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Document 51995AC1311

    STELLUNGNAHME DES WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES zu der Vorlage "XXIV. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik (1994)"

    ABl. C 39 vom 12.2.1996, p. 79–84 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT, FI, SV)

    51995AC1311

    STELLUNGNAHME DES WIRTSCHAFTS- UND SOZIALAUSSCHUSSES zu der Vorlage "XXIV. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik (1994)"

    Amtsblatt Nr. C 039 vom 12/02/1996 S. 0079


    Stellungnahme zu der Vorlage "XXIV. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik (1994)" (96/C 39/14)

    Die Kommission beschloß am 23. Mai 1995, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 198 des EWG-Vertrags um Stellungnahme zu folgender Vorlage zu ersuchen: "XXIV. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik (1994)".

    Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Industrie, Handel, Handwerk und Dienstleistungen nahm ihre Stellungnahme am 18. Oktober 1995 an. Berichterstatter war Herr Sepi.

    Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 330. Plenartagung (Sitzung vom 22. November) einstimmig folgende Stellungnahme.

    1. Einleitung

    1.1. Der Ausschuß nimmt mit Genugtuung zur Kenntnis, daß die Kommission in diesem Jahr eine bei weitem klarer und zweckmäßiger aufgebaute Fassung des Berichts vorgelegt hat, was Lektüre und Verständnis des Textes erleichtert.

    1.2. In seinen früheren Stellungnahmen hatte der Ausschuß wiederholt auf die Notwendigkeit hingewiesen, das Dokument lesbarer zu gestalten, denn es bleibt ja eine der wesentlichen Quellen, wenn es darum geht, nicht nur die Wettbewerbspolitik, sondern auch ganz allgemein die Wirtschaftspolitik der EU zu bewerten.

    1.3. Ein ebenso wichtiger Meilenstein auf dem Weg zu mehr Transparenz ist die dieser Tage veröffentlichte Kurzfassung des Berichts unter dem Titel "Die Wettbewerbspolitik in der Europäischen Gemeinschaft", die sich an ein breiteres Publikum wendet als die offiziellen Berichte.

    1.4. Gleichwohl muß der Ausschuß bei aller Anerkennung für die erzielten Fortschritte feststellen, daß der Bericht nach wie vor schwerfällige Passagen und Wiederholungen enthält; auch der zusammenfassende Überblick am Anfang sollte im Hinblick auf eine weniger beschwerliche Lektüre der grundlegenden Leitlinien der EU-Politik noch überarbeitet werden.

    1.5. Transparenz ist ein zu wichtiges Ziel, als daß man nicht versuchen sollte, auf diesem Wege weiter voranzuschreiten, vielleicht durch Aufspaltung des derzeitigen Gesamtberichts unter thematischen Gesichtspunkten ().

    2. Das Umfeld

    2.1. Der XXIV. Bericht der Kommission über die Wettbewerbspolitik behandelt Vorgänge in einem sich rasch wandelnden Umfeld.

    2.2. So weist vor allem die Wirtschaft nach vielen Jahren der Rezession erste Anzeichen der Erholung auf.

    Das wird zu neuen Phänomenen führen, die neue Bewertungskriterien und ein besonderes Augenmerk seitens der GD IV verlangen.

    Auf den neuen Expansionsschwung muß man mit geeigneten verfahrenstechnischen Neuerungen reagieren, um auch in dieser Phase eine angemessene Überwachung ausüben zu können.

    2.3. Die Kommission und die EU insgesamt sind um die Verwirklichung der wirtschaftlichen und sozialen Vorgaben des Weißbuchs "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung - Herausforderungen der Gegenwart und Wege ins 21. Jahrhundert" bemüht; der Ausschuß hält auch in der Wettbewerbspolitik eine Umorientierung in diesem Sinne für notwendig.

