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Document 52006AE1575

Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema Freiwillige Aktivitäten, ihre Rolle in der europäischen Gesellschaft und ihre Auswirkungen

ABl. C 325 vom 30.12.2006, p. 46–52 (ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, IT, LV, LT, HU, NL, PL, PT, SK, SL, FI, SV)

30.12.2006   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 325/46


Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema „Freiwillige Aktivitäten, ihre Rolle in der europäischen Gesellschaft und ihre Auswirkungen“

(2006/C 325/13)

Die Kommission beschloss am 6. April 2006, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss gemäß Artikel 262 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu obenerwähnter Vorlage zu ersuchen.„Freiwillige Aktivitäten, ihre Rolle in der europäischen Gesellschaft und ihre Auswirkungen“

Die mit den Vorarbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 7. November 2006 an. Berichterstatterin war Frau KOLLER, Mitberichterstatterin war Gräfin zu EULENBURG.

Der Ausschuss verabschiedete auf seiner 431. Plenartagung am 13./14. Dezember 2006 (Sitzung vom 13. Dezember) mit 127 gegen 9 Stimmen bei 17 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme:

1.   Empfehlungen und Schlussfolgerungen

1.1

Der Europäische Wirtschafts- und Sozialausschuss fordert die Kommission auf, ein Jahr der Freiwilligen auszurufen und so schnell wie möglich ein Weißbuch über freiwillige Aktivitäten und aktive Bürgerschaft in Europa zu veröffentlichen. Auf diese Weise könnten die Wechselwirkungen dieser beiden Phänomene unterstrichen und ihr Umfang und ihre Bedeutung hervorgehoben werden. Da freiwillige Tätigkeiten größtenteils auf lokaler Ebene stattfinden, soll dieses Weißbuch zu einer Strategie beitragen, mit der die europäische Dimension dieser Aktivitäten gestärkt und eine aktive europäische Bürgerschaft sowie eine europäische Identifikation gefördert werden können.

1.2

Die Regierungen der Mitgliedstaaten sollten dazu angeregt werden, eine eigene Freiwilligenpolitik und eine Strategie zu entwerfen, wie freiwillige Tätigkeiten direkt gefördert und anerkannt werden können. Im Rahmen dieser nationalen Freiwilligenpolitik sollte auch die Rolle einer Infrastruktur für freiwillige Aktivitäten beleuchtet werden. Die EU kann hier einen Rahmen vorgeben und auf einen verstärkten Austausch vorbildhafter Praxis zwischen den Mitgliedstaaten hinwirken.

1.3

Sämtliche Mitgliedstaaten sollten rechtliche Rahmenbedingungen ausarbeiten, die ein Recht auf freiwillige Tätigkeiten unabhängig vom jeweiligen rechtlichen oder sozialen Status vorsehen. Chancengleichheit ist — einschließlich Menschen mit Behinderungen — all denen zu gewährleisten, die sich freiwillig engagieren. In einigen Mitgliedstaaten stehen die rechtlichen Rahmenbedingungen der Entwicklung freiwilliger Aktivitäten immer noch im Wege und ermöglichen daher keine stärkere gesellschaftliche Unterstützung. Mitunter wird die Entwicklung gar durch rechtliche Vorschriften wie Verbote oder Einschränkungen einer Tätigkeit gehemmt. Diese Einschränkungen sind zu prüfen und freiwillige Aktivitäten durch einen Rechtsrahmen zu fördern, der beispielsweise Regelungen im Versicherungsbereich und die Erstattung von Auslagen vorsieht.

1.4

Nach Ansicht des Ausschusses sollten nicht nur die Regierungen, sondern auch andere beteiligte Akteure — Parlamente, regionale und lokale Gremien und die Organisationen der Zivilgesellschaft — die Bedeutung der freiwilligen Tätigkeiten anerkennen und aktiv an ihrer Förderung mitwirken, denn so betonen sie die Rolle freiwilliger Aktivitäten und verbessern damit ihr gesellschaftliches Ansehen.

Darüber hinaus möchte der EWSA die Kommission nachdrücklich darauf hinweisen, dass die Organisationen der Zivilgesellschaft für freiwillige Tätigkeiten eine entscheidende Rolle spielen.

1.5

Zugleich hält der Ausschuss es für wünschenswert, dass die Beziehung zwischen Schule und Zivilgesellschaft hervorgehoben wird, um die Vorbereitung auf freiwillige Aktivitäten zu fördern. In der Primärbildung muss daher der pädagogischen Tätigkeit, die auf die Entwicklung des sozialen Bewusstseins und die Teilhabe an der Lösung sozialer Fragen von allgemeinem Interesse abzielt, breiterer Raum gegeben werden. So könnten im Rahmen eines „sozialen und ökologischen Jahres“ praktische Tätigkeiten als Option für Jugendliche ab 15 Jahren angeboten werden, um sie zu einer wichtigen, sinnvollen Beschäftigung zu ermuntern. Besondere Aufmerksamkeit sollte jenen nichtstaatlichen Organisationen geschenkt werden, in denen Kinder ihrer allerersten freiwilligen Tätigkeit nachgehen.

1.6

Bei ihren Bestrebungen zur Anerkennung des informellen und nicht-formalen Lernens, zum Beispiel über den Europass und die Empfehlung zu Schlüsselkompetenzen, sollte die EU der Anerkennung der im Rahmen freiwilliger Aktivitäten erworbenen Kompetenzen besondere Bedeutung beimessen. Die Einführung eines Jugend-Europasses würde die Anerkennung der freiwilligen Tätigkeiten junger Menschen verbessern.

1.7

Der EWSA empfiehlt, dass sämtliche Mitgliedstaaten, aber auch die EU selbst eine Politik für freiwillige Aktivitäten konzipieren, die eine Strategie und konkrete Programme für die Förderung dieser Tätigkeiten umfasst, Vorschläge für eine gezielte Hilfe enthält und die Öffentlichkeit sensibilisieren, Partnerschaften zwischen der Zivilgesellschaft und den Unternehmen anregen und die generelle Anerkennung der Leistungen der Freiwilligen fördern soll. Hierzu gehört auch ein entsprechender Rechtsrahmen, der freiwillige Aktivitäten fördert. Die EU kann zu diesem Zweck einen Rahmen festlegen, Denkanstöße geben und den Austausch bewährter Verfahren zwischen den Mitgliedstaaten anregen.

