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Document 51994AC0848

STELLUNGNAHME des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission über den Aktionsrahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit"

ABl. C 388 vom 31.12.1994, p. 3–8 (ES, DA, DE, EL, EN, FR, IT, NL, PT)

51994AC0848

STELLUNGNAHME des Wirtschafts- und Sozialausschusses zu der "Mitteilung der Kommission über den Aktionsrahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit"

Amtsblatt Nr. C 388 vom 31/12/1994 S. 0003


Stellungnahme zu der Mitteilung der Kommission über den Aktionsrahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheid (94/C 388/02)

Die Kommission beschloß am 3. Dezember 1993, den Wirtschafts- und Sozialausschuß gemäß Artikel 129 des EG-Vertrags um Stellungnahme zu dem vorgenannten vorschlag zu ersuchen.

Die mit der Vorbereitung der Arbeiten beauftragte Fachgruppe Umweltschutz, Gesundheitswesen und Verbrauch nahm ihre Stellungnahme am 7. Juni 1994 an. Berichterstatter war Herr Ataíde Ferreira.

Der Ausschuß verabschiedete auf seiner 317. Plenartagung (Sitzung vom 6. Juli 1994) mit grosser Mehrheit bei 1 Gegenstimme und 3 Stimmenthaltungen folgende Stellungnahme.

1. Einleitung

1.1. Aufgrund der Bedeutung des Gesundheitswesens, seiner Auswirkungen im wirtschaftlichen und sozialen Bereich und seines möglichen positiven oder negativen Beitrags zur Schaffung eines solidarischen Europas und zum Inhalt der Europabürgerschaft () kann und muß eine Mitteilung zu diesem Thema vom Wirtschafts- und Sozialausschuß auch unter dem Gesichtspunkt der Grundlagen und des fachlich-rechtlichen Rahmens () untersucht werden, damit die Stellungnahme klar und unzweideutig ausfällt.

1.2. Da es sich streng genommen nicht um eine Stellungnahme zu einem Rechtsakt handelt und die Befassung des Ausschusses im Rahmen der Vorbereitung einer spezifischen Strategie erfolgt, bei der sich die Maßnahmen aus einer kompliziert vernetzten Ausübung von Zuständigkeiten der Kommission und der Mitgliedstaaten ergeben, zwischen denen in bestimmten Fällen Querverbindungen in Form von Kooperations- und Koordinierungsmechanismen bestehen können, will der Ausschuß klarstellen, wie nach seinem Verständnis Artikel 129 EGV zu deuten ist. Die Mitteilung muß im Hinblick auf ihre Ziele und die ihr zugrundeliegenden Voraussetzungen analysiert werden.

1.3. Vor einer Erörterung der Mitteilung muß also zuerst hinterfragt werden, wie Artikel 129 EGV im Kontext der grossen sozialen, wirtschaftlichen und politischen Fragen zu deuten ist, die den Alltag der in der Union lebenden Frauen und Männer, denen der WSA eine Stimme verleiht, bestimmen.

2. Eine Grundsatzfrage: Die Gemeinschaft und das Gesundheitswesen

2.1. Unter den entscheidenden Neuerungen, die der neue Wortlaut des gemäß Artikel G Nummer 38 VEU erweiterten Römischen Vertrags enthält, ist der Titel X zum Thema "Gesundheitswesen" hervorzuheben, dessen Artikel 129 folgendermassen lautet:

"1. Die Gemeinschaft leistet durch Förderung der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten und erforderlichenfalls durch Unterstützung ihrer Tätigkeit einen Beitrag zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus.

Die Tätigkeit der Gemeinschaft ist auf die Verhütung von Krankheiten, insbesondere der weitverbreiteten schwerwiegenden Krankheiten einschließlich der Drogenabhängigkeit, gerichtet; dabei werden die Erforschung der Ursachen und der Übertragung dieser Krankheiten sowie die Gesundheitsinformation und -erziehung gefördert.

