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Document 51997XC0123(01)

MITTEILUNG DER KOMMISSION über interne Verfahrensvorschriften für die Behandlung von Anträgen auf Akteneinsicht in Fällen einer Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, der Artikel 65 und 66 EGKS-Vertrag und der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates

ABl. C 23 vom 23.1.1997, p. 3–9 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

Dieses Dokument wurde in einer Sonderausgabe veröffentlicht. (CS, ET, LV, LT, HU, MT, PL, SK, SL)

51997XC0123(01)

MITTEILUNG DER KOMMISSION über interne Verfahrensvorschriften für die Behandlung von Anträgen auf Akteneinsicht in Fällen einer Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, der Artikel 65 und 66 EGKS-Vertrag und der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates

Amtsblatt Nr. C 023 vom 23/01/1997 S. 0003 - 0009


MITTEILUNG DER KOMMISSION über interne Verfahrensvorschriften für die Behandlung von Anträgen auf Akteneinsicht in Fällen einer Anwendung der Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, der Artikel 65 und 66 EGKS-Vertrag und der Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates (97/C 23/03)

(Text von Bedeutung für den EWR)

EINLEITUNG

Die Gewährung von Akteneinsicht ist bei allen streitigen Wettbewerbsangelegenheiten (Verbote mit oder ohne Geldbuße, Fusionsverbote, Beschwerdeabweisungen usw.) ein wichtiger Verfahrensabschnitt. Dabei muß die Kommission zwei gegensätzliche Verpflichtungen miteinander in Einklang bringen, nämlich zum einen die Verteidigungsrechte beachten und zum anderen die Vertraulichkeit der Unternehmensinformationen wahren.

Die vorliegende Mitteilung soll dafür sorgen, daß die derzeitige Verwaltungspraxis bei der Gewährung von Akteneinsicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften und des Gerichts erster Instanz (EuGeI) und insbesondere mit der Rechtsprechung in den sogenannten "Soda-Fällen" (1) vereinbar ist. Die in dieser Rechtsprechung festgelegte Verhaltensregel betrifft alle Verfahren, in denen nach den für die Unternehmen geltenden einschlägigen Wettbewerbsregeln ermittelt wird: d. h. die Artikel 85 und 86 EG-Vertrag, die Verordnung (EWG) Nr. 4064/89 des Rates (2), (nachstehend "Fusionskontrollverordnung" genannt) sowie die Artikel 65 und 66 EGKS-Vertrag.

Das Recht auf Akteneinsicht beruht auf den zur wirksamen Wahrnehmung des Anhörungsrechts festgelegten Verfahrensgarantien (3) im Sinne von Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates (4), Artikel 2 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission (5) sowie der entsprechenden Vorschriften in den Verordnungen über die Anwendung der Artikel 85 und 86 auf dem Gebiet des Verkehrs und bedarf einer Regelung für alle Entscheidungen über Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln, über Beschwerdeabweisungen und einstweilige Anordnungen sowie für Entscheidungen nach Artikel 15 Absatz 6 der Verordnung Nr. 17.

Allerdings ist zu betonen, daß sich die nachstehenden Leitlinien hauptsächlich auf die Rechte der Unternehmen bei der Untersuchung einer vermuteten Zuwiderhandlung beziehen, nicht jedoch auf die Rechte Dritter und schon gar nicht auf die der Beschwerdeführer.

In den Fusionsfällen ist das Recht der unmittelbar Betroffenen auf Akteneinsicht in Artikel 18 Absatz 3 der Fusionskontrollverordnung und in Artikel 13 Absatz 3 Buchstabe a) der Verordnung (EG) Nr. 3384/94 der Kommission (6) ("Duchführungsverordnung") ausdrücklich geregelt.

I. UMFANG UND EINSCHRÄNKUNGEN DES RECHTS AUF AKTENEINSICHT

Die Akteneinsicht soll den Empfänger einer Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Lage versetzen, zu den Schlußfolgerungen Stellung zu nehmen, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung gelangt ist. Den betroffenen Unternehmen ist Zugang zu allen zur "Ermittlungsakte" der Kommission (GD IV) gehörenden Unterlagen zu gewähren. Hiervon ausgenommen sind lediglich Dokumente der in der Rechtssache Hercules (7) genannten Art: Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission (8) und andere vertrauliche Informationen.

Nicht alle Teile einer Ermittlungsakte sind also einsehbar, und es ist wichtig, die einsehbaren von den nichteinsehbaren Dokumenten zu unterscheiden.

