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Document 51998IE0976

    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Kindesmißbrauch und Sextourismus"

    ABl. C 284 vom 14.9.1998, p. 92 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

    51998IE0976

    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Kindesmißbrauch und Sextourismus"

    Amtsblatt Nr. C 284 vom 14/09/1998 S. 0092


    Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses zum Thema "Kindesmißbrauch und Sextourismus" (98/C 284/16)

    Der Wirtschafts- und Sozialausschuß beschloß auf seiner Plenartagung am 19. Mai 1997 gemäß Artikel 11 Absatz 4 und Artikel 19 Absatz 1 der Geschäftsordnung, einen Unterausschuß zur Vorbereitung der Arbeiten zu dem vorgenannten Thema einzusetzen.

    Der Unterausschuß erarbeitete am 8. Juni 1998 den Entwurf einer Stellungnahme (Berichterstatter: Herr Sklavounos).

    Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 356. Plenartagung (Sitzung vom 2. Juli 1998) mit 72 Ja-Stimmen bei 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

    ZUSAMMENFASSUNG DER WICHTIGSTEN POLITISCHEN VORSCHLAEGE

    Der Wirtschafts- und Sozialausschuß vertritt die Auffassung, daß das weitverbreitete besorgniserregende Problem der Mißhandlung, der Ausbeutung und des Mißbrauchs von Kindern eine grundlegende Neuorientierung und Mobilisierung der Gesellschaft erfordert. Ziel sollte sein, tiefer anzusetzen und über öffentliche Verurteilung und Reaktionen "von oben herab" oder in Form politischen Stückwerks nach dem Prinzip der Schadensbegrenzung hinauszugehen. Die Gesellschaft muß die ursächlichen Faktoren des Kindesmißbrauchs anpacken, anstatt nur auf ihre Folgen zu reagieren. Der Ausschuß fordert einen umfassenden, vorbeugenden und proaktiven Ansatz, der dem politischen Tagesgeschäft, sozialen Aktivitäten und der kulturellen Entfaltung das Motto "Kinder haben Vorrang" voranstellt.

    A. Bekämpfung der ursächlichen Faktoren von Kindesmißhandlung, -mißbrauch und -ausbeutung auf internationaler Ebene

    A.1. Die EU kann eine führende Rolle bei den Bemühungen spielen, die UN und sonstige internationale Entwicklungsorganisationen in ihrem Kampf gegen Armut und die unerträglichsten Formen von Kindesmißbrauch und -ausbeutung zu unterstützen, indem sie ihre Mittel besser einsetzt, die Schaffung europäischer und internationaler Rechtsgrundlagen für Eingriffe fördert und Kindesrechte klar in die Politik der Außenbeziehungen der EU eingliedert.

    A.2. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß kann im Rahmen seines eigenen strukturierten Dialogs und der Zusammenarbeit mit einzelstaatlichen und internationalen Partnern und durch seine Mitglieder selbst die Initiative ergreifen, die Gründung von Gremien für proaktive und wirksame Kinderpolitik zu fördern und zu unterstützen.

    B. Vorschläge für die Koordinierung einer wirksamen Politik auf europäischer Ebene

    B.1. Hergebrachte Familien- und Kinderpolitik wie z. B. die Schaffung von Tagesstätten, Elternurlaub und Kindergeld müssen durch neue kinderfreundliche Politiken der Stadtplanung und -erneuerung begleitet und damit koordiniert werden.

    B.2. Der Ausschuß fordert gleichfalls politische Maßnahmen zur Wiederherstellung der "Stadt" als eines bürgerlichen, sozialen und partizipativen kulturellen Ganzes. Er schlägt insbesondere ein Netz von kinderfreundlichen Städten vor, in denen z. B. Möglichkeiten zur Wiedereingliederung älterer Menschen in den Hauptstrom des gesellschaftlichen Lebens und die Nutzung ihrer Fähigkeiten durch freiwillige Mitarbeit in Kindertagesstätten, Schulen, öffentlichen Anlagen usw. angeboten werden; weiter bedarf es der Möglichkeit zur Zusammenarbeit zwischen freiwilligen Gruppen von Jungen und Älteren in "Gemeinschaftsunternehmen"; Schulungskurse, in denen Menschen spielerisch an Kunst und Technologie herangeführt werden; systematische Anstrengungen zur Wiederbelebung "der Nachbarschaft"; die Umwandlung von Ghettos in Orte kultureller Interaktion; organisatorische Verknüpfungen zwischen Stadt und Land; alternative Fremdenverkehrsformen; öffentliche Verkehrsmittel, die kindlichen Bedürfnissen entsprechen; sichere offene Räume und öffentliche Plätze, Bahnhöfe, Parks und Anlagen; Freizeitbereiche für Kinder sowie Nachbarschaftsschulen, die erzieherische und lehrreiche Freizeiteinrichtungen bieten.

    B.3. Die EU sollte alle Betroffenen dazu ermutigen, das Thema Schule im 21. Jahrhundert und die Öffnung der Schulen für die Gesellschaft weiter als eine Priorität zu betrachten. Die Schule des 21. Jahrhunderts sollte künftig den organisatorischen Impuls und die gestaltende Kraft für Europas Städte und soziales Leben, ein Ende der Ausgrenzung und die Wiedereingliederung erbringen. Der Ausschuß kann in Zusammenarbeit mit seinen einzelstaatlichen und regionalen Partnern auch die Debatte "Schule der Zukunft" bereichern und fördern, indem er die maßgeblichen sozio-ökonomischen Handlungsträger, Akademiker, Elterngruppen und städtischen Behörden einbezieht.

    C. Ein Ansporn für junge Menschen und Bürger, sich direkt an städtischen, gesellschaftlichen und kulturellen Aktivitäten auf allen Ebenen zu beteiligen

    C.1. Mit europaweiten Aktionen sollte eine Kultur des "Mitmachens" innerhalb der jungen Generation und der Jugendorganisationen wiederbelebt werden. In Zusammenarbeit mit der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, der UNICEF, dem Ausschuß der Regionen und den Dachverbänden der europäischen Jugendorganisationen kann der Ausschuß eine paneuropäische Konferenz zum Thema Beteiligung der jungen Generation in Europa veranstalten.

    C.2. Ein Programm "Jugend für Europa 2000+", womöglich unter Leitung eines neuen, für Jugendfragen zuständigen Mitglieds der Europäischen Kommission, könnte verschiedene Aktionen und Pilotvorhaben umfassen, wie z. B.: "Herausforderungen" zum Mitmachen für junge Menschen; ständige grenzüberschreitende Foren des thematischen und kulturellen wie auch des interkonfessionellen Dialogs; Anreize über die Massenmedien; ein ständiges Zentrum zur Verbreitung besserer Praktiken und eine europäische Kulturpolitik () für Kinder. Dazu gehören:

    - eine Europäische Kinderbibliothek;

    - ein jährliches Kinderunterhaltungsfestival;

    - eine Europäische Kindermusikakademie;

    - ein Europäisches Theater- und Kinofestival der Jugend;

    - eine bessere Umsetzung der bestehenden EU-Richtlinien zum Schutz der körperlichen, geistigen und moralischen Entwicklung junger Menschen in Fernsehsendungen und -werbung;

    - EU-Jugendsportveranstaltungen und konzertierte politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Gewalt und Rassismus im Sport;

    - positiv angelegte EU-Programme für Kinder mit besonderen Bedürfnissen, indem eine Behinderung als mögliche Quelle besonderer Fähigkeiten und Einfühlsamkeit gesehen wird;

    - Kulturtourismus für junge Menschen (grenzüberschreitender Familienaustausch, internationale Jugendlager und multikulturelle Kinderferienangebote);

    - Werbung für die Bedürfnisse von Kindern in den Programmen der Europäischen Kulturhauptstädte und bei ähnlichen Veranstaltungen;

    - Erweiterung des Programmes RAPHAËL zur Bewahrung und bestmöglichen Nutzung des kulturellen Erbes insbesondere in zusätzlichen Bereichen wie traditionelle Handwerkskurse, Volkskundemuseen und Schulen für Volks- und Traditionsmusik;

    - Programme zur Bekämpfung politischer Apathie, zur Förderung der Beteiligung am politischen Leben und zur Werbung für Toleranz und Verständnis;

    - dynamischere, am Kindeswohl ausgerichtete Partnerschaften zwischen Eltern, staatlichen Behörden, Bürgerorganisationen, Wirtschaft, sozioprofessioneller Tätigkeit und Schulen;

    - neue Vertragsbestimmungen.

    D. Allgemeine Mobilisierung der Gesellschaft und die Rolle des Ausschusses

    D.1. Auf europäischer Ebene kann der Wirtschafts- und Sozialausschuß die Aufgabe übernehmen, einen ständigen Ausschuß zu bilden, der dafür zuständig wäre, Modelle, Mittel und Methoden für ein Zusammenrücken der Gesellschaft und die Mobilisierung sozialer Gruppen, Interessengruppen und Freiwilligenorganisationen zur Bekämpfung der Entfremdung und Ausbeutung von Kindern zu analysieren und darzustellen im Sinne eines "Europäischen neuen Rechtsstatuts für Kinder".

    E. Das Problem der sexuellen Mißhandlung von Kindern und des Kindersextourismus wahrnehmen

    E.1. Der heutzutage in Europa verzeichnete Umfang des Kindesmißbrauchs ist nicht nur ein Ergebnis von Armut und Deprivation, sondern Anzeichen einer gesellschaftlichen Krise, eines materialistischen Ethos und moralischen Verfalls. Die "Erotikkultur", herrschende Werte und Normen sowie ethisches Verhalten in Europa stehen alle in gewissem Maße auf dem Prüfstand und können nicht schnell oder durch einen Federstrich verändert werden. Wenngleich es zweifellos schwierig ist, so besteht doch die grundsätzliche langfristige Verpflichtung, auf regionaler, einzelstaatlicher und EU-Ebene eine Politik zu entwerfen, um Kinderprostitution und Kindesmißbrauch abzustellen. Dabei müssen natürlich die Massenmedien einbezogen werden, und es ist von einem Wertesystem auszugehen, das die Integrität und Unantastbarkeit der menschlichen Natur in Verbindung mit Solidarität im Sinne eines willkommenen Ausdrucks von Nachbarschaftsgeist und nicht als "politische Verpflichtung" an erste Stelle setzt.

    E.2. Kindersextourismus ist ein Gesichtspunkt und ein Symptom der herrschenden Situation, kann aber schneller und gezielter angegangen werden. Verhaltenskodizes sind unverzüglich zu formulieren, indem die Reiseveranstalter in Europa an den Pranger gestellt werden und das Thema auf die Tagesordnung der EU-Erweiterung um die mittel- und osteuropäischen Länder, in den Dialog Europa-Mittelmeer und (wie es auf der ASEM-Konfernez in London war) in den Dialog mit dem Fernen Osten einbezogen wird.

    F. Kinderarbeit

    F.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß unterstützt die Vorschlagsentwürfe von der Amsterdamer Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation über Kinderarbeit und die Vorbereitung einer neuen Konvention zur Beseitigung der unerträglichsten Formen der Kinderarbeit. Der Ausschuß betont die besondere Verletzlichkeit von Mädchen und jungen Frauen in diesem Zusammenhang. Eine konzertierte Aktion zwischen Regierungen, den Sozialpartnern und NRO erscheint geboten.

    1. Einleitung

    1.1. Die Rechte des Kindes werden in der ganzen Welt verletzt. Kinderausbeutung und -handel, -mißbrauch, Zwangsarbeit und andere Formen von Kinderarbeit, Kindersextourismus, Kinderpornographie, Drogenhandel, Krieg und Folterung von Kindern sind Erscheinungen, die sich dramatisch ausbreiten. Diese Probleme sind nicht auf entwickelte oder Entwicklungsländer beschränkt, noch sind sie an bestimmte religiöse oder politische Traditionen gebunden.

    1.2. Die Formen von Ausbeutung und Mißbrauch und auch die Art, sie zu kaschieren, unterscheiden sich je nach der wirtschaftlichen und organisatorischen Entwicklung einer bestimmten Gesellschaft. Die Hauptprobleme in Entwicklungsländern sind beispielsweise Kinderzwangsarbeit und das Anbieten von Kindern für Sextouristen, in den entwickelten Ländern dagegen Kinderpornographie und die organisierte Nachfrage nach Kindersextourismus. In Entwicklungsländern werden Kinder bei der Herstellung und dem Vertrieb traditioneller Drogen eingesetzt; in entwickelten Ländern benutzt man sie für den Handel mit diesen oder synthetischen Substanzen.

    1.3. Allen bisherigen Anstrengungen internationaler Organisationen (UN, UNESCO, UNICEF, Europarat, Weltkirchenrat, ILO, internationale Gewerkschaftsbewegungen und NRO usw.) zum Trotz wurde die Gesellschaft bis vor kurzem nicht ausreichend mobilisiert, um das Problem auf europäischer oder weltweiter Ebene anzugehen, und es ging zumeist eher um Schadensbegrenzung statt um die Beseitigung der Kindesausbeutung und -mißbrauch zugrundeliegenden Ursachen.

    1.4. Dies ist ein ernstes und vielschichtiges Problem, das nicht nur unsere Gegenwartskultur unglaubwürdig macht, sondern auch unleugbar enthüllt, wie die Nachkriegsgenerationen es nicht vermocht haben, mit menschlichem und gesellschaftlichem Kapital und der Kultur des Alltagslebens umzugehen.

