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Document 52001PC0522

    Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten

    /* KOM/2001/0522 endg. - CNS 2001/0215 */

    ABl. C 332E vom 27.11.2001, p. 305–319 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

    52001PC0522

    Vorschlag für einen Rahmenbeschluss des Rates über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten /* KOM/2001/0522 endg. - CNS 2001/0215 */

    Amtsblatt Nr. 332 E vom 27/11/2001 S. 0305 - 0319


    Vorschlag für einen RAHMENBESCHLUSS DES RATES über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten

    (von der Kommission vorgelegt)

    BEGRÜNDUNG

    1. HINTERGRUND DER AUSLIEFERUNG

    Die Auslieferung ist entstanden, um die Übergabe eines im Hoheitsgebiet eines Staates aufgegriffenen Ausländers zum Zweck der Strafverfolgung bzw. des Strafvollzugs an die ausländischen Behörden vor dem Hintergrund von häufig recht komplexen politischen und diplomatischen Beziehungen zwischen zwei Staaten zu ermöglichen. Da die Auslieferung häufig zeitintensiv und komplex ist, wird sie den Anforderungen eines Raumes ohne Grenzen, wie der europäische Raum es ist, der sich durch ein hohes Maß an Vertrauen und eine enge Zusammenarbeit zwischen den Staaten auszeichnet, die sich alle dem anspruchsvollen Prinzip der Rechtsstaatlichkeit verschrieben haben, nicht mehr gerecht.

    Geregelt ist die Auslieferung bis heute durch das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 (nachstehend "Übereinkommen von 1957" genannt), das Zusatzpro tokoll zu diesem Übereinkommen vom 15. Oktober 1975 (nachstehend "Protokoll von 1975" genannt), das Zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 (nachstehend "Protokoll von 1978" genannt) sowie das Europäische Übereinkommen vom 27. Januar 1977 zur Bekämpfung des Terrorismus (nachstehend "Terrorismusübereinkommen" genannt). Diese Rechtsakte waren sicherlich zur Zeit ihrer Unterzeichnung ein echter Fortschritt, sind jedoch heute angesichts der Entwicklung der Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ein schwerfälliger und völlig überholter Mechanismus.

    Das Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen hat mit dem Schengener Informationssystem (SIS) ein Instrument geschaffen, mit dem in der Praxis der Informationsfluss zwischen den Mitgliedstaaten über Personen, die zur Fahndung ausgeschrie ben sind, erheblich verbessert und die Kontakte zwischen den einzelstaatlichen Behörden im Fall einer Festnahme erleichtert werden. In rechtlicher Hinsicht stellt das Schengener Übereinkommen jedoch im Vergleich zu dem klassischen Auslieferungsverfahren nach dem Übereinkommen von 1957 keine Neuerung dar.

    Mit dem Übereinkommen über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 10. März 1995 (nachstehend "Übereinkommen von 1995" genannt) oder dem Übereinkommen über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union vom 27. September 1996 (nachstehend "Übereinkommen von 1996" genannt) sollen die im Übereinkommen von 1957 vorgesehenen Mechanismen beschleunigt und vereinfacht und die dort geregelten möglichen Vorbehalte weitgehend aufgehoben werden. Dies bedeutet indes keinen Bruch mit dem seiner Definition nach politischen und zwischenstaatlichen Auslieferungsverfahren. Im Übrigen wurden diese Übereinkommen von nur neun bzw. acht Mitgliedstaaten ratifiziert.

    2. AUSWIRKUNGEN DER GEGENSEITIGEN ANERKENNUNG

    Der Vertrag von Amsterdam hat die Schaffung eines Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts zum Ziel; damit wurde die Möglichkeit für eine grundlegende Neuerung geschaffen. Auf dem Gipfeltreffen von Tampere haben die Staats- und Regierungschefs darauf hingewiesen, dass die gegenseitige Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen zum Eckstein der justiziellen Zusammenarbeit werden müsse, und zwar sowohl in Zivil- als auch in Strafsachen. Im Bereich der Auslieferung führt die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung dazu, dass jede nationale Justizbehörde das Ersuchen einer Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats auf Übergabe einer Person ipso facto und mit einem Minimum an Kontrollen anerkennt.

    3. NEUE BILATERALE VERTRAEGE

    Parallel zu den im Rahmen der Union geleisteten Arbeiten haben mehrere Mitgliedstaaten in Anbetracht der Dringlichkeit, zur Bekämpfung der zunehmenden Internationalisierung der Kriminalität wirksame Antworten zu finden, in bilateralem Rahmen Gespräche aufgenommen, um das überholte Auslieferungsverfahren durch ein Verfahren der einfachen Übergabe an die Justizbehörden zu ersetzen. So haben Italien und Spanien im Dezember letzten Jahres einen Vertrag unterzeichnet. Ein ähnlicher Vertrag wird derzeit zwischen Spanien und dem Vereinigten Königreich vorbereitet.

    Solche Initiativen sind zu begrüßen, denn sie unterstreichen das Vertrauen, das die Rechtssysteme der Mitgliedstaaten einander entgegenbringen. Sie machen jedoch auch die Dringlichkeit einer Reform der bestehenden multilateralen Mechanismen deutlich, damit die im Auslieferungsbereich bereits bestehenden komplexen Regelwerke mit der Unterzeichnung bilateraler Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten nicht noch mehr ausufern.

    4. DER EUROPÄISCHE HAFTBEFEHL

    4.1. Hintergrund

    Im Wiener Aktionsplan wurden die Mitgliedstaaten aufgefordert, die bestehenden Auslieferungsübereinkommen rasch zu ratifizieren und umzusetzen (Punkt 45 c). In den Schlussfolgerungen des Europäischen Rates von Tampere heißt es, dass "zwischen den Mitgliedstaaten im Einvernehmen mit Artikel 6 EUV förmliche Auslieferungsverfahren bei Personen, die sich nach rechtskräftiger Verurteilung der Justiz durch Flucht entziehen, abgeschafft und durch eine einfache Überstellung derartiger Personen ersetzt werden sollten. Im Bereich der Auslieferung sollten - unbeschadet des Grundsatzes eines gerechten Gerichtsverfahrens - auch Eilverfahren in Erwägung gezogen werden" (Punkt 35). Die Kommission wird ersucht, "entsprechende Vorschläge im Lichte des Schengener Durchführungsübereinkommens vorzulegen".

    Dieser Auftrag wurde auch in der Strategie der Europäischen Union für den Beginn des nächsten Jahrtausends im Bereich der Prävention und Bekämpfung der organisierten Krimina lität (Empfehlung 28) aufgegriffen, wo die Kommission ersucht wird, Vorschläge "für eine beschleunigte Auslieferung von Personen, die sich nach rechtskräftiger Verurteilung durch die Justiz durch Flucht entziehen", zu unterbreiten. In diesem Zusammenhang sollte auch geprüft werden, "ob langfristig ein einheitlicher europäischer Rechtsraum für Auslieferungen geschaffen werden kann", und es wird empfohlen, dabei auch "die Frage der Auslieferung bei Verfahren in Abwesenheit des Angeklagten unter uneingeschränkter Einhaltung der von der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten Grundrechte" zu prüfen.

    In Folge der beispiellosen, tragischen und mörderischen terroristischen Anschläge gegen das Volk der Vereinigten Staaten von Amerika am 11. September 2001 haben die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union, die Präsidentin des Europäischen Parlaments, der Präsident der Europäischen Kommission und der Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik neuerlich "die Schaffung eines europäischen Haft- und Auslieferungs befehls nach Maßgabe der Schlussfolgerungen von Tampere sowie die gegenseitige Anerkennung von Gerichtsbeschlüssen und Urteilen" gefordert.

    4.2. Anwendungsbereich

    Zur Ausarbeitung dieses Vorschlags haben die Dienststellen der Kommission in nahezu allen Mitgliedstaaten zahlreiche Gespräche mit Juristen, Richtern, Anwälten, Akademikern und leitenden für Auslieferungsfragen zuständigen Beamten in den Ministerien geführt. Dabei zeigte sich, dass es keinen Grund gibt, zwischen Fällen zu unterscheiden, in denen in der Vorphase des Strafprozesses ein Auslieferungsersuchen gestellt wird, und solchen, in denen die Auslieferung zum Zweck der Vollstreckung rechtskräftiger Urteile beantragt wird. Diese Unterscheidung ist in keinem bilateralen oder multilateralen Regelwerk verankert, und sie ist auch in der Praxis nicht gerechtfertigt. Zur Vereinfachung der bestehenden Rechtsordnung muss der Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls daher mit dem Anwendungs bereich der Auslieferung, an deren Stelle er tritt, identisch sein, und sich sowohl auf die Phase vor der Urteilsverkündung in Strafprozessen als auch auf die Phase danach erstrecken.

    4.3. Wahl des Rechtsakts

    Im Sinne der Effizienz hat man sich daher auch hier im Zusammenhang mit der Schaffung des Europäischen Haftbefehls für einen Rahmenbeschluss entschieden. Der Erfolg der zahlreichen Konventionen, die im Rahmen des Europarats, der Europäischen Politischen Zusammenarbeit oder auch der Europäischen Union ausgearbeitet wurden, war eher begrenzt, was der Stand der Ratifizierungen bestätigt. Die Rechtsordnung, die sich aus dem Amsterdamer Vertrag ergibt, wie auch der fortgeschrittene Stand der justiziellen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten rechtfertigen die Einrichtung des Europäischen Haftbefehls auf der Grundlage eines Rahmenbeschlusses, der laut Artikel 34 EUV "für die Mitgliedstaaten hinsichtlich des zu erreichenden Zieles verbindlich" ist, "jedoch den innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und der Mittel überlässt".

    4.4. Ein Rechtsakt, der die Grundrechte wahrt

    Mit dem vorgeschlagenen System wird ein zweifaches Ziel verfolgt. Zum einen werden im Hinblick auf die Effizienz der Verbrechensbekämpfung die Konsequenzen aus der Öffnung der Grenzen innerhalb des europäischen Rechtsraumes gezogen, und dadurch wird das Vorgehen der Justiz in den einzelnen Mitgliedstaaten erleichtert. Damit leistet der Mechanismus einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung der grenzüberschreitenden organisierten Kriminalität. Zum anderen trägt dieses System der Besorgnis der europäischen Bürger im Zusammenhang mit der Wahrung der Rechte des Einzelnen Rechnung.

    Hierzu ist auf mehrere Punkte hinzuweisen:

    1) Die Beiziehung eines Anwalts und gegebenenfalls auch eines Dolmetschers ist ab dem Zeitpunkt der Festnahme der betreffenden Person in Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls geregelt (Artikel 11);

    2) wurde eine Person aufgrund des Europäischen Haftbefehls festgenommen, so muss die Justizbehörde des Festnahmestaates zwingend über die Aufrechterhaltung der Haft dieser Person nach Maßgabe der Garantien für ihr Erscheinen vor Gericht entscheiden. Sind diese ausreichend, kann die zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls festgenommene Person im Vollstreckungsstaat wieder auf freien Fuß gesetzt werden, was gegebenenfalls mit bestimmten Bedingungen verbunden ist, bis sie zu einem angemessenen Termin im Rahmen des laufenden Verfahrens vor der Justizbehörde, die den Haftbefehl erlassen hat, erscheint (Artikel 14). Damit soll eine längere Untersuchungshaft vermieden werden, die manchmal ausschließlich auf die geografische Distanz der Person zurückzuführen ist. Ebenso kann die ausstellende Justizbehörde die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls aussetzen, wenn sich die festgenommene Person verpflichtet, freiwillig vor Gericht zu erscheinen (Artikel 13 Absatz 3);

    3) Personen, die in Abwesenheit verurteilt wurden, müssen erneut abgeurteilt werden, nachdem sie bei der vollstreckenden Justizbehörde Einspruch eingelegt haben (Artikel 35);

    4) die Zahl der Fälle, in denen die Untersuchungshaft hauptsächlich deshalb angeordnet wurde, damit sich Personen, die in anderen Mitgliedstaaten ansässig sind, der Justiz zur Verfügung halten, sollte begrenzt werden, da sich durch den Europäischen Haftbefehl die Garantien für die Übergabe und das Erscheinen des Angeklagten vor Gericht für die ausstellende Justizbehörde verbessern (Artikel 17);

    5) unnötige oder nicht wünschenswerte Überstellungen können mit Hilfe von Videokonferenzen (Artikel 34) vermieden werden. Ebenso sollte der Strafvollzug dort gefördert werden, wo die besten Voraussetzungen für die Wiedereingliederung der verurteilten Person gegeben sind (Artikel 33 und 36);

    6) der Ablauf von Strafverfahren wird beschleunigt, insbesondere durch eine verstärkte Nutzung der Möglichkeit der vorübergehenden Überstellung von einem Staat in einen anderen (Artikel 39 und 40); dadurch kann das Recht der Rechtsunterworfenen auf eine gerichtliche Entscheidung innerhalb einer angemessenen Frist besser durchgesetzt werden. Das grundsätzlich auf neunzig Tage beschränkte Verfahren des Europäischen Haftbefehls (Artikel 20) sollte einen wichtigen Beitrag zur Einhaltung einer angemessenen Frist leisten;

    7) Die Abschaffung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit geht nicht auf Kosten derjenigen Staaten, deren Rechtsvorschriften am wenigsten repressiv sind. Dank der Negativliste können Mitgliedstaaten bestimmte Handlungen, die sie nicht mehr unter Strafe stellen, vom Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls ausnehmen (Artikel 27);

    8) Es wird erneut unterstrichen, dass ein Staat die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls an die Zusicherung knüpfen kann, dass keine lebenslange Freiheitsstrafe verhängt wird (Artikel 37).

    Schließlich sind die Gerichte in den einzelnen Mitgliedstaaten beim Erlass und bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls natürlich auch weiterhin an die allgemeinen Bestimmungen zum Schutz der Grundrechte und insbesondere an die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 sowie an die Charta der Grundrechte der Europäischen Union gebunden.

    4.5. Allgemeines

    Das System des Europäischen Haftbefehls zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:

    1) Mit dem Europäischen Haftbefehl wird die Zwangsüberstellung einer Person von einem Mitgliedstaat in einen anderen geregelt. Das vorgeschlagene Verfahren tritt an die Stelle des traditionellen Auslieferungsverfahrens. Im Hinblick auf die Auslegung von Artikel 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention betreffend das Recht auf Freiheit und auf Sicherheit ist es diesem gleichzustellen.

    2) Es handelt sich um ein übergreifendes System, das in allen Bereichen an die Stelle des derzeitigen Auslieferungssystems tritt und im Gegensatz zu dem Vertrag zwischen Italien und Spanien nicht auf bestimmte strafbare Handlungen beschränkt ist.

    3) Der Mechanismus beruht auf der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen. Dem liegt folgender Gedanke zugrunde: Wenn die Justizbehörde eines Mitgliedstaats um die Übergabe einer Person aufgrund einer rechtskräftigen Verurteilung oder aufgrund der strafrechtlichen Verfolgung dieser Person ersucht, muss diese Entscheidung anerkannt und automatisch auf dem gesamten Hoheitsgebiet der Union vollstreckt werden. Die Möglichkeiten, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen, sind auf ganz bestimmte Fälle zu begrenzen.

    Der Anwendungsbereich des vorgeschlagenen Textes ist mit dem Geltungsbereich der Auslieferung nahezu identisch [1]. So ist es kraft des Europäischen Haftbefehls möglich, eine Person, die in einem Mitgliedstaat rechtskräftig zu einer Haftstrafe von mindestens vier Monaten verurteilt oder aufgrund einer im Vorverfahren erlassenen Gerichtsver fügung inhaftiert wurde, zu inhaftieren und zu übergeben, wenn die Straftat, die der Verfolgung zugrunde liegt, mit einer Gefängnisstrafe von mehr als einem Jahr bedroht ist.

    [1] Beim Auslieferungsverfahren waren die beiden Bedingungen (zu verbüßende Restschuld und Hoechststrafmaß) kumulativ. Hier sind sie voneinander unabhängig (siehe Artikel 2).

    Es hat sich gezeigt, dass es aufgrund des besonders verbindlichen Charakters dieses Verfahrens für die betreffende Person wichtig ist, dass dieses nur in Fällen zur Anwendung gelangt, deren Schwere dies auch rechtfertigt.

    4) Das Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ist im Wesentlichen justizieller Art. Die politische Phase, die das Auslieferungsverfahren geprägt hat, entfällt. Dementsprechend entfällt auch das Widerspruchsverfahren gegen die politische Entscheidung. Durch den Wegfall dieser beiden Verfahrensstufen dürfte sich die Wirksamkeit und Schnelligkeit dieses Mechanismus ganz erheblich steigern.

    5) Der Europäische Haftbefehl trägt dem Grundsatz der Unionsbürgerschaft Rechnung. Die Ausnahmeregelung für eigene Staatsangehörige dürfte damit obsolet werden. Das wichtigste Kriterium ist nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Hauptwohnsitz der betreffenden Person, insbesondere im Hinblick auf den Strafvollzug. So soll einerseits die Vollstreckung der Strafe im Land der Festnahme erleichtert werden, wenn sich die Wiedereingliederung der betreffenden Person in diesem Land am günstigsten erweist, und andererseits die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls an die Zusicherung der Rückgabe der Person zu einem späteren Zeitpunkt zum Zweck des Vollzugs der von der ausländischen Behörde verhängten Strafe geknüpft werden.

    6) Die Zahl der Fälle, in denen die Vollstreckung des Haftbefehls abgelehnt werden kann, ist beschränkt; diese Fälle sind genau beschrieben, um das Verfahren möglichst zu vereinfachen und zu beschleunigen. Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt genauso wie der Grundsatz der Spezialität. Dagegen haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, sofern sie dies wünschen, eine Negativliste von Straftaten zu erstellen, für die sie die Vollstreckung von Europäischen Haftbefehlen in ihrem Hoheitsgebiet ablehnen. Ebenso kann auch die Forderung der beiderseitigen Strafbarkeit in Fällen, in denen der ausstellende Staat eine extraterritoriale Zuständigkeit wahrgenommen hat, erneut aufgestellt werden.

    7) Die im Europäischen Haftbefehl enthaltenen Angaben werden EU-weit vereinheitlicht. Sie müssen, von bestimmten Ausnahmen abgesehen, der Behörde des Vollstreckungs staates die Übergabe der betreffenden Person ohne weitere Kontrollen ermöglichen.

    8) Der Europäische Haftbefehl soll in den Mitgliedstaaten an die Stelle des Übereinkommens von 1957, seiner beiden Protokolle von 1975 und 1978, der Bestimmungen über die Auslieferung nach dem Terrorismusübereinkommen sowie der beiden im Rahmen der Union unterzeichneten Übereinkommen von 1995 und 1996 treten. Dabei werden auch eine Reihe von Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens ersetzt.

    5. DIE EINZELNEN ARTIKEL

    Kapitel 1: Allgemeine Grundsätze

    Artikel 1 - Gegenstand

    Dieser Rahmenbeschluss beruht auf der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen. Diesem Grundsatz zufolge muss ein in einem Mitgliedstaat erlassener Europäischer Haftbefehl in Übereinstimmung mit dem Rahmenbeschluss im gesamten Hoheitsgebiet der Union vollstreckt werden.

