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Document 51999IE0563

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der «Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien 1999»

ABl. C 209 vom 22.7.1999, p. 60–67 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

51999IE0563

Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der «Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien 1999»

Amtsblatt Nr. C 209 vom 22/07/1999 S. 0060 - 0067


Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien 1999"

(1999/C 209/14)

Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß am 28. Januar 1999 gemäß Artikel 23 Absatz 3 der Geschäftsordnung, eine Stellungnahme zu dem vorgenannten Thema zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft nahm ihre Stellungnahme am 6. Mai 1999 an. Berichterstatterin war Frau Engelen-Kefer.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 364. Plenartagung (Sitzung vom 27 Mai 1999) mit 105 gegen 6 Stimmen bei 11 Enthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Mit der Aufnahme des Beschäftigungskapitels in den Amsterdamer Vertrag und dem Luxemburger Beschäftigungsgipfel vom November 1997 ist ein unumkehrbarer Prozeß in Gang gekommen, die Beschäftigungspolitiken auf europäischer Ebene zu koordinieren mit dem Ziel, die anhaltend hohe Arbeitslosigkeit in Europa spürbar zu senken. Die Mitgliedstaaten erkennen nunmehr an, daß die "Förderung der Beschäftigung eine Angelegenheit von gemeinsamem Interesse" ist (Artikel 126 Amsterdamer Vertrag). Die im Beschäftigungskapitel niedergelegten Ziele und Verfahren für eine koordinierte europäische Beschäftigungsstrategie wurden mit den Leitlinien 1998 und der Erarbeitung nationaler Aktionspläne der Mitgliedstaaten erstmals umgesetzt.

1.2. Die in den Luxemburger Leitlinien gesetzten Schwerpunkte: Verbesserung der Beschäftigungsfähigkeit, Entwicklung von Unternehmergeist, Unterstützung der Anpassungsfähigkeit von Unternehmen und Arbeitnehmern sowie Stärkung der Politiken für Chancengleichheit sind wichtige Bereiche, um die Wiedereingliederung von Arbeitslosen in das Beschäftigungssystem zu verbessern und zur Schaffung neuer Arbeitsplätze beizutragen. Alle Mitgliedstaaten haben in kurzer Frist ihre nationalen Aktionspläne zur Umsetzung der 98er Leitlinien vorgelegt, was als solches schon einen Fortschritt darstellt. Als besonders wirkungsvoll hat sich erwiesen, die Leitlinien in manchen Bereichen mit konkreten, überprüfbaren Zielvorgaben zu versehen, wie etwa bezüglich des Anteils der Arbeitslosen, die in den Genuß aktiver arbeitsmarktpolitischer Maßnahmen zur Förderung der Beschäftigungsfähigkeit kommen sollen. Und in der Entschließung des Rates zu den beschäftigungspolitischen Leitlinien für 1999 werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, "selbst einzelstaatliche Zielsetzungen festzulegen, die, wo immer es möglich und geeignet ist, quantifiziert werden könnten".

1.3. Allerdings ist es nach Ansicht des WSA erforderlich, ein gemeinsames Verständnis darüber herzustellen, was mit "aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen" gemeint ist. Ebenso müssen die Vergleichbarkeit der Statistiken sichergestellt sowie entsprechende Indikatoren objektiviert werden. Darüber hinaus regt der WSA an, auch qualitative Analysen durchzuführen bzw. die Mitgliedstaaten darum zu ersuchen, um den Erfolg der Arbeitsförderung besser bewerten zu können.

1.4. Die beschäftigungspolitischen Leitlinien für 1999, die vom Ratsgipfel in Wien am 11. und 12. Dezember 1998 angenommen wurden, betonen die Bedeutung, "die ein umfassender und intensiver Dialog zwischen allen Akteuren, d. h. dem Europäischen Parlament, dem Rat, der Kommission, den Sozialpartnern, der Europäischen Zentralbank und der Europäischen Investitionsbank, für den künftigen Erfolg des in Luxemburg in Gang gesetzten Prozesses hat". Als neuer Erwägungsgrund wurde entsprechend dem deutschen Präsidentschaftsvorschlag aufgenommen: "Der Europäische Rat von Wien hat den Rat und die Kommission beauftragt, dem Europäischen Rat auf seiner kommenden Tagung in Köln über die Entwicklung eines europäischen Beschäftigungspakts im Rahmen des Luxemburger Prozesses Bericht zu erstatten."

1.5. Im Rahmen dieses Auftrages des Wiener Ratsgipfels möchte der WSA als Forum der organisierten Bürgergesellschaft in Europa einen spezifischen Beitrag zur Intensivierung dieses Dialogs über die europäische Beschäftigungsstrategie leisten. Dieser Beitrag soll darin bestehen, einen vertieften Erfahrungsaustausch über Beispiele für "best practice" einzuleiten und damit zur Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien beizutragen. Der WSA ist dafür aufgrund seiner Zusammensetzung besonders geeignet, da er neben den traditionellen Parteien des Arbeitsmarktes auch andere relevante wirtschaftliche und soziale Organisationen repräsentiert. In diesem Zusammenhang wurde eine Anhörung zu ausgewählten vorbildlichen Beispielen zu den vier Säulen der europäischen Beschäftigungsstrategie durchgeführt. Die beiden Räte Wirtschaft und Finanzen sowie Arbeit und Soziales haben in ihrem gemeinsamen Bericht über die europäische Beschäftigungspolitik Beispiele für "best practice" zu den vier Säulen der beschäftigungspolitischen Leitlinien identifiziert, die in der Anhörung berücksichtigt wurden.

2. Bewertung und Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien 1999

2.1. Der WSA bezieht sich mit dieser Initiativstellungnahme auf Artikel 128(2) des Amsterdamer Vertrages, der dem Rat aufgibt, den WSA vor der jährlichen Verabschiedung der beschäftigungspolitischen Leitlinien anzuhören.

