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Document 62021CN0014

Rechtssache C-14/21: Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale Amministrativo Regionale per la Sicilia (Italien), eingereicht am 8. Januar 2021 — Sea Watch e. V./Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti, Capitaneria di Porto di Palermo

ABl. C 98 vom 22.3.2021, p. 9–11 (BG, ES, CS, DA, DE, ET, EL, EN, FR, HR, IT, LV, LT, HU, MT, NL, PL, PT, RO, SK, SL, FI, SV)

22.3.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 98/9


Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale Amministrativo Regionale per la Sicilia (Italien), eingereicht am 8. Januar 2021 — Sea Watch e. V./Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti, Capitaneria di Porto di Palermo

(Rechtssache C-14/21)

(2021/C 98/10)

Verfahrenssprache: Italienisch

Vorlegendes Gericht

Tribunale Amministrativo Regionale per la Sicilia

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: Sea Watch e. V.

Beklagte: Ministero delle Infrastrutture e dei Trasporti, Capitaneria di Porto di Palermo

Vorlagefragen

A)

Umfasst der Geltungsbereich der Richtlinie 2009/16/EG (1) ein Schiff, das von der Klassifizierungsstelle des Flaggenstaates als Frachtschiff eingestuft wurde, das aber im konkreten Fall ausschließlich und systematisch eine nicht kommerzielle Tätigkeit, sogenannte SAR [search and rescue, Such- und Rettungseinsätze] durchführt (wie sie von dem [Sea Watch e. V.] und der SW4 [dem Schiff Sea Watch 4] auf der Grundlage ihrer eigenen Satzung durchgeführt werden), und kann demnach die PSC [Port State Control, die Kontrolle der Schiffe durch den Hafenstaat] auch bei einem solchen Schiff durchgeführt werden?

Falls der Gerichtshof der Auffassung sein sollte, dass vom Geltungsbereich der Richtlinie 2009/16/EG auch die Schiffe erfasst werden [die im konkreten Fall keine kommerzielle Tätigkeit ausüben]: Steht der dahin ausgelegten Richtlinie eine nationale Regelung wie die in Art. 3 des Decreto legislativo Nr. 53/2011 enthaltene entgegen, mit der Art. 3 der Richtlinie 2009/16/EG umgesetzt wurde, die aber in Abs. 1 [des Art. 3 des genannten Decreto legislativio] den Anwendungsbereich der PSC ausdrücklich so festlegt, dass er auf die zu kommerziellen Zwecken verwendeten Schiffe beschränkt wird und nicht nur Sportboote, sondern auch Frachtschiffe ausnimmt, die im konkreten Fall keine kommerzielle Tätigkeit ausüben und somit nicht für eine solche Tätigkeit verwendet werden?

Kann begründetermaßen auch die Auffassung vertreten werden, dass infolge der 2017 erfolgten Änderungen in den Geltungsbereich der Richtlinie, soweit er auch Passagierschiffe einschließt, Frachtschiffe fallen, die systematisch sogenannte SAR-Einsätze von Personen auf dem Meer durchführen, wodurch der Transport der aus dem Meer in Lebensgefahr geretteten Personen dem Personentransport gleichstellt wird?

B)

Kann der Umstand, dass das Schiff eine Zahl von Personen transportiert hat, die weit höher ist als die, die in der Bescheinigung über die Sicherheitsausrüstung vermerkt ist, auch wenn dies das Ergebnis sogenannter SAR-Einsätze war, oder dass jedenfalls eine Bescheinigung über die Sicherheitsausrüstung vorhanden ist, die auf eine Zahl von Personen Bezug nimmt, die weitaus niedriger ist als die tatsächlich transportierten Personen, rechtmäßig unter den Prioritätsfaktor im Sinne von Anhang I Teil II Nr. 2A oder den unerwarteten Faktor im Sinne von Anhang I Teil II Nr. 2B, die in Art. 11 der Richtlinie 2009/16/EG genannt werden, fallen?

