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Document 61999TJ0205
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
1. Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Erstattung oder Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben - Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 - Entscheidungsbefugnis der Kommission - Recht des betroffenen Wirtschaftsteilnehmers auf Anhörung - Umfang
(Verordnung Nr. 1430/79 des Rates, Artikel 13; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Artikel 905)
2. Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Verteidigungsrechte - Verwaltungsverfahren für den Erlass von Eingangsabgaben - Keine Verpflichtung der Kommission, dem Betroffenen aus eigener Initiative Einsicht in sämtliche Unterlagen zu gewähren, auf die sie ihre beschwerende Entscheidung stützt - Obliegenheit des Betroffenen, deren Übermittlung zu beantragen
(Artikel 255 EG; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Artikel 905)
3. Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Erstattung oder Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben - Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 - Besondere Umstände" - Begriff - Ermessen der Kommission - Umfang - Grenzen
(Verordnung Nr. 1430/79 des Rates, Artikel 13 Absatz 1)
4. Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Erstattung oder Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben - Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 - Bedeutung - Grenzen - Verfahren nach den Artikeln 906 bis 909 der Verordnung Nr. 2454/93 - Antrag auf Nichtigerklärung einer nach Abschluss dieses Verfahrens getroffenen Entscheidung - Keine Möglichkeit für den Abgabenpflichtigen, Klagegründe oder Argumente vorzubringen, die dartun sollen, dass die Entscheidungen der zuständigen nationalen Behörden rechtswidrig sind - Keine Beeinträchtigung des Rechtsschutzes der Gemeinschaftsimporteure
(Artikel 234 EG; Verordnungen Nr. 1430/79 des Rates, Artikel 13 und Nr. 2913/92, Artikel 243; Verordnung Nr. 2454/93 der Kommission, Artikel 905 bis 909)
5. Eigenmittel der Europäischen Gemeinschaften - Nacherhebung von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben - Dem Importeur durch die Nacherhebung entstandener finanzieller Schaden - Einstufung als besonderer Umstand im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 - Ausschluss
(Verordnung Nr. 1430/79 des Rates, Artikel 13 Absatz 1)
1. Angesichts des Beurteilungsspielraums, über den die Kommission bei der Anwendung der auf Billigkeitserwägungen beruhenden Generalklausel des Artikels 13 der Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben verfügt, muss die Wahrung des Rechts auf Anhörung in den Verfahren des Erlasses oder der Erstattung von Eingangsabgaben sichergestellt werden. Das gilt erst recht, wenn die Kommission in Wahrnehmung ihrer ausschließlichen Befugnis aus Artikel 905 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften bei der Beurteilung, ob die Voraussetzungen gemäß Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 erfuellt sind, von der Stellungnahme der nationalen Behörde abweichen will.
( vgl. Randnr. 49 )
2. Die Wahrung der Verfahrensrechte verlangt, dass jeder, der durch eine Entscheidung beschwert sein kann, zumindest zu den Gesichtspunkten sowie den Unterlagen sachdienlich Stellung nehmen kann, auf die die Kommission ihre beschwerende Entscheidung stützt. Die Kommission muss indessen nicht aus eigener Initiative Einsicht in sämtliche Unterlagen gewähren, die einen etwaigen Zusammenhang mit dem konkreten Fall aufweisen, mit dem sie im Rahmen eines Antrags auf Erlass der Eingangsabgaben befasst ist. Ist der Betroffene der Auffassung, dass solche Unterlagen nützlich sind, um zu belegen, dass bei ihm besondere Umstände und/oder keine offensichtliche Fahrlässigkeit oder betrügerische Absicht vorliegen, obliegt es ihm, entsprechend den von den Gemeinschaftsorganen auf der Grundlage des Artikels 255 EG erlassenen Vorschriften Zugang zu diesen Unterlagen zu beantragen.
Im Zusammenhang mit dem Verwaltungsverfahren betreffend den Erlass von Zöllen muss die Kommission nämlich auf Antrag des Betroffenen Einsicht in alle nichtvertraulichen Verwaltungspapiere geben, die die angefochtene Entscheidung betreffen. In Ermangelung eines solchen Antrags gibt es daher keinen automatischen Zugang zu den im Besitz der Kommission befindlichen Unterlagen.
( vgl. Randnrn. 50, 63, 65 )
3. Das Vorliegen besonderer Umstände nach Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben ist nachgewiesen, wenn sich aus den Umständen des Falles ergibt, dass sich der Antragsteller im Vergleich zu anderen Wirtschaftsteilnehmern, die die gleiche Tätigkeit ausüben, in einer außergewöhnlichen Lage befindet und dass er ohne diese Umstände den Nachteil, der in der Nacherhebung der Zölle liegt, nicht erlitten hätte. Bei der Prüfung, ob nach Lage des Falles besondere Umstände vorliegen, die weder auf offensichtliche Fahrlässigkeit noch auf eine betrügerische Absicht des Betroffenen im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 zurückgehen, muss die Kommission sämtliche relevanten Tatsachen berücksichtigen. In Fällen, in denen die Abgabenpflichtigen zur Begründung ihrer Erlassanträge schwerwiegende Fehler der Vertragsparteien bei der Anwendung eines die Gemeinschaft bindenden Abkommens geltend gemacht haben, folgt aus dieser Verpflichtung, dass die Kommission in ihre Beurteilung, ob diese Anträge begründet sind, sämtliche tatsächlichen Umstände der streitigen Einfuhren einbeziehen muss, die ihr im Rahmen ihrer Aufgabe, die Anwendung dieses Abkommens zu überwachen und zu kontrollieren, bekannt geworden sind. Weiter darf die Kommission angesichts ihrer Verpflichtung, sämtliche maßgeblichen Tatsachen zu würdigen, und des Grundsatzes der Billigkeit, der Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 zugrunde liegt, relevante Informationen nicht unbeachtet lassen, die ihr bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben bekannt geworden sind und die, obgleich sie in der Phase des nationalen Verfahrens nicht in den Verwaltungsakten enthalten waren, möglicherweise einen Erlass zugunsten der Betroffenen hätten rechtfertigen können.