A. Nichteinsehbare Dokumente

1. Geschäftsgeheimnisse

Unter das Geschäftsgeheimnis fallen Informationen (Schriftstücke oder Teile davon), die von einem Unternehmen als "Geschäftsgeheimnis" erklärt und von der Kommission als solche anerkannt wurden.

Die Nichteinsehbarkeit dieser Informationen bezweckt den Schutz des berechtigten Interesses eines Unternehmens, daß bestimmte strategische Informationen über seine wesentlichen Interessen und den Stand oder die Entwicklung seiner Geschäfte Dritten nicht bekannt werden (9).

Die Kriterien zur Beurteilung dessen, was unter das Geschäftsgeheimnis fällt, wurden bislang noch nicht abschließend festgelegt. Dabei ist jedoch auf die Rechtsprechung zu verweisen - vor allem auf die Urteile in den Rechtssachen Akzo und BAT Reynolds (10) -, das in den Antidumping-Verfahren angewandte Kriterium (11) sowie auf die entsprechenden Entscheidungen des Anhörungsbeauftragten. Der Begriff "Geschäftsgeheimnisse" ist weit auszulegen: Nach der Rechtsprechung im Akzo-Fall ist die Kommission aufgrund der Verordnung Nr. 17 verpflichtet, den berechtigten Interessen der Unternehmen an der Wahrung ihrer Geschäftsgeheimnisse Rechnung zu tragen.

Sobald die Geschäftsgeheimnisse eines Unternehmens außerhalb desselben (bzw. des Konzerns oder der Unternehmensvereinigung) bekannt werden, verlieren sie ihren geheimen Charakter und brauchen nicht mehr geschützt zu werden. Ebenso kann nicht Geschäftsgeheimnis bleiben, was seine wirtschaftliche Bedeutung aufgrund der zeitlichen Entwicklung oder aus sonstigen Gründen verloren hat.

Wenn Geschäftsgeheimnisse den Beweis einer Zuwiderhandlung liefern oder ein Unternehmen entlasten können, muß die Kommission das Interesse am Schutz der sensiblen Informationen, das öffentliche Interesse an der Abstellung der Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln sowie die Verteidigungsrechte miteinander in Einklang bringen. Dabei ist folgendes zu beurteilen:

i) die Stichhaltigkeit der Informationen über das Vorliegen einer Zuwiderhandlung;

ii) ihre Beweiskraft;

iii) ihre Erforderlichkeit;

iv) ihr Sensibilitätsgrad (in welchem Maße könnte die Offenlegung der Informationen den Interessen des Unternehmens schaden);

v) die Schwere der Zuwiderhandlung.

Bei jedem Schriftstück ist zu entscheiden, ob dem Erfordernis seiner Offenlegung trotz des dadurch möglicherweise entstehenden Schadens Vorrang einzuräumen ist.

2. Vertrauliche Schriftstücke

Außerdem müssen Informationen geschützt werden, bei denen um vertrauliche Behandlung gebeten wurde.

Hierzu gehören insbesondere Angaben, aus denen auf die Identität der Informationen geschlossen werden könnte, die gegenüber den Parteien anonym bleiben wollen, sowie bestimmte Arten von Auskünften, die der Kommission mit der ausdrücklichen Bitte um vertrauliche Behandlung übermittelt wurden. Der letztgenannte Fall kann insbesondere dann vorliegen, wenn bei einer Nachprüfung in einem Unternehmen betriebsinterne Schriftstücke gesammelt werden, um deren vertrauliche Behandlung es gebeten hat (z. B. eine vom Unternehmen in Autrag gegebene Marktstudie). Wie in den vorgenannten Fällen von Geschäftsgeheimnissen muß die Kommission auch hier das berechtigte Interesse des Unternehmens am Schutz seines Eigentums, das öffentliche Interesse an der Abstellung der Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln sowie die Verteidigungsrechte miteinander in Einklang bringen. Militärische Geheimnisse gehören ebenfalls zur Kategorie der vertraulichen Informationen.

Grundsätzlich können Schriftstücke trotz ihres vertraulichen Charakters offengelegt werden (12), sofern die darin enthaltenen Informationen erforderlich sind, um die Behauptung einer Zuwiderhandlung zu beweisen ("belastende Schriftstücke"), oder wenn es sich um Schriftstücke handelt, mit denen eine von der Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgestellte Behauptung widerlegt oder bestritten wird ("entlastende Schriftstücke").

