8.22 und 8.23 dieser Charta enthalten eine Reihe von Garantien für an einem Strafverfahren beteiligte Jugendliche sowie die Grundsätze und Kriterien für die zu verhängenden Sanktionen und die bei der Behandlung jugendlicher Straftäter verfügbaren Rechtsmittel.

6.   Zweckmäßigkeit eines europäischen Bezugsrahmens für die Jugendgerichtsbarkeit

6.1

Wie bereits ausgeführt wurde, wird die Jugendkriminalität von einem Großteil der EU-Bürger mit Besorgnis betrachtet. Es besteht die klare Vorstellung, dass es sich dabei um ein gemeinsames Problem aller EU-Mitgliedstaaten handelt und daher ein gemeinsames Vorgehen seitens der Institutionen der EU zweckmäßig wäre. Dies geht aus der Eurobarometer-Studie von 2001 hervor (der ersten, die sich mit dem Thema innere Sicherheit in den Mitgliedstaaten beschäftigt). Dieser Studie zufolge sind 45 % der EU-Bürger der Auffassung, dass die Politik zur Verhütung der Jugendkriminalität eine gemeinsame Zuständigkeit der einzelstaatlichen Behörden und der EU-Institutionen sein sollte.

6.2

Wie bereits ausgeführt, existieren schon heute verschiedene internationale Normen der Vereinten Nationen und des Europarats zum Thema Jugendkriminalität und Jugendgerichtsbarkeit. Sie besitzen jedoch nur eine geringfügige bzw. überhaupt keine Verbindlichkeit (mit der bereits erwähnten Ausnahme der Konvention über die Rechte des Kindes) und enthalten lediglich einige wenige Mindestnormen für die gesamte internationale Gemeinschaft. Die Europäische Union sollte — freilich auf der Basis des durch diese Normen gelegten Fundaments — angesichts ihres Entwicklungsniveaus und ihrer größeren internen Homogenität danach streben, die international festgelegten Grundsätze auf ihrem Hoheitsgebiet zu verbessern und effizienter zu gestalten.

6.3

Zum anderen könnten die EU-Mitgliedstaaten bei der Festlegung der Maßnahmen zur Bewältigung der Jugendkriminalität — mit ihren verschiedenen Aspekten wie Verhütung, Rechtsprechung, Schutz und Integration — von den Erfahrungen und vorbildlichen Praktiken der einzelnen Mitgliedstaaten profitieren, insbesondere, da sich die unterschiedlichen Ursachen und Ausprägungsformen der Jugendkriminalität (Drogenabhängigkeit, Fremdenfeindlichkeit, Gewalt beim Sport, Einsatz neuer Technologien bei der Verübung von Straftaten, Vandalismus in den Städten usw.) in diesen Ländern immer stärker ähneln.

6.4

Für die Zweckmäßigkeit gemeinsamer Regeln für die Jugendgerichtsbarkeit sprechen auch Faktoren, die vom Prozess der europäischen Integration herrühren, wie die Abschaffung der Grenzen und der freie Personenverkehr: Die Jugendlichen können sich von einem EU-Mitgliedstaat zum anderen frei bewegen — ganz zu schweigen von den Grenzregionen zwischen den 25 Mitgliedstaaten, die sich über Tausende von Kilometern erstrecken. Durch eine größere Homogenität oder bessere Koordinierung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Maßnahmen in diesem Bereich könnten einige Risiken oder neue Situationen im Zusammenhang mit dieser größeren Mobilität verhindert bzw. verringert werden (wie beispielsweise die Möglichkeit, dass ein jugendlicher Täter in einem EU-Mitgliedstaat lebt und in einem anderen für eine Straftat verurteilt wird).