1.8

Auf europäischer Ebene bedarf es verlässlicher und vergleichbarer Zahlen über den Umfang, die Bedeutung und den sozioökonomischen Wert freiwilliger Aktivitäten. Den diesbezüglichen Untersuchungen sollte eine einheitliche Definition dieser Tätigkeiten zugrunde liegen. Sie sollten Bedürfnisse und Beweggründe von Freiwilligen — und vor allem auch Beweggründe von Menschen, die sich nicht engagieren wollen, — analysieren. Es gilt auf europäischer Ebene Möglichkeiten zu finden, wie der Beitrag freiwilliger Aktivitäten zum Volkseinkommen und ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft sichtbar gemacht werden können. Hier könnte Eurostat eine koordinierende und initiierende Rolle übernehmen: Alle statistischen Ämter der Mitgliedstaaten der EU sollten über solche Zahlen verfügen.

1.9

Der EWSA empfiehlt, dass das Finanzierungssystem sowie die einzelnen Politikbereiche und Programme der Europäischen Union freiwillige Tätigkeiten stärker als bisher fördern. Hierfür bedarf es insbesondere einer europaweiten Infrastruktur zur Unterstützung dieser Aktivitäten. Gegenwärtig ist der 1996 gegründete Europäische Freiwilligendienst (EFD) eine Förderquelle freiwilliger Tätigkeiten in der Europäischen Union, im Rahmen dessen sich bislang ca. 40.000 junge Menschen im Alter von 18 bis 25 Jahren zwischen sechs Monaten und einem Jahr in 31 europäischen und Partnerländern aufgehalten haben. Der von anderen Freiwilligen in Entwicklungsländern geleistete Dienst wird allerdings aus Entwicklungshilfemitteln finanziert. Der EWSA hält diese Förderquellen für unzureichend und wünscht, dass die Europäische Union einen aktiveren, konsequenteren und kohärenteren Ansatz für diese freiwilligen Aktivitäten verfolgt und insbesondere beginnt dafür Sorge zu tragen, dass die europaweiten Freiwilligenprogramme für alle Bevölkerungsgruppen zugänglich werden und sich nicht allein auf langfristige Freiwilligendienste Jugendlicher beschränken.

1.10

Der EWSA würde ferner die Vorlage einer besonderen Empfehlung zur Förderung freiwilliger Tätigkeiten älterer Menschen begrüßen, etwa mit Pilotaktionen für Partnerschaften und einem Erfahrungsaustausch; diese könnte zu den ersten Initiativen zählen.

1.11

Darüber hinaus sollten freiwillige Aktivitäten im Rahmen europäischer Projekte grundsätzlich mit einer finanziellen Kofinanzierung gleichgesetzt werden. Im Übrigen müssen die Antragsformulare für europäische Projekte generell einfacher und unbürokratischer gestaltet werden, so dass Freiwilligenorganisationen überhaupt erst in die Lage versetzt werden, an europäischen Projektausschreibungen teilnehmen zu können.

1.12

Die Informationsverbreitung muss verstärkt und erweitert werden: Allzu oft kommen die Informationen leider nicht in den interessierten Kreisen an. In diesem Zusammenhang müssen alle möglichen Informationskanäle genutzt werden; beispielsweise könnte eine Website mit einschlägigen Informationen eingerichtet werden, die von jeder bestehenden Website über freiwillige Tätigkeiten mit einem Klick zugänglich wäre. Europäischen Netzwerken von Freiwilligenorganisationen kommt hier eine besondere Bedeutung zu. Sie stellen sicher, dass Organisationen sich untereinander austauschen, vorbildhafte Praxis weitergeben und die Anliegen und Forderungen der Freiwilligen an der Basis an die Institutionen der EU weitergeben. Als Teil der Infrastruktur zur Förderung freiwilliger Aktivitäten müssen diese Netzwerke gezielt gefördert werden.

1.13

Die Europäische Union kann einen wichtigen Beitrag zur Förderung und öffentlichen Anerkennung der freiwilligen Tätigkeiten leisten, indem sie den 5. Dezember, den die Vereinten Nationen zum internationalen Tag der Freiwilligen ausgerufen haben, unterstützt und freiwillige Aktivitäten an diesem Tag würdigt und feiert. Das Internationale Jahr der Freiwilligen 2001 hat gezeigt, wie wichtig öffentlichkeitswirksame und staatlich unterstützte Programme sind. Würde — wie vom EWSA vorgeschlagen — auf europäischer Ebene ein Jahr der Freiwilligen ausgerufen, würde dies dazu beitragen, das Engagement unzähliger Freiwilliger vor Ort auf europäischer Ebene zu würdigen und zu fördern; außerdem würde dadurch bei den Freiwilligen ein europäisches Zugehörigkeitsgefühl hervorgerufen.

1.14

Damit die Bedeutung des freiwilligen Engagements für die Entwicklung der Mitgliedstaaten stärker gewürdigt wird, empfiehlt der EWSA, auf europäischer Ebene eine Charta zu verabschieden, in der die Rolle der Freiwilligenorganisationen mitsamt ihren Rechten und Pflichten festgelegt wird. Zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage der Freiwilligenorganisationen in den Mitgliedstaaten empfiehlt der EWSA, im Gemeinschaftsrecht eine Rechtsgrundlage für die Mehrwertsteuerbefreiung dieser Organisationen zu schaffen. Ziel der vorgeschlagenen Festlegung der Rolle, Rechte und Pflichten der Freiwilligenorganisationen in einer europäischen Charta ist vornehmlich die Schaffung einheitlicher Leitlinien für diejenigen Organisationen, denen eine besondere rechtliche Stellung in Verbindung mit wirtschaftlichen und anderen Sonderrechten verliehen werden kann.

2.   Einleitung

2.1

Freiwillige Tätigkeiten sind von unschätzbarem Wert für die Gesellschaft. Mehr als 100 Millionen ehrenamtlich Tätige in Europa widmen sich in ihrer Freizeit einer Vielzahl von Aktivitäten, die Dritten nutzen und dem allgemeinen Interesse dienen. Die Leistungen zivilgesellschaftlicher Organisationen, die ausschließlich oder zum großen Teil dem Engagement Ehrenamtlicher zu verdanken sind, finden immer größere Anerkennung — bei Unternehmen, bei staatlichen Akteuren und vor allem bei den Bürgern und Bürgerinnen selbst (1).