    2.4. Mit der zunehmenden Öffnung der Märkte, die im Abschluß der Uruguay-Runde und der Errichtung der Welthandelsordnung gipfelte und durch die Assoziierungsabkommen, die Schaffung des EWR, die Aufnahme neuer Vollmitglieder in die EU und durch die Assoziierungsabkommen mit den mittel- und osteuropäischen Staaten noch verstärkt wurde, haben sich die Rahmenbedingungen wesentlich gewandelt.

    Dies bewirkt eine nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Veränderung der Funktion des Wettbewerbs.

    3. Die Maßnahmen der Kommission

    3.1. 1994 war für die Kommission ein Jahr intensiver normativer Tätigkeit, was sich in zahlreichen Dokumenten allgemeinen Charakters sowie in einem Anstieg der Verwaltungsmaßnahmen niederschlug. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, diesen Weg fortzusetzen, d.h. die Verhaltensregeln und die Grundsätze, an die sich die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Akteure halten müssen, festzulegen, um einerseits als Institution entlastet zu werden und andererseits die Arbeit der Einzelfallprüfung durch die Generaldirektion IV zu beschleunigen.

    3.2. Die Entschlossenheit der Kommission, die Wettbewerbspolitik im Zusammenhang mit den gesamtwirtschaftlichen Zielen der EU zu betrachten, was im übrigen schon in der Stellungnahme des WSA zum XXIII. Bericht () empfohlen wurde, sollte lobend hervorgehoben werden.

    Wie in dem Bericht mehrfach deutlich wird, ist sich die Kommission bewußt, daß dies zu tiefgreifenden Veränderungen bei ihren Aufgaben und in ihrer Rolle führen wird.

    3.3. Auf jeden Fall hält der Ausschuß eine bessere Abstimmung der Wettbewerbspolitik mit den anderen politischen Aufgabenfeldern der EU, zumal mit der Industrie-, Handels- und Beschäftigungspolitik sowie der Politik des sozialen Zusammenhalts, der Förderung der Wettbewerbsfähigkeit, der Inflationsbekämpfung und des Verbraucherschutzes, für unerläßlich.

    3.4. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß bei den handelspolitischen Schritten und der Initiativen zur Zusammenarbeit mit den mittel- und osteuropäischen Staaten, wie in den Abkommen zur industriellen Zusammenarbeit vorgesehen, einige soziale Gesichtspunkte berücksichtigt werden müssen, damit diese Maßnahmen nicht beim Wettbewerb erhebliche Störungen verursachen und industriellen Standortverlagerungen Vorschub leisten, was negative wirtschaftliche und soziale Folgen in der EU haben könnte.

    3.5. Bei der Wettbewerbspolitik im engeren Sinne muß die Kommission die Vorschriften auch im Lichte der Vorgaben des Weißbuchs in einer der neuen Situation angemessenen Weise auslegen und den wirtschaftlichen und sozialen Folgen ihrer Entscheidungen größere Beachtung schenken.

    3.6. Der Ausschuß meint, daß sowohl für die Genossenschaften, die auf dem Markt tätig sind, als auch für die gemeinnützigen Vereine, d.h. für die sogenannte Sozialwirtschaft, deren Wirkungsbereiche die Interessen der Unternehmen überhaupt nicht berühren, spezifische Wettbewerbsvorschriften ins Auge gefaßt werden sollten. Insbesondere die Initiativen und Freiwilligenorganisationen, die soziale Solidarität praktizieren und sich für Randgruppen einsetzen, könnten in den Genuß staatlicher Beihilfen und spezieller gesetzlicher Erleichterungen kommen, ohne daß gegen die bestehenden Verbote verstoßen würde.

    3.7. Die Kommission hat eine Mitteilung zur Anwendung der Wettbewerbsregeln auf Zahlungssysteme veröffentlicht ().

    In dieser Mitteilung erläutert die Kommission, welche Schritte sie plant, um die Vereinbarkeit der Überweisungssysteme mit den Wettbewerbsregeln des Vertrages zu prüfen.

