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Document 32023H01389

    Empfehlung des Rates vom 12. Juni 2023 zur Stärkung des sozialen Dialogs in der Europäischen Union

    ST/10542/2023/INIT

    ABl. C, C/2023/1389, 6.12.2023, ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2023/1389/oj (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, GA, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

    ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2023/1389/oj

    European flag

    Amtsblatt
    der Europäischen Union

    DE

    Serie C


    C/2023/1389

    6.12.2023

    EMPFEHLUNG DES RATES

    vom 12. Juni 2023

    zur Stärkung des sozialen Dialogs in der Europäischen Union

    (C/2023/1389)

    DER RAT DER EUROPÄISCHEN UNION —

    gestützt auf den Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), insbesondere auf Artikel 292 in Verbindung mit Artikel 153 Absatz 1 Buchstabe f,

    auf Vorschlag der Europäischen Kommission,

    in Erwägung nachstehender Gründe:

    (1)

    In den Schlussfolgerungen vom 24. Oktober 2019 zum Thema „Die Zukunft der Arbeit: Die Europäische Union unterstützt die Erklärung zum hundertjährigen Jubiläum der IAO“ ermutigt der Rat die Mitgliedstaaten, ihre Bemühungen um die Ratifizierung und Anwendung aktueller IAO-Übereinkommen und -Protokolle fortzusetzen. Ferner fordert der Rat die Mitgliedstaaten und die Kommission auf, den sozialen Dialog auf allen Ebenen und in allen seinen Formen, einschließlich der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit, zu verbessern, um eine aktive Beteiligung der Sozialpartner an der Gestaltung der Zukunft der Arbeit und der Schaffung sozialer Gerechtigkeit zu gewährleisten, unter anderem durch die effektive Anerkennung des Rechts auf Kollektivverhandlungen und durch Reflexion über angemessene gesetzliche oder ausgehandelte Mindestlöhne.

    (2)

    In der am 27. Juni 2016 von der Kommission, dem niederländischen Ratsvorsitz und den europäischen Sozialpartnern unterzeichneten gemeinsamen Erklärung mit dem Titel „Ein Neubeginn für den sozialen Dialog“ verpflichten sich die branchenübergreifenden und sektorspezifischen Sozialpartner auf Unionsebene dazu, ihre Bemühungen fortzusetzen und die Notwendigkeit weiterer Maßnahmen in ihren jeweiligen sozialen Dialogen zu evaluieren, damit angeschlossene Verbände, die in den Mitgliedstaaten noch nicht erfasst wurden, erreicht werden und die Mitgliederzahlen und die Repräsentativität sowohl von Gewerkschaften als auch von Arbeitgeberorganisationen verbessert werden.

    (3)

    Nach Grundsatz 8 der europäischen Säule sozialer Rechte sollen die Sozialpartner bei der Konzeption und Umsetzung der Wirtschafts-, Beschäftigungs- und Sozialpolitik gemäß den nationalen Verfahren angehört werden. Zudem sollen sie darin bestärkt werden, Kollektivverträge über sie betreffende Fragen auszuhandeln und zu schließen, und zwar unter Wahrung ihrer Autonomie und des Rechts, Kollektivmaßnahmen zu ergreifen. Außerdem soll, gemäß der Säule Soziale Rechte die Unterstützung für bessere Fähigkeiten der Sozialpartner gefördert werden, um den sozialen Dialog voranzubringen. Mit der Erklärung von Porto für soziales Engagement (1) wurden darüber hinaus alle einschlägigen Akteure aufgefordert, den autonomen sozialen Dialog als strukturierende Komponente des europäischen Sozialmodells zu fördern und ihn auf europäischer, nationaler, regionaler, Branchen- und Unternehmensebene zu stärken, wobei ein besonderer Schwerpunkt auf der Schaffung günstiger Rahmenbedingungen für Tarifverhandlungen innerhalb der verschiedenen Modelle in den Mitgliedstaaten liegen sollte.

    (4)

    Das Europäische Parlament betont in seiner Entschließung vom 19. Januar 2017 zu einer europäischen Säule sozialer Rechte, wie wichtig das Recht auf Tarifverhandlungen und Arbeitskampfmaßnahmen als im Primärrecht der Union verankertes Grundrecht ist. Ferner erwartet das Europäische Parlament, dass die Kommission konkrete Unterstützungsmaßnahmen für eine Stärkung und Achtung des sozialen Dialogs auf allen Ebenen und in allen Sektoren, insbesondere dort, wo er nicht ausreichend entwickelt ist, intensiviert und dabei unterschiedliche nationale Gepflogenheiten berücksichtigt werden. In der Entschließung vom 10. Oktober 2019 zur Beschäftigungs- und Sozialpolitik des Euro-Währungsgebiets stellt das Europäische Parlament fest, dass der soziale Dialog und Kollektivverhandlungen unabdingbar für die Konzipierung und Umsetzung politischer Maßnahmen sind, mit denen die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen verbessert werden können, und fordert eine abgestimmte Initiative der Union, damit Tarifverträge auch für auf Online-Plattformen tätige Personen gelten. Des Weiteren fordert das Europäische Parlament die Mitgliedstaaten auf, die Möglichkeiten für Tarifverhandlungen erforderlichenfalls auszuweiten.