2.2. Er begrüßt den Ansatz der EU-Kommission, in den Leitlinien für 1999 grundsätzlich an den vier Schwerpunkten festzuhalten und damit die Konsolidierung und Verstetigung des Luxemburg-Prozesses in den Vordergrund zu stellen. Der WSA hält die vorgenommenen Ergänzungen und Konkretisierungen in den Bereichen:

- Reform der Steuer- und Abgabensysteme;

- Nutzung des Beschäftigungspotentials im Dienstleistungsbereich;

- Verstärkung der Maßnahmen zur ständigen Weiterbildung insbesondere im Hinblick auf den informationstechnischen Wandel;

- Integration von Behinderten und ethnischen Minderheiten;

- Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie

für sinnvoll und unterstützt diese nachdrücklich.

2.3. Die Umkehr des in der Union zu verzeichnenden Trends zu einer höheren Steuer- und Abgabenbelastung der Arbeit ist eine wesentliche Voraussetzung für mehr Beschäftigung(1). Der WSA begrüßt daher die in den Leitlinien 1999 vorgenommene Konkretisierung, wonach die Mitgliedstaaten ihre Steuer- und Leistungssysteme daraufhin überprüfen, ob und inwieweit sie Arbeitslosen Anreize für die Beschäftigungsaufnahme und den Arbeitgebern Anreize zur Schaffung neuer Arbeitsplätze bieten(2). Dabei dürfen jedoch keine Verschlechterungen der Sozialleistungen für Arbeitslose entstehen. In diesem Zusammenhang ist es nach Auffassung des WSA ebenfalls besonders wichtig, der Bekämpfung der nicht gemeldeten und illegalen Beschäftigung größere Aufmerksamkeit zu widmen.

2.4. Eine Ursache für die Beschäftigungsprobleme in Europa liegt in dem im internationalen Vergleich unterdurchschnittlichen Anteil des Dienstleistungssektors, einschließlich der sozialen, umweltorientierten und industrienahen Dienstleistungen. Es ist daher nur folgerichtig, daß die Mitgliedstaaten in den Leitlinien aufgefordert werden, "Rahmenbedingungen (zu) entwickeln, um das Beschäftigungspotential des Dienstleistungssektors und der industrienahen Dienstleistungen voll zu nutzen". Der Erschließung des Beschäftigungspotentials der Informationsgesellschaft, des sozialen und des Umweltsektors kommt dabei eine besondere Bedeutung für die Schaffung neuer Arbeitsplätze zu, wie die Leitlinien betonen. Auch die soziale und beschäftigungspolitische Verantwortung des öffentlichen Sektors darf nicht vernachlässigt werden.

2.5. Damit eng zusammen hängt die Notwendigkeit, Jugendlichen im Rahmen der allgemeinen und beruflichen Bildung informationstechnische Qualifikationen zu vermitteln und ihnen dadurch den Übergang in den Beruf zu erleichtern. Der rasche informationstechnische Wandel erfordert jedoch ebenso eine ständige Anpassung der Qualifikationen der Arbeitnehmerinnnen und Arbeitnehmer durch lebenslanges Lernen, um ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten. Der WSA erachtet die hier erfolgte Konkretisierung der Leitlinien als besonders wichtig.

2.6. In Übereinstimmung mit der Verstärkung des Nichtdiskriminierungsgrundsatzes im Amsterdamer Vertrag hat die EU-Kommission in die Leitlinien 1999 die Schaffung eines für alle offenen Arbeitsmarktes, in dem der Eingliederung benachteiligter Gruppen besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, neu aufgenommen. Der WSA begrüßt diese Ergänzung, weil gerade behinderte Menschen, ethnische Minderheiten und andere besonders benachteiligte Gruppen, wie Langzeitarbeitslose oder Ältere, von sozialer Ausgrenzung bedroht sind, wenn ihnen nicht durch vorbeugende Maßnahmen und aktive Eingliederungshilfen Chancen auf dem Arbeitsmarkt eröffnet werden. Er setzt sich dafür ein, daß auch in diesem Bereich ein "mainstreaming"-Ansatz verfolgt wird. Die EU-Kommission wird ersucht, die angekündigten Antidiskriminierungsmaßnahmen durch einen jährlichen Aktionsplan umzusetzen, auch durch angemessene rechtliche Maßnahmen. In diesem Aktionsplan ist der Tatsache Rechnung zu tragen, daß es in den benachteiligten Gruppen viele Menschen mit umfangreichen Erfahrungen und Fähigkeiten gibt, die brach liegen, und er muß Vorschläge dazu enthalten, wie dieser vielfältige Erfahrungs- und Kenntnisschatz sowohl für den einzelnen Betroffenen als auch für die Gesellschaft insgesamt fruchtbar gemacht werden kann.

2.7. Einen besonderen Schwerpunkt hat die EU-Kommission in den Leitlinien 1999 auf die Förderung der Chancengleichheit von Frauen und Männern gelegt. Der WSA unterstützt besonders den dabei verfolgten "mainstreaming"-Ansatz, der beinhaltet, in allen vier Schwerpunktbereichen der beschäftigungspolitischen Leitlinien darauf hinzuwirken, geschlechtsspezifische Benachteiligungen zu beseitigen. Insbesondere unterstützt er die Konkretisierung mit dem Ziel, die überdurchschnittliche Frauenarbeitslosigkeit abzubauen, wonach Frauen entsprechend ihrem Anteil an den Arbeitslosen Zugang zu aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen haben sollen. Die Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen ist eine notwendige Maßnahme, um die Beschäftigungsquote in Europa insgesamt zu erhöhen. Voraussetzung hierfür ist die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen durch Beseitigung negativer Anreize im Steuer- und Leistungssystem. Außerdem erfordert dies die Bereitstellung ausreichender Kinderbetreuungseinrichtungen und die Ermöglichung flexibler Freistellungs- und Arbeitszeitregelungen für Frauen und Männer zur besseren Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Der WSA hält die in diesem Abschnitt erfolgten Ergänzungen der Leitlinien 1999 für besonders zielführend, da sie neben den unmittelbar auf die Eingliederung in den Arbeitsmarkt gerichteten Maßnahmen auch die Veränderung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen einbeziehen, die der Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen heute noch im Wege stehen.