3. Interne Schriftstücke der Kommission

Interne Dokumente sind naturgemäß keine Beweismittel, auf die sich die Kommission bei ihrer Beurteilung des jeweiligen Sachverhalts stützen kann. Meistens handelt es sich dabei um Entwürfe, Stellungnahmen oder Beurteilungsvermerke der mit den jeweiligen Ermittlungsverfahren befaßten Dienststellen.

Es ist notwendig, daß sich die Dienststellen der Kommission intern völlig frei zu den anhängigen Sachen äußern können. Die Offenlegung derartiger Schriftstücke könnte im übrigen das Beratungsgeheimnis der Kommission verletzen.

Das Beratungsgeheimnis ist auch durch den in dem Beschluß 94/90/EGKS, EWG, Euratom der Kommission (13), geändert durch den Beschluß 96/567/EG, EGKS, Euratom (14) enthaltenen Verhaltenskodex für den Zugang der Öffentlichkeit zu Rats- und Kommissionsdokumenten geschützt, z. B. bei internen Schriftstücken über Nachprüfungen und Ermittlungen sowie bei Dokumenten, durch deren Verbreitung der Schutz des einzelnen und der Privatsphäre sowie des Geschäfts- und Industriegeheimnisses oder die Wahrung der von einer natürlichen oder juristischen Person erbetenen Vertraulichkeit beeinträchtigt werden könnten.

Deshalb ist es gerechtfertigt, diese Kategorie von Dokumenten nicht offenzulegen. Sie werden in der grundsätzlich nicht zugänglichen Sammlung interner Schriftstücke über anhängige Fälle verwahrt (siehe unten Punkt II.A.2).

B. Einsehbare Dokumente

Alle Teile einer Akte, auf die die vorstehenden Kriterien für "Nichteinsehbare Dokumente" keine Anwendung finden, sind den Beteiligten zugänglich.

Das Recht auf Akteneinsicht beschränkt sich also nicht auf diejenigen Dokumente, die die Kommission zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte der Unternehmen für "zweckdienlich" hält.

Die Kommission trifft keinerlei Auswahl der einsehbaren Dokumente, um Beweismittel, die sich für die Verteidigung der Unternehmen als stichhaltig erweisen könnten, beiseite zu schaffen. Dieser Gedanke tauchte bereits in den Urteilen des Gerichts erster Instanz in den Rechtssachen Hercules und Cementries CBR (15) auf und wurde im "Soda-Fall" bestätigt und fortgeführt. So erklärte das Gericht in der Rechtssache T-30/91 (Randnummer 81): "Dazu ist festzustellen, daß im Rahmen eines nach der Verordnung Nr. 17 durchgeführten kontradiktorischen Verfahrens die Kommission nicht allein entscheiden kann, welche Schriftstücke der Verteidigung dienlich sind. . . . [Die Kommission] muß [. . .] den Bevollmächtigten der betreffenden Unternehmen die Möglichkeit einräumen, die Schriftstücke, die möglicherweise erheblich sind, im Hinblick auf ihren Beweiswert für die Verteidigung zu prüfen."

Studien

Werden Studien zum Zwecke ihrer unmittelbaren oder mittelbaren Verwendung im Rahmen eines Verfahrens oder eines speziellen Falles in Auftrag gegeben, so sind sie unbeschadet ihrer Erheblichkeit einsehbar. Dies betrifft nicht nur ihre Ergebnisse (Berichte, Statistiken usw.), sondern auch den Schriftwechsel der Kommission mit dem jeweiligen Vertragspartner, das Lastenheft und die Methodologie der jeweiligen Studie (16). Schriftsätze über die finanziellen Aspekte einer Studie und die Aktenzeichen des Vertragspartners sind jedoch in dessen Interesse vertraulich zu behandeln.

II. VORSCHRIFTEN ÜBER DIE ANWENDUNG DES RECHTS AUF AKTENEINSICHT

A. Vorbereitungsverfahren - nach den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag eingeleitete Verfahren

1. Ermittlungsakte

1.1. Rückgabe bestimmter Schriftstücke nach Abschluß der Nachprüfungen

Die Kommission sammelt bei Nachprüfungen gemäß Artikel 14 Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 17 zahlreiche Schriftstücke, bei denen sich nach eingehender Prüfung ergeben kann, daß ein Teil von ihnen für den betreffenden Vorgang bedeutunglos ist. Derartige Schriftstücke werden den Unternehmen im allgemeinen unverzüglich zurückgegeben.