    1.5. Die Politik öffentlicher Verurteilung und der moralistische und legalistische Problemansatz verbunden mit Gesetzesvollzug haben weder mehr Achtung vor Recht und Gesetz noch Mechanismen für wirksame Präventivmaßnahmen erbracht.

    1.6. Es geht zwar um ein moralisches Problem, darüber hinaus jedoch noch um vieles mehr. Es betrifft die ganze europäische Gesellschaft, ja die Menschheit ohne Ansehen von Klasse, Einkommen oder Kultur.

    1.7. Die Art und das Ausmaß des Problems lassen eine zunehmende Mißachtung für die Integrität der menschlichen Person und die Unantastbarkeit menschlichen Lebens erkennen, die in einer entwürdigenden Vermarktung des menschlichen Körpers und sexueller Beziehungen zum Ausdruck kommt.

    1.8. Die Auswirkungen dieser Erscheinungen und die Tatsache, daß die Gesellschaft sich an ihre Allgegenwart gewöhnt hat, setzt das Grundwertesystem und die Prinzipien, auf denen die europäische und die menschliche Kultur sich entfaltet haben und beruhen, unter starken Druck und untergräbt sie - mit den entsprechenden Konsequenzen. Die zunehmende Erosion dieser Werte und Verhaltenskodizes hat alle Ebenen der Gesellschaft durchdrungen: Jüngste Beispiele in europäischen Staaten beweisen dies auf das deutlichste und zeugen auch von zunehmendem Problembewußtsein und entsprechenden Reaktionen.

    1.9. Die fast weltweite und begrüßenswerte Akzeptanz, die die "Konvention über die Rechte des Kindes (1)

    (1) "Die vertragschließenden Parteien erkennen das Recht des Kindes an, vor wirtschaftlicher Ausbeutung und der Ausübung jeder Tätigkeit geschützt zu werden, die gefährlich sein oder die Erziehung des Kindes beeinträchtigen oder der Gesundheit des Kindes bzw. der körperlichen, seelischen, moralischen oder sozialen Entwicklung des Kindes schaden könnte."

    UN-"Konvention über die Rechte des Kindes", 1989, Art. 32. Absatz 1." der UN gefunden hat, befreite die internationale Gemeinschaft leider nicht von diesem Problem. Dieses Thema stand auf der politischen Tagesordnung des Gipfels der UNESCO in Paris 1994, wurde vom Europarat in mehreren aufeinanderfolgenden, von Ministern und der Parlamentarischen Versammlung verabschiedeten Entschließungen aufgegriffen und vom Europäischen Parlament und dem Ministerrat der Europäischen Union behandelt. Der 1997 in Stockholm veranstaltete Weltkongreß zum Thema "Sexuelle Ausbeutung von Kindern zu kommerziellen Zwecken" und der Amsterdamer Gipfel über Maßnahmen zur Bekämpfung der unerträglichsten Formen von Kinderarbeit waren die jüngsten Veranstaltungen, in denen dieses Problem angegangen wurde. Auch der Wirtschafts- und Sozialausschuß machte darauf aufmerksam (). Es steht zu hoffen, daß die neue Konvention der Internationalen Arbeitsorganisation ILO zur Bekämpfung der unerträglichsten Formen von Kinderarbeit in Kürze verabschiedet und ratifiziert wird. Die kommerzielle Ausbeutung von Kindern sollte auch auf die Tagesordnung der Welthandelsorganisation gesetzt werden.

    2. Art und Ausmaß des Problems

    2.1. Kinderarbeit

    2.1.1. Angaben der ILO und der Kommission zufolge leben weltweit ca. 400 Millionen Kinderarbeiter im Alter zwischen 10 und 14 Jahren (die Gesamtschätzung wäre noch höher, wenn Mädchen, die Hausarbeit verrichten, mitgezählt würden). Schätzungsweise 80 Millionen dieser Kinder arbeiten unter gefährlichen und riskanten Bedingungen, 15 Millionen von ihnen in der Erzeugung von Ausfuhrwaren. Über 300 Millionen Kinder besuchen keine Schule. Fast eine Milliarde Erwachsene sind Analphabeten, darunter fast 600 Millionen Frauen. Der Anteil von Kindern im Grundschulalter, die nicht die Schule besuchen und somit eine Ressource für Kinderarbeit darstellen, wird wie folgt geschätzt: 47 % für Afrika südlich der Sahara, 16 % für den Nahen Osten und Nordafrika, 34 % für Südasien, 6 % für Ostasien und den pazifischen Raum, 12 % für Lateinamerika und die Karibik und 13 % für die Mittel- und osteuropäischen Länder, die Gemeinschaft unabhängiger Staaten und das Baltikum (). Mindestens 5 Millionen minderjährige Kinder arbeiten gegenwärtig in Europa.

    2.1.2. Kinderarbeit ist sowohl Folge als auch Ursache von Armut und unzulänglichen Arbeitsmarktpolitiken. Sie ist ein Beispiel für die schlimmste Form von "sozialem Dumping", die zur internationalen Verlagerung von Arbeit an Orte führt, wo Kinder in Schwarzarbeit mit geringem oder überhaupt keinem Schutz beschäftigt werden. Sie stellt einen Verstoß gegen die Konvention Nr. 138 der IAO dar und untergräbt die GATT-Bestimmungen. Armut ist der Nährboden sowohl für Kinderarbeit als auch die kommerzielle/sexuelle Ausbeutung von Kindern.

    2.1.3. Laut UNICEF (Die Lage der Kinder in der Welt, 1997) wurde Kinderarbeit im Westen durch eine Kombination aus Gesetzgebung, Einführung der Schulpflicht und Anstieg der Familieneinkommen sowie den technischen Fortschritt, der Kinderarbeit für die Arbeitgeber weniger interessant erscheinen ließ, zurückgedrängt.

    2.2. Straßenkinder

    2.2.1. Nach Angaben der Vereinten Nationen und unter Verwendung der Definition der UNICEF für Straßenkinder leben weltweit ca. 100 Millionen Kinder auf der Straße. Die geographische Verteilung ist wie folgt:

    - Lateinamerika: 40 Millionen;

    - Asien: 25-30 Millionen;

    - Afrika: 10 Millionen.

    Die übrigen 20-25 Millionen leben in Nordamerika und Europa.

    Die überwiegende Mehrheit dieser Kinder nehmen auch Drogen und sind Opfer von Prostitutions- und Verbrecherringen.

    2.2.2. Es ist in diesem Zusammenhang festzuhalten, daß Statistiken über Ausbeutung, Mißbrauch, Mißhandlung und Aussetzen von Kindern in der Europäischen Union bzw. die Zahl der Kinder, die in der EU auf der Straße oder in Kinderheimen leben oder mit Prostitution zu tun haben, praktisch unmöglich zu finden sind. Es ist bedauerlich, daß die europäischen Institutionen das Ausmaß dieses Problems weltweit dokumentieren, aber nichts über sein Vorkommen in der EU sagen. Die Weltöffentlichkeit (und die Teile der Welt, die uns ihre eigenen Statistiken liefern) haben ein Anrecht darauf, das Ausmaß des Problems in Europa zu erfahren. Es gibt zwar keine endgültigen statistischen Angaben aus einer großen Zahl zuverlässiger Quellen wie dem Europarat oder UNICEF, aber die vorhandenen Daten bestätigen, daß dieses Problem schwerwiegend ist und sich in Europa ständig verschlimmert. Straßenkinder und Kinderprostitution sind also auch ein europäisches Phänomen.

    2.3. Kinderprostitution, Pornographie, Kinderhandel und Pädophilie

    2.3.1. Jedes Jahr gleiten mindestens eine Million Kinder mehr in die Prostitution ab ().

    2.3.2. Das Problem des grenzüberschreitenden Kinderhandels in Europa hat sich (wie jüngste tragische Vorkommnisse in ganz Europa zeigen) seit dem Fall der Berliner Mauer und den anschließenden wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umwälzungen ständig verschlimmert. Es wird vermutet, daß sich eine sehr große Anzahl von Kindern aus osteuropäischen Ländern heute illegal in der EU aufhält. Sie können hauptsächlich durch Prostitution oder das "Sexgewerbe" bleiben und überleben. Dieser Sachverhalt hat offenkundige direkte und indirekte Auswirkungen auf die Volksgesundheit, Verbrechen und Drogenhandel.

    2.4. Kinderarmut

    2.4.1. Aus der "Information Newsline" der UNICEF vom 18. April 1997 (in Anlehnung an eine Studie der Weltbank) geht hervor, daß über 650 Millionen Kinder von weniger als einem Dollar pro Tag leben müssen. Eine Kommissionsstudie klärt darüber auf, daß 14 Millionen Kinder jährlich sterben, bevor sie das Alter von fünf Jahren erreicht haben ().

    2.4.2. Im Jahre 2000 wird im Gegensatz zu den Entwicklungen in Europa ungefähr die Hälfte der Weltbevölkerung unter 25 Jahre alt sein, und die Mehrheit dieser Gruppe wird unterhalb der Armutsgrenze leben. Die Anzahl der in Städten lebenden Kinder zwischen fünf und 19 Jahren wird 247 Millionen mehr als 1980 betragen.

    2.4.3. Laut Statistiken von 1993 über die damals zwölf Mitgliedstaaten (Eurostat 1997-6) leben 13 Million Kinder unter 16 Jahren, d.h. jedes fünfte Kind in der EU, in Armut. Besonderen Problemen sehen sich Kinder mit alleinerziehenden Elternteilen, ledigen und minderjährigen Müttern und von Angehörigen ethnischer Minderheiten ausgesetzt.

    2.5. Andere Formen des Mißbrauchs - soziale Entfremdung, Angst, Verbrechen und Gewalt

    2.5.1. Angst und Gefahr in Innenstädten

    80 % der Bevölkerung Europas lebt in städtischen Gebieten (263,3 Millionen). In vielen Teilen Europas sind die Städte nicht mehr dazu geeignet, daß man dort Kinder großzieht. Viele der Kinder Europas leben heute in Angst vor öffentlichen Plätzen, eingeschüchtert und bedroht von der Gesellschaft, der Großstadt und dem weiteren sozialen Umfeld. Ihre Angst und die Gefahren, die sie an öffentlichen Orten bedrohen, führen zu einer verstärkten Abhängigkeit von Fernsehen und elektronischen Spielen. Eine zunehmende Zahl von europäischen Kindern wächst heute in Europa ohne angemessene Möglichkeiten für eine gesunde Sozialisierung auf. Dieses Problem wird durch den Mangel an geeigneten Spielmöglichkeiten, besonders in benachteiligten Gebieten, und durch die zunehmende Zahl von Familien mit nur einem Elternteil und einsamen, desillusionierten und armen Kindern, die in den europäischen Großstädten leben, verschlimmert.

    2.5.2. Soziale Entfremdung (Banden und Extremistengruppen)

    Die Stadtviertelbande ist heutzutage, besonders in benachteiligten städtischen Gebieten, ein gewöhnliches und über ganz Europa verbreitetes Problem. Mit kriminellem und antisozialem Gruppenverhalten verknüpfte Straftatformen - Rowdytum, Vandalismus, Diebstahl, Zusammenschlagen und Berauben alter Menschen - sind im Zunehmen begriffen. Das Bedürfnis nach mit Bedeutung erfuellten menschlichen Beziehungen, Kontakt und Kommunikation, das die Kinder von heute in Europa empfinden, ihre Isolation und ihr Verlangen nach Zugehörigkeit findet ein Ventil in Wohnviertelbanden oder Extremistengruppen. Das Problem wird immer akuter in benachteiligten, von Minderheiten bewohnten Gebieten, die zu Brutstätten von ethnischem und religiösem Haß und Rassismus werden. Das der menschlichen Art innewohnende Streben nach sozialem Kontakt findet seine Erfuellung in antisozialen Gruppenaktivitäten. Das führt zu förmlichen Verbindungen zwischen Stadtteilbanden und dem organisierten Verbrechen, zu Hehlerei, Schwarzhandel, Prostitution und Ausbeutung zu politischen Zwecken durch fanatische Fundamentalisten und Rassistengruppen.

    2.5.3. Familie und Schule

    Gleichzeitig werden "soziale Institutionen", die diesem Hang zur Entfremdung und zu antisozialen Aktivitäten entgegenwirken sollten, selbst und durch die gleichen gehäuften Fehlentwicklungen untergraben. Die "Familie" ist beispielsweise eine bedeutende Quelle von Kindesvernachlässigung, Gewalt und sexuellem Mißbrauch. In gleicher Weise verkommen Schulen zunehmend zu Bereichen sozialer Entfremdung, in denen Disziplinlosigkeit, Mangel an Respekt, Schwänzen und Bedrohung und Einschüchterung von Mitschülern in manchen Fällen die Norm sind.

    3. Ursächliche Faktoren

    Angesichts der verschiedenen Spielarten und des Umfangs von Kindesausbeutung und -mißbrauch, kann diese Erscheinung nicht nur einem Faktor oder einer zugrundeliegenden Ursache angelastet werden. Sie ist das Ergebnis der sich häufenden und vervielfachenden Wirkungen aller genannten zugrundeliegenden Ursachen zusammengenommen. Diese vielen Ursachen beeinflussen einander und betreffen so:

    - Eltern und Familie;

    - Kinder;

    - die Gesellschaft als Ganzes.