    (5)

    In Leitlinie 7 des Beschlusses (EU) 2022/2296 (2) des Rates werden die Mitgliedstaaten unter anderem dazu aufgerufen, mit den Sozialpartnern auf faire, transparente und verlässliche Arbeitsbedingungen hinzuwirken und dabei auf ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Rechten und Pflichten zu achten; außerdem sollen sie dafür sorgen, dass die Sozialpartner rechtzeitig und sinnvoll in die Gestaltung und Umsetzung von beschäftigungs-, sozial- und gegebenenfalls auch wirtschaftspolitischen Reformen und Maßnahmen eingebunden werden, auch indem sie den Ausbau der Kapazitäten der Sozialpartner unterstützen. Ferner werden die Mitgliedstaaten in der genannten Leitlinie aufgefordert, den sozialen Dialog und Kollektivverhandlungen zu fördern und die Sozialpartner darin zu bestärken, Kollektivverträge über sie betreffende Fragen auszuhandeln und zu schließen, und zwar unter uneingeschränkter Wahrung ihrer Autonomie und des Rechts, Kollektivmaßnahmen zu ergreifen. Im Jahreswachstumsbericht 2019 (3) wird betont, dass in einem Kontext rückläufiger Tarifbindung Maßnahmen zur Stärkung der institutionellen Kapazitäten der Sozialpartner in Ländern, in denen der soziale Dialog schwach ausgeprägt ist oder durch die Wirtschafts- und Finanzkrise negativ beeinflusst wurde, von Nutzen sein könnten. Im Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2022 (4) heißt es, dass die systematische Einbeziehung von Sozialpartnern und anderen relevanten Interessenträgern für die erfolgreiche Koordinierung und Umsetzung der Wirtschafts- und Beschäftigungspolitik von entscheidender Bedeutung ist. Während in einigen Mitgliedstaaten die Sozialpartner eine wichtige Rolle spielen und angemessen an der Politikgestaltung und -umsetzung beteiligt sind, wurden anderen Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Semesters länderspezifische Empfehlungen gegeben, um den sozialen Dialog zu verbessern und die Sozialpartner in die Gestaltung und/oder Umsetzung von Reformen einzubeziehen.

    (6)

    Die Kommission kündigte in ihrem Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte (5) eine Initiative zur Unterstützung des sozialen Dialogs auf Unionsebene und auf nationaler Ebene an. Zudem wird in diesem Aktionsplan betont, dass der soziale Dialog auf nationaler Ebene und auf Unionsebene gestärkt werden muss und verstärkte Anstrengungen erforderlich sind, um die Tarifabdeckung zu unterstützen und zu verhindern, dass die Mitgliederzahl und die Organisationsdichte der Sozialpartner abnehmen.

    (7)

    Der soziale Dialog, einschließlich Tarifverhandlungen, ist ein entscheidendes und nützliches Instrument für eine gut funktionierende soziale Marktwirtschaft, durch das wirtschaftliche und soziale Resilienz, Wettbewerbsfähigkeit, Stabilität, nachhaltiges und inklusives Wachstum sowie Entwicklung gefördert werden. Der soziale Dialog spielt auch eine wichtige Rolle bei der Gestaltung der Zukunft der Arbeit unter Berücksichtigung besonderer Trends in den Bereichen Globalisierung, Technologie, Demografie und Klimawandel. Mitgliedstaaten mit robusten Rahmenbedingungen für den sozialen Dialog und hoher tarifvertraglicher Abdeckung verfügen tendenziell über wettbewerbsfähigere und widerstandsfähigere Volkswirtschaften.

    (8)

    Die Erfahrung zeigt, dass der soziale Dialog zu einem wirksamen Krisenmanagement beiträgt. Volkswirtschaften zeigten nach der Krise von 2008 ein höheres Maß an Resilienz, wenn die Sozialpartner in der Lage waren, die Tarifverhandlungsstrukturen frühzeitig zu verwalten und anzupassen. In der COVID-19-Krise wurde deutlich, dass der soziale Dialog ein wesentliches Instrument für ein ausgewogenes Krisenmanagement und die Ermittlung wirksamer Schadensbegrenzungs- und Erholungsmaßnahmen ist. Der grundlose und ungerechtfertigte Angriffskrieg der Russischen Föderation gegen die Ukraine hat nicht nur eine humanitäre Krise ausgelöst, sondern auch zu einem beispiellosen Anstieg der Nahrungsmittel- und Energiepreise geführt. Die Sozialpartner spielen eine wichtige Rolle bei der Bewältigung einiger dieser Herausforderungen, insbesondere dabei, die Menschen, die vor dem Krieg in der Ukraine und anderen Konflikten fliehen, in den Arbeitsmarkt der Union zu integrieren und nachhaltige Lösungen für die Anpassung von Löhnen und Tarifverträgen zu finden.

    (9)

    Die laufenden technologischen Veränderungen, die zunehmende Automatisierung und der grüne Wandel hin zur Klimaneutralität schreiten in der gesamten Wirtschaft rasch voran und wirken sich unterschiedlich auf die einzelnen Sektoren, Berufszweige, Regionen und Länder aus. Den Sozialpartnern kommt eine entscheidende Rolle zu, wenn es darum geht, die beschäftigungspolitischen und sozialen Folgen der wirtschaftlichen Umstrukturierung und des grünen und des digitalen Wandels durch Dialog, Verhandlungen und gegebenenfalls gemeinsame Maßnahmen zu antizipieren, abzumildern und anzugehen. Im Zusammenhang mit dem europäischen Grünen Deal und dem RePowerEU-Plan werden die Mitgliedstaaten in der Empfehlung des Rates zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität (6) aufgefordert, gegebenenfalls in enger Zusammenarbeit mit den Sozialpartnern umfassende und kohärente Maßnahmenpakete anzunehmen und umzusetzen, um einen gesamtgesellschaftlichen Ansatz zu verfolgen und öffentliche wie private Mittel optimal zu nutzen.