1.2. Aufforderung zur Vorlage einer nichtvertraulichen Fassung der Schriftstücke

Um im weiteren Verfahrensverlauf eine Akteneinsicht zu erleichtern, werden die betroffenen Unternehmen im Rahmen der Ermittlungen regelmäßig aufgefordert,

- klarzustellen, welche Angaben (Schriftstücke oder Teile davon) sie als ein Geschäftsgeheimnis ansehen und bei welchen Schriftstücken es sich um vertrauliche Unterlagen handelt, deren Offenlegung dem Unternehmen einen Schaden verursachen würde;

- eine schriftliche Begründung dieser Bewertung vorzulegen;

- der Kommission von den Schriftstücken, um deren vertrauliche Behandlung sie gebeten haben, eine nichtvertrauliche Fassung (ohne die vertraulichen Abschnitte) zu übermitteln.

Bei Schriftstücken, die im Rahmen einer Nachprüfung (Artikel 14 Absätze 2 und 3) gesammelt werden, ergeht diese Aufforderung erst nach Rückkehr der Inspekteure von der Inspektion.

Bittet ein Unternehmen unter Verweis auf die Aufforderung der Kommission um vertrauliche Behandlung der zur Verfügung gestellten Informationen, so gilt folgendes:

a) Ist eine in dieser Phase des Verfahrens geltend gemachte Vertraulichkeit der Schriftstücke sachlich anscheinend begründet, wird sie vorläufig unterstellt. Die Kommission behält sich jedoch das Recht vor, auf diese Frage im weiteren Verlauf des Verfahrens zurückzukommen.

b) Ist die Behauptung, die betreffenden Schriftstücke seien vertraulich, offenkundig unbegründet (z.B. bei einem bereits veröffentlichten oder in vielen Exemplaren verteilten Dokument) oder mißbräuchlich (z.B. wenn sie sich ohne glaubhafte Begründung auf sämtliche gesammelten oder übermittelten Unterlagen bezieht), so teilt die Kommission dem Unternehmen mit, daß sie mit dem Umfang der geltend gemachten Vertraulichkeit nicht einverstanden ist. Die Frage wird bei der abschließenden Beurteilung der Einsehbarkeit der Unterlagen entschieden.

1.3. Abschließende Beurteilung der Einsehbarkeit von Schriftstücken

Es kann erforderlich sein, den übrigen betroffenen Unternehmen in einen Teil der Akte selbst gegen den Willen des Unternehmens, von dem dieser Teil der Akte stammt, Einsicht zu gewähren, sofern er zur Begründung der Entscheidung (17) oder als Entlastungsbeweis dient.

Hat ein Unternehmen ein derartiges Schriftstück als vertraulich bezeichnet, ohne eine entsprechende nichtvertrauliche Fassung vorzulegen, gilt folgendes Verfahren:

- Das eine vertrauliche Behandlung des Schriftstücks beanspruchende Unternehmen wird erneut aufgefordert, eine nichtvertrauliche, hinreichend aussagefähige Fassung des Dokuments zu übermitteln.

- Lehnt das Unternehmen weiterhin die Offenlegung der Informationen ab, wendet sich die zuständige Dienststelle an den Anhörungsbeauftragten, damit dieser gegebenenfalls das Verfahren nach Artikel 5 Absatz 4 des Beschlusses 94/810/EGKS, EG der Kommission vom 12. Dezember 1994 über das Mandat des Anhörungsbeauftragten in Wettbewerbsverfahren vor der Kommission (18). Das Unternehmen wird schriftlich über die Befassung des Anhörungsbeauftragten in Kenntnis gesetzt.

1.4. Verzeichnis der Schriftstücke

Es wird nach folgenden Grundsätzen ein Verzeichnis der Schriftstücke erstellt:

a) In diesem Verzeichnis sind alle Seiten der Ermittlungsakte fortlaufend numeriert, und anhand eines Klassifizierungscodes wird angegeben, inwieweit und welchen Parteien Zugang zu den jeweiligen Schriftstücken gewährt wird.

b) Das Verzeichnis weist jedem Dokument einen Zugangscode zu:

- einsehbares Schriftstück,

- teilweise einsehbares Schriftstück,

- nichteinsehbares Schriftstück.

c) Zur Kategorie der in ihrer Gesamtheit nichteinsehbaren Schriftstücke gehören die "Geschäftsgeheimnisse" und die übrigen vertraulichen Dokumente. Das Verzeichnis enthält im Einklang mit der Rechtsprechung in den "Soda-Fällen" einen kurzen Hinweis auf den Inhalt und den Gegenstand dieser Schriftstücke, damit jedes Unternehmen, das eine Akteneinsicht beantragt hat, in Kenntnis der Sachlage beurteilen kann, ob diese Dokumente für seine Verteidigung erheblich sein können und ob es zweckmäßig ist, trotz der Klassifizierung der Dokumente eine Einsichtnahme zu verlangen.