    Artikel 2 - Anwendungsbereich

    Ein Europäischer Haftbefehl kann zum Zweck der Vollstreckung eines vollstreckbaren Urteils sowie auch im Vorverfahren erlassen werden.

    Der hier vorgesehene Anwendungsbereich weicht nur geringfügig vom Anwendungsbereich des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 ab.

    a) Im Hinblick auf die Art der Entscheidungen, die dem Erlass eines Europäischen Haftbefehls zugrunde liegen können, müssen folgende Voraussetzungen erfuellt sein:

    - -- im Falle eines Urteils:

    - -- es muss rechtskräftig sein,

    - -- bzw. bei einem Abwesenheitsurteil muss die Möglichkeit bestehen, Rechtsmittel einzulegen (Artikel 35);

    - -- im Falle einer vollstreckbaren aber noch nicht rechtskräftigen Gerichtsverfügung, die entweder im Vorverfahren des Strafprozesses oder im Hauptverfahren, wobei gegen sie Rechtsmittel eingelegt werden können, erlassen wurde, muss diese mit Freiheitsentzug verbunden sein. Im Übrigen muss ein nationaler Haftbefehl nicht unbedingt förmlich von einer nationalen Behörde erlassen worden sein, was jedoch auch nicht untersagt ist.

    b) Was das angedrohte oder verhängte Strafmaß anbetrifft, das dem Erlass eines Europäischen Haftbefehls zugrunde liegt, so weicht dieses nicht von dem im Auslieferungsübereinkommen von 1957 vorgesehenen Strafmaß ab. Diesbezüglich kann an die frühere, offenbar zufriedenstellende Praxis angeknüpft werden.

    Da allerdings der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit entfällt, ist es nicht notwendig, im Vollstreckungsstaat ein Mindeststrafmaß festzulegen. Der Europäische Haftbefehl ist unabhängig von dem im Vollstreckungsstaat angedrohten Strafmaß zu vollstrecken. Die Anwendung dieses Grundsatzes erklärt, weshalb auf die in Artikel 2 Absatz 2 des Übereinkommens von 1996 beschriebene Situation kein Bezug genommen wird.

    Um die Mindesthöhe der für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls verhängten Strafe zu ermessen, werden Abwesenheitsurteile rechtskräftigen Urteilen gleichgestellt, wie dies bereits nach dem Übereinkommen von 1957 der Fall war (siehe erläuternder Bericht zu diesem Übereinkommen). Für die Vollstreckung von Urteilen mit einer verhängten Strafe von mehr als vier Monaten war dem Übereinkommen von 1957 zufolge jedoch die Bedingung der Kumulierung von Strafen zusammen mit dem gesetzlichen Hoechststrafmaß für dieselbe strafbare Handlung vorgesehen. Diese Bedingung entfällt hier, weil die Entscheidung an sich bereits anerkannt wird und die Strafdrohung nach der Urteilsverkündung kein rechtserhebliches Kriterium mehr darstellt.

    Ebenso findet die in Artikel 2 Absatz 2 des Auslieferungsübereinkommens von 1957 beschriebene Situation insofern keine Anwendung mehr, als der Grundsatz der Spezialität vorbehaltlich der Bestimmungen von Artikel 41 dieses Textes ebenfalls entfällt.

    Einige Mitgliedstaaten (beispielsweise die Benelux- und die nordischen Staaten) haben untereinander Übereinkommen geschlossen, die den Anwendungsbereich der Auslieferung über die im Übereinkommen von 1957 vorgesehenen Mindestnormen hinaus erweitert. Diese Staaten müssen entscheiden, ob sie in diesen Fällen den Auslieferungsgrundsatz beibehalten oder ob sie sich darauf beschränken, den Anwendungsbereich des Europäischen Haftbefehls untereinander zu erweitern.

    Artikel 3 - Begriffsbestimmungen

    a) Der Europäische Haftbefehl entspricht einem Untersuchungs-, Festnahme-, Haft- und Übergabeersuchen an die Justizbehörde des ausstellenden Staates. Das Ersuchen um vorläufige Festnahme und das Ersuchen um Auslieferung entsprachen früher nach dem Übereinkommen von 1957 und insbesondere im Sinne seiner Umsetzung durch das Schengener Übereinkommen zwei unterschiedlichen Verfahrensstufen. Mit der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen besteht kein Grund mehr, diese beiden Stufen voneinander zu unterscheiden. Der Europäische Haftbefehl entspricht daher neben den klassischen Merkmalen eines Haftbefehls (Untersuchung, Festnahme und vorläufige Festnahme) auch einem Ersuchen um Übergabe an die Behörden des ausstellenden Staates.

    Die vier Pflichten, die sich für den Vollstreckungsmitgliedstaat aus dem Europäischen Haftbefehl ergeben, sind jedoch rechtlich nicht gleichwertig. Die Funktionen "Untersuchungsersuchen" und "Festnahmeersuchen" sind für den Vollstreckungsmitglied staat bindend, sofern nicht einer der wenigen Ausschlussfälle vorliegt (Artikel 27, 28, 30 und 31). Die Aufrechterhaltung der Haft der gesuchten Person bedarf jedoch einer besonderen Entscheidung der Justizbehörde (Artikel 14). Außer im Falle ihrer Zustimmung muss ein Richter auch über die Übergabe der Person an die Justizbehörde, die den Haftbefehl ausgestellt hat, entscheiden.

    b) Das Verfahren des Europäischen Haftbefehls beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung gerichtlicher Entscheidungen. Die Beziehungen von Staat zu Staat werden damit also weitgehend durch Beziehungen von Justizbehörde zu Justizbehörde ersetzt. Der Begriff "Justizbehörde" umfasst wie im Übereinkommen von 1957 (siehe erläuternder Bericht Artikel 1) die Justizbehörden im eigentlichen Sinne und die Staatsanwaltschaft mit Ausnahme der Polizeibehörden. Die ausstellende Justizbehörde ist nach den verfahrensrechtlichen Bestimmungen des Mitgliedstaats für den Erlass des Europäischen Haftbefehls zuständig (Artikel 4).

    c) Was die vollstreckende Justizbehörde anbetrifft, so sind mehrere verfahrenstechnische Regelungen möglich, je nachdem, ob es sich um ein vereinfachtes Verfahren handelt oder nicht (Artikel 16). Entsprechend dem in diesem Mitgliedstaat anwendbaren Verfahren ist dies die Strafverfolgungsbehörde (Staatsanwalt) oder das Gericht. Der Begriff "vollstreckende Justizbehörde" bezieht sich daher je nachdem auf Erstere oder auf Letzteres. Allerdings muss es grundsätzlich die Behörde sein, die die Entscheidung zur Vollstreckung des Haftbefehls trifft. Auch wenn die Mitgliedstaaten nach Artikel 5 unter bestimmten Umständen eine zentrale Behörde für zuständig erklären können, fällt diese nicht unter die Definition.

    d) Die Definition des Begriffs Abwesenheitsurteil geht einerseits auf das Übereinkommen des Europarates aus dem Jahre 1970 über die internationale Geltung von Strafurteilen und andererseits auf die Resolution (75) 11 des Ministerkomitees des Europarates zurück. Sie entspricht sinngemäß Artikel 3 g des Musterauslieferungsvertrags der Vereinten Nationen (Resolution 45/116, geändert durch Resolution 52/88). In der Definition wird der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in dieser Frage Rechnung getragen. Abwesenheitsurteile sind Urteile, gegen die ein Rechtsmittel eingelegt werden kann, damit die betreffende Person in ihrer Gegenwart erneut abgeurteilt werden kann. Nicht als Abwesenheitsurteile gelten dagegen Entscheidungen gegen eine Person, die im Rahmen der üblichen Fristen des Rechtssystems des Staates, der die Entscheidung gefällt hat, vor Gericht geladen wurde und sich wissentlich und willentlich ihrer Verpflichtung entzogen hat, vor Gericht zu erscheinen, ohne sich vertreten zu lassen und ohne dass ihr Nichterscheinen auf einen Grund zurückzuführen ist, der sich ihrem Einfluss entzieht.

    e) Die Definition des Begriffs Maßregel der Sicherung und Besserung wurde vom Übereinkommen von 1957 übernommen.

    f) Die Definition einer gesuchten Person soll eine Harmonisierung im gesamten Text ermöglichen.

    Artikel 4 - Zuständige Justizbehörden

    Die für den Erlass eines Europäischen Haftbefehls zuständige Justizbehörde wird nach den innerstaatlichen Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten benannt. Diese können die Entscheidung entweder derselben Behörde überlassen, die das Urteil bzw. die Entscheidung nach Artikel 2 gefällt hat, oder sie einer anderen Justizbehörde übertragen.

    Gleiches gilt für die für die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zuständige Behörde. Dabei ist die in Artikel 4 beschriebene Behörde diejenige, die vorbehaltlich der Punkte, die gegebenenfalls in den Zuständigkeitsbereich der zentralen Behörde fallen (Artikel 5), dafür zuständig ist, über die Gültigkeit und die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls und damit über die Übergabe an die Justizbehörden des anderen Mitgliedstaats zu entscheiden. Die für die Auslieferung typische politische und administrative Phase entfällt.

    Artikel 5 - Zentrale Behörde

    Absatz 1 dieses Artikels liegen die Bestimmungen des Übereinkommens der Europäischen Union von 1996 über die Auslieferung sowie jene des Übereinkommens der Europäischen Union von 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen zugrunde. Da es sich um eine praktische Bestimmung handelt, die die Übermittlung von Informationen zwischen den Mitgliedstaaten erleichtern soll, muss das bestehende System beibehalten werden. Die Rolle dieser zentralen Behörden muss darin bestehen, die Verbreitung und Vollstreckung Europäischer Haftbefehle zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern. Sie müssen insbesondere für die Übersetzung sowie die administrative Unterstützung der Vollstreckung der Haftbefehle Sorge tragen.

    Dem vorgeschlagenen System zufolge ist für die Entscheidung über die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls und den Grundsatz seiner Vollstreckung die Justizbehörde des Staates zuständig, in dem die Festnahme erfolgt ist. Die Mitgliedstaaten können allerdings dafür sorgen, dass bei bestimmten Fragen, die erschöpfend aufgezählt werden, eine zentrale Verwaltungsbehörde eingreift, beispielsweise dann, wenn dem System des betroffenen Mitgliedstaats zufolge diese Art von Entscheidung in den Zuständigkeitsbereich einer Verwaltungsbehörde fällt. Dies trifft etwa dann zu, wenn zu entscheiden ist, ob der Betreffende Immunität genießt (Artikel 31), ob wesentliche humanitäre Gründe vorliegen, die einen Aufschub der Vollstreckung rechtfertigen (Artikel 38), oder zur Bewertung der Garantien eines anderen Mitgliedstaats, keine lebenslange Freiheitsstrafe zu verhängen (Artikel 37).

    Hat ein Mitgliedstaat diese Möglichkeit in Anspruch genommen, so hat er die Beziehungen zwischen der für die Entscheidung zuständigen Justizbehörde und dieser zentralen Behörde zu regeln, damit die Justizbehörde bei ihrer Entscheidung die Position der zentralen Behörde berücksichtigen und auch sicherstellen kann, dass die Frist von insgesamt neunzig Tagen eingehalten wird. Das System muss der zentralen Behörde ferner ermöglichen, ihre Entscheidung in Kenntnis der Argumente der gesuchten Person zu treffen.

    Artikel 6 - Inhalt des Europäischen Haftbefehls

    Die in einem Europäischen Haftbefehl gemachten Angaben entsprechen weitgehend denjenigen, die in Artikel 95 des Schengener Durchführungsübereinkommens aufgeführt sind. Diese wurden um folgende Angaben erweitert:

    -- Höhe der verhängten Strafe bei vollstreckbaren Urteilen bzw. der angedrohten Strafe im Fall von im Vorverfahren erlassenen Gerichtsverfügungen;

    -- im Fall von Abwesenheitsurteilen Angaben zum Recht, Einspruch zu erheben, und zu den entsprechenden Bedingungen;

    -- die Tatsache, dass die Person wegen desselben Tatbestands auf freien Fuß gesetzt wurde unter der Bedingung, vor Gericht zu erscheinen, bzw. dass sie gegebenenfalls aus einer Justizvollzugsanstalt entkommen ist.

    Diese letztgenannte Bedingung ist wichtig, da sie in dem für die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls anwendbaren Verfahren einen Unterschied bewirkt. Wenn die Person zuvor unter bestimmten Bedingungen entlassen wurde, dann wird der Europäische Haftbefehl vorbehaltlich des Ermessens der vollziehenden Justizbehörde (Artikel 17) grundsätzlich im Rahmen eines vereinfachten Verfahrens vollstreckt, ohne dass die Zustimmung der betreffenden Person vorliegen muss. Deshalb ist es erforderlich, dass diese Rubrik des Europäischen Haftbefehls sorgfältig ausgefuellt wird. Dies kann in verschiedenen Verfahrensstadien geschehen: entweder von Anfang an oder zu dem Zeitpunkt, zu dem die ausstellende Justizbehörde Artikel 13 Absatz 3 anwendet (Aussetzung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls vorbehaltlich des Erscheinens der betreffenden Person), oder wenn die Person bereits aufgrund desselben Haftbefehls festgenommen und von der Justizbehörde des festnehmenden Staates freigelassen wurde (Artikel 14), sich jedoch ihrer Verpflichtung, vor Gericht zu erscheinen, entzogen hat. In den beiden letzten Fällen ist es Aufgabe der ausstellenden Justizbehörde, den Haftbefehl auszufuellen.

    Die Übermittlung dieser Angaben entspricht einem Untersuchungs-, Festnahme-, Haft- und Übergabebefehl an die Justizbehörden, die die Entscheidung getroffen haben, aufgrund derer der Europäische Haftbefehl ausgestellt wurde. Die im Haftbefehl gemachten Angaben müssen für die Justizbehörden am Ort der Festnahme grundsätzlich zur Vollstreckung des Haftbefehls ausreichen, ohne dass der Vollstreckungsstaat - von Ausnahmen abgesehen - weitere Akten oder Unterlagen anfordern muss.

    Kapitel II: Verfahren

    Teil 1: Allgemeine Bestimmungen

    Artikel 7 - Notifizierung zwischen Behörden

    Es gilt der Grundsatz des Übereinkommens vom 29. Mai 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen, wonach der Europäische Haftbefehl direkt von Justizbehörde zu Justizbehörde notifiziert wird. Die Anwendung dieses Grundsatzes setzt natürlich voraus, dass der Behörde, die den Haftbefehl erlassen hat, der Wohnsitz der gesuchten Person im anderen Mitgliedstaat bekannt ist.

    Wie im Übereinkommen der Union über die Rechtshilfe (Artikel 6) haben die Mitgliedstaaten die Möglichkeit, vorzusehen, dass die Verfahren in bestimmten Fällen über eine zentrale Behörde abgewickelt werden.

    Teil 2: Anwendung des Schengener Informationssystems

    Artikel 8 - Meldung

    Falls der Ort, an dem sich die gesuchte Person aufhält, unbekannt ist, kommt der im Schengener Durchführungsübereinkommen geschaffene Mechanismus zur Anwendung. Dieser Rahmenbeschluss ersetzt in diesem Fall Artikel 95 Absätze 1 und 2 des Schengener Durchführungsübereinkommens. Der Inhalt der zusätzlichen Informationen, die von den zuständigen einzelstaatlichen Behörden zu verbreiten sind (SIRENE-Zentralstellen), wird geändert und entsprechend dem Inhalt des Europäischen Haftbefehls (Artikel 6) in eine einheitliche Form gebracht. Die Verbreitung erfolgt wie auch in der Vergangenheit nach den Vorgaben des Schengen-Verfahrens. In diesem Stadium muss auf der Wahrung der Vertraulichkeit bei der Übermittlung dieser Informationen bestanden werden. Die Anwendung des gesicherten Schengen-Verfahrens stellt dabei die Übereinstimmung mit den europäischen Datenschutzvorschriften sicher.

    Artikel 9 - Gültigkeitsindikator

    Artikel 95 Absätze 3, 4, 5 und 6 des Schengener Durchführungsübereinkommens werden aufgehoben. Artikel 94 Absatz 4 gilt nicht im Fall eines Europäischen Haftbefehls. In diesem Rahmenbeschluss wird der Grundsatz aufgestellt, dass der Europäische Haftbefehl im gesamten Hoheitsgebiet der Union vollstreckt werden kann. Die Vollstreckung kann nur in bestimmten Fällen abgelehnt werden. Grundsätzlich können bei Erlass eines Europäischen Haftbefehls nur die in den Artikeln 27 (außergewöhnliche Wiedereinsetzung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit im Rahmen einer Negativliste), 28 (Ausübung einer extraterritorialen Zuständigkeit), 30 (für eine Straftat im Vollstreckungsstaat bewilligte Amnestie) und 31 (die Person genießt im Vollstreckungsstaat Immunität) dieses Rahmenbeschlusses beschriebenen Situationen zur Anbringung einer Kennzeichnung ("Flag") durch einen Mitgliedstaat führen. Diese Kennzeichnung bewirkt, dass die Festnahme der Person, gegen die der Europäische Haftbefehl erlassen wurde, im Hoheitsgebiet des Staates, der das Flag gesetzt hat, abgelehnt wird. Dies gilt auch, wenn die Justizbehörde des Festnahmestaates gemäß Artikel 14 beschlossen hat, die Person bis zu ihrer Übergabe an die Justizbehörden des ausstellenden Staates vorübergehend freizulassen, um eine neuerliche Festnahme auf demselben Hoheitsgebiet zu vermeiden, oder wenn die ausstellende Justizbehörde den Haftbefehl vorübergehend aussetzt (Artikel 13 Absatz 3). In diesen Fällen muss der Mitgliedstaat, der das Flag setzt, den ausstellenden Staat über sein Vorgehen unterrichten, und bei Kontrollen in seinem Hoheitsgebiet müssen die zuständigen Behörden des Staates, der den Europäischen Haftbefehl ausgestellt hat, über den Aufenthaltsort der Person unterrichtet werden. Diese Verpflichtung wurde von Artikel 95 Absatz 5 des Schengener Durchführungsübereinkommens übernommen.

    Hinsichtlich der Frage der Fristen für die Einführung des Europäischen Haftbefehls in das Schengener System führt die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung zu einer Umkehrung dieser Regel gegenüber den aktuellen Bestimmungen von Artikel 95 Absätze 3, 4 und 6 des Schengener Übereinkommens. Der Grundsatz muss nun die systematische Verbreitung sein. Die Ausschreibung zum Zweck der Nichtfestnahme könnte später erfolgen, wobei die Frist mit der Möglichkeit, die Verbreitung des Europäischen Haftbefehls so lange aufzuschieben, bis geklärt ist, ob dieser mit dem nationalen Recht übereinstimmt, abgeschafft wird.