    Diese Mitteilung müßte gründlich untersucht werden und sollte Gegenstand einer eigens diesem Thema gewidmeten Stellungnahme des Ausschusses sein, die sich an die auf der Plenartagung vom 31. Mai und 1. Juni 1995 verabschiedeten Stellungnahme zum "Grenzüberschreitenden Zahlungsverkehr in der EU: Transparenz, Effizienz und Stabilität" anschließt.

    3.8. Der Ausschuß ist sich bewußt, wie schwierig es ist, über eine strenge Anwendung der Vorschriften zu wachen und gleichzeitig das strukturelle Wachstum und das der Produktivität in der EU zu fördern; gleichwohl meint er, der grundsätzliche Kurs, der sich aus dem Prinzipienkatalog ergibt, sollte auch bei der konkreten Ausführung beibehalten werden.

    4. Die Absprachen

    4.1. Bei der Bewertung der Absprachen unterscheidet die Kommission, zumal im Blick auf das Weißbuch "Wachstum, Wettbewerbsfähigkeit, Beschäftigung", deutlich zwischen defensiven Absprachen, d.h. Vereinbarungen zur Abschirmung von Märkten durch Wettbewerbsbeschränkungen, und Absprachen, mit denen das Ziel einer größeren Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen durch verstärkte Zusammenarbeit verfolgt wird. Erstere wurden verboten, letztere genehmigt.

    4.2. Der Unterschied ist klar, die Anwendung auf den konkreten Fall hingegen schwieriger. So enthielt der vor kurzem veröffentlichte Vorschlag einer Verordnung zum Technologietransfer, wie der einschlägigen Stellungnahme des WSA zu entnehmen war, einige fragwürdige Aussagen.

    4.3. In bezug auf die Anwendung dieser Vorschriften sind noch zwei weitere Bemerkungen zu machen:

    a)

    die Sanktionen gegen Kartelle müssen sich nach dem Grad der Beteiligung jedes Teilnehmers bemessen;

    b)

    was die Unternehmensvereinigungen angeht, so muß genau festgelegt werden, wann die Sanktionen gegen sie als Vereinigungen und wann sie gegen die einzelnen beteiligten Unternehmen zur Anwendung kommen; denn nur so kann eine doppelte Bestrafung für ein und denselben Tatbestand vermieden werden.

    Im Falle eines Informationsaustauschs über die Preise ist es bisweilen sehr schwierig zu ermessen, ob hier wirklich die Absicht vorliegt, den Wettbewerb einzuschränken. Auf jeden Fall müssen die Unternehmen und die Unternehmensvereinigungen ganz genaue Angaben zu den Mitteln, Methoden und Zielen bei diesen Praktiken machen.

    4.4. In dem Weißbuch ist ausführlich von Absprachen zwischen KMU als Voraussetzung für einen dynamischeren Markt, für mehr Wettbewerbsfähigkeit und mehr Arbeitsplätze die Rede.

    Hier bedarf es wohl klarerer Vorgaben auch in bezug auf die Wettbewerbspolitik, mit besonderen Freistellungen für diese Art von Unternehmen und einer Überprüfung der Anreizmechanismen zugunsten der Zusammenarbeit zwischen ihnen. In diesem Sinne müßte über die Kapitel des Berichts zur Zusammenarbeit im Ausbildungs- und Forschungsbereich hinaus auch die Schaffung besonderer Finanzinstrumente und gemeinsamer Infrastrukturen für Handel und Beschaffung, und zwar ebenfalls im Rahmen vernünftiger Marktanteile, gefördert werden.

    5. Die Unternehmenszusammenschlüsse

    5.1. Im Verlauf des Jahres 1994 hatten die Dienste der Kommission in diesem Bereich alle Hände voll zu tun, sei es im Zusammenhang mit Umstrukturierungsverfahren, sei es infolge der Globalisierung des Marktes.

