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Document 52005DC0546

Mitteilung der Kommission an den Rat über die Einleitung von Konsultationen mit Mauretanien nach Artikel 96 des Abkommens von Cotonou

/* KOM/2005/0546 endg. */

52005DC0546

Mitteilung der Kommission an den Rat über die Einleitung von Konsultationen mit Mauretanien nach Artikel 96 des Abkommens von Cotonou /* KOM/2005/0546 endg. */


[pic] | KOMMISSION DER EUROPÄISCHEN GEMEINSCHAFTEN |

Brüssel, den 28.10.2005

KOM(2005) 546 endgültig

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT

über die Einleitung von Konsultationen mit Mauretanien nach Artikel 96 des Abkommens von Cotonou

MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT

über die Einleitung von Konsultationen mit Mauretanien nach Artikel 96 des Abkommens von Cotonou

Die jüngste Geschichte Mauretaniens ist von zahlreichen Putschversuchen geprägt. Auch Oberst Ould Taya übernahm 1984 durch einen Staatsstreich die Macht von Präsident Ould Haidallah.

Anfang der 90er Jahre wurde auf Druck der internationalen Gemeinschaft eine neue Verfassung in Kraft gesetzt und politische Parteien zugelassen. Auf die 1992 abgehaltenen Präsidentschaftswahlen, die der Präsident gewann, folgten die Parlamentswahlen von 1996 und die Präsidentschaftswahlen von 1997, deren Ordnungsmäßigkeit angezweifelt wurde. 2001 fanden wieder Parlamentswahlen – diesmal unter demokratischeren Umständen – statt, bei denen trotz einer überwältigenden Mehrheit der herrschenden Partei und ihrer Bündnispartner eine Gruppe von Abgeordneten der Opposition gewählt wurde. Vor den letzten Präsidentschaftswahlen (2003) war der Kandidat, der den zweiten Platz erreichen sollte, der ehemalige Präsident Ould Haidallah, verhaftet und wieder frei gelassen worden; nach der Wahl wurde er erneut verhaftet.

Die jüngsten Putschversuche wurden im Juni 2003 und im August und September 2004 von Soldaten islamistischer Tendenz unternommen. Die mutmaßlichen Täter sowie die zivilen islamistischen Führer und die Führer der „klassischen“ politischen Opposition wurden im Prozess von Ouad Naga verurteilt. Trotz der Vermengung der verschiedenen Fälle, gewisser Unregelmäßigkeiten während des Prozesses und der von der Anklage geforderten hohen Strafen endete der Prozess von Ouad Naga mit einem gemäßigten Urteil. Im April und Mai 2005 kam es zu einer gegen Islamisten gerichteten Verhaftungswelle, worauf Terroristen einen Anschlag auf ein Geschwader der mauretanischen Armee im Norden des Landes verübten. Der Präsident mobilisierte daraufhin die Armee, um die terroristischen Gruppen zu bekämpfen.

Auf außenpolitischem Gebiet pflegte die Regierung von Präsident Ould Taya zunächst die Beziehungen zu Irak, wandte sich aber später dem Westen zu. 1999 nahm sie auch diplomatische Beziehungen zu Israel auf. Diese Politik leistete der religiösen Fundamentalopposition Vorschub, die die Regierung zu unterdrücken suchte. Außerdem führten die Außenpolitik Mauretaniens, die vor kurzem erfolgte Annäherung an die Vereinigten Staaten in den Bereichen Sicherheit und Bekämpfung des Terrorismus und die Unterdrückung der religiösen Fundamentalopposition im Innern zu Spannungen mit Libyen, Saudi-Arabien und anderen arabischen Staaten.

Mauretanien gehört weder der ECOWAS (die sie 2000 verlassen hat) noch der UEMOA an, ist jedoch Mitglied der Union des arabischen Maghreb ( Union du Maghreb Arabe , UMA). Das Land nimmt als Gast am Europa-Mittelmeer-Dialog von Barcelona teil und hat Ende Mai 2005 einen förmlichen Aufnahmeantrag gestellt.