6.5

Darüber hinaus könnte — angesichts der Tatsache, dass die Mitgliedstaaten ihre Jugendstrafsysteme häufig als Erprobung künftiger Reformen der Erwachsenenstrafgesetzgebung „nutzen“ — die Koordination und Annäherung der Jugendstrafsysteme ihrerseits eine Annäherung der einzelstaatlichen Strafgesetzgebungen bewirken, ein Bestreben, das — wie vorstehend erwähnt — bereits zu den Zielen der Europäischen Union gehört und bei dem bedeutende Fortschritte erzielt worden sind (Europäischer Haftbefehl, gegenseitige Anerkennung und Vollstreckung von Gerichtsurteilen usw.). Auch sind die Rechtsvorschriften auf dem Gebiet der Jugendkriminalität relativ neueren Datums (die ältesten gehen auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück), weshalb bei der Einleitung eines Annäherungsprozesses auch weniger Vorbehalte und Schwierigkeiten auftreten würden als in der Erwachsenenstrafjustiz, die auf eine lange, von tief verwurzelten historischen, kulturellen und rechtlichen Faktoren beeinflusste Geschichte zurückblickt.

6.6

Nicht von der Hand zu weisen sind auch die Auswirkungen, die ein gemeinschaftlicher Bezugsrahmen auf die Einschränkung oder Verhinderung rückschrittlicher Tendenzen bei der Behandlung von Jugendkriminalität und des Jugendstrafsystems hätte, die — wie bereits angesprochen — derzeit in einigen EU-Mitgliedstaaten zu beobachten sind.

6.7

Angesichts der gemeinsamen Phänomene, die in den Ländern der Europäischen Union auf diesem Gebiet zu beobachten sind, erscheint es sowohl unter präventiven und sozialen als auch unter repressiven und justiziellen Gesichtspunkten ratsam, die Ausarbeitung eines gemeinsam Rahmens zur Behandlung dieser Frage in die Wege zu leiten. Dahingehend lautet auch die Forderung des Europarats, der in seiner Empfehlung Rec(2003) 20 ausdrücklich auf die Notwendigkeit verweist,„das Erfordernis eigenständiger und spezifischer europäischer Regeln für die in der Gemeinschaft angewandten Sanktionen und Maßnahmen und europäischer Strafvollzugsgrundsätze für Jugendliche anzuerkennen“.

7.   Einige Vorschläge für eine europäische Politik der Jugendgerichtsbarkeit

7.1

Aus den Ausführungen in dieser Stellungnahme lassen sich die folgenden Leitlinien und Orientierungen ableiten:

7.1.1

In sämtlichen Mitgliedstaaten der EU treten — mehr oder weniger ausgeprägt — relativ ähnliche Phänomene auf, die auch nach vergleichbaren Antworten verlangen: Krise der traditionellen Instanzen der informellen sozialen Kontrolle (Familie, Schule, Arbeitsplatz), Entstehung von Ghettos in den großen städtischen Ballungszentren, in denen einem Großteil der Bewohner die Gefahr der sozialen Ausgrenzung, neuer Formen von Jugendkriminalität (häusliche und schulische Gewalt, Jugendcliquen, städtischer Vandalismus), Drogen- und Alkoholmissbrauch usw. droht.

7.1.2

Seit den 1970er/1980er Jahren haben sich — mit dem Aufkommen der internationalen Normsetzung, auf die in Ziffer 3.2.1 dieser Stellungnahme Bezug genommen wird — die Modelle der Jugendgerichtsbarkeit der EU-Mitgliedstaaten einander schrittweise angenähert, wobei sich das so genannte Verantwortungsmodell durchgesetzt hat, das in der Regel mit dem Konzept der Wiederherstellung oder Wiedergutmachung einhergeht. Dies schließt jedoch nicht aus, dass zwischen diesen Modellen erhebliche Unterschiede bestehen (u.a. hinsichtlich der Altersspannen für die Strafmündigkeit Jugendlicher).