    Teil 3: Festnahme und Haft

    Artikel 10 - Zwangsmaßnahmen

    Zu diesem Punkt bringt der vorliegende Rahmenbeschluss keine Änderung der derzeitigen Situation mit sich. Bei Zwangsmaßnahmen gegenüber der festgenommenen Person gelten die Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats, vorbehaltlich des Rechts, einen Anwalt und einen Dolmetscher hinzuzuziehen, das ein wesentliches Merkmal des Europäischen Haftbefehls ist (siehe Artikel 11 Absatz 2).

    Es ist Aufgabe der zuständigen Polizei- und Justizbehörden, nach nationalem Recht erste Maßnahmen zu ergreifen, um der Person habhaft zu werden und ihre Identität zu überprüfen. Im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte müssen diese Zwangsmaßnahmen notwendig und verhältnismäßig sein. Da der Europäische Haftbefehl einen Inhaftierungsbefehl darstellt, muss die Person in Haft gehalten werden, bis die Justizbehörde des Vollstreckungsstaates gemäß dem nationalen Recht über ihren Fall entscheidet (Artikel 14). Die Mitgliedstaaten müssen jedoch in ihren Rechtsvorschriften die Kontrollen festlegen, die während des Zeitraums von der Festnahme der Person bis zu ihrem Erscheinen vor den Justizbehörden des Vollstreckungsstaates anwendbar sind. Die diesbezügliche Rechtslage entspricht dem derzeit im Bereich der Auslieferung bestehenden Mechanismus.

    Artikel 11 - Rechte der gesuchten Person

    In diesem Rahmenbeschluss wird die Unterscheidung übernommen, wie sie in den Übereinkommen der Europäischen Union von 1995 und 1996 zwischen Fällen vorgenommen wird, in denen die Person ihrer Übergabe an die Behörden des ersuchenden Staates zustimmt, und Fällen, in denen sie diese Übergabe ablehnt.

    Deshalb muss der Person ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme aufgrund des Europäischen Haftbefehls dessen Inhalt bekannt sein, damit sie gegebenenfalls ihrer sofortigen Übergabe an die ausstellende Justizbehörde zustimmen kann. Der Wortlaut dieses Artikels wurde von Artikel 6 des Übereinkommens von 1995 übernommen.

    Ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme hat die Person, gegen die der Haftbefehl erlassen wurde, das Recht, einen Anwalt und gegebenenfalls auch einen Dolmetscher hinzuzuziehen. Dabei handelt es sich um eine wichtige Garantie zum Schutz der Rechte des Einzelnen. Diese wird dadurch gerechtfertigt, dass die Person, die in einem ihr unbekannten rechtlichen und zuweilen auch sprachlichen Umfeld festgenommen wird und in einen anderen Mitgliedstaat überführt werden soll, von Beginn des Verfahrens an die Möglichkeit haben muss, sich von einem Anwalt beraten zu lassen. Es handelt sich dabei um eine Garantie, die eine Besonderheit des Europäischen Haftbefehls darstellt und von dem in dem Mitgliedstaat anwendbaren Verfahren bei einer Festnahme aufgrund eines nationalen Haftbefehls unabhängig ist (siehe oben).

    Artikel 12 - Notifizierung der Justizbehörden

    Die Justizbehörden sind unverzüglich von der Festnahme zu unterrichten. Wenn es sich um die Justizbehörden des Vollstreckungsstaates handelt, werden diese nach dem geltenden nationalen Verfahren unterrichtet. Handelt es sich um die Justizbehörden des ausstellenden Staates, wird ihnen die Festnahme entweder von der zuständigen Behörde des festnehmenden Staates oder von der/den zentralen Behörde(n) nach Artikel 5 mitgeteilt.

    Artikel 13 - Überprüfung und Aussetzung des Haftbefehls

    Aus Sicherheitsgründen muss die Gültigkeit des Europäischen Haftbefehls bei den ausstellenden Justizbehörden bzw. der zentralen Behörde des ausstellenden Staates systematisch und unverzüglich überprüft werden. Diese Überprüfung ist umso notwendiger, als der ausstellende Staat später kein Übergabeersuchen zu stellen braucht, da dieses definitionsgemäß bereits Bestandteil des Europäischen Haftbefehls ist.

    Wird der Haftbefehl nicht aufrechterhalten, wird die Person sofort wieder entlassen, sofern kein anderes Verfahren gegen sie eingeleitet wurde.

    Die ausstellende Justizbehörde kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls vorübergehend aussetzen, wenn sich die festgenommene Person im Gegenzug dazu verpflichtet, freiwillig an einem bestimmten Ort und zu einem bestimmten Termin vor Gericht zu erscheinen. Die Behörde hat ferner die Möglichkeit, zusätzliche Garantien einzuholen oder ihre Zustimmung an bestimmte Bedingungen zu knüpfen, etwa die Hinterlegung einer Bürgschaft. Die Verpflichtung der betreffenden Person, vor Gericht zu erscheinen, wird von der Justizbehörde des Staates der Festnahme eingeholt und der ausstellenden Justizbehörde übermittelt. Mögliche Folgen des Nichterscheinens werden ihr ebenfalls mitgeteilt. Die ausstellende Justizbehörde muss ferner die Information über die vorübergehende Aussetzung des Europäischen Haftbefehls an das Schengener Informationssystem übermitteln, sofern der Haftbefehl auf diesem Weg verbreitet wurde.

    Erscheint die Person wie vereinbart, wird der Europäische Haftbefehl endgültig aufgehoben (Artikel 25). Ansonsten muss die ausstellende Justizbehörde mitteilen, dass die Person ihrer Verpflichtung nicht nachgekommen ist, damit der Haftbefehl wieder vollstreckbar wird. In diesem Fall findet bei einer erneuten Festnahme das Verfahren nach Artikel 17 Anwendung, wonach von bestimmten Ausnahmen abgesehen der Haftbefehl unverzüglich vollstreckt wird, auch ohne die Zustimmung des Betreffenden und ohne eine Vernehmung.

    Artikel 14 - Vorübergehende Freilassung

    Zwischen ihrer Festnahme und ihrer Übergabe an die ausstellenden Behörden untersteht die Person der Zuständigkeit des Vollstreckungsmitgliedstaats. Die zuständigen Justizbehörden dieses Staates müssen sich nach dem im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Verfahren und innerhalb der darin bestimmten Fristen über die Aufrechterhaltung der Haft der Person äußern. Dieses Verfahren, bei dem ausschließlich die Frage der Freilassung behandelt wird, könnte vom Verfahren nach Artikel 18 getrennt sein, das die Gültigkeit und Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls betrifft. Die vollstreckende Justizbehörde entscheidet nach Maßgabe der Garantien für das Erscheinen der Person vor Gericht und ihrer Verpflichtung, sich der Justiz zum Vollzug des Haftbefehls zur Verfügung zu halten.

    Ziel dieser Bestimmung ist es, die Person im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaates so lange auf freiem Fuß zu belassen, bis sie der ausstellenden Justizbehörde übergeben wird. Die Justizbehörden des ausstellenden und des vollstreckenden Staates entscheiden gemeinsam über die Vollstreckung, je nachdem, zu welchem Termin die Person vor ihnen erscheinen muss. Solange sich die Person im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaates zur Verfügung hält, muss dieser Staat auch dafür Sorge tragen, dass sich die Person nicht dem Zugriff der Justiz entzieht. Die vollstreckende Justizbehörde kann im Fall einer bedingten Freilassung in ihrer Entscheidung nach nationalem Recht vorgesehene Bedingungen aufstellen, wie etwa die Hinterlegung einer Kaution, das Verbot, ein bestimmtes Gebiet zu verlassen, oder die Verpflichtung, sich regelmäßig bei Kontrollbehörden zu melden usw.

    Die hier angesprochene Situation unterscheidet sich von derjenigen im vorangegangenen Artikel. Im Gegensatz zur Aussetzung des Europäischen Haftbefehls nach Artikel 13 Absatz 3 wird der Haftbefehl in diesem Fall tatsächlich vollstreckt, wofür der Staat zuständig ist, der die Festnahme vorgenommen hat.

    Teil 4: Gerichtsverfahren zur Übergabe

    Artikel 15 - Prüfung des Europäischen Haftbefehls

    Die für die Entscheidung über die Vollstreckung des Haftbefehls zuständige Justizbehörde muss unverzüglich befasst werden, auf alle Fälle spätestens zehn Tage nach der Festnahme. In dieser Zeit muss die benannte zuständige Behörde gegebenenfalls die Zustimmung des Betroffenen zur Vollstreckung des Haftbefehls einholen. Je nachdem, ob dieser seine Zustimmung erteilt oder nicht, kann im Hinblick auf die Behörde, die über die Vollstreckung entscheidet, eine Änderung vorgenommen werden. Dabei kann es sich in den in Artikel 16 und 17 genannten Fällen um die Staatsanwaltschaft handeln, in den anderen Fällen um ein Gericht.

    Artikel 16 - Zustimmung zur Übergabe

    Diesem Artikel liegen Artikel 7 und 8 des Übereinkommens von 1995 zugrunde, insbesondere im Hinblick auf die Bedingungen für die Einholung der Zustimmung der betreffenden Person. Wenn diese ihre Zustimmung erteilt, ist der Haftbefehl unverzüglich zu vollstrecken. Der damit geschaffene Mechanismus unterscheidet sich nicht wesentlich von dem im Überein kommen von 1995 vorgesehenen Mechanismus, der bereits ausdrücklich von dem förmlichen Auslieferungsmechanismus abwich [2]. Früher allerdings war der ersuchte Staat uneingeschränkt dafür zuständig, die Rechtmäßigkeit und die Zweckmäßigkeit der Übergabe zu beurteilen. Künftig ist diese Zuständigkeit durch die Bestimmungen des Rahmenbeschlusses über die Ablehnung der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls geregelt. Bei der für die Entscheidung zuständigen Behörde muss es sich grundsätzlich um eine Justizbehörde handeln, doch können die Mitgliedstaaten beschließen, mit dieser Entscheidung den Staatsanwalt zu befassen, wodurch sich diese Situation von der in Artikel 18 beschriebenen Situation unterscheidet.

    [2] Aufgrund des im Übereinkommen von 1995 vorgesehenen Mechanismus hatten die Staaten jedoch die Möglichkeit zu erklären, dass die Zustimmung der betreffenden Person widerrufen werden kann. Diese Einschränkung wurde hier nicht übernommen.

    Die Förmlichkeiten der Notifizierung der Zustimmung der Person an die ausstellende Justizbehörde wurden jedoch erleichtert. Nach dem System des Übereinkommens von 1995 hatte diese Notifizierung einen direkten Einfluss auf die Vorlage eines Auslieferungsersuchens durch den ersuchenden Staat. Da der Europäische Haftbefehl ein Übergabeersuchen darstellt, hat die Notifizierung der Zustimmung der Person nun für die ausstellende Justizbehörde vor allem praktischen Informationswert.

    Artikel 17 - Frühere Freilassung

    Mit diesem Artikel soll dem früheren Verfahren Rechnung getragen werden, das möglicherweise im Hoheitsgebiet des ausstellenden oder des vollstreckenden Staates eingeleitet wurde. Wenn sich eine Person, die festgenommen und freigelassen bzw. nach der Untersuchungshaft wieder entlassen wurde, ihrer Pflicht, vor Gericht zu erscheinen, entzieht (eine Angabe, die im Haftbefehl (Artikel 6 Buchstabe i) aufgeführt ist) oder aus einer Haftanstalt entflohen ist, wird das Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls vereinfacht und die Vernehmung vor einem Gericht grundsätzlich ausgeschlossen, auch dann, wenn die Person ihre Zustimmung verweigert hat. Gleiches gilt, wenn die Person bereits aufgrund desselben Europäischen Haftbefehls festgenommen wurde, jedoch entgegen ihrer Verpflichtung nicht vor der ausstellenden Justizbehörde erschienen ist (Artikel 13 Absatz 3) oder nach Artikel 14 vorübergehend aus der Haft entlassen wurde und sich ihren Verpflichtungen entzogen hat.

    Wenn jedoch die Justizbehörde des Vollstreckungsstaates aus begründetem Anlass zu der Auffassung gelangt, dass dem Ersuchen aufgrund einer der in den Artikeln 27 bis 34 genannten Fälle nicht stattgegeben wird, hat sie die Möglichkeit, nach dem in Artikel 18 beschriebenen Verfahren ein Gericht anzurufen. Widerspricht die gesuchte Person der Anwendung dieses beschleunigten Verfahrens, so kann sie ihren Einspruch von einem Gericht prüfen lassen. Das Rechtsmittel betrifft nur die Frage, ob die Bedingungen nach Absatz 1 erfuellt sind (Handelt es sich um die richtige Person? War sie tatsächlich von einer Maßnahme der Freilassung nach Absatz 1 begünstigt? usw.). Diese Kontrolle unterscheidet sich damit wesentlich von dem Rechtsmittel nach Artikel 18. Die Anwendung dieses Rechtsmittels kann auch dazu führen, dass die Justizbehörde des Vollstreckungsstaates gegebenenfalls gemäß Artikel 14 über die Aufrechterhaltung der Haft der Person entscheidet.

    Eines der Ziele dieses Artikels ist es, indirekt die Garantien dafür zu verbessern, dass in anderen Mitgliedstaaten ansässige Personen tatsächlich vor Gericht erscheinen. Denn solche Personen bleiben oft länger inhaftiert als eigene Staatsangehörige, weil die Justizbehörden davon ausgehen, dass die Garantien für ein Erscheinen vor Gericht in ihrem Fall nicht ausreichen. Aufgrund des vorgeschlagenen Mechanismus werden diese Personen den eigenen Staatsangehörigen gleichgestellt. Durch die den Justizbehörden gegebene Zusicherung der einfachen und wirksamen Rückgabe der betreffenden Person auch dann, wenn sie in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, dürfte es erheblich leichter sein, die Person auf freiem Fuß zu belassen bzw. sie wieder zu entlassen.

    Artikel 18 - Vernehmung

    Stimmt die Person ihrer Übergabe nicht zu oder tritt die in Artikel 17 Absätze 2 oder 3 beschriebene Situation ein, so ist ein Gericht für die Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zuständig. In diesen Fällen zielt Artikel 18 darauf ab, der Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurde, ein noch höheres Maß an Schutz zu gewähren und ihr die Möglichkeit einzuräumen, von einem unabhängigen Richter vernommen zu werden und eine Prüfung der Situation nach Anhörung der Parteien zu erhalten. In den anderen Fällen kann das Verfahren von der Staatsanwaltschaft eingeleitet werden, sofern dies mit der Rechtsordnung des betreffenden Mitgliedstaats in Einklang steht.

    Die Person muss innerhalb von zehn Tagen nach ihrer Festnahme vor Gericht erscheinen (Artikel 15). Die Vernehmung erfolgt in Übereinstimmung mit den im Vollstreckungsstaat geltenden verfahrensrechtlichen Bestimmungen. Dabei sind inhaltliche Fragen grundsätzlich auszuklammern, und die Vernehmung muss sich auf Punkte wie etwa die Identität oder die förmliche Rechtmäßigkeit des Haftbefehls (Artikel 32) beschränken. Die Kontrolle des Vollstreckungsgerichts muss jedoch gegebenenfalls auch alle in den Artikeln 27, 28, 29, 30, 31, 33 und 34 geregelten Ausnahmefälle sowie die Sonderfälle nach den Artikeln 35, 36, 37, 38, 39 oder 40 umfassen, vorbehaltlich der etwaigen Zuständigkeit der zentralen Behörde.

    Vorgesehen ist ferner, dass der ausstellende Staat als solcher vor dem Gericht, das die Entscheidung trifft, vertreten wird bzw. Anträge stellt. Dieser Mechanismus soll eine echte Diskussion sowie insbesondere die (im Grunde nur in seltenen Fällen erforderliche) Übermittlung von ergänzenden Unterlagen, die sich als notwendig erweisen, ermöglichen (Artikel 19).

    Artikel 19 - Ergänzung der Unterlagen

    Hier muss es sich um Ersuchen in Ausnahmefällen handeln, denn die im Haftbefehl enthaltenen Angaben reichen prinzipiell für dessen Vollstreckung aus. Unter bestimmten Umständen (etwa Anwendung des Grundsatzes non bis in idem oder Überprüfung, ob es sich tatsächlich um einen Fall handelt, der unter die Negativliste gemäß Artikel 27 fällt) kann es jedoch notwendig sein, die Unterlagen des Gerichts zu ergänzen. Das Gericht kann daher die Sache auf einen späteren Termin verschieben. Diese Verschiebung darf jedoch nicht zu einer Verlängerung der Verfahrensfristen führen, die genau vorgegeben sind (Artikel 20).

    Artikel 20 - Frist zur Annahme der Entscheidung über die Folgen auf den Europäischen Haftbefehl

    Es obliegt jedem einzelnen Staat, das Verfahren gemäß seinen innerstaatlichen Vorschriften abzuwickeln und gegebenenfalls insbesondere die Möglichkeit vorzusehen, gegen die Entscheidung eines Gerichts gemäß Artikel 18 ein Rechtsmittel einzulegen. Das mit diesem Rahmenbeschluss geschaffene Verfahren soll jedoch in erster Linie zügig und effizient abgewickelt werden. Deshalb ist es notwendig, dass eine Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sehr rasch erfolgt und die ausstellende Behörde unverzüglich davon unterrichtet wird, wie über ihr Ersuchen entschieden wurde. Die vorgeschlagene Frist von neunzig Kalendertagen entspricht der im Vertrag zwischen Italien und Spanien vorgesehenen Frist. Sie kann unter keinen Umständen verlängert werden und umfasst sämtliche Verfahrensabschnitte.

    Artikel 21 - Ablehnung und Fristablauf

    Die Ablehnung der Übergabe der gesuchten Person bzw. die Nichteinhaltung der Frist von neunzig Tagen zur Entscheidungsfindung bewirkt, dass die Person wieder entlassen wird, sofern der Haftbefehl im Fall eines Urteils nicht im ersuchten Staat vollstreckt wird (Artikel 33) oder ein anderer Haftgrund vorliegt.

    Die Bestimmungen über die Begründung der Ablehnung wurden entsprechend angepasst vom Übereinkommen von 1957 (Artikel 18 Absatz 2) übernommen.

    Artikel 22 - Notifizierung der Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls

    Dieser Artikel geht teilweise auf Artikel 10 des Übereinkommens von 1995 über die vereinfachte Auslieferung zurück. Die Notifizierung erfolgt direkt von der vollstreckenden an die ausstellende Justizbehörde. Damit wird der Grundsatz der direkten Kommunikation zwischen Justizbehörden nach Artikel 8 umgesetzt. In der Praxis können die zentralen Behörden eingreifen, um diese Übermittlung zu vereinfachen (etwa, indem sie für die Übersetzung Sorge tragen).

    Die Entscheidung ist unmittelbar mitzuteilen. Im Übereinkommen von 1995 ist eine Frist von zwanzig Tagen vorgesehen, um die Entscheidung über die Bewilligung oder die Ablehnung der Auslieferung mitzuteilen. Mit dieser Frist sollte gegebenenfalls dem ersuchenden Staat, dem die Anwendung des vereinfachten Verfahrens verweigert wurde, die Möglichkeit gegeben werden, ein förmliches Auslieferungsersuchen nach dem üblichen Verfahren zu stellen. Nachdem diese Möglichkeit hinfällig geworden ist, entfällt auch diese Frist, da es sich um die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls handelt. Da die Vollstreckung die Regel ist und die Ablehnung die Ausnahme, ist es besser, die Phase der Notifizierung möglichst zu verkürzen und unverzüglich zu den Übergabeformalitäten überzugehen, damit die Übergabe auch unmittelbar erfolgen kann.