d) Ein solcher Hinweis auf den Inhalt ist im Verzeichnis bei den einsehbaren und teilweise einsehbaren Dokumenten entbehrlich, weil die Unternehmen sie in ihrer Gesamtheit bzw. in ihrer nichtvertraulichen Fassung unmittelbar einsehen können. In diesem Fall werden nur die sensiblen Abschnitte unkenntlich gemacht, so daß ein zugangsberechtigtes Unternehmen deren Inhalt (z.B. Umsatzzahlen) lediglich dem Wesen nach bestimmen kann.

2. Sammlung interner Schriftstücke über anhängige Fälle

Die internen Dokumente werden künftig zum Zwecke der Vereinfachung und einer effizienten Verwaltung in chronologischer Reihenfolge im Rahmen der Sammlung interner (nicht einsehbarer) Schriftstücke über anhängige Fälle verwahrt. Diese Ablage erfolgt unter Aufsicht des Anhörungsbeauftragten, der gegebenenfalls die Einstufung der so gesammelten Dokumente als "interne Schriftstücke" bestätigen kann.

Als interne Schriftstücke gelten z.B.:

a) dienstliche Ermittlungsaufträge und Anweisungen zur Bearbeitung einer Sache;

b) Anhörungen der übrigen Kommissionsdienststellen zu einer Sache;

c) Schriftverkehr in einer Sache mit anderen Behörden (19);

d) Entwürfe und sonstige Arbeitspapiere;

e) Verträge über die Gewährung technischer Unterstützung (auf sprachlichem Gebiet, im Bereich der Datenverarbeitung usw.) in bezug auf einen speziellen Aspekt einer Akte.

B. Vorbereitungsverfahren - nach der Fusionskontrollverordnung eingeleitete Verfahren

1. Gleiche Vorschriften für das Vorbereitungsverfahren wie bei nach den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag eingeleiteten Verfahren

a) Rückgabe bestimmter Schriftstücke nach Abschluß der Nachprüfungen

Nachprüfungen vor Ort sind gemäß Artikel 13 der Fusionskontrollverordnung ausdrücklich gestattet. In diesem Fall gilt sinngemäß die unter Punkt II.A.1.1 genannte Vorgehensweise für nach den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag eingeleitete Verfahren.

b) Verzeichnis der Schriftstücke

Über die in der Kommissionsakte enthaltenen Schriftstücke wird gemäß den unter Punkt II.A.1.4 festgelegten Kriterien unter Angabe der jeweiligen Zugangscodes ein Verzeichnis erstellt.

c) Aufforderung zur Vorlage einer nichtvertraulichen Fassung der Schriftstücke

Um Akteneinsicht gewähren zu können, werden Unternehmen, die Gegenstand von Maßnahmen zur Beweiserhebung sind, aufgefordert,

- klarzustellen, welche Unterlagen (Schrifstücke oder Teile davon) sie als Geschäftsgeheimnis ansehen und bei welchen Schriftstücken es sich um vertrauliche Unterlagen handelt, deren Offenlegung dem Unternehmen einen Schaden verursachen würde;

- eine schriftliche Begründung dieser Bewertung vorzulegen;

- der Kommission von den Schriftstücken, um deren vertrauliche Behandlung sie gebeten haben, eine hinreichend aussagefähige nichtvertrauliche Fassung (ohne die vertraulichen Abschnitte) zu übermitteln.

Dieses Vorgehen betrifft Fälle, die sich in der Phase I und der Phase II befinden. (Die Phase I führt zur Entscheidung der Kommission, kein Verfahren einzuleiten, die Phase II zur Einleitung des Verfahrens gegen die anmeldende Partei).

2. Besondere Vorschriften über Vorbereitungsverfahren in Fusionsfällen

a) Weiteres Verfahren in Fällen der Phase II

In den Fällen der Phase II werden anschließend die nachstehenden Schritte unternommen.

Beansprucht ein Unternehmen bezüglich aller zur Verfügung gestellten Schriftstücke oder eines Teils davon unter Verweis auf das "Geschäftsgeheimnis" die Wahrung der Vertraulichkeit, so gilt folgendes Verfahren:

- Ist diese Forderung anscheinend begründet, gelten die Schriftstücke oder die entsprechenden Teile davon Dritten gegenüber als nicht einsehbar.

