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Document 52002DC0262

    Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Produktivität: Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Unternehmen [SEC(2002) 528]

    /* KOM/2002/0262 endg. */

    52002DC0262

    Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament - Produktivität: Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Unternehmen [SEC(2002) 528] /* KOM/2002/0262 endg. */


    MITTEILUNG DER KOMMISSION AN DEN RAT UND DAS EUROPÄISCHE PARLAMENT - Produktivität: Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Volkswirtschaften und Unternehmen [SEC(2002) 528]

    Inhalt

    1. Einleitung

    2. Produktivität und Lebensstandard in der EU

    3. Beitrag von IKT und Innovation zum Produktivitätszuwachs

    4. Produktivitätszuwächse im verarbeitenden Gewerbe der EU in den letzten Jahren

    5. Produktivitätszuwächse im Dienstleistungssektor der EU in den letzten Jahren

    6. Humankapital und Produktivitätszuwachs

    7. Unternehmenspolitik, Wettbewerbspolitik und Produktivitätssteigerung

    8. Unternehmenspolitik und nachhaltige Entwicklung im produzierenden Bereich

    9. Schlussfolgerungen

    1. Einleitung

    Diese Mitteilung, die auf zwei neueren Berichten [1] der Kommission fußt, soll die politischen Entscheidungsträger auf das unzureichende Wachstum der Arbeitsproduktivität in der EU aufmerksam machen sowie auf dessen Ursachen und die Folgen, die sich daraus für die Ziele, die der Europäische Rat von Lissabon im März 2000 beschlossen hat - die Lissabonner Strategie - ergeben. Das Produktivitätswachstum wird vor dem Hintergrund der bestehenden politischen Rahmenbedingungen betrachtet, und es wird darauf hingewiesen, dass die Ziele der Lissabonner Strategie nur mit großer politischer Entschlossenheit realisiert werden können.

    [1] European Competitiveness Report 2001, Commission Staff Working Paper, SEC(2001) 1705, 29.10.2001) und European Competitiveness Report 2002, Commission Staff Working Paper (erscheint in Kürze). Da sich diese Berichte auf enger gefasste Themenbereiche konzentrieren, werden andere wichtige Aspekte des Wirtschaftswachstums in der EU wie die Rolle von wirtschaftspolitischen Maßnahmen, Qualifikationen, FuE, spezifischen Beschäftigungsinitiativen wie Arbeitskräftemobilität oder die Rolle der Ausbildung außer Acht gelassen. Die Aktivitäten der Kommission in diesen wichtigen Bereichen verdienen aber jedenfalls ausführlichere Beachtung.

    Die Mitteilung bezieht sich nicht auf alle Faktoren, die zum Produktivitätswachstum beitragen. Übereinstimmend mit jüngsten Berichten zur Wettbewerbsfähigkeit, beschränkt sich ihr Fokus auf die Betrachtung der speziellen Rolle, die neue Technologien, Innovationen und damit verbundene Fragen spielen. Die Mitteilung stellt eine ergänzende Betrachtung der Produktivitätsbedingungen dar, die der Lissabonstrategie zugrunde liegen. Sie beabsichtigt auch, damit eine Gelegenheit für das Europäische Parlament, den Rat, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und das Komitee der Regionen, ebenso wie die Betroffenen zu schaffen, bei der sie ihre Meinung zur gegenwärtigen Produktivität, ihrer Entwicklung und den notwendigen Politiken für eine nachhaltige Erhöhung ihrer Wachstumsrate in der EU, ausdrücken und diskutieren können.

    Die gegenwärtige Entwicklung europäischen Produktivitätswachtums reicht nicht aus die wirtschaftlichen, sozialen und Umweltschutzziele, die in der Lissabonstrategie festgelegt wurden, in den verbleibenden Jahren bis 2010 zu erreichen. Politische Initiativen der Mitgliedsstaaten und der Kommission zur Durchführung der notwendigen und bereits identifizierten Strukturreformen müssen rasch ergriffen werden um diese Situation zu korrigieren. Das Lissabonziel wird nicht erreicht werden, wenn dies nicht geschieht.

    Diese Mitteilung diskutiert im Rahmen der Lissabonstrategie jene Faktoren, die das Produktivitätswachtum bestimmen und bietet die Basis für einige zentrale Fragen. Die rasche technologische Entwicklung erfordert eine Reorganisation wirtschaftlicher Tätigkeit, um die sich daraus ergebenden Möglichkeiten nutzen zu können. Obwohl im Rahmen der Lissabonstrategie bereits Schritte gesetzt wurden, ist es wichtig zu fragen, ob diese ausreichend sind und ob sie mit der nötigen Dringlichkeit umgesetzt werden. Wenn nicht, wird das neue technologische Umfeld nicht entstehen und weder Produzenten noch Konsumenten werden dessen Vorteile nutzen können. Stückwerk in der Umsetzung der Lissabonstrategie reicht nicht aus Produktivität und Wirtschaftswachstum hinreichend zu beschleunigen. Nur ein umfassender Ansatz, in dem alle notwendigen Schritte in einer koordinierten Weise gesetzt werden, wird erfolgreich sein.

    Das Wirtschaftswachstum hängt von der Akkumulation von Human- und physischem Kapital, Beschäftigtenzuwächsen sowie der Effizienz des Einsatzes dieser Faktoren ab. Die Fähigkeit, mit einem bestimmten Arbeits- und Kapitalinput mehr Output zu erzielen, entspricht einem Produktivitätszuwachs, der wiederum von einer Qualitätssteigerung des physischen Kapitals, von verbesserten Qualifikationen der Arbeitskräfte, technologischem Fortschritt und neuen Formen der Organisation dieser Inputs abhängt. Produktivitätssteigerung gilt seit jeher als die wichtigste Quelle wirtschaftlichen Wachstums. Sie hat nicht nur eine Steigerung des Outputs ohne gleichzeitiger Erhöhung der Inputs bewirkt, sondern diese trotz einer, mittelfristig erheblichen, Reduzierung der Arbeitsstunden und einem anhaltenden Anstieg der Realeinkommen ermöglicht.

    Die jüngste Verlangsamung des Produktivitätszuwachses in der EU ist gleichbedeutend mit einer Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit [2]. Unternehmen werden wettbewerbsfähig, wenn sie einen dauerhaften Zuwachs der Arbeitsproduktivität und der totalen Faktorproduktivität verzeichnen, der es ihnen ermöglicht, die Stückkosten anderer Unternehmen zu unterbieten und diese auch bei den anderen Faktoren als den Kosten zu schlagen. Das gilt sowohl hinsichtlich der Konkurrenz im Inland als auch auf internationaler Ebene. Ein derartiger Produktivitätszuwachs ermöglicht es einem Unternehmen, seine Expansionspläne zu finanzieren und außerdem dauerhafte Reallohnerhöhungen zu finanzieren. In gleicher Weise erzielt ein Staat durch anhaltendes Produktivitätswachstum eine Erhöhung des Lebensstandards.

    [2] Wettbewerbsfähigkeit wird als dauerhafter Anstieg der Realeinkommen und der Lebensstandards in Regionen oder Staaten, bei einem Arbeitsplatzangebot für alle, die eine Beschäftigung suchen, verstanden. Diese Definition verwendet beispielsweise der European Competitiveness Report 2001, op. cit. Nach diesem Konzept, das sich von dem enger gefassten Begriff der Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen unterscheidet, sind inländische Faktoren die entscheidenden Determinanten der Wettbewerbsfähigkeit. Siehe dazu: P. Krugman, Competitiveness: A Dangerous Obsession, Foreign Affairs, März/April 1994.

    Produktivitätszuwächse stärken die Wettbewerbsposition innovativer Unternehmen, sie senken nicht nur die Stückkosten, sondern führen auch zu einer Erweiterung des Marktes für deren Produkte. Die Bürgerinnen und Bürger profitieren von besseren Produkten zu niedrigeren Produktpreisen und von einem mittelfristig wachsenden Arbeitsplatzangebot. Selbst wenn sich Produktivitätszuwächse zunächst auf bestimmte Wirtschaftszweige beschränken, entfaltet sich ihre Wirkung letztlich auch in anderen Sektoren, bedingt durch Änderungen der relativen Preise und einem damit verbundenen Anstieg der Realeinkommen. In einem Land mit einem starken, anhaltenden Produktivitätswachstum wird auch der Lebensstandard schnell steigen [3], wie Europas von Wachstum und Konvergenz geprägtes goldenes Zeitalter nach dem zweiten Weltkrieg, zumindest bis zum ersten Ölschock, gezeigt hat.