2.8. Wie der WSA bereits in seiner Stellungnahme zur Mitteilung der Kommission "Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten 1998"(3) deutlich gemacht hat, hält er es darüber hinaus für erforderlich, ein Gesamtkonzept zu entwickeln, das sowohl die allgemeine Wirtschaftspolitik als auch andere beschäftigungsrelevante Politikfelder umfaßt. Dafür müssen die beschäftigungspolitischen Leitlinien und die jährlich gemäß Artikel 99 (2) Amsterdamer Vertrag aufzustellenden Grundzüge der Wirtschaftspolitik miteinander in Einklang gebracht werden. Dies setzt eine stärkere Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik sowie Strukturreformen in der Wirtschaft voraus.

2.9. Der WSA ist erfreut darüber, daß der Wiener Ratsgipfel die Notwendigkeit eines solchen Gesamtkonzeptes unterstreicht, indem er betont, "daß die wirtschaftspolitische Koordinierung ... sowohl vertieft als auch verstärkt werden muß, um den Erfolg der WWU zu sichern und ein nachhaltiges beschäftigungswirksames Wachstum zu unterstützen". Dies erfordere, so der Rat weiter, "in den Mitgliedstaaten und auf Unionsebene ... zweckmäßige und koordinierte Antworten, die sowohl die Haushalts- und Geldpolitik als auch die Strukturpolitik umfassen und die Lohnentwicklungen berücksichtigen".

2.10. Der WSA sieht sich ebenfalls in voller Übereinstimmung mit dem Rat, wenn dieser es für erforderlich hält, die bestehenden Instrumente zu stärken und sie "in eine kohärente Strategie für Beschäftigung, Wachstum, Stabilität wie auch für Wirtschaftsreformen zu gießen, die sich zu einem europäischen Beschäftigungspakt im Rahmen des Luxemburger Prozesses entwickeln soll".

2.11. Der WSA ist davon überzeugt, daß nur eine solche Gesamtstrategie, die alle beschäftigungsrelevanten Politikfelder umfaßt und die handelnden Akteure im Rahmen eines europäischen Beschäftigungspaktes in die gemeinsame Verantwortung nimmt, zum Erfolg führen kann.

2.12. In bezug auf den Luxemburger Prozeß sieht der WSA den objektiven Vergleich (Benchmarking) und das Aufzeigen bewährter Praktiken als wichtige Instrumente an, um einen produktiven Wettbewerb um arbeitsmarktpolitisch erfolgreiche Maßnahmen herbeizuführen. Allerdings müssen aus Sicht des WSA die Kriterien zur Identifizierung bewährter Praktiken transparent und nachprüfbar sein und die jeweils unterschiedliche Ausgangslage in den Mitgliedstaaten hinsichtlich aktiver Arbeitsmarktpolitiken in Rechnung stellen. Eine qualitative Bewertung sollte dabei über den engen Rahmen eines an kurzfristigen Wirkungen orientierten Monitorings hinausgehen. Der WSA erinnert in diesem Zusammenhang an die Bedeutung, die der Luxemburger Prozeß der Beteiligung der Sozialpartner beimißt. Gemäß den Schlußfolgerungen der Sondertagung des Europäischen Rates von Luxemburg "werden die Sozialpartner aller Ebenen bei diesem Vorgehen auf allen Stufen einbezogen und erbringen ihren Beitrag zur Durchführung der Leitlinien". Dazu gehört es nach Auffassung des WSA u. a. auch, daß die Sozialpartner Gelegenheit zur Teilnahme an der Ausarbeitung und zur Bewertung der nationalen Aktionspläne erhalten, bevor der gemeinsame Beschäftigungsbericht erstellt wird.

2.13. Insgesamt stimmt der WSA mit dem Rat überein, diesen Prozeß des positiven und konstruktiven Leistungsvergleichs zu stärken. Er unterstützt daher nachdrücklich die Auffassung des Europäischen Rates, der hierfür "zusätzliche nachprüfbare Zielvorgaben und Fristsetzungen sowohl auf europäischer als auch auf einzelstaatlicher Ebene, gemeinsame Leistungs- und Politikindikatoren sowie eine konsequente statistische Grundlage als Schlüsselelemente auf dem Weg zu einem europäischen Beschäftigungspakt" für erforderlich hält.

2.14. Zur Weiterentwicklung der europäischen Beschäftigungsstrategie kommt es nach Auffassung des WSA darauf an, die im Amsterdamer Vertrag niedergelegte Gleichwertigkeit von Stabilitäts-, Wachstums- und Beschäftigungspolitik wirksam werden zu lassen. Durch eine ausgewogene Wirtschafts- und Strukturpolitik muß gewährleistet werden, daß der Erreichung des Ziels eines hohen Beschäftigungsstandes derselbe Stellenwert zukommt wie der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte und der Inflationsbekämpfung. Ohne die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank in Frage zu stellen, kommt dabei der Geldpolitik besondere Bedeutung zu(4). Dies erfordert nach Auffassung des WSA eine stärkere Koordinierung der Wirtschafts-, Finanz- und Geldpolitik auf europäischer Ebene sowie die Einleitung von Wirtschaftsreformen im Rahmen eines strukturierten Dialogs zwischen den Regierungen, der EU-Kommission, der EZB und den Sozialpartnern.