2.2

Der ureigene Wert freiwilliger Aktivitäten geht allerdings weit über die Bereitstellung von Diensten und die Befriedigung sozialer Bedürfnisse hinaus. Die ihnen zugrunde liegende Motivation, nämlich aus eigenem Antrieb einen Beitrag zum Gemeinwohl zu leisten und dieses mitzugestalten, fördert Werte wie Gemeinwohlorientierung und Solidarität und bildet somit ein Gegengewicht zu Isolierung und Egoismus — immer typischere Erscheinungen moderner Gesellschaften.

2.3

Freiwillige Tätigkeiten sind untrennbar mit aktiver Bürgerschaft verbunden, die — sowohl auf lokaler als auch auf europäischer Ebene — das Herzstück der Demokratie bildet. Die Bürger und Bürgerinnen beteiligen sich am gesellschaftlichen Leben nicht allein durch politische Partizipation, sondern auch durch gezielte Lösung gesellschaftlicher Probleme. Indem sie sich gesellschaftlich engagieren, können sie einen konkreten Gestaltungswillen in die Tat umsetzen. Der Einzelne arbeitet für die anderen, entweder in seiner Freizeit oder im Rahmen eines Freiwilligendienstes, und stellt sich — oft unter erheblichem finanziellem oder auch gesundheitlichem Risiko — so in den Dienst des Gemeinwesens. Es ist gerade diese Form der aktiven europäischen Bürgerschaft, die in unseren Gesellschaften ein starkes Zugehörigkeitsgefühl der Bürger zum Gemeinwesen erzeugt. Freiwillige Aktivitäten können daher als eines der besten Beispiele für Mitwirkung und somit als ein essentieller Bestandteil, ja als Voraussetzung einer aktiven Bürgerschaft angesehen werden.

2.4

Darüber hinaus fördern freiwillige Tätigkeiten die persönliche Entwicklung: die Schaffung eines sozialen Bewusstseins auf der einen und die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen und Fähigkeiten auf der anderen Seite, wodurch die Beschäftigungsfähigkeit der Freiwilligen sowie ihre aktive Teilhabe an der Gesellschaft verbessert werden. Freiwillige Aktivitäten bieten in ihren verschiedenen Ausprägungen die Gelegenheit informellen Lernens (2) und nicht-formalen Lernens (3), die so — neben dem formalen Lernen (4) — eine wesentliche Rolle bei der Verwirklichung des lebenslangen Lernens spielen.

2.5

Freiwillige Tätigkeiten leisten einen wesentlichen Beitrag zum Nationalprodukt unserer Volkswirtschaften. Sehr oft bleibt dieser Beitrag in nationalen Statistiken unbeachtet, da ihm nicht immer der Austausch geldwerter Güter zugrunde liegt und es keine einheitliche Methodik gibt, seinen wirtschaftlichen Wert zu messen. Dort wo er jedoch gemessen wird, hat sich gezeigt, dass der wirtschaftliche Wert freiwilliger Aktivitäten und ihr Beitrag zur Volkswirtschaft beträchtlich ist (5). Im Vereinigten Königreich wird beispielsweise der wirtschaftliche Wert freiwilliger Tätigkeiten auf 7,9 % des BIP geschätzt, und 38 % der Gesamtbevölkerung nehmen an einschlägigen Tätigkeiten teil. In Irland und in Deutschland sind über 33 % der Bürger und in Polen 18 % der Bevölkerung in irgendeiner Form freiwilliger Aktivität engagiert.

2.6

Darüber hinaus kann ein grenzüberschreitender Freiwilligendienst auf europäischer und internationaler Ebene die Solidarität und das gegenseitige Verständnis der Menschen erheblich steigern und den Dialog zwischen den Kulturen fördern. In diesem Zusammenhang begrüßt der EWSA die Absicht der Kommission, den Europäischen Freiwilligendienst auszubauen, sein Profil zu schärfen und seine Effektivität zu steigern.

2.7

Solidarität und Verantwortungsgefühl für die anderen sowie das Bedürfnis, sich nützlich zu fühlen, sind wesentliche Motivationen für freiwillige Aktivitäten. Es schafft soziale Bindungen, trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei und fördert die Lebensqualität und den sozialen Fortschritt in Europa. Es verkörpert somit die Werte der europäischen Integration, wie sie in Artikel 2 des EG-Vertrages und Artikel 2 des Vertrages über die Europäische Union festgelegt sind. Zudem sind freiwillige Tätigkeiten eine wesentliche Ausdrucksform partizipativer Demokratie, die im europäischen Verfassungsvertrag als Bestandteil des demokratischen Lebens der EU anerkannt wird. Freiwillige Aktivitäten dienen dem Gemeinwohl, ganz so wie die Freiwilligen selbst. Freiwillige Tätigkeiten sollten in sämtlichen Mitgliedstaaten der Europäischen Union entsprechend ihrer Bedeutung anerkannt werden.

2.8

Der EWSA hat sich bereits in seinem 2002 verabschiedeten Informationsbericht „Hospizarbeit als Beispiel für freiwillige Tätigkeit in Europa“ (Berichterstatterin: Gräfin zu EULENBURG) mit dem Thema freiwillige Tätigkeiten beschäftigt.

Ferner wurden freiwillige Aktivitäten unter anderen Aspekten in Arbeiten des EWSA beleuchtet, bislang jedoch noch keine Stellungnahme speziell zu diesem Thema erarbeitet (6).

2.9

Auch innerhalb der EU wird der Beitrag freiwilliger Tätigkeiten im sozialen, kulturellen und ökologischen Bereich mehr und mehr anerkannt, und Freiwilligenorganisationen werden besser in die politischen und sonstigen Entscheidungsprozesse, etwa in den Bereichen lebenslanges Lernen, Gesundheitswesen und Verbraucherschutz, Entwicklung, Handel usw., einbezogen. Der EWSA begrüßt diese Initiativen, ist jedoch der Ansicht, dass die bisherigen Fortschritte bei weitem nicht ausreichen.

2.10

Der EWSA begrüßt, dass freiwillige Aktivitäten junger Menschen als eine Priorität des von der Kommission im Jahr 2001 eingeleiteten politischen Prozesses und als Teil der Methode der offenen Koordinierung angesehen werden. Er fordert die Kommission auf, auf der Grundlage der bereits im Jugendsektor erzielten Fortschritte die Weiterentwicklung freiwilliger Tätigkeiten durch einen ganzheitlichen Ansatz für Querschnittsaspekte voranzutreiben.