    [3] Outputzuwachs ist per definitionem die Summe der Zuwächse von Arbeitsinput und Arbeitsproduktivität. Produktivitätszuwachs und Anstieg der Lebensstandards sind eng miteinander verbunden, da der Anstieg der Reallöhne dem Zuwachs der Arbeitsproduktivität entspricht. Während Daten für einen kurzen Zeitraum nur eine schwache Korrelation erkennen lassen, ist über lange Perioden eine robuste und sehr hohe Korrelation zwischen dem Anstieg der Realeinkommen pro Kopf und dem Zuwachs der Arbeitsproduktivität festzustellen. Für die EU insgesamt liegt die Korrelation zwischen Realeinkommen pro Kopf und Arbeitsproduktivität im Zeitraum 1980-1985 bei 1,00. Dieser Wert gilt auch dann noch, wenn Beobachtungen in 5-Jahresintervallen bis einschließlich 2001 addiert werden.

    Trotz guter makroökonomischer Ergebnisse in den vergangenen Jahren konnte die Entwicklung der Arbeitsproduktivität in der EU in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre mit den Erfolgen früherer Jahre nicht Schritt halten, was als eine besonders ungünstige Entwicklung angesehen werden muss. Da Beschäftigungszuwächse nur langsam erreicht werden Können, hängen Einkommenszuwächse in der EU vor allem von Steigerungen der Arbeitsproduktivität ab. Das Versagen in den letzten Jahren gleich hohe Steigerungen wie in der Vergangenheit zu erzielen, bedeutet, dass das frühere Wachstum von Volkseinkommen und Lebensstandards nicht aufrecht erhalten werden kann.

    Produktivitätszuwächse werden von einer Vielzahl von Faktoren bestimmt. Die zentrale Aussage dieser Mitteilung ist, dass für den unzureichenden Produktivitätszuwachs, den Europa in jüngster Zeit erzielt hat, die ungenügende Innovationstätigkeit, mangelnde Investitionen in die Informations- und Kommunikationstechnologien (IKT) und deren zu geringe Verbreitung verantwortlich sind. Das hat sich in dramatischer Weise auf den Leistungsvergleich zwischen USA und EU ausgewirkt. Der Wachstumsschub in den Vereinigten Staaten setzte sich auch noch während der jüngsten wirtschaftlichen Abschwächung fort. Der anhaltende Anstieg der Arbeitsproduktivität in den USA selbst im Rezessionsjahr 2001 steht in scharfem Kontrast zur traditionellen prozyklischen Entwicklung des Produktivitätszuwachses [4]. In dieser Entwicklung spiegeln sich die Erfolge der Investitionen in technologieintensive und innovative Sparten wider. Durch die IKT-Revolution wurde in den USA eine Umstrukturierung von Unternehmen in Gang gesetzt, die die Wettbewerbsbedingungen verändert hat. Auch auf dem Arbeitsmarkt werden verstärkt Qualifikationen auf dem Gebiet der neuen Technologien nachgefragt. In der EU haben die wissensbasierten Branchen zwar einen Beschäftigungszuwachs bewirkt, aber die Entwicklung der Produktivität war weit weniger günstig als in den USA.

    [4] Der Produktivitätszuwachs ist in einer Rezession eher rückläufig und erholt sich in der Phase konjunkturellen Aufschwungs, da die Unternehmen Arbeit horten. In den USA verzeichnete die Produktivität trotz der abgeschwächten Wirtschaftstätigkeit im vergangenen Jahr weiterhin eine robuste Steigerungsrate. Nach Schätzungen der Bureau of Labour Statistics erhöhte sich die Produktivität nichtlandwirtschaftlicher Unternehmen im 4. Quartal 2001 um 5,2 % gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Der Jahresdurchschnitt von 2,0 % lag zwar unter dem Durchschnitt von 2,6 % für den Zeitraum 1995-2000, aber er wurde immerhin in einem Rezessionsjahr erzielt.

    Dies weist auf bestimmte Merkmale hin, die typischerweise Länder oder Regionen besitzen, die ein starkes, dauerhaftes Produktivitätswachstum verzeichnen. Dazu gehören technologische Veränderungen, ein gut gepflegtes und wachsendes Humankapital und ein vitales, innovatives Umfeld. In einem solchen Umfeld entstehen Chancen für den Aufbau neuer Unternehmen, eine Veränderung der Arbeitsstrukturen bestehender Unternehmen und eine Modernisierung ihrer Produktionsweise. Der Wettbewerbsrahmen seinerseits, ist für den Erhalt eines solchen Umfeldes entscheidend, da intensiver Wettbewerb Innovationen beschleunigt, das Produktivitätswachstum fördert und die Wettbewerbsfähigkeit stärkt.

    Das Produktivitätswachstum hat zudem erheblichen Anteil an dem umfassenden Aspekt ökologischer, sozialer und ökonomischer Nachhaltigkeit, weil es Öko-Effizienz, also den Output der Industrie in Relation zum Ressourcenverbrauch oder Schadstoffemissionen bestimmt. Produktivitätszuwachs ist daher ein Teil sowohl ökonomischer als auch ökologischer Nachhaltigkeit.

    Alle diese Merkmale werden durch die Politik beeinflusst, die damit erheblichen Einfluss auf die Produktivitätsentwicklung nehmen kann. Deshalb ist es wichtig, die schwache Produktivität der EU mit ihren Ursachen und Konsequenzen zu verstehen. Im Folgenden soll versucht werden, zu diesem Verstehen und zur Einschätzung der damit zusammenhängenden politischen Aspekte beizutragen.

    2. Produktivität und Lebensstandard in der EU

    Seit Anfang der 70er Jahre erreichte der Lebensstandard der EU im Vergleich zu den USA, gemessen am BIP pro Kopf, zwischen 65 % und 70 %. Ende der 80er Jahre schien sich der Konvergenzprozess fortzusetzen, allerdings nur kurze Zeit. 2001 betrug das BIP der EU pro Kopf nur noch 65 % des US-Wertes und war damit auf dem niedrigsten Stand seit mehr als fünfundzwanzig Jahren gesunken. Abbildung 1 zeigt die Trendentwicklung des BIP pro Kopf der EU und der USA von 1970 bis zum Anfang des neuen Jahrhunderts.

    In der zweiten Hälfte der 90er Jahre verzeichneten die USA nach einer Periode erheblicher Verlangsamung beschleunigter Zuwächse sowohl der Arbeitsproduktivität (von durchschnittlich 1,2 % im Zeitraum 1990-95 auf 1,9 % im Zeitraum 1995-2001) als auch der Beschäftigung (von 0,9 % auf 1,3 %). In der EU verlangsamte sich der Zuwachs der Arbeitsproduktivität (von durchschnittlich 1,9 % in der ersten Hälfte des Jahrzehnts auf 1,2 % im Zeitraum 1995-2001), doch hat sich der Beschäftigungszuwachs erheblich verbessert (von einem Rückgang um 0,6 % in der ersten Hälfte des Jahrzehnts auf 1,2 % im Zeitraum 1995-2001). Im Jahr 2000 stieg die Beschäftigung trotz der Konjunkturdelle im zweiten Halbjahr um 1,8 %.

    Hinter den Zahlen für die EU verbergen sich erhebliche Unterschiede zwischen den Mitgliedstaaten. Österreich, Griechenland, Finnland, Irland, Luxemburg, Portugal und Schweden verzeichneten in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre einen Produktivitätszuwachs, der dem der USA entsprach oder ihn sogar noch übertraf. In Österreich, Griechenland und Irland hat sich diese Entwicklung bis 2001 fortgesetzt. Das könnte auf die Chancen hinweisen, die der Binnenmarkt kleineren Mitgliedstaaten eröffnet, und auf den dadurch verstärkten Wettbewerb, der sie veranlasst hat, Strategien zur Nutzung der IKT auf dem größeren europäischen Markt zu entwickeln.

    Die Herausforderung für die EU besteht in der Schaffung jener Bedingungen, die Voraussetzung für einen starken Zuwachs der Produktivität und der Beschäftigung sind und Grundlage für eine Steigerung des Volkseinkommens und gleichzeitig sicherstellen, dass diese Entwicklung mittelfristig aufrechterhalten werden kann. In der Lissabonner Strategie wird die Bedeutung der Erhöhung der Beschäftigungsquote in der EU bekräftigt. Zur Verwirklichung dieses Ziels wurde eine ganze Reihe von Initiativen auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten eingeleitet oder fortgesetzt (vor allem durch den Luxemburg-Prozess) [5]. Die Realisierung der auf dem Gipfel von Lissabon festgelegten Ziele hängt aber ganz entscheidend von der Wiederherstellung eines dauerhaften Produktivitätszuwachses in der EU ab.