2.15. Der WSA erwartet, daß vom Kölner Ratsgipfel ein Signal für einen europäischen Beschäftigungspakt (im Sinne eines Prozesses) ausgeht und dieser auch bei der Fortschreibung der beschäftigungspolitischen Leitlinien für das Jahr 2000 berücksichtigt wird.

3. Auswertung bewährter Praktiken

3.1. Die EU-Kommission hat mit dem gemeinsamen Beschäftigungsbericht der Räte Arbeit und Soziales und Wirtschaft und Finanzen für 1998 erstmals die Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien in den Mitgliedstaaten einer vergleichenden Bewertung anhand ausgewählter quantitativer Indikatoren unterzogen. Der dabei gewählte methodische Ansatz zur Ermittlung der relativen Position jedes Mitgliedstaates im Vergleich zum Durchschnitt der drei Besten anhand ausgewählter quantitativer Indikatoren hebt sich positiv von früheren Berichten ab. Er ist geeignet, einen produktiven Leistungswettbewerb unter den Mitgliedstaaten zur Verringerung der Arbeitslosigkeit auszulösen. Darüber hinaus sollte die EU-Kommission die Maßnahmen der Mitgliedstaaten selber, die zu einer Verbesserung der Beschäftigungslage geführt haben, auch unter qualitativen Gesichtspunkten auswerten und einer vergleichenden Analyse unterziehen. Die EU-Kommission hat hierfür mit den Länderberichten als Teil des gemeinsamen Beschäftigungsberichtes eine erste wichtige Vorarbeit geleistet. Diese muß jedoch durch die Verständigung auf gemeinsame Leistungs- und Politikindikatoren auf eine solide, von allen Mitgliedstaaten akzeptierte Grundlage gestellt werden. Darüber hinaus sollte der Erfahrungsaustausch unter den Mitgliedstaaten über bewährte arbeitsmarktpolitische Maßnahmen vertieft werden, wobei die im jeweiligen Mitgliedstaat verfolgte beschäftigungspolitische Gesamtstrategie dabei berücksichtigt werden sollte.

3.2. Internationale Vergleiche zeigen, daß Erfolge auf dem Arbeitsmarkt von zahlreichen Faktoren abhängen, insbesondere von einem auf nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung gerichteten gesamtwirtschaftlichen Ansatz, der von finanz-, geld- und steuerpolitischen Maßnahmen flankiert werden muß.

3.3. In einer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) vorgenommenen Auswertung der Erfahrungen(5) von drei europäischen Mitgliedstaaten, nämlich Großbritannien, den Niederlanden und Dänemark, im Vergleich zu den USA wurden z. B. folgende Elemente für eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik als Ergebnis der Länderstudie identifiziert, die hier unabhängig von einer Bewertung durch den WSA dargestellt werden:

- umfassender, auf nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung gerichteter gesamtwirtschaftlicher Ansatz;

- Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für Investitionen und zur Stärkung der Binnennachfrage, durch finanz-, geld- und steuerpolitische Maßnahmen;

- moderate Lohnsteigerungen und differenzierte Lohnsysteme unter Aufrechterhaltung der regulierenden Funktion von Tarifverträgen für den Arbeitsmarkt;

- Verringerung der Kosten des Faktors Arbeit durch Senkung der gesetzlichen Lohnnebenkosten;

- Verbindung von aktiven arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen mit institutionellen Anreizen zur Arbeitsaufnahme, wie z. B. in Dänemark und den Niederlanden;

- Strukturreformen der Wirtschaft zur Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit.

3.4. Insgesamt zeigt die Auswertung des IAB, daß eine erfolgreiche Bekämpfung der Arbeitslosigkeit nicht isoliert bei einzelnen Aspekten ansetzen darf, sondern alle Bereiche der Wirtschafts-, Finanz-, Geld- und Arbeitsmarktpolitik einbeziehen muß. Erfolge sind nur bei einer längerfristig angelegten, konsistenten Gesamtpolitik zu erwarten. Dies bestätigt nach Ansicht des WSA den bereits im Weißbuch der EU-Kommission "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung" von 1993 niedergelegten umfassenden beschäftigungspolitischen Ansatz.

3.5. In der von der Studiengruppe am 15 April 1999 in der Bundesanstalt für Arbeit in Nürnberg durchgeführten Anhörung wurden ausgewählte Beispiele in der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik dargestellt. Der Schwerpunkt lag dabei auf den Leitlinienbereichen: Förderung der Beschäftigungsfähigkeit und Entwicklung des Unternehmertums, wobei die Förderung der Chancengleichheit im Sinne des "mainstreaming"-Ansatzes durch Auswahl der Praxisbeispiele und Einbeziehung in die Darstellung berücksichtigt wurde (siehe Anhang 2).

3.6. Für den WSA ergeben sich aus den dargestellten Beispielen folgende Schlußfolgerungen:

- Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen sind um so effizienter, als es gelingt, die Sozialpartner und die Maßnahmeträger im nationalen Rahmen an der Entwicklung und Durchführung zu beteiligen;

- Die ortsnahe Durchführung von Projekten im Zusammenwirken mit staatlichen Arbeitsbehörden ist besonders erfolgversprechend. Vielfach geht die Initiative für Projekte von der lokalen und regionalen Ebene aus und wird erst in einem zweiten Schritt von staatlichen Institutionen übernommen;

- Die Einbeziehung der betroffenen Personengruppen, z. B. in Projekten "Arbeitslose helfen Arbeitslosen", eröffnet neue Chancen, die Wirksamkeit arbeitsmarktpolitischer Eingliederungsmaßnahmen zu erhöhen;

- Die Übernahme von Verantwortung durch die Tarifparteien selber, durch Vereinbarungen über arbeitsmarktpolitische und arbeitszeitgestaltende Maßnahmen und die Bereitstellung finanzieller Hilfen, auch in Verbindung mit staatlichen Mitteln, erscheint besonders nachahmenswert;

- Berufsbildungsmaßnahmen sollten eine breite berufliche Grundbildung mit praxisnahen, auf die betrieblichen Anforderungen ausgerichteten Ausbildungsabschnitten und -elementen kombinieren. Dabei ist das Zusammenwirken der Hauptakteure in der beruflichen Bildung, Wirtschaft, Gewerkschaften und Staat von besonderer Bedeutung;

- Erfolge bei der Förderung von Jungunternehmen sind dann zu erzielen, wenn gezielte Beratung und finanzielle Unterstützung die Existenzgründung begleiten. Ebenso notwendig ist der Abbau administrativer Hürden, die die Gründung von Unternehmen behindern.