    5.2. Die Einzelfallentscheidungen dienten der Bekämpfung eventueller beherrschender Stellungen; aber die Kommission griff auch auf die Möglichkeit von Genehmigungen zurück, wenn sich die Fälle für die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit der betreffenden Branche und das Wachstum des Unternehmensgefüges sowie für die Öffnung der Märkte als nützlich und für den oft global verstandenen Wettbewerb (British Telecom/MCI - Olivetti/Digital) nicht als schädlich erwiesen.

    5.3. Gleichwohl ist es notwendig, die Festlegung neuer Kriterien voranzutreiben, die der neuen Dimension des Wettbewerbs gerecht werden, welche der europäischen Industrie im Zuge der Internationalisierung der Märkte ein höheres Maß an Wettbewerbsfähigkeit abverlangt.

    5.4. Der Ausschuß fordert die Kommission daher auf, - nicht ohne deren Bemühungen und die mit der Task-force gemachten Erfahrungen zu würdigen - bei der Beurteilung der Märkte eine immer globalere Sichtweise anzustreben und auch darüber zu wachen, ob nicht außergemeinschaftliche Unternehmen in einigen strategischen Bereichen unlautere Praktiken anwenden.

    5.5. Der Ausschuß ist außerdem über die wegen der Zuständigkeit der nationalen Behörden uneinheitliche Bewertung der Zusammenschlüsse besorgt und verweist in diesem Zusammenhang auf seine kürzlich verabschiedete Stellungnahme (), in der eine Herabsetzung der Schwellenwerte und damit eine Ausweitung der Kompetenzen der Kommissionsorgane gefordert wird.

    6. Staatliche Beihilfen

    6.1. Die Kontrolle der staatlichen Beihilfen ist ein wesentlicher Bestandteil jeder echten Wettbewerbspolitik und eine entscheidende Voraussetzung dafür, daß die Konvergenz der Mitgliedstaaten gefördert werden kann. Kriterien für die Genehmigung solcher Beihilfen waren soziale oder regionale Gesichtspunkte. Bei Unternehmen in Schwierigkeiten achtete man vor allem auf die Glaubwürdigkeit der Umstrukturierungspläne. Angestrebt wurde auch die Vermeidung von Beihilfen, die zu Kapazitätsüberhängen führen.

    6.2. Aus all dem wird deutlich, daß zwischen dem Ziel eines unbehinderten Wettbewerbs und den Unterstützungsmaßnahmen einzelner Staaten aus politischen oder sozialen Beweggründen, zwischen den wirtschaftspolitischen Traditionen der einzelnen Mitgliedstaaten und den wirtschaftlichen und sozialen Gegebenheiten in den verschiedenen Gebieten der Gemeinschaft klare Gegensätze bestehen. Es steht fest, daß eine nur auf die Liberalisierung der Märkte abzielende Politik die immer schwererwiegenden Probleme des sozialen Zusammenhalts in und zwischen den Ländern der EU nicht löst. Hier erweist sich eine Vertiefung auch in bezug auf die Vorgaben des Weißbuches als notwendig, ein Weg, den die Kommission in diesem Jahr bei den Beschäftigungs- sowie den Forschungs- und Entwicklungsbeihilfen beschritten hat.

    6.3. Da Verwaltungsaufbau und Finanzierungsmechanismen von Staat zu Staat stark variieren, bedarf es verstärkter Bemühungen um mehr Transparenz sowie einer Auflistung sämtlicher Beihilfen und ihrer wirtschaftlichen Folgen.

    6.4. Der kürzlich von der Kommission veröffentlichte Vierte Bericht über die staatlichen Beihilfen enthält viele nützliche Untersuchungen und Daten. Der Ausschuß begrüßt die Tatsache, daß die jährliche Gesamtsumme der staatlichen Beihilfen im Vergleich zum Vorjahr um 8,5 % zurückgegangen ist; der Betrag von 93,8 Milliarden ECU bleibt jedoch sehr hoch, zumal die vier größten EU-Staaten den Löwenanteil der staatlichen Beihilfen für die Industrie (84 %) gewährten, und es ist nach Ansicht des Ausschusses wünschenswert, ihn im Laufe des nächsten Bewertungszeitraums weiter zu verringern. Der Ausschuß ist weiterhin besorgt, daß die Unterschiede bei den staatlichen Beihilfen zwischen den verschiedenen Mitgliedstaaten und zwischen verschiedenen Regionen innerhalb der Mitgliedstaaten zu Wettbewerbsverzerrungen führen könnten. Er ruft die Kommission erneut dazu auf, sich für eine strenge Anwendung der Regeln für die Gewährung staatlicher Beihilfen einzusetzen.