    (10)

    Die Regelungen für den sozialen Dialog und seine Verfahren sind entsprechend den jeweiligen historischen, institutionellen, wirtschaftlichen und politischen Gegebenheiten von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden. Ein wirksamer sozialer Dialog impliziert mitunter, dass es Modelle für Arbeitsbeziehungen gibt, bei denen die Sozialpartner nach Treu und Glauben verhandeln und ihre Praxis bei Tarifverhandlungen und Arbeitnehmerbeteiligung autonom gestalten können. Zu den Voraussetzungen für einen gut funktionierenden sozialen Dialog gehören starke, unabhängige Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen, die über angemessene technische Kapazitäten verfügen, Zugang zu relevanten Informationen, die für die Mitwirkung am sozialen Dialog erforderlich sind, Bereitschaft aller Parteien zur Teilnahme am sozialen Dialog, Achtung des grundlegenden Rechts auf Vereinigungsfreiheit und auf Kollektivverhandlungen, Verfügbarkeit angemessener institutioneller Unterstützung und Achtung der Autonomie der Sozialpartner.

    (11)

    Der soziale Dialog umfasst sowohl drei- als auch zweigliedrige Konsultationen und Verhandlungen, im privaten und im öffentlichen Sektor, auf allen Ebenen, einschließlich des Dialogs auf branchenübergreifender, sektorspezifischer sowie unternehmensspezifischer sowie nationaler, regionaler oder lokaler Ebene. Der nationale dreigliedrige soziale Dialog bringt Regierungen, Arbeitnehmer und Arbeitgeber zusammen, um politische Maßnahmen, Gesetze und Regelungen sowie andere Entscheidungen, die die Sozialpartner betreffen, zu erörtern. Durch dreigliedrige Konsultationen kann eine engere Zusammenarbeit der drei Parteien sichergestellt und ein Konsens über die einschlägigen nationalen Maßnahmen herbeigeführt werden. Ein dreigliedriger Ansatz muss sich auf einen starken zweigliedrigen sozialen Dialog stützen. Zur Stärkung der dreigliedrigen Prozesse ist es von entscheidender Bedeutung, dass die Regierungen die Politikgestaltung, unter anderem in Bezug auf die Qualität und die Arbeitsmarktrelevanz von Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten, transparenter machen.

    (12)

    Zweigliedrige Verhandlungen, insbesondere Tarifverhandlungen, finden zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberorganisationen gemäß den nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten statt. Bei einer Arbeitnehmerorganisation handelt es sich in der Regel um eine Gewerkschaft, die aus dem Zusammenschluss von Arbeitnehmern und/oder anderen Gewerkschaften hervorgegangen ist, mit dem Ziel, die Interessen der Arbeitnehmer im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zu unterstützen und zu verteidigen. Eine Arbeitgeberorganisation ist eine Organisation, deren Mitglieder einzelne Arbeitgeber und/oder Arbeitgeberverbände sind, mit dem Ziel, die Interessen ihrer Mitglieder im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten zu unterstützen und zu verteidigen.

    (13)

    Gemäß dem Übereinkommen Nr. 135 der Internationalen Arbeitsorganisation, das von 24 Mitgliedstaaten ratifiziert wurde, gelten als Arbeitnehmervertreter Personen, die aufgrund der innerstaatlichen Gesetzgebung oder Praxis als solche anerkannt sind, und zwar „Gewerkschaftsvertreter“, d. h. von Gewerkschaften oder von deren Mitgliedern bestellte oder gewählte Vertreter, oder „gewählte Vertreter“ d. h. Vertreter, die von den Arbeitnehmern des Betriebs im Einklang mit Bestimmungen der nationalen Gesetzgebung oder von Gesamtarbeitsverträgen frei gewählt werden und deren Funktionen sich nicht auf Tätigkeiten erstrecken, die in dem betreffenden Land als ausschließliches Vorrecht der Gewerkschaften anerkannt sind. Sind in einem Betrieb sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch gewählte Vertreter tätig, so sollte das Vorhandensein gewählter Vertreter nicht dazu benutzt werden, die Stellung der beteiligten Gewerkschaften oder ihrer Vertreter zu untergraben. Die Zusammenarbeit zwischen den gewählten Vertretern und den beteiligten Gewerkschaften bzw. ihren Vertretern sollte gefördert werden.

    (14)

    Die gegenseitige Anerkennung unter den Sozialpartnern, wie auch die gesetzliche Anerkennung von Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen durch die Behörden der einzelnen Mitgliedstaaten, ist für einen zielführenden Tarifverhandlungsrahmen ausschlaggebend, vorausgesetzt, dass die Arbeitgeber und Arbeitnehmer frei entscheiden können, von welcher Organisation oder von welchen Organisationen sie vertreten werden. In manchen Mitgliedstaaten werden nur Organisationen anerkannt, die bestimmte Repräsentativitätskriterien erfüllen. Solche Kriterien sollten objektiv und verhältnismäßig sein und in Absprache mit den Sozialpartnern festgelegt werden. Sie sollten in einem offenen und transparenten Genehmigungsverfahren bewertet werden, das einer vollen Entfaltung der Tarifverhandlungen nicht entgegensteht. Gibt es keine gewerkschaftliche Vertretung auf Unternehmensebene, können Tarifverträge von den Vertretern der Arbeitnehmer ausgehandelt und geschlossen werden, die von diesen im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten frei gewählt und dazu ermächtigt worden sind.

    (15)

    Bei Tarifverhandlungen kann es um Fragen, die die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen betreffen, unter anderem Bezahlung, Arbeitszeit, Jahresprämien, Jahresurlaub, Elternurlaub, Aus- und Fortbildung, Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz, sowie auch um andere Angelegenheiten, die für die Sozialpartner relevant sind, gehen. Tarifverhandlungen sind daher sehr wichtig, um Arbeitskonflikte zu verhindern, angemessene Löhne sowie bessere Arbeitsbedingungen zu erreichen und Lohnungleichheiten abzubauen. Tarifverhandlungen sind ein entscheidendes Instrument, das Arbeitnehmern und Arbeitgebern dabei hilft, sich an die sich wandelnde Arbeitswelt anzupassen. Zudem sind sie von entscheidender Bedeutung, um auf die Konzeption und Definition neuer Aspekte des Arbeitsschutzes, beispielsweise des Rechts auf Nichterreichbarkeit, Einfluss zu nehmen bzw. bestehende Aspekte, wie Chancengleichheit, Schutz vor Gewalt und Belästigung am Arbeitsplatz, Aus- und Fortbildung sowie lebenslanges Lernen, Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben und Maßnahmen zum Schutz der psychischen Gesundheit, zu verbessern. Auch bei der Bewältigung der Auswirkungen unerwarteter Krisen wie der COVID-19-Pandemie kommt Tarifverhandlungen eine zentrale Rolle zu.