- Ist diese Forderung anscheinend unbegründet, fordert die zuständige Dienststelle das Unternehmen in der Ermittlungsphase - spätestens jedoch bei Absendung der Mitteilung der Beschwerdepunkte - auf, seinen Standpunkt zu überprüfen. Es muß schriftlich angeben, welche Dokumente oder Teile davon als vertraulich anzusehen sind, oder eine nichtvertrauliche Fassung dieser Schriftstücke übermitteln.

Wird über den Umfang der Vertraulichkeit keine Einigung erzielt, wendet sich die zuständige Dienststelle an den Anhörungsbeauftragten, damit dieser gegebenenfalls das Verfahren nach Artikel 5 Absatz 4 des Beschlusses 94/810/EGKS, EG der Kommission anwendet.

b) Sonderfälle

Artikel 9 Absatz 1 der Fusionskontrollverordnung bestimmt, daß die Kommission "einen angemeldeten Zusammenschluß durch Entscheidung [. . .] an die zuständige Behörde des betreffenden Mitgliedstaats verweisen [kann]; sie unterrichtet die beteiligten Unternehmen [. . .] unverzüglich von dieser Entscheidung." Die Parteien können normalerweise im Rahmen der Akteneinsicht die Mitteilung über den Antrag auf Verweisung an die nationale Behörde erhalten, mit Ausnahme der in ihr gegebenenfalls enthaltenen Geschäftsgeheimnisse oder sonstiger vertraulicher Angaben.

In Artikel 22 Absatz 3 der Fusionskontrollverordnung ist folgendes geregelt: "Stellt die Kommission auf Antrag eines Mitgliedstaats fest, daß ein Zusammenschluß [. . .], der [. . .] keine gemeinschaftsweite Bedeutung [. . .] hat, eine beherrschende Stellung begründet oder verstärkt, so kann die Kommission [. . .] die in Artikel 8 Absatz 2 Unterabsatz 2 sowie in Artikel 8 Absätze 3 und 4 vorgesehenen Maßnahmen erlassen." Ein solcher Antrag verleiht der Kommission Befugnisse bei Fusionen, für die sie sonst nicht zuständig wäre. Daher ist den Parteien das Recht einzuräumen, das Schreiben des antragstellenden Mitgliedstaats einzusehen, gegebenenfalls nach Unkenntlichmachung derjenigen Abschnitte, die Geschäftsgeheimnisse oder andere vertrauliche Angaben enthalten.

C. Praktische Modalitäten für eine Akteneinsicht

1. Grundsatz: Akteneinsicht in den Räumlichkeiten der Kommission

Die Unternehmen können einsehbare Schrifstücke an Ort und Stelle in den Räumlichkeiten der Kommission einsehen.

Hält ein Unternehmen aufgrund des ihm übergebenen Verzeichnisses der Schriftstücke bestimmte nichteinsehbare Dokumente für seine Verteidigung für erforderlich, kann es den Anhörungsbeauftragten in einem mit Gründen versehenen Antrag darauf hinweisen (20).

2. Bei Akten von geringem Umfang kann sich das Unternehmen entweder alle einsehbaren Schriftstücke, die ihm noch nicht mit der Mitteilung der Beschwerdepunkte oder dem Beschwerdeabweisungsschreiben übermittelt wurden, auf dem Postwege zusenden lassen oder sie in den Räumlichkeiten der Kommission einsehen.

Bei nach den Artikeln 85 und 86 EG-Vertrag eingeleiteten Verfahren werden künftig - im Gegensatz zu einer in der Vergangenheit weit verbreiteten Praxis - der Mitteilung der Beschwerdepunkte und dem Beschwerdeabweisungsschreiben lediglich die Beweismittel und die zitierten Schriftstücke beigefügt, auf die sich die Mitteilung bzw. das Schreiben stützen.

Anträge auf Akteneinsicht, die vor dem Datum der Mitteilung der Beschwerdepunkte gestellt werden, sind grundsätzlich unzulässig.

D. Hinweis auf gewisse Besonderheiten bei Beschwerden und Verfahren wegen mißbräuchlicher Ausnutzung einer beherrschenden Stellung (Artikel 85 und 86 EG-Vertrag)

1. Beschwerden

Beschwerdeführer können im allgemeinen zwar am Verfahren beteiligt werden, verfügen aber nicht über die gleichen Rechte und Garantien wie die beschuldigten Unternehmen. Die Gründe für die Gewährung des Rechts auf Akteneinsicht sind bei einem Beschwerdeführer nicht die gleichen wie beim Empfänger einer Mitteilung der Beschwerdepunkte (Verteidigungsrechte), und die Rechte des Beschwerdeführers sind nicht denen des beschuldigten Unternehmens gleichzustellen.