    [5] Zu den Fortschritten auf dem Weg zur Realisierung der Ziele des Lissaboner Gipfels siehe: Die Lissaboner Strategie - Den Wandel herbeiführen, Mitteilung der Kommission für den Europäischen Rat auf seiner Frühjahrstagung in Barcelona, KOM(2002) 14 endg., 15.1.2002.

    Abbildung 1: BIP zu Marktpreisen von 1995 pro Kopf der Bevölkerung (linke Skala KKS 1995; 2001 Schätzungen, 2002-2003 Prognosen; rechte Skala Quotient EU-15/USA)

    >VERWEIS AUF EIN SCHAUBILD>

    Quelle: Dienststellen der Kommission (AMECO-Datenbank, Update 25.2.2002)

    3. Beitrag von IKT und Innovation zum Produktivitätszuwachs

    IKT ist ein Kernelement der Wissensgesellschaft und eine wichtige Ergänzung der FuE-Aktivitäten. IKT sind zum einen selbst Innovationen und zum anderen, durch ihren Universalcharakter, Instrument für weitere Innovationen in verschiedenen Branchen und Bereichen. Anders als herkömmliche Kapitalinvestitionen ist IKT eine Universaltechnologie, die mehr zu Produktivitätszuwachs und Wirtschaftswachstum beiträgt als die IKT produzierenden Branchen selbst. IKT sind auch ein zentrales Element für den Innovationserfolg moderner Volkswirtschaften [6].

    [6] Die Innovationsfähigkeit der EU und der Mitgliedstaaten wird mit verschiedenen Indikatoren gemessen. Siehe dazu: Innovationsanzeiger 2001, SEK(2001) 1414, 14.9.2001. Diese Indikatoren vermitteln ein uneinheitliches Bild der Parameter, die sich auf die Innovation in den Mitgliedstaaten auswirken (einige weisen auf Verbesserungen hin, andere nicht). Fest steht, dass die EU im Hinblick auf die wirtschaftliche und kommerzielle Nutzung von Innovationen und den Innovationsschub, der beispielsweise anhand der Patentanmeldungen gemessen wird, vor allem verglichen mit den USA, eine ungenügende Leistung erzielt.

    Alle Mitgliedstaaten mit einem starken Produktivitätswachstum, das mit dem der USA in den letzten Jahren vergleichbar oder sogar noch besser war, kennzeichnet ein weitreichender Einsatz von IKT. Inzwischen besteht Konsens darüber, dass der Produktivitätsschub in den USA und in einigen Mitgliedstaaten der EU in der zweiten Hälfte der 90er Jahre in unmittelbarem Zusammenhang mit der Nutzung und Verbreitung von IKT stand, die eine große und weiter zunehmende Bandbreite wirtschaftlicher Aktivitäten durchdringen. Bestätigt wird diese Entwicklung durch Daten auf Unternehmensebene, wo die Produktion von IKT und die Intensität ihrer Nutzung zu Schlüsselfaktoren für Spitzenproduktivität geworden sind. Daten aus den USA lassen darauf schließen, dass der Produktivitätsschub in der zweiten Hälfte der 90er Jahre eine breite Basis hatte und eine große Zahl von Industriebranchen betraf.

    Der in den letzten Jahren aufgetretene Produktivitätsabstand zwischen der EU und den USA ist zum Teil auf das niedrigere Niveau der Ausgaben für IKT zurückzuführen. Im Zeitraum 1992-99 beliefen sich die IKT-Ausgaben in der EU auf 5,6 % des BIP, während es in den USA 8,1 % waren. 1999 war der Quotient aus IKT-Ausgaben der EU und der USA auf 75 % zurückgegangen, gegenüber 90 % im Jahr 1992 [7].

    [7] Zu diesen Schätzungen siehe: European Competitiveness Report 2001, Tabelle III.1 und Abbildung III.1, op. cit.

    Empirische Schätzungen zeigen, dass der Beitrag der IKT zum Wirtschaftswachstum in der EU in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre 0,4 bis 0,5 Prozentpunkte ausmachte, in den USA dagegen schätzungsweise zwischen 0,8 und 1 Prozentpunkt. Die EU dürfte durch ihre niedrigeren IKT-Investitionen in den 90er Jahren Wirtschaftswachstum in einer Größenordnung von durchschnittlich 0,3 bis 0,5 Prozentpunkten verschenkt haben [8].

    [8] Siehe: European Competitiveness Report 2001, Kapitel III, op. cit. in dem auch Probleme mit den IKT-Daten erwähnt werden; außerdem ist anzumerken, dass Unsicherheit hinsichtlich des exakten Beitrags der IKT zum Produktivitätswachstum besteht.

    Der Nutzen der Produktion und Verwendung von IKT schlägt sich in ganz unterschiedlichen Chancen und Veränderungen einer Vielzahl von Geschäftsmethoden nieder. In Unternehmen sollen die IKT vor allem Informationen verarbeiten und damit die in einer dezentralisierten Volkswirtschaft endemischen Koordinierungskosten (z. B. Lagerhaltung) reduzieren. Unternehmen profitieren eindeutig von Verbesserungen der Organisation von Produktion und Distribution und der Lagerhaltung sowie von Kostensenkungen durch den Einsatz effizienter und leistungsfähiger Computer, die bestimmte Gruppen von Angestellten ersetzen. Die Unternehmen können damit effektiver auf Veränderungen in der Nachfrage nach ihren Produkten reagieren. Durch den Einsatz von IKT lassen sich die Wettbewerbsbedingungen verbessern und damit die Effizienz erhöhen und die Preise senken [9]. Schließlich war auch die Entstehung neuer Unternehmen und Branchen nur durch den intensiven Einsatz von IKT möglich.

    [9] Allerdings ist es möglich, dass Preisdiskriminierung oder Produktdifferenzierung einfacher werden, wenn man den Unternehmen Informationen über die Präferenzen der Verbraucher zur Verfügung stellt; siehe ,The Microeconomic Impact of Information and Communication Technologies in Europe", Kapitel 6, in The EU economy: 2001 Review Investing in the Future, European Economy, Nr. 73, 2001.

    In reifen Volkswirtschaften wird der Produktivitätszuwachs weniger durch Kapitalakkumulation bewirkt, als durch Innovationen in privaten und öffentlichen Institutionen und in Unternehmen. Deshalb müssen die richtigen Voraussetzungen für Innovationen gegeben sein verbunden mit den Bedingungen, die den Einsatz von IKT ermöglichen. Ein gutes Beispiel ist der enorme Aufschwung von Biotechnologie und Life Sciences in den letzten Jahren, der ohne die Verbreitung und Innovationen im Zusammenhang mit den IKT undenkbar gewesen wäre [10]. IKT in der Biotechnologie waren entscheidend für die Stimulierung und Unterstützung ergänzender Innovationen und die Stärkung des Wachstums in diesem Industriezweig [11].

    [10] Der Beitrag von IKT und Innovation zum Aufschwung der Biotechnologie und die aufgetretenen Hindernisse werden behandelt im European Competitiveness Report 2001, Kapitel V, op. cit., sowie in: A. Allansdottir et al., Innovation and Competitiveness in European Biotechnology, Enterprise Papers No 7, 2002, GD Unternehmen, Europäische Kommission.

    [11] Die Bedeutung der Biotechnologie für die Zukunft Europas wird inzwischen allgemein anerkannt. Die Kommission hat im Januar 2002 dazu einen Aktionsplan angenommen; siehe: Biowissenschaften und Biotechnologie: Eine Strategie für Europa, Mitteilung der Kommission an den Rat, das Europäische Parlament, den Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, KOM(2002) 27, 23.1.2002.

    Nachdem die IKT heute eine wichtige Rolle für die Modernisierung unserer Volkswirtschaften und der Förderung von Innovationen spielen, kommt es darauf an, die Bedingungen für ihre möglichst weite Verbreitung zu schaffen. Im Rahmen der Lissabonstrategie wurden bereits einige aber nicht alle genannt. Insbesondere muss noch die Frage des Gemeinschaftspatents geklärt werden. Zusätzlich wird die Gründung von Unternehmen immer noch durch Barrieren behindert; die Beziehungen zwischen Wissenschaft und Unternehmen in den Mitgliedsstaaten fördern Innovationen nicht ausreichend an entscheidenden Stufen der technologischen Erneuerung tritt ein akuter Mangel an qualifizierten Arbeitskräften auf und oft ist die kommerzielle Umsetzung eines Innovationskonzepts sehr schwierig. Auf diese Hindernisse sollten vor allem jene Mitgliedstaaten ihr Augenmerk richten, die in den letzten Jahren besonders schwache Produktivitäts- und Beschäftigungszuwächse zu verzeichnen hatten. Lehrreich sind die Erfahrungen der kleineren EU-Staaten, die sich über die 90er Jahre hinweg bemerkenswert gut behauptet haben.