    Artikel 23 - Fristen für die Übergabe der gesuchten Person

    Die Übergabe der betreffenden Person muss innerhalb von zwanzig Tagen nach der Notifizierung der Zustimmung bzw. der Entscheidung erfolgen, unabhängig davon, von welcher Behörde die Entscheidung getroffen wurde.

    Die Absätze 2 und 3 orientieren sich am Übereinkommen von 1995 (Artikel 11). Sie beziehen sich auf Fälle, in denen die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zwar bewilligt, jedoch aufgeschoben wurde, da die Überstellung der Person aus Gründen höherer Gewalt nicht möglich ist. Im Sinne des Übereinkommens von 1995 (siehe erläuternder Bericht) ist der Begriff höhere Gewalt im strengen Wortsinne auszulegen, analog zum internationalen Strafrecht. Dabei geht es um eine Situation, die nicht vorhersehbar war und deren Eintritt nicht verhindert werden konnte (z. B. ein Verkehrsunfall, ein Streik, aufgrund dessen das vorgesehene Beförderungsmittel nicht benutzt werden kann, wobei es nicht möglich ist, auf ein anderes Beförderungsmittel auszuweichen, oder eine schwere Krankheit der auszuliefern den Person, die eine sofortige Einweisung in ein Krankenhaus erforderlich macht). In diesem Fall muss der neue Termin für die Übergabe möglichst kurz auf den Zeitpunkt folgen, zu dem die ursprünglich vorgesehene Übergabefrist abgelaufen war. Der vorgeschlagene Text ist weiter als jener des Übereinkommens von 1995. Beruht die Nichtdurchführung der Überstellung auf der persönlichen Situation der Person, wie etwa ihrem Gesundheitszustand, so ist die Frist von zweimal zwanzig Tagen nicht anwendbar (Absatz 3 Anstrich 2).

    Wurde der Haftbefehl aufgrund eines rechtskräftigen Urteils ausgestellt und wird die gesuchte Person strafrechtlich verfolgt, wobei dieser Strafverfolgung im Vollstreckungsstaat noch keine rechtskräftige Entscheidung zugrunde liegt (Artikel 39 Absätze 1, 2 und 4), so werden im Haftbefehl die Fristen für die Übergabe der Person aufgeführt. Die Übergabe findet erst dann statt, wenn die Strafverfolgung abgeschlossen ist.

    Unabhängig davon, ob der Europäische Haftbefehl fristgerecht vollstreckt wird oder einer der in diesem Artikel genannten Ausnahmefälle vorliegt, muss der endgültige Übergabetermin einvernehmlich zwischen den zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten festgelegt werden.

    Artikel 24 - Abzug der Haftdauer vom gesamten Strafmaß

    Im Rahmen des Auslieferungsverfahrens ist die Möglichkeit, die Dauer der Auslieferungshaft vom gesamten Strafmaß in Abzug zu bringen, nicht immer gegeben. Diese Lücke soll mit Artikel 24 geschlossen werden. Dazu muss der Vollstreckungsstaat dem ersuchten Staat einen genauen Nachweis über die Haftdauer in Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls vorlegen.

    Artikel 25 - Außerkrafttreten des Europäischen Haftbefehls

    Nach der Übergabe der gesuchten Person muss die Justizbehörde des Vollstreckungsstaates sicherstellen, dass der Haftbefehl außer Kraft tritt. Die ausstellende Justizbehörde hat dabei nach Maßgabe des nationalen Rechts vorzugehen und gegebenenfalls die entsprechende Information an das Schengener Informationssystem zu übermitteln. Das Außerkrafttreten kann in verschiedenen Verfahrensabschnitten erfolgen: selbstverständlich bei der Durchführung der Übergabe, aber auch wenn die vollstreckende Justizbehörde entscheidet, die Strafe auf ihrem Hoheitsgebiet zu vollstrecken, oder bei der Feststellung eines Falles von non bis in idem.

    Kapitel III: Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung

    Artikel 26 - Allgemeine Bestimmungen

    Die Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls durch einen Mitgliedstaat sind in diesem Rahmenbeschluss abschließend aufgeführt. Vorbehaltlich der Anwendung der allgemeinen Bestimmungen über den Schutz der Grundrechte und insbesondere der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950 sowie der Charta der Grundrechte der Europäischen Union kann die Justizbehörde eines Mitgliedstaats die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls aus anderen als den im vorliegenden Text genannten Gründen nicht verweigern.

    Artikel 27 - Liste der Ausnahmen

    Der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit wird aufgehoben. Diese Aufhebung ergibt sich logischerweise aus der Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung: die Entscheidung der Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats wird im Hinblick auf sämtliche Rechtswirkungen ipso facto und grundsätzlich ohne weitere Kontrollen anerkannt. Daher spielt es keine Rolle, ob die dem Haftbefehl zugrundeliegende strafbare Handlung im Vollstreckungsstaat keinen Straftatbestand darstellt oder ob unterschiedliche Tatbestands merkmale vorliegen. Jeder Mitgliedstaat erkennt mit diesem Grundsatz nicht nur das Strafrecht der anderen Mitgliedstaaten uneingeschränkt an, sondern willigt auch ein, sie bei der Durchsetzung dieses Strafrechts zu unterstützen. Damit können insbesondere die Schwierigkeiten gelöst werden, die sich aus dem unterschiedlichen Stand der Anpassung des Strafrechts in den Mitgliedstaaten beim Auftreten neuer krimineller Phänomene ergeben.

    In den Artikeln 27 und 28 sind allerdings zwei Ausnahmen vorgesehen.

    Nach Artikel 27 kann jeder Mitgliedstaat eine Liste von Handlungen erstellen, für die er grundsätzlich die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ablehnt (sog. "Negativliste"). Diese Liste kann sich nur auf Handlungen beziehen, die in dem Mitgliedstaat, der die Liste erstellt, keinen Straftatbestand darstellen, in anderen Mitgliedstaaten jedoch unter Strafe stehen. Strafbare Handlungen, die im Laufe der Geschichte entkriminalisiert wurden (Abtreibung, Drogenkonsum, Euthanasie usw.) sind ein typisches Beispiel für Punkte, die auf dieser Liste stehen könnten. Man kann davon ausgehen, dass die Entkriminalisierung in diesen Fällen auf eine demokratische Auseinandersetzung in dem Staat zurückgeht, der fortan anderen Staaten, die diese Handlungen weiterhin unter Strafe stellen, seine Unterstützung verweigert. Auf dieser Liste können auch Fragen allgemeinerer Art in Verbindung mit strafbaren Handlungen wie beispielsweise das Alter der Strafmündigkeit stehen. Die Liste der in diesem Artikel genannten strafbaren Handlungen ist dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission vorzulegen und zu veröffentlichen. Es bedarf jedoch einer Frist von drei Monaten ab der Veröffentlichung oder Änderung der Liste, bevor der Mitgliedstaat die darin aufgeführten Ausnahmen geltend machen kann.

    Artikel 28 - Grundsatz der Territorialität

    Wenn ein Mitgliedstaat eine extraterritoriale Zuständigkeit im Zusammenhang mit einer Straftat wahrnimmt, die nach den Rechtsvorschriften des Staates, der um Vollstreckung ersucht wird, nicht unter Strafe gestellt ist, kann dieser Staat die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ablehnen. Es wird davon ausgegangen, dass ein Staat extraterritoriale Zuständigkeiten dann wahrnimmt, wenn keines der Tatbestandsmerkmale der strafbaren Handlung in seinem eigenen Hoheitsgebiet erfuellt wurde. Grundsätzlich müssen sich die Mitgliedstaaten gegenseitig unterstützen und die von den Justizbehörden der anderen Mitgliedstaaten erlassenen Europäischen Haftbefehle vollstrecken, auch dann, wenn diese in Anwendung ihrer nationalen Rechtsvorschriften extraterritoriale Zuständigkeiten wahrgenommen haben. Diese Verpflichtung wird jedoch im Fall von strafbaren Handlungen, die im Hoheitsgebiet des Staates, der um Vollstreckung ersucht wird, nicht unter Strafe steht, aufgehoben. Damit kann verhindert werden, dass ein Staat einen Europäischen Haftbefehl aufgrund einer Straftat vollstrecken muss, die ausschließlich in seinem eigenen Hoheitsgebiet verübt wurde und die nach seinen Rechtsvorschriften nicht als strafbar gilt. Als Kriterium muss hier zur Wiederherstellung des Grundsatzes der beiderseitigen Strafbarkeit die Definition der strafbaren Handlung, wie sie im materiellen Strafrecht verankert ist, herangezogen werden und nicht die Frage der gerichtlichen Zuständigkeit des Staates, der für dieselbe Straftat um Vollstreckung ersucht wird. Mit anderen Worten, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls kann verweigert werden, wenn der ausstellende Staat eine extraterritoriale Zuständigkeit wahrgenommen hat und wenn die strafbare Handlung, die dieser extraterritorialen Zuständigkeit zugrunde liegt, im Hoheitsgebiet des Staates, der um Vollstreckung ersucht wird, keinen Straftatbestand darstellt. Die Frage, ob die Handlung nach den Rechtsvorschriften des Vollstreckungsmitgliedstaats strafbar ist, muss unter strengen Gesichtspunkten beurteilt werden, wobei eine etwaige Entscheidungskompetenz in ähnlichen Fällen außer Acht zu lassen ist. Wenn daher die Handlung in rechtlicher Hinsicht zwar strafbar ist, das Gericht des Vollstreckungsstaates jedoch in derselben Situation nicht in der Sache zuständig ist, ist der Europäische Haftbefehl zu vollstrecken.

    Artikel 29 - Non bis in idem

    Der Grundsatz non bis in idem ist ein wesentlicher Rechtsgrundsatz. Alle nationalen Gerichte sind an diesen Grundsatz gebunden, der in Artikel 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union für die gesamte Union erneut für unumstößlich erklärt wurde.

    Im Übereinkommen vom 25. Mai 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Gemeinschaften über die Anwendung des Grundsatzes non bis in idem sind die entsprechenden Durchführungsbestimmungen sowie die möglichen Ausnahmen aufgeführt. Dieses Übereinkommen wurde jedoch nur von drei Mitgliedstaaten ratifiziert.

    Gemäß Artikel 9 des Übereinkommens von 1957 darf die Auslieferung aus diesem Grund nur dann verweigert werden, wenn die offenbar gleiche Entscheidung von den Justizbehörden des ersuchten Staates gefällt wurde (oder wenn diese beschlossen hatten, keine Strafverfolgung einzuleiten bzw. diese einzustellen). Diese Lösung wird auch hier befürwortet.

    Der hier vorgeschlagene Mechanismus trägt der sich aus der Einrichtung des Europäischen Haftbefehls ergebenden zügigen Vorgehensweise Rechnung. Die Lösung fällt unterschiedlich aus, je nachdem, ob die betreffende Entscheidung von einer Justizbehörde des Vollstreckungs staates oder von einem Drittstaat getroffen wurde. Im ersten Fall obliegt es den Justizbehörden des Vollstreckungsstaates, zu prüfen, ob der Tatbestand, der der Strafverfolgung in den beiden Staaten zugrunde liegt, derselbe ist. Im zweiten Fall gilt grundsätzlich, dass der Haftbefehl vollstreckt und das ausstellende Gericht mit der Überprüfung der Übereinstimmung des der Strafverfolgung zugrunde liegenden Sachverhalts betraut wird.

    Das Protokoll von 1975 hatte die Prüfung des Grundsatzes non bis in idem zwar auch auf Entscheidungen von Drittstaaten erweitert, die Parteien des Übereinkommens sind (Artikel 2). Darin wurden Situationen beschrieben, in denen die Auslieferung wegen des Grundsatzes non bis in idem abgelehnt werden konnte, sowie eine Reihe weiterer Ausnahmen, die eine solche Ablehnung rechtfertigen. Diese Lösung scheint im Rahmen der Beurteilung des Grundsatzes non bis in idem im Zusammenhang mit der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls jedoch ungeeignet. Denn dieses Protokoll wurde zum einen von nur sechs Mitgliedstaaten der Union ratifiziert, und zum anderen kann die Überprüfung aufgrund des vorgesehenen Verfahrens rasch und schlüssiger erfolgen als im Vollstreckungsstaat, der möglicherweise nicht über alle notwendigen sachdienlichen Informationen verfügt.

    Darüber hinaus kann im Falle eines Konflikts über die Zuständigkeit für die dem Erlass des Europäischen Haftbefehls zugrunde liegende strafbare Handlung zwischen den Justizbehörden des ausstellenden und des vollstreckenden Staates die Vollstreckung des Haftbefehls abgelehnt werden, wenn der Vollstreckungsstaat beschlossen hat, keine Strafverfolgung einzuleiten. Diesbezüglich wird die gleiche Lösung empfohlen wie im Übereinkommen von 1957.

    Artikel 30 - Amnestie

    Hinsichtlich der Amnestie stellt dieser Artikel keine Neuerung gegenüber der Situation dar, wie sie im Zweiten Protokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen (Artikel 4) beschrieben ist und von Artikel 62 Absatz 2 des Schengener Übereinkommens sowie Artikel 9 des Übereinkommens von 1996 übernommen wurde. Der Wortlaut ist derselbe.

    Die Erwägungen, die der Bewilligung dieser Ausnahme zugrunde liegen, sind dieselben wie diejenigen, die zur Begründung der Erstellung einer Negativliste gemäß Artikel 27 angeführt werden. Die Amnestie bei bestimmten strafbaren Handlungen ist Gegenstand einer demokratischen Debatte in dem betreffenden Staat. Daher ist es logisch zuzulassen, diesem Staat die Möglichkeit einzuräumen, anderen Staaten, die die betreffenden Handlungen weiterhin unter Strafe stellen, seine Unterstützung zu verweigern.

    Die in Artikel 8 des Übereinkommens von 1996 geregelte Verjährung ist dagegen nicht mehr unter den Gründen für eine Ablehnung aufgeführt, was auch dann gilt, wenn beide Staaten für die Verfolgung der Straftat zuständig sind. Während die Amnestie Ergebnis eines Rechtsetzungsaktes im Vollstreckungsstaat ist, ist die Verjährung lediglich die Folge der nicht eingeleiteten Strafverfolgung in diesem Staat. Sie kann unbeabsichtigt sein und auf die Unkenntnis der Behörden dieses Staates über das Vorliegen einer strafbaren Handlung, auf mangelnde Sorgfalt oder auch auf den Misserfolg der eingeleiteten Ermittlungen zur Feststellung der Identität des Straftäters zurückzuführen sein. Diese Schwierigkeiten dürfen der ausstellenden Justizbehörde daher nicht vorgehalten werden. Außerdem wäre es unlogisch, wenn ein Staat einen Europäischen Haftbefehl aufgrund von Handlungen vollstrecken würde, die für ihn keinen Straftatbestand darstellen, und diese Vollstreckung ablehnt, wenn es sich bei den Handlungen zwar um Straftaten handelt, diese jedoch verjährt sind.

    Artikel 31 - Immunität

    Kraft dieses Artikels, der vom Vertrag zwischen Italien und Spanien übernommen wurde, kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abgelehnt werden, wenn die Person, gegen die er erlassen wurde, in dem Vollstreckungsstaat Immunität genießt. Dieser neu eingeführte Ablehnungsgrund ergibt sich daraus, dass der Übergabeprozess verstärkt über gerichtliche Instanzen abgewickelt wird. Zuvor war es Aufgabe der politischen Behörde, die Immunität zu erklären und dieser entsprechend Rechnung zu tragen. Künftig ist eine solche Situation ein ausdrücklicher Ausschließungsgrund. Die Entscheidung über die Anerkennung der Immunität der gesuchten Person kann jedoch der zentralen Behörde übertragen werden (Artikel 5).

    Artikel 32 - Fehlen notwendiger Informationen

    Hierbei handelt es sich um eine klassische Klausel zur Ablehnung der Vollstreckung eines Haftbefehls.

    Zum einen muss die Identität der festgenommenen Person mit Sicherheit festgestellt worden sein, und zum anderen muss der Haftbefehl gemäß Artikel 6 des Rahmenbeschlusses erlassen worden sein.

    Kapitel IV: Gründe für die Ablehnung der Übergabe

    Artikel 33 - Grundsatz der Wiedereingliederung

    Für den Fall, dass der Europäische Haftbefehl aufgrund einer rechtskräftigen Entscheidung erlassen wurde, kann die Justizbehörde des Vollstreckungsstaates beschließen, dass es im Hinblick auf die künftige soziale Wiedereingliederung des Betreffenden besser ist, wenn er seine Strafe vor Ort verbüßt. Das Wohl des Betroffenen ist das einzige Kriterium, das die Anwendung dieser Bestimmung rechtfertigt; hierzu ist die Zustimmung des Betroffenen einzuholen.

    Das Erfordernis der Zustimmung steht nicht in Widerspruch zu Artikel 69 des Schengener Übereinkommens. Dieser Artikel bezieht sich auf eine Situation, in der eine Person, die verurteilt wurde, in einen anderen Mitgliedstaat entflohen ist und der ausstellende Staat das Strafurteil zum Zweck der Vollstreckung übermittelt. Selbstverständlich ist es nicht erforderlich, die Zustimmung des Betroffenen zur Vollstreckung einzuholen. Hier jedoch geht es nicht in erster Linie um die Übermittlung eines Strafurteils, sondern um die Vollstreckung eines Haftbefehls. Der Grundsatz muss die Vollstreckung dieses Haftbefehls sein, auch wenn es sich um einen eigenen Staatsangehörigen handelt. Für die gesuchte Person (eigene Staatsangehörige oder Personen mit langfristiger Aufenthaltsberechtigung) kann es jedoch ratsamer sein, die Strafe in dem Staat zu verbüßen, in dem sie festgenommen wurde. In diesem Fall kann der Vollstreckungsstaat mit Zustimmung der Person beschließen, den Strafvollzug im eigenen Hoheitsgebiet vorzunehmen, anstatt den Haftbefehl zu vollstrecken.

    Zur Umsetzung dieses Grundsatzes können sich die Mitgliedstaaten in technischer Hinsicht an den Bestimmungen des Übereinkommens von 1983 über die Überstellung von verurteilten Personen sowie an den Bestimmungen des Übereinkommens über die Durchführung des Übereinkommens des Europarates über die Überstellung von Verurteilten vom 25. Mai 1987 zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften orientieren, falls sie diese Übereinkommen ratifiziert haben. Hierzu sind die Artikel 6 Absatz 2, Artikel 7, 8, 12 und 15 des Übereinkommens von 1983 besonders relevant. Doch kann auch zwischen zwei Staaten, von denen einer das Übereinkommen von 1983 nicht ratifiziert hat, die Klausel der bestmöglichen Resozialisierung im Sinne dieses Artikels Anwendung finden. In diesem Fall müssen sich die beiden Staaten auf geeignete Bedingungen für den Strafvollzug verständigen.