7.1.3

Aus den unterschiedlichsten Gründen, auf die in diesem Dokument im Einzelnen eingegangen wurde — ähnliche sozioökonomische und politische Situationen in den Mitgliedstaaten, Rechtstraditionen, die in einigen Fällen sehr ähnlich und in anderen zumindest nicht unvereinbar sind, soziale Politiken, die sich flankierend auf die Verhütung der Jugendkriminalität auswirken und bereits aus dem Gemeinschaftshaushalt finanziert oder unterstützt werden -, ist es ratsam, in Richtung einer schrittweisen Vereinheitlichung der Modelle und Systeme zur Verhütung, zum Schutz und zur Intervention sowie zur Bewältigung des Phänomens der Jugendkriminalität und der Jugendgerichtsbarkeit voranzugehen.

7.1.4

In dem Bereich, der Gegenstand dieser Stellungnahme ist, gibt es schließlich noch verschiedene weitere Faktoren, die für die Zweckmäßigkeit eines solchen Annäherungs-, Koordinierungs- und Austauschprozesses sprechen.

7.1.4.1

Interventionen im Bereich der Jugendkriminalität und der Jugendgerichtsbarkeit finden nicht nur auf rechtlicher Ebene statt (wo die verschiedenen Rechtsmodelle und –traditionen diesem Prozess hinderlich sein können), sondern dabei bemüht man sich auch, disziplinen- und institutionenübergreifend tätig zu sein und andere Wissensbereiche wie die Sozial- und Verhaltenswissenschaften sowie die unterschiedlichsten Einrichtungen, Behörden und Organisationen einzubeziehen (staatliche, regionale und lokale Behörden, Sozialdienste verschiedener Bereiche, Polizei- und Justizapparat, gemeinnützige Organisationen, Privatunternehmen über Projekte der sozialen Verantwortung von Unternehmen, Familienverbände, Wirtschafts- und Sozialakteure usw.), die häufig wenig koordiniert arbeiten.

7.1.4.2

Bei der Verallgemeinerung der Phänomene, auf die in Ziffer 7.1.1 eingegangen wird (11), spielen sicherlich auch die Informationsgesellschaft, die technologischen Fortschritte, die Durchlässigkeit der Grenzen und andere vergleichbare Faktoren eine wichtige Rolle, und auch der einfache „Nachahmungseffekt“ dieser Verhaltensweisen (der durch die Verbreitung der Ereignisse in den Medien der Sozialkommunikation noch verstärkt wird) ist nicht zu unterschätzen; all dies sind rasante Veränderungen, denen die europäischen Länder nicht tatenlos zusehen dürfen.

7.2

Ausgehend von dieser Prämisse hält es der EWSA für zweckmäßig, folgende Schritte für die Entwicklung einer Gemeinschaftspolitik im Bereich der Jugendkriminalität und der Jugendgerichtsbarkeit zu tun:

7.2.1

Zunächst ist es unerlässlich, aktualisierte und vergleichbare quantitative Daten über den Stand der Jugendkriminalität in den 25 Mitgliedstaaten der EU zu erheben, anhand derer zuverlässige Aussagen über die Art des Problems, seinen tatsächlichen Umfang und die verschiedenen Möglichkeiten seiner Bewältigung möglich sind, wobei — unter anderen Faktoren — auch die möglichen Unterschiede zwischen straffälligen männlichen und weiblichen Jugendlichen zu berücksichtigen sind.

7.2.2

Vom qualitativen Standpunkt aus erscheint es ferner zweckdienlich, Mindeststandards bzw. gemeinsame Orientierungen aller Mitgliedstaaten festzulegen, die von präventionspolitischen Maßnahmen über die polizeilich und gerichtliche Behandlung straffällig gewordener Jugendlicher bis zu ihrer Umerziehung und Resozialisierung reichen. Diese Standards sollten auf den Grundsätzen der Konvention über die Rechte des Kindes, insbesondere deren Artikel 37 und 40, sowie der einschlägigen internationalen Leitlinien beruhen, die in den in Ziffer 3.2.1 dieser Stellungnahme genannten Übereinkommen festgeschrieben wurden, und ihre Entwicklung und Anwendung sollte davon ausgehend weiter vertieft und vorangebracht werden.