    (16)

    Das Funktionieren eines Tarifverhandlungssystems wird durch eine Kombination von Elementen bestimmt, darunter die Anwendung von Erga-omnes-Klauseln und Erweiterungen von Tarifverträgen und ihrer durchschnittlichen Laufzeit, die Anwendung des Günstigkeitsprinzips, die Normenhierarchie und die Anwendung von Abweichungen, entweder von Tarifverträgen oder von Rechtsvorschriften, sowie der Organisationsgrad der Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen. Es gibt große Unterschiede in der Art und Weise, wie die Mitgliedstaaten Erga-omnes-Klauseln und administrative Erweiterungen gemäß ihren jeweiligen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten handhaben. Ein gut funktionierendes Tarifverhandlungssystem umfasst die Achtung der Autonomie der Sozialpartner, Verfahren für die Zusammenarbeit, Informationsaustausch und Beilegung von Streitigkeiten zwischen Parteien.

    (17)

    Tarifverhandlungen können auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Die Verhandlungen können entweder stark dezentralisiert geführt werden – sie finden dann vor allem auf Unternehmensebene statt – oder stark zentralisiert, auf nationaler Ebene, oder aber auf einer mittleren Ebene, d. h. auf Branchen- oder regionaler oder lokaler Ebene. Tarifverhandlungen erfolgen immer häufiger auf mehr als einer Ebene. In einigen Fällen richten sich Branchen- oder Unternehmenstarifverträge an Leitlinien von höherrangigen Organisationen aus, wobei in anderen Fällen Branchen oder Unternehmen den Standards einer anderen Branche folgen. Die Koordinierung über mehrere Verhandlungsebenen ist daher eine zentrale Säule der Tarifverhandlungssysteme.

    (18)

    In den meisten Mitgliedstaaten sind vornehmlich Arbeitnehmer mit unbefristeten Arbeitsverträgen sowie Arbeitnehmer, die in größeren Unternehmen oder in bestimmten Branchen wie dem öffentlichen Sektor tätig sind, tarifvertraglich abgesichert. Generell ist die Wahrscheinlichkeit, dass Arbeitnehmer in kleinen Unternehmen tarifvertraglich abgesichert sind, geringer, da diese Unternehmen häufig nicht über die Kapazitäten verfügen, einen Unternehmenstarifvertrag auszuhandeln, oder weil es keine gewerkschaftliche Organisation oder andere Form der Arbeitnehmervertretung am Arbeitsplatz gibt. In atypischen Beschäftigungsverhältnissen gestaltet sich die Organisation der Arbeitnehmer besonders schwierig, und bei den meisten neueren Formen der Beschäftigung besteht ein Mangel an Vertretungen. Dass es erheblich an Vertretungen für diese Arbeitnehmer mangelt, liegt einerseits an den Kosten einer solchen Vertretung und andererseits an der Flexibilität, die in Bezug auf Arbeitszeiten und -ort herrscht, was es Arbeitnehmervertretern erschwert, diese eher fragmentierte Gruppe von Arbeitnehmern zu organisieren. Verfügten die Sozialpartner über mehr Kapazitäten, so könnten sie noch besser zur Politikgestaltung beitragen und den sozialen Dialog sowie die Kapazitäten für Tarifverhandlungen noch wirksamer gestalten. Maßnahmen zum Kapazitätsaufbau helfen den Sozialpartnern in der Regel dabei, ihre Mitgliederbasis zu erweitern, unter anderem durch den Einsatz von Technologie und die Bereitstellung neuer Dienstleistungen und Aktionen in Schulen oder Hochschulen, sich personell und verwaltungstechnisch besser aufzustellen, ihre verfahrensorientierten Kapazitäten zu stärken und ihre organisatorische Entwicklung voranzutreiben. Solche Maßnahmen umfassen spezielle Schulungsmaßnahmen, technische und logistische Unterstützung sowie finanzielle Förderung. Der Kapazitätsaufbau ist in erster Linie ein Bottom-up-Prozess, der vom Willen und von den Bemühungen der Sozialpartner selbst abhängt, da diese am besten in der Lage sind, ihren Bedarf zu ermitteln und aufzuzeigen, welche Maßnahmen sie zum Ausbau ihrer Kapazitäten bereits ergreifen. Diese Bemühungen können dann von den Behörden ergänzt bzw. unterstützt werden, ebenso wie durch die Nutzung von Unionsmitteln, wobei die Autonomie der Sozialpartner zu achten ist.

    (19)

    Einige Mitgliedstaaten haben Maßnahmen ergriffen, um den sozialen Dialog und Tarifverhandlungen wie folgt zu fördern: Erweiterung der Möglichkeiten zum sozialen Dialog; Stärkung der Autonomie der Sozialpartner und stärkere Achtung ihrer Vertragsfreiheit; Förderung von gemeinsamen Stellungnahmen, Programmen und Projekten; Zusammenarbeit im Sinne eines regelmäßigen Austauschens von Informationen; Förderung von Verhandlungsschulungen; Bereitstellung alternativer Streitbeilegungsmechanismen wie Schlichtungs-, Mediations- oder Schiedsverfahren und Verstärkung des Schutzes der Arbeitnehmer vor Vergeltungsmaßnahmen oder Diskriminierung infolge ihrer Beteiligung an Tätigkeiten im Bereich der Tarifverhandlungen.