2.11

Auf internationaler Ebene wurde 2001 ein Zeichen gesetzt, als die VN das Internationale Jahr der Freiwilligen ausriefen. Dieses Jahr hat freiwilligen Aktivitäten Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit beschert, es hat die Menschen erneut ermuntert, sich freiwillig zu engagieren, und Wege aufgezeigt, wie freiwillige Tätigkeiten von politischer Seite her anerkannt, unterstützt und gefördert werden können. Auf Initiative der VN wird jedes Jahr am 5. Dezember der Internationale Tag der Freiwilligen gefeiert. Auch die Europäische Union sollte die europäischen Bürger auf diese wichtige Veranstaltung aufmerksam machen.

2.12

Insgesamt ist der Ausschuss jedoch der Ansicht, dass die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten sich stärker freiwilligen Tätigkeiten widmen sollten. Auch deshalb begrüßt der EWSA das Ersuchen von Frau WALLSTRÖM an den Ausschuss, eine Stellungnahme zu diesem wichtigen Thema zu erarbeiten.

3.   Das Konzept der ehrenamtlichen Tätigkeiten und seine Merkmale

3.1

In der Praxis und Forschung werden freiwillige Aktivitäten oftmals unterschiedlich definiert und es ist schwierig, die verschiedenen Facetten dieses Konzepts in einer Definition zu fassen. Typisch für die verschiedenen Definitionen in den Ländern der Europäischen Union sind drei gemeinsame, unerlässliche Kriterien:

Freiwillige Tätigkeiten erfolgen aus freiem Willen und eigenem Antrieb heraus, sie können in keiner Form obligatorisch sein. Dies sichert die Verbindlichkeit und die Identifikation der Freiwilligen mit ihrer Tätigkeit.

Freiwillige Aktivitäten sind unentgeltlich und erfolgen nicht aus finanziellen Beweggründen; es können aber entstandene Auslagen der Freiwilligen erstattet werden.

Freiwillige Tätigkeiten erfolgen mit dem Ziel, sich für andere Menschen außerhalb der eigenen Familie bzw. für andere gesellschaftliche Gruppen einzusetzen und damit der Gesellschaft als solcher nützlich zu sein (wenngleich unbestritten ist, dass freiwillige Tätigkeiten für die Persönlichkeitsbildung der Freiwilligen von erheblichem persönlichen Nutzen sind).

Es ist umstritten, ob nur regelmäßige Tätigkeiten unter diese Definition fallen sollen, ob auch Nachbarschaftshilfe und die in letzter Zeit entstehenden Zeitbanken dazu gehören oder ob nur freiwillige Aktivitäten in formeller und strukturierter Form zählen sollen. Die drei genannten Grundbedingungen sind jedoch eine unabdingbare Voraussetzung dafür, dass eine Tätigkeit — sei es eine freiwillige Tätigkeit zugunsten der örtlichen Gemeinschaft oder ein strukturierter Freiwilligendienst — als freiwillige Aktivität eingestuft wird. Generell lässt sich sagen, dass man den unterschiedlichen Ausprägungen der freiwilligen Tätigkeiten durch eine nicht zu enge Definition am besten gerecht wird.

3.2

Es ist nicht das Ziel, durch freiwillige Aktivitäten bezahlte Arbeit zu ersetzen; es ist sogar ausdrücklich zu wünschen, dass vergütete Tätigkeiten nicht durch freiwillige Aktivitäten ersetzt werden können. Freiwillige Tätigkeiten beziehen ihren besonderen Wert durch ihren Beitrag zur Gestaltung des Gemeinwesens. Freiwillige Aktivitäten sind auch nicht bloße soziale Dienstleistungen oder dazu angetan, staatliche Grundaufgaben zu übernehmen. Der ureigene Mehrwert freiwilliger Tätigkeiten besteht

in der Schaffung sozialer und gesellschaftlicher Bindungen; jeder, der sich freiwillig engagiert, identifiziert sich stärker mit der Gesellschaft und entwickelt mehr Solidargefühl;

in der Teilhabe der Bürger an der aktiven Gestaltung des Gemeinwesens.

3.3

Freiwillige Aktivitäten treten in vielen verschiedenen Formen auf, was ihre Kategorisierung so schwierig macht. Die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen engagieren sich freiwillig, wenn auch je nach Mitgliedstaat in unterschiedlichem Ausmaß: Der Anteil der pro Bereich tätigen Ehrenamtlichen, ihr Profil (Alter, Herkunft, Bildungsstand usw.) variiert von Land zu Land zum Teil stark.

3.4

Neben der formellen, in einer bestimmten Einrichtung ausgeübten Tätigkeit gibt es auch informelles Engagement und solches, das im Verborgenen bleibt (zum Beispiel oft freiwillige Aktivitäten von Migranten und Migrantinnen).

3.4.1

Zu den verschiedenen Formen freiwilliger Tätigkeiten gehören unter anderem:

Teilnahme am öffentlichen Leben und Bürgerengagement;

Einsatz für Angelegenheiten von öffentlichem Interesse, Veranstaltung von Sensibilisierungskampagnen, Rechtshilfe und Verbraucherschutz;

Wohltätigkeit, Hilfe für andere in der näheren Umgebung, insbesondere für Ältere oder Menschen mit Behinderungen, oder ggf. auch im Entwicklungshilfebereich;

Einsatz für das unmittelbare Gemeinwohl, unter anderem in besonderen Situationen wie nach Umweltkatastrophen usw.;

gegenseitige Hilfe und Selbsthilfegruppen;

Einsatz in religiösen Vereinigungen;

Bürger, die diverse ehrenamtliche Positionen in der Gesellschaft bekleiden und sich im politischen und wissenschaftlichen Leben, in der Leitung oder dem Betrieb kleiner Verbände oder Sportvereine engagieren.

3.4.2

Ferner können freiwillige Aktivitäten in Betätigungsfelder eingeteilt werden (zum Beispiel Sport, Kultur, Soziales, Gesundheit, Bildung, Jugend, Umweltschutz, Katastrophenschutz, Politik, Verbraucherschutz, Entwicklungszusammenarbeit usw.).