Die Erfordernisse im Bereich des Gesundheitsschutzes sind Bestandteil der übrigen Politiken der Gemeinschaft.

2. Die Mitgliedstaaten koordinieren untereinander im Benehmen mit der Kommission ihre Politiken und Programme in den in Absatz 1 genannten Bereichen. Die Kommission kann in enger Fühlungnahme mit den Mitgliedstaaten alle Initiativen ergreifen, die dieser Koordinierung förderlich sind.

3. Die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten fördern die Zusammenarbeit mit dritten Ländern und den für das Gesundheitswesen zuständigen internationalen Organisationen.

4. Als Beitrag zur Verwirklichung der Ziele dieses Artikels erlässt der Rat

- gemäß dem Verfahren des Artikels 189 b und nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen Fördermaßnahmen unter Ausschluß jeglicher Harmonisierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten;

- mit qualifizierter Mehrheit auf Vorschlag der Kommission Empfehlungen."

2.2. Somit ist die Kommission dafür zuständig, für den Rat Vorschläge für Empfehlungen an die Mitgliedstaaten zu formulieren oder dem Rat Fördermaßnahmen für die Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten vorzuschlagen; in beiden Fällen muß damit ein Beitrag zur Sicherstellung eines hohen Gesundheitsschutzniveaus beabsichtigt sein.

Das Gesundheitswesen ist noch nicht Teil der Gemeinschaftspolitik, wird aber mehr und mehr zu einer gemeinsamen Aufgabe, die insbesondere die Vorbeugung gegen Krankheiten und gegen Drogensucht betrifft.

Gemäß der oben wiedergegebenen Vertragsbestimmung werden durch die neue Rechtsgrundlage die Querverbindungen und Maßnahmen im Bereich des Gesundheitswesens, die sich aus den einzelnen Vertragsbestimmungen ergeben, denen zufolge die Gemeinschaft gesundheitspolitisch relevante - und vom Ausschuß befürwortete - Initiativen ergreifen durfte, nicht berührt.

2.3. Der Begriff des Gesundheitswesens, wie ihn die Mitgliedstaaten in den internationalen Organisationen, denen sie angehören, formulieren, umfasst neben der Krankheitsverhütung die individuelle Gesundheitsförderung sowie die Gesundheitsförderung von Gruppen, die aufgrund ihres Alters, ihrer gesellschaftlichen Stellung oder ihres spezifischen Umfelds (Schule, Arbeitsplatz usw.) besonders gefährdet sind. Unter diesen Umständen muß die Vorschrift von Artikel 129 im Lichte der vorhandenen Erfahrungen der Mitgliedstaaten und der bereits eingeleiteten bzw. durchgeführten Maßnahmen und Programme der Gemeinschaft verstanden werden, denen verschiedene Bestimmungen des EG-Vertrags zugrunde liegen.

2.4. Der zweite Satz von Absatz 1 dieses Artikels sollte nach Ansicht des Ausschusses vom Rat und selbstverständlich vom Gerichtshof im Lichte der gemeinsamen Geschichte der Einzelstaaten und der Gemeinschaft selbst ausgelegt und als blosse Richtschnur verstanden werden, denn nur so ergibt er einen Sinn. Wörtlich verstanden wäre er inhaltslos und würde nur dazu führen, daß laufende Programme (z.B. biomedizinische Forschung, die Programme umfasst, die weit über die blosse Krankheitsverhütung hinausgehen) beendet, die Programme zu AIDS, Krebs usw. in Frage gestellt würden oder im äussersten Fall die Drogensucht zur Krankheit erklärt würde.

3. Allgemeine Bemerkungen

3.1. Die Fachgruppe ist erfreut über die Schnelligkeit, mit der die Kommission rechtzeitig zum Inkrafttreten der in Maastricht beschlossenen Vertragsänderungen diese Mitteilung über den "Aktionsrahmen im Bereich der öffentlichen Gesundheit" ausgearbeitet hat. Dies bedeutet, daß offensichtlich die Bedeutung einer Gesundheitspolitik für Europa, die eine "Hebung der Lebenshaltung und der Lebensqualität" () der europäischen Bürger gewährleistet, anerkannt wird.