Im übrigen kann der Beschwerdeführer, dem eine Zurückweisung der Beschwerde angekündigt worden ist, Einsicht in die Unterlagen verlangen, auf die die Kommission ihre Stellungnahme stützt. Er hat jedoch keinerlei Zugang zu den von der Kommission bei ihren Ermittlungen (Artikel 11 und 14 der Verordnung Nr. 17) gesammelten vertraulichen Informationen oder Geschäftsgeheimnissen der Unternehmen, gegen die sich die Beschwerde richtet, oder dritter Unternehmen.

Es ist offenkundig, daß der Grundsatz der Vertraulichkeit hier insofern besondere Beachtung verdient, als keine Vermutung einer Zuwiderhandlung besteht. In der Rechtssache FEDETAB (21) wurde entsprechend festgestellt, daß Artikel 19 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 nur ein Anhörungsrecht einräumt, nicht aber das Recht auf Erlangung vertraulicher Informationen.

2. Verfahren wegen mißbräuchlicher Ausnutzung einer beherrschenden Stellung

Zu den Verfahren wegen mißbräuchlicher Ausnutzung einer beherrschenden Stellung haben sich das EuGeI und der EuGH in der Rechtssache BPB Industries und British Gypsum/Kommission geäußert (22).

Unternehmen, die auf einem Markt eine beherrschende Stellung innehaben, können auf ihre Wettbewerber, Handelspartner, Kunden oder Lieferanten definitionsgemäß sehr starken wirtschaftlichen oder geschäftlichen Druck ausüben.

Das EuGeI und der EuGH haben deshalb eine gewisse Zurückhaltung der Kommission, bestimmte in der Akte enthaltene Schreiben von Kunden des betroffenen Unternehmens offenzulegen, für begründet erklärt.

Diese Informationen sind für die Kommission zwar nützlich, weil sie ihre ein besseres Verständnis des jeweiligen Marktes vermitteln, sind aber keineswegs ein Belastungsbeweis; würde den betreffenden Unternehmen Einsicht in diese Schreiben gewährt, so hätte dies für deren Verfasser die ernste Gefahr von Vergeltungsmaßnahmen zur Folge.

(1) Urteile des EuGeI vom 29. Juni 1995 in den Rechtssachen T-30/91 "Solvay/Kommission" sowie T-36/91 "ICI/Kommission" und T-37/91 "ICI/Kommission", Slg. 1995, S. II-1775, II-1847 und II-1901.

(2) ABl Nr. L 395 vom 30. 12. 1989, S. 1 (Berichtigung im ABl. Nr. L 257 vom 21. 9. 1990, S. 13).

(3) Urteil des EuGeI vom 18. Dezember 1992, Cementeries CBR u. a., verbundene Rechtssachen T-10, T-11/92, T-12/92 und T-15/92, Slg. 1992, S. II-2667, Randnummer 38.

(4) ABl. Nr. 13 vom 21. 2. 1962, S. 204/62.

(5) ABl. Nr. 127 vom 20. 8. 1963, S. 2268.

(6) ABl. Nr. L 377 vom 31. 12. 1994, S. 1.

(7) Urteil des EuGeI vom 17. Dezember 1991, Hercules Chemicals/Kommission, Rechtssache T-7/89, Slg. 1991, S. II-1711, Randnummer 54.

(8) Interne Schriftstücke der Kommission sind kein Bestandteil der Ermittlungsakte und werden in der Sammlung interner Schriftstücke über anhängige Fälle verwahrt (siehe unten Punkt I.A.3 und II.A.2).

(9) Dies gilt z. B. für die Möglichkeit zur Beurteilung folgender Kriterien: Herstellungs- und Vertriebskosten, Produktionsgeheimnisse und -verfahren, Bezugsquellen, Produktions- und Verkaufsmengen, Marktanteile, Kunden- und Verteilerdateien, Geschäftsstrategie, Struktur der Gestehungskosten und der Verkaufspolitik sowie Informationen über die interne Organisation des Unternehmens.

(10) Urteil vom 24. Juni 1986, Akzo Chemie/Kommission, Rechtsache 53/85, Slg. 1986, 1965, Randnummern 24-28 der Entscheidungsgründe, insbesondere Randnummer 28;

Urteil vom 17. November 1987, BAT & Reynolds/Kommission, verbundene Rechtssachen 142 und 156/84, Slg. 1987, 4487, Randnummer 21.