    Der Ausschuß meint, Leitziel solle der allmähliche Abbau der direkten und indirekten Beihilfen in den einzelnen Staaten bleiben, damit statt dessen die Gemeinschaftsmittel zur Verringerung der territorialen und sozialen Ungleichgewichte aufgestockt werden können.

    6.5. Vor allem sollten die neuen Verhaltensweisen im Falle indirekter Beihilfen in den Bericht aufgenommen und neue Leitlinien bei staatlichen Beihilfen zur Umstrukturierung oder Rettung von Unternehmen aufgestellt werden, sofern die Gefahr besteht, daß diese als indirekte Hilfen dazu dienen, den Geltungsbereich einer korrekten Wettbewerbspolitik einzuschränken.

    6.6. Das Volumen der direkt von der EU gewährten Beihilfen hat in den letzten Jahren zugenommen. Der Ausschuß hält es für angebracht, diese Hilfeleistungen in dem neuen Bericht neben den staatlichen Beihilfen aufzuführen.

    6.7. Die Sozialpartner und der WSA sollten auch ohne formales Konsultationsverfahren frühzeitig über die eingeleiteten offiziellen Untersuchungen in diesem Bereich unterrichtet werden.

    7. Liberalisierung im öffentlichen Sektor

    7.1. Im Weißbuch wird die Öffnung aller Bereiche für den Wettbewerb empfohlen. Dahinter steht auch die Beobachtung, daß der öffentliche Sektor in vielen europäischen Industriestaaten in den letzten Jahrzehnten - trotz einiger in der Öffentlichkeit stark beachteter Privatisierungen - noch ständig gewachsen ist. Dieser Öffnung für den Wettbewerb steht die Tatsache entgegen, daß die Vorschriften und Regelungen, die bei manchen, traditionell zu den Staatsaufgaben zählenden Dienstleistungen Monopolsituationen begründen, im Rechtssystem einzelner Staaten fest verankert sind und auf verschiedenen sozialen und rechtlichen Wertvorstellungen, Gebräuchen und Gepflogenheiten beruhen. Außerdem erweist sich nicht jedes Staatsmonopol als ineffizient.

    7.2. Der Ausschuß ist sich der Tatsache bewußt, daß eine Liberalisierung in diesen Bereichen den Verbrauchern Vorteile - niedrigere Preise und bessere Qualität - bringen kann; gleichwohl darf diese Überlegung nicht zum Dogma erhoben werden. Es ist notwendig, mit großer Umsicht und von Fall zu Fall zu prüfen, wo und auf welche Weise diese günstigen Wirkungen erzielt werden können; denn nur so kann vermieden werden, daß die Liberalisierung Folgen zeitigt, die den erwünschten Wirkungen entgegengesetzt sind. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, die Folgen einer Umstellung auf Wettbewerbsbedingungen dort, wo sie stattfand, zu untersuchen.

    7.3. Der Ausschuß meint, daß die flächendeckende Versorgung mit den Dienstleistungen, die heute deren öffentlicher Betreiber gewährleistet, erhalten werden muß; zu vermeiden ist, daß die Liberalisierung und die Einführung des Wettbewerbs Nutzungsbeschränkungen, d.h. den Ausschluß bestimmter Bevölkerungsgruppen und Regionen, nach sich zieht, deren Bedienung vielleicht keine Gewinne verspricht. Bei allen seinen Nachteilen in punkto Effizienz und Kosten garantierte der öffentliche Sektor doch eine gewisse Solidarität zwischen den verschiedenen Lebensverhältnissen. Nach Ansicht des Ausschusses sollte auf jeden Fall sichergestellt werden, daß auch unter Wettbewerbsbedingungen alle Bürger Zugang zu diesen Dienstleistungen erhalten.