3.2. Trotz der genannten Schwierigkeiten bei der Auslegung hat die Kommission gute Arbeit geleistet, indem sie sowohl die spezifischen Gesichtspunkte der Krankheitsverhütung vertieft als auch versucht hat, dieses Themengebiet in einen umfassenderen Rahmen einzuordnen.

3.3. In dem Dokument wird versucht, die bisherigen Analysen, Überlegungen und Studien der einzelnen Institutionen einschließlich der Arbeiten des Ausschusses zusammenzufassen.

Hier sollen noch einmal in geordneter Form die unter Ziffer 46 erwähnten Arbeiten des Ausschusses zum Thema Gesundheitswesen aufgeführt werden:

- Informationsbericht über das Gesundheitswesen vom 11. 2. 1986 - Dok. CES 539/86 - UMW/169;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Entschließung des Rates für ein Aktionsprogramm der Europäischen Gemeinschaften zur Verhütung von Krebs - ABl. Nr. C 101 vom 28. 4. 1986, S. 22;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Verhütung der Umweltverschmutzung durch Asbest-ABl. Nr. C 207 vom 18. 8. 1986, S. 21;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates betreffend die Transparenz von Maßnahmen zur Preisfestsetzung für Arzneimittel für den menschlichen Gebrauch und ihre Einbeziehung in die staatlichen Krankenversicherungssysteme - ABl. Nr. C 319 vom 30. 11. 1987, S. 47;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates betreffend ein Koordinierungsprogramm der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft im Bereich der medizinischen Gesundheitsforschung (1987-1989) - ABl. Nr. C 105 vom 21. 4. 1987, S. 7 - und die Stellungnahme zu dem Programm "Europa gegen Krebs" - Vorschlag für ein Aktionsprogramm 1987-1989 einschließlich des Entwurfs eines Beschlusses des Rates über die Aufklärung der Öffentlichkeit und die Ausbildung des im Gesundheitswesen tätigen Personals - ABl. Nr. C 105 vom 21. 4. 1987, S. 18;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates über eine Gemeinschaftsaktion auf dem Gebiet der Informationstechologie und Telekommunikation angewandt auf die Gesundheitsfürsorge AIM (Advanced Informatics in Medicine in Europe) - Pilotphase - ABl. Nr. C 356 vom 31. 12. 1987, S. 8;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein spezifisches Forschungsprogramm im Gesundheitsbereich: prädiktive Medizin: Analyse des menschlichen Genoms (1989-1991) - ABl. Nr. C 56 vom 6. 3. 1989, S. 47;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Etikettierung und die Packungsbeilage von Humanarzneimitteln - ABl. Nr. C 225 vom 10. 9. 1990, S. 24;

- Stellungnahme zu fünf Vorschlägen für Beschlüsse des Rates über den Abschluß von Kooperationsabkommen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Österreich, dem Königreich Norwegen, der Schweizerischen Eidgenossenschaft, der Republik Finnland und dem Königreich Schweden im Bereich der Forschung in Medizin und Gesundheitswesen - ABl. Nr. C 56 vom 7. 3. 1990, S. 11;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Regelung der Abgabe von Humanarzneimitteln - ABl. Nr. C 225 vom 10. 9. 1990, S. 21;

- Stellungnahme zu dem Entwurf einer Entschließung des Rates zur Verbesserung von Prävention und Behandlung akuter Vergiftungen beim Menschen - ABl. Nr. C 124 vom 21. 5. 1990, S. 1;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über die Werbung für Humanarzneimittel - ABl. Nr. C 60 vom 8. 3. 1991, S. 40;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates über ein spezifisches Programm für Forschung und technologische Entwicklung im Bereich Biomedizin und Gesundheitswesen - Dok. CES 1372/90, ABl. Nr. C 41 vom 18. 2. 1991;