Vor diesem Hintergrund fand der Staatsstreich vom 3. August 2005 statt.

Der Staatsstreich, dessen wahre Gründe nicht vollständig bekannt sind, wurde ohne Blutvergießen von Soldaten aus der näheren Umgebung des bisherigen Präsidenten Ould Taya durchgeführt, die einen Militärrat ( Conseil Militaire pour la Justice et la Démocratie , CMJD) eingesetzt haben. Oberst Ely Ould Mohamed Vall, der unter der bisherigen Regierung Direktor der Staatssicherheit war, führt den Vorsitz im CMJD, der sich aus 15 weiteren Obersten und einem Kapitän zur See zusammensetzt.

Der CMJD hat eine Verfassungscharta verkündet, mit der die Befugnisse des 2001 gewählten Parlaments außer Kraft gesetzt werden. Der Militärrat übt die gesetzgebende Gewalt durch Verordnungen aus. Im Einklang mit der Verfassungscharta wurde eine Übergangsregierung ernannt, deren Mitglieder aus den politischen Parteien, denen sie angehörten, ausgetreten sind.

Die neue Regierung ist von allen Kreisen der Bevölkerung, ungeachtet der Volkszugehörigkeit, von den politischen Parteien (nach einer anfänglichen Verurteilung einschließlich der PRDS, der Partei des bisherigen Präsidenten) und von den gemäßigten islamistischen Gruppen akzeptiert worden. Der CMJD hat eine Reihe öffentlicher Zusagen gegeben, die nun nach und nach in Verordnungen umgesetzt werden:

a) Es werden Verfassungsänderungen vorgeschlagen, die die Amtszeit und die Wiederwahl des Präsidenten beschränken und jede spätere Änderung in diesem Punkt unmöglich machen. Hierüber wird nach Beratungen mit allen Beteiligten in Mauretanien innerhalb von 12 Monaten nach dem Staatsstreich ein Verfassungsreferendum abgehalten.

b) Nach dem Verfassungsreferendum finden innerhalb von 24 Monaten nach dem Staatsstreich freie und transparente Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Die Mitglieder des CMJD und der Übergangsregierung dürfen weder an der Arbeit und am Wahlkampf der politischen Parteien teilnehmen, noch sich zur Wahl stellen, die von einer Unabhängigen Wahlkommission in Anwesenheit internationaler Beobachter überwacht wird.

c) Es werden Maßnahmen in den Bereichen Organisation des Übergangs zur Demokratie, Reform der Justiz und verantwortliche Staatsführung getroffen.

d) Die politischen Freiheiten werden garantiert und die politischen Gefangenen frei gelassen.

e) Die von Mauretanien ratifizierten völkerrechtlichen Verträge und sonstigen Übereinkünfte werden eingehalten.

Der CMJD hat eine Verfassungsverordnung erlassen, die die Nichtwählbarkeit der Mitglieder des Militärrats und der Übergangsregierung bei den im Rahmen des Übergangs zur Demokratie vorgesehenen Wahlen bestätigt. Außerdem hat die Regierung bei den Vereinten Nationen ein Ersuchen um Wahlunterstützung für das Verfassungsreferendum, die Parlamentswahlen und die Präsidentschaftswahlen gestellt.

Der Staatsstreich vom 3. August wurde von der internationalen Gemeinschaft verurteilt, insbesondere vom Generalsekretär der Vereinten Nationen, vom Präsidenten der Kommission der Afrikanischen Union (die die Mitgliedschaft Mauretaniens ausgesetzt hat), von der Präsidentschaft der Europäischen Union und von der Kommission.