    7.4. Manche dieser Staatsmonopole wurden geschaffen, um Investitionen, die erst in ferner Zukunft Gewinn versprachen und private Unternehmen daher weniger interessierten, zu unterstützen. Bei der Entscheidung für eine Liberalisierung sollte auch dieser Gesichtspunkt mitbedacht werden.

    7.5. Auch wenn nicht gesagt ist, daß Liberalisierungsmaßnahmen notwendigerweise einen strukturellen Arbeitskräfteabbau nach sich ziehen, so können sie doch kurzfristig soziale Probleme schaffen, die unbedingt in die Überlegungen einzubeziehen und unter Einsatz aller erdenklichen Gemeinschaftsinstrumente zu bekämpfen sind.

    8. Der Subsidiaritätsgrundsatz

    8.1. Der Ausschuß weist darauf hin, daß die Kommission entschlossen ist, die nationalen Behörden an der Anwendung des Wettbewerbsrechts zu beteiligen. Schon in seiner Stellungnahme zum XXIII. Bericht hatte der Ausschuß den Punkt "effizienteres Vorgehen seitens der Mitgliedstaaten" angesprochen. Die Kommission scheint indes eine genaue Verteilung der Aufgaben anzustreben. Dadurch läßt sich allerdings weder das Problem einer unterschiedlichen Handhabung, das sich im Falle des Festhaltens an nur einem Interventionsniveau stellt, noch das Problem der Interessenkonflikte mit nationalen Behörden, zu dem sich der Ausschuß in seiner Stellungnahme zum XXIII. Bericht geäußert hat, aus dem Wege räumen.

    8.2. Hier sind mehr normative Eingriffe seitens der Gemeinschaftsorgane, vor allem seitens der Kommission, in enger Zusammenarbeit mit den Behörden der Mitgliedstaaten, in denen es solche gibt, erforderlich.

    8.3. Der Ausschuß wird sich eingehender mit dieser Materie befassen, sobald die von der Kommission angekündigte diesbezügliche Mitteilung erschienen ist.

    9. Globalisierung und Wettbewerbspolitik

    9.1. Eine Reihe von Entwicklungen, die unter Ziffer 2.4 angeführt wurden, dürften die Tendenz zur Öffnung der Märkte auf kontinentaler Ebene und im Weltmaßstab noch verstärken. Daher ist, wie im XXIV. Bericht hervorgehoben, "auf internationaler Ebene ein Kodex von Wettbewerbsregeln" erforderlich. Für die Anwendung dieser Regeln müssen dann wirksame Instrumente gefunden werden.

    9.2. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, diesen Weg fortzusetzen; er meint allerdings, daß bis zur Festlegung genauer Regeln, was sicherlich lange dauern wird, ein Konsens auf der Grundlage einiger Prinzipien des Wettbewerbs gefunden werden muß.

    9.3. Zu diesen Regeln müssen, zumal im Rahmen der Welthandelsordnung (WTO), Mindestanforderungen hinsichtlich der Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte gehören; sie sollen, wie sie in den IAO-Vereinbarungen vorgesehen sind, nicht dem Protektionismus dienen, sondern dem Ziel weltweiter Fortschritte bei den Bürgerrechten, wie es in der Schlußakte der UNO-Konferenz in Kopenhagen gefordert wird, sowie dem erforderlichen Schutz für das in der EU gültige Sozialmodell. Denn aus diesen internationalen Dokumenten wird ersichtlich, daß Praktiken, bei denen elementare Arbeitnehmerrechte beschnitten werden, eine eindeutige Verletzung der Regeln für den Wettbewerb zwischen den Unternehmen darstellen.