7.2.3

Der erste Schritt in Richtung der Ausarbeitung dieser Mindeststandards bestünde darin, möglichst präzise Kenntnisse über die verschiedenen Realitäten und Erfahrungen in jedem einzelnen Mitgliedstaat zu erlangen. Diese Kenntnisse könnten auf verschiedenem Wege erworben werden, beispielsweise mit Hilfe von Fragebögen, die an alle Mitgliedstaaten versandt und dort ausgefüllt würden, und durch die Veranstaltung von Sitzungen mit einschlägigen Sachverständigen und Fachleuten, in denen Erfahrungen und vorbildliche Praktiken ausgetauscht würden. Diese Sitzungen könnten durch die Schaffung eines Sachverständigennetzes mit einer dem angestrebten Ziel entsprechenden Zusammensetzung und Aufgabenstellung permanenten Charakter erhalten. Schließlich wäre die Veröffentlichung eines Grünbuchs der Kommission zu diesem Thema zweckmäßig, um das Nachdenken und die Diskussion über diese Frage besser auszurichten und sie auf möglichst viele Einrichtungen, Organisationen und Einzelpersonen auszuweiten.

7.2.4

Parallel zu den vorstehend genannten Maßnahmen — oder zumindest als anschließender Schritt auf dem Weg zum Kenntniserwerb und zur Annäherung der Modelle der Jugendgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten — würde sich die Einrichtung einer europäischen Beobachtungsstelle für Jugendkriminalität anbieten; dadurch würde nicht nur die beständige Untersuchung dieses Phänomens, sondern auch die Verbreitung der Ergebnisse und die Beratung und Unterstützung der für die Beschlussfassung zuständigen Behörden und Einrichtungen ermöglicht. Mit anderen Worten: Es sollte dafür gesorgt werden, dass sich diese Bemühungen um Erforschung und Kenntniserwerb nicht nur in akademischen Ergebnissen niederschlagen, sondern als Hilfsinstrumente für die Verabschiedung tatsächlicher Maßnahmen und Strategien dienen (12).

7.3

Unbeschadet der vorstehenden Bemerkungen und angesichts der Tatsache, dass die verschiedenen Fragen im Zusammenhang mit der Jugendkriminalität und der Jugendgerichtsbarkeit im Rahmen der verschiedenen Politikbereiche der Europäischen Union (Freiheit, Sicherheit und Recht; Jugend; Bildung Ausbildung; Beschäftigung und soziale Angelegenheiten) auf vielfältige Weise angegangen werden, muss eine operative Koordination zwischen allen beteiligten Dienststellen und Agenturen stattfinden, damit diese das Phänomen der Jugendkriminalität disziplinen- und institutionenübergreifend angehen können, so wie dies in dieser Stellungnahme wiederholt dargelegt wurde.

7.4

Die Besonderheiten des Phänomens der Jugendkriminalität sowie sein dynamisches und sich änderndes Wesen erfordern eine möglichst spezialisierte Ausbildung und eine kontinuierliche Fort- und Weiterbildung der Fachleute und Akteure, die am gesamten Prozess der Interventionen mit den betroffenen Jugendlichen beteiligt sind: Richter, Rechts- und Staatsanwälte, Polizisten, Beamte, Mediatoren, Erzieher, Vollzugsbeauftragte usw. Im Rahmen dieses Auftrags obliegt es den Gemeinschaftsinstanzen, über bereits eingesetzte Mechanismen (Sachverständigennetze, Beobachtungsstelle usw.) sowie weitere zusätzliche Maßnahmen, wie etwa Programme zum Austausch von Fachleuten zwischen den Mitgliedstaaten, die Arbeit in Netzwerken, die neuen Möglichkeiten der Fernausbildung wie das eLearning usw., eine maßgebliche Rolle zu übernehmen. Zu diesem Zweck sollten Gemeinschaftsprogramme aufgelegt werden, die darauf abzielen, diesen konkreten Bildungsbedarf abzudecken. Zudem darf nicht vergessen werden, dass auch die Fortschritte im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit in der EU selbst dazu beitragen würden, diesem Wissensbereich Ansehen zu verleihen und die Einführung spezialisierter Studiengänge an den europäischen Universitäten zu fördern, auf die sich dieser Prozess in jeder Hinsicht stützen sollte.