    Wenn dieser Artikel Anwendung findet, kann das Strafmaß nicht geändert werden, auch dann nicht, wenn es von dem Strafmaß abweicht, das im Vollstreckungsstaat möglicherweise verhängt worden wäre. Artikel 10 Absatz 2 des Übereinkommens von 1983 wird hier nicht übernommen, da seine Anwendung naturgemäß dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung widerspricht. Zur Anwendung gelangt dagegen das System des Vollzugs der im Vollstreckungsstaat verhängten Strafen.

    Artikel 34 - Videokonferenz

    In einigen Fällen ist die physische Übergabe der gesuchten Person nicht erforderlich, denn diese kann rechtswirksam am Prozess teilnehmen, ohne den Vollstreckungsstaat zu verlassen. Dieser Mechanismus kann beispielsweise dann in Anspruch genommen werden, wenn die Person im Vollstreckungsstaat inhaftiert ist oder sich ihr Transport aus praktischen Gründen als schwierig erweist. Die Bedingungen für die Inanspruchnahme dieses Mechanismus sind von Artikel 10 Absatz 9 des Übereinkommens der Europäischen Union über die Rechtshilfe in Strafsachen aus dem Jahr 2000 übernommen. Dabei obliegt es der Justizbehörde des Vollstreckungsstaates, die Modalitäten der Durchführung der Videokonferenz in enger Abstimmung mit den Justizbehörden des ausstellenden Staates zu regeln. Wie in dem Übereinkommen vorgesehen, ist diese Maßnahme weder für den ausstellenden noch für den vollstreckenden Staat verbindlich. Eine Videokonferenz kann nur dann stattfinden, wenn dies beiden Systemen zufolge auch zulässig ist. Falls dies von einer der beiden Justizbehörden aus Gründen der innerstaatlichen Rechtsordnung abgelehnt wird, ist der Europäische Haftbefehl vorbehaltlich der übrigen Bestimmungen dieses Rahmenbeschlusses zu vollstrecken.

    Wird dieser Artikel angewandt, ist es Aufgabe der Justizbehörde des Vollstreckungsstaates, über die weitere Behandlung der Person bis zu dem Zeitpunkt, an dem die Videokonferenz tatsächlich stattfindet, zu entscheiden; je nach dem innerstaatlichen Verfahren bleibt die Person entweder in Haft oder wird entlassen.

    Kapitel V: Sonderfälle

    Artikel 35 - Abwesenheitsurteile

    Die Tatsache, dass ein Urteil gegen eine Person in Abwesenheit entsprechend der Definition in Artikel 3 Buchstabe d ergangen ist, stellt kein Hindernis für die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls dar, der zum Zweck der Vollstreckung dieses Urteils erlassen wurde. Der vorgeschlagene Wortlaut geht jedoch über Artikel 3 des Protokolls von 1978 hinaus. Wurde nämlich die Entscheidung, auf deren Grundlage der Europäische Haftbefehl erlassen wird, in Abwesenheit des Angeklagten gefällt, muss die Vollstreckungsbehörde der betreffenden Person entsprechend den Anweisungen im Europäischen Haftbefehl Gelegenheit zum Einspruch geben. In der Praxis müssen die beiden Justizbehörden in solchen Fällen gegebenenfalls mit Hilfe der zentralen Behörde Kontakt aufnehmen, um festzustellen, ob der Einspruch gültig ist. Die Vollstreckung des Haftbefehls muss unter Bedingungen stattfinden, die es dem Betreffenden ermöglichen, sein Einspruchsrecht geltend zu machen. In der Praxis kann der Person bei der Notifizierung des Einspruchs von den Justizbehörden des ausstellenden Staates ein Termin mitgeteilt werden, an dem sie vor Gericht zu erscheinen hat, um abgeurteilt zu werden. Praktisch muss die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls so abgewickelt werden, dass die Person auch tatsächlich vor Gericht erscheint und ihr Verteidigungsrecht gewahrt ist.

    Artikel 36 - Rückkehr in den Vollstreckungsstaat

    Der Vollstreckungsstaat kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ausdrücklich an die Bedingung der Rückgabe knüpfen, sobald ein etwaiges Strafurteil verhängt wurde. Diese Bedingung soll Mitgliedstaaten, die Probleme mit der Auslieferung eigener Staatsangehöriger haben, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls erleichtern. Der vorgeschlagene Wortlaut lehnt sich an die im Rahmen der Ratifizierung des Übereinkommens von 1996 abgegebenen Erklärungen an.

    Artikel 37 - Lebenslange Freiheitsstrafe

    Diesem Artikel liegt die Erklärung Portugals zum Übereinkommen von 1996 zugrunde. Damit kann die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls von der Zusicherung des ausstellenden Staates abhängig gemacht werden, die lebenslange Freiheitsstrafe nicht tatsächlich zu vollstrecken, sofern sie verhängt wurde.

    Artikel 38 - Aufschub der Vollstreckung aus humanitären Gründen

    Dieser Artikel bezieht sich auf konkrete Situationen, in denen die Lage der Person und insbesondere ihr Gesundheitszustand einer Vollstreckung des Haftbefehls entgegenstehen. Die Vollstreckung kann in diesem Fall so lange aufgeschoben werden, bis sich der Zustand der Person gebessert hat. Danach ist der Europäischen Haftbefehl unverzüglich zu vollstrecken.

    Artikel 39 - Verfahrenskollision zwischen Mitgliedstaaten

    Dieser Artikel regelt Situationen, in denen gegen die Person, gegen die ein Strafverfahren eingeleitet wurde, aufgrund unterschiedlicher Tatbestände im ausstellenden und im vollstreckenden Staat Strafverfahren angestrengt wurden.

    In diesem Fall ist zwischen drei verschiedenen Situationen zu unterscheiden:

    a) Der Rechtstitel, der dem Erlass des Europäischen Haftbefehls zugrunde liegt, ist ein rechtskräftiges Urteil. In diesem Fall erfolgt die Überstellung in den ausstellenden Staat entweder nach Abschluss der im Vollstreckungsstaat eingeleiteten Strafverfolgung oder dann, wenn die von ihm verhängte Strafe verbüßt worden ist.

    b) Der Rechtstitel, der dem Erlass des Haftbefehls zugrunde liegt, ist eine im Vorverfahren erlassene Gerichtsverfügung oder ein Abwesenheitsurteil. In diesem Fall hat das laufende Verfahren Vorrang, damit der ausstellende Staat unverzüglich zu einer rechtskräftigen Entscheidung gelangen kann. Deshalb muss die betreffende Person in den ausstellenden Staat überstellt werden, der sie dann in den Vollstreckungsstaat rücküberstellt, damit sie dort nach Abschluss des Verfahrens ihre Strafe verbüßen kann.

    Natürlich wäre es zweckmäßig, je nach Tatbestand die Möglichkeit zu prüfen, ob das Urteil auch per Videokonferenz gefällt werden kann.

    c) Wenn die betreffende Person aufgrund unterschiedlicher Tatbestände gleichzeitig in bei den Mitgliedstaaten verfolgt wird, ist ihre vorübergehende Überstellung wünschenswert, damit die beiden Justizbehörden unverzüglich zu einer rechtskräftigen Entscheidung gelangen können. Je nach Stand der einzelnen Verfahren sollten sich die Justizbehörden beider Mitgliedstaaten abstimmen, damit die Überstellung erfolgen kann, gegebenenfalls auch mehrmals, so dass der reibungslose Ablauf der Ermittlungen und der Verfahren gewährleistet ist. Auch hier ist die Möglichkeit einer Vernehmung per Videokonferenz zu prüfen.

    Absatz 4 orientiert sich an Artikel 9 Absatz 2 des Übereinkommens der Europäischen Union über die Rechtshilfe von 2000.

    Wenn ein Mitgliedstaat einen Europäischen Haftbefehl erlassen hat, der in einem anderen Land vollstreckt wurde, muss er sicherstellen, dass die Person später vor der Justizbehörde des Vollstreckungsstaates erscheint. Gegebenenfalls kann es für den ausstellenden Staat angebracht sein, das Urteil des Vollstreckungsstaates im eigenen Hoheitsgebiet zu vollstrecken. Deshalb sind alle Akten zur Vollstreckung des Urteils von der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates vorzulegen.

    Sofern die Art der strafbaren Handlung, die der Strafverfolgung der Person in einem der beiden Staaten zugrunde liegt, dies erlaubt, sollten die Justizbehörden außerdem die Möglichkeit prüfen, bei der Justizbehörde des anderen Staates gemäß Artikel 21 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe in Strafsachen von 1959 Strafanzeige zu erstatten, damit die beiden Verfahren verbunden werden können. In diesem Zusammenhang sei auch auf die Bestimmungen des Europäischen Übereinkommens über die Übertragung der Strafverfolgung vom 19. Mai 1972 sowie auf das Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten über die Übertragung der Strafverfolgung vom 6. November 1990 verwiesen.

    Artikel 40 - Mehrfachersuchen

    Dieser Artikel befasst sich mit einer noch erheblich komplexeren Situation, in der gegen die gesuchte Person mehrere Europäische Haftbefehle gleichzeitig von mehreren Justizbehörden in mehreren Mitgliedstaaten wegen unterschiedlicher Straftaten erlassen wurden.

    Zu diesem Punkt werden zum einen die allgemeinen Bestimmungen von Artikel 17 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 sinngemäß übernommen. Der Verweis auf die Staatsangehörigkeit entfällt allerdings. Zum anderen wird in der Formulierung der Grundsatz einer engen Abstimmung zwischen den Justizbehörden der beteiligten Mitgliedstaaten aufgestellt, damit jede dieser Justizbehörden die Strafverfolgung unverzüglich einleiten und rechtskräftige Entscheidungen treffen kann. Bei dieser Abstimmung sollen die betreffenden Behörden Artikel 39 berücksichtigen.

    Darüber hinaus ist in derartigen Fällen Eurojust zu konsultieren.

    Im Hinblick auf die Beziehungen zu Drittstaaten, die die betreffende Person möglicherweise ebenfalls zur Fahndung ausgeschrieben haben, wird der Grundsatz des Vorrangs des Europäischen Haftbefehls, wie er im Vertrag zwischen Italien und Spanien aufgestellt wird, für die Beziehungen zu Drittstaaten, die dem Übereinkommen von 1957 beigetreten sind, nicht übernommen, um die Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten und anderen Unterzeichnerstaaten nicht zu beeinträchtigen und insbesondere, um Artikel 17 dieses Übereinkommens nicht zu verletzen. Wenn der Wunsch besteht, dem Europäischen Haftbefehl auch dann Vorrang einzuräumen, wenn er in Konkurrenz zu einem Auslieferungsersuchen eines Drittlandes steht, welches diesem Übereinkommen angehört, sollte eine Änderung des Übereinkommens in Erwägung gezogen werden.

    Handelt es sich dagegen um ein Auslieferungsersuchen eines anderen Drittlandes, so gilt die Regel, dass die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls Vorrang hat. Der Grund hierfür ist, dass das Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls einfach und zügig vonstatten gehen muss, während im Rahmen der Beziehungen zu Drittstaaten auch weiterhin das traditionelle und längere Auslieferungsverfahren eingeleitet werden muss. Drittstaaten müssen ihr Auslieferungsersuchen an denjenigen Staat richten, dessen Justizbehörden den Europäischen Haftbefehl erlassen haben.

    Hinsichtlich Absatz 4, der einen möglichen Konflikt zwischen dem Europäischen Haftbefehl und einem Übergabeersuchen eines internationalen Strafgerichts behandelt, müssen sich die beteiligten Staaten entsprechend den geschlossenen internationalen Vereinbarungen untereinander abstimmen.

    Artikel 41 - Andere strafbare Handlungen

    Dieser Artikel befasst sich mit der Abschaffung des Grundsatzes der Spezialität. Die einzige Einschränkung dieser Ausnahme sind Straftaten, die auf der Negativliste nach Artikel 27 aufgeführt sind, sowie Situationen nach Artikel 28 (Anwendung einer extraterritorialen Zuständigkeit durch den ausstellenden Staat) oder Artikel 30 (Amnestie).

    Artikel 42 - Rückgabe von Gegenständen

    Dieser Artikel wurde direkt vom Übereinkommen von 1957 übernommen, damit die in diesem Bereich bestehende Rechtslage beibehalten werden kann. Er ist anhand der besonderen Bestimmungen des Übereinkommens von 2000 über die Rechtshilfe in Strafsachen, insbesondere von Artikel 7, auszulegen.

    Kapitel VI: Verhältnis zu anderen einschlägigen Übereinkommen

    Artikel 43 - Verhältnis zu anderen einschlägigen Übereinkommen

    In diesem Artikel sollen die umfangreichen Änderungen, die der Rahmenbeschluss mit sich bringt, in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten berücksichtigt werden. In ihren Beziehungen ersetzt der Europäische Haftbefehl alle Auslieferungsübereinkommen. Die Mitgliedstaaten sind somit verpflichtet, eine Mitteilung gemäß Artikel 28 des Übereinkommens von 1957 an den Generalsekretär des Europarates zu richten. Die Auslieferungsbestimmungen des Terrorismusübereinkommens von 1977 sind ebenfalls insofern betroffen, als der Grundsatz der beiderseitigen Strafbarkeit wegfällt.

    Außerdem kommen die Auslieferungsbestimmungen in Übereinkommen der Europäischen Union, in denen der Grundsatz verankert ist, dass ein Mitgliedstaat, der die Auslieferung seiner eigenen Staatsangehörigen ablehnt, verpflichtet ist, seine Strafverfolgungsbehörden mit der Angelegenheit zu betrauen [3], nach dem Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl nicht mehr zur Anwendung. Günstigere Bestimmungen in zwischen einzelnen EU-Mitgliedstaaten unterzeichneten Übereinkommen (Benelux-Übereinkommen, bilaterale Verträge oder Gesetze der nordischen Staaten) bleiben unberührt. Die Entscheidung über eine Ausweitung des Anwendungsbereichs des Europäischen Haftbefehls untereinander zum Zweck der Beibehaltung der früheren Rechtslage obliegt den betreffenden Staaten.

    [3] Zum Beispiel Artikel 10 Absatz 1 Buchstabe b des Rahmenbeschlusses des Rates 2001/413/JI vom 28.05.2001 (ABl. L 149 vom 02.06.01).

    Artikel 44 - Verhältnis zum Schengener Durchführungsübereinkommen

    Dieser Rahmenbeschluss stellt eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes dar. Allerdings werden die Artikel 59 bis 66 des Schengener Durchführungsübereinkommens über die Auslieferung ersetzt, ebenso Artikel 95, da die Regelung in Absatz 2 dieses Artikels künftig durch den Europäischen Haftbefehl abgedeckt ist, und die Zahl der Fälle, in denen Flags gesetzt werden, begrenzt ist. Gleiches gilt für Artikel 94 Absatz 4, soweit er Auslieferungsersuchen betrifft.

    Das zwischen dem Rat der Europäischen Union und der Republik Island sowie dem Königreich Norwegen am 18. Mai 1999 geschlossene Übereinkommen findet auf diesen Rahmenbeschluss Anwendung.

    Kapitel VII: Praktische Bestimmungen

    Artikel 45 - Durchlieferung

    Diesem Artikel liegen teilweise die Bestimmungen von Artikel 16 des Übereinkommens der Europäischen Union von 1996 zugrunde, die erweitert werden.

    Kein Mitgliedstaat darf die Durchlieferung einer Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl erlassen wurde, durch sein Hoheitsgebiet ablehnen. Er wird systematisch von allen Durchlieferungen durch sein Hoheitsgebiet benachrichtigt, und er entscheidet, ob bei dieser Durchlieferung spezielle Sicherheitsvorkehrungen getroffen werden müssen. Gegebenenfalls kann er zulassen, dass Behörden des ausstellenden oder des vollstreckenden Staates die Person bei der Durchlieferung durch sein Hoheitsgebiet als Einzige begleiten.

    Die Person muss folgende Dokumente mit sich führen:

    -- Ausweispapiere;

    -- den Europäischen Haftbefehl zusammen mit einer Übersetzung;

    -- die Entscheidung der vollstreckenden Justizbehörde zusammen mit einer Übersetzung.

    Die Bestimmungen bezüglich des Überfliegens des Hoheitsgebiets nach dem Übereinkommen von 1996 werden unverändert übernommen.

    Dieser Rahmenbeschluss lässt die Beziehungen zu Drittstaaten, die bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls möglicherweise von der Durchlieferung betroffen sind, unberührt. Soweit die üblichen Unterlagen über das Auslieferungsverfahren entfallen, ist es in diesem Fall allerdings erforderlich, vor der Durchlieferung sicherzustellen, dass den Behörden des Durchlieferungslandes der Europäische Haftbefehl anstelle der normalerweise verlangten Unterlagen genügt.

    Artikel 46 - Übermittlung von Unterlagen

    Diesem Artikel liegt Artikel 6 des Europäischen Übereinkommens über die Rechtshilfe (29. Mai 2000) zugrunde. Dabei handelt es sich um eine wichtige Neuerung, denn der Europäische Haftbefehl kann durch alle Nachrichtenmittel, insbesondere per Fernkopierer oder elektronischer Post, übermittelt werden, sofern seine Echtheit überprüfbar ist und die Vertraulichkeit gewahrt bleibt. Die Übermittlung des Europäischen Haftbefehls muss mit Hilfe der zwischen den Mitgliedstaaten im Rahmen des Übereinkommens über die Rechtshilfe (siehe erläuternder Bericht, Artikel 6) eingerichteten Möglichkeiten erfolgen, damit sie sich darüber verständigen, "welche Modalitäten für die Feststellung der Echtheit bei Ersuchen, die mittels Fernkopie, E-Mail oder anderer Telekommunikationsmittel übersandt werden, im Einzelnen gelten."

    Außerdem werden die Übermittlung der Unterlagen und die Überprüfung ihrer Echtheit insofern stark vereinfacht, als der Europäische Haftbefehl an sich bereits einen ausreichenden Vollstreckungstitel darstellt. Fragen der Übermittlung von Unterlagen und der Überprüfung der Echtheit könnten sich insbesondere in den in Artikel 32 genannten Fällen (Ergänzung der Unterlagen) stellen. Diese Fragen werden im beiderseitigen Einvernehmen gegebenenfalls mit Unterstützung der zentralen Behörden direkt zwischen den Justizbehörden der Mitgliedstaaten geregelt.

    Artikel 47 - Sprachen

    Der Europäische Haftbefehl wird in der Landessprache des ausstellenden Staates oder des Vollstreckungsstaates übermittelt. In dieser Hinsicht unterscheidet sich die Formulierung nicht von den Bestimmungen des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957.

    Dagegen orientiert sich Artikel 47 an dem Vertrag zwischen Italien und Spanien, indem die zentrale Behörde des Vollstreckungsstaates bei Bedarf für die Übersetzung des Haftbefehls sowie sämtlicher verfahrensrelevanter Unterlagen in die jeweilige Landessprache sorgt.