- Stellungnahme vom 4. 7. 1991 zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Zulassung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln - Dok. CES 882/91, ABl. Nr. C 269 vom 14. 10. 1991, S. 84;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über den Großhandelsvertrieb von Humanarzneimitteln - ABl. Nr. C 225 vom 10. 9. 1990, S. 18;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Entscheidung des Rates zur Änderung der Entscheidung 86/138/EWG über ein Demonstrationsvorhaben im Hinblick auf die Errichtung eines gemeinschaftlichen Informationssystems über Unfälle durch Konsumgüter und die Finanzierung der letzten beiden Projektjahre - ABl. Nr. C 62 vom 12. 3. 1990, S. 21;

- Stellungnahmen zu dem Vorschlag für einen Beschluß des Rates und der im Rat vereinigten Gesundheitsminister der Mitgliedstaaten zur Annahme eines Aktionsplans im Rahmen des Programms "Europa gegen Aids" (1991-1993) - Dok. CES 700/91, ABl. Nr. C 191 vom 22. 7. 1991 - bzw. (1994) - Dok. CES 1237/93 (unveröffentlicht);

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für eine Verordnung (EWG) des Rates zur Schaffung einer Europäischen Drogenbeobachtungsstelle (EDB) und des Europäischen Informationsnetzes für Drogen und Drogensucht (REITOX) - Dok. CES 635/92, ABl. Nr. C 223 vom 31. 8. 1992, S. 26;

- Initiativstellungnahme zum Thema "Unterweisung über Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz" - ABl. Nr. C 249 vom 13. 9. 1993, S. 12;

- Stellungnahme zu dem Vorschlag für einen Beschluß des Rates über den Abschluß eines Kooperationsabkommens zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Republik Türkei im Bereich der Forschung in Medizin und Gesundheitswesen - Dok. CES 864/91, ABl. Nr. C 269 vom 14. 10. 1991, S. 20;

- Stellungnahme zum Thema "Arbeitsmedizin" - ABl. Nr. C 307 vom 19. 11. 1984, S. 28;

- Stellungnahmen zu gefährlichen Stoffen und Zubereitungen.

Die zu erörternde Mitteilung ist wichtig für die künftige Entwicklung der europäischen Gesundheitspolitik; ihr ist eine Kurzfassung vorangestellt, anhand derer es möglich ist, ihren Inhalt schnell zu erfassen, und die einen Anreiz dafür darstellt, daß sich die Mitglieder der Institutionen, an die sie gerichtet ist, eingehender mit ihr beschäftigen.

3.4. Die wichtigsten gesundheitspolitischen Herausforderungen sind in der Mitteilung der Kommission eindeutig ausgewiesen (Ziffern 4 ff. der Mitteilung).

3.5. Das Problem der Kosten und der Finanzierung der Gesundheitsausgaben muß Gegenstand späterer Überlegungen sein, zu denen der Ausschuß sicher etwas beisteuern kann.

3.6. Infolge der erwähnten Auslegungsschwierigkeiten enthält das Kapitel "Gesundheitszustand und Trends" (Teil A-II Ziffern 14 ff. der Mitteilung) nach Ansicht des Ausschusses keine wirklich europäische Analyse und ist daher unvollständig, denn es sollte beachtet werden, daß das Viele oder Wenige, was auf der Ebene der Mitgliedstaaten im Bereich des Gesundheitswesens geleistet wurde, nicht allein auf den einschlägigen Maßnahmen der Gemeinschaft, sondern auf den Erfahrungen und Kenntnissen der einzelstaatlichen Organisationen beruht, die jahrzehntelang gesammelt und erprobt wurden; es darf auch nicht vergessen werden, daß dabei die Unterstützung durch internationale Organisationen, beispielsweise ihr Beitrag zum derzeitigen Konzept der "Gesundheitsförderung" () und zu der Umwelt- und Gesundheitscharta (), eine wichtige Rolle gespielt hat.

In der Mitteilung sollte unbedingt auf wichtige Tatsachen aus der jüngsten Geschichte des europäischen Gesundheitswesens Bezug genommen werden. Dadurch würde der Beitrag der geplanten Gesundheitspolitik leichter verständlich.