Im Anschluss an eine Mission nach Nouakchott ermutigte der Friedens- und Sicherheitsrat der Afrikanischen Union auf seiner Tagung vom 8. September 2005 angesichts der Entwicklung der Lage „die mauretanische Regierung und die übrigen beteiligten Akteure, weiter gemeinsam auf die rasche Wiederherstellung der verfassungsmäßigen Ordnung, die Fortsetzung und Vertiefung des Dialogs und der Beratungen zwischen allen beteiligten Akteuren und die Festigung der Demokratie und des Rechtsstaats im Rahmen der Einheit und der Souveränität Mauretaniens hinzuarbeiten.“

Noch am Tage des Staatsstreichs erinnerte die Präsidentschaft der Europäischen Union an ihre Verurteilung jedes Versuchs einer gewaltsamen Machtübernahme, während die Kommission in einer Erklärung die gewaltsame Machtübernahme bedauerte und zur Wahrung der Demokratie und zur Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung aufrief. In dieser Erklärung wurde auch angekündigt, dass die Kommission zu gegebener Zeit die Lage nach Maßgabe der einschlägigen Bestimmungen des Abkommens von Cotonou bewerten wird, zu dessen Unterzeichnern Mauretanien gehört.

In Artikel 9 Absatz 2 des AKP-EG-Partnerschaftsabkommens, das am 23. Juni 2000 in Cotonou unterzeichnet und am 25. Juni 2005 in Luxemburg geändert wurde, sind die wesentlichen Elemente festgelegt, auf denen die Partnerschaft beruht. Die Wahrung der Grundsätze der Demokratie und der Rechtsstaatlichkeit, von denen sich die Vertragsparteien in ihrer Innen- und Außenpolitik leiten lassen, sind wesentlicher Bestandteil dieses Abkommens. In Anbetracht dieses Artikels und der Umstände, unter denen der Regierungswechsel in Mauretanien stattgefunden hat, erachtet es die Kommission für notwendig, einen Dialog mit den neuen Machthabern zu führen, um folgende Punkte zu klären:

1. die Organisation der Wahlen, insbesondere i) die Überprüfung der Wählerverzeichnisse, ii) die praktischen Voraussetzungen für die Teilnahme an den Wahlen, iii) die praktischen Voraussetzungen für die Arbeit der Unabhängigen Wahlkommission und iv) die praktischen Voraussetzungen für die Entsendung von Beobachtermissionen;

2. die Abhaltung der Wahlen und der Zeitplan; zum jetzigen Zeitpunkt scheint die vorgesehene Frist für die Abhaltung der Wahlen (24 Monate) bei weitem länger als für die Vorbereitungen erforderlich zu sein und sollte verkürzt werden;

3. die Einhaltung der Zusagen früherer Regierungen in Bezug auf die verantwortliche Staatsführung, insbesondere i) die Einführung von Regeln, die Transparenz in der Bewirtschaftung und Verteilung der Bergbau- und Erdöleinnahmen gewährleisten, ii) die Liberalisierung des Landverkehrssektors und iii) Transparenz in der Haushaltsführung und der makroökonomischen Steuerung.

4. die zu treffenden Maßnahmen in den Bereichen i) Justizreform und ii) Förderung der staatsbürgerlichen Grundrechte und der freien Meinungsäußerung.

Ein solcher Dialog ermöglicht es der mauretanischen Regierung, zu den genannten Punkten Stellung zu nehmen, und der Europäischen Union zu prüfen, inwieweit sie auf der Grundlage dieses Dialogs die Anstrengungen des Landes zu einer besseren Wahrung der wesentlichen Elemente des geänderten Abkommens von Cotonou unterstützen könnte.

