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Document 61994TJ0146

    Leitsätze des Urteils

    URTEIL DES GERICHTS (Fünfte Kammer)

    7. März 1996

    Rechtssache T-146/94

    Calvin Williams

    gegen

    Rechnungshof der Europäischen Gemeinschaften

    „Beamte — Pflichten — Handlungen, die dem Ansehen des öffentlichen Dienstes zuwiderlaufen — Treuepflicht — Disziplinarverfahren — Entfernung aus dem Dienst“

    Vollständiger Wortlaut in französischer Sprache   II-329

    Gegenstand:

    Klage auf Aufhebung der Entscheidung des Rechnungshofs vom 24. Juni 1993 über die Entfernung des Klägers aus dem Dienst ohne Kürzung oder Aberkennung seines Anspruchs auf das nach dem Dienstalter bemessene Ruhegehalt

    Ergebnis:

    Abweisung

    Zusammenfassung des Urteils

    Im Rahmen seiner Kandidatur bei der Wahl zur Personalvertretung des Rechnungshofs verteilte der Kläger in den Räumen des Rechnungshofs zwei als diffamierend angesehene Schriftstücke, woraufhin er seines Dienstes vorläufig enthoben und gegen ihn ein Disziplinarverfahren nach Anhang IX des Beamtenstatuts der Europäischen Gemeinschaften (Statut) eingeleitet wurde. Der befaßte Disziplinarrat empfahl in seiner Stellungnahme, die Disziplinarstrafe des Artikels 86 Absatz 2 Buchstabe f des Statuts anzuwenden. Mit Entscheidung vom 24. Juni 1993 verhängte die Anstellungsbehörde gegenüber dem Kläger in Anbetracht der Schwere der ihm zuzurechnenden Verstöße sowie der erschwerenden und mildernden Umstände die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst ohne Kürzung oder Aberkennung seines Anspruchs auf das nach dem Dienstalter bemessene Ruhegehalt. Die Anstellungsbehörde stellte in dieser Entscheidung fest, daß der Kläger zwei Schriftstücke verfaßt habe, die beleidigende, diffamierende und ehrenrührige Äußerungen über die Mitglieder und mehrere Bedienstete des Rechnungshofs sowie über Mitglieder anderer Organe enthielten, und daß diese Schriftstücke der Öffentlichkeit zugänglich gemacht worden seien, da sie an Personen gerichtet worden seien, die nicht dem Rechnungshof angehörten, und in der Cafeteria und im Restaurant verteilt worden seien, wo Personen, die nicht dem Rechnungshof angehörten, von ihnen hätten Kenntnis nehmen können. Außerdem verstießen die vom Kläger verteilten schriftlichen Äußerungen sowohl gegen Artikel 12 Absatz 1 des Statuts, da sie dem Ansehen des von ihm wahrgenommenen Amtes eines Hauptverwaltungsrats abträglich seien, als auch gegen Artikel 21 Absatz 1 des Statuts, da die Äußerungen ihrem Wesen nach einen Verstoß gegen die Treuepflicht darstellten, die jedem Beamten gegenüber dem Organ, dem er angehöre, und seinen Vorgesetzten obliege.

    Nach Zustellung dieser Entscheidung reichte der Kläger am 23. September 1993 beim Generalsekretariat des Rechnungshofs ein Schriftstück mit der Überschrift „Beschwerde nach Artikel 90 Absatz 2 des Statuts“ ein, in dem ein in Anlage beigefügtes Schriftstück erwähnt wird, das die gleichen Gründe, Rügen und Argumente enthalte, wie er sie im Rahmen der Klage, die er beim Gericht einreiche, genannt und weiter ausgeführt habe. Am selben Tag reichte der Kläger beim Gericht eine Klage ein, die unter der Nummer T-522/93 in das Register eingetragen und dem Rechnungshof am 27. September zugestellt wurde. Am 24. September 1993 bestätigte der Generalsekretär den Empfang der beim Rechnungshof am 23. September 1993 eingereichten Beschwerde, wobei er klarstellte, daß die darin genannte Anlage nicht beigefügt sei. Mit Beschluß vom 16. Dezember 1993 wies das Gericht die Klage in der Rechtssache T-522/93 mit der Begründung als unzulässig ab, sie sei verfrüht erhoben worden. Am 24. Januar 1994 wies der Rechnungshof die Beschwerde des Klägers vom 23. September 1993 als unzulässig und jedenfalls als unbegründet zurück.

    Der Kläger hat sodann die vorliegende Klage erhoben und gleichzeitig einen Antrag auf einstweilige Anordnung gestellt, der durch Beschluß des Präsidenten des Gerichts vom 29. Juni 1994 in der Rechtssache T-146/94 R (Williams/Rechnungshof, Slg. ÖD 1994, II-571) zurückgewiesen worden ist.