Diese Politik war und ist Domäne der Mitgliedstaaten.

3.7. Hinsichtlich des spezifischen Aspekts der Prävention und der in der Mitteilung unter Ziffer 122 genannten vorrangigen Aktionsbereiche () stimmt der Ausschuß der Schlußfolgerung der Kommission trotz der allgemeinen Vorbehalte, die er aufgrund seiner Sicht des Gesundheitswesens vorzubringen hat, zu.

3.8. Nach Auffassung des Ausschusses kann eine Gesundheitspolitik nicht von einem einengenden Ansatz (Vorbeugung gegen Krankheiten und Drogenabhängigkeit) ausgehen, sondern muß als Gesundheitsförderung auf der Grundlage einer horizontalen und interdisziplinären Sichtweise verstanden werden, was eine Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Zweigen der Wissenschaft einschließt.

3.9. Die Mitteilung der Kommission weist terminologische Ungenauigkeiten auf; dies erschwert das Verständnis der tatsächlich verfolgten Ziele.

Die Gesundheitspolitik muß auf jeden Fall horizontal ausgerichtet sein. Die Gesundheitsförderung hängt mit allen Aspekten der Lebensbedingungen zusammen und schließt daher präventive Maßnahmen ein, ohne sich darin zu erschöpfen.

3.10. Daß im Anhang I (Präventionspolitiken in den Mitgliedstaaten) nicht nach einem geordneten und einheitlich systematisierten Informationsschema vorgegangen wurde, hat, wie bereits erwähnt, in diesem Dokument sicherlich zu einer Verengung des Blickwinkels bei der Schwerpunktsetzung und bei der Festlegung der Strategie geführt.

3.11. Damit es nicht zu übereilten Reaktionen kommt, muß eindeutig festgehalten werden, daß der Entwurf eines umfassenden und horizontalen Modells als Grundlage für eine Gesundheitspolitik der Union weder die Zuständigkeiten der verschiedenen Generaldirektionen und Dienststellen der Kommission berührt, noch mit den einzelnen (nationalen, vertikalen oder horizontalen) Verwaltungsebenen der Mitgliedstaaten kollidiert. Es geht einzig und allein darum, Synergieeffekte zu erzeugen, Aktionen, die wegen fehlender Konzertierung bzw. Vereinbarkeit mit anderen wirkungslos bleiben, zu vermeiden und letzten Endes eine bessere Verwaltung des Gesundheitswesens sicherzustellen, um eine höhere wirtschaftliche und soziale Rentabilität zu erzielen.

4. Besondere Bemerkungen

4.1. Die Kapitel "Gesundheitszustand und Trends" () und "Die Strategie der Europäischen Gemeinschaft" () verdeutlichen die wichtigsten strategischen Entscheidungen der Kommission. In diesen Kapiteln sind die eigentlichen Ansatzpunkte für die Auseinandersetzung mit diesem Thema zu finden, dessen Erörterung der Ausschuß in Ausübung seiner im Vertrag verankerten Befugnisse und als Antwort auf das Stellungnahmeersuchen des Rates im vollen Bewusstsein seiner Verantwortung übernehmen will.

4.2. Nach Auffassung des Ausschusses darf sich der Rat nicht darauf beschränken, den Umfang des öffentlichen Gesundheitswesens wörtlich nach der Formulierung in Artikel 129 EGV auszulegen.

4.2.1. Diese restriktive Deutung würde das öffentliche Gesundheitswesen, wie es von den Mitgliedstaaten verstanden wird (), einengen und liefe eindeutig der Entwicklung der von den Wissenschaftlern und den Mitgliedstaaten allgemein anerkannten Konzeptionen zuwider.

4.2.2. Anscheinend wünscht auch die Kommission eine umfassendere Deutung des genannten Artikels, da von ihr vorgeschlagen wird, im Bereich des Gesundheitswesens weitere Maßnahmen zu ergreifen. Zudem schlägt die Kommission im Hinblick auf die Entwicklungsländer eine Politik vor, die auf einem integrierten und umfassenden Ansatz beruhen soll ().