Aufgrund der Umstände unter denen der Regierungswechsel stattfand, sowie den Formen der politischen Organisation, welche von den neuen Behörden erstellt wurden, findet die Kommission, dass es sich um einen besonderen Notfall handelt, der es rechtfertigt aufgrund von Artikel 96(1a) des geänderten Abkommens von Cotonou, dass es nicht notwendig ist, die Möglichkeiten des politischen Dialoges, vorgesehen von Artikel 8 des gleichen Abkommens, zu erschöpfen. Sie wünscht jedoch formell mit der Regierung über Ihre Verpflichtungen diskutieren zu können, bevor angemessene Maßnahmen ergriffen werden. Daher schlägt die Kommission dem Rat vor, die Islamische Republik Mauretanien mit dem im Entwurf beigefügten Schreiben nach den Artikeln 9 und 96 des geänderten Abkommens von Cotonou um Konsultationen zu ersuchen.

Die Kommission schlägt vor, dass die laufenden Maßnahmen der Zusammenarbeit, die aus dem 6., 7., 8. und 9. EEF finanziert werden, während der Konsultationen fortgesetzt werden, sofern die besonderen Bedingungen der Finanzierungsabkommen erfüllt sind. Außerdem wird vorgeschlagen, dass die Ausarbeitung von Maßnahmen der Zusammenarbeit, die zur Rückkehr zur Demokratie und zur Verbesserung der Staatsführung beitragen können, ebenfalls fortgesetzt wird.

ANLAGE

Brüssel, den

S.E. Monsieur Sidi Ahmed Ould BoubacarPremier Ministre de la RépubliqueIslamique de MauritanieNouakchottMauritanie

ENTWURF

Sehr geehrter Herr Premierminister,

In ihrer Erklärung vom 3. August 2005 zum Staatsstreich in Mauretanien erinnerte die Präsidentschaft der Europäischen Union an ihre Verurteilung jedes Versuchs einer gewaltsamen Machtübernahme.

Am selben Tage bedauerte die Europäische Kommission in einer Erklärung die gewaltsame Machtübernahme und rief zur Wahrung der Demokratie und zur Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung auf.

Aufgrund der Umstände, unter denen der Regierungswechsel in Mauretanien stattfand, sowie der Formen der politischen Organisation, welche von den neuen Behörden erstellt wurden, findet die Europäische Union, dass wesentliche Bestandteile des geänderten Abkommens von Cotonou verletzt wurden. Außerdem ist die Europäische Union der Auffassung, dass es sich um einen besonderen Notfall handelt, der es rechtfertigt aufgrund von Artikel 96(1a) desselben Abkommens, dass es nicht notwendig ist, die Möglichkeiten des politischen Dialoges, vorgesehen von Artikel 8 des Abkommens, zu erschöpfen.

Die Europäische Union wünscht jedoch, formell mit Ihrer Regierung über ihre Verpflichtungen diskutieren zu können, bevor angemessene Maßnahmen ergriffen werden. Daher laden wir im Namen der Gemeinschaft und der Mitgliedstaaten der Europäischen Union Ihr Land zu Konsultationen nach Artikel 96 des geänderten Abkommens von Cotonou ein, um die Lage eingehend zu prüfen und gegebenenfalls Lösungen anzubieten. Die Europäische Union ihrerseits wird diese Konsultationen in einem konstruktiven Geiste der Dialogbereitschaft führen.

Diese Konsultationen sollten es der mauretanischen Seite ermöglichen, ihr Programm für den Übergang der Regierung zu erläutern, im besonderen:

- die Punkte bezüglich der Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen sowie der Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung;

- die zu treffenden Maßnahmen in den Bereichen der verantwortungsvollen politischen und wirtschaftlichen Staatsführung, der Justizreform und der Förderung der staatsbürgerlichen Grundrechte und der freien Meinungsäußerung.

Wir schlagen vor, dass diese Konsultationen bald an einem gemeinsam festgelegten Datum im Gebäude des Rates der Europäischen Union in Brüssel stattfinden.

Hochachtungsvoll

Für den Rat Für die Kommission

Copies: Monsieur le Président du Comité des Ambassadeurs ACP Monsieur le Secrétaire général du Groupe des États ACP

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