    (20)

    In vielen Mitgliedstaaten steht der soziale Dialog jedoch unter Druck. Während der Organisationsgrad der Arbeitgeber zwar in mehreren Mitgliedstaaten rückläufig, aber dennoch relativ stabil geblieben ist, nimmt der gewerkschaftliche Organisationsgrad im Durchschnitt in der gesamten Union weiter ab. Darüber hinaus ist der Anteil der Arbeitnehmer, die durch Tarifverträge abgesichert sind (tarifvertragliche Abdeckung), in den meisten Mitgliedstaaten gering, und trotz verschiedener Bemühungen, die seitens der Gewerkschaften unternommen werden, ihre Reichweite auf atypische Beschäftigungsformen auszudehnen, ist dieser Anteil in den letzten 30 Jahren erheblich zurückgegangen. In manchen Fällen weisen die bestehenden Vorschriften möglicherweise Lücken auf, die sich nachteilig auf den sozialen Dialog auswirken könnten. Diese können Folgendes umfassen: strenge Bedingungen hinsichtlich der Repräsentativität; Einmischung in den Verhandlungsprozess oder unangemessene Einschränkungen der Tarifverhandlungsthemen; eine unsachgemäße Abgrenzung der Wirtschaftssektoren, die die Bildung von Tarifverhandlungsstrukturen auf Branchenebene verhindert; fehlende Durchsetzung von Tarifverträgen; unwirksamer Schutz vor gewerkschaftsfeindlicher Diskriminierung; unwirksame Konsultationsverfahren; fehlendes konstruktives Verhalten bei Verhandlungen und mangelnde Fähigkeit, Verhandlungen zu führen oder sich uneingeschränkt an Konsultationsverfahren zu beteiligen.

    (21)

    Ferner müssen die Repräsentativität und die Kapazitäten der nationalen Sozialpartner gestärkt werden, damit auf Unionsebene geschlossene autonome Sozialpartnervereinbarungen auf nationaler Ebene besser umgesetzt werden können. Deshalb sollte insbesondere dafür gesorgt werden, dass günstige Rahmenbedingungen für den sozialen Dialog sowie für Tarifverhandlungen geschaffen werden und dass die nationalen Sozialpartner über ausreichende Kapazitäten verfügen, um wirksam zur Arbeit im Rahmen des sozialen Dialogs auf Unionsebene beizutragen und die von den auf Unionsebene tätigen Sozialpartnern unterzeichneten Rahmenvereinbarungen auf nationaler Ebene umzusetzen.

    (22)

    In der Richtlinie 2014/24/EU über die öffentliche Auftragsvergabe (7), der Richtlinie 2014/25/EU über die Vergabe von Aufträgen durch Auftraggeber im Bereich der Wasser-, Energie- und Verkehrsversorgung sowie der Postdienste (8) und der Richtlinie 2014/23/EU über die Konzessionsvergabe (9) werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, das Vereinigungsrecht und das Recht auf Kollektivverhandlungen gemäß dem IAO-Übereinkommen Nr. 87 über die Vereinigungsfreiheit und den Schutz des Vereinigungsrechts und dem IAO-Übereinkommen Nr. 98 über das Vereinigungsrecht und das Recht zu Kollektivverhandlungen zu achten.

    (23)

    Der Gerichtshof der Europäischen Union hat entschieden, dass ein Tarifvertrag, der für selbstständige Dienstleistungserbringer gilt, als Ergebnis eines Dialogs zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern angesehen werden kann, wenn die Dienstleistungserbringer „Scheinselbstständige“ sind, d. h. sich in einer vergleichbaren Situation wie Arbeitnehmer befinden (10). Zudem hat der Gerichtshof bestätigt, dass es „in der heutigen Wirtschaft nicht immer leicht [ist], zu bestimmen, ob bestimmte selbstständige Leistungserbringer […] Unternehmensstatus haben“ (11).

    (24)

    In ihren Leitlinien zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen (12) stellt die Kommission klar, dass aus ihrer Sicht Tarifverträge von Solo-Selbstständigen, die sich in einer vergleichbaren Situation wie Arbeitnehmer befinden, nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 101 AEUV fallen und die Kommission nicht gegen Tarifverträge von Solo-Selbstständigen vorgehen wird, die ein Ungleichgewicht der Verhandlungsmacht gegenüber ihrer/ihren Gegenpartei/en aufweisen.

    (25)

    In der Verordnung (EU) 2021/1057 des Europäischen Parlaments und des Rates (13) wird an der Verpflichtung der Mitgliedstaaten festgehalten, für eine sinnvolle Beteiligung der Sozialpartner an der Umsetzung der aus dem Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) geförderten politischen Maßnahmen zu sorgen, und ihre Pflicht verschärft, die Sozialpartner beim Kapazitätsaufbau zu unterstützen. So sollen die Mitgliedstaaten gegebenenfalls einen angemessenen Betrag der ESF+-Mittel für den Kapazitätsaufbau der Sozialpartner und der Zivilgesellschaft bereitstellen. Gemäß Artikel 9 der Verordnung sollen Mitgliedstaaten, die im Rahmen des Europäischen Semesters eine länderspezifische Empfehlung in diesem Bereich erhalten haben, mindestens 0,25 % ihrer ESF+-Mittel mit geteilter Mittelverwaltung für diesen Zweck bereitstellen.

    (26)

    Die vorliegende Empfehlung trägt zur Umsetzung von Grundsatz 8 der europäischen Säule sozialer Rechte bei. Mit ihr werden Maßnahmen gefördert, die an die nationalen Traditionen, Vorschriften und Verfahren angepasst sind, sodass den nationalen Besonderheiten und der Autonomie der Sozialpartner Rechnung getragen wird. Diese Empfehlung ergänzt auf Unionsebene bestehende Instrumente und lässt sie unberührt. Zudem berücksichtigt die vorliegende Empfehlung die spezifischen Gegebenheiten der Mitgliedstaaten und erkennt an, dass die Wahl von Einzelmaßnahmen zu ihrer Umsetzung von diesen Gegebenheiten bestimmt sein kann.