4.2.3. Diese vom Ausschuß befürwortete Auslegung bringt folgende Vorteile:

- Sie widerspricht nicht der derzeitigen Entwicklung der gesundheitspolitischen Konzepte, wie sie von den meisten Mitgliedstaaten verstanden werden, so daß es in der Praxis nicht zu einer weiteren Fragmentierung kommt.

- Sie erleichtert die Verzahnung der europäischen Politik der Kommission mit den Politiken der Mitgliedstaaten und denen anderer internationaler Organisationen.

- Sie erleichtert die Abstimmung/Koordinierung der Gesundheitspolitik mit den europäischen Wirtschafts- und Sozialpolitiken und den bei der Entwicklung der Gesundheitssysteme möglichen alternativen Wegen.

- Sie ermöglicht einen gezielteren Einsatz der investierten Mittel und wird zu einem besseren Kosten-Nutzen-Verhältnis führen.

- Sie bringt den Wortlaut von Artikel 129 des EG-Vertrages mit dem Geist und den grossen Zielen der Gemeinschaft und der Union in Einklang.

4.3.

Neue Strategie

4.3.1. Nach Auffassung des Ausschusses müsste ausdrücklich klargestellt werden, daß es wichtige gesundheitspolitische Aktionsbereiche gibt, die bei dem an einzelnen Krankheiten orientierten Konzept nicht vollständig erfasst werden:

a)

Altersgruppen

Eine aktuelle europäische Gesundheitspolitik muß zumindest auf die gesundheitlichen Fragen der Jugend (Alkohol, Gewalt, Drogenabhängigkeit und Nikotinsucht) und des Alters (Verlust der Selbständigkeit, Ausgrenzung, Pflegebedürftigkeit) Bezug nehmen, ohne dabei gesundheitliche Probleme der Mütter (und Frauen allgemein) und der Kinder sowie der am meisten benachteiligten Schichten der europäischen Bevölkerung ausser acht zu lassen.

b)

Besonders anfällige Gruppen

Die Gesundheitsprobleme der wandernden Bevölkerung, der Arbeitslosen und derjenigen, die an besonders akuten Formen der Ausgrenzung leiden () (insbesondere Obdachlose), dürfen nicht unberücksichtigt bleiben.

c)

Spezifische Umfelder

Die Gesundheit in der Schule und am Arbeitsplatz sollte in jeder öffentlichen Gesundheitspolitik einen hervorragenden Stellenwert einnehmen. Das gleiche gilt auch für ungesunde Faktoren der Umwelt generell, beispielsweise die Lärmbelastung in den Städten und die Verschmutzung der Wasserläufe und der Luft.

4.3.2. In dem Prozeß, den jedes Gemeinwesen (Staat, Region, Gemeinde) oder auch die Union als Ganzes durchlaufen muß, um die eigenen gesundheitspolitischen Ziele zu verwirklichen, stellen sich unabhängig von der Art dieser Ziele gemeinsame Herausforderungen:

- Wie und von wem sollen die Entscheidungen, die die Gesundheit der Bürger am stärksten beeinflussen, getroffen werden?

- Über welche Infrastrukturen verfügen das jeweilige Gemeinwesen bzw. die Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge, die gesundheitspolitische Maßnahmen unterstützen bzw. durchführen?

- Wie sind gesundheitspolitische Maßnahmen zu finanzieren?

4.3.3. In der Erwägung, daß Artikel 129 der Gemeinschaft im Gesundheitsschutz keine normative oder harmonisierende, sondern eher eine anspornende, fördernde und ein Vorgehen der Mitgliedstaaten unterstützende Rolle zuschreibt, sollte in der Untersuchung der Kommission vor allem stärker auf die Verzahnung der Gesundheitspolitik mit der Sozialpolitik () sowie mit der Agrar-, Verbraucher-, Umwelt-, Sport- und Freizeitpolitik eingegangen werden. So sollten die Kommission und schließlich der Rat in der Lage sein, die verschiedenen Wege zur Verbesserung der Lebensqualität miteinander zu koordinieren ().