4. Perspektiven für einen dauerhaften Beitrag zur europäischen Beschäftigungsstrategie

4.1. Der WSA möchte die Durchführung der Anhörung über bewährte arbeitsmarktpolitische Praktiken als einen ersten Beitrag zur Intensivierung des Dialogs über eine europäische Beschäftigungsstrategie verstanden wissen, dem weitere Aktivitäten folgen sollen. Dabei ist es unerläßlich, daß Doppelarbeiten mit der EU-Kommission und den verschiedenen Ausschüssen auf europäischer Ebene vermieden werden und der WSA sich auf seine besondere Rolle als Forum der organisierten Bürgergesellschaft konzentriert. Das Anliegen des WSA ist es, seine Sichtweise zur europäischen Beschäftigungsstrategie gemäß Artikel 128(2) Amsterdamer Vertrag auf der Basis eines Interessenausgleichs zwischen den verschiedenen im WSA repräsentierten gesellschaftlichen und sozialen Gruppen zum Ausdruck zu bringen.

4.2. Die besondere Rolle, die der WSA aufgrund seiner Zusammensetzung für die Weiterentwicklung der europäischen Beschäftigungsstrategie spielen könnte, besteht in seiner Praxisorientierung. Er könnte daher durch die regelmäßige Auswertung beschäftigungspolitisch erfolgreicher Ansätze sowie die Organisation des Erfahrungsaustausches über vorbildliche Beispiele einen spezifischen Beitrag leisten.

4.3. Damit der WSA diese Aufgaben wahrnehmen kann, müßten entsprechende Voraussetzungen geschaffen werden. Dabei sollte gewährleistet werden, daß die in den verschiedenen Fachgruppen geleistete Arbeit mit Bezug zur europäischen Beschäftigungspolitik zusammengeführt wird, um es dem WSA zu ermöglichen, die europäische Beschäftigungspolitik kontinuierlich zu verfolgen und eigene Beiträge zu leisten.

Brüssel, den 27. Mai 1999.

Die Präsidentin

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Beatrice RANGONI MACHIAVELLI

(1) Siehe auch Stellungnahme des WSA zum Jahreswirtschaftsbericht "Die Wirtschaft der EU bei der Einführung des Euro: Förderung von Wachstum, Beschäftigung und Stabilität".

(2) Siehe auch Stellungnahme des WSA zu dem "Vorschlag für eine Richtlinie 77/388/EWG hinsichtlich der Möglichkeit, auf arbeitsintensive Dienstleistungen versuchsweise einen ermäßigten Mehrwertsteuersatz anzuwenden".

(3) ABl. C 19 vom 21.1.1998.

(4) Siehe auch Stellungnahme des WSA zum Jahreswirtschaftsbericht "Die Wirtschaft der EU bei der Einführung des Euro: Förderung von Wachstum, Beschäftigung und Stabilität".

(5) Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB): Mitteilungen aus der Arbeitsmarkt- und Berufsforschung, Nr. 2, 1998.

ANHANG I

zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Folgender Änderungsantrag, der mindestens ein Viertel der abgegebenen Stimmen als Ja-Stimmen erhalten hat, wurde im Verlauf der Erörterung des Stellungnahmetextes abgelehnt:

Ziffer 4.3

Diese Ziffer sollte entfallen.

Ergebnis der Abstimmung

Ja-Stimmen: 38, Nein-Stimmen: 74, Stimmenthaltungen: 5.

ANHANG II

zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Zusammenfassende Darstellung der auf der Anhörung der Fachgruppe "Beschäftigung, Sozialfragen, Unionsbürgerschaft" am 15 April 1999 in Nürnberg dargestellten vorbildlichen Beispiele in der Beschäftigungs- und Arbeitsmarktpolitik

Niederlande: Eingliederung von Langzeitarbeitslosen

Die niederländische Stiftung "Vermittlungs- und Eingliederungsprojekte", die seit 1987 besteht und von den beiden größten Gewerkschaften FNV und CNV mitgetragen wird, unterstützt aktive Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Langzeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt. Kennzeichnend ist die Arbeit in kleinen Projekten, die individuelle Betreuung der Arbeitssuchenden und das Zusammenwirken mit staatlichen Stellen. 1998 konnte für insgesamt 903 schwer vermittelbare Langzeitarbeitslose, die teilweise länger als drei Jahre arbeitslos, älter als 40 Jahre oder ausländischer Herkunft waren, eine Arbeitsmöglichkeit gefunden werden. Die Arbeit in den Projekten basiert zum großen Teil auf tarifvertraglichen Vereinbarungen zwischen den Sozialpartnern in verschiedenen Branchen bzw. einzelnen Unternehmen.