    (27)

    Diese Empfehlung darf unter keinen Umständen als Rechtfertigung dafür angeführt werden, die in den Mitgliedstaaten bereits laufende Unterstützung für den sozialen Dialog, einschließlich Tarifverhandlungen, einzuschränken. Dieses Empfehlung hindert die Mitgliedstaaten auch nicht daran, dezidiertere Unterstützungsmaßnahmen und weitergehende Bestimmungen für den sozialen Dialog, einschließlich Tarifverhandlungen, als die, die in dieser Empfehlung vorgesehen sind, einzuführen.

    (28)

    Diese Empfehlung lässt die Zuständigkeiten der Mitgliedstaaten in Bezug auf das Arbeitsentgelt, das Koalitionsrecht, das Streikrecht und das Aussperrungsrecht im Einklang mit Artikel 153 Absatz 5 AEUV sowie die Autonomie der Sozialpartner unberührt —

    HAT FOLGENDE EMPFEHLUNG ABGEGEBEN:

    BEGRIFFSBESTIMMUNGEN

    Für die Zwecke dieser Empfehlung bezeichnet der Ausdruck

    1.

    „Sozialer Dialog“ alle Arten von Verhandlungen, Konsultationen oder Informationsaustausch zwischen oder unter Vertretern von Regierungen, Arbeitgebern und Arbeitnehmern zu wirtschafts- beschäftigungs- und sozialpolitischen Fragen von gemeinsamem Interesse, die in zweigliedrigen Beziehungen zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertretern, unter anderem bei Tarifverhandlungen, oder in einem dreigliedrigen Prozess unter Beteiligung der Regierung als offizieller Dialogpartei erfolgen und die informell, institutionalisiert oder in einer Kombination aus beiden Formen geführt werden können und auf nationaler, regionaler, lokaler oder Unternehmensebene branchen- oder sektorenübergreifend oder auf mehreren dieser Ebenen zugleich stattfinden;

    2.

    „Kollektivverhandlungen“ bzw. „Tarifverhandlungen“ alle Verhandlungen im Einklang mit den nationalen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten in jedem Mitgliedstaat zwischen einem Arbeitgeber, einer Gruppe von Arbeitgebern oder einer oder mehreren Arbeitgeberorganisationen einerseits und einer oder mehreren Gewerkschaften andererseits zur Festlegung der Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen;

    3.

    „Kollektivvertrag“ bzw. „Tarifvertrag“ eine schriftliche Vereinbarung über Bestimmungen zu Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen, die von den Sozialpartnern geschlossen wird, die gemäß dem nationalen Recht und im Einklang mit den nationalen Gepflogenheiten im Namen von Arbeitnehmern bzw. Arbeitgebern Verhandlungen führen können, einschließlich jener, die für allgemein verbindlich erklärt werden;

    4.

    „Kapazitätsaufbau“ die Stärkung der Kompetenzen, Fähigkeiten und Befugnisse der Sozialpartner für deren wirksame Beteiligung auf verschiedenen Ebenen am sozialen Dialog.

    DER RAT EMPFIEHLT DEN MITGLIEDSTAATEN, IM EINKLANG MIT IHREN NATIONALEN RECHTSVORSCHRIFTEN UND/ODER GEPFLOGENHEITEN, NACH ANHÖRUNG VON UND IN ENGER ZUSAMMENARBEIT MIT DEN SOZIALPARTNERN UND UNTER WAHRUNG IHRER AUTONOMIE,

    1.

    günstige Rahmenbedingungen für einen zweigliedrigen und dreigliedrigen sozialen Dialog, einschließlich Tarifverhandlungen, im öffentlichen und privaten Sektor auf allen Ebenen zu schaffen, wie in dieser Empfehlung ausgeführt, die

    a)

    das grundlegende Recht auf Vereinigungsfreiheit und auf Kollektivverhandlungen achten,

    b)

    starke, unabhängige Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen hervorbringen, mit dem Ziel, substanziellen sozialen Dialog zu fördern,

    c)

    Maßnahmen zur Stärkung der Kapazitäten von Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen umfassen,

    d)

    Zugang zu den für die Teilnahme am sozialen Dialog erforderlichen Informationen gewährleisten,

    e)

    die Beteiligung aller Parteien am sozialen Dialog fördern,

    f)

    dem digitalen Zeitalter angepasst sind und Tarifverhandlungen in der neuen Arbeitswelt sowie einen fairen und gerechten Übergang zur Klimaneutralität fördern und

    g)

    angemessene institutionelle Unterstützung bereitstellen, mit dem Ziel, substanziellen sozialen Dialog zu fördern;

    2.

    die Sozialpartner systematisch, sinnvoll und rechtzeitig in die Gestaltung und Umsetzung von beschäftigungs-, sozial- und gegebenenfalls wirtschaftspolitischen sowie anderen Maßnahmen einzubeziehen, auch im Rahmen des Europäischen Semesters;

    3.

    sicherzustellen, dass die Sozialpartner Zugang zu den relevanten Informationen über die allgemeine sozio-ökonomische Lage ihres Mitgliedstaats sowie über die diesbezügliche Lage und die politischen Maßnahmen in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich haben, die für eine Beteiligung am sozialen Dialog und an Tarifverhandlungen erforderlich sind;

    4.