    9.4. Besondere Aufmerksamkeit verdienen in diesem Zusammenhang die Assoziierungsverträge der EU mit den mittel- und osteuropäischen Ländern und ihre Handelspolitik gegenüber diesen Staaten; verhindert werden muß, daß in diesen Ländern bestehende Gefüge von Institutionen, industriepolitische Instrumente und Reglementierungen des Arbeitsangebots, die einer ordnungsgemäßen Wettbewerbspolitik im Wege stehen, den Wettbewerb durcheinanderbringen.

    9.5. In der Zwischenzeit sollten die Anstrengungen fortgesetzt werden, zu bilateralen Abkommen mit den Kartellbehörden der Länder zu gelangen, die wirtschaftlich besonders eng mit der EU verflochten sind. Der Ausschuß fordert die Kommission insbesondere auf, die Zusammenarbeit mit der Antitrust-Behörde in den USA und den entsprechenden Stellen in Kanada und Australien fortzusetzen; andererseits ist er der Ansicht, daß auf die japanische Regierung, mit der der Dialog heute sehr schwierig ist, weiterhin und verstärkt Druck ausgeübt werden sollte.

    9.6. Auf jeden Fall sollte das Verhalten der wichtigsten Handelspartner der EU auch künftig streng überwacht und die Möglichkeit der Kontrolle bestimmter Verhaltensweisen in die bilateralen Abkommen aufgenommen werden.

    10. Die Konsultierungsverfahren

    10.1. Der Ausschuß kann die Entschlossenheit der Kommission, ihre Entscheidungsverfahren transparenter und offener zu gestalten, nur begrüßen; hervorgehoben werden sollte, daß viele Stellungnahmen des WSA diese Verfahren deutlich beeinflußt haben.

    10.2. Hier sind jedoch zwei Bemerkungen angebracht: zum einen sollte die Kommission bei der Anhörung zur Wettbewerbspolitik auch mit den europäischen Gewerkschaftsverbänden und den anderen betroffenen wirtschaftlichen und sozialen Organisationen der EU sowie mit dem Europäischen Büro der Verbraucherverbände (BEUC) und der Vereinigung der Wirtschafts- und Arbeitgeberverbände Europas (UNICE), die darum gebeten haben, in einen Dialog treten.

    10.3. Zweitens könnte der Dialog zwischen der Kommission und dem WSA insbesondere dadurch verbessert werden, daß häufiger von der Möglichkeit Gebrauch gemacht wird, den WSA über die von der GD IV verfolgten Leitlinien zu unterrichten, bevor entsprechende Entscheidungen getroffen und veröffentlicht werden.

    10.4. Was die Beihilfen zur Unternehmensumstrukturierung angeht, so wäre es sinnvoll, die Arbeitnehmervertretungen und die Verbände der Zulieferfirmen nicht nur als "betroffene Dritte" systematisch zu hören. Die Kommission könnte dabei nämlich nicht nur die Meinung einer bei dem jeweiligen Umstrukturierungsvorhaben entscheidenden Partei kennenlernen, sondern auch für die Urteilsbildung nützliche Informationen gewinnen.

    10.5. Der Ausschuß bedauert, daß vor dem jüngsten Abkommen zwischen der Kommission und der US-Kartellbehörde weder der WSA noch die Sozialpartner in ausreichendem Maße konsultiert wurden.

    11. Die wirksame Durchsetzung

    11.1. Die Verfahren der Kommission haben sich - stellt man die Erfordernisse der betroffenen Wirtschaftskreise und sozialen Gruppen in Rechnung - in der Vergangenheit oft als zu langwierig erwiesen. Der Ausschuß fordert die Kommission auf, für mehr Transparenz und eine raschere Abwicklung ihrer Maßnahmen zu sorgen. Angesichts dieses Befunds beansprucht die Kommission mehr Mittel, um ihre Maßnahmen beschleunigen und ausweiten zu können.