    Zulässigkeit

    Da der Zweck des Vorverfahrens in der einverständlichen Beilegung einer zum Zeitpunkt der Einlegung der Beschwerde entstehenden Rechtsstreitigkeit besteht, muß die Anstellungsbehörde von den Argumenten des Beamten gegen eine Verwaltungsentscheidung hinreichend genau Kenntnis nehmen können. Daraus folgt, daß die Beschwerde eine Darstellung der gegen die betreffende Verwaltungsentscheidung geltend gemachten Beschwerdegründe und Argumente enthalten muß (Randnr. 44).

    Verweisung auf: Gerichtshof. 14. März 1989, Del Arno Martinez/Parlament, 133/88, Slg. 1989, 689. Randnr. 9; Gericht, 22. Juni 1990, Marcopoulos/Gerichtshof, T-32/89 und T-39/89, Slg. 1990. II-281, Randnr. 28

    Die Beschwerde enthielt weder die Darstellung eines Beschwerdegrunds noch eines Arguments. Sie bestand aus zwei Seiten. Auf der ersten Seite waren zwei Eingangsstempel angebracht; auf der zweiten Seite wurde eine Anlage erwähnt, die sämtliche Gründe, Rügen und Argumente enthalte, die im Rahmen der Klage ausgeführt würden, die der Kläger angeblich am selben Tag beim Gericht einreichen wollte. Die Darstellung des Vorbringens befand sich folglich nicht in der Beschwerdeschrift selbst, sondern in einem anderen Schriftstück, das nach Angaben des Klägers der Beschwerde beigefügt war; dies wird vom Beklagten bestritten (Randnrn. 45 und 46).

    Es ist nicht Aufgabe der mit der Entgegennahme von Schriftstücken administrativer Art im Namen des Organs betrauten Person, bei jedem ihr ausgehändigten Schriftstück zunächst zu prüfen, ob auf eine Anlage verwiesen wird und ob diese Anlage dem betreffenden Schriftstück tatsächlich beigefügt ist. Die Eingangsstempel bestätigen nur, daß ein Schriftstück am angegebenen Tag eingegangen ist, haben aber keine Beweiskraft bezüglich der Anzahl der Seiten, die dieses Schriftstück umfaßt. Stellt die Verwaltung beim Empfang eines Schriftstücks fest, daß ein erwähntes Dokument nicht beigefügt ist, so hat sie dem Unterzeichner des Schriftstücks dieses Fehlen anzuzeigen und ihn aufzufordern, es binnen kurzer Frist nachzureichen. Dieses Erfordernis stellt keinen Verstoß gegen den Grundsatz dar, daß die Fristen zwingend sind und nicht zur Disposition der Parteien oder des Gerichts stehen. Die Rechtssicherheit, der die Einhaltung der Fristen dient, wird nämlich nicht beeinträchtigt, wenn die Beschwerde fristgerecht eingelegt worden ist (Randnrn. 47 und 48).

    Das Gericht weist daraufhin, daß dem Beklagten durch die Kanzlei des Gerichts die vom Kläger eingereichte Klageschrift zugestellt wurde, die sämtliche Klagegründe und Argumente gegen die streitige Entscheidung enthielt. Somit konnte der Beldagte zwei Tage nach Ablauf der Beschwerdefrist vom Vorbringen des Klägers Kenntnis nehmen und folglich dazu Stellung nehmen (Randnr. 49).

    Da der Beldagte von den Argumenten des Klägers genau Kenntnis nehmen konnte, die Beschwerde in seiner Entscheidung als unbegründet zurückgewiesen hat und nach Prüfung eingehend auf die gleichen Gründe und Argumente wie die in der Klageschrift ausgeführten geantwortet hat, ist die von ihm erhobene Einrede der Unzulässigkeit folglich nicht begründet und die Klage somit zulässig (Randnrn. 50 bis 52).

    Begründetheit

    Zum Aufliebungsantrag

    Zum Klagegrund des Verstoßes gegen Artikel 12 Absatz 1 des Statuts

    — Zum Vorliegen einer Beeinträchtigung des Ansehens des Amtes

    Artikel 12 Absatz 1 des Statuts soll sicherstellen, daß die Gemeinschaftsbeamten in ihrem Verhalten ein würdiges Bild abgeben entsprechend dem besonders korrekten und ehrenwerten Verhalten, das man von den Angehörigen eines internationalen öffentlichen Dienstes erwarten darf. Die Bedeutung des Begriffs der Beeinträchtigung des Ansehens des Amtes ist daher anhand dieses Kriteriums zu untersuchen und kann nicht von der subjektiven Vorstellung abhängen, die sich der betroffene Beamte von den Aufgaben macht, die ihm innerhalb emes Gemeinschaftsorgans übertragen sind. Das Gericht erinnert daran, daß beleidigende Äußerungen dem Ansehen des Amtes abträglich sind (Randnrn. 64 bis 66).