3.5

Freiwilligendienste sind eine besondere Form freiwilliger Tätigkeiten: Sie sind von vornherein zeitlich begrenzt und werden von den Freiwilligen oft ausschließlich durchgeführt, d.h. im Gegensatz zum Großteil freiwilliger Aktivitäten nicht zusätzlich zu anderen Tätigkeiten wie Ausbildung oder Beschäftigung. Anders als stets in der Freizeit der Freiwilligen ausgeübte Tätigkeiten basiert der Freiwilligendienst im Allgemeinen auf einer Reihe gemeinsam vereinbarter Regeln und Aufgaben, oftmals in Form einer Vereinbarung zwischen den Projektpartnern, zu denen auch die Freiwilligen zählen. Es werden verschiedene Formen von Freiwilligendiensten unterschieden:

Freiwillige Aktivitäten beinhalten alle Arten freiwilliger Aktivitäten und lassen sich wie folgt beschreiben: Sie stehen allen offen, sind unbezahlt, werden aus freien Stücken geleistet, haben einen Bildungsaspekt (nicht formale Lernerfahrung) und erbringen einen sozialen Mehrwert.

Der Freiwilligendienst ist eine Form von freiwilligen Aktivitäten und weist folgende zusätzliche Merkmale auf: Er ist zeitlich befristet; Ziele, Inhalte, Aufgaben, Struktur und Rahmen sind klar festgelegt; entsprechende Unterstützung sowie rechtliche und soziale Absicherung werden geboten.

Der staatlich organisierte Freiwilligendienst ist ein Freiwilligendienst, der vom Staat oder im Auftrag des Staates organisiert wird, zum Beispiel im sozialen oder im Zivilschutzbereich.

Der Zivildienst ist eine in einigen Ländern angebotene nicht freiwillige Alternative zum Pflichtwehrdienst (7).

3.6

Freiwillige und ehrenamtliche Tätigkeit unterscheidet sich in eindeutiger Weise dadurch, dass der in gemeinnützigen Einrichtungen im Sinne der Definitionen der Vereinten Nationen und der ILO geleistete Freiwilligendienst — wenn auch meistens unter Marktniveau — vergütet wird, während die ehrenamtliche Tätigkeit nicht vergütet wird und bestenfalls die im Rahmen der Tätigkeit entstehenden Unkosten erstattet werden. Die Klärung des rechtlichen Status dieser Tätigkeiten hat diesen Tatsachen und auch der Lage der „Praktikanten“, die im Rahmen der Anforderungen ihres Studiums für NGOs tätig sind, Rechnung zu tragen, um die Situation der Betroffenen zu erleichtern.

Freiwillige Aktivitäten sind gemäß der Definition der ILO und der Agenturen der VN Tätigkeiten, die in Organisationen ohne Erwerbszweck, das heißt in humanitären oder gemeinnützigen Einrichtungen bzw. nichtstaatlichen Organisationen, von so genannten Freiwilligen geleistet werden, die zumeist — als abhängig Beschäftigte — entlohnt werden. Es handelt sich um Angestellte, deren Arbeit insofern gemeinnützig ist, als ihr Entgelt oftmals unter dem Marktwert liegt; dieser Aspekt macht den gemeinnützigen Anteil und den ehrenamtlichen Charakter aus. Ist ein Logistiker zum Beispiel bei einer Nothilfeorganisation oder ein Jurist bei einem Flüchtlingshilfeverband angestellt, bezieht er ein geringeres Gehalt, als er auf dem freien Markt bei einem Verkehrsunternehmen oder in einer Anwaltskanzlei erzielen könnte.

Der Europäische Freiwilligendienst (EFD), dessen als auszubauend und aufzuwertend bezeichnetes Beispiel mehrfach genannt wird, ist in Wirklichkeit ein Dienst, der junge Menschen gegen Vergütung und Kostenübernahme (Kost und Logis) an Vereine oder NGOs vermittelt und einen Vergütungsteil umfasst, nämlich die Praktikumsvergütungen. Dies ist eine Möglichkeit, junge Menschen im Rahmen ihres Hochschulstudiums (vorgeschriebenes Auslandspraktikum in fast allen Studiengängen mit internationaler oder europäischer Dimension) an diese Vereine und NGOs zu vermitteln.

Die Teilnahme junger Menschen an humanitären Vorhaben oder Projekten von allgemeinem Interesse gegen Pauschalvergütung stellt eine gegenseitige Bereicherung dar. Es ist zwar gut gemeint, den rechtlichen Status der gewährten Vergütung zu klären, doch dürfen „ehrenamtliches“ und „freiwilliges“ Engagement hierbei nicht durcheinander gebracht werden.

3.7

Die vergütete freiwillige Arbeit gemäß den Definitionen der ILO und der VN, wie etwa die Tätigkeit von „Ärzte ohne Grenzen“, wird in dieser Stellungnahme nicht behandelt.

3.8

In den letzten Jahren hat sich das Feld freiwilliger Aktivitäten hinsichtlich der Formen und Motivationen weiter diversifiziert, wofür neue gesellschaftliche Werte bzw. Entwicklungen entscheidend sind. Freiwillige Tätigkeiten stoßen auf immer größeres Interesse und breitere Nachfrage, während die Finanz- und Haushaltsmittel sowie die Infrastrukturentwicklung nicht damit Schritt halten, und auch die Anerkennung wächst nicht im notwendigen Maße.

3.8.1

Für ehrenamtlich Tätige sind eine sinnvolle Freizeitgestaltung, die Entwicklung sozialer Kompetenzen sowie der Erwerb und die Weitergabe von Erfahrungen attraktive Vorteile freiwilliger Aktivitäten. Wissenserwerb oder eine bessere Kenntnis der eigenen Person und Fähigkeiten sind immer häufiger Motivationen für freiwillige Tätigkeiten Jugendlicher, nicht zuletzt, um den Anforderungen der Wissensgesellschaft gerecht zu werden. Beim Freiwilligendienst im Ausland spielen interkulturelle Kontakte und das Erlernen einer Fremdsprache ebenfalls eine Rolle bei der Entscheidung zugunsten freiwilliger Aktivitäten. Vor allem im Rahmen der europäischen Einigung wird so das Verständnis zwischen den Kulturen gefördert. Grenzüberschreitende Freiwilligenprojekte wie beispielsweise Freiwilligenbörsen in Euroregios können für die Entwicklung einer europäischen Bürgerschaft von großer Bedeutung sein.