7.5

Da die hier dargelegte Problematik offenkundig eine gesellschaftliche und bürgerrechtliche Dimension aufweist, sollte die Teilnahme all jener Organisationen und Fachleute der Zivilgesellschaft, die direkt mit diesem Bereich verbunden sind (Organisationen des „Tertiärsektors“, Vereinigungen, Familien, NRO usw.), zu Zwecken der Mitwirkung an der Gestaltung und nachfolgenden Anwendung der innerhalb der EU entwickelten Programme und Strategien keinesfalls unterschätzt werden.

7.6

Im Zusammenhang mit der sozialen Integration und Wiedereingliederung minderjähriger und jugendlicher Straftäter — als dritte Säule, auf die in Ziffer 1.1 Bezug genommen wird — sollte auch die Rolle der Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen und ihrer speziellen Dialogkanäle in Bezug auf die Möglichkeiten der Integration und beruflich-sozialen Eingliederung der sozial ausgegrenzten Jugendlichen berücksichtigt werden. Daher ist es erforderlich, dass sich alle beteiligten Akteure dafür aussprechen, dass die beruflich-soziale Integration eine der Hauptmöglichkeiten zur Wiedereingliederung dieser Jugendlichen in unsere Gesellschaft ist.

7.7

Schließlich ist sich der EWSA im Klaren, dass zur Förderung all dieser Maßnahmen die entsprechende Mittelausstattung erforderlich ist. Daher muss die Europäische Kommission Haushaltslinien zur Unterstützung des Schutzes Minderjähriger, zur Verhütung der Jugendkriminalität und zur Behandlung der jugendlichen Straftäter bereitstellen, und zwar sowohl in bereits bestehenden Projekten oder Haushaltslinien (wie denjenigen, die auf die Beseitigung der Marginalisierung und sozialen Ausgrenzung und die Unterstützung der Jugend und ihre beruflich-soziale Eingliederung abzielen) (13) als auch über Programme, die speziell auf die genannten Ziele ausgerichtet sind.

Brüssel, den 15. März 2006

Die Präsidentin

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Anne-Marie SIGMUND


(1)  Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 14. Dezember 2000 zur sozialen Integration der Jugendlichen (ABl. C 374 vom 28. Dezember 2000); Entschließung des Rates und der im Rat vereinigten Vertreter der Regierungen der Mitgliedstaaten vom 27. Juni 2002 zu dem Rahmen für die jugendpolitische Zusammenarbeit in Europa (ABl. C 168 vom 13. Juli 2002); Weißbuch der Kommission vom 21. November 2001: „Neuer Schwung für die Jugend Europas“ (KOM(2001) 681 endg.); Mitteilung der Kommission an den Rat über europäische Politiken im Jugendbereich KOM(2005) 206 endg.

(2)  Dies wäre bei den so genannten „Statusdelikten“ der Fall, wie dem Von-zu-Hause-Weglaufen, Auf-der Straße-Leben usw.

(3)  Beim Höchstalter besteht eine größere Ähnlichkeit zwischen den EU-Mitgliedstaaten, da sie das Jugendstrafsystem in allen Fällen uneingeschränkt für Jugendliche bis 18 Jahre anwenden, wobei in einigen Ländern jedoch die Möglichkeit besteht, diese Regelung - in unterschiedlichem Maße und je nach Fall - auf Jugendliche bis 21 Jahre auszuweiten (Deutschland, Griechenland, Italien, die Niederlande, Österreich und Portugal). Beim Mindestalter sind die Unterschiede der Strafmündigkeit augenfälliger: 7 Jahre in Irland; 8 Jahre in Schottland und Griechenland; 10 Jahre in England, Wales und Frankreich; 12 Jahre in den Niederlanden und Portugal; 13 Jahre in Polen; 14 Jahre in Österreich, Estland, Deutschland, Ungarn, Italien, Lettland, Litauen, Slowenien und Spanien; 15 Jahre in der Tschechischen Republik, Dänemark, Finnland, der Slowakei und Schweden und 16 Jahre in Belgien. Es sollte jedoch bedacht werden, dass es sich bei den vorgesehenen Sanktionen für die Altersspanne zwischen 7 und 13-15 Jahren in den meisten Fällen nicht um Strafmaßnahmen im eigentlichen Sinne handelt bzw. sie stärker auf Freiwilligkeit beruhen als die Sanktionen für Jugendliche zwischen der genannten Altersspanne und 18-21 Jahren und sie die Unterbringung in Anstalten des geschlossenen Vollzugs in vielen Fällen völlig ausschließen.