C)

Kann und/oder muss die Befugnis zur PSC-Überprüfung in Form der gründlicheren Überprüfung im Sinne von Art. 13 der Richtlinie 2009/16/EG auf Schiffen, die unter der Flagge von Mitgliedstaaten fahren, auch die Befugnis umfassen, zu überprüfen, was unabhängig von der Tätigkeit, für die ihm vom Flaggenstaat und der entsprechenden Klassifizierungsstelle die Klassenbescheinigung und die daraus folgenden Sicherheitsbescheinigungen ausgestellt wurden, konkret die tatsächlich mit dem Schiff ausgeübte Tätigkeit ist, und folglich die Befugnis, zu prüfen, ob für dieses Schiff die Bescheinigungen vorliegen und, im Allgemeinen, die Anforderungen und/oder Vorschriften erfüllt werden, die auf internationaler Ebene im Bereich der Sicherheit, der Verhütung der Verschmutzung und der Lebens- und Arbeitsbedingungen an Bord erlassen wurden? Falls dies bejaht wird: Kann diese genannte Befugnis auch gegenüber einem Schiff ausgeübt werden, das konkret systematisch sogenannte SAR-Einsätze durchführt?

D)

Wie ist die Regel 1 [korrekt: Art. 1] Buchst. b des SOLAS-Übereinkommens — das in Art. 2 der Richtlinie 2009/16/EG ausdrücklich genannt wird und dessen einheitliche gemeinschaftliche Auslegung für die Zwecke der PSC daher zu gewährleisten ist — auszulegen, wonach sich „b. [d]ie Vertragsregierungen verpflichten …, alle Gesetze, Verordnungen, Ausführungsbestimmungen und sonstigen Vorschriften zu erlassen und alle sonstigen Maßnahmen zu treffen, die erforderlich sind, um diesem Übereinkommen volle Wirksamkeit zu verleihen und dadurch zu gewährleisten, dass sich ein Schiff im Hinblick auf den Schutz des menschlichen Lebens für seinen Verwendungszweck eignet“? Insbesondere: Muss man sich in Bezug auf die Beurteilung der Geeignetheit des Schiffs für seinen Verwendungszweck, die die Hafenstaaten mittels der PSC-Überprüfungen beurteilen müssen, darauf beschränken, als ausschließlichen Prüfparameter die Vorgaben heranzuziehen, die auf der Grundlage der Klassifizierung und der maßgeblichen Sicherheitsbescheinigungen gemacht wurden, die für das Schiff vorliegen und die auf der Grundlage der abstrakt erklärten Tätigkeit ausgestellt wurden, oder kann vielmehr auch auf den Dienst, für den das Schiff konkret bestimmt ist, abgestellt werden?

Haben, auch in Bezug auf den genannten internationalen Parameter, die Verwaltungsbehörden der Hafenstaaten die Befugnis, nicht nur die Übereinstimmung der Bordausrüstung mit den Vorgaben zu überprüfen, die nach den Bescheinigungen vorgesehen sind, die vom Flaggenstaat erteilt wurden und sich aus der abstrakten Klassifizierung des Schiffes ergeben, sondern auch die Befugnis zu beurteilen, ob die Bescheinigungen, die für das Schiff vorliegen, und die entsprechende Bordausrüstung mit der konkreten ausgeübten Tätigkeit, die sich von der in der Klassenzertifizierung angegebenen unterscheidet, übereinstimmen?

Dieselben Erwägungen sind für den Punkt 1.3.1 der am 4. Dezember 2019 verabschiedeten Resolution IMO A.1138(31) — Procedures of Port State Control, 2019, anzustellen, in dem bestimmt wird: „Under the provisions of the relevant conventions set out in section 1.2 above, the Administration (i.e. the Government of the flag State) is responsible for promulgating laws and regulations and for taking all other steps which may be necessary to give the relevant conventions full and complete effect so as to ensure that, from the point of view of safety of life and pollution prevention, a ship is fit for the service for which it is intended and seafarers are qualified and fit for their duties.“

E)

Wenn das Bestehen einer Befugnis des Hafenstaates bestätigt werden sollte, das Vorliegen der Bescheinigungen und die Erfüllung der Anforderungen und/oder Vorgaben auf der Grundlage der Tätigkeit zu überprüfen, für die das Schiff konkret bestimmt ist:

1)

Kann der Hafenstaat, der die PSC-Überprüfung durchgeführt hat, das Vorliegen der Bescheinigungen und die Erfüllung von Anforderungen und/oder Vorgaben an die Sicherheit und die Verhütung von Meeresverschmutzung verlangen, die im Vergleich zu denjenigen, die für das Schiff vorliegen, weitergehender sind und sich auf die konkret ausgeübte Tätigkeit beziehen, insbesondere im vorliegenden Fall von sogenannten SAR-Einsätzen, um das Festhalten des Schiffes zu vermeiden?