    Als beteiligte Faktoren werden angesehen ():

    - das Auseinanderbrechen der Institution Familie;

    - die Krise der Schulen;

    - die Städtekrise und Auflösung der städtischen Strukturen;

    - die kulturelle Krise (zeigt sich in dem herrschenden Klima individualistischer Konsumgier);

    - der Effizienzmangel und die Glaubwürdigkeitskrise der für Recht und Ordnung zuständigen Institutionen (Gerichte, Polizei, ...);

    - die Krise des Vertrauens in die traditionellen Institutionen des sozialen Zusammenhalts (Kirche, politische und gesellschaftliche Organisationen, Gewerkschaften, ...);

    - Arbeitslosigkeit, soziale Ausgrenzung und Armut;

    - der Mangel an politischem Willen oder dem Vermögen, die zugrundeliegenden Ursachen anzugehen.

    In der Anerkennung dieser Tatsachen liegt der Schlüssel zur Entwicklung wirksamer Strategien, mit denen das Problem anzupacken ist.

    3.1. Die Krise der Institution Familie und Möglichkeiten der Einwirkung auf diesen ursächlichen Faktor

    3.1.1. Die Krise der Familie, der ältesten Institution der menschlichen Gesellschaft, ist einer der Hauptgründe für die Probleme, denen sich die Kinder in Europa und der übrigen Welt gegenübersehen.

    3.1.2. Was der Familie als Institution widerfahren ist, ist das Ergebnis vieler - hauptsächlich sozioökonomischer - Faktoren, die die Organisation von Produktion und Arbeit, die Wohnungen der Arbeitnehmer und die Verknüpfungen zwischen den Wohn- und den Arbeitsstätten der Menschen betreffen.

    3.1.3. Die Vorherrschaft des "Fabrikmodells" in der Organisation von Produktion, Arbeit und Wohnung (und von Familienbeziehungen, d.h. der Familientypus, den dieses Modell erzwingt) endet allmählich. Neue Organisationsformen von Produktion, Arbeit und allgemeiner die "Wissens"- und "Informations" gesellschaft wirken ihrerseits auf die Familie als Institution ein.

    3.1.4. Die Aufteilung von Arbeits- und Wohnstätten der Menschen, die Trennung der Altersgruppen voneinander, das Ende der Rolle, die die Familie als sozial und kulturell einigende Kraft innehatte, all dies ist heute kein unausweichliches Naturgesetz mehr, da es neue Organisationsformen für Produktion und Arbeit gibt. Die neue Stellung der KMU und die Telearbeit bieten bisher ungekannte Möglichkeiten für die Familie.

    3.1.5. Politische Schritte zur Harmonisierung von Arbeit und Familienleben dürfen nicht als Stückwerk unternommen werden, sondern müssen strategischer und umfassender Natur sein, d.h. es geht um die bedeutenden EU-Beschlüsse und -Strategien für zukunftsfähige Städte, die "Städtische Agenda", nachhaltige soziale Entwicklung usw.

    3.1.6. Die gegenwärtigen herkömmlichen politischen Maßnahmen zur Unterstützung von Familien und Kindern, d.h. die Schaffung von Tagesstätten, Elternurlaub und Kindergeld müssen einhergehen und koordiniert werden mit neuen Politiken der Stadtplanung, Stadterneuerung, der Schaffung von sicheren Spielbereichen für Kinder und von allgemeinen Voraussetzungen zur Wiederbelebung der "Nachbarschaft" als Lebenraum wie auch soziales System, das der häufig herrschenden Atmosphäre von Furcht und Unsicherheit entgegenwirkt. Das bedeutet unter anderem eine radikale Reform der Schule als Institution, die künftigen - demographischen, erzieherischen usw. - Notwendigkeiten angepaßt ist, und die Gründung von Institutionen für Fernstudien sowie eine Strategie der Reintegration älterer Menschen in die Gesellschaft.

    3.1.7. Eine solche Strategie hieße nicht einfach, daß ältere Menschen mit aktiven Familienmitgliedern zusammenlebten, noch wäre das ein notwendiges Ziel. Sie könnte vielmehr eine Nachbarschaft ohne unmittelbares Zusammenwohnen begründen, so daß eine Ausgrenzung aufgrund des Alters vermieden würde.

    3.1.8. Die Perspektive eines Lebens auf der Straße für immer mehr Kinder könnte durch Unterstützung für alle Familien bei der Überwindung der Abhängigkeit gebannt werden, indem das Kinderkrippen-, Vorschul- und Schulsystem so reformiert würde, daß die Eltern Arbeit und Kindererziehung verbinden könnten.

    3.1.9. Eine Politik zur Bekämpfung der Auswirkungen der Krise in der Familie sowie der Abwesenheit der Eltern von zu Hause muß auch Maßnahmen zur Verbesserung von Kinderfernsehprogrammen umfassen und Anreize auf europäischer, einzelstaatlicher und lokaler Ebene schaffen.

    3.1.10. Die politischen Maßnahmen zur Bereitstellung von Betriebsgrundflächen und Unterstützung der KMU müssen mit denen zur Förderung lebensfähiger Nachbarschaftssysteme vereinbar sein.

    3.1.11. Es ist besonders bezeichnend, daß trotz - und sehr wahrscheinlich gerade wegen - der Krise, die die Familie in Europa durchmacht, diese selbe Familie als Wert für die jungen Menschen die größte Bedeutung hat. Junge Menschen in Europa sehen Familie und Freundschaft als ihre wichtigsten beiden Ideale - danach kommt Arbeit.

    3.1.12. Beziehungen, in denen wirklich kommuniziert wird, echte menschliche Beziehungen im Rahmen der traditionellen Institutionen Familie und Freundschaft werden durch ein städtisches Umfeld der Stabilität und Kontinuität gefördert. Die Krise der Städte verbunden mit der Krise der Familien, dem Umzug in die Vorstadt, der Auflösung der Großstädte und dem Zerbrechen der Nachbarschaft hat sich häufende und vielfältige Auswirkungen auf die Probleme der Kinder in Europa. Isolierung, Verzweiflung, übermäßige Abhängigkeit vom Fernsehen und die Suche nach Befriedigung in zwischenmenschlichen Beziehungen, die zur Bildung von Extremistengruppen, Stadtviertelbanden und Kreisen von Drogenkonsumenten führen, sind als Probleme anzupacken - sie sind nicht unüberwindlich. Es bedarf jetzt eindeutig einer neuen umfassenden, in sich stimmigen Politik, mit der die Probleme der Familie in den Zusammenhang einer zukunftsfähigen Stadtentwicklung gestellt werden.

    3.2. Die Krise der Schulen

    3.2.1. Zusammen mit der Krise der Familie ist die Krise der Schulen ein wesentlicher Faktor, der zu Jugendkriminalität und zu Mißbrauch und Ausbeutung von Kindern in Europa beiträgt.

    3.2.2. Die Schulen in Europa stehen vor ernsten Problemen, die u.a. als Gründe dafür gelten, daß eine große Zahl Kinder in Europa die Schule verlassen, Gründe also für ihre Entfremdung, Abdrängung in Randgruppen, Ausbeutung und Mißbrauch.

    3.2.3. Die Probleme der Schulen in Europa unterscheiden sich offensichtlich je nach dem sozialen Umfeld der Schule, aber es läßt sich sagen, daß sie manche Probleme in gewissem Maße gemeinsam haben.

    3.2.4. Mangelndes Interesse am Lernprozeß, Kinder, die ihre familiären Probleme in die Schule mitbringen, die Fernsehkultur, Gewalt in Schulen, das Lehrer-Schüler-Verhältnis und das Fehlen von Selbstdisziplin und gegenseitigem Respekt sind einige der typischen Grundprobleme der Schulen in Europa.

    3.2.5. Allgemein ist die Schule als Ort und System, sind ihre Rolle in der Nachbarschaft, ihr Zweck und ihre Mittel sowie ihre Beziehungen zur Gesellschaft Teile des Handlungplans für Bildung sowie Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz der Schulen in Europa wie auch für Aus- und Fortbildung.

    3.2.6. Wenn die Fabrik einst die Triebkraft bedeutete, die Europa gestaltet hat, dann müssen die Prozesse der Bildung, Ausbildung, des lebenslangen Lernens und der Schule des 21. Jahrhunderts, die alle multimediagestützt funktionieren, den organisatorischen Impuls und die bestimmende Kraft für Europas Städte der Zukunft ergeben.

    3.2.7. Es ist klar, daß auf die Bedürfnisse der Massenproduktion zugeschnittene Schulen nicht für die Lern- und Informationsgesellschaft geeignet sind. Ebenso eindeutig kann und muß die Schule des 21. Jahrhunderts als Medium für lebenslanges Lernen und fortgesetzte Ausbildung eine Schule des sozialen Zusammenhalts sein, in der die Beziehungen zwischen den Generationen erneuert und die Fähigkeiten älterer Menschen genutzt werden, eine Schule der Freundschaft, nicht des Eingesperrt- und Überwachtseins für die Kinder Europas, ein Ort, an dem Bildung, Lernen, Ausbildung, Erholung und Wiederbelebung des intellektuellen und kulturellen Zusammenhalts geboten werden. Die Schule sollte ein Ort sein, an dem der verlorengegangene "partizipative Geist" und die "Bürgertugend" der europäischen Stadt wiederbelebt und instandgesetzt werden - das ist eine Aufgabe für Europa.

    3.3. Die Krise der Städte

    3.3.1. In ihrem Bericht "Wege zur Stadtentwicklung in der Europäischen Union" () vertritt die Kommission die Auffassung, daß das wichtigste Problem in der allgemeinen Diskussion um europäische städtische Gebiete in folgendem liege:

    "In vielen Teilen Europas sind die Städte nicht mehr dazu geeignet, daß man dort Kinder großzieht, seine Freizeit verbringt oder wohnt. Die Aushöhlung der Rolle der Stadt ist vielleicht die größte Bedrohung für das europäische Modell der Entwicklung und der Gesellschaft und muß so umfassend wie möglich erörtert werden."

    3.3.2. Zu den wichtigsten Erscheinungsformen der Krise gehören: übermäßige Bevölkerungskonzentration, Auseinanderdriften von Stadtgebieten nach wirtschaftlichen, politischen, religiösen und ethnischen Merkmalen, Ausgrenzung gewisser Altersgruppen (älterer und junger Menschen), Ghettoisierung, Krise des sozialen Zusammenhalts und der kulturellen Identität wie auch der demokratischen Institutionen und Prozesse (Lokalbehörden, Gewerkschaften, politische Parteien).

    3.3.3. Umweltkrise: Nach einem Bericht der Europäischen Umweltagentur erfuellten 1995 zwischen 70 und 80 % der europäischen Städte mit über 500 000 Einwohnern nicht die Normen der Weltgesundheitsorganisation.

    3.3.4. Verkehrsinfarkt: das klassische Symptom des Verkehrsproblems in europäischen Großstädten ist, wie in London und Paris festgestellt, die Herabsetzung der Durchschnittsgeschwindigkeit von PKW und LKW auf die Verkehrsgeschwindigkeit zu Beginn des Jahrhunderts. Mobilität und Zugänglichkeit haben in europäischen Städten abgenommen, und das zeitigt negative Folgen für die Wege zwischen Wohn- und Arbeitsstätten, Wohnung und Schule oder Freizeiteinrichtungen, sofern solche Angebote überhaupt bestehen.

    3.3.5. Politische Probleme: neofaschistische, rassistische und fremdenfeindliche kriminelle Bewegungen gewinnen an Zulauf, und parallel dazu wachsen fanatische und extremistische Organisationen in Ausländervierteln, die insbesondere Kinder, und natürlich auch kleine Kinder, mit einbeziehen.

    3.3.6. Deindustrialisierung, Arbeitslosigkeit und Armut: Familien mit alleinerziehenden Elternteilen, unverheiratete und alleinstehende oder minderjährige Mütter und natürlich die dazugehörigen Kinder werden von Armut besonders hart betroffen. Kinder, die "verlassen" sind, weil beide Elternteile arbeiten müssen oder wollen und ihrem Beruf den Vorzug geben, werden ihrerseits geschädigt.

    3.3.7. Das Fehlen von Spielflächen für Kinder: Es herrscht ein Mangel an sicheren Freizeitbereichen für Kinder. Dieses Problem ist besonders gravierend für Kinder mit alleinerziehenden Elternteilen (deren Zahl in Europa rapide zunimmt) bzw. Kinder, deren Eltern beide berufstätig sind.

    3.3.8. Unter diesen Bedingungen ist klar, daß die spezifischen Voraussetzungen, auf denen Stadtkultur aufbaut, aufgrund derer Städte gegründet wurden und das Bürgertum sich als grundlegender und einigender Träger der westlichen Zivilisation entfaltete, in Europas Großstädten Gefahr laufen, verlorenzugehen.

    3.3.9. Die typischen Züge der mittelalterlichen Stadt, die von den Gilden getragen wurde, die Stadt der Renaissance und der Aufklärung, die Stadt, die die industrielle Revolution möglich machte, sie alle sind in den europäischen Städten nicht mehr wiederzuerkennen.