    Artikel 48 - Kosten

    Im Rahmenbeschluss wird eine geringfügige Änderung im Sinne einer Vereinfachung gegen über Artikel 24 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens von 1957 vorgenommen.

    Dabei gilt folgender Grundsatz: Alle im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsstaates entstehenden Kosten gehen zu dessen Lasten, die Transport- und sonstigen Kosten zu Lasten des ausstellenden Staates.

    Kapitel VIII: Schutzklausel

    Artikel 49 - Schutzklausel

    Der Europäische Haftbefehl kann nur dann funktionieren, wenn zwischen den Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Qualität und Zuverlässigkeit ihrer politischen und rechtlichen Systeme absolutes Vertrauen besteht. Deshalb kann ein Mitgliedstaat einseitig beschließen, die Anerkennung der von einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Europäischen Haftbefehle auszusetzen, wenn dieser im Verdacht steht, eine schwerwiegende und anhaltende Verletzung der Grundrechte im Sinne von Artikel 6 EUV begangen zu haben. In einem solchen Fall gibt er eine Erklärung an den Rat und an die Kommission ab. Diese Erklärung könnte ein Element zur Stützung der Einleitung des Verfahrens nach Artikel 7 EUV darstellen. Wird dieses jedoch nicht innerhalb von sechs Monaten eingeleitet, muss die Aussetzung der Anerkennung Europäischer Haftbefehle außer Kraft treten.

    Findet dieser Artikel Anwendung, ist es Aufgabe des Vollstreckungsmitgliedstaats zu entscheiden, ob je nach den Umständen ein Grund vorliegt, die betreffende Person im eigenen Hoheitsgebiet aufgrund eines Tatbestands, der dem Erlass des Europäischen Haftbefehls zugrunde liegt, zu verfolgen.

    Dieser Artikel kommt jedoch nur während einer Übergangszeit zur Anwendung, bis gegebenenfalls die Entscheidung getroffen wird, dass Artikel 7 auf den betreffenden Mitgliedstaat angewandt wird.

    Kapitel IX: Schlussbestimmungen

    Artikel 50 - Veröffentlichung

    Die Angaben zur zentralen Behörde und zu ihren Zuständigkeiten in Anwendung von Artikel 5 müssen vor Inkrafttreten des Rahmenbeschlusses veröffentlicht werden.

    Die "Negativliste" von Straftaten, für die ein Staat kraft einer Erklärung den Europäischen Haftbefehl nicht anerkennt, ist zu veröffentlichen. Änderungen dieser Liste sind dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission mindestens drei Monate vor dem Inkrafttreten mitzuteilen. Das Generalsekretariat des Rates unterrichtet die übrigen Mitglied staaten von Änderungen dieser Liste. Diese Änderungen werden ebenfalls veröffentlicht.

    Die Artikel 51, 52 und 53 brauchen nicht gesondert erläutert zu werden.

    2001/0215 (CNS)

    Vorschlag für einen

    RAHMENBESCHLUSS DES RATES

    über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten

    DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION -

    gestützt auf den Vertrag über die Europäische Union, insbesondere auf Artikel 29, Artikel 31 Buchstaben a und b sowie Artikel 34 Absatz 2 Buchstabe b,

    auf Vorschlag der Kommission [4],

    [4] ABl. ...

    nach Stellungnahme des Europäischen Parlaments [5],

    [5] ABl. ...

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    (1) Die Vollendung eines Gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts beruht auf dem gegenseitigen Vertrauen in die Systeme der Strafgerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten. Diese beruhen auf den Grundsätzen der Freiheit, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, und wahren die Grundrechte, die in der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union garantiert sind.

    (2) Alle oder einige Mitgliedstaaten gehören verschiedenen Übereinkommen in diesem Bereich an. Diese umfassen das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957 und das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977. Die nordischen Staaten haben Auslieferungsgesetze gleichen Wortlauts.

    (3) Darüber hinaus wurden folgende drei Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten geschlossen, die sich ganz oder teilweise mit der Auslieferung befassen und Teil des Besitzstands der Union sind: das Übereinkommen vom 19. Juni 1990 zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten, die Partei dieses Übereinkommens sind [6], das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungsverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [7] und das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union [8].

    [6] ABl. L 239 vom 22.9.2000, S. 19.

    [7] ABl. C 78 vom 30.3.1995, S. 1.

    [8] ABl. C 313 vom 23.10.1996, S. 11.

    (4) Zur Beseitigung der Komplexität dieser Auslieferungsbestimmungen und der damit verbundenen möglichen Verzögerungen ist die Einführung eines neuen, vereinfachten Systems zur Übergabe von Personen zum Zweck der Strafverfolgung und des Strafvollzugs erforderlich. Dieses System soll die traditionellen Auslieferungs verfahren ersetzen, die den Anforderungen eines Gemeinsamen Raumes der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts, in dem die nationalen Grenzen zunehmend an Bedeutung verlieren, nicht mehr gerecht werden.

    (5) Der Europäische Haftbefehl nach diesem Rahmenbeschluss soll die traditionellen Auslieferungsvereinbarungen ersetzen; sein Anwendungsbereich muss mit dem des multilateralen Auslieferungssystems auf der Grundlage des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 übereinstimmen.

    (6) Dieses Ziel kann einseitig durch die Mitgliedstaaten nicht ausreichend verwirklicht werden und lässt sich daher aufgrund der Gegenseitigkeit besser auf Unionsebene erreichen. Der Rat der Europäischen Union kann somit im Einklang mit dem in Artikel 2 EUV angesprochenen und in Artikel 5 EGV festgelegten Subsidiaritätsprinzip Maßnahmen ergreifen. Im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nach Artikel 5 EGV geht dieser Rahmenbeschluss nicht über das zur Erreichung dieser Ziele erforderliche Maß hinaus.

    (7) Der Europäische Haftbefehl beruht auf dem Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung: Wenn eine Justizbehörde eines Mitgliedstaats um die Auslieferung einer Person zum Zweck der Strafverfolgung aufgrund einer Handlung ersucht, die mit einer Freiheitsstrafe von mindestens zwölf Monaten bedroht ist, oder zum Zweck der Vollstreckung eines Strafurteils, das mit einer Freiheitsstrafe von mindestens vier Monaten verbunden ist, sollten die Behörden anderer Mitgliedstaaten diesem Ersuchen nachkommen.

    (8) Die Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls muss ausreichenden Kontrollen unterliegen, was bedeutet, dass eine Justizbehörde des Mitgliedstaats, in dem die Person festgenommen wurde, entscheidet, ob der Haftbefehl vollstreckt wird.

    (9) Bei der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls muss die Rolle der zentralen Behörden auf praktische und administrative Unterstützung sowie auf Situationen beschränkt werden, in denen die zentrale Behörde für die Entscheidung eher geeignet ist als eine Justizbehörde.

    (10) Der Europäische Haftbefehl muss in einheitlicher Form erstellt werden, damit die vollstreckende Justizbehörde entscheiden kann, ob der Haftbefehl vollstreckt werden kann, ohne dass zusätzliche Unterlagen angefordert werden müssen.

    (11) Zur Sicherstellung der Effizienz des Verfahrens und unter der Bedingung, dass die Vollstreckung des Haftbefehls keine Verletzung der Grundrechte darstellt, sollte die Möglichkeit, die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls abzulehnen, auf genau umschriebene Fälle beschränkt werden.

    (12) Da dem Europäischen Haftbefehl der Gedanke der Unionsbürgerschaft nach den Artikeln 17 bis 22 EGV zugrunde liegt, sollte die für eigene Staatsangehörige vorgesehene Ausnahme, wie sie bei traditionellen Auslieferungsverfahren möglich war, in dem Gemeinsamen Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts nicht zur Anwendung kommen. Unionsbürger sollten unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit im Hoheitsgebiet der Europäischen Union dort verfolgt und bestraft werden, wo sie die strafbare Handlung begangen haben.

    (13) Die Möglichkeit der Resozialisierung einer Person, die eine Freiheitsstrafe verbüßt, ist jedoch gebührend zu prüfen. Deshalb sollte es möglich sein, eine Freiheitsstrafe in dem Mitgliedstaat zu verbüßen, in dem die Person die besten Voraussetzungen für die Wiedereingliederung hat.

    (14) Die Anwendung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung hat zur Folge, dass die Bedingung der beiderseitigen Strafbarkeit sowie der Grundsatz der Spezialität abgeschafft werden müssen. Würde jedoch die Vollstreckung eines Haftbefehls aufgrund bestimmter Verhaltensweisen gegen die wesentlichen Rechtsgrundsätze eines Mitgliedstaats verstoßen, muss er die Vollstreckung in diesen Fällen ablehnen können. Dies kann erfolgen, indem jeder Mitgliedstaat die Möglichkeit erhält, eine 'Negativliste' von strafbaren Handlungen zu erstellen, für welche die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ausgeschlossen wird.

    (15) Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls kann in Fällen, in denen ein Mitgliedstaat eine extraterritoriale Zuständigkeit im Zusammenhang mit Handlungen wahrnimmt, die im Vollstreckungsmitgliedstaat keine Straftat darstellen, beschränkt werden.

    (16) Der Europäische Haftbefehl beruht auf einem hohen Maß an Vertrauen zwischen den Mitgliedstaaten. Die Durchführung des Haftbefehls kann nur bei einer groben Verletzung des Grundsatzes nach Artikel 6 EUV durch einen Mitgliedstaat, die zur Anwendung von Artikel 7 EUV führen könnte, ausgesetzt werden.

    (17) Der Europäische Haftbefehl soll in den Beziehungen zwischen den Mitgliedstaaten alle früheren Auslieferungsübereinkommen, einschließlich der Bestimmungen des Schengener Durchführungsübereinkommens im Bereich der Auslieferung [9], ersetzen.

    [9] Artikel 59 bis 66, 94 Absatz 4 und 95 des Schengener Durchführungsübereinkommens vom 19. Juni 1990, ABl. L 239 vom 22.9.2000.

    (18) Alle Mitgliedstaaten haben das Übereinkommen des Europarats vom 28. Januar 1981 zum Schutz des Menschen bei der automatischen Verarbeitung personenbezogener Daten ratifiziert. Die in Durchführung dieses Rahmenbeschlusses verarbeiteten personenbezogenen Daten werden nach Maßgabe der Grundsätze dieses Übereinkommens geschützt.

    (19) Was die Republik Island und das Königreich Norwegen anbetrifft, stellt dieser Rahmenbeschluss eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes im Sinne des am 17. Mai 1999 vom Rat der Europäischen Union und diesen beiden Staaten unterzeichneten Übereinkommens dar [10].

    [10] ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 31.

    (20) Dieser Rahmenbeschluss steht im Einklang mit den Grundrechten und Grundsätzen, die insbesondere mit der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, vor allem in Kapitel VI anerkannt wurden.

    HAT FOLGENDEN RAHMENBESCHLUSS ANGENOMMEN:

    Kapitel I: Allgemeine Grundsätze

    Artikel 1 - Gegenstand

    Mit diesem Rahmenbeschluss sollen Regeln aufgestellt werden, nach denen ein Mitgliedstaat einen von einer Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats erlassenen Europäischen Haftbefehl in seinem Hoheitsgebiet vollstreckt.

    Artikel 2 - Anwendungsbereich

    Ein Europäischer Haftbefehl kann erlassen werden bei:

    (a) rechtskräftigen Urteilen in Strafverfahren und Abwesenheitsurteilen, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung von mindestens vier Monaten in dem ausstellenden Mitgliedstaat verbunden sind;

    (b) anderen vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidungen in Strafverfahren, die mit einer Freiheitsstrafe verbunden sind und sich auf eine strafbare Handlung beziehen, die mit einer Freiheitsstrafe oder einer die Freiheit beschränkenden Maßregel der Sicherung und Besserung von mindestens zwölf Monaten in dem ausstellenden Mitgliedstaat bedroht sind.

    Artikel 3 - Begriffsbestimmungen

    Zum Zweck dieses Rahmenbeschlusses gelten folgende Begriffsbestimmungen:

    (a) "Europäischer Haftbefehl" bedeutet ein von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats an einen anderen Mitgliedstaat gerichtetes Ersuchen um Unterstützung bei der Fahndung nach, Festnahme, Haft und Übergabe einer Person, gegen die ein Urteil oder eine gerichtliche Entscheidung nach Artikel 2 gefällt wurde;

    (b) "ausstellende Justizbehörde" bedeutet die Richter- und Staatsanwaltschaft eines Mitgliedstaats, die einen Europäischen Haftbefehl erlassen hat;

    (c) "vollstreckende Justizbehörde" bedeutet einen Richter oder Staatsanwalt eines Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich die gesuchte Person aufhält, der über die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls entscheidet;

    (d) "Abwesenheitsurteil" bedeutet ein von einem Gericht erlassenes Urteil nach einem Strafprozess, bei dem die verurteilte Person nicht persönlich an der Verhandlung teilgenommen hat. Nicht unter den Begriff fallen Urteile in Verfahren, bei denen eindeutig nachgewiesen werden kann, dass die betreffende Person tatsächlich und rechtzeitig geladen worden war, um zur Verhandlung zu erscheinen und ihre Verteidigung vorzubereiten, jedoch bewusst nicht erschienen ist bzw. sich nicht hat vertreten lassen, es sei denn, ihre Abwesenheit und die Tatsache, dass sie das Gericht nicht in Kenntnis setzen konnte, gehen nachweislich auf Gründe zurück, die sich ihrem Einfluss entziehen;

    e) "die Freiheit beschränkende Maßregel der Sicherung und Besserung" bedeutet den in Strafverfahren angeordneten Freiheitsentzug zusätzlich oder anstelle einer Freiheitsstrafe.

    f) "gesuchte Person" bedeutet eine Person, gegen die ein Europäischer Haftbefehl ausgestellt wurde.

    Artikel 4 - Zuständige Justizbehörden

    Jeder Mitgliedstaat benennt nach Maßgabe seines innerstaatlichen Rechts die Justizbehörden, die zuständig sind für

    a) den Erlass eines Europäischen Haftbefehls,

    b) Entscheidungen gemäß Kapitel II Teil 4 unbeschadet Artikel 5 Absatz 4.

    Artikel 5 - Zentrale Behörde

    1. Jeder Mitgliedstaat benennt zum Zweck dieses Rahmenbeschlusses eine zentrale Behörde bzw., falls seine verfassungsrechtlichen Bestimmungen dies erfordern, mehrere zentrale Behörden.

    2. Die zentrale Behörde unterstützt die zuständige Justizbehörde. Die zentrale Behörde trägt insbesondere für Übersetzungen, administrative und praktische Unterstützung und allgemeine Informationen Sorge.

    3. Jeder Mitgliedstaat entscheidet, ob seine zentrale Behörde für die praktische Übermittlung und den Empfang des Europäischen Haftbefehls sowie für den übrigen, damit verbundenen Schriftverkehr zuständig ist.

    4. Jeder Mitgliedstaat kann darauf hinweisen, dass seine zentrale Behörde über Fragen nach den Artikeln 31, 37 und 38 entscheiden kann.

    Der Mitgliedstaat stellt sicher, dass die gesuchte Person die Möglichkeit erhält, sich zu der Frage, über die die zentrale Behörde zu entscheiden hat, zu äußern.

    Die vollstreckende Justizbehörde entscheidet auf der Grundlage der Entscheidung der zentralen Behörde über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls.

    Artikel 6 - Inhalt des Europäischen Haftbefehls

    Der Europäische Haftbefehl enthält entsprechend dem im Anhang beigefügten Formular folgende Angaben:

    (a) die Identität der gesuchten Person,

    (b) die ausstellende Justizbehörde,

    (c) Angabe, ob ein rechtskräftiges Urteil oder eine andere vollstreckbare gerichtliche Entscheidung nach Artikel 2 vorliegt,

    (d) Angabe, ob sich der Europäische Haftbefehl aus einem Abwesenheitsurteil ergibt, und falls ja, Erklärung bezüglich des Rechts, Einspruch zu erheben, sowie über das Verfahren gemäß Artikel 35 Absatz 1 zweiter Unterabsatz,

    (e) die Art und die rechtliche Würdigung der strafbaren Handlung,

    (f) die Beschreibung der Umstände, unter denen die strafbare Handlung begangen wurde, einschließlich der Zeit, des Ortes und der Art der Täterschaft der gesuchten Person,

    (g) im Fall eines rechtskräftigen Urteils die Strafe bzw. ansonsten das vorgeschriebene Strafmaß,

    (h) wenn möglich andere Umstände im Zusammenhang mit der strafbaren Handlung,

    (i) Angabe, ob die gesuchte Person bereits aufgrund derselben Handlung festgenommen und freigelassen wurde bzw. ob sie nach einer Untersuchungshaft unter der Bedingung der Rückkehr auf freien Fuß gesetzt wurde, oder ob sie aus der Haft entflohen ist.

    Kapitel II: Verfahren

    Teil 1 - Allgemeine Bestimmungen

    Artikel 7 - Kommunikation zwischen den Behörden

    1. Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person bekannt, übermittelt die ausstellende Justizbehörde den Europäischen Haftbefehl direkt an die vollstreckende Justizbehörde.

    2. Absatz 1 lässt die Möglichkeit unberührt, den Europäischen Haftbefehl oder Informationen über den Haftbefehl und seine Vollstreckung

    (a) von einer zentralen Behörde eines Mitgliedstaats an eine zentrale Behörde eines anderen Mitgliedstaats;

    (b) von einer Justizbehörde eines Mitgliedstaats an eine zentrale Behörde eines anderen Mitgliedstaats; oder

    (c) von einer zentralen Behörde eines Mitgliedstaats an eine Justizbehörde eines anderen Mitgliedstaats

    zu übermitteln.

    Teil 2 - Anwendung des Schengener Informationssystems

    Artikel 8 - Alarmmeldung

    Ist der Aufenthaltsort der gesuchten Person unbekannt, kann die ausstellende Justizbehörde beantragen, dass zum Zweck der Festnahme und Übergabe dieser Person eine Alarmmeldung in das Schengener Informationssystem (SIS) eingestellt wird.

    Die Alarmmeldung und die in Artikel 6 aufgeführten Angaben werden über die nationale Zentralbehörde ausgegeben, die hierfür zuständig ist. Die Alarmmeldung und die Angaben werden durch die schnellstmöglichen sicheren Nachrichtenmittel übermittelt.

    Artikel 9 - Kennzeichnung

    1. Sofern ein vollstreckender Mitgliedstaat der Auffassung ist, dass die Alarmmeldung unter die Artikel 27, 28, 30 oder 31 fällt oder gemäß Artikel 14 eine vorübergehende Freilassung gewährt wurde, kann er eine Kennzeichnung in das SIS setzen, damit der Europäische Haftbefehl nicht in seinem Hoheitsgebiet vollstreckt wird. In diesem Zusammenhang sind andere Mitgliedstaaten im Vorfeld zu konsultieren.

    2. Falls die Festnahme nicht erfolgen kann, weil Absatz 1 Anwendung findet, gilt die Alarmmeldung als Mitteilung des Aufenthaltsortes der gesuchten Person.