3.8.2

Zivilgesellschaftliche Organisationen und Freiwilligenzentren gewinnen leichter Freiwillige, wenn sie auf neue Wirklichkeiten in unserer Gesellschaft eingehen: auf Veränderungen in der Jugendkultur, die Verbreitung des Internets und die Möglichkeiten freiwilliger Tätigkeiten online; neue Formen, Jugendliche anzusprechen, wie beispielsweise über SMS; das Anbieten kurzfristiger Engagements als erster Einstieg für Jugendliche; die Berücksichtigung neuer Freizeitverhalten sowie vorhandener Zeitbudgets interessierter Bürger und Bürgerinnen; gezielte Berücksichtigung neuer Zielgruppen wie Migranten und Migrantinnen, Langzeitarbeitslose oder die steigende Anzahl von Rentnern und Renterinnen, die sich einbringen wollen, sind Beispiele hierfür.

3.9

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass freiwillige Aktivitäten ein horizontales Phänomen sind, das viele verschiedene Bereiche der Gesellschaft betrifft, aber auch bei einem bedeutenden Teil der Bevölkerung eine Rolle spielt. Es sei jedoch darauf hingewiesen, dass benachteiligte oder aus der Gesellschaft ausgegrenzte Menschen sich weniger freiwillig engagieren.

4.   Die allgemeine sozioökonomische Rolle freiwilliger Aktivitäten in der europäischen Gesellschaft

4.1

In der internationalen Fachliteratur wird die Rolle freiwilliger Tätigkeiten hauptsächlich auf der Grundlage ihrer gesellschaftlichen oder wirtschaftlichen Funktion analysiert. Wie bereits angemerkt, beziehen sie ihren ureigenen Wert durch ihren Beitrag zur aktiven Bürgerschaft, ihre Auswirkungen sind oft schwer quantifizierbar: gesellschaftliches Engagement, Zugehörigkeitsgefühl, Identifikation mit der Gesellschaft, Solidarität, Verantwortungsgefühl für die Gesellschaft und Förderung des sozialen Zusammenhaltes sind nur schwer direkt messbar.

4.2

Eine geeignete Herangehensweise, die in Forschungsarbeiten zur Zivilgesellschaft (zum Beispiel Putnam, 2000 (8)) beschrieben wird, ist das so genannte Sozialkapital, zu dem freiwillige Aktivitäten einen wesentlichen Beitrag leisten. Soziale Netzwerke, Kontakte, Werte und Haltungen der Bürger sowie gegenseitiges Vertrauen sind für die soziale (und wirtschaftliche) Entwicklung von Regionen von wesentlicher Bedeutung. Gibt es in einem bestimmten Gebiet zahlreiche zivilgesellschaftliche Organisationen oder Ehrenamtliche, dann fallen andere wirtschaftliche und soziale Indikatoren im Allgemeinen ebenfalls positiver aus. Freiwillige Tätigkeiten erhöhen wesentlich das Sozialkapital einer Gesellschaft, da sie soziale Netzwerke und Bindungen schaffen.

4.3

Zu den gemeinhin verwendeten quantitativen Indikatoren für die Entwicklung eines Landes (wesentliche Wirtschaftsindikatoren wie Wirtschaftswachstum und finanzielles Gleichgewicht) müssen daher neue und alternative Indikatoren treten, die das Sozialkapital und den sozialen Zusammenhalt messen sowie den Beitrag freiwilliger Aktivitäten herausstellen. Auch sollte der wirtschaftliche Wert dieser Tätigkeiten beziffert werden, wie von den Vereinten Nationen in ihrem Handbuch zu Not-for-Profit-Organisationen im System nationaler Statistiken vorgeschlagen.

4.4

Dies wird auch dem Fokus auf eine nachhaltige Entwicklung gerecht, die ein globales System anstrebt, das neben wirtschaftlichem Erfolg auch ökologische Nachhaltigkeit, Solidarität und Demokratie fördert. Dies entspricht auch den Zielen der Lissabon-Strategie, die im Gesamtkontext der nachhaltigen Entwicklung die drei Bereiche Wirtschaft, Soziales und Umwelt als untrennbar versteht und die gegenseitigen Synergien der Bereiche besser nutzen will. Freiwillige leisten in allen drei Bereichen einen wesentlichen Beitrag, der gemessen werden muss: Förderung des sozialen Zusammenhalts, Aktivitäten im Umweltbereich sowie bei der Wiedereingliederung von (Langzeit)Arbeitslosen in den Arbeitsmarkt.

4.5

Der Europäische Pakt für die Jugend, der vom Europäischen Rat auf seiner Frühjahrstagung 2005 verabschiedet wurde und Teil der revidierten Lissabon-Strategie ist, ermuntert junge Menschen zu freiwilligen Aktivitäten (9).

4.6

Internationalen Forschungsarbeiten und Erfahrungen zufolge können freiwillige Tätigkeiten in den verschiedenen Bereichen noch besser und gezielter gefördert werden.

4.6.1

So kann bereits bei der Sozialisierung, Bildung und Erziehung der Kinder darauf hingearbeitet werden, dass diese später aktive Mitglieder der Gemeinschaft werden. Besonderen Vorbildcharakter haben dabei solche Organisationen, die soziale Programme durchführen, an denen vorrangig Kinder und Jugendliche beteiligt sind.

4.6.2

Freiwillige Aktivitäten können eine besondere Rolle bei der Bekämpfung der Jugend- und Langzeitarbeitslosigkeit sowie generell für den Eintritt ins Erwerbsleben spielen.

Freiwillige können gezielt wichtige, auf dem Arbeitsmarkt nachgefragte Erfahrungen und Kenntnisse sammeln und ein Netzwerk an Kontakten aufbauen. Neben den Aktivitäten im sozialen Bereich und im Gesundheitswesen, die als traditionelle Einsatzfelder freiwilliger Tätigkeiten gelten, können die Freiwilligen während ihres Dienstes Schlüsselkompetenzen und Kenntnisse in den Bereichen Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation, Ausdrucksfähigkeit, Organisationsmanagement, berufliche Bildung usw. erwerben.