    3.3.10. Die Stadt ist von einem Inbegriff sozialer Entwicklung, von Solidarität, demokratischer Beteiligung und sozialem Miteinander an öffentlichen Plätzen zu einem Ort des Rückzugs in die Privatsphäre verkommen. Öffentliche Räume werden alltäglich zu Gefahrenzonen.

    3.3.11. In einer solchen Umgebung kann eine gesunde Sozialisierung von Kindern offenkundig nicht stattfinden. Und da 80 % der Bevölkerung Europas in städtischen Gebieten leben, kann die Krise der Städte als eine Krise Europas betrachtet werden.

    3.3.12. Die Tiefe bzw. das Ausmaß der Krise und ihre Implikationen haben die Kommission dazu veranlaßt, die Notwendigkeit einer auf Städte ausgerichteten Perspektive von Gemeinschaftspolitik anzuerkennen:

    "Die städtische Gesellschaft wird einen teuren Preis in Form von Kriminalität und antisozialem Verhalten zu zahlen haben, wenn Entwicklung einhergeht mit größerer Ungleichheit beim Zugang zu den Früchten des wirtschaftlichen Fortschritts. Auf Kosten Europas als Ganzes werden die Bürger sich abwenden und dem europäischen Gesellschaftsmodell ihre Unterstützung entziehen. Schließlich wird die europäische Wirtschaft leiden, denn Anpassung an schnellen Wandel um der Bewahrung der Wettbewerbsfähigkeit europäischer Städte willen hat nur vor dem Hintergrund breitester Zustimmung eine Chance."

    3.3.13. In ihrem Arbeitsdokument "5. Rahmenprogramm: wissenschaftliche und technologische Ziele" () und ihrem Vorschlag für einen Beschluß des Europäischen Parlaments und des Rates über das 5. Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft im Bereich der Forschung, technologischen Entwicklung und Demonstration (1998-2002) () bemerkt die Kommission:

    "Ziel dieser Leitaktion ist es, die harmonische Entwicklung des städtischen Lebens mit Hilfe umfassender, innovativer und wirtschaftlicherer Konzepte zu fördern. Diese sollen auf fortgeschrittenen Organisationsmodellen basieren, die insbesondere die Verbesserung der Lebensqualität, die Wiederherstellung des sozialen Gleichgewichts sowie den Schutz und die Aufwertung des kulturellen Erbes miteinander vereinbaren."

    3.3.14. Der Kommission zufolge sind die Kosten des Verfalls beim (architektonischen) Kulturerbe auf über 14 Milliarden ECU zu schätzen.

    3.3.15. Der Ausschuß hält im übrigen die Bemerkung für angebracht, daß die Agenda 2000 nicht soviel Beachtung der städtischen Gebiete widerspiegelt, wie angesichts der Größe der Stadtbevölkerung, ihrer Probleme und des Ausmaßes der städtischen Krise zu erwarten wäre.

    3.4. Die kulturelle Krise

    3.4.1. Die Tatsache, daß Ausbeutung von Kindern, Kinderhandel, -mißbrauch und -prostitution Gesetzen zum Trotz weitergeschehen, die, würden sie eingehalten, solche Handlungen abwenden oder verhindern würden, zeigt, daß das Problem nicht in einem gesetzgeberischen Versäumnis, sondern in der Mißachtung von Recht und Bürgertugenden im Alltagsleben besteht.

    3.4.2. Toleranz und Akzeptanz, stillschweigendes Einverständnis mit und aktive Beteiligung an Kinderhandel, der Verkauf von Erzeugnissen illegaler Kinderarbeit sowie Kinderprostitution und -pornographie geben uns das Recht und die Pflicht, die kulturelle Dimension dieses Problems beim Namen zu nennen.

    3.4.3. Die heute in Europa im massiven Umfang zu verzeichnenden Fälle von Kindesausbeutung sind nicht allein das Ergebnis von Armut und Arbeitslosigkeit, sondern auch Zeichen von Elend, Korruption, Verfall und Krise großer Gruppen der Bevölkerung.

    3.4.4. Aus kultureller Sicht sollte die Europäische Union dieses Problem auf drei Ebenen angehen:

    3.4.4.1. Im Hinblick auf die Erwachsenen müssen wir die herrschenden Wertbegriffe und moralischen Normen, den Sinn für menschliche und soziale Verantwortung von Gruppen in den miteinander verwobenen offiziellen und parallelen Wirtschaften und auch der zuständigen Behörden in der Gesellschaft prüfen, die Gleichgültigkeit, Tolerierung des Problems oder "Unfähigkeit" zum Handeln mit sich bringen.

    3.4.4.2. Wir müssen die Wirkungen betrachten, die solche Haltungen und das entsprechende Verhalten und die Unfähigkeit oder Gleichgültigkeit, diesen Umständen zu begegnen, auf die Gesellschaft im allgemeinen zeitigen.

    3.4.4.3. Wir müssen herrschende Werte und moralische Normen, den Sinn für soziale Verantwortung, den Kinder in ihrer Umgebung erwerben und gemeinsam haben, und die Problemstellung, daß Kinder ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie ihre Körper verkaufen, sowie andere in den Drogenhandel verstrickt sind, untersuchen.

    3.4.5. Die herrschende Moral der Gesellschaft, die Wertordnung, ästhetische Vorlieben und die "Erotikkultur" in Europa werden nicht durch Regierungsverlautbarungen geändert und sind auch nicht von heute auf morgen umzuformen, da sie komplexe Prozesse widerspiegeln, die sich über Jahre entwickelt haben.

    3.4.6. Es ist absolut notwendig, aber auch schwierig, politische Strategien für kulturelle Entwicklung in diesem Bereich auf regionaler, einzelstaatlicher und EU-Ebene zu entwerfen.

    3.4.7. Gleichzeitig erfordert ein Europa, das frei von Ausbeutung, Mißhandlung, Handel mit und Prostitution von Kindern, frei von Angebot und Nachfrage für Kindersextourimus sein soll, ein Wertesystem, daß von Achtung für die Unverletzlichkeit der menschlichen Natur und des menschlichen Lebens und für die Heiligkeit und Unverletzlichkeit der Menschenrechte geprägt ist.

    3.4.8. Wir wollen ein Europa, dessen Bürger das Gesetz achten und befolgen, in dem die Bürger Polizei und Gerichten trauen, ein kulturelles Fundament, das Gesetzestreue sowie Achtung des Rechts, des politischen Systems und des Mitmenschen trägt.

    3.4.9. Auch das Problem der Gleichgültigkeit und Tolerierung von Verbrechen läßt sich nur innerhalb eines Wertesystems und auf einer kulturellen Grundlage angehen, durch die soziale Verantwortung, Beteiligung, politische Verantwortlichkeit im eigentlichen Sinne des Wortes und eine politische Kultur der Demokratie, Freiheit und Gesetzlichkeit gefördert werden.

    3.4.10. Wenn nachhaltige Entwicklung akzeptiert und als Modell und Strategie zur Förderung auf Dauer lebensfähiger Städte Erfolg haben soll, so müssen die Menschen eine andere, weniger willkürliche Beziehung zur Natur, eine andere Philosophie des Umgangs mit natürlichen und menschlichen Ressourcen aufbauen.

    3.4.11. Die Erscheinungsbilder von Krise und Verfall werden in Kunstwerken und -erzeugnissen unzureichend dargestellt.

    3.4.12. Kultureller Verfall und Brutalität werden jedoch nur allzu häufig im täglichen Leben dargestellt: zu Hause, im Bereich der Massenunterhaltung (z. B. Fußball), bei der Arbeit, in der Schule, in den Medien und anderen Kommunikationswegen, die Daseins-, Konsum- und Verhaltensmodelle diktieren und dafür werben.

    3.4.13. Es sollten politische Maßnahmen gefördert werden, die aktiv die Pflege lokaler Kulturelemente fördern und damit eine Sicherung gegen abstrakte Ideologien und einen chauvinistischen Identitätsbegriff bilden. Europas Anspruch auf die Bewahrung und Entfaltung der Nationalkulturen, auf ein multikulturelles Entwicklungsmodell darf nicht vor der Unfähigkeit, Krisenerscheinungen praktisch anzugehen, kapitulieren. Der Ausschuß hält die Bedeutungslosigkeit von Kulturpolitik auf europäischer Ebene und u.a. ihr Fehlen in der Agenda 2000 für unannehmbar.

    3.4.14. Der Ausschuß hält es für notwendig, die Beteiligung der europäischen Jugend an der "Herstellung" von Kulturgütern zu fördern, zu bestärken sowie dafür zu werben, und die jungen Menschen wie auch andere zur Beteiligung an kulturellen Aktivitäten auf lokaler Ebene zu ermutigen.

    3.4.15. Diese Prozesse führen die Menschen nicht nur in Kunst und Kultur ein, sie beschleunigen auch das Wiederaufleben des Gemeinschaftsgeistes und der Beteiligung am demokratischen System auf seiner Ausgangsebene. Sie beleben von neuem den Stoff, aus dem die Gesellschaft besteht, indem sozialer Zusammenhalt und Solidarität direkt als willkommener Ausdruck guter Nachbarschaft und nicht als "politische Verpflichtung" erfahren werden.

    3.5. Worin besteht die Anziehungskraft von Stadtviertelbanden auf europäische Kinder?

    3.5.1. Europa und die Welt, die europäischen Städte und das Land sehen sich so vielen Problemen gegenüber, daß darin eine Chance für die Kinder Europas liegen könnte, bei Problemlösungen mitzuhelfen und Bedürfnissen zu entsprechen, die gegenwärtig in antisozialer Weise von Stadtteilbanden befriedigt werden.

    3.5.2. Durch Beobachtung der Funktionsweise von Stadtteilbanden und Feststellung der Ansprüche, die sie für Kinder in den europäischen städtischen Siedlungen erfuellen, können wir erkennen, mit welchen politischen Maßnahmen die verbreitete Entfremdung von Kindern in Europa einzudämmen ist, und auch mit Kindern, die in Richtung Straße abdriften oder bereits dort gestrandet sind, in Kommunikation treten.

    3.5.3. Stadtviertelbanden ersetzen in vielen Fällen die "fehlende Familie". Sie kommen dem Verlangen nach Zugehörigkeit zu einem größeren Verband und einer klar abgegrenzten Gruppe gleichzeitig entgegen. Sie bieten Gelegenheit zu Aktionen, für Abenteuer, ein Gefühl von Gefahr, Wertschätzung und die Chance, in der Gruppe unmittelbare Anerkennung zu erringen. Dazu kommen wirkliche, direkte und emotionell besetzte Kommunikation, das gemeinsame Gefahrenerlebnis, Erregung und Lust. Stadtteilbanden bieten ihren Mitgliedern Gelegenheit zu eigenen Erfahrungen und schonungsloser Teilhabe an Gruppenerfahrungen. Es gilt daher, auf lokaler, einzelstaatlicher und EU-Ebene Maßnahmen zu ergreifen, damit nicht nur Stadtteilbanden jungen Menschen in Europa solche Möglichkeiten bieten.

    3.5.4. Zu diesem Zweck können traditionelle nichtstaatliche Jugendorganisationen, politische Jugendgruppen und kirchliche Organisationen für junge Menschen dazu veranlaßt werden, neue Tätigkeitsfelder zu eröffnen und ihren Aufbau wie auch ihre Tätigkeit anzupassen. Die Massenmedien können auf lokaler und einzelstaatlicher Ebene aufgerufen werden, Initiativen zu ergreifen, die jungen Menschen Auswege aufzeigen. Das dürfte aber weder aufgrund sinnloser Pfadfindertugenden der Vergangenheit noch in Form von antiheroischer Resignation und Randgruppen oder "heroischen Ausgestoßenseins in die Kriminalität" geschehen.

    3.5.5. Unsere Jugendlichen können ein Ventil für ihren Tatendrang durch eine neue Kultur des politischen Aktivismus, der Verantwortlichkeit und "herausfordernder Beteiligung" in einem Klima demokratischer Zugehörigkeit bekommen. So ein Ausweg kann mit der Entfaltung bestimmter Facetten lokaler und einzelstaatlicher Kultur und Traditionen sowohl organisatorisch als auch methodisch und handlungszielgebunden als auch durch solche EU-Programme wie den Europäischen Freiwilligendienst für Jugendliche eröffnet werden.

    3.6. Armut und Arbeitslosigkeit

    3.6.1. Tatsache ist, daß Armut allein nicht die Ursache moralischen Zerfalls ist (noch jemals war). Es handelt sich vielmehr um die Verknüpfung von Armut mit mangelnder Hoffnung auf eine bessere Zukunft und der Unfähigkeit, an Prozessen teilzuhaben, die die Lebensumstände des einzelnen wie der Gesellschaft ändern könnten. Es geht um Armut in Verbindung mit Ausgrenzung und Marginalisierung.

    3.6.2. In gleicher Weise wird die herkömmliche Ansicht, Arbeitslosigkeit treffe nur Menschen, die von Natur aus dazu veranlagt seien, keiner Beschäftigung nachzugehen, bzw. soziale Gruppen, deren "Kultur" sie zum Nichtstun neigen läßt, und die sich ihre Tatenlosigkeit als Arbeitslosigkeit bezahlen ließen, nicht mehr ernst genommen. Allerdings kann das Fehlen eines beschäftigten "Rollenvorbilds" bei Familien und Kindern von Langzeitarbeitslosen (zu Unrecht) als peinlich und gar schändlich empfunden werden.