    Teil 3 - Festnahme und Haft

    Artikel 10 - Zwangsmaßnahmen

    Der vollstreckende Mitgliedstaat kann gegen eine gesuchte Person nach seinem innerstaatlichen Recht, einschließlich der Vorschriften über die gerichtliche Kontrolle, die im Fall der Festnahme einer Person zum Zweck der Auslieferung Anwendung finden, notwendige und verhältnismäßige Zwangsmaßnahmen ergreifen.

    Artikel 11 - Rechte der gesuchten Person

    1. Wird eine gesuchte Person im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats festgenommen, so setzt die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats nach innerstaatlichem Recht die Person von dem Haftbefehl, von dessen Inhalt sowie von der Möglichkeit in Kenntnis, dass sie ihrer Übergabe an die ausstellende Justizbehörde zustimmen kann.

    2. Die gesuchte Person hat ab dem Zeitpunkt ihrer Festnahme zum Zweck der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls das Recht, einen Rechtsbeistand und gegebenenfalls einen Dolmetscher hinzuzuziehen.

    Artikel 12 - Notifizierung an die Justizbehörden

    Die ausstellende Justizbehörde und die vollstreckende Justizbehörde sind unverzüglich von der Festnahme zu unterrichten.

    Artikel 13 - Überprüfung und Aussetzung

    1. Unmittelbar nach der Notifizierung einer Festnahme unterrichtet die ausstellende Justizbehörde die vollstreckende Justizbehörde darüber, ob sie den Europäischen Haftbefehl aufrechterhält.

    2. Hält die ausstellende Justizbehörde den Europäischen Haftbefehl nicht aufrecht, ist die festgenommene Person unverzüglich freizulassen.

    3. Die ausstellende Justizbehörde kann eine Aussetzung des Haftbefehls beschließen, sofern die festgenommene Person zusagt, freiwillig zu einem bestimmten Datum und an einem bestimmten Ort vor Gericht zu erscheinen. Diese Zusage wird vor der Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats abgegeben und der ausstellenden Justizbehörde mitgeteilt. Der ausstellende Mitgliedstaat kann eine Kennzeichnung in das SIS setzen. Falls die festgenommene Person ihre Zusage nicht einhält, kann die ausstellende Justizbehörde den Europäischen Haftbefehl wieder aktivieren und die darin enthaltenen Angaben insbesondere hinsichtlich der Informationen nach Artikel 6 Buchstabe i ergänzen. Die Person wird über sämtliche Folgen unterrichtet, die sich aus der Nichteinhaltung ihrer Zusage ergeben.

    Artikel 14 - Vorübergehende Freilassung

    1. Im Falle der Festnahme einer Person aufgrund eines Europäischen Haftbefehls entscheidet die vollstreckende Justizbehörde, ob die gesuchte Person in Haft bleibt.

    Hat die vollstreckende Justizbehörde Grund zur Annahme, dass die festgenommene Person nicht entflieht, weitere strafbare Handlungen begeht oder Beweismaterial in Verbindung mit den strafbaren Handlungen zerstört, die dem betreffenden Europäischen Haftbefehl zugrunde liegen, und sagt die festgenommne Person zu, sich zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zur Verfügung zu halten, kann die vollstreckende Justizbehörde diese Person bis zu einem bestimmten Zeitpunkt, der zwischen dem ausstellenden Mitgliedstaat und dem vollstreckenden Mitgliedstaat vereinbart wird, freilassen. Die Freilassung kann daran gebunden werden, dass die gesuchte Person Bedingungen einhält, die von der vollstreckenden Justizbehörde nach dem Recht des vollstreckenden Mitgliedstaats festgelegt werden.

    Die festgenommene Person wird über sämtliche Folgen unterrichtet, die sich aus der Nichteinhaltung ihrer Zusage ergeben, sich zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zur Verfügung zu halten.

    2. Hält sich die gesuchte Person nicht an ihre Zusage, sich zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zur Verfügung zu halten, unterrichtet die vollstreckende Justizbehörde die ausstellende Justizbehörde. In diesem Fall kann die ausstellende Justizbehörde die Angaben im Europäischen Haftbefehl insbesondere hinsichtlich der Informationen nach Artikel 6 Buchstabe i ergänzen.

    Teil 4 - Gerichtsverfahren für die Übergabe

    Artikel 15 - Prüfung des Europäischen Haftbefehls

    Der Europäische Haftbefehl wird von der vollstreckenden Justizbehörde schnellstmöglich, spätestens jedoch 10 Kalendertage nach der Festnahme geprüft.

    Artikel 16 - Zustimmung zur Übergabe

    1. Stimmt die festgenommene Person ihrer Übergabe zu, erfolgt diese nach Maßgabe von Artikel 23.

    2. Die Zustimmung wird der vollstreckenden Justizbehörde nach innerstaatlichem Recht erteilt.

    3. Die Zustimmung wird unter Bedingungen entgegengenommen, die erkennen lassen, dass die betreffende Person sie freiwillig und in vollem Bewusstsein der sich daraus ergebenden Folgen bekundet hat.

    4. Die Zustimmung wird nach dem innerstaatlichen Recht des Vollstreckungs mitgliedstaats zu Protokoll genommen.

    5. Die Zustimmung kann nicht widerrufen werden.

    6. Die Zustimmung wird der ausstellenden Justizbehörde unverzüglich mitgeteilt.

    Artikel 17 - Frühere Freilassung

    1. Die vollstreckende Justizbehörde trifft unverzüglich eine Entscheidung zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls, ohne die gesuchte Person zu vernehmen oder zu überprüfen, ob sie ihre Zustimmung erteilt, wenn sie aus der Haft entflohen oder nicht zurückgekehrt ist, nachdem sie

    (a) von Anfang an in Freiheit belassen wurde,

    (b) nach der Untersuchungshaft freigelassen wurde,

    (c) bereits von der Aussetzung des Europäischen Haftbefehls nach Artikel 13 Absatz 3 oder der vorübergehende Freilassung nach Artikel 14 begünstigt war.

    2. Hat die vollstreckende Justizbehörde Grund zur Annahme, dass auf die gesuchte Person nach Absatz 1 einer der in den Artikeln 27 bis 34 genannten Umstände zutrifft, so überträgt sie die Angelegenheit gemäß Artikel 18 einem Gericht.

    3. Die gesuchte Person kann, wenn Absatz 1 auf sie angewandt wird, vor einem Gericht geltend machen, dass keine Elemente vorliegen, die eine Anwendung dieses Verfahrens rechtfertigen würden.

    Artikel 18 - Vernehmung

    Die Entscheidung darüber, ob der Europäische Haftbefehl vollstreckt wird, wird von einem Gericht im vollstreckenden Mitgliedstaat nach einer Vernehmung getroffen, die nach dem innerstaatlichen Strafprozessrecht stattfindet:

    (a) wenn die gesuchte Person ihrer Übergabe nicht zustimmt;

    (b) in Fällen nach Artikel 17 Absätze 2 und 3.

    Der ausstellende Mitgliedstaat kann sich vor Gericht vertreten lassen oder seine Stellungnahmen vor Gericht abgeben.

    Artikel 19 - Ergänzung der Unterlagen

    Falls die vollstreckende Justizbehörde die vom ausstellenden Mitgliedstaat übermittelten Angaben für ungenügend erachtet, um über die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls zu entscheiden, fordert sie die notwendigen zusätzlichen Unterlagen dringend an und kann eine Frist für den Erhalt dieser ergänzenden Unterlagen festsetzen.

    Artikel 20 - Frist für die Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls

    Die Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls ist baldmöglichst zu treffen, spätestens jedoch 90 Kalendertage nach der Festnahme der gesuchten Person.

    Artikel 21 - Ablehnung und Fristablauf

    1. Wenn die vollstreckende Justizbehörde die Übergabe der gesuchten Person ablehnt oder wenn innerhalb der Frist nach Artikel 20 keine Entscheidung über die Übergabe der gesuchten Person getroffen wird, ist die festgenommene Person unverzüglich freizulassen, es sei denn, dass die Person gemäß Artikel 33 weiterhin inhaftiert bleiben muss, oder es liegt ein anderer Haftgrund vor.

    2. Die Weigerung, einen Europäischen Haftbefehl zu vollstrecken, ist zu begründen, ebenso die Tatsache, dass die Frist nach Artikel 20 verstrichen ist, ohne dass eine Entscheidung getroffen wurde.

    Artikel 22 - Mitteilung der Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls

    Die vollstreckende Justizbehörde teilt der ausstellenden Justizbehörde unverzüglich die Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls mit.

    Artikel 23 - Frist für die Übergabe der gesuchten Person

    1. Die Übergabe der gesuchten Person erfolgt so bald wie möglich zu einem zwischen den beteiligten Behörden vereinbarten Zeitpunkt.

    2. Vorbehaltlich Absatz 3 erfolgt die Übergabe der gesuchten Person spätestens zwanzig Tage nach

    (a) der Zustimmung der festgenommenen Person,

    (b) der Entscheidung der vollstreckenden Justizbehörde nach Artikel 17 Absatz 1, oder

    (c) der Entscheidung des Gerichts nach Artikel 18 zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls.

    Nach Ablauf dieser Frist wird die Person, sofern sie weiterhin inhaftiert ist, im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats freigelassen.

    3. Sollte die Übergabe der gesuchten Person innerhalb der in Absatz 2 genannten Frist aufgrund von Umständen, die sich dem Einfluss des Vollstreckungsmitgliedstaats entziehen, nicht möglich sein, setzt die vollstreckende Justizbehörde die ausstellende Justizbehörde unverzüglich davon in Kenntnis und vereinbart ein neues Übergabe datum. In diesem Fall erfolgt die Übergabe binnen zwanzig Kalendertagen nach dem vereinbarten neuen Termin.

    Befindet sich die Person nach Ablauf dieser Frist noch immer in Haft, ist sie freizulassen, sofern die Verzögerung nicht auf die persönliche Situation der gesuchten Person zurückzuführen ist.

    4. Die Fristen nach den Absätzen 2 und 3 gelten nicht, wenn Artikel 39 Absätze 1, 2 und 4 zur Anwendung kommt.

    Artikel 24 - Abzug der Haftdauer von der Strafe

    1. Der ausstellende Mitgliedstaat bringt die Dauer einer Freiheitsstrafe infolge der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls von der Gesamtdauer der verhängten Freiheitsstrafe in Abzug.

    2. Dazu sind dem ausstellenden Mitgliedstaat alle Angaben zur Dauer der Freiheitsstrafe der gesuchten Person aufgrund des Europäischen Haftbefehls zu übermitteln.

    Artikel 25 - Außerkrafttreten

    Die ausstellende Justizbehörde stellt sicher, dass der Europäische Haftbefehl ab dem Zeitpunkt der Übergabe und wann immer notwendig außer Kraft tritt .

    Kapitel III - Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung

    Artikel 26 - Allgemeine Bestimmungen

    Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in den Fällen nach den Artikeln 27 bis 34 ablehnen.

    Artikel 27 - Liste der Ausnahmen

    Ohne die Ziele von Artikel 29 EUV zu gefährden, kann jeder Mitgliedstaat eine vollständige Liste der Handlungen erstellen, die in einigen Mitgliedstaaten möglicherweise als strafbare Handlungen gelten, bei denen seine Justizbehörden jedoch die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ablehnen, da dies eine Verletzung wesentlicher Rechtsgrundsätze dieses Staates darstellen würde.

    Die Liste und Änderungen der Liste werden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften mindestens drei Monate vor dem Zeitpunkt veröffentlicht, zu dem ein Mitgliedstaat Absatz 1 in Bezug auf die betreffenden Handlung geltend machen kann.

    Artikel 28 - Territorialprinzip

    Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ablehnen, der aufgrund einer Handlung erlassen wurde, die nach dem Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats keinen Straftatbestand darstellt und die zumindest teilweise außerhalb des Hoheitsgebiets des ausstellenden Mitgliedstaats begangen wurde.

    Artikel 29 - Non bis in idem

    1. Die vollstreckende Justizbehörde lehnt die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ab, wenn eine Justizbehörde im Vollstreckungsmitgliedstaat die gesuchte Person aufgrund der strafbaren Handlung, die dem Erlass des Europäischen Haftbefehls zugrunde liegt, rechtskräftig abgeurteilt hat.

    2. Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls wird verweigert, wenn die Justizbehörden des Vollstreckungsmitgliedstaats entschieden haben, wegen der Handlung, die dem Erlass des Europäischen Haftbefehls zugrunde liegt, kein Verfahren einzuleiten bzw. das Verfahren einzustellen.

    Artikel 30 - Amnestie

    Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls aufgrund einer strafbaren Handlung, die im Vollstreckungsmitgliedstaat unter die Amnestie fällt, ablehnen, wenn dieser Mitgliedstaat nach seinem Strafrecht für die Verfolgung der Handlung zuständig war.

    Artikel 31 - Immunität

    Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ist abzulehnen, wenn das Rechtssystem des Vollstreckungsmitgliedstaats der gesuchten Person Immunität gewährt.

    Artikel 32 - Fehlen notwendiger Informationen

    Die vollstreckende Justizbehörde kann die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ablehnen, wenn:

    (a) der Europäische Haftbefehl nicht die in Artikel 6 genannten Angaben enthält oder

    (b) die Identität der auszuliefernden Person nicht festgestellt werden kann.

    Kapitel IV - Gründe für die Ablehnung der Übergabe

    Artikel 33 - Grundsatz der Wiedereingliederung

    1. Die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls in Bezug auf eine gesuchte Person kann abgelehnt werden, wenn im Vollstreckungsmitgliedstaat bessere Voraussetzungen für ihre Wiedereingliederung gegeben sind und die Person ihre Zustimmung erteilt, ihre Strafe in diesem Mitgliedstaat zu verbüßen.

    In diesem Fall ist die in dem ausstellenden Mitgliedstaat verhängte Strafe im Vollstreckungsmitgliedstaat nach dessen Rechtsvorschriften zu verbüßen. Die im ausstellenden Mitgliedstaat verhängte Strafe darf jedoch nicht durch eine Strafe ersetzt werden, mit der die betreffende Handlung nach dem Recht des vollstreckenden Mitgliedstaats bedroht ist.

    2. Das rechtskräftige Urteil, das dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, sowie alle erforderlichen Unterlagen sind der zuständigen Justizbehörde des Vollstreckungsmitgliedstaats zu übermitteln, damit das Strafurteil vollstreckt werden kann.

    Artikel 34 - Videokonferenz

    1. Die vollstreckende Justizbehörde kann die Übergabe der gesuchten Person ablehnen, wenn:

    (a) die gesuchte Person die Möglichkeit hat, im Rahmen einer Videokonferenz von einem Ort im vollstreckenden Mitgliedstaat an dem im ausstellenden Mitgliedstaat geführten Strafverfahren teilzunehmen;

    (b) der vollstreckende Mitgliedstaat und der ausstellende Mitgliedstaat dieser Vorgehensweise zustimmen.

    Das Verfahren erfolgt nach dem innerstaatlichen Recht des betreffenden Mitgliedstaats und einschlägigen internationalen Übereinkommen, einschließlich der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten von 1950.

    2. Die vollstreckenden Justizbehörde und die ausstellenden Justizbehörde vereinbaren die Einzelheiten des Verfahrens.

    3. Im Fall der Anwendung von Absatz 1 entscheidet die vollstreckende Justizbehörde nach ihrem innerstaatlichen Recht über die Haft der gesuchten Person.

    Kapitel V - Sonderfälle

    Artikel 35 - Abwesenheitsurteile

    1. Wenn der Europäische Haftbefehl aufgrund eines Abwesenheitsurteils erlassen wurde, findet in dem ausstellenden Mitgliedstaat nach der Übergabe eine erneute Gerichtsverhandlung in der Sache statt.

    Die vollstreckende Justizbehörde klärt die festgenommene Person über ihr Recht, gegen das Urteil Einspruch zu erheben, sowie über das entsprechende Verfahren auf.

    2. Jeder Mitgliedstaat berechtigt seine Justizbehörden zur Entgegennahme des Einspruchs einer Person, gegen die ein Abwesenheitsurteil ergangen ist, sowie zur Unterrichtung der ausstellenden Justizbehörde von diesem Einspruch.

    Artikel 36 - Rückkehr in den Vollstreckungsmitgliedstaat

    Die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls kann an die Bedingung geknüpft werden, dass die festgenommene Person zur Verbüßung ihrer Strafe in den Vollstreckungs mitgliedstaat rücküberstellt wird, falls Gründe zur Annahme bestehen, dass die Voraussetzungen für ihre Resozialisierung in diesem Mitgliedstaat besser sind.

    Artikel 37 - Lebenslange Freiheitsstrafe oder lebenslange die Freiheit beschränkende Maßregel der Sicherung und Besserung

    Wenn die Handlung, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, mit einer lebenslangen Freiheitsstrafe oder einer lebenslangen die Freiheit beschränkende Maßregel der Sicherung und Besserung bedroht ist, kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls an die Bedingung geknüpft werden, dass der ausstellende Mitgliedstaat zusagt, Vollstreckungs erleichterungen zu fördern, auf die die Person nach seinem innerstaatlichen Recht und seiner Rechtspraxis Anspruch hat.

    Artikel 38 - Aufschub der Vollstreckung aus humanitären Gründen

    1. Bei Vorliegen triftiger Gründe zur Annahme, dass die Vollstreckung aufgrund des Alters oder Gesundheitszustandes der gesuchten Person offensichtlich eine Gefährdung für Leib oder Leben darstellt, oder aus anderen zwingenden humanitären Gründen kann die Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls ausnahmsweise aufgeschoben werden.

    2. Der Europäische Haftbefehl wird vollstreckt, sobald diese Gründe nicht mehr gegeben sind.

    Artikel 39 - Aufschub der Übergabe

    1. Wurde ein Europäischer Haftbefehl aufgrund eines rechtskräftigen Urteils gegen eine Person erlassen, gegen die ein Strafverfahren im Vollstreckungsmitgliedstaat eingeleitet wurde, kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls so lange aufgeschoben werden, bis die rechtskräftige Entscheidung in diesem Verfahren gefallen bzw. die möglicherweise verhängte Strafe im Vollstreckungsmitgliedstaat verbüßt worden ist.

    2. Wurde ein Europäischer Haftbefehl aufgrund eines rechtskräftigen Urteils gegen eine Person erlassen, die im Vollstreckungsmitgliedstaat eine Strafe verbüßt, kann die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls so lange aufgeschoben werden, bis die im Vollstreckungsmitgliedstaat verhängte Strafe verbüßt worden ist.

    3. Wurde ein Europäischer Haftbefehl aufgrund einer anderen vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung oder eines Abwesenheitsurteils gegen eine Person erlassen, die im Vollstreckungsmitgliedstaat eine Strafe verbüßt, kann der Europäische Haftbefehl unter der Bedingung vollstreckt werden, dass die Person nach der rechtskräftigen Entscheidung im ausstellenden Mitgliedstaat in den Vollstreckungsmitgliedstaat zurückkehrt, um ihre Reststrafe zu verbüßen, sofern nicht Artikel 34 Anwendung findet.