4.3.4. In den Mitgliedstaaten bestehen vor allem auf örtlicher Ebene Hunderte Organisationen von Frauen und Männern, die beträchtliche Beiträge auf dem Gebiet des Gesundheitswesens - besonders in der Gesundheitserziehung und -aufklärung im engeren Sinne, aber auch in der Einbindung dieser Themen in den Bereich des Verbrauchs, der Ernährung und der Umwelt - geleistet haben. Auch auf Gemeinschaftsebene bestehen sehr leistungsfähige Organisationen, deren Verdienst die Kommission nicht unterschätzen darf, sondern anerkennen muß, damit auf einzelstaatlicher Ebene und auf der Ebene der Union alle Betroffenen und Verwaltungsakteure an der Gestaltung einer Gesundheitspolitik beteiligt werden können.

4.3.5. Schließlich wäre selbst in dem einschränkenden Rahmen einer lediglich auf die Krankheitsverhütung abzielenden Mitteilung zu erwarten, daß ein Hinweis darauf gegeben wird, wie ein angemessener Informationsaustausch mit den in nationalem und europäischem Rahmen tätigen Wissenschaftlern sichergestellt werden kann. Auf diese Weise können die Gemeinschaftsmaßnahmen eine besser fundierte wissenschaftliche Grundlage erhalten.

5. Schlußfolgerungen und Empfehlungen

5.1. Eine Gesundheitspolitik, die den Anforderungen und Bestrebungen der europäischen Bürger gerecht werden soll, muß eingebunden werden in eine mutige Antwort auf die Wünsche nach einer besseren Lebensqualität, zu der auch die Förderung der Gesundheit gehört, und eine Reihe horizontaler und vertikaler Maßnahmen beinhalten, die entweder von der Gemeinschaft in Ausübung ihrer eigenen Befugnisse oder aber von den Mitgliedstaaten - d.h. je nach den Umständen und der jeweiligen Rechtsordnung dem Gesamtstaat, den Regionen oder den Gemeinden - in einer je nach Fall und Situation spezifischen Form der Zusammenarbeit und Koordinierung durchzuführen sind.

5.2. In ihrer derzeitigen Fassung, die zwar eine korrekte Aufstellung der gesundheitspolitischen Prioritäten enthält, jedoch im wesentlichen auf Prävention und Aufklärung abstellt, entspricht die Mitteilung nicht in zufriedenstellender Weise den vom Ausschuß geäusserten Erwartungen.

5.3. In diesem Sinne appelliert der Ausschuß an den Rat, bei der Festlegung einer Gesundheitspolitik einen weitsichtigen, kohärenten Standpunkt einzunehmen, indem er Artikel 129 EGV in Übereinstimmung mit Artikel 2 EGV auslegt, da dieser das ordnende Grundprinzip, den Grund für die Bildung der Gemeinschaft von Staaten und Bürgern zum Ausdruck bringt.

5.4. Ferner sollte der Rat die Kommission beauftragen, ihre Mitteilung, die durchaus als bedeutsam zu werten ist, dahingehend zu ergänzen, daß eine umfassende, horizontale Analyse der Gesundheitspolitik vorgenommen wird und somit die Beschränkungen, auf denen die bisherige, eher einseitige Analyse beruht, überwunden werden.