    3.6.3. Der Gipfel von Amsterdam hat endlich die Grundlage für konkrete Maßnahmen zur Ausarbeitung einer gemeinsamen europäischen Beschäftigungsstrategie geschaffen. Der Vertrag macht Beschäftigung ausdrücklich zu einem gemeinsamen Anliegen. Das neue Beschäftigungskapitel verstärkt die Koordination der Beschäftigungspolitik im Rahmen gemeinsamer Leitlinien. In dem Kapitel wird eindeutig festgestellt, daß die Gemeinschaft zu einem hohen Beschäftigungsniveau beizutragen hat, indem sie die Zusammenarbeit unter den Mitgliedstaaten fördert und deren Tätigkeit unterstützt bzw. wo nötig ergänzt. Die Mitgliedstaaten verpflichteten sich auch, die Zielsetzung eines "hohen Beschäftigungsniveaus" in der Formulierung und Umsetzung aller Gemeinschaftspolitiken zu berücksichtigen.

    3.6.4. Auf der außerordentlichen Tagung des Europäischen Rates zum Thema Beschäftigung im November letzten Jahres in Luxemburg wurde zu Recht beschlossen, die neuen Vertragsbestimmungen über Beschäftigung sofort in Kraft zu setzen und die Bestimmungen zur Koordination der Beschäftigungspolitik seitens der Mitgliedstaaten vorzeitig von 1998 an umzusetzen, um so für Beschäftigung wie Wirtschaftspolitik die gleiche Entschlossenheit zur Bündelung der Kräfte in Richtung auf gemeinsam gesetzte, nachvollziehbare und regelmäßig zu aktualisierende Ziele herzustellen.

    3.6.5. Hinter all dem steckt - wie der Wirtschafts- und Sozialausschuß häufig klargemacht hat - nicht die Illusion, daß Arbeitsplätze einfach "per Erlaß" geschaffen werden könnten. Das Sprungbrett für Arbeitsplätze ist die fortgesetzte Entwicklung einer gesunden koordinierten makroökonomischen Politik, die - untermauert durch einen effizienten Binnenmarkt - die Grundlagen für nachhaltiges Wachstum, neue Dynamik und ein Klima des Vertrauens schafft, in dem die Beschäftigung gedeihen kann. Ziel ist es, wie aus den Schlußfolgerungen vom Luxemburger "Beschäftigungsgipfel" hervorgeht, das Potential für Dynamik und Unternehmensgeist, das der europäischen Wirtschaft innewohnt, freizusetzen.

    3.6.6. Obzwar eine günstige Wirtschaftsentwicklung auf der Grundlage gesunder Finanzpolitik, die auf Marktbedürfnisse und Strukturreform ausgerichtet und in der Lage ist, ruinöser Währungsspekulation zu widerstehen, zu stabilem Wachstum und dementsprechender Beschäftigung führen müßte, wird sie nicht von sich aus aktiv Arbeitsplätze und die dazu nötigen Qualifikationen fördern und unterstützen. Genauso wenig wie Arbeitsplätze von oben "dekretiert" werden können, werden sie einfach "wie durch ein Wunder entstehen", wenn wir nur unser ganzes Vertrauen in den "Markt" setzen. Weder "Dirigismus" noch "laisser faire" versprechen die "wundersame Heilung". Es bedarf einer komplexen Zusammensetzung von Politikelementen, um nachhaltiges Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen; dazu gehören Partnerschaften zwischem öffentlichem und privatem Sektor, Flexibilität und Sicherheit, Mobilisierung der Handlungsträger auf allen Ebenen von Gesellschaft und Wirtschaft und ein Gefühl der Solidarität, das sich am besten in den Begriff: das Europäische Sozialmodell fassen läßt. Es wird allgemein anerkannt, daß die Kohärenz und die praktischen Vorhaben, die gebraucht werden, um so ein Szenario nachhaltigen Wachstums gekoppelt mit Beschäftigung in die Tat umzusetzen, durch die Kernaussagen, die Europas Demokratien prägen und einigen, untermauert und verknüpft werden müßten. Das ist die Herausforderung, vor der wir stehen: wie können alle verfügbaren Mittel eingesetzt werden, um die Arbeitslosigkeit zu bekämpfen und greifbare praktische Fortschritte im Sinne wirklicher Arbeitsplätze und Beschäftigungsfähigkeit zu erzielen.

    4. Bewertung gegenwärtiger politischer Maßnahmen

    4.1. Der Ausschuß vermerkt, daß bislang alle politischen Anstrengungen, diesem ungeheuren Problem beizukommen, unzureichend und wirkungslos waren, so daß sich im Ergebnis das Problem verschärft und weltweit verheerende Ausmaße erreicht hat.

    4.2. Eine Serie von Erklärungen, Konferenzen, Kampagnen und Initiativen auf europäischer und internationaler Ebene haben die Schwere und die tragischen Ausmaße des Problems aufgezeigt, wurden jedoch nicht von konkreten Maßnahmen oder effizienter Vorbeugung und Bekämpfung begleitet, was auf die öffentliche Meinung negativ gewirkt hat.

    4.3. Es besteht die Gefahr, daß die öffentliche Meinung entweder dem Problem gegenüber abstumpft und sich damit abfindet oder den Schluß zieht, daß die Gesellschaft nicht fähig ist, dieses Problems Herr zu werden.

    4.3.1. Den Durchschnittseuropäer interessiert im Zusammenhang mit Kinderhandel, Kinderpornographie im großen Stil und Drogenhandel, ob unsere Gesellschaft wirklich fähig ist, für die notwendigen Sicherungen und Schutzmechanismen zu sorgen, oder ob die führenden Kräfte so wirkungslos geworden sind, daß jeder echte Versuch der Vorbeugung oder Bekämpfung aussichtslos bleibt.

    4.4. Es werden Zweifel an der Glaubwürdigkeit von Behörden und Institutionen laut; der Rückzug aus der aktiven Beteiligung am öffentlichen Geschehen in die Privatsphäre wird in ganz Europa immer mehr die Regel.

    4.5. Politische Strategien und Maßnahmen haben sich bis heute hauptsächlich auf die Bekämpfung der Symptome des Problems konzentriert - die negativen Wirkungen wurden eingedämmt (Schadensbegrenzung). Bemühungen um Änderung der politischen Ansätze zur Linderung der Leiden der Opfer und Bestrafung der Täter blieben ebenfalls unzureichend.

    4.6. Der wichtigste methodische Ansatz beruhte im großen und ganzen auf der Logik der Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung und den entsprechenden Reaktionen durch Angebote von Gesundheits-, Wohlfahrts- und Wohltätigkeitsdiensten. Der Rahmen der Tätigkeit wird von "Opfern" und "Übeltätern" gebildet. Wenn jemand das Gesetz bricht, werden Anstrengungen unternommen, den Schuldigen zu finden und womöglich das Opfer zu entschädigen. In einer gesunden Gesellschaft gibt es immer auch ungesunde Menschen und Gruppen. Wenn auch die Gesundheit des einzelnen in seiner persönlichen Verantwortung liegt, bemüht sich die Gesellschaft doch, ihm Unterstützung zu bieten. Politisch wurden Problemlage und Argumente traditionell im Spannungsfeld:

    - mehr oder weniger Eingriffe;

    - mehr oder weniger Toleranz;

    - mehr oder weniger Opferschutz dargestellt.

    4.7. Es besteht kein Zweifel darüber, daß diese drei Ansätze, oder ihre bestmögliche Kombination im jeweiligen Fall, nicht an eine Vorbeugungspolitik heranreichen. Sie sind nicht Teil einer Strategie zur Bekämpfung der zugrundeliegenden Ursachen und verursachenden Faktoren des Problems, sondern konzentrieren sich unverwandt auf die Eindämmung seiner negativen Wirkungen (Schadensbegrenzung).

    4.8. Wenngleich sich die internationale Gemeinschaft einig über die dem Problem zugrundeliegenden Ursachen ist, zeigt sich an den politischen Maßnahmen und ihren Ergebnissen, daß diese Ursachen nicht angegangen werden.

    4.9. Die direkten, indirekten und Gesamtkosten des Umgangs mit diesem Problem (für Wirtschaft und Gesellschaft) steigen ständig.

    4.10. Gesellschaft und Regierung neigen dazu, der Verantwortung auszuweichen, indem sie nichtstaatliche Organisationen damit beauftragen, Lösungen für dieses in erster Linie soziale Problem zu finden.

    4.11. Fortgesetzte soziale Marginalisierung und Tatenlosigkeit sowie die Schaffung neuer, staatlich finanzierter - und in den meisten Fällen unkoordinierter - Stellen mit internationalen Verbindungen erscheint nicht als der beste Lösungsansatz für dieses und ähnliche Probleme.

    4.12. Die Tatsache, daß ganze Wirtschaftsbereiche von Verbrechen und der Furcht vor Verbrechen leben - z. B. private Wachdienste, elektronische Abhör- und Überwachungseinrichtungen für private und öffentliche Räume, Geschäfte usw. - ist ein erheblicher unproduktiver Kostenfaktor und sowohl Ursache als auch Folge einer gespaltenen Gesellschaft.

    5. Ein neuer Rechtsstatus für Kinder

    5.1. Grundsätze

    5.1.1. Die Art, Erscheinungsformen und das Ausmaß des Problems sowie seiner Folgen beeinflussen natürlich die Entscheidung darüber, mit welchen politischen Mitteln es anzupacken ist.

    5.1.2. Diese Entscheidungen und die entsprechende Strategie müssen mit den allgemeineren politischen Zielen der EU in Einklang gebracht werden.

    5.1.3. Die EU-Politik zu den Themenkreisen nachhaltige Entwicklung, Städtestrategie, Lebenslanges Lernen und Leistung der Schulen in Europa spielen alle in die Problematik hinein, müssen einander entsprechen und zueinander passen, um die nachhaltige Entwicklung des menschlichen und gesellschaftlichen Kapitals voranzubringen.

    5.1.3.1. Ohne dies wird die europäische Gesellschaft außerstande sein, ihren gegenwärtigen Anteil an Wohlstand, Wissen und Einfluß in der Welt und gegenüber den fortgeschrittenen und aufstrebenden Mächten Asiens zu bewahren.

    5.1.4. Es ist von großer direkter und indirekter Bedeutung für Europa, dieses Problem innerhalb der eigenen Grenzen entscheidend und wirksam anzugehen und auf internationaler Ebene als die treibende moralische, politische und organisatorische Kraft das Problem anzupacken.

    5.1.5. Das demographische Problem Europas, das zunehmende Durchschnittsalter der Bevölkerung einerseits und andererseits die drohende Gefahr der Marginalisierung von 30 % der jungen Menschen (die nämlich in Straftaten und Drogenmißbrauch verstrickt sind), stellt für den sozialen Zusammenhalt und die wirtschaftliche und gesellschaftliche Wettbewerbsfähigkeit Europas eine sehr ernste und andauernde Bedrohung dar.

    5.1.6. Die finanzielle Belastung der europäischen Gesellschaft und der Druck, dem die in jedem Staat verfügbaren Ressourcen zur Eindämmung antisozialer und krimineller Handlungen unter verlassenen Kindern ausgesetzt sind, wie auch die gesellschaftliche Belastung durch im organisierten Verbrechen benutzte Kinder verursachen enormen wirtschaftlichen Schaden.

    5.1.6.1. Andererseits stellen Investitionen in Vorbeugung und die Entwicklung von Humanressourcen, menschlichem und gesellschaftlichem Kapital und sozialem Zusammenhalt eindeutig eine wirksamere und mittelfristig auch die wirtschaftlichere Lösung dar.

    5.1.7. Um dieses Problem auf regionaler, einzelstaatlicher und internationaler Ebene aufzugreifen, müssen die nötigen gesetzlichen und institutionellen Rahmenbedingungen geschaffen werden, mit denen eine einschlägige Politik formuliert und betrieben und auf der Grundlage internationaler Regeln sowie mit international akzeptierten Sanktionen Maßnahmen ergriffen werden können:

    - Wer sollte z. B. entscheiden, was zur Bekämpfung der gegenwärtigen unerträglichen Formen von Kinderarbeit zu geschehen hat, und welche objektiven Kriterien wären anzulegen, um zu bestimmen, daß vorrangig in einem Land, statt in einem anderen eingegriffen wird?

    - Sollte bei Maßnahmen zur Bekämpfung des Kindersextourismus prioritär in "Nachfrage"- oder in "Angebots" ländern angesetzt werden; wer würde entscheiden, mit welcher Befugnis bzw. internationalen Billigung und Unterstützung?

    Das Problem muß im Rahmen eigener koordinierter Programme und organisierter Zusammenarbeit mit klaren Prioritäten hinsichtlich Ländern und Zielen angegangen werden.

    5.1.8. Damit die Maßnahmen Wirkung zeitigen, sind integrierte koordinierte Programme erforderlich.

    5.1.8.1. Die Ernennung unparteiischer Beobachter für die Kontrolle gesetzeswidriger Kinderarbeit wird z. B. wirkungslos bleiben, solange es weder faire und objektive Mechanismen für das Verhängen von Sanktionen auf einzelstaatlicher Ebene noch eine unabhängige Rechtsordnung und unparteische Polizeikräfte gibt.