    4. Wurde ein Europäischer Haftbefehl aufgrund einer anderen vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung oder eines Abwesenheitsurteils gegen eine Person erlassen, gegen die im Vollstreckungsmitgliedstaat ein Strafverfahren eingeleitet wurde, wird zwischen dem ausstellenden und dem vollstreckenden Mitgliedstaat die vorübergehende Überstellung der gesuchten Person vereinbart, damit das Verfahren unter der Bedingung der Rückkehr der Person eingeleitet werden kann, sofern nicht Artikel 34 Anwendung findet.

    5. In den Fällen nach den Absätzen 3 und 4 legen der ausstellende und der vollstreckende Mitgliedstaat einvernehmlich die Dauer und die Bedingungen für die Überstellung fest.

    6. In den Fällen nach den Absätzen 3 und 4 trägt der ausstellende Mitgliedstaat dafür Sorge, dass sich die gesuchte Person dem Vollstreckungsmitgliedstaat zur Verfügung hält, entweder, indem das rechtskräftige Urteil im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats vollstreckt wird, oder gegebenenfalls aufgrund einer im Vorverfahren von der Justizbehörde erlassenen Gerichtsverfügung.

    Artikel 40 - Mehrfachersuchen

    1. Wenn zwei oder mehr Mitgliedstaaten einen Europäischen Haftbefehl gegen dieselbe Person erlassen haben, entscheidet die vollstreckende Justizbehörde unter gebührender Berücksichtigung aller Umstände und insbesondere der Schwere und des Ortes der strafbaren Handlungen sowie des Zeitpunkts, zu dem die Haftbefehle erlassen wurden, welcher dieser Europäischen Haftbefehle vollstreckt wird.

    Alle beteiligten Justizbehörden arbeiten eng zusammen, damit in jedem der Mitgliedstaaten die Strafverfolgung schnellstmöglich eingeleitet werden kann.

    2. Mehrfachersuchen sind Eurojust vorzulegen; Eurojust äußert sich hierzu so schnell wie möglich.

    3. Im Fall eines Konfliktes zwischen einem Europäischen Haftbefehl und einem von einem Drittstaat, der Vertragspartei des Europäischen Auslieferungsübereinkommens vom 13. Dezember 1957 ist, gestellten Auslieferungsersuchen entscheidet die vollstreckende Justizbehörde unter gebührender Berücksichtigung aller und insbesondere der in Artikel 17 des genannten Übereinkommens beschriebenen Umstände, ob der Europäische Haftbefehl oder das Auslieferungsersuchen Vorrang hat.

    Im Fall eines Konfliktes zwischen einem Europäischen Haftbefehl und einem Auslieferungsersuchen eines Drittstaats, der nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens ist, hat die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls Vorrang.

    4. Im Fall eines Konfliktes zwischen einem Europäischen Haftbefehl und einem Übergabeersuchen eines internationalen Strafgerichts finden unabhängig davon, ob dieses Strafgericht von allen Mitgliedstaaten anerkannt wird oder nicht, Beratungen zwischen den betreffenden Mitgliedstaaten statt, wie den Erfordernissen der Stellung des internationalen Strafgerichts Rechnung getragen werden kann, bevor eine Entscheidung getroffen wird.

    Artikel 41 - Andere strafbare Handlungen

    Personen, die nach Maßgabe eines Europäischen Haftbefehls übergeben wurden, können im ausstellenden Mitgliedstaat für eine andere strafbare Handlung als diejenige, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, verfolgt, verurteilt oder inhaftiert werden, sofern der vollstreckende Mitgliedstaat diese Handlung nicht in die Liste nach Artikel 27 aufgenommen hat oder die Artikel 28 oder 30 zur Anwendung kommen.

    Artikel 42 - Rückgabe von Gegenständen

    1. Auf Ersuchen der ausstellenden Justizbehörde oder aus eigener Initiative beschlagnahmt und übergibt die vollstreckende Justizbehörde, sofern dies nach innerstaatlichem Recht zulässig ist, Gegenstände, die:

    (a) als Beweismittel erforderlich sind oder

    (b) von der gesuchten Person aufgrund der strafbaren Handlung erlangt wurden.

    2. Die Gegenstände nach Absatz 1 werden auch dann übergeben, wenn der Europäische Haftbefehl aufgrund des Ablebens oder der Flucht der gesuchten Person nicht vollstreckt werden kann.

    3. Wenn die Gegenstände nach Absatz 1 im Hoheitsgebiet des Vollstreckungs mitgliedstaats beschlagnahmt oder eingezogen werden müssen, kann sie dieser Staat, wenn sie im Zusammenhang mit dem anhängigen Strafverfahren benötigt werden, vorübergehend einbehalten oder unter der Bedingung der Rückgabe an den ausstellenden Mitgliedstaat übergeben.

    4. Rechte des Vollstreckungsmitgliedstaats oder Dritter an den Gegenständen nach Absatz 1 sind zu schützen. Bestehen solche Rechte, gibt der ausstellende Mitgliedstaat dem Vollstreckungsmitgliedstaat die Gegenstände so schnell wie möglich nach Abschluss des Verfahrens ohne Verrechnung von Kosten zurück.

    Kapitel VI - Verhältnis zu anderen einschlägigen Übereinkommen

    Artikel 43 - Verhältnis zu anderen einschlägigen Übereinkommen

    1. Ab dem 1. Juli 2004 finden folgende Übereinkommen oder Bestimmungen von Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten keine Anwendung mehr:

    (a) Das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, das Zusatzprotokoll vom 15. Oktober 1975, das Zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 und das Europäische Übereinkommen zur Bekämpfung des Terrorismus vom 27. Januar 1977, soweit die Auslieferung betroffen ist;

    (b) das Übereinkommen zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Gemeinschaften über die Vereinfachung und Modernisierung der Verfahren zur Übermittlung von Auslieferungsersuchen vom 26. Mai 1989;

    (c) das Übereinkommen vom 10. März 1995 über das vereinfachte Auslieferungs verfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union; und

    (d) das Übereinkommen vom 27. September 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union.

    2. Dieser Rahmenbeschluss berührt nicht die Anwendung vereinfachter Verfahren oder Bedingungen nach bilateralen oder multilateralen Übereinkommen bzw. von Verfahren oder Bedingungen, die aufgrund einheitlicher oder gegenseitiger Rechtsvorschriften zwischen den Mitgliedstaaten vereinbart wurden.

    Artikel 44 - Verhältnis zum Schengener Durchführungsübereinkommen

    1. Dieser Rahmenbeschluss tritt für Island und Norwegen unbeschadet Artikel 8 des Übereinkommens zwischen dem Rat der Europäischen Union sowie der Republik Island und dem Königreich Norwegen über die Assoziierung der beiden letztgenannten Staaten bei der Umsetzung, Anwendung und Entwicklung des Schengen-Besitzstands [11] in Kraft.

    [11] ABl. L 176 vom 10.7.1999, S. 36.

    3. Die Artikel 59 bis 66, 94 Absatz 4 und 95 des Schengener Durchführungsüberein kommens treten, soweit die Auslieferung betroffen ist, mit 1. Juli 2004 außer Kraft.

    Kapitel VII - Durchlieferung, Übermittlung, Sprachen und Kosten

    Artikel 45 - Durchlieferung

    1. Jeder Mitgliedstaat genehmigt die Durchlieferung einer gesuchten Person in Übergabe durch sein Hoheitsgebiet, sofern folgende Unterlagen übermittelt wurden:

    (a) Angaben zur Identität der gesuchten Person,

    (b) eine Abschrift des Europäischen Haftbefehls zusammen mit einer Übersetzung in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Durchlieferungs mitgliedstaats,

    (c) eine Abschrift der Entscheidung der vollstreckenden Justizbehörde zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls zusammen mit einer Übersetzung in die Amtssprache oder eine der Amtssprachen des Durchlieferungs mitgliedstaats.

    2. Kommt es bei der direkten Durchlieferung auf dem Luftweg zu einer außerplanmäßigen Landung, übermittelt der ausstellende Mitgliedstaat dem betreffenden Mitgliedstaat die in Absatz 1 genannten Informationen und Unterlagen.

    Artikel 46 - Übermittlung von Dokumenten

    1. Der ausstellende Mitgliedstaat kann den Europäischen Haftbefehl durch jedes sichere Nachrichtenmittel, das Schriftspuren hinterlässt, unter Bedingungen übermitteln, zu denen der Vollstreckungsmitgliedstaat die Echtheit der Übermittlung nachprüfen kann.

    2. Schwierigkeiten in Verbindung mit der Übermittlung oder der Echtheit der zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls erforderlichen Unterlagen werden direkt zwischen den betreffenden Justizbehörden bzw. gegebenenfalls unter Einbeziehung der zentralen Behörden der Mitgliedstaaten behoben.

    Artikel 47 - Sprachen

    1. Der Europäische Haftbefehl kann in der/den Amtssprache(n) des/der ausstellenden oder des/der vollstreckenden Mitgliedstaats/Mitgliedstaaten übermittelt werden.

    2. Die zentrale Behörde des Vollstreckungsmitgliedstaats trägt gegebenenfalls für eine rasche Übersetzung des Europäischen Haftbefehls sowie aller erforderlichen Unterlagen, die zum Zweck des Verfahrens übermittelt wurden, Sorge. Die Übersetzung wird der vollstreckenden Justizbehörde unverzüglich zugeleitet.

    Artikel 48 - Kosten

    1. Kosten, die im Hoheitsgebiet des Vollstreckungsmitgliedstaats bei der Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls entstehen, werden von diesem Mitgliedstaat getragen.

    2. Alle anderen Kosten einschließlich der Reisekosten und der Kosten der Durchlieferung durch das Hoheitsgebiet eines Drittstaats gehen zu Lasten des ausstellenden Mitgliedstaats.

    Kapitel VIII - Schutzklausel

    Artikel 49 - Schutzklausel

    1. Jeder Mitgliedstaat kann mittels einer Erklärung an den Rat und die Kommission die Anwendung dieses Rahmenbeschlusses in Bezug auf einen anderen Mitgliedstaat im Fall einer schwerwiegenden und anhaltenden Verletzung grundlegender Menschenrechte nach Artikel 6 Absatz 1 EUV in diesem Mitgliedstaat aussetzen. Diese einseitige Aussetzung gilt befristet. Sofern nicht innerhalb von sechs Monaten das Verfahren nach Artikel 7 EUV eingeleitet wird, tritt die Aussetzung außer Kraft.

    2. Wendet ein Mitgliedstaat Absatz 1 an, so ergreift er gegebenenfalls die erforderlichen Maßnahmen, um seine gerichtliche Zuständigkeit bezüglich der strafbaren Handlung, die dem Europäischen Haftbefehl zugrunde liegt, festzustellen.

    Kapitel IX - Allgemeine und Schlussbestimmungen

    Artikel 50 - Veröffentlichung

    1. Die Mitgliedstaaten teilen dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission bis zum 31. Dezember 2002 die in Artikel 5 vorgesehenen Angaben zur zentralen Behörde mit. Diese Angaben werden im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht.

    2. Die Mitgliedstaaten übermitteln dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission die Liste nach Artikel 27 sowie etwaige Änderungen der Liste.

    Das Generalsekretariat des Rates unterrichtet die übrigen Mitgliedstaaten unverzüglich über die von einem der Mitgliedstaaten vorgenommenen Änderungen dieser Liste.

    Artikel 51 - Übergangsbestimmung

    Die in den Artikeln 43 und 44 aufgeführten Übereinkommen und Bestimmungen von Übereinkommen gelten weiter für Auslieferungsersuchen, die vor dem Zeitpunkt übermittelt wurden, zu dem die notwendigen Maßnahmen zur Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses in Kraft getreten sind.

    Artikel 52 - Durchführung

    Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um diesem Rahmenbeschluss bis zum [31. Dezember 2001] nachzukommen.

    Sie übermitteln dem Generalsekretariat des Rates und der Kommission den Wortlaut der innerstaatlichen Rechtsvorschriften, die sie zur Umsetzung dieses Rahmenbeschlusses erlassen, und Informationen über alle anderen Maßnahmen, die sie in dem unter diesen Rahmenbeschluss fallenden Gebiet treffen.

    Auf dieser Grundlage übermittelt die Kommission dem Europäischen Parlament und dem Rat bis zum [31. Dezember 2003] einen Bericht über die Funktionsweise dieses Rahmenbeschlusses, gegebenenfalls ergänzt um Rechtsetzungsvorschläge.

    Der Rat bewertet, inwieweit die Mitgliedstaaten diesem Rahmenbeschluss nachgekommen sind.

    Artikel 53 - Inkrafttreten

    Dieser Rahmenbeschluss tritt am zwanzigsten Tag nach seiner Veröffentlichung im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften in Kraft.

    Geschehen zu Brüssel, [...]

    Im Namen des Rates

    Der Präsident

    [...]

    ANHANG

    Europäischer Haftbefehl

    Ich bescheinige hiermit, dass dieser Haftbefehl den Originalunterlagen entspricht, die dem Haftbefehl zugrunde liegen, und beantrage die Festnahme und Übergabe der nachstehend beschriebenen Person an die nachstehend bezeichnete Justizbehörde:

    (a) Angaben zur Identität der gesuchten Person:

    Familienname: ......

    Vorname(n): .......

    Geschlecht: .... ....

    Staatsangehörigkeit: ....

    Geburtsdatum: ....

    Geburtsort: ....

    Wohnort: .....

    Besondere Kennzeichen: ....

    Foto und Fingerabdrücke der gesuchten Person (falls vorhanden):

    (b) Justizbehörde, die das Ersuchen gestellt hat und an die die Person übergeben werden soll:

    Bezeichnung der Behörde: ......

    Zuständiger Beamter (Titel/Dienstgrad und Name): ......

    Anschrift: ......

    Tel. Nr.: .... Fax Nr.: ......

    E-Mail: ....

    (c) Rechtskräftiges Strafurteil oder andere Gerichtsentscheidung nach Artikel 2 des Rahmenbeschlusses [Datum] über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union:

    Art: ......

    Datum: .......

    (d) Ist ein Abwesenheitsurteil gemäß Artikel 3 Buchstabe e des Rahmenbeschlusses [Datum] über den Europäischen Haftbefehl und die Übergabeverfahren zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union ergangen?

    Ja o Nein o (Zutreffendes bitte ankreuzen)

    Falls "Ja", bitte hier eine Erklärung über die zur Verteidigung der betreffenden Person bzw. für eine erneute Verhandlung des Falles in ihrer Gegenwart verfügbaren Rechtsmittel abgeben:

    .......

    Zu kontaktierende Behörde:.......

    (e) Art und rechtliche Würdigung der strafbaren Handlung:

    .......

    (f) Beschreibung der Umstände, unter denen die strafbare Handlung begangen wurde, einschließlich der Zeit, des Ortes und der Art der Täterschaft der ausgeschriebenen Person:

    .......

    (g) Strafe im Fall eines rechtskräftigen Strafurteils oder ansonsten vorgeschriebenes Strafmaß und wenn möglich andere Folgen der strafbaren Handlung(en):

    .......

    (h) Andere Folgen der strafbaren Handlung, insbesondere im Hinblick auf die Situation des Opfers:

    .......

    ( i) Ist die Person bereits aufgrund derselben Handlung festgenommen und freigelassen worden bzw. unter der Bedingung der Rückgabe entlassen worden? Falls ja, Dauer der Freiheitsstrafe? Ist die Person aus der Haft entflohen?

    .......

    (j) Weitere Angaben:

    .......

    Unterschrift des zuständigen Beamten:

    Titel/Dienstgrad und Name:

    INHALT

    Kapitel I: Allgemeine Grundsätze

    Artikel 1 - Gegenstand

    Artikel 2 - Anwendungsbereich

    Artikel 3 - Begriffsbestimmungen

    Artikel 4 - Zuständige Justizbehörden

    Artikel 5 - Zentrale Behörde

    Artikel 6 - Inhalt des Europäischen Haftbefehls

    Kapitel II: Verfahren

    Teil 1 - Allgemeine Bestimmungen

    Artikel 7 - Kommunikation zwischen den Behörden

    Teil 2 - Anwendung des Schengener Informationssystems

    Artikel 8 - Alarmmeldung

    Artikel 9 - Kennzeichnung

    Teil 3 - Festnahme und Haft

    Artikel 10 - Zwangsmaßnahmen

    Artikel 11 - Rechte der gesuchten Person

    Artikel 12 - Notifizierung an die Justizbehörden

    Artikel 13 - Überprüfung und Aussetzung

    Artikel 14 - Vorübergehende Freilassung

    Teil 4 - Gerichtsverfahren für die Übergabe

    Artikel 15 - Prüfung des Europäischen Haftbefehls

    Artikel 16 - Zustimmung zur Übergabe

    Artikel 17 - Mitteilung der Zustimmung

    Artikel 18 - Frühere Freilassung

    Artikel 19 - Vernehmung

    Artikel 20 - Ergänzung der Unterlagen

    Artikel 21 -Frist für die Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls

    Artikel 22 -Mitteilung der Entscheidung über die Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls

    Artikel 23 - Frist für die Übergabe der gesuchten Person

    Artikel 24 - Abzug der Haftdauer von der Strafe

    Artikel 25 - Außerkrafttreten

    Kapitel III: Gründe für die Ablehnung der Vollstreckung

    Artikel 26 - Allgemeine Bestimmungen

    Artikel 27 - Liste der Ausnahmen

    Artikel 28 - Territorialprinzip

    Artikel 29 - Non bis in idem

    Artikel 30 - Amnestie

    Artikel 31 - Immunität

    Artikel 32 - Fehlen notwendiger Informationen

    Kapitel IV: Gründe für die Ablehnung der Übergabe

    Artikel 33 - Grundsatz der Wiedereingliederung

    Artikel 34 - Videokonferenz

    Kapitel V: Sonderfälle

    Artikel 35 - Abwesenheitsurteile

    Artikel 36 - Rückkehr in den Vollstreckungsmitgliedstaat

    Artikel 37 - Lebenslange Freiheitsstrafe oder lebenslange die Freiheit beschränkende Maßregel der Sicherung und Besserung

    Artikel 38 - Aufschub der Vollstreckung aus humanitären Gründen

    Artikel 39 - Aufschub der Übergabe

    Artikel 40 - Mehrfachersuchen

    Artikel 41 - Andere strafbare Handlungen

    Artikel 42 - Rückgabe von Gegenständen

    Kapitel VI: Verhältnis zu anderen einschlägigen Übereinkommen

    Artikel 43 - Verhältnis zu anderen einschlägigen Übereinkommen

    Artikel 44 - Verhältnis zum Schengener Durchführungsübereinkommen

    Kapitel VII: Durchlieferung, Übermittlung, Sprachen und Kosten

    Artikel 45 - Durchlieferung

    Artikel 46 - Übermittlung von Dokumenten

    Artikel 47 - Sprachen

    Artikel 48 - Kosten

    Kapitel VIII: Schutzklausel

    Artikel 49 - Schutzklausel

    Kapitel IX: Allgemeine und Schlussbestimmungen

    Artikel 50 - Veröffentlichung

    Artikel 51 - Übergangsbestimmung

    Artikel 52 - Durchführung

    Artikel 53 - Inkrafttreten

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