Seit vier Jahren ist die Stiftung mit der Umsetzung einer Tarifvereinbarung für das Hotel- und Gaststättengewerbe zur Integration von Langzeitarbeitslosen betraut. In 9 regionalen Projekten wurden in Zusammenarbeit mit den staatlichen Arbeitsbehörden Kontakte zwischen einstellungswilligen Unternehmen und Langzeitarbeitslosen hergestellt. Die Kosten für die Durchführung der Projekte werden je zur Hälfte von der Arbeitsbehörde und vom Hotel- und Gaststättengewerbe getragen. Auf diese Weise werden staatliche Unterstützungsleistungen und finanzielle Zuschüsse der Arbeitgeber nach dem Tarifvertrag miteinander kombiniert, eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg der Projekte. Allein 1998 erhielten so 227 Langzeitarbeitslose einen Arbeitsplatz in dieser Branche, von insgesamt 800 in den letzten vier Jahren.

Seit einigen Jahren sieht der Tarifvertrag im Bankgewerbe vor, 0,2 % der Lohnsumme zur Unterstützung von Arbeitsförderungsmaßnahmen außerhalb der Branche einzusetzen. Das daraus u. a. finanzierte "Vermittlungsprojekt Flevoland" konzentriert sich auf die Wiedereingliederung von Menschen mit psychischen Problemen in den Arbeitsmarkt. Die Beratung der betroffenen Personengruppe ist individuell auf die psychische Stabilisierung und die Beseitigung von Hindernissen für die Arbeitsaufnahme im gesamten Lebensumfeld angelegt. Erst dann setzt die eigentliche Vermittlungstätigkeit ein. Bis 1998 konnte 165 Teilnehmern an dieser Maßnahme, die überwiegend länger als zwei oder drei Jahre arbeitslos waren, ein Arbeitsplatz und 65 Teilnehmern eine Ausbildungsmaßnahme vermittelt werden. Seit April 1999 wird das Projekt von der staatlichen Arbeitsbehörde weitergeführt, um ihm dauerhaften Charakter zu geben. Voraussetzung für den Erfolg dieses Projektes ist neben der finanziellen Unterstützung durch staatliche Stellen und die Arbeitgeberseite die experimentelle Herangehensweise und eine individuelle Betreuung der Langzeitarbeitslosen, die das gesamte Lebensumfeld einbezieht.

Schweden: Eingliederung arbeitsloser Jugendlicher

Aus Schweden wurde über spezielle Arbeitszentren für arbeitslose Jugendliche berichtet, in denen diese die Wahl zwischen einem Arbeitsplatz, Eingliederungs- oder Qualifizierungsmaßnahmen haben. Hierfür wurden verschiedene staatliche Förderprogramme aufgelegt. In Computerzentren werden informationstechnische Qualifikationen vermittelt und Unterstützung bei der Vermittlung einer Arbeitsstelle angeboten. Immerhin 20 % der Jugendlichen fanden innerhalb von drei Monaten nach Abschluß des Trainingsprogramms eine Arbeitsstelle. Ein spezielles kommunales Förderprogramm für Jugendliche unter 20 Jahren ist darauf gerichtet, auf den Einzelnen zugeschnittene Arbeits- oder Praktikumsmöglichkeiten im öffentlichen Dienst oder der Privatwirtschaft oder Ausbildungsangebote zu entwickeln. Die kommunale Stelle, die hierfür staatliche Zuschüsse erhält, ist für längstens 12 Monate für den Jugendlichen verantwortlich, der allerdings während dieser Zeit auch Angebote der Arbeitsverwaltung annehmen muß. 1998 konnte 40 % der Teilnehmer an diesem Förderungsprogramm ein Arbeitsplatz und 22 % eine andere Arbeitsförderungsmaßnahme vermittelt werden. Seit Januar 1998 gibt es das Programm "Entwicklungsgarantie" für Jugendliche zwischen 20 und 24 Jahren, in dem die Arbeitsverwaltung individuelle Fördermaßnahmen unterbreitet. Wenn innerhalb von 100 Tagen kein geeignetes Angebot gefunden ist, wird der Jugendliche im Rahmen des kommunalen Förderprogramms weiterbetreut. Die Jugendlichen erhalten während dieser Maßnahmen entweder staatliche Arbeitslosenunterstützung, ein spezielles Unterhaltsgeld bei Weiterbildung oder Sozialhilfe.

Spanien: Eingliederung von Behinderten

In einem gemeinsamen Ausschuß von Vertretern des Arbeitsministeriums und dem spanischen Behindertenrat, der im Oktober 1997 gebildet wurde, wurde eine Vereinbarung über die Förderung der Beschäftigung von Behinderten getroffen. Die vereinbarten Maßnahmen betreffen die Verbesserung der institutionellen Beteiligung von Behinderten, Vermittlungs- und Beratungsangebote, Weiterbildungs- und gezielte Eingliederungsmaßnahmen. Ziel dieser Maßnahmen ist es, die Fähigkeiten behinderter Menschen, insbesondere junger und weiblicher Behinderter, zu verbessern und neue behindertengerechte Arbeitsmöglichkeiten anzubieten. Die Integrationsbemühungen haben allein im Jahre 1998 zu 15000 Arbeitsverträgen für Behinderte geführt, deren Arbeitgeber bis zu 90 % der Sozialversicherungsbeiträge vom Staat erhalten. Im Rahmen dieser Vereinbarung und des nationalen Aktionsplans zur Umsetzung der beschäftigungspolitischen Leitlinien 1998 hat die Stiftung "ONCE" eine private Initiative zur Förderung der Beschäftigung von Behinderten gestartet, den "Plan 5000". Innerhalb eines Zeitraums von vier Jahren (1997-2000) sagte die Stiftung zu, 5000 Beschäftigungs- und 10000 Ausbildungsmöglichkeiten für Behinderte zu schaffen. Bereits nach knapp zwei Jahren konnten durch diese Initiative 5089 Arbeitsplätze für Behinderte eingerichtet werden. Gerade im Zusammenhang mit der Förderung der Beschäftigungsfähigkeit muß ein besonderes Augenmerk auf Angebote für behinderte Menschen gelegt werden, damit sie die Chance auf Eingliederung in den raschen Wandlungen unterworfenen Arbeitsmarkt haben.