    5.2. Ein neuer Rahmen auf internationaler Ebene

    5.2.1. Auf der Grundlage der neuen EU-Zielsetzungen, wie sie in der Agenda 2000 () formuliert sind, kann der Ausschuß spezifische Initiativen ergreifen, um die Bemühungen der Handlungsträger zu koordinieren und aktiv die (jeder Art von) Kinderausbeutung zugrundeliegenden Ursachen und ursächlichen Faktoren anzupacken, und zwar:

    - auf Ebene der Europäischen Union;

    - auf paneuropäischer Ebene;

    - auf weltweiter Ebene.

    5.2.2. Die EU kann bei den Bemühungen der Weltgemeinschaft um den Ausbau spezifischer und geeigneter Programme zur weiteren Förderung der Wirtschaftsentwicklung in weniger entwickelten Regionen der Welt - wie Lateinamerika, Afrika und Asien - eine Führungsrolle übernehmen.

    5.2.3. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß ist der Auffassung, daß die EU Maßnahmen ergreifen kann und muß, um:

    - die Vereinten Nationen und ihre Unterorganisationen zu modernisieren, damit diese sich in der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts wirksam an der Bekämpfung der Armut beteiligen können;

    - zu diesem Zweck den Vereinten Nationen und ihren spezialisierten Unterorganisationen (UNDP, IAO, UNICEF, UNESCO, WHO, FAO) angemessene Mittel zur Verfügung zu stellen;

    - die internationalen Finanzinstitutionen (z. B. Weltbank, Internationaler Währungsfonds) so zu modernisieren, daß sie in ihren Politiken und Programmen Beschäftigung und soziale wie auch Bildungs- und Gesundheitsbedürfnisse berücksichtigen;

    - neue Entwicklungsprozesse in den Nord-Süd-Beziehungen zu konsolidieren;

    - die Entscheidungen des Weltgipfel zur sozialen Entwicklung zu unterstützen und aktiv zu ihrer weltweiten Umsetzung beizutragen;

    - "die soziale Dimension in internationalen Handelsvereinbarungen zu fördern".

    5.2.4. Die EU-Mitgliedstaaten sollten ihre Beiträge zu den IPEC (Internationales Programm zur Beseitigung der Kinderarbeit)-Programmen weiter intensivieren und gemeinsam mit ihren Sozialpartnern aktiv die Formulierung und Verabschiedung einer umfassenden neuen IAO-Konvention gegen die unerträglichsten Formen der Kinderausbeutung betreiben sowie weiterhin dazu beitragen, deren weltweite Ratifizierung und wirksame Umsetzung zu fördern. Das schließt geeignete Formen der Unterstützung für diejenigen Entwicklungsländer ein, die gewillt sind, IAO-Konventionen über den Schutz von Kindern vor Ausbeutung durchzusetzen.

    5.2.5. Die EU sollte unverzüglich entweder in ihrem eigenen Rahmen oder als Gruppe von einzelstatlichen Delegationen, die innerhalb der UN zusammenarbeiten, die für Eingriffe nötigen Rechtsinstrumente sicherstellen.

    5.2.6. Es wird eine europäische Initiative zur Überwachung des transparenten und wirksamen Einsatzes der von den Vereinten Nationen und internationalen Stellen bereitgestellten Mittel gefordert, im Rahmen derer gleichzeitig für angemessene Mittelzuweisung und wirksame Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und den Organisationen der VN Sorge zu tragen ist.

    5.2.7. Im Zusammenhang internationaler Koordination können der Wirtschafts- und Sozialausschuß und seine Mitglieder die Initiative ergreifen, folgende Vorhaben zu fördern und zu unterstützen:

    - die Einrichtung einer Koordinationsstelle für politische Maßnahmen zugunsten von Kindern in Ost- und Westeuropa in Zusammenarbeit mit ihren Partnerorganisationen und unter gehöriger Berücksichtigung des EU-Erweiterungsprozesses, in Zusammenarbeit, wo angebracht, mit dem Europarat, der IAO, der Welthandelsorganisation, UNICEF, dem Weltkirchenrat und vergleichbaren Organisationen;

    - die Gründung regionaler Koordinationsstellen für Afrika, Amerika und Asien im Rahmen des Dialoges mit sozialen und wirtschaftlichen Interessengruppen;

    - Verantwortung für die Bestandsaufnahme der Arbeit von internationalen Entwicklungsorganisationen und die Bewertung der Wirksamkeit der Maßnahmen zur Armutsbekämpfung in zweijährigen Abständen übernehmen.

    5.2.7.1. Der Ausschuß ist auch der Meinung, daß seine Vorschläge zu Menschenrechten im Zusammenhang der EU-Außenpolitik zu diesem Zeitpunkt angebracht sind.

    5.2.7.2. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß die Zusammenarbeit zwischen Interpol, Europol und den einzelstaatlichen Polizeikräften verstärkt werden sollte.

    5.3. Europäische Ebene

    5.3.1. Eine wirksame Politik auf europäischer Ebene festlegen und durchführen heißt:

    - die Arbeit von Politikern und sonstigen zuständigen Gremien in den Mitgliedstaaten koordinieren;

    - die Maßnahmen innerhalb der Europäischen Union und mit den Ländern im übrigen Teil Europas abstimmen.

    5.3.2. Auf europäischer Ebene kann es der Wirtschafts- und Sozialausschuß übernehmen, einen ständigen Ausschuß einzurichten; dieser wäre dafür zuständig, Analysen durchzuführen und Modelle, Mittel und Methoden für die Sensibilisierung der Gesellschaft im allgemeinen und die Mobilisierung sozialer Gruppen und Interessensverbänden vorzuschlagen, mit denen die Ausbeutung von Kindern bekämpft werden soll.

    5.3.3. Betrachtet man das Problem nicht nur rein wirtschaftlich oder rechtlich bzw. unter dem Gesichtspunkt Fürsorge, erhält die Notwendigkeit einer Abstimmung eine andere Dimension.

    5.3.4. Wird das Problem im Zusammenhang mit der gesellschaftlichen Entwicklung betrachtet, will man das gefährdete menschliche und soziale Potential retten und sollen die politischen Maßnahmen angepaßt werden, um die zugrundeliegenden Ursachen zu bekämpfen und nicht nur das Ausmaß der Folgen zu begrenzen, dann ist auf der nationalen Ebene eine aktive und entschlossene Abstimmung der Behörden, Institutionen, staatlichen und nichtstaatlichen Organisationen nötig, die in folgenden Bereichen arbeiten:

    - Vorschul- und Schulausbildung sowie deren langfristige Planung;

    - lebenslanges Lernen und Weiterbildung;

    - Berufsberatung und Beschäftigung;

    - Kultur, Sport und Freizeit;

    - Stadtplanung, Stadtsanierung, Schaffung sicherer Orte, an denen Kinder in ihrem eigenen Stadtteil spielen können, Kinderspiele;

    - Ineinklangbringen von Familie und Berufsleben;

    - Neubestimmung der Beziehung zwischen Privatbereich und Arbeit;

    - Zusammenarbeit zwischen öffentlichen und privaten Sektoren in den Bereichen:

    Freizeitgestaltung für Kinder (Einzel- und Gruppenaktivitäten);

    Kinderunterhaltung;

    Kinderfernsehen;

    Kinderbücher;

    traditionelle Formen sozialer Projekte, Wohltätigkeitsorganisationen, Kirchen, Berufsverbände, Vereine;

    Justiz, Polizei, Sozialdienste;

    kommunale Selbstverwaltungen.

    6. Vorschläge für politische Maßnahmen

    6.1. Städtepolitische Maßnahmen

    6.1.1. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß die Entwicklung einer kinderfreundlichen Städtepolitik nicht eine Verteuerung der Sozialpolitik, sondern vielmehr eine Investition in die Förderung von Humanressourcen, in die nachhaltige Entwicklung humanen und sozialen Kapitals und die allmähliche Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Städte darstellt.

    6.1.2. Die Gemeinschaft erkennt in zahlreichen Dokumenten an, daß sie eine Städtepolitik braucht, mit der die enormen Probleme der europäischen Städte angepackt werden können. Fortgesetzte Bemühungen um die Entwicklung einer ganzheitlichen Betrachtungsweise und kohärenter, sich ergänzender politischer Maßnahmen, die auch die Bedürfnisse der Kinder Europas berücksichtigen, müssen angesichts der Erfolge, die sie bringen werden, als geringe Investition angesehen werden.

    6.2. Netze kinderfreundlicher Städte

    6.2.1. Die Einrichtung eines Netzes kinderfreundlicher Städte könnte der Katalysator einer langfristigen Politik sein, deren effektive, bewährte Methoden einem breiteren Publikum nützen könnten (Stadtplanung, Stadtsanierung, Restaurierung historischer Stadtkerne).

    6.2.2. Die Planung des öffentlichen Verkehrswesens, die Konzeption und Neugestaltung von Bahnhöfen und Bushaltestellen können und müssen die Bedürfnisse von Kindern berücksichtigen.

    6.2.3. Unbebaute Flächen und öffentliche Plätze, Bahnhöfe, Parks und Grünanlagen müssen unter dem Aspekt ihrer Sicherheit gestaltet werden.

    6.2.4. Der Bau von Kinderspielplätzen und die Förderung von Einrichtungen, in denen die Kinder nach der Schule sinnvoll von Fachkräften betreut werden, sind im Interesse der Kinder, der Eltern im allgemeinen und alleinerziehender Elternteile im besonderen.

    6.2.5. Eine Möglichkeit besteht auch darin, ältere Menschen in wichtige soziale Bereiche einzubeziehen und ihre Kenntnisse durch freiwillige Einsätze in Kindertagesstätten, Schulen, öffentlichen Parks usw. nutzbar zu machen.

    6.2.6. In Schulen, die aufgrund des Geburtenrückgangs nicht mehr genutzt werden, können verschiedenartige Aktivitäten stattfinden, so z. B. ansprechend aufgemachte Workshops zu Themen aus den Bereichen Kunst und Technologie.

    6.2.7. Andere Maßnahmen könnten darin bestehen, ghettoähnliche Viertel unter Einbeziehung von ähnliche beispielsweise Fremdenverkehrsbüros, Botschaften, Ausstellungsveranstaltern und Bildungs- und Berufsbildungszentren in Orte kultureller Veranstaltungen zu verwandeln.

    6.2.8. Das Wohnviertel sollte mit Hilfe von lokalen Kirchen, Schulen, Unternehmen und ihren Trägern, Verbänden, Gewerkschaften und politischen Parteien systematisch wiederbelebt werden.

    6.2.9. Kontakte zwischen Stadt und Land könnten gefördert werden (z. B. durch Erzeuger- und Verbraucherverbände, Umweltschutzorganisationen).

    6.2.10. Eine weitere Möglichkeit wäre die Veranstaltung (kostengünstiger) Ausfluege in landschaftlich schöne Regionen Europas; diese könnten kombiniert werden mit umwelterzieherischen Programmen und der Entwicklung einer Alternative zum Fremdenverkehr, z. B. Geschichts- oder Kulturtourismus, die sich auf Stadtnetze stützt (wie "Städte der industriellen Revolution", "Städte der Reformation" und "Europäische Städte von geschichtlicher und kultureller Bedeutung").

    6.3. Allgemeine Sensibilisierung der Gesellschaft

    6.3.1. Der Ausschuß und seine Mitglieder, d.h. die Vertreter der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer und verschiedener Interessensgruppen, können Initiativen ergreifen, um eine allgemeine Sensibilisierung der Gesellschaft zu unterstützen und die Ausbeutung, den Mißbrauch und die Zerstörung des großen menschlichen und sozialen Potentials der EU in all ihren Formen zu bekämpfen.

    6.3.2. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß durch eine allgemeine Sensibilisierung der Öffentlichkeit der Prozeß des Rückzugs in den privaten Raum und das Gefühl der Resignation und Teilnahmslosigkeit, die in weiten Teilen der Gesellschaft zu beobachten sind, umgekehrt werden kann. Dazu sind neue Konzepte und Aktionsformen nötig, die stärker als traditionelle Sensibilisierungskampagnen ganzheitlich angelegt und aufeinander abgestimmt sind.

    6.3.3. Hier können die Sozialpartner und der europäische soziale Dialog in weiterem Sinne einen konstruktiven Beitrag leisten.

    6.3.4. Neue Aktionformen werden sowohl von den traditionellen Trägern des sozialen Zusammenhalts als auch neuen Akteuren und Institutionen wie nichtstaatlichen Organisationen, kommunalen Gebietskörperschaften usw. gefordert. Die nichtstaatlichen Organisationen müssen ihre Tätigkeiten anpassen bzw. es muß eine neue Generation nichtstaatlicher Organisationen entstehen. Bisher wurden die meisten Maßnahmen dieser Organisationen von und für die Gesellschaft ergriffen. Der vorgeschlagene neue Typus nichtstaatlicher Organisationen wird nicht soziale Probleme lösen oder für die Gesellschaft oder den Staat einspringen. Sein Ziel wird im Gegenteil sein, die Fähigkeit der Gesellschaft zu fördern, selbst eine Antwort auf die Probleme zu finden. Er soll die örtlichen Gemeinwesen dabei unterstützen, einen Wandel herbeizuführen und, ausgehend von den vorhandenen Problemen, organisatorische Fähigkeiten entwickeln helfen und Kenntnisse vermitteln, die zur Lösung der Probleme beitragen. Er soll die traditionellen sozialen Einrichtungen nicht ersetzen, sondern ihnen dabei helfen, die Arbeitsmittel und -methoden für ihre soziale Tätigkeit zu modernisieren. In Anbetracht ihrer Ziele werden diese nichtstaatlichen Organisationen klein und flexibel sein und mit einem geringen Budget auskommen. Sie werden sich allmählich in Form von Netzen entwickeln, damit sie eine solide Basis haben, den Besonderheiten an Ort und Stelle prompt Rechnung tragen können und die hierarchischen und bürokratischen Strukturen multinationaler Vorbilder vermeiden. Diese Bemühungen können auf europäischer und einzelstaatlicher Ebene stärker gefördert werden.