    4. Produktivitätszuwächse im verarbeitenden Gewerbe der EU in den letzten Jahren

    Sowohl in der EU als auch in den USA besteht eine hohe Korrelation zwischen dem Produktivitätszuwachs im verarbeitenden Gewerbe und den Variablen, die für das Leistungspotential der Unternehmen, deren Nutzung und Auswertung von Wissensinput, die Anwendung von IKT und FuE-Aktivitäten stehen. Diese Faktoren hängen natürlich eng mit den Kräften zusammen, die sich im Innovationsprozess manifestieren. Daten aus der EU und den USA lassen erkennen, dass eine hohe FuE-Intensität nie, eine geringe Forschungsintensität aber üblicherweise mit einem schwachen Produktivitätszuwachs assoziiert ist [12].

    [12] Siehe: European Competitiveness Report 2001, Kapitel IV, op. cit.

    Im Gegensatz zur zweiten Hälfte der 80er Jahre war der Produktivitätszuwachs in den 90er Jahren im verarbeitenden Gewerbe der EU niedriger als in den USA. Die Beschleunigung des Produktivitätszuwachs im verarbeitenden Gewerbe zwischen der ersten und der zweiten Hälfte der 90er Jahre auf 3,2 % betrug nur 0,1 Prozentpunkte, während in den USA der Zuwachs auf 5,5 % immerhin 2,3 Prozentpunkte ausmachte. Damit spiegelt sich die gesamtwirtschaftliche Entwicklung auch im verarbeitenden Gewerbe wider.

    In der EU verzeichneten in den 90er Jahren technologiebasierte Unternehmen (pharmazeutische Produkte, chemische Erzeugnisse, Büromaschinen und Computer, Elektronik, Rundfunk- und Fernsehsender, medizinisches Gerät usw.) den höchsten Produktivitätszuwachs, gefolgt von kapitalintensiven Branchen (Textilfasern, Papier und Pappe, Kunstfasern, Eisen und Stahl, Nichteisenmetalle usw.). Letztere erzielten den höchsten Produktivitätszuwachs allerdings in der ersten Hälfte der 90er Jahre.

    Zur gleichen Zeit erzielten in den USA technologiebasierte Branchen die höchsten Produktivitätszuwächse während des ganzen Jahrzehnts. Ab 1985 hatten diese Unternehmen einen höheren Anteil am gesamten verarbeitenden Gewerbe als in der EU, dieser Abstand hat sich im Laufe dieser Periode erheblich vergrößert. So hatten 1998 technologiebasierte Unternehmen einen Anteil von etwa 35 % an der Wertschöpfung des verarbeitenden Gewerbes in den USA gegenüber etwa 24 % in der EU. In den USA hat sich dieser Anteil im Zeitraum 1985-1998 um fast 9 Prozentpunkte erhöht, in der EU dagegen nur um 1,5 Prozentpunkte.

    Der geringe Anteil der technologiebasierten Branchen in der EU ist symptomatisch für einige möglicherweise schwerwiegende Probleme. Diese Unternehmen sind nicht nur im Hinblick auf Innovation und Effizienz führend. Sie tragen durch ihren höheren Wertschöpfungsanteil auch entsprechend mehr zum Gesamtzuwachs der Produktivität und der Realeinkommen in einer Volkswirtschaft bei. Außerdem sorgen sie als Träger neuer angewandter Technologien für die Weiterverbreitung der neuen Technologien und für technologische Modernisierung. Schließlich spielt die Größe der technologiebasierten Industrie in einer Volkswirtschaft auch eine wichtige Rolle bei der Übertragung und Übernahme technologischen Fortschritts über die Grenzen hinweg. Daten aus der EU lassen vermuten, dass, obgleich das Verhältnis zwischen FuE und wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit innerhalb der Mitgliedstaaten schwach ist, aber wesentlich stärker zwischen den Mitgliedstaaten ist, ein beträchtlicher internationaler Technologie-Spillover stattfindet. Dieser hängt natürlich von der Größe der für den jeweiligen Spillover verantwortlichen Branche ab und von der Offenheit der Volkswirtschaften und seinem Aussenhandel.

    Die Entwicklung des Produktivitätszuwachses im verarbeitenden Gewerbe der Länder hat sich im Laufe der Zeit unter anderem infolge solcher internationaler Spillover von Technologie und Innovation angeglichen. In den letzten Jahren verstärkte sich die Konvergenz zwischen dem Produktivitätszuwachs der Unternehmen in der EU und den USA im Gegensatz zur stark divergierenden Entwicklung in den 80er Jahren. Der geringe Anteil technologiebasierter Unternehmen in der EU gibt vor dem Hintergrund der schwachen Produktivität und Innovation der letzten Jahre allerdings Anlass zu Besorgnis.

    Auf dem Gipfel von Lissabon wurde die Bedeutung der neuen Technologien und insbesondere von IKT und Innovation sowie die Rolle von FuE für die Zukunft Europas hervorgehoben. Der Rat von Barcelona hat ein Ziel von 3 % des BIP für private und öffentliche FuE-Ausgaben, von denen zwei Drittel aus der Privatwirtschaft stammen sollten vorgegeben, das bis zum Ende des Laufenden Jahrzehnts erreicht werden soll [13].

    [13] Siehe: Schlussfolgerungen des Vorsitzes - Europäischer Rat von Barcelona, 15. und 16. März 2002, Punkt 47.

    5. Produktivitätszuwächse im Dienstleistungssektor der EU in den letzten Jahren

    Besonders gravierend war das Problem des schwachen Produktivitätszuwachses der letzten Jahre in der EU im Dienstleistungssektor, dessen Produktivität allerdings auch schwerer zu messen ist. Obwohl hier IKT-Anwendungen in großem Umfang eingeführt wurden, kam es offensichtlich nicht zu einem schnellen oder beschleunigten Produktivitätszuwachs. Die Verlangsamung des gesamten Produktivitätswachstums in der EU in der zweiten Hälfte der 90er Jahre gegenüber früheren Jahren und die geringe Beschleunigung des Produktivitätszuwachses im verarbeitenden Gewerbe lassen vermuten, dass sich die Arbeitsproduktivität im Dienstleistungssektor in diesem Zeitraum erheblich abgeschwächt hat. Zusätzlich verstärkt wird das Problem dadurch, dass der Anteil der Dienstleistungen am BIP der EU in diesem Zeitraum gestiegen ist, auch wenn der Anteil immer noch erheblich unter dem der USA liegt [14].

    [14] Es sind keine Daten zum Dienstleistungssektor für die Mitgliedstaaten und die EU auf vergleichbarer Grundlage erhältlich. Soweit Daten vorliegen, lag der Anteil der Dienstleistungen von nichtlandwirtschaftlichen Unternehmen am BIP 1999 in den USA bei 51,3 % (ohne Immobilien 41,2 %) und in Europa zwischen 42,6 % (31,1 %) in Dänemark und 49,0 % (39,1 %) im Vereinigten Königreich; siehe: European Competitiveness Report 2002, op. cit.

    In den USA erhöhte sich der Produktivitätszuwachs im Dienstleistungssektor von durchschnittlich 1,3 % im Zeitraum 1990-95 auf durchschnittlich 3,1 % im Zeitraum 1995-99. Demgegenüber war mit Ausnahme von Frankreich und dem Vereinigten Königreich der Produktivitätszuwachs in allen sieben Mitgliedsstaaten, für die vergleichbare Daten vorliegen, in der zweiten Hälfte der 90er Jahre rückläufig. Und wo ein Anstieg zu verzeichnen war, waren es nicht mehr als 0,1 bis 0,3 Prozentpunkte [15]. Während die USA parallel einen Anstieg des Beschäftigungszuwachses im Dienstleistungssektor verzeichnen konnten, wurde in der EU die allgemeine Schwäche des Produktivitätszuwachses im Dienstleistungssektor von einem beschleunigten Beschäftigungszuwachs begleitet.

    [15] Siehe: European Competitiveness Report 2002, op. cit.