Italien: Junge Unternehmensgründungen

Die "Gesellschaft für junge Unternehmensgründungen" (IG) wurde 1994 gebildet, um das staatliche Programm zur Förderung von Jungunternehmern/innen von 1986, dessen Ziel Existenzgründungen in benachteiligten Regionen Italiens war, abzulösen. Das in öffentlichem Auftrag arbeitende Unternehmen unterstützt durch Beratung, Bildungsangebote, sachliche und finanzielle Hilfen Reorganisationsprozesse in den Unternehmen und Neugründungen. In 40 lokalen Beratungsstellen arbeitet IG mit Industrie- und Handelskammern und öffentlichen Stellen zusammen.

Die Aktivitäten in den letzten 12 Jahren umfaßten dabei:

- die Förderung des Unternehmertums besonders im Süden Italiens;

- die Bewertung von 6000 Geschäftsplänen;

- die Umsetzung von 1500 Geschäftsplänen mit einem Investitionsvolumen von insgesamt 2 Mrd. Euro, wodurch 25000 neue Arbeitsplätze geschaffen wurden;

- die Finanzierung von 970 Neugründungen, von denen 81 % noch heute bestehen.

Für den Erfolg maßgeblich ist die Herstellung von Betriebspartnerschaften und die Begleitung des/der Existenzgründers/in während der Aufbauphase durch einen Tutor mit Erfahrungen in der Unternehmensführung oder -beratung.

Seit 1986 ist IG auch an der Förderung und finanziellen Unterstützung von Arbeitslosen auf dem Weg in die Selbständigkeit beteiligt. IG berät hier bei der Umsetzung von Geschäftsplänen und bietet spezielle Aus- und Weiterbildungskurse zur Vorbereitung auf die Selbständigkeit und zur Führung von Unternehmen an. Die Effektivität des Existenzgründungsprogramms von IG wird dadurch unterstrichen, daß es von der italienischen Regierung als vorbildliches Beispiel ausgewählt wurde.

Frankreich: Programm für neue Dienstleistungen und neue Arbeitsstellen

Das französische Programm "Beschäftigung Jugendlicher in neuen Dienstleistungsbereichen" richtet sich an arbeitslose junge Menschen unter 30 Jahren. Dabei wird die Schaffung zusätzlicher Stellen im öffentlichen Dienst für soziale und gemeinnützige Zwecke für einen Zeitraum von 5 Jahren mit staatlichen Zuschüssen in Höhe von 80 % des gesetzlichen Mindestlohnes unterstützt, wenn ein Jugendlicher eingestellt wird. Das Ziel, bis Ende 1998, d. h. nach etwas mehr als einem Jahr 150000 Arbeitsplätze zu schaffen, wurde übertroffen. Es entstanden 85000 Arbeitsplätze bei Gebietskörperschaften und Vereinigungen, 65000 bei örtlichen Bildungseinrichtungen und 8250 bei örtlichen Polizeidienststellen. Die neugeschaffenen Tätigkeiten betreffen die Bereiche Familie, Gesundheit, Soziales, Umwelt und Kultur, Sport und Bildung. Dabei handelt es sich vorwiegend um Koordinations- und Organisationsaufgaben, unterstützende und betreuende Tätigkeiten für hilfsbedürftige Personen, etwa ältere Menschen und Behinderte oder Betreuungsaufgaben an Schulen. Da das Programm in erster Linie auf die Schaffung von Arbeitsplätzen auf lokaler und regionaler Ebene ausgerichtet ist, ist die Beteiligung der lokalen Arbeitsmarktakteure von entscheidender Bedeutung. Die auf nationaler Ebene mit den Spitzenverbänden und staatlichen Stellen abgeschlossenen Rahmenabkommen werden auf lokaler Ebene umgesetzt. Solche Abkommen gibt es z. B. bei der Post, den Vereinigungen der Erwachsenenbildung, bei Sozialverbänden und im Gesundheitswesen sowie den Stellen für sozialen Wohnungsbau. Ziel des Programms ist es, die begonnenen Maßnahmen zu verstetigen und den Jugendlichen eine dauerhafte Beschäftigung bei den jeweiligen Einrichtungen oder, im Anschluß daran, auf dem regulären Arbeitsmarkt zu verschaffen.

Schweden: beschäftigungsorientierte Dienstleistungen der Sozialpartner

Die schwedische, von Tarifvertragsparteien gemeinsam getragene Einrichtung "Trygghetsrådet SAF/PTK" (RESTART) unterstützt entlassene Arbeitnehmer im privaten Sektor bei der Suche nach einer neuen Beschäftigung oder der Existenzgründung. Die Aktivitäten gehen zurück auf ein gemeinsames Abkommen zwischen SAF und PTK von 1974. RESTART bietet den angeschlossenen Unternehmen bzw. den von Arbeitslosigkeit bedrohten Beschäftigten professionelle Beratung und Unterstützung beim Arbeitsplatzwechsel oder auf dem Weg in die Selbständigkeit an. Finanziert wird RESTART durch Beiträge der 30000 Mitgliedsunternehmen, die 0,3 % der Lohnsumme dafür bereitstellen. Die Angebote umfassen persönliche berufliche Entwicklungsplanung, verschiedene, auf individuelle Bedürfnisse zugeschnittene Aus- und Weiterbildungsangebote, Hilfe bei der Arbeitssuche oder Existenzgründung bis hin zu finanzieller Unterstützung für ältere Arbeitslose unter bestimmten Voraussetzungen. Die Kombination von Arbeitslosenunterstützung und "redundancy pay" durch RESTART kann sich je nach Alter des/der Betroffenen auf 75 % des früheren Einkommens für 1 1/2 bis 2 1/2 Jahre belaufen. Kern der Aktivitäten von RESTART ist ein Netzwerk von 100 Beratern in lokalen und regionalen Büros an ca. 30 Standorten. Von 143000 Beratungsfällen in den 90er Jahren haben 85000 Personen eine neue Beschäftigung gefunden, 12000 haben sich selbständig gemacht und 16000 Personen sind noch auf Arbeitssuche. Die Existenzgründungen, die etwa 10 % der Fälle ausmachen, konzentrieren sich dabei auf Handel und Verkauf, wobei der Frauenanteil 1998 gestiegen ist und in 80 % der Fälle die Unternehmen heute noch bestehen. Das persönlich angelegte Beratungskonzept von RESTART geht davon aus, daß in jedem Arbeitsplatzwechsel auch die Chance für einen beruflichen Neuanfang liegt, wenn entsprechende unterstützende Maßnahmen hinzukommen.