(11) Beschluß des Gerichthofs vom 30. 3. 1982, Celanese/Rat und Kommission, Rechtssache 236/81, Slg. 1982, 1183.

(12) Unter Beachtung des unter Ziffer II.A.1.3 genannten Verfahrens.

(13) ABl. Nr. L 46 vom 18. 2. 1994, S. 58.

(14) ABl. Nr. L 247 vom 28. 9. 1996, S. 45.

(15) Das Gericht stellte in der Rechtssache Hercules unter Randnummer 54 fest, daß die Kommission verpflichtet ist, den betroffenen Unternehmen "die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat [. . .] ausgenommen [. . .] nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen". In den "Zementfällen" wurde unter der Randnummer 41 auf diesen Absatz Bezug genommen.

(16) Aufgrund dieser Regelung ist in Verträge über Studien eine spezielle Klausel aufzunehmen, der zufolge die Kommission Dritten Einsicht in die Studie und die mit ihr zusammenhängenden Dokumente (Methodologie und diesbezüglicher Schriftwechsel mit der Kommission) gewähren kann.

(17) Dies gilt für Schriftstücke, die eine Bestimmung des Umfangs, der Dauer und Art einer Zuwiderhandlung, der Identität der Beteiligten, des für den Wettbewerb entstandenen Schadens, des wirtschaftlichen Kontexts usw. ermöglichen.

(18) ABl. Nr. L 330 vom 21. 12. 1994, S. 67.

(19) Bei von Behörden stammenden Schriftstücken ist die Vertraulichkeit zu wahren. Dieser Grundsatz gilt nicht nur für Wettbewerbsbehörden, sondern auch für sonstige Behörden eines Mitgliedstaats oder eines Drittlands.

Jede Ausnahme vom Grundsatz der Nichtoffenlegung dieser Schriftstücke bedarf einer stichhaltigen Begründung unter Verweis auf die Verteidigungsrechte (z.B. Antrag eines Mitgliedstaats nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17). Schreiben der Behörde eines Mitgliedstaats oder eines Drittlands, die lediglich eine Interessenbekundung zum Ausdruck bringen, sind grundsätzlich nicht einsehbar.

Allerdings ist zu unterscheiden zwischen den einem absoluten Schutz unterliegenden Beurteilungen oder Bemerkungen dieser Behörden und den von ihnen gelieferten Schriftstücken, die nicht immer unter die Ausnahmeregelung fallen. In diesem Fall ist ein umsichtiges Vorgehen stets geboten, insbesondere wenn die Dokumente aus einem Drittland stammen. Bei der Entwicklung der internationalen Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Anwendung der Wettbewerbsregeln wird nämlich der Wahrung der vertrauensvollen Beziehungen zwischen der Kommission und den Drittstaaten größte Bedeutung beigemessen.

In diesem Zusammenhang sind zwei Fälle möglich:

a) Es besteht bereits ein Abkommen über den Austausch vertraulicher Informationen. Dabei ist auf Artikel VIII Absatz 2 des Abkommens zwischen den Europäischen Gemeinschaften und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika über die Anwendung ihrer Wettbewerbsregeln (ABl. Nr. L 95 vom 27. 4. 1995, S. 45) zu verweisen, der bestimmt, daß die Vertragsparteien alles unternehmen ("to the fullest extent possible"), um die Vertraulichkeit von Informationen zu wahren, die ihnen vom anderen Vertragspartner im Rahmen des Abkommens übermittelt wurden. Dieser Artikel präzisiert einen völkerrechtlichen Gesichtspunkt, der zu beachten ist.

b) Besteht ein solches Abkommen nicht, sollte im Hinblick auf die Wahrung der Vertraulichkeit der gleiche Grundsatz Awendung finden.

(20) Besonderes Verfahren nach Artikel 5 des Beschlusses 94/810/EGKS, EG.

(21) EuGH, Urteil vom 29. Oktober 1980, FEDETAB, verbundene Rechtssachen 209 bis 215 und 218/78, Slg. 1980, S. 3125, Randnummer 46.

(22) EuGeI, Urteil vom 1. April 1993, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Rechtssache T-65/89, Slg. 1993, S. II-389;

EuGH, Urteil vom 6. April 1995, BPB Industries und British Gypsum/Kommission, Rechtssache C-310/93 P, Slg. 1995, S. I-865, 869.

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