    Es könnte sein, dass die eigentliche Produktivität des Dienstleistungssektors durch Messfehler verschleiert wird. Die genaue Outputmessung dieses Sektors ist insbesondere in einer Zeit schnellen technologischen Wandels extrem schwierig. Sollte die Inflation im Dienstleistungssektor zu hoch angesetzt sein (, weil die Erfassung qualitativer Verbesserungen infolge von Innovationen und organisatorischen Veränderungen Schwierigkeiten bereitet), wäre der implizite Produktivitätszuwachs unterschätzt. Bezogen auf die gesamte Volkswirtschaft würde das bedeuten, dass der Produktivitätszuwachs in Europa möglicherweise nicht ganz so schwach war, wie er sich auf den ersten Blick darstellt.

    Daten für einzelne Wirtschaftszweige zeigen, dass der Produktivitätszuwachs im Groß- und Einzelhandel, in den Finanzdienstleistungen und in Vermietungen und anderen Dienstleistungen in den USA die Ergebnisse der EU in der zweiten Hälfte der 90er Jahre übertroffen hat. Die EU verzeichnete dagegen einen starken Produktivitätszuwachs in den Bereichen Transport und Lagerung, Post und Telekommunikation sowie Energie- und Wasserversorgung. Der vergleichsweise niedrige Anteil jedes dieser Wirtschaftszweige am BIP der EU schwächt allerdings ihre Wirkung auf das gesamte Produktivitätswachstum ab [16].

    [16] Auf die Entwicklung einzelner Wirtschaftszweige wird im Bericht der Europäischen Kommission Beschäftigung in Europa 2001, insbesondere in Kapitel 3 ausführlich eingegangen. Darin heißt es u. a., "dass Industrie- und Wettbewerbspolitik zumindest in gleichem Maße auf die Steigerung der Arbeitsproduktivität Einfluss nehmen wie die Beschäftigungspolitik", da "das Gesamtproduktivitätswachstum Impulse eher von Produktivitätsverbesserungen innerhalb der Sektoren als von Veränderungen bei der sektoralen Beschäftigungsstruktur erhält". Siehe dazu auch Abschnitt 7 des vorliegenden Textes.

    Der Dienstleistungssektor ist ein wichtiger Anwender von IKT, und geringere IKT-Ausgaben sind, wie schon gesagt, die Ursache für die jüngste Verlangsamung des Produktivitätszuwachses in der EU. Im allgemeinen werden Innovationen in diesem Sektor eher durch erworbene Technologie in Form von IKT, organisatorischen Veränderungen und Humankapital eingeleitet als durch direkte FuE-Ausgaben der Unternehmen selbst. Institutionelle Faktoren könnten in diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielen.

    Den Dienstleistungssektor kennzeichnet im Allgemeinen ein unterdurchschnittliches Produktivitätswachstum. Obwohl sein Anteil am BIP steigt, reicht der damit verbundenen Beschäftigungszuwachs in der EU nicht aus, um die Beschäftigungsentwicklung entscheidend zu verbessern. Da mit steigenden Einkommen die Nachfrage nach Dienstleistungen steigt, muss die EU dafür sorgen, dass die potenziellen Beschäftigungsgewinne durch Zuwächse im Dienstleistungssektors auch realisiert werden. Das erfordert, dass Hindernisse, die das Wachstum des Dienstleistungssektors hemmen, abgebaut werden.

    Neuere Initiativen, die im Rahmen des Lissabon-/Barcelona-Prozesses eingeleitet wurden oder werden sollen, sollten zur Steigerung des Produktivitäts- und Beschäftigungswachstums im Dienstleistungssektor beitragen. So gibt es Hinweise darauf, dass sich in den Mitgliedstaaten, in denen schon früh eine Liberalisierung und Deregulierung von Dienstleistungsbranchen vorgenommen wurde, die Produktivität schneller entwickelt hat als in anderen Mitgliedstaaten. Zum Beispiel verzeichneten Finnland und das Vereinigte Königreich im Zeitraum 1995-1999 ein stärkeres Wachstum bei der Produktivität der Arbeitskräfte im Bereich der Dienstleistungen für Unternehmen als die anderen Mitgliedstaaten, für die Daten zur Verfügung stehen. Maßnahmen zur Marktliberalisierung und zur Vollendung des Binnenmarktes im Bereich der Finanzdienstleistungen müssen deshalb mit Nachdruck verfolgt werden. Wichtig sind auch Anreize für Innovationen im Dienstleistungssektor. Und schließlich muss das Umfeld für die Leistungsfähigkeit von Distribution und Einzelhandel geebnet werden einschließlich Regelungen für die Gründung neuer Unternehmen, ohne dabei ihre Tätigkeit durch neue Einschränkungen zu behindern.

    6. Humankapital und Produktivitätszuwachs

    Die Verfügbarkeit von Facharbeitern und gut ausgebildeten Arbeitskräften ist grundlegend für Wirtschafts- und Produktivitätswachstum. Investitionen in die Verbesserung und Vergrößerung des Humankapitals haben bedeutende Zusatzeffekte. Der der Wirtschaft zuwachsende Nutzen übersteigt den Nutzen für den Einzelnen. Dieser gesellschaftliche Nutzen entsteht aus der Komplementarität der Fachkenntnisse und des Wissens mit der technologischen Entwicklung, der Innovationsrate und der Schaffung neuen Wissens, dass den Spielraum technologischer und wirtschaftlicher Chancen weiter vergrößert. Es ist entscheidend, dass der Arbeitsmarkt in der EU jene Fähigkeiten anbietet, die erforderlich sind um die wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und Beschäftigungsziele der EU zu verwirklichen.

    Natürlich umfasst Humankapital eine breite Palette von Fertigkeiten, die von, eine intensive wissenschaftliche Ausbildung erfordernden Fähigkeiten bis zu jenen reicht, die durch praktische Ausbildung erworben werden, und die durch ständiges Weiterlernen aktualisiert werden. Produktivitätswachstum und wirtschaftlicher Wohlstand hängen von den unterschiedlichen Fertigkeiten und Fähigkeiten aller Erwerbstätigen ab und deshalb müssen in der EU solche Fähigkeiten auf allen Ausbildungsebenen entwickelt werden.

    Spezielle Probleme sind in den letzten Jahren entstanden, insbesondere besteht ein Zusammenhang zwischen dem bescheidenen IKT-Anteil in der EU und den in der zweiten Hälfte der 90er Jahre festgestellten Qualifikationsmängeln im Bereich der IKT. Letztere haben eine schnelle IKT-Verbreitung in den Mitgliedstaaten wahrscheinlich zusätzlich behindert [17] und damit das Produktivitäts- und Einkommenswachstum negativ beeinflusst.

    [17] Kurz angesprochen wird diese Frage im European competitiveness Report 2001, Anhang III.1, op. cit. Dass es an ausreichend qualifizierten Arbeitskräften mangelt, ist vor allem in einer Zeit chronisch hoher (wenn auch rückläufiger) Arbeitslosigkeit beunruhigend. Siehe dazu auch: Europäische Zentralbank, "Labour Market Mismatches in Euro Area Countries", März 2002. Nach Erkenntnissen der EZB waren die Mismatches (fehlenden Übereinstimmungen) zwischen Arbeitskräfteangebot und Nachfrage nach Arbeitskräften 2000 größer als 1992.

    Vor allem in technologiebasierten Bereichen trägt Humankapital zum Produktivitätszuwachs durch die Akkumulierung und die Verbreitung von Wissen und durch die flexible Abstimmung zwischen der Nachfrage nach Qualifikationen und ihrer Bereitstellung bei. Wie schon gesagt, hatten die technologie-basierten Branchen in der EU die höchsten Produktivitätszuwächse, was eng mit der Tatsache zusammenhängt, dass der Beschäftigungszuwachs in diesen Sektoren, die arbeitsintensiver sind als andere, schon seit einigen Jahren hoch war [18]. Insgesamt hat sich die Nachfrage von traditionellen Qualifikationen zu modernen humankapitalintensiven Profilen verschoben. Dies spiegelt eher Veränderungen von Arbeitsinhalten als sektorale Verschiebungen wider.

    [18] Siehe: Beschäftigung in Europa 2001, op. cit., insbesondere Kapitel 2. Der starke Beschäftigungszuwachs der letzten Jahre in technologiebasierten Dienstleistungsbereichen und hochqualifizierten Branchen (und der robuste Zuwachs von hochqualifizierten nichtmanuellen Beschäftigten) passt nicht zu dem schwachen Anstieg der Arbeitsproduktivität im Dienstleistungssektor insgesamt. Das könnte auf die schon angesprochenen Messfehler hinweisen. Außerdem könnte es eine Lücke zwischen der Akkumulierung von Humankapital und dem gemessenen Produktivitätszuwachs geben, so wie sich der erste Investitionsschub in die IKT erst einige Jahre später im gemessenen Produktivitätszuwachs niedergeschlagen hat.