Finnland: Betriebliche Ausbildungsabschnitte in der beruflichen Erstausbildung

1995 entschied die finnische Regierung, daß die berufliche Erstausbildung ab dem Jahr 2000 auch einen 6-monatigen betrieblichen Ausbildungsabschnitt zur Sammlung von Arbeitserfahrungen umfassen soll. Gleichzeitig wurde die Dauer der beruflichen Erstausbildung auf drei Jahre verlängert. Ziel der Reform ist es, den Jugendlichen die Chance zum Erwerb betriebspraktischer Erfahrungen zu geben und damit den Übergang von der Schule in den Beruf zu erleichtern. Regierung und Sozialpartner trafen im Januar 1998 eine Vereinbarung, um die Ziele für solche Betriebspraktika umzusetzen. Dabei stehen folgende Maßnahmen im Vordergrund:

- Erschließung von Möglichkeiten für Betriebspraktika durch Zusammenwirken von Ausbildungseinrichtungen, Sozialpartnern und Unternehmen;

- Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen für die Ausbildung am Lernort Betrieb.

Die Sozialpartner waren sich darin einig, daß dieser betriebliche Ausbildungsteil nicht mit regulärer Tätigkeit im Betrieb gleichzusetzen ist und forderten daher die Regierung zu einer entsprechenden Änderung der Arbeitsgesetzgebung auf. Gleichzeitig betonten die Sozialpartner, daß Betriebspraktika im Rahmen der beruflichen Ausbildung nicht reguläre Beschäftigung ersetzen dürfen. Das neue Ausbildungssystem wird offiziell im August 1999 in drei Branchen, der Metallindustrie, dem Installationsgewerbe und der Landvermessung beginnen. Die bereits durchgeführten Pilotprojekte waren erfolgreich, insbesondere durch die gute Kooperation zwischen der Regierung und den Sozialpartnern.

Deutschland: Ausbildungskonsens Nordrhein-Westfalen

Land und Kommunen, Organisationen der Wirtschaft, Gewerkschaften und Arbeitsverwaltung sind die Partner des Ausbildungskonsens Nordrhein-Westfalen in Deutschland. In 16 regionalen Koordinierungsstellen bei den Industrie- und Handelskammern werden gemeinsame Lösungskonzepte entwickelt. Ziel ist es, jedem ausbildungswilligen Menschen in NRW einen qualifizierten Ausbildungsplatz anzubieten. Dazu sollen die Unternehmen motiviert werden, zusätzliche Ausbildungsplätze anzubieten und neue Unternehmen für die Ausbildung junger Menschen gewonnen werden, um so die Ausschöpfung des vorhandenen offenen Ausbildungsstellenpotentials sicherzustellen. Darüber hinaus werden Modellprojekte zur Reform des dualen Ausbildungssystems durchgeführt. Dabei konzentrieren sich die Partner auf folgende Schwerpunkte:

- Erprobung von Modellen einer zielgruppenspezifischen Ausbildung im Rahmen vorhandener Berufe. Vier Modellprojekte sind bereits angelaufen.

- Erschließung neuer Berufsfelder, insbesondere in Wachstumsbranchen wie z. B. Telekommunikation oder Medienwirtschaft.

- Entwicklung von Organisationsmodellen für eine flexible Unterrichtsorganisation in der Berufsschule zur Verbesserung der betrieblichen Ausbildungszeiten.

- Erschließung des Potentials vorhandener Ausbildungsplätze durch vollständige Meldung an die Arbeitsämter und breite Veröffentlichung unter Nutzung neuer Medien, z. B. Internet, um eine größtmögliche Transparenz des Ausbildungsstellenmarktes zu erreichen.

Zu den Aktivitäten im Rahmen des Ausbildungskonsens NRW gehört ebenfalls eine verstärkte Information und Beratung von Unternehmen zur Gewinnung neuer Ausbildungsbetriebe. Zielgruppen sind dabei vor allem ausländische Unternehmen sowie Existenzgründerinnen und -gründer in der Phase der Marktfestigung. Durch das Angebot bedarfsgerechter Zusatzqualifikationen in der Ausbildung soll darüber hinaus eine bessere Verknüpfung von Aus- und Weiterbildung erreicht werden, um die Chancen für eine qualifizierte berufliche Tätigkeit zu verbessern. Daneben wird die Beratung und Information der Ausbildungsplatzbewerberinnen und -bewerber, des Lehrpersonals und der Eltern intensiviert, um die Berufswahlvorbereitung zu optimieren, das Ausbildungsangebot besser auszuschöpfen und über neue Berufe und Wachstumsbranchen zu informieren. Durch diese Aktivitäten wurden allein 1998 über 2900 liche Ausbildungsstellen mobilisiert. Insgesamt konnte dadurch das Ausbildungsplatzangebot auf 122000 Neuabschlüsse in 1998 gegenüber 112000 in den Vorjahren gesteigert werden.

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