2)

Wenn Nr. 1 bejaht wird: Kann das Vorliegen von Bescheinigungen und die Erfüllung von Anforderungen und/oder Vorgaben, die im Vergleich zu denjenigen, die für das Schiff vorliegen, weitergehender sind und sich auf die konkret ausgeübte Tätigkeit beziehen, insbesondere im vorliegenden Fall von sogenannten SAR-Einsätzen, um das Festhalten des Schiffes zu vermeiden, nur dann verlangt werden, wenn ein internationaler rechtlicher Rahmen und/oder unionsrechtlicher Rahmen besteht, der eindeutig und zuverlässig ist in Bezug auf die Klassifizierung der sogenannten SAR-Einsätze und die entsprechenden Bescheinigungen und Anforderungen und/oder Vorgaben zur Sicherheit und der Verhütung von Meeresverschmutzung?

3)

Wenn Nr. 2 bejaht wird: Müssen das Vorliegen von Bescheinigungen und die Erfüllung von Anforderungen und/oder Vorgaben, die im Vergleich zu denjenigen, die für das Schiff vorliegen, weitergehender sind und sich auf die konkret ausgeübte Tätigkeit beziehen, insbesondere im vorliegenden Fall von sogenannten SAR-Einsätzen, um das Festhalten des Schiffes zu vermeiden, auf der Grundlage der nationalen Vorschriften des Flaggenstaates und/oder auf der des Hafenstaates verlangt werden, und ist dafür eine primärrechtliche Vorschrift erforderlich oder ist auch eine sekundärrechtliche Vorschrift oder nur eine allgemeine Verwaltungsvorschrift geeignet?

4)

Wenn Nr. 3 bejaht wird: Obliegt es dem Hafenstaat, bei der PSC-Überprüfung punktuell und speziell anzugeben, auf der Grundlage welcher (im Sinne von Nr. 3 festgelegten) nationalen Regelung mit Gesetzes- oder Verordnungscharakter oder welcher auf einen allgemeinen Verwaltungsakt zurückführbaren Regelung die technischen Anforderungen und/oder Vorgaben an die Sicherheit und die Verhütung von Meeresverschmutzung festgestellt werden müssen, die das Schiff, das einer PSC-Überprüfung unterzogen wird, erfüllen muss, um sogenannte SAR-Einsätze durchzuführen, und welche Korrekturen oder Berichtigungen verlangt werden, um die Einhaltung der genannten Vorschriften sicherzustellen?

5)

Wenn es keine Regelung des Hafenstaates und/oder des Flaggenstaates gibt, die Gesetzes- oder Verordnungscharakter hat oder auf einen allgemeinen Verwaltungsakt zurückgeführt werden kann: Kann die Verwaltung des Hafenstaates für den konkreten Fall die technischen Anforderungen und/oder Vorgaben an die Sicherheit, die Verhütung von Meeresverschmutzung und den Lebens- und Arbeitsschutz an Bord festlegen, die das Schiff, das einer PSC-Überprüfung unterzogen wird, erfüllen muss, um sogenannte SAR-Einsätze durchzuführen?

6)

Wenn die Nrn. 4 und 5 verneint werden: Können sogenannte SAR-Einsätze, wenn spezifische Angaben des Flaggenstaates in diesem Rahmen fehlen, als zwischenzeitlich genehmigt angesehen werden und daher nicht durch den Erlass einer Anordnung des Festhaltens verhindert werden, wenn das Schiff, das einer PSC-Überprüfung unterzogen wird, die oben genannten Anforderungen und/oder Vorgaben einer anderen Kategorie (insbesondere eines Frachtschiffs) erfüllt, deren Vorliegen im konkreten Fall der Flaggenstaat bestätigt hat?


(1)  Richtlinie 2009/16/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über die Hafenstaatkontrolle (ABl. 2009, L 131, S. 57).


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