    dafür zu sorgen, dass repräsentative Arbeitgeberorganisationen und Gewerkschaften für die Zwecke des soziales Dialogs und der Tarifverhandlungen anerkannt werden, indem beispielsweise

    a)

    sichergestellt wird, dass, wenn die zuständigen Behörden Anerkennungs- und Repräsentativitätsverfahren anwenden, um festzulegen, welche Organisationen Tarifverhandlungen führen dürfen, solche Festlegungen offen und transparent sind sowie auf vorab definierten und objektiven Kriterien in Bezug auf die repräsentativen Eigenschaften jener Organisationen beruhen, und dass solche Kriterien und Verfahren in Absprache mit den Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen aufgestellt werden,

    b)

    nötigenfalls geeignete Maßnahmen ergriffen werden, wenn in einem Betrieb sowohl Gewerkschaftsvertreter als auch gewählte Vertreter tätig sind, um zu gewährleisten, dass das Vorhandensein gewählter Vertreter nicht dazu benutzt wird, die Stellung der beteiligten Gewerkschaften oder ihrer Vertreter zu untergraben, und

    c)

    gewährleistet wird, dass ihre besondere Rolle in den Strukturen und Verfahren des sozialen Dialogs vollständig anerkannt und geachtet wird, wobei zu berücksichtigen ist, dass der Dialog, der einen größeren Kreis von Interessenträgern umfasst, ein gesonderter Prozess ist;

    5.

    den Schutz der Arbeitnehmer, Mitglieder von Gewerkschaften und ihrer Vertreter bei der Ausübung ihres Rechts auf Tarifverhandlungen vor allen Maßnahmen zu garantieren, die für sie nachteilig sein oder sich negativ auf ihre Beschäftigung auswirken könnten. Arbeitgeber und ihre Vertreter sollten bei der Ausübung ihres Rechts auf Tarifverhandlungen vor unrechtmäßigen Maßnahmen geschützt sein;

    6.

    das Vertrauen in die Sozialpartner sowie zwischen diesen zu stärken, unter anderem durch Förderung von Mechanismen zur Beilegung von Arbeitsstreitigkeiten, unbeschadet des Rechts auf Zugang zu angemessenen Verwaltungs- und Gerichtsverfahren zur Durchsetzung gesetzlich oder tarifvertraglich vorgesehener Rechte und Pflichten und unter Berücksichtigung der von den Sozialpartnern festgelegten Verfahren, wie

    a)

    die Nutzung von Schlichtungs-, Mediations- und Schiedsverfahren mit Zustimmung beider Parteien, im Hinblick darauf, die Verhandlungen zu erleichtern und die Anwendung von Tarifverträgen zu verbessern, und

    b)

    die Einrichtung – sofern dies noch nicht geschehen ist – einer Mediationsfunktion, die im Falle eines Konflikts zwischen den Gewerkschaften und Arbeitgeberorganisationen eingeschaltet werden kann;

    7.

    Tarifverhandlungen auf allen geeigneten Ebenen zu ermöglichen und die Koordinierung auf und zwischen diesen Ebenen zu fördern;

    8.

    sich für eine höheres Niveau an tarifvertraglicher Abdeckung einzusetzen und wirksame Tarifverhandlungen zu ermöglichen, unter anderem durch

    a)

    Beseitigung institutioneller oder rechtlicher Hindernisse für den sozialen Dialog und Tarifverhandlungen, auch für neue Beschäftigungsformen oder atypische Beschäftigungsverhältnisse,

    b)

    Gewährleistung der Freiheit der Verhandlungsparteien, innerhalb des anwendbaren rechtlichen Rahmens, über die zu verhandelnden Fragen zu entscheiden,

    c)

    Umsetzung eines gemäß den nationalen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten entweder gesetzlich vorgesehenen oder im Rahmen von Tarifverträgen vereinbarten Systems zur Durchsetzung von Tarifverträgen, gegebenenfalls einschließlich Inspektionen und Sanktionen;

    9.

    die Vorteile und den Mehrwert von sozialem Dialog und Tarifverhandlungen insbesondere durch gezielte Kommunikation und andere Mittel aktiv zu propagieren und die Sozialpartner dazu anzuhalten, Tarifverträge, auch auf digitalem Wege sowie in öffentlichen Registern, weithin zugänglich zu machen;

    10.

    die nationalen Sozialpartner auf deren Ersuchen dabei zu unterstützen, sich wirksam am sozialen Dialog, einschließlich an Tarifverhandlungen und an der Umsetzung von auf Unionsebene geschlossenen autonomen Sozialpartnervereinbarungen zu beteiligen, unter anderem durch folgende Maßnahmen:

    a)

    Förderung des Auf- und Ausbaus ihrer Kapazitäten auf allen Ebenen entsprechend ihrem jeweiligen Bedarf,

    b)

    Rückgriff auf verschiedene Formen der Unterstützung, beispielsweise einschließlich logistischer Unterstützung, Schulungen und Bereitstellung von rechtlichem und technischem Fachwissen,

    c)

    Förderung gemeinsamer Projekte der Sozialpartner in verschiedenen relevanten Bereichen, wie z. B. Bereitstellung von Schulungsmaßnahmen,

    d)

    Ermutigung der Sozialpartner und nötigenfalls Unterstützung dabei, Initiativen vorzuschlagen und neue, innovative Ansätze und Strategien zu entwickeln, um ihre Repräsentativität und Mitgliederzahl zu erhöhen,

    e)

    Unterstützung der Sozialpartner bei der Anpassung ihrer Tätigkeiten an das digitale Zeitalter sowie bei der Ermittlung neuer Tätigkeiten, die mit der Zukunft der Arbeit, dem grünen und dem demografischen Wandel und veränderten Arbeitsmarktbedingungen vereinbar sind,

    f)

    Förderung der Gleichstellung der Geschlechter und der Chancengleichheit für alle im Hinblick auf Vertretung und thematische Prioritäten,

    g)