    Zwischen 1995 und 2000 wurden 1,5 Mio. Arbeitsplätze im Hightechsektor und 5,5 Mio. Arbeitsplätze in hochqualifizierten Branchen geschaffen, davon über 60 % hochqualifizierte nichtmanuelle Arbeitsplätze. Die Schaffung von Arbeitsplätzen in schnell wachsenden, wissensintensiven Branchen machte mehr als zwei Drittel der neuen hoch- und mittelqualifizierten Tätigkeiten und fast den gesamten Arbeitsplatzzuwachs für geringer Qualifizierte aus.

    Dieser Anstieg der Beschäftigung von hochqualifizierten Arbeitskräften (und parallel dazu ein allgemeiner Rückgang bei den geringer Qualifizierten) wurde nicht durch eine entsprechende Steigerung der Bildungsabschlüsse aufgefangen. Deren Zuwachsrate blieb hinter den steigenden Anforderungen zurück. Dadurch kam es zwischen 1995 und 2000 auf den Arbeitsmärkten in der EU zu Engpässen [19]. Es gibt aber Anzeichen dafür, dass in den kommenden Jahren mehr qualifizierte Arbeitnehmer in der EU zur Verfügung stehen werden. So entspricht vor allem die Ausbildung jüngerer Altersklassen eher den nachgefragten Qualifikationen als das Ausbildungsniveau der erwachsenen Bevölkerung insgesamt. Die ungleichmäßige Verteilung in den Mitgliedstaaten verlangt unterschiedliche Maßnahmen zur Entwicklung des Humankapitals in den Mitgliedstaaten. Mitgliedstaaten, die sich im Rückstand befinden, müssen aufholen. Kurzfristig ist die Arbeitskräftemobilität ein wichtiges Ergänzungselement, um die Nachfrage nach und das Angebot an qualifizierten Arbeitskräften aufeinander abzustimmen.

    [19] Siehe: European Competitiveness Report 2002, op. cit. Ähnliche Trends sind auch den USA aufgetreten. Dort wurden die Engpässe auf dem Arbeitsmarkt teilweise durch höhere Einwanderungszahlen beseitigt.

    Ein dauerhafter Anstieg von Einkommen und Produktivität hängt entscheidend von flexiblen Anpassungen auf dem Arbeitsmarkt ab [20]. Qualifikationsmängel behindern diesen Prozess. Sie zu beseitigen ist besonders wichtig in einem Umfeld schnellen technologischen Wandels, der vor allem mit der zunehmenden Verbreitung der IKT in Unternehmen und Volkswirtschaften zusammenhängt. In der derzeitigen Periode langsamen Wachstums und nach dem Platzen der sogenannten Dot-Com-Blase könnte das Problem mangelnder Qualifikation kurzfristig an Dringlichkeit verlieren. In Anbetracht der anhaltenden technologischen Veränderung wird sich aber die Qualifikationsintensität unserer Volkswirtschaften erhöhen. Deshalb ist es wichtig, dass ein Bündel von kohärenten Maßnahmen in Bereichen wie Bildung, Wissenschaft, Ausbildung, Mobilität usw. - sich gegenseitig verstärkend - dafür sorgt, dass die Nachfrage nach Qualifikationen dauerhaft und ungehindert gedeckt werden kann [21]. Diese Fragen stehen im Mittelpunkt des Lissabonprozesses. Die Kommission hat mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten im Bereich der Humankapitalentwicklung Fortschritte erzielen müssen [22].

    [20] Siehe: Europäische Zentralbank, 2002, op. cit., zur Diskussion über die Bedeutung eines effizienten Angleichungsprozesses auf dem Arbeitsmarkt vor allem in der Eurozone.

    [21] Besonders in Wissenschaft und Technologie sind bereits beunruhigende Trends im Arbeitskräfteangebot für die nächsten Jahre auszumachen; siehe Benchmarking der nationalen Forschungspolitik: Erste Ergebnisse, Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, SEK(2002) 129, 31.1.2002; Europäische Zentralbank, 2002, op. cit., Abschnitt 4, zur Diskussion über Maßnahmen zur Verbesserung der Funktionsweise des Arbeitsmarktes.

    [22] Siehe: Die Lissaboner Strategie - Den Wandel herbeiführen, op. cit.

    Wissen (und die Fähigkeit, es effektiv anzuwenden) ist ein Schlüssel zur Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirtschaften. Damit die Menschen in Europa über das notwendige Wissen und die erforderlichen Qualifikationen verfügen, müssen kohärente Strategien und praktische Maßnahmen zur Förderung des lebenslangen Lernens für alle entwickelt und angewandt werden [23]. Neue Wege im Bereich Bildung und Ausbildung müssen erprobt und Lerntechnologien verstärkt eingesetzt werden, um den Zugang zum Lernen zu erleichtern und die Qualität des Lernens zu verbessern.

    [23] Siehe: Einen europäischen Raum des lebenslangen Lernens schaffen, Mitteilung der Kommission, KOM(2001) 678 endg., 21.11.2001.

    Die Kommission hat auch die Bedeutung der Mobilität von Forschern und qualifizierten Arbeitnehmern für einen intensiveren Wissens- und Technologietransfer zwischen verschiedenen Akteuren im europäischen Forschungs- und Innovationssystem einschließlich der Industrie anerkannt [24]. Eine Ausweitung des Europäischen Forschungsraums auf die übrige Welt und die stärkere Beachtung seiner internationalen Dimension wird zweifellos den Unternehmen in der EU zugute kommen und das unternehmerische Denken von Forschern durch den Austausch von Erfahrung und Wissen fördern. Das wird auch Europas Forschungskapazitäten bereichern.

    [24] Siehe: Eine Mobilitätsstrategie für den Europäischen Forschungsraum, Mitteilung der Kommission an den Rat und das Europäische Parlament, KOM(2001) 331 endg., Juni 2001. Die Kommission befasst sich schon seit langem mit der Mobilität von Arbeitnehmern und Forschern. Ihr Interesse hat sich in den letzten Jahren verstärkt, was in den Initiativen zum sechsten Rahmenprogramm zum Ausdruck kommt.

    7. Unternehmenspolitik, Wettbewerbspolitik und Produktivitätssteigerung

    Die Komplementarität von Unternehmens- und Wettbewerbspolitik wird im EG-Vertrag anerkannt [25]. Beide sind Ecksteine der EU-Politik zur Schaffung eines hohen nachhaltigen Produktivitätszuwachses, der von einem Regelumfeld abhängt, das es Unternehmen ermöglicht, auf neue Märkte vorzustoßen und Erfindungen in Innovationen umzusetzen. Im Rahmen des Lissabonprozesses werden Maßnahmen angestrebt, die ein für Unternehmenswachstum und Innovation günstiges Umfeld schaffen und dafür sorgen, dass für alle Marktbeteiligten einheitliche Vorschriften gelten. Das erste Ziel steht im Mittelpunkt der Unternehmenspolitik, das zweite im Zentrum der Wettbewerbspolitik. Zu einem hohen nachhaltigen Produktivitätswachstum tragen beide bei: ein effektiver Wettbewerb, indem er Unternehmen veranlasst, sich um Lösungen zur Förderung der Effizienz zu bemühen, die zu Produkt- und Prozessinnovation führen, und die Unternehmenspolitik, indem sie Marktlücken ausgleicht und mehr Unternehmen in die Lage versetzt, sich am Markt zu beteiligen, so dass sich die Population potenziell innovativer Unternehmen vergrößert.

    [25] Siehe dazu: European Competitiveness Report 2002, op. cit.

    Wenn die EU zu einer global wettbewerbsfähigen wissensbasierten Volkswirtschaft werden soll, dürfen Maßnahmen zur Unterstützung des Wirtschaftswachstums nicht zu Zentralisierung, stärkerer Konzentration oder vermehrten staatlichen Beihilfen führen. Der Produktivitätszuwachs wird bestimmt durch Verbesserungen in der Qualität der Interaktionen zwischen Unternehmen, durch die Akkumulierung von Wissen und durch die marktorientierte Auswahl der besten Lösungen. Wettbewerbsfähige Unternehmen sind die Träger des Wandels, sie stellen die Verbindung zwischen abstrakten Ideen und einer innovationsbasierten, Wachstum schaffenden Marktentwicklung her. In diesem Prozess sind technischer Fortschritt und organisatorische Veränderungen untrennbar miteinander verbunden. Innovative Unternehmen gedeihen in breiten Wissenspools, aus denen sie Inputs schöpfen und die sie ihrerseits mit neuem Wissen versorgen.