    11.2. Der Ausschuß kann nicht umhin anzuerkennen, daß die Kommission ihre Maßnahmen in diesem Bereich quantitativ und qualitativ gesteigert hat. Der Beitritt neuer Mitgliedstaaten, die neuen Rechtsvorschriften und die Globalisierung der Märkte rechtfertigen diesen größeren Einsatz.

    Der Ausschuß ist jedoch der Ansicht, daß zumindest ein Teil dieses zusätzlichen Bedarfs durch vereinfachte Vorschriften und die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips, und zwar über zweckmäßige Lösungen in der Frage der Schwellen, vermieden werden kann.

    11.3. Das setzt voraus, daß in allen Mitgliedstaaten effizient arbeitende Wettbewerbsbehörden eingerichtet werden, deren Aufgabe darin besteht, die Richtlinien der GD IV durchzuführen.

    12. Selbständige Anwendung des Wettbewerbsrechts

    12.1. Die GD IV übt neben ihrer Prüfungs- und Untersuchungsfunktion eine Entscheidungsfunktion aus, und sei es auch nur als Verwaltungsorgan. In manchen europäischen Ländern sind die Kartellämter hingegen von der Exekutivgewalt gänzlich unabhängig.

    12.2. Der Ausschuß nimmt die Vorschläge eines Mitgliedstaates, das gemeinschaftliche Institutionengefüge in diesem Sinne zu ändern, und die diesbezügliche Diskussion innerhalb der EU-Institutionen zur Kenntnis.

    12.3. Er meint allerdings in Übereinstimmung mit der Jahr für Jahr in den Stellungnahmen zu den früheren Berichten verfolgten und in dieser Stellungnahme nochmals nachdrücklich bestätigten Linie, daß die Wettbewerbspolitik im Einklang mit den anderen Politikbereichen der EU stehen und auf die neuen strategischen Ziele abgestimmt werden muß.

    Daher betrachtet er Vorschläge, die darauf abzielen, die administrative Entscheidungsfunktion unabhängig zu machen, als Schritte, die seiner Grundhaltung zuwiderlaufen.

    13. Andere Wettbewerbsstörungen

    13.1. Die Wirksamkeit des Wettbewerbs wird heute von neuartigen Phänomenen beeinträchtigt; der Ausschuß fordert die Kommission auf, diese zu untersuchen, um die geeigneten Instrumente zur Begrenzung oder Verhinderung der dadurch verursachten Schäden zu ermitteln.

    13.2. Der Ausschuß ist der Ansicht, daß die Kommission mindestens zwei Phänomene dieser Art mit besonderer Wachsamkeit verfolgen sollte:

    a)

    die Destabilisierung der Zinsen und Währungen infolge der Spekulation auf den Finanzmärkten;

    b)

    keine Wettbewerbspolitik darf bei Erscheinungen des Sozialdumpings untätig bleiben, die bei fehlenden arbeitsrechtlichen Mindestvorschriften zu Wettbewerbsverzerrungen zwischen strukturschwachen und -starken Gebieten führen können. Diese Gefahr droht vor allem bei weiteren Beitritten zur EG; daher sind die Kapitel zur Sozialpolitik im Vertragskorpus auf kohärente Weise durch Bestimmungen, die in allen Mitgliedstaaten angewendet werden, miteinander zu verbinden, so wie es der Ausschuß in seinen Stellungnahmen zur Sozialpolitik nach dem Vertrag von Maastricht gefordert hat.

    Geschehen zu Brüssel am 22. November 1995.

    Der Präsident

    des Wirtschafts- und Sozialausschusses

    Carlos FERRER

    () Man könnte ihn beispielsweise in die vier folgenden Teile aufspalten: 1. Übersicht, 2. Absprachen und Zusammenschlüsse, 3. Staatliche Beihilfen, 4. Anhänge.

    () ABl. Nr. C 397 vom 31. 12. 1994.

    () ABl. Nr. C 251 vom 27. 9. 1995.

    () ABl. Nr. C 388 vom 31. 12. 1994.

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