    6.3.5. Die allgemeine Sensibilisierung der Öffentlichkeit darf nicht nur sogenannte Risikogruppen oder die am stärksten betroffenen Personen zum Ziel haben.

    6.3.5.1. Angesprochen werden muß vielmehr eine breitere "Grauzone" innerhalb der sozialen Schichten und Jugendliche, die unter Krisen in Familie oder Stadt und den Folgen der Arbeitslosigkeit leiden.

    6.3.5.2. Maßnahmen in diesem Bereich können indirekt ansetzen, dabei jedoch gleichzeitig komplementär und kohärent sein. Durch von der Basis ausgehende kontinuierliche Bemühungen in ganz Europa sollen unpolitische Jugendorganisationen (z. B. Pfadfinder) unterstützt, gefördert und aufgewertet werden. Politische Jugendorganisationen jeglicher Couleur sollten in einer europaweiten Kampagne aufgebaut werden, um das soziale und politische Engagement unter den jüngeren Menschen wiederzubeleben, die heute zu Gleichgültigkeit und Passivität neigen oder sich radikalen Bewegungen angeschlossen haben.

    6.3.5.3. Jugendorganisationen sowohl politischer als auch unpolitischer Ausrichtung sollten keine allzu professionellen oder bürokratischen Strukturen aufbauen und zur Gesellschaft hin offen sein.

    6.3.5.4. Alle im Europäischen Parlament vertretenen politischen Strömungen können und müssen an diesen Bemühungen beteiligt werden.

    6.3.5.5. Der Weltkirchenrat kann eine eigene Kampagne einleiten, um die Rolle der kirchlichen Jugendorganisationen wieder zu stärken und zu beleben und damit auch seine eigene Position zu verbessern. Das kürzlich in Paris veranstaltete Treffen junger Katholiken zeigte ebenfalls, daß junge Menschen dem Aufruf zur Mitwirkung Folge leisten.

    6.3.5.6. Auf europäischer Ebene könnten Preise und Auszeichnungen für Programme und Aktionen an Jugendorganisationen vergeben werden, die sich um die Lösung sozialer Probleme bemühen.

    6.3.5.7. Diese Preise könnten vom Europäischen Parlament, dem Rat und der Kommission im Rahmen der Jugendpolitik institutionalisiert und von einzelstaatlichen Parlamenten und den Kirchen (Weltkirchenrat und lokale Kirchengemeinden) gefördert werden.

    6.3.5.8. In Zusammenarbeit mit den zuständigen Dienststellen der Kommission, der UNICEF, dem Ausschuß der Regionen und Dachverbänden von Jugendorganisationen kann der WSA eine Konferenz zum Thema der Mitwirkung Jugendlicher in Europa veranstalten.

    6.3.5.9. Das Programm "Jugend für Europa 2000+" könnte - möglicherweise unter einem neuen, für Jugend zuständigen Kommissionsmitglied - verschiedenartige Pilotprojekte, ein dynamisches Benchmarking und Modellvorhaben zu jugendpolitischen Themen umfassen, die eine geeignete körperliche, seelische und geistige Entwicklung der jüngeren Generation in Europa fördern, z. B. folgende:

    - Durchführung attraktiver Jugendprogramme in den Bereichen Fremdenverkehr, kulturübergreifende Umwelterziehung und Kommunikation zum Thema große Flüsse oder historisch bedeutende Flüsse in Europa. Denkbar wäre z. B. eine Kette von Zeltlagern entlang der Donau und ein multilaterales Programm der Donauanrainerstaaten mit dem Titel: "Reise durch die Kulturlandschaften der Donau";

    - Durchführung ähnlicher Programme in den Alpen oder zwischen Ländern im Adriaraum oder am Ionischen Meer;

    - europäische Kunsthochschulen könnten in einer europäischen Stadt ein ständiges Forum für den kulturellen Dialog gründen, das von zwei oder drei Hochschulen im Rahmen eines multilateralen Programms getragen würde;

    - ein ständiges Forum für den interkonfessionellen Dialog könnte als Teil eines multinationalen Programms eingerichtet werden, an dem theologische Fakultäten und Vertreter der Kirchen beteiligt würden. Ziel wäre es, Solidarität, Toleranz und Zusammenarbeit zwischen jungen Menschen verschiedener Kirchen und Glaubensgemeinschaften zu fördern, um die sich ihnen stellenden Probleme zu lösen.

    6.3.5.10. Lokale Gebietskörperschaften und die Regierungen der Mitgliedstaaten sollten die Medien dazu anregen, Programme zu produzieren, mit denen eine verantwortungsbewußte Kultur der Partizipation und Demokratie gefördert und die Gleichheit aller Völker und Kulturen propagiert wird. Mit diesen Programmen sollten auch Modelle für die Jugendarbeit, Formen der Organisation junger Menschen, eine gesundheitsbewußte Lebensweise und demokratische Formen des sozialen Handelns, der Sensibilisierung und eine effiziente Beschäftigungspolitik für junge Menschen gefördert werden.

    6.3.5.11. Ein ständiges Zentrum sollte eingerichtet werden, um bewährte Praktiken in Programmen zu verbreiten, die die Tätigkeit von Jugendorganisationen auf der lokalen und europäischen Ebene zum Ziel haben.

    6.3.5.12. Nach Ansicht des Ausschusses müssen folgende Bedingungen erfuellt sein, um die Gesellschaft zu sensibilisieren und stärker für die Lösung von Problemen und die Bekämpfung rechtswidriger kinderfeindlicher Handlungsweisen zu engagieren:

    - eine europaweite Kampagne, um Autorität und Effizienz der Gerichte neu zu stärken;

    - eine in ganz Europa geführte Kampagne der Mitgliedstaaten zur Bekämpfung der Korruption innerhalb der Polizei;

    - eine ebenfalls europaweit von den Mitgliedstaaten geführte Aktion, um die Begehung von Straftaten in Gefängnissen zu unterbinden;

    - Sensibilisierung aller west- und osteuropäischen Länder für das Problem der Waisenhäuser. Der Ausschuß hält eine ergänzende Stellungnahme zu diesem Thema für notwendig.

    6.3.5.13. Es ist absolut erforderlich, daß Europa über den auf kleine Gruppen von Jugendlichen begrenzten Kulturaustausch hinausgelangt. Ständige Einrichtungen für wechselseitige Beziehungen und Kommunikation müssen aufgebaut und Verfahren für die Lösung gemeinsamer Probleme und die Sensibilisierung breiter Schichten der europäischen Jugendlichen geschaffen werden. Dadurch können dauerhafte Bindungen und eine Interessengemeinschaft der europäischen Jugendlichen entstehen.

    6.3.5.14. Die steigenden Ausgaben für die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlichkeit und der damit verbundenen Gewalttaten sowie der Jugendkriminalität könnten für Investitionen in den sozialen Zusammenhalt verwendet werden; dafür ist eine neue Jugendpolitik in Europa notwendig, die das Erbe und die Vision der europäischen Völker widerspiegelt.

    6.4. Arbeitslosigkeit und Armut

    6.4.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß hat die große Bedeutung der Beschäftigung als Teil einer nachhaltigen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung unmißverständlich hervorgehoben. Er hält die rechtzeitige Vollendung der Wirtschafts- und Währungsunion für sehr wichtig, um Vertrauen zu bilden und die Lage auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern. Er hat den Gedanken eines Vergleichskriteriums für die Beschäftigungswirkung und einen Mehrjahresplan mit spezifischen Maßnahmen und verbindlichen Fristen ebenso befürwortet wie Instrumente und Mechanismen für die Kontrolle, zu der sich die Mitgliedstaaten verpflichten. Dynamische Benchmarking-Verfahren einschließlich der "Prüfung der Beschäftigungswirksamkeit" auf Gemeinschaftsebene wurden unterstützt. Er hat die Kommission immer wieder aufgefordert, die Konzipierung gezielter, auf die Sektoren und Branchen abgestimmter Rahmenstrategien für Wachstum und Beschäftigung zu fördern, für die es auch des entschlossenen Kooperationswillens und Engagements der beteiligten Sozialpartner bedarf. Der Ausschuß forderte eine "grundlegende Umstrukturierung" der Strukturfonds, um "neue und dauerhafte" Arbeitsplätze zu schaffen. Insbesondere unterstützte er die unionsweit angestrebte Garantie für alle Jugendlichen, innerhalb eines Jahres nach Beendigung der Schule ein Angebot für einen Arbeitsplatz, eine Berufserfahrung vermittelnde Maßnahme oder eine berufliche Fortbildungsmaßnahme zu erhalten und sprach sich in den Bereichen Bildung und Ausbildung für schärfere quantitative und qualitative Zielvorgaben aus. Der Ausschuß forderte ferner, die europäische Steuerpolitik unter dem Blickwinkel ihrer Auswirkungen auf die Beschäftigung neu zu bewerten und wies darauf hin, daß eine gemeinschaftsweit abgestimmte Strategie für die Steuerpolitik einer allgemeinen, ausgehandelten Senkung der Lohnnebenkosten förderlich sein würde. Er trat für eine niedrigere Mehrwertsteuer für Waren und Dienstleistungen ein, die arbeitsintensiv sind und gute Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Unternehmergeist und Investitionen in arbeitsplätzeschaffende KMU und Kleinstunternehmen wurden uneingeschränkt unterstützt. Der Ausschuß begrüßte das "Sonderaktionsprogramm Amsterdam" der Europäischen Investitionsbank und forderte sie auf, risikobereiter zu sein und Vorhaben unter angemessener Berücksichtigung ihrer kommerziellen Durchführbarkeit mehr Aufmerksamkeit zu schenken, die die Beschäftigungsintensität und die Qualität der Arbeitsplätze verbessern. Der Ausschuß sprach sich für Verhandlungen über eine Umstrukturierung und Verkürzung der Arbeitszeit aus, die sich im Verein mit Flexibilität, attraktiven Teilzeitmöglichkeiten und längeren Büro- und Öffnungszeiten im Rahmen von Tarifverträgen günstig auf die Beschäftigungslage auswirken können.

    6.4.2. Armut und soziale Ausgrenzung

    6.4.3. Der Ausschuß hat wiederholt Einkommensbeihilfen und Maßnahmen zur Armutsverhütung zwecks Wahrung des europäischen Sozialmodells vorgeschlagen.

    7. Bekämpfung des Sextourismus

    Mitteilung der Kommission ().

    7.1. Allgemeine Bemerkungen

    7.1.1. Die Mitteilung der Kommission ist als ein Beitrag zu den breiter angelegten Bemühungen der Europäischen Union um die Bekämpfung des sexuellem Mißbrauchs von Kindern zu sehen.

    7.1.2. In der Mitteilung wird auf die Schlußfolgerungen des Weltkongresses gegen den sexuellen Mißbrauch von Kindern zu kommerziellen Zwecken verwiesen, der 1996 in Stockholm stattfand, insbesondere den Aktionsplan, der aus dem Kongreß hervorging.

    7.1.3. Die Mitteilung ist insgesamt als ausgewogener Ansatz für eine Lösung des Problems zu bewerten, das sich sowohl durch die Nachfrage nach als auch das entsprechende Angebot von Kindersextourismus stellt.

    7.1.4. Die wichtigsten Vorschläge der Kommission gründen sich auf folgende drei Maßnahmen:

    - Kinderschänder abzuschrecken und zu bestrafen;

    - sowohl auf die Nachfrage als auch auf das Angebot beim Sextourismus mit Kindesmißbrauch Einfluß zu nehmen;

    - die Mitgliedstaaten dazu anzuhalten, sich gemeinsam gegen die Ausbreitung dieses Problems zu wehren.

    Abschreckung und Bestrafung von Kinderschändern

    7.1.5. Um das erste Ziel zu erreichen, sind der Kommission zufolge eine Zusammenarbeit im Bereich der Justiz und eine Angleichung der Rechtsvorschriften notwendig. Der Prozeß der Harmonisierung der Rechtsvorschriften, von den rechtlichen Definitionen bis hin zum Strafmaß, muß zweifellos beschleunigt werden.

    7.1.6. Da bekannt ist, welche Länder und Regionen das Ziel von Sextouristen sind, könnte eine Abschreckung durch die Einrichtung von Überwachungszentren erreicht werden, in denen qualifiziertes Personal aus den Herkunfts- und Zielländern dieser Touristen Fälle des Kindesmißbrauchs registriert, aufdeckt und veröffentlicht.