(4)  In Zusammenhang damit und dem in Ziffer 2.1.2 genannten Faktor Armut sei hier die Studie „Thematic Study on Policy Measures concerning Disadvantaged Youth“ erwähnt, die derzeit von der Generaldirektion Beschäftigung und soziale Angelegenheiten der Europäischen Kommission durchgeführt und vom Institut für regionale Innovation und Sozialforschung (IRIS) koordiniert wird.

(5)  Artikel 40 der Konvention über die Rechte des Kindes, am 20. November 1989 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet.

(6)  Anzuführen sind hier auch die Entschließung (66) 25 über Methoden zur Kurzzeitbehandlung jugendlicher Delinquenten unter 21 Jahren, die Entschließung (78) 62 über soziale Umwandlung und Jugendkriminalität, die Empfehlung Nr. R (88) 6 über die gesellschaftlichen Reaktionen auf Kriminalität unter Jugendlichen aus Gastarbeiterfamilien und die Empfehlung Nr. R (2000) 20 über die Rolle des frühzeitigen psychosozialen Einschreitens zur Verhütung kriminellen Verhaltens.

(7)  In diesem Programm werden die Maßnahmen der vorherigen Programme unter Titel VI EUV (Grotius II - Strafrecht, Oisin II, Stop II, Hippokrates und Falcone) fortgeführt und erweitert.

(8)  ABl. L 153 vom 8..6.2001.

(9)  Ein Beispiel für die Arbeiten des Europäischen Netzes für Kriminalprävention ist der Bericht „A Review of the knowledge on juvenile violence: trends, policies and responses in the EU member states“, Fitzgerald, Stevens und Hale, 2004.

(10)  Ein Beispiel für die Anwendung des Programms im Bereich der Jugendgerichtsbarkeit ist die spanische Nichtregierungsorganisation Fundación Diagrama, die in vielen Autonomen Gemeinschaften freiheitsentziehende Justizmaßnahmen für jugendliche Straftäter verwaltet. Sie leitet zusammen mit diesen Gemeinschaften ein operatives Programm für Jugendliche, die den vom Jugendstrafsystem auferlegten freiheitsentziehenden Maßnahmen oder Sanktionen unterliegen. Das Ziel dieses Programms ist die Konzeption einer individuellen und umfassenden Methode, die ansetzt, noch bevor der Jugendliche die Haftanstalt verlässt - d.h. eines Parcours der beruflich-sozialen Eingliederung für diese Jugendliche -, mit der erstaunliche Ergebnisse erzielt werden.

(11)  Es sei hier erwähnt, dass bei den Vorkommnissen in den französischen Vorstädten im November 2005 die Verwendung von Chats, E-Mail, Blogs, Mobiltelefonen usw. allem Anschein nach eine wichtige Rolle spielte.

(12)  Schon am 21. Februar 2003 legte eine große Gruppe von Abgeordneten den Entwurf einer Entschließung zur Einrichtung einer europäischen Beobachtungsstelle für Jugendkriminalität vor.

(13)  Als laufende Projekte und Programme können hier genannt werden: die Programme AGIS, Daphne II und Equal sowie das Operative Programm zur Bekämpfung der Diskriminierung.


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