Sie haben die Möglichkeit, diverse soziale Rollen auszuprobieren, zu lernen, die richtigen Entscheidungen zu treffen, Probleme zu lösen, sich eine Arbeitskultur zu eigen zu machen sowie ihren Gerechtigkeitssinn und ihre Führungsstärke unter Beweis zu stellen. Freiwillige Aktivitäten können einen wichtigen Bestandteil des Lebenslaufes und der beruflichen Laufbahn bilden. Sie sind folglich ein wichtiges zusätzliches Instrument für nicht-formales und informelles Lernen und ergänzen formelles Lernen sowie die allgemeine und berufliche Bildung. Sie können auch die Beschäftigungsfähigkeit gerade junger Menschen verbessern.

4.6.3

Im Bereich des aktiven Alterns sind freiwillige Aktivitäten von zweifacher Bedeutung: Zum einen können ältere Mitbürger und Mitbürgerinnen hierdurch weiter am gesellschaftlichen Leben teilhaben, ihre Lebenserfahrung einbringen und sich weiter nützlich fühlen. Dies wirkt sich auch positiv auf ihre Gesundheit und Lebensqualität aus. Zweitens können freiwillige Tätigkeiten das Verständnis zwischen den Generationen fördern, wo Junge und Alte an einem gemeinsamen Vorhaben beteiligt sind, sich austauschen und unterstützen.

4.6.4

Freiwillige Aktivitäten können verschiedenen marginalisierten Bevölkerungsgruppen die Chance zur Eingliederung und Integration geben. Sei es, weil Freiwillige sich für sie engagieren, sei es, weil sie selbst durch ihr eigenes Engagement in die Mitte der Gesellschaft zurückkehren. Dieses Empowerment durch freiwillige Tätigkeiten ist vor allem für sozial ausgegrenzte Bevölkerungsgruppen und für Migranten und Migrantinnen wichtig. Leider wird dieser Prozess in einigen Mitgliedstaaten durch Rechtsvorschriften behindert; so gibt es beispielsweise Mitgliedstaaten, in denen Migranten sich nicht freiwillig engagieren können.

4.6.5

Hingewiesen sei auch auf die Bedeutung der verschiedenen Selbsthilfegruppen. Ihr wesentliches Merkmal ist, dass sich Menschen mit ähnlichen Problemen — in unterschiedlichsten Bereichen — zusammenschließen und gegenseitig helfen, indem sie ihre persönlichen Erfahrungen austauschen.

4.6.6

Auch Arbeitgeber und Unternehmen spielen eine Rolle bei der Förderung freiwilliger Aktivitäten. Zum einen erwerben ihre Angestellten und Fachkräfte durch freiwillige Tätigkeiten außerhalb des Unternehmens soziale Kompetenzen, die ihre Kreativität und Arbeitsmotivation steigern; auf diese Weise fühlen sie sich dem Unternehmen in größerem Maße verbunden. Zum anderen sind sich die Unternehmen mehr und mehr ihrer sozialen Verantwortung bewusst: Partnerschaften zum wechselseitigen Nutzen zwischen Freiwilligenorganisationen, Gemeinden, Staat und Unternehmen helfen, Kapazitäten vor Ort zu bündeln und gemeinsam an der Gestaltung des Gemeinwesens mitzuwirken. Der Dialog zwischen den Sozialpartnern, das Voneinanderlernen sowie Kollektivvereinbarungen können dazu beitragen, dass freiwillige Aktivitäten — ein Teil der sozialen Verantwortung — mehr Anerkennung und Unterstützung erfahren.

4.6.7

Der EWSA beobachtet mit Sorge, dass — oftmals aufgrund einer in vielen Mitgliedstaaten festgestellten fehlenden rechtlichen Definition bzw. rechtlichen Grundlage „freiwilliger Aktivitäten“ — freiwilligen Einrichtungen und Tätigkeiten die öffentliche Anerkennung versagt wird. Manchmal führt dies sogar dazu, dass das Potenzial nicht wahrgenommen wird, wenn beispielsweise freiwillige Aktivitäten im Rahmen von Eingliederungsmaßnahmen von Jugendlichen, Arbeitslosen oder der Integration von Migranten nicht anerkannt werden. Die Lage von Freiwilligen ist zudem häufig problematisch, insbesondere in steuerlicher Hinsicht, in Bezug auf die soziale Sicherheit oder in Versicherungsfällen. Nachdrücklich ist für Bestimmungen einzutreten, welche die rechtliche Stellung der Freiwilligen klären und jedem Bewohner eines Landes das Recht auf freiwillige Tätigkeiten einräumen. Darüber hinaus sind die Mitgliedstaaten aufgefordert, arbeitsrechtliche Mängel zu beseitigen, die dem Einsatz von freiwilligen Hilfskräften, die — insbesondere in Katastrophenfällen — wichtige Arbeit im Interesse der Öffentlichkeit leisten, entgegenstehen. Allzu oft sind Beschäftigte — was etwa die Freistellung betrifft — nach wie vor auf den guten Willen ihres Arbeitgebers angewiesen.

4.6.8

Der EWSA empfiehlt, dass die Beziehungen und Aufgaben der einzelnen Akteure Staat, Marktsektor und Freiwilligenorganisationen genau geklärt werden. Freiwillige Aktivitäten spielen zwar eine wichtige Rolle in unseren Gesellschaften, sollen aber nicht die Grundversorgung im sozialen Dienstleistungsbereich sicherstellen oder staatliches Handeln ersetzen. Ziel politischen Handelns muss die Förderung freiwilliger Tätigkeiten als solchen sein, sie dürfen nicht instrumentalisiert werden, weil sie sonst ihre Existenzberechtigung und ihren besonderen Wert verlieren, die auf der freien Wahl der Menschen basieren.

4.6.9

Nach Ansicht des EWSA hat der Staat allerdings auf der einen Seite die Aufgabe, die für freiwillige Aktivitäten notwendige Infrastruktur bereitzustellen. Denn freiwillige Tätigkeiten sind zwar kostenlos — aber nicht umsonst zu haben. Auch zeigt die Erfahrung in einigen europäischen Ländern, dass eine gezielte Infrastruktur zur Unterstützung freiwilliger Aktivitäten deren Umfang und Qualität erheblich steigert. Die Unterstützung und Beratung von Freiwilligenorganisationen sowie die Motivation von Freiwilligen, ihre Ausbildung, Betreuung und Begleitung sowie eventuelle Kostenerstattung kosten Geld — machen sich aber mehr als bezahlt. Hierbei kann der Staat — über eine strategische Programmplanung, Sensibilisierung der Öffentlichkeit und Koordinierung — eine aktive Rolle übernehmen. Damit freiwillige Tätigkeiten besser bekannt werden, muss der Staat die Erarbeitung von Studien finanzieren und den Schwerpunkt darauf legen, dass der Geist freiwilliger Aktivitäten in der Bildung Einzug hält.