    Förderung und Erleichterung ihrer Zusammenarbeit mit den auf Unionsebene tätigen Sozialpartnern,

    h)

    angemessene Unterstützung bei der Umsetzung der auf Unionsebene geschlossenen Sozialpartnervereinbarungen in den Mitgliedstaaten,

    i)

    bestmögliche Nutzung der Mittel auf nationaler und Unionsebene, sofern verfügbar, einschließlich Unterstützung im Rahmen des ESF+ und des Instruments für technische Unterstützung, und Bestärkung der Sozialpartner darin, vorhandene nationale Mittel und Unionsmittel in Anspruch zu nehmen;

    11.

    der Kommission bis zum 7. Dezember 2025 eine Liste der in Absprache mit den Sozialpartnern ausgearbeiteten Maßnahmen vorzulegen, die im jeweiligen Mitgliedstaat ergriffen werden bzw. wurden, um die vorliegende Empfehlung umzusetzen. Sofern diese Informationen der Kommission bereits im Rahmen anderer Berichterstattungsmechanismen vorgelegt worden sind, können die Mitgliedstaaten bei der Erstellung der Liste auf jene Berichte verweisen;

    12.

    die Sozialpartner, gegebenenfalls und im Einklang mit ihren jeweiligen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten, mit der Umsetzung der entsprechenden Teile dieser Empfehlung zu betrauen;

    DER RAT ERSUCHT DEN BESCHÄFTIGUNGSAUSSCHUSS UND DEN AUSSCHUSS FÜR SOZIALSCHUTZ, IM RAHMEN IHRER JEWEILIGEN MANDATE MIT UNTERSTÜTZUNG DER KOMMISSION,

    13.

    in Konsultation mit den beteiligten Sozialpartnern zu prüfen und dem Rat eine Stellungnahme darüber vorzulegen, ob es für eine Überwachung der Umsetzung der vorliegenden Empfehlung geeignete Möglichkeiten gibt, den Umfang sowie die Relevanz der auf Unions- und nationaler Ebene erhobenen Daten zum sozialen Dialog, einschließlich zu Tarifverhandlungen zu verbessern;

    14.

    die Umsetzung der vorliegenden Empfehlung regelmäßig im Kontext der multilateralen Überwachungstätigkeiten im Rahmen des Europäischen Semesters gemeinsam mit den beteiligten Sozialpartnern auf nationaler Ebene und auf Unionsebene zu überwachen, wenn diese Überprüfung es den Sozialpartnern ermöglichen würde, beispielsweise Situationen auszumachen, in denen sie ausgeschlossen oder unzureichend in Konsultationen auf nationaler Ebene zu Unions- oder einzelstaatlichen Maßnahmen einbezogen worden sind;

    DER RAT ERSUCHT DIE KOMMISSION,

    15.

    in Zusammenarbeit mit den Mitgliedstaaten und den Sozialpartnern sowie nach Anhörung weiterer Interessenträger die infolge dieser Empfehlung ergriffenen Maßnahmen zu bewerten und dem Rat bis zum 7. Dezember 2029 darüber Bericht zu erstatten.

    Geschehen zu Luxemburg am 12. Juni 2023.

    Im Namen des Rates

    Der Präsident

    J. PEHRSON


    (1)  Die Erklärung von Porto für soziales Engagement wurde auf dem Sozialgipfel in Porto am 7. Mai 2021 vom portugiesischen EU-Ratsvorsitz, der Europäischen Kommission, dem Europäischen Parlament, den Sozialpartnern auf EU-Ebene und der Sozialplattform unterzeichnet, um das Engagement für die Umsetzung der europäischen Säule sozialer Rechte zu verstärken. (https://www.2021portugal.eu/en/porto-social-summit/porto-social-commitment).

    (2)  Beschluss (EU) 2022/2296 des Rates vom 21. November 2022 zu Leitlinien für beschäftigungspolitische Maßnahmen der Mitgliedstaaten (ABl. L 304 vom 24.11.2022, S. 67).

    (3)  Mitteilung der Kommission „Jahreswachstumsbericht 2019: Für ein starkes Europa in Zeiten globaler Ungewissheit“, COM(2018) 770 final.

    (4)  Mitteilung der Kommission „Jahresbericht zum nachhaltigen Wachstum 2022“, COM(2021) 740 final.

    (5)  Mitteilung der Kommission „Aktionsplan zur europäischen Säule sozialer Rechte“, COM(2021) 102 final.

    (6)  Empfehlung des Rates vom 16. Juni 2022 zur Sicherstellung eines gerechten Übergangs zur Klimaneutralität, 2022/C 243/04, (ABl. C 243 vom 27.6.2022, S. 35).

    (7)   ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 65.

    (8)   ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 243.

    (9)   ABl. L 94 vom 28.3.2014, S. 1.

    (10)  Urteil des Gerichtshofs vom 4. Dezember 2014, FNV Kunsten Informatie en Media/Staat der Nederlanden, C-413/13, EU:C:2014:2411, Rn. 31 und 42.

    (11)  Urteil des Gerichtshofs vom 4. Dezember 2014, FNV Kunsten Informatie en Media/Staat der Nederlanden, C-413/13, EU:C:2014:2411, Rn. 32.

    (12)  Mitteilung der Kommission „Leitlinien zur Anwendung des Wettbewerbsrechts der Union auf Tarifverträge über die Arbeitsbedingungen von Solo-Selbstständigen“ 2022/C 374/02 (ABl. C 374 vom 30.9.2022, S. 2).

    (13)  Verordnung (EU) 2021/1057 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. Juni 2021 zur Einrichtung des Europäischen Sozialfonds Plus (ESF+) und zur Aufhebung der Verordnung (EU) Nr. 1296/2013 (ABl. L 231 vom 30.6.2021, S. 21).


    ELI: http://data.europa.eu/eli/C/2023/1389/oj

    ISSN 1977-088X (electronic edition)


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