Überdies muss die Kommission, auch wenn sie bei der Anwendung von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 über einen Beurteilungsspielraum verfügt, bei der Ausübung dieser Befugnis das Interesse der Gemeinschaft an der Beachtung der Zollbestimmungen und das Interesse des gutgläubigen Importeurs daran, keine Nachteile zu erleiden, die über das normale Geschäftsrisiko hinausgehen, wirklich gegeneinander abwägen. Daher darf sie sich bei der Prüfung, ob ein Erlassantrag begründet ist, nicht darauf beschränken, das Verhalten der Importeure zu berücksichtigen. Sie muss auch die Auswirkungen ihres eigenen, gegebenenfalls fehlerhaften Verhaltens auf die entstandene Lage würdigen.
( vgl. Randnrn. 92-95 )
4. Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben bietet lediglich die Möglichkeit, bei Vorliegen besonderer Umstände bestimmter Art und unter der Voraussetzung, dass nicht fahrlässig oder in betrügerischer Absicht gehandelt wurde, Wirtschaftsteilnehmer von der Zahlung der geschuldeten Abgaben freizustellen; er erlaubt es nicht, das Bestehen der Zollschuld dem Grunde nach in Zweifel zu ziehen. Die Anwendung des materiellen Zollrechts fällt nämlich in die ausschließliche Zuständigkeit der nationalen Zollbehörden. Deren Entscheidungen, einschließlich der Entscheidungen über die Nacherhebung der nicht erhobenen Zölle, können nach Artikel 243 des Zollkodex vor den nationalen Gerichten angefochten werden, die ihrerseits den Gerichtshof aufgrund von Artikel 234 EG anrufen können.
Das in den Artikeln 906 bis 909 der Verordnung Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften vorgesehene Verfahren vor der Kommission hat dagegen gemäß Artikel 905 dieser Verordnung lediglich die Prüfung der Voraussetzungen für den in Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1430/79 vorgesehenen Erlass zum Gegenstand; der Abgabenpflichtige, der die Nichtigerklärung der nach Abschluss dieses Verfahrens getroffenen Entscheidung begehrt, kann sich daher mit Erfolg nur auf Klagegründe oder Argumente stützen, die belegen sollen, dass im konkreten Fall besondere Umstände vorliegen und/oder dass er nicht fahrlässig oder in betrügerischer Absicht gehandelt hat. In keinem Fall kann er im Hinblick auf diese Entscheidung Klagegründe oder Argumente vorbringen, die dartun sollen, dass die Entscheidungen der zuständigen nationalen Behörden, mit denen die Zahlung der streitigen Abgaben verlangt wird, rechtswidrig sind. Diese Situation beeinträchtigt nicht den Rechtsschutz der Gemeinschaftsimporteure. Der Abgabenpflichtige kann nämlich mit Argumenten, mit denen die Rechtmäßigkeit der Rücknahme von Zeugnissen im Rahmen des Verfahrens der Artikel 905 ff. der Verordnung Nr. 2454/93 in Frage gestellt wird, deshalb nicht gehört werden, weil die Kommission für eine Entscheidung über diese Frage nicht zuständig ist. Nichts hindert den Abgabenpflichtigen im Übrigen daran, solche Argumente gegebenenfalls im Rahmen der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung der nationalen Zollbehörden durch das zuständige nationale Gericht vorzubringen.
( vgl. Randnrn. 98-100 )
5. Der Umstand, dass die Zollbehörden eines Mitgliedstaats Zölle nacherheben, nachdem die Behörden eines Drittstaats Ursprungszeugnisse zurückgenommen haben, die sich aufgrund einer nachträglichen Kontrolle durch die Behörden dieses Staates als ungültig erwiesen haben, stellt ein normales Geschäftsrisiko dar, dem jeder umsichtige und mit der Rechtslage vertraute Wirtschaftsteilnehmer Rechnung tragen muss. Es ist somit Sache der Wirtschaftsteilnehmer, sich gegen solche Risiken abzusichern, indem sie insbesondere im Rahmen der vertraglichen Beziehungen zu ihren Lieferanten die notwendigen Vorkehrungen treffen, und gegebenenfalls Schadensersatzklage gegen den Urheber der Fälschung zu erheben. Dieses Ergebnis ist umso zwingender, als die gegenteilige Betrachtungsweise - den durch die Nacherhebung entstandenen Schaden also gegebenenfalls als einen besonderen Umstand im Sinne von Artikel 13 der Verordnung Nr. 1430/79 über die Erstattung oder den Erlass von Eingangs- oder Ausfuhrabgaben anzusehen - die Möglichkeit einer Nacherhebung von Zöllen überhaupt gefährden würde, da diese Art der Erhebung definitionsgemäß nach der ursprünglichen Einfuhr und dem anschließenden Verkauf der eingeführten Waren erfolgt und jeder Rückforderung der nicht gezahlten Zölle somit entgegenstehen würde.
( vgl. Randnrn. 114-115 )