    Auch wenn die Unternehmens- und die Wettbewerbspolitik die gleiche grundlegende Auffassung von marktbestimmtem Wachstum haben und sich gegenseitig stärken, habe sie ihren jeweils spezifischen Akzent. Zwischen beiden muss ein Ausgleich gefunden werden, wie die folgenden Beispiele zeigen.

    (1) Eine genaue Abgrenzung der Produkte und des geographischen Marktes sind unerlässlich für wettbewerbspolitische Entscheidungen, da die Bewertung der Marktkraft genau definierte Märkte voraussetzt. Für die Unternehmenspolitik ist eine Marktdefinition zwar nicht notwendig, aber ihre Instrumente wie Binnenmarktvorschriften, Standardisierung und Benchmarking wirken sich auf die Marktstrukturen aus, die im Hinblick auf den Wettbewerb analysiert werden.

    (2) Die Kooperation zwischen Unternehmen im Bereich der Innovation und der Aufbau von Wissens-Netzwerken tragen zum Produktivitätswachstum bei. Eine solche Kooperation ist für den Wettbewerb weitgehend unproblematisch. In einigen Fällen kann sie aber zur Abschottung von Märkten führen oder die Innovation von Wettbewerbern verhindern. Aufgabe des Gesetzgebers (z. B. bei der Überarbeitung der Gruppenfreistellungs-Verordnung für Technologietransfer-Vereinbarungen oder bei der Modernisierung von Kartellverfahren) ist es, ein Regelumfeld zu schaffen, das die Zusammenarbeit in Forschung und Entwicklung und die Innovation fördert und dabei wettbewerbswidrige Praktiken verhindert, die gegen Verbraucherinteressen verstoßen. Wenn es in innovativen Branchen zu Zusammenschlüssen kommt, muss ein Ausgleich gefunden werden zwischen der Notwendigkeit, Skalenerträge in Forschung und Entwicklung zu erzielen, und der Notwendigkeit, einen ausreichenden Wettbewerb zwischen FuE-Wissenspools zu gewährleisten.

    (3) Ein Wettbewerbsumfeld veranlasst Unternehmen natürlich zu Umstrukturierungen oder Fusionen, um die Effizienz ihrer Produktion zu steigern. Effiziente Unternehmen treten härter im Wettbewerb auf und stärken damit ihre Wettbewerbsfähigkeit, was in einen kräftigen Zyklus von Produktivitätssteigerungen münden kann. Die Wettbewerbspolitik hat dem in der Fusionsverordnung Rechnung getragen, die eine allgemeine Grundlage bildet zur Erleichterung von Umstrukturierungen auf Unternehmensebene. Die derzeitige Überprüfung der Fusionsbestimmungen bietet eine Gelegenheit festzustellen, ob die bestehenden Instrumente verbessert werden können und insbesondere die Möglichkeit zu entscheiden, ob die Fusionsverordnung nachprüfbare fusionsspezifische Rationalisierungseffekte ermöglichen sollte, um negative Wirkungen wie Preissteigerungen durch die Schaffung oder Stärkung einer vorherrschenden Position auszugleichen.

    (4) Technologische Entwicklung und Innovation als Antriebskräfte für eine Steigerung der Produktivität sind naturgemäß unsicher. Eine Bewertung ihrer Auswirkungen auf die künftige Marktdynamik und auf künftige Wettbewerbsbedingungen sind eine ständige Herausforderung. Wettbewerbsrelevante Entscheidungen können Entwicklungen in dem Maße berücksichtigen, in dem sich ihre Konsequenzen mit einiger Sicherheit vorhersagen lassen.

    (5) Die Kommission erkennt die Berechtigung staatlicher Beihilfen zum Ausgleich von Marktversagen an. Bereiche wie FuE und der Zugang zu Risikokapital für neue innovative Unternehmen gehören dazu. Dass der Produktivitätsabstand zwischen der EU und ihren Wettbewerbern ausgeglichen werden muss, ändert nichts an der Notwendigkeit, den Umfang der staatlichen Beihilfen zu reduzieren und die administrativen Verfahren weiter zu vereinfachen.

    Die Kommission strebt Ausgewogenheit zwischen den Zielen der Unternehmens- und der Wettbewerbspolitik an. Damit wird sie zur Schaffung eines günstigen Umfeldes für das Wirtschaftswachstum beitragen.

    8. Unternehmenspolitik und nachhaltige Entwicklung im produzierenden Bereich

    Unternehmen spielen eine Schlüsselrolle bei der Schaffung von Einkommen und Beschäftigung, indem sie zu den wirtschaftlichen und sozialen Dimensionen einer nachhaltigen Entwicklung beitragen. Ebenso wie andere Aktivitäten, verursachen auch Unternehmen zwangsläufig Umweltbelastungen. Die Realisierung des in Lissabon formulierten Ziels einer Wachstumsrate von 3 % pro Jahr für das BIP in der EU könnte auf den ersten Blick als Ursache für weitere Umweltbelastungen gesehen werden. Der Europäische Rat von Stockholm hat aber festgestellt, dass Wirtschaftswachstum und Umweltschutz parallel angestrebt werden müssen.

    Die Erfahrung des verarbeitenden Gewerbes in der EU zeigt, dass höhere wirtschaftliche Wachstumsraten durchaus mit einer Abnahme der Umweltbelastungen einhergehen können. Das Binnenmarktprogramm und die fortschreitende Deregulierung der Märkte durch den Lissabonprozess haben die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der europäischen Industrie verbessert, wobei ein Austausch im Sinne höherer Umweltbelastung gegen höheres Wirtschaftswachstum vermieden werden konnte. Die zusätzlichen Ressourcen, die für den Umweltschutz frei wurden, machten es möglich der steigenden Nachfrage nach Umweltqualität, die unweigerlich mit einer reicher werdenden Gesellschaft einhergeht, zu entsprechen. Gleichzeitig hat die Umweltschutzpolitik Standards und Anreize für die Industrie geschaffen die Umweltverträglichkeit ihrer Produktionen zu erhöhen. Damit ist im verarbeitenden Gewerbe das Phänomen der sogenannten ökologischen Kuznets-Kurve erreicht worden. Demnach nehmen bei steigendem Output Schadstoffemissionen zwar zunächst zu, erreichen dann aber einen Höhepunkt und gehen bei weiter steigendem Output zurück.

    Entgegen weit verbreiteter Auffassung zeigt sich tatsächlich, dass nach bestem Wissen und auf Basis der verfügbaren Statistiken die Umweltbelastungen der Industrie in den letzten zwanzig Jahren keineswegs gestiegen sind, sondern ein Teil der durch die produzierende Industrie verursachten Belastungen in den letzten zwanzig Jahren zurückgegangen ist [26]. Der Industrie in der EU ist es in diesen Fällen gelungen, ihre Produktionszuwächse von zunehmenden Umweltbelastungen abzukoppeln.

    [26] Diese Themen und ähnliche Fragen behandelt der European Competitiveness Report 2002, op. cit.

    Ein bemerkenswertes Beispiel für den Fortschritt der Industrie ist die erhebliche Reduzierung der für den sauren Regen verantwortlichen Emissionen von Luftschadstoffen wie Schwefeldioxid und Stickstoffdioxid im Verlauf der letzten zwanzig Jahre. Abbildung 2 zeigt, dass trotz des Anstiegs der Industrieproduktion im Zeitraum 1980-1999 um mehr als 30 %, die Emissionen von säurebildenden Gasen etwa um zwei Drittel zurückgegangen sind [27]. Im gleichen Zeitraum wurden die Ozonvorläuferemissionen der Industrie absolut um ein Viertel reduziert. Die Produktion von Ozon zerstörenden Gasen wurde in der EU inzwischen weitgehend eingestellt. Der Energieverbrauch ist seit Mitte der 80er Jahre trotz gestiegener Industrieproduktion weitgehend konstant geblieben. Das hat zu der allgemeinen Reduzierung der industriellen Treibhausgasemissionen beigetragen, seit Aufstellung des Kyoto-Basiswerts im Jahr 1990

    [27] Siehe: European Competitiveness Report 2002, Abbildung V.8, op. cit. In den Zahlen sind die Auswirkungen der Vereinigung Deutschlands berücksichtigt.

    Zwischen 1990 und 2000 verzeichnete das verarbeitende Gewerbe in der EU einen Rückgang der Treibhausgasemissionen um 10,5 %. Damit wurde ein erheblicher Beitrag zum Kyoto-Ziel geleistet. Diese Fortschritte sind auf eine Mischung von Entwicklungen in verschiedenen Bereichen zurückzuführen, von denen sich einige vermutlich nicht wiederholen werden [28]. In den letzten Jahren war auch eine gewisse Stabilisierung im Rohstoffverbrauch der Industrie festzustellen. Insgesamt schneidet die Industrie der EU im Vergleich mit den USA gut ab. Bei der Entwicklung der Emission von säurebildenden Gasen, die einen Extremfall darstellen, ist die Öko-Effizienz der europäischen Industrie fast doppelt so schnell gestiegen wie in den USA.