5.5. In diesem Sinne muß in dem genannten Dokument - wie in dieser Stellungnahme des Ausschusses bereits erwähnt - folgendes berücksichtigt werden:

a)

die spezifischen Situationen der einzelnen Kategorien, d.h. über die Krankheiten und Drogensucht hinaus die Altersgruppen, die besonders anfälligen Gruppen und die spezifischen Umfelder;

b)

es muß eine Analyse der vorgeschlagenen Maßnahmen und Initiativen, die unabhängig von Artikel 129 aufgrund ihrer vertragsgemässen Zuständigkeit Aufgabe der Gemeinschaft sind bzw. sein können, und derjenigen, bei denen sowohl eine Zusammenarbeit als auch ein koordiniertes Vorgehen in Frage kommt, enthalten;

c)

bei dieser Analyse muß die erforderliche Verzahnung zwischen der Gesundheits- und der Gesundheitsfürsorgepolitik - besonders im Hinblick auf Apparate, Personal (Verwaltung und Fachtätigkeit) und Finanzierung - berücksichtigt werden, ohne daß beide dadurch fachspezifische Merkmale, Eigenheiten und Ziele einbüssen sollen;

d)

es wäre wünschenswert, die Gesundheitspolitik - wie in der derzeitigen Mitteilung bereits erwähnt - insbesondere durch eine Verstärkung des horizontalen Ansatzes (Arbeit, Beschäftigung (), städtisches Lebensumfeld (), Wohnungswesen, Agrarpolitik, Verbrauch, Umwelt usw.) im Rahmen des sozialen Europas und des Europas der Bürger mit der sozialen und wirtschaftlichen Dimension unter dem Aspekt der Solidarität, Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung angemessen zu verknüpfen. Der Freiheit des Individuums, den spezifischen Lebensgewohnheiten jedes einzelnen und der Vielfalt Europas muß in vollem Umfang Rechnung getragen werden;

e)

in den Prioritäten für durch die Strukturfonds - insbesondere den Sozialfonds - förderbare Maßnahmen muß die Möglichkeit vorgesehen sein, der Komponente Gesundheitswesen Rechnung zu tragen, wobei alle Maßnahmen, die es beeinträchtigen können, auszuschließen sind.

Geschehen zu Brüssel am 6. Juli 1994.

Der Präsident

des Wirtschafts- und Sozialausschusses

Susanne TIEMANN

() ABl. C 295 vom 22. 10. 1994, S. 47.

() "Europa der Bürger", ABl. Nr. C 313 vom 30. 11. 1992.

() "Verbesserung der Qualität und Steigerung der Resonanz der Stellungnahmen des Ausschusses", Dok. CES 592/92 rev.

() Artikel 2 EGV.

() Vgl. das Glossar über Gesundheitsförderung der Internationalen Konferenz für die Gesundheitsförderung, Bonn, 17.-19. 12. 1990, S. 21.

() Umwelt- und Gesundheitscharta, Frankfurt, 7./8. 12. 1989, angenommen von den europäischen Umwelt- und Gesundheitsministern.

() Vgl. S. 39 der Mitteilung.

() Vgl. S. 6.

() Vgl. S. 18.

() Beispielsweise:

a) Vereinigtes Königreich: die in der Mitteilung der Kommission erwähnte Maßnahme für England "Gesundheit der Nation" (1993): Eine Reihe gesundheitspolitischer Ziele, die durch Maßnahmen der Gesundheitsämter oder durch lokale Initiativen, die sich auf eine echte sektorenübergreifende Zusammenarbeit (Bildungswesen, Verkehrswesen, soziale Dienste) stützen, umgesetzt werden;

b) Niederlande: "Gesundheitsstrategie der Niederlande" (1993): Sowohl breite als auch umfassende gesundheitspolitische Ziele; und

c) Frankreich: Eine vom Hohen Ausschuß für das Gesundheitswesen ausgearbeitete Strategie für das Gesundheitswesen (1993, vorläufige Fassung) - in der Mitteilung der Kommission erwähnt -, worin eine umfassende Gesundheitspolitik vorgeschlagen wird.

() Dok. KOM(94) 77 endg. vom 24. 3. 1994.

() Dok. KOM(92) 542 endg. - Mitteilung "Auf dem Weg zur europäischen Solidargemeinschaft", Ziffer III.3.

() Grünbuch über die europäische Sozialpolitik, Dok. KOM(93) 551 endg.

() Artikel 3 Buchstabe o) EGV.

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