    7.1.7. Droht eine Aufdeckung im Heimatland, ist die Abschreckung wohl am wirksamsten.

    7.1.8. In den Nachfrage-Ländern muß streng darauf geachtet werden, daß keine Agenturen bestehen, die derartige Dienste anbieten. Unternehmen, die für Sextourismus unter Beteiligung von Kindern werben, oder diese Reisen organisieren oder fördern, müssen bestraft werden. Die Veröffentlichung der Namen von Leitern und Angestellten derartiger Agenturen stellt ebenfalls ein sehr wirksames Mittel der Abschreckung dar.

    7.2. Eindämmung der von den Mitgliedstaaten ausgehenden Ströme pädophiler Touristen

    7.2.1. In diesem Kapitel unterstreicht die Kommission die Bedeutung von Sensibilisierungskampagnen und Verhaltenskodizes.

    7.2.2. Sensibilisierungskampagnen sind wichtig, sie dürfen aber nicht dazu führen, daß die Öffentlichkeit gleichgültig auf das Bestehen und die Ausbreitung des Problems reagiert oder es sogar toleriert.

    7.2.3. Zur Ausarbeitung von Verhaltenskodizes und Selbstregulierungsmechanismen für die Fremdenverkehrsindustrie ist der Ausschuß der Ansicht, daß Verhaltenskodizes umgehend aufgestellt werden müssen. Um ihre Anwender zu ermuntern, sie zu befolgen und zu respektieren, müssen auf lokaler, nationaler und europäischer Ebene Preise und Auszeichnungen geschaffen werden, die ein positives Verhalten belohnen. Diese Auszeichnungen können von der Tourismusindustrie auch effizient zu Werbezwecken eingesetzt werden.

    7.2.4. Angesichts der weiten Verbreitung und des Ernstes dieses Problems sind nach Ansicht des Ausschusses umfassende abschreckende Maßnahmen notwendig, die sowohl die Vermarktung in den Ländern, in denen die Nachfrage besteht, als auch den Handel mit Kindern und das Angebot von Sextourismus unter Beteiligung von Kindern bestrafen.

    7.2.5. Für eine Politik der Abschreckung reicht es nicht aus, sich Erklärungen anzuschließen.

    7.2.6. Deutsche Reiseveranstalter sind ein gutes Beispiel für eine Selbstregulierung und zeigen damit, welche Schlüsselrolle die Veranstalter in der Tourismusindustrie spielen können und wie wichtig es ist, eine eindeutige Politik festzulegen, die alle Tätigkeitsbereiche abdeckt und von Verhaltenskodizes bis zu Sanktionsmaßnahmen reicht.

    7.2.7. Ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung bestuende darin, zu prüfen, inwiefern die Einsetzung einer besonderen Tourismuspolizei in den Mitgliedstaaten möglich oder nützlich wäre, in denen sie noch nicht besteht; deren Tätigkeit müßte über Europol oder Interpol koordiniert und ausgebaut bzw. mit der notwendigen Infrastruktur ausgestattet werden.

    7.3. Unterstützung des Kampfes gegen Kindersextourismus in Drittländern

    7.3.1. Die Kommission leistet mit ihren Vorschlägen einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung dieses Problems.

    7.3.1.1. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß Drittländer nicht als ein einheitlicher homogener Raum betrachtet werden können. Die politischen, wirtschaftlichen, religiösen und kulturellen Unterschiede verlangen nach unterschiedlichen Maßnahmen und Formen der Zusammenarbeit.

    7.3.2. Der Ausschuß schlägt vor, dieses Thema auf die Tagesordnung der Dialoge mit den mittel- und osteuropäischen Ländern, dem Mittelmeerraum und der ASEAN zu setzen.

    7.3.3. Im Rahmen des Dialogs über die Erweiterung der Union muß die EU besonders hervorheben, daß die Wahrung der Menschenrechte, und insbesondere der Rechte der Kinder, sowie die Angleichung und Befolgung der Gesetze über den Handel mit Kindern zu Zwecken des Sextourismus für sie von äußerster Wichtigkeit ist.

    7.4. Die Rolle des WSA

    7.4.1. Der Wirtschafts- und Sozialausschuß kann die Verpflichtung übernehmen, den Dialog, den er mit den vergleichbaren Einrichtungen in jeder der genannten Ländergruppen oder betroffenen Regionen führt, für eine Erörterung der Frage zu nutzen.

    7.5. Allgemeinere politische Maßnahmen

    7.5.1. Nach Ansicht des Ausschusses kann die EU als internationale Organisation darauf hinweisen, welch wichtige Rolle diese Frage für die Menschen weltweit spielt.

    7.5.2. Im Rahmen des Dialogs zwischen den internationalen Organisationen wie UN, UNESCO und UNICEF, Nord-Süd-Dialog, Dialog innerhalb der Welthandelsorganisation usw. muß die EU für politische Maßnahmen eintreten, die eindeutig auf die Bekämpfung der Ursachen des Problems abzielen; diese müssen zeitlich befristet und auf die jeweiligen Regionen zugeschnitten sein.

    7.5.3. Die Vorschläge des Ausschusses zur Bekämpfung von Kindesmißbrauch auf internationaler und europäischer Ebene schließen selbstverständlich auch die Auseinandersetzung mit den Ursachen des Sextourismus mit Kindesmißbrauch ein.

    7.5.4. Auch der Vorschlag, (auf Initiative des WSA) regionale Koordinierungsgremien für die Bekämpfung des Kindesmißbrauchs einzusetzen, gilt natürlich für diese Form des Sextourismus.

    Brüssel, den 2. Juli 1998.

    Der Präsident des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Tom JENKINS

    () Siehe dazu Stellungnahme des WSA (ABl. C 153 vom 28.5.1996).

    () Siehe WSA-Stellungnahme zu einer "Europäischen Kulturpolitik für Kinder", a.a.O.

    () Die Lage der Kinder in der Welt, 1997/UNICEF.

    () KOM(96) 547 endg.

    () "Die Zukunft der Nord-Süd-Beziehungen: auf dem Weg hin zu dauerhafter wirtschaftlicher und sozialer Entwicklung", "Cahiers" der Forwards Studies Unit, 1997 Nr. 1.

    () UNESCO, UNICEF, Weltkirchenrat, Europarat, Nichtregierungsorganisationen.

    () KOM(97) 0197 endg., Brüssel, den 6.5.1997.

    () KOM(97) 47 endg. vom 10.2.1997.

    () KOM(97) 142 endg. vom 30.4.1997.

    () Die Europäische Union zu einem weltweiten Handlungsträger machen, gegenseitige Ergänzung zwischen internen und externen Politiken herstellen, eine Strategie für Humanressourcen entwickeln.

    () KOM(96) 547 endg. vom 27.11.1996.

    ANHANG I zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Notwendigkeit einer gemeinsamen Terminologie

    Für eine effektive Kommunikation, die Konzeption einer Politik, die Umsetzung von Leitlinien und die Harmonisierung der politischen Maßnahmen ist es wichtig zu klären, welche Bedeutung die einzelnen Begriffe haben.

    Da die Anzahl der internationalen NRO, die sich mit dieser Frage beschäftigen, sehr groß ist, muß eine gemeinsame Terminologie festgelegt und verwendet werden.

    Grundbegriffe und Definitionen

    Was bedeutet "Kind"?

    Gemäß dem Übereinkommen über die Rechte des Kindes der UN gilt der Begriff "Kind" für jede Person unter 18 Jahren.

    Im IAO-Übereinkommen Nr. 138 wird das Mindestalter für die Zulassung zur Beschäftigung auf 15 Jahre festgesetzt. Es wird auf der Grundlage des Mindestalters für die Beendigung der Schulpflicht (6 + 9 = 15) berechnet.

    In den verschiedenen Rechtsordnungen wird das Alter für die erlaubte Arbeit von Kindern unterschiedlich zwischen 15 und 18 Jahren festgesetzt. Im deutschen Jugendarbeitsschutzgesetz und im Jugendwohlfahrtsgesetz gilt als Kind, wer noch nicht 14 Jahre alt ist oder als junger Mensch der Vollzeitschulpflicht unterliegt, d.h. unter 15 Jahren alt ist. Junge Menschen zwischen 14 und 18, die von der Schulpflicht befreit sind, werden als Jugendliche betrachtet.

    Schulpflicht besteht in Deutschland und Österreich bis zum Alter von 15, in Frankreich, dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden bis zum Alter von 16 Jahren.

    Das gesetzlich festgelegte Alter für die Zulassung zur Beschäftigung fällt in der Regel mit dem Ende der Schulpflicht zusammen.

    Mündigkeitsalter

    Der Ausschuß ist der Ansicht, daß eine mögliche Angleichung der Bestimmungen zum Mündigkeitmindestsalter von den zuständigen Stellen geprüft werden sollte.

    Ausbeutung von Kindern

    Unter Ausbeutung von Kindern ist zu verstehen:

    a) die Heranziehung eines Kindern durch eine dritte Person in deren Interesse in einer Weise oder zu Zwecken, die die körperliche, seelische oder geistige Gesundheit des Kindes beeinträchtigen;

    b) jeglicher Verstoß gegen die im Übereinkommen der UN enthaltenen Rechte des Kindes;

    c) jegliche Verletzung sittlicher Normen der Gemeinschaft, der der Täter oder das Opfer der Ausbeutung angehören.

    Kindesmißbrauch

    Nach Ansicht des Ausschusses fällt jegliche Form der Anwendung körperlicher, seelischer oder geistiger Gewalt gegenüber einem Kind unter diesen Begriff.

    Die Gewaltanwendung gegenüber einem Kind aus Eigennutz oder zur Befriedigung wird als Mißbrauch definiert. Kinder direkt oder indirekt dazu zwingen, zum Vorteil oder zur Befriedigung eines Dritten zu handeln, ist als Mißbrauch und Mißhandlung zu betrachten. Die Anwendung von seelischer, geistiger oder körperlicher Gewalt gegenüber einem Kind im "gesellschaftlichen", "familiären" oder "nationalen" Interesse wird ebenfalls als Mißbrauch definiert. Die Heranziehung von Kindern zur erotischen/sexuellen Befriedigung und Vergnügung von Erwachsenen stellt auch einen Fall von (körperlichem, seelischen, geistigen) Kindesmißbrauch oder Ausbeutung dar.

    Vernachlässigung und Mißhandlung

    Die Vernachlässigung körperlicher, seelischer und geistiger Bedürfnisse von Kindern und die Mißhandlung von Kindern sind Phänomene, die je nach der vorherrschenden Moralvorstellung einer gesellschaftlichen Gruppe oder Gemeinschaft unterschiedlich definiert werden. Die Grenze zwischen einem Verhalten, das geduldet wird, und einem Verhalten, bei dem der Staat eingreift, ist jedoch eigentlich überall vorhanden.

    Da unter diese Kategorie eine große Zahl von Kindern fällt, die sich nahe an dem kritischen Punkt befinden (oder ihn bereits überschritten haben), entweder auf der Straße zu leben oder unter schwierigen Umständen zu Hause zu bleiben, muß er besonders aufmerksam betrachtet werden. Diese Gruppe Jugendlicher sind potentielle Straßenkinder. Ein Eingreifen des Staates oder sozialer Organisationen ist in vielen Fällen unmöglich. Auch hier jedoch können sich vorbeugende Maßnahmen als erfolgreich erweisen.

    Aussetzung/Verlassen

    Aussetzung von Kindern

    Der WSA definiert die Aussetzung eines Kindes als Aufgabe jeglichen Interesses an dem Kind, der Betreuung oder des Kontakts seitens der Eltern oder Verwandten gegenüber dem Kind.

    Verlassen von Wohnung und Familie durch die Kinder

    Als Verlassen von Wohnung und Familie durch Kinder - vorübergehend, wiederholt oder dauerhaft - wird die Entfremdung des Kindes von Heim und Familie bezeichnet.

    Aus den vorangegangenen Definitionen geht hervor, daß die Ausbeutung und Mißhandlung von Kindern ein dynamischer, vielschichtiger, komplexer und sich entwickelnder Prozeß ist. Betrachtet man das Problem als eine Reihe von individuellen Vergehen, können die zugrundeliegenden Ursachen nicht aufgedeckt und behandelt werden.

    Ausbeutung von Kindern, ungeachtet der Form oder des Ausmaßes, ist in erster Linie ein gesellschaftliches Problem, das Symptom einer kranken Gesellschaft. Sie ist auch ein Verbrechen; wird es verübt, tritt das gesellschaftliche Problem in Form eines Täters und eines Opfers auf. Das gesellschaftliche Problem auf eine strafbare Handlung reduzieren, hieße, die zur Bekämpfung des Problems und des Verbrechens ergriffenen politischen Maßnahmen im voraus festlegen.

    Sextourismus mit Kindesmißbrauch

    Als Sextourismus mit Kindesmißbrauch soll hier der organisierte Tourismus definiert werden, dessen Hauptziel darin besteht, den Kunden sexuelle "Dienste" von Kindern anzubieten, bzw. organisierte Reisen, die derartige Dienste einschließen oder die Herstellung von Kontakten zu "Netzen", die diese Nachfrage befriedigen.

    Der WSA stimmt dem in der Mitteilung der Kommission enthaltenen Profil und der Definition der einzelnen Typen von Touristen, die an Sextourismus mit Kindesbrauch beteiligt sind, zu ().

    () KOM(96) 547 endg.

    ANHANG II zur Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Maßnahmen der Europäischen Union zur Bekämpfung extremer Formen der Kinderarbeit ().

    () SEK(97) 1265 vom 24.6.1997.

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