4.6.10

Auf der anderen Seite müssen alle beteiligten Akteure (Staat, Unternehmen, Gewerkschaften und Freiwilligenorganisationen) gemeinsam an einem Strang ziehen, wenn freiwillige Aktivitäten gefördert und voran gebracht und ihre gesellschaftliche Anerkennung gesteigert werden sollen. Eine effektive Netzwerkarbeit der Freiwilligenorganisationen zum Austausch vorbildhafter Praxis und zur Bündelung der Kräfte ist hier ebenso unabdingbar wie der Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Sektoren.

Brüssel, den 13. Dezember 2006

Der Präsident

des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Dimitris DIMITRIADIS


(1)  Die von der Europäischen Kommission finanzierte Studie EUYOUPART 2003-2005 über die gesellschaftliche Teilhabe von Jugendlichen zeigt beispielsweise, dass in allen acht beteiligten europäischen Staaten Jugendliche zivilgesellschaftlichen Organisationen mehr als staatlichen Einrichtungen vertrauen.

http://www.sora.at/images/doku/euyoupart_finalcomparativereport.pdf.

(2)  Informelles Lernen: Lernen, das im Alltag, am Arbeitsplatz, in der Familie oder in der Freizeit stattfindet. Es ist (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) nicht strukturiert und führt üblicherweise nicht zur Zertifizierung. Informelles Lernen kann zielgerichtet sein, ist jedoch in den meisten Fällen nichtintentional (oder „inzidentell“/beiläufig).

(3)  Nicht-formales Lernen: Lernen, das nicht in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung stattfindet und üblicherweise nicht zur Zertifizierung führt. Gleichwohl ist es strukturiert (in Bezug auf Lernziele, Lerndauer und Lernmittel). Aus Sicht der Lernenden ist es zielgerichtet.

(4)  Formales Lernen: Lernen, das üblicherweise in einer Bildungs- oder Ausbildungseinrichtung stattfindet, (in Bezug auf Lernziele, Lernzeit oder Lernförderung) strukturiert ist und zur Zertifizierung führt. Formales Lernen ist aus der Sicht des Lernenden zielgerichtet. Quelle: KOM(2001) 678 endg.

(5)  Vgl. die vom Europäischen Freiwilligenzentrum (CEV) veröffentlichten Studie „Facts & Figures Research Project“ (Forschungsprojekt zur Sammlung von Statistiken und Informationen) (2004-2006)

(http://www.cev.be/facts&figures.htm).

(6)  Folgende Arbeiten des EWSA lassen sich mit dem Thema freiwillige Aktivitäten in Verbindung bringen:

 

Stellungnahme des EWSA zum Thema „Jugendpolitik“, Berichterstatterin: Frau van TURNHOUT (ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 35-41);

 

Stellungnahme des EWSA zum Thema „Jugend in Aktion im Zeitraum 2007-2013“, Berichterstatter: Herr RODRÍGUEZ GARCÍA-CARO (ABl. C 234 vom 22.9.2005, S. 46-51);;

 

Stellungnahme des EWSA zum Thema „Unionsbürgerschaft: Verbesserung ihrer gesellschaftlichen Wahrnehmung und Wirkung“, Berichterstatter: Herr VEVER (noch nicht im Amtsblatt veröffentlicht);

 

Stellungnahme des EWSA zum Thema „Aktionsprogramm Aktive Bürgerschaft“, Berichterstatter: Herr LE SCORNET (ABl. C 28 vom 3.2.2006, S. 29-34).

(7)  KOM(2004) 337 endg.

(8)  Robert D. Putnam, Bowling AloneThe Collapse and Revival of American Community (Kegeln allein: „Der Zusammenbruch und die Erneuerung der amerikanischen Gemeinschaft“); New York, Simon and Schuster, 2000.

(9)  Der Europäische Pakt für die Jugend wurde vom Europäischen Rat auf seiner Frühjahrstagung 2005 im Rahmen der revidierten Lissabon-Strategie verabschiedet und soll die berufliche und allgemeine Bildung, die Mobilität, die soziale Eingliederung junger Menschen verbessern und zugleich die Vereinbarung von Beruf und Familie erleichtern. In diesem Zusammenhang hat der Europäische Rat die EU und die Mitgliedstaaten aufgefordert, die Mobilität junger Menschen durch einen Abbau der Hemmnisse für Praktikanten, Freiwillige, Arbeitnehmer und ihre Familien zu fördern. Anhang 1 der Schlussfolgerungen des Vorsitzes des Europäischen Rates, Brüssel, 22./23. März 2005 (7619/05).


ANHANG

zu der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses

Der folgende Änderungsantrag, auf den mehr als ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen entfiel, wurde im Verlauf der Beratungen abgelehnt:

Ziffer 3.6 streichen

Begründung

Als einer der wenigen EWSA-Stellungnahmen, die sich so ausführlich mit freiwilligen Aktivitäten befassen, kommt der vorliegenden Stellungnahme besondere Bedeutung zu. Die darin enthaltenen Definitionen, Beispiele und Thesen sind insofern relevant, als bei der Einstufung einer Tätigkeit als freiwilliges Engagement bzw. als Sozialarbeit in weiteren Stellungnahmen zu diesem Thema auf diese zurückgegriffen werden wird.

Ich schlage hiermit vor, die Definitionen, derer sich sowohl die Vereinten Nationen als auch die Internationale Arbeitsorganisation bedienen, zu streichen. Meines Erachtens muss sich der EWSA in der vorliegenden Stellungnahme keinesfalls auf diese Definitionen berufen, da sich die Kommissionsvorlage, zu der der EWSA seine Stellungnahme erarbeitet, ausschließlich auf das freiwillige Engagement per se bezieht, d.h. die unbezahlte Freiwilligentätigkeit.

Durch die Annahme meines Änderungsantrags durch das Plenum würde die Stellungnahme verständlicher und hinterließe beim Leser keine unnötige Verwirrung. Außerdem wäre die Stellungnahme so kürzer.

Abstimmungsergebnis

Ja-Stimmen: 53

Nein-Stimmen: 61

Stimmenthaltungen: 24


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