    [28] Das Kyoto-Ziel ist eine 8 %ige Reduzierung der Treibhausgasemissionen im Zeitraum 2008-2012 gegenüber 1990. Die Trends von Emissionsrückgängen können sich sehr schnell ändern. Nach derzeitigen Schätzungen ist davon auszugehen, dass die EU die Kyoto-Ziele nicht ohne größere Anstrengungen erreichen wird.

    Abbildung 2: Öko-Effizienz des verarbeitenden Gewerbes in der EU Säurebildneremissionen (Öko-Effizienz, Produktion, Emissionen; Index 1980 = 100)

    >VERWEIS AUF EIN SCHAUBILD>

    Quelle: Dienststellen der Kommission

    Die schrittweise Einführung von umweltwirksamen Maßnahmen hat ganz eindeutig einen Anteil an diesen Entwicklungen. So ist die besonders signifikante Abkoppelung der Emissionen säurebildender Gase vom Wirtschaftswachstum eine Folge der stufenweisen Reduktionsprogramme der Mitgliedstaaten nach Maßgabe der Richtlinie von 1988 zur Begrenzung der Schadstoffemissionen von Großfeuerungsanlagen in die Luft. Auch bei der schrittweisen Einstellung der Produktion von Ozon abbauenden FCK hat die Umweltpolitik eine Schlüsselrolle gespielt. Allmähliche Fortschritte wurden auch in anderen Bereichen erzielt. Die Industrie hat mit neuen Technologien, mit besseren Managementpraktiken und größeren Investitionen in Rückhaltetechnologien auf die Verschärfung der Umweltschutzvorschriften reagiert.

    Die umweltwirksamen Verbesserungen waren aber auch mit enormen Kosten für die Industrieunternehmen verbunden. Die Umweltschutzausgaben der EU-Industrie beliefen sich 1998 auf EUR 32 Mrd., etwa 0,4 % des BIP oder 2 % der Wertschöpfung der Industrie. Seit Anfang der 80er Jahre haben sich die Ausgaben für Umweltschutzmaßnahmen erhöht. Das bedeutet, dass die zusätzlichen Ressourcen, die in Folge der durch den wirtschaftlichen Reformprozess gestiegenen Produktivität frei wurden, einen wesentlichen Anteil an der erfolgreichen Finanzierung der Fortschritte im Umweltsektor hatten, zusammen mit dem kontinuierlichen Wirtschaftswachstum.

    Weitere Wirtschaftsstrukturreformen und Umweltschutzmaßnahmen müssen umgesetzt werden, um eine Parallelentwicklung von Wirtschaftswachstum und Umweltbelastungen auch künftig zu vermeiden. Besonders geachtet werden muss dabei auf die richtige Balance zwischen neuen Umweltschutzvorschriften und den dadurch entstehenden Kosten, um zu gewährleisten, dass sich Wirtschaftswachstum und umweltwirksame Verbesserungen parallel entwickeln können. Gleichzeitig sind die volkswirtschaftlichen Kosten zu berücksichtigen, die durch die Vermeidung politischer Maßnahmen, zum Beispiel in der Form von schlechterer Gesundheit oder Schäden an Gebäuden entstehen. Um dies zu ermöglichen hat sich die Kommission verpflichtet alle wichtigen Vorschläge einer Folgenabschätzung zu unterziehen, die sämtliche ökologischen, ökonomischen und sozialen Konsequenzen einbezieht. Die Umweltpolitik sollte außerdem, so weit wie möglich, besonders effiziente, marktorientierte Instrumente, wie beispielsweise den Emissionshandel, anwenden. Um die potenzielle Verbindung zwischen Wirtschaftswachstum und Umweltbelastungen zu lockern, wird der Aktionsplan der Kommission zur Förderung von Umwelttechnologien Innovationen auf dem Gebiet der Umwelttechnologie und ihre Verbreitung fördern. Dies wird den Nutzen hoher Umweltstandards für die Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Tatsächlich können Umweltschutzmaßnahmen, abgesehen von damit zusammenhängenden Kostenbelastungen für die Industrie, durch Anreize zur Einführung effizienterer Produktionsverfahren und die Schaffung neuer Märkte zu Wettbewerbsfähigkeitssteigerungen und höherem Wirtschaftswachstum beitragen. Im Interesse einer nachhaltigen Entwicklung der gesamten Volkswirtschaft ist es wichtig, dass die Lehren aus den erfolgreichen Praktiken der verarbeitenden Industrie gezogen werden und in anderen Bereichen angewandt werden.

    9. Schlussfolgerungen

    Die EU wird kaum zu einem starken, nachhaltigen Wirtschaftswachstum zurückfinden, solange die Produktivitätzuwächse nicht steigen. Mit einer traditionell trägen Beschäftigungsentwicklung und trotz der im Rahmen des Lissabonprozesses getroffenen Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigung wird das Wirtschaftswachstum in Nächster Zeit vom Produktivitätszuwachs bestimmt werden. Deshalb muss die Wettbewerbsfähigkeit der EU gestärkt werden.

    In Lissabon und auf den nachfolgenden Tagungen hat der Europäische Rat bereits Initiativen zur Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit in der EU gefordert. Ausgewählte und Adhoc-Politiken werden nicht genügen. Das durch die Lissabonstrategie definierte Bündel politischer Maßnahmen muss zur Gänze umgesetzt werden. Bereits der Beitrag der Kommission zum europäischen Rat im Frühjahr 2002 wies darauf hin, dass ein wesentlich größeres Engagement für die Umsetzung der Lissabonstrategie notwendig ist. Ohne dieses Engagement können die Ziele der Strategie nicht erreicht werden.

    Es ist schwierig die unterdurchschnittliche Produktivitätssteigerung einem spezifischen Faktor zuzuordnen. Es besteht aber weitgehende Übereinstimmung darüber, dass IKT und Innovationen für die Beschleunigung des Produktivitätswachstums in bestimmten Mitgliedsstaaten und den USA eine entscheidende Rolle gespielt haben.

    Es ist daher wesentlich, jene Politiken zu identifizieren, die in bestimmten, kleineren Mitgliedsstaaten für das Produktivitätswachstum verantwortlich waren. Es ist ebenso bedeutend jene Politiken und Hindernisse zu identifizieren, die die Einführung und Verbreitung von IKT, Innovationen und Forschung und Entwicklung behindert haben. Das gilt insbesondere für den Dienstleistungsbereich und die Verbreitung elektronischen Handels und die Anwendung der Möglichkeiten des e-Business. Das erfordert unvermeidliche Reformen des Telekommunikationssektors, die Kostensenkungen bewirken und den Zugang für Konsumenten und Unternehmen verbreitern.

    Die Qualität der Arbeitskräfte und die Verfügbarkeit von Fachkräften muss für die bessere Nutzung der neuen Technologien und Innovationen sowie Forschung und Entwicklung verbessert werden. Beschäftigungspolitik und Arbeitsmarktinstitutionen müssen den Bedürfnissen der neuen Technologien entsprechen.

    Die Bedingungen, die eine Ausweitung des Dienstleistungssektors ermöglichen müssen vollendet werden. Die volle Integration der Dienstleistungsmärkte wird zu Investitionen ermuntern und die Anreize für die Anwendung der neuen Technologien verstärken.

    Alle politischen Maßnahmen sind so umzusetzen, dass sie eine dynamische, wissens-basierte Gesellschaft unterstützen. Insbesondere ist auf ein Gleichgewicht zwischen Wettbewerbs- und Unternehmenspolitik zu achten. Ihre Synergien müssen voll ausgenützt werden um die globale Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Unternehmen zu verbessern.

    Umweltbezogene Nachhaltigkeit muss erreicht werden, wobei die jüngst im verarbeitenden Gewerbe erreichten Leistungen auf andere Wirtschaftssektoren übertragen werden sollten. Diese Initiativen erfordern Koordination und Abstimmung mit allen EU Wirtschaftspolitiken.

    Nur die Modernisierung unserer Volkswirtschaften wird die EU in die Lage versetzen die wirtschaftlichen, sozialen und Umweltschutzziele der Lissabonner Strategie zu erreichen. Das in der Periode seit 1995 erreichte Produktivitätswachstum reicht nicht. Das Modernisierungstempo muss erhöht werden.

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