    Verweisung auf: Gericht. 26. November 1991. Williams/Rechnungshof, T-146/89, Slg. 1991. II-1293, Randnrn. 76 und 80

    Da die beiden fraglichen Schriftstücke beleidigende und für die Mitglieder des Rechnungshofs und anderer Organe sowie für die Beamten und sonstigen Bediensteten ehrenrührige Behauptungen enthalten, sind sie als Meinungsäußerungen anzusehen, die dem Ansehen des Amtes abträglich sind (Randnr. 67).

    Der Respekt, den ein Beamter als Angehöriger des Personals eines Organs dem Ansehen seines Amtes schuldet, beschränkt sich nicht auf einen bestimmten Zeitpunkt, in dem er eine spezielle Aufgabe ausführt, sondern obliegt ihm in jeder Situation, insbesondere auch im Rahmen einer Wahl zur Personalvertretung, da seine Stellung als Beamter gerade eine Voraussetzung für die Kandidatur ist (Randnr. 68).

    Das Gericht erinnert daran, daß es einem Beamten, wenn er der Meinung ist, daß bestimmte Maßnahmen eines Organs unter Verstoß gegen die Vorschriften der Verträge getroffen wurden, frei steht, von allen ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen oder die geeigneten Schritte einzuleiten, jedoch unter Einhaltung der Grundsätze des Statuts, d. h. unter Beachtung der Pflicht zu der von jedem Beamten zu fordernden Zurückhaltung und Mäßigung sowohl bei seinen schriftlichen als auch bei seinen mündlichen Äußerungen (Randnr. 69).

    Verweisung auf: Williams/Rechnungshof, a. a. O., Randnr. 80

    Die angefochtene Entscheidung ist zu Recht davon ausgegangen, daß die betreffenden schriftlichen Äußerungen dem Ansehen des Amtes abträglich seien; diese Rüge ist daher zurückzuweisen (Randnrn. 70 und 71).

    — Zum öffentlichen Charakter der Meinungsäußerung

    Eine auf das Organ selbst beschränkte Verbreitung von Noten, die dem Ansehen des Amtes abträglich sind, und sei es im Rahmen eines VerwaltungsVerfahrens, erfüllt die in Artikel 12 Absatz 1 des Statuts für einen Verstoß gegen diesen Artikel aufgestellte Voraussetzung der Öffentlichkeit. Insoweit ist das Gericht der Auffassung, daß das Ansehen des öffentlichen Dienstes der Gemeinschaften nicht nur durch das negative Bild beeinträchtigt werden kann, das ein Beamter außerhalb seines Organs abgibt, sondern auch durch ein Verhalten, das sich auf das Organ selbst beschränkt, wo der Beamte insbesondere ein angemessenes und respektvolles Verhalten gegenüber diesem Organ und allen dort beschäftigten Personen zu zeigen hat (Randnrn. 79 und 80).

    Verweisung auf: Williams/Rechnungshof, a. a. O., Randnr. 76

    Die beiden betreffenden schriftlichen Äußerungen gelangten innerhalb wie außerhalb des Organs an die Öffentlichkeit. Bezüglich der Öffentlichkeit außerhalb des Organs hat der Kläger selbst eingeräumt, daß die Verbreitung dieser schriftlichen Äußerungen im Restaurant des Rechnungshofs auch Außenstehende berührt habe und daß er Persönlichkeiten außerhalb des Organs Exemplare zugesandt habe. Im übrigen ist allgemein bekannt, daß die Restaurants der Gemeinschaftsorgane von Beamten der verschiedenen Organe und ihren Familienangehörigen besucht werden (Randnrn. 81 und 82).

    Der Beklagte ist somit zutreffend der Ansicht gewesen, daß die betreffenden schriftlichen Äußerungen innerhalb und außerhalb des Organs an die Öffentlichkeit gelangt sind; daher ist die Rüge des Klägers zurückzuweisen. Der Beklagte ist auch mit vollem Recht der Ansicht gewesen, daß die schriftlichen Äußerungen und ihre Verbreitung einen Verstoß gegen Artikel 12 Absatz 1 des Statuts darstellten. Somit ist der Klagegrund zurückzuweisen (Randnrn. 83 bis 86).

    Zum Klagegrund des Verstoßes gegen Artikel 21 Absatz 1 des Statuts

    Artikel 21 Absatz 1 des Statuts stellt eine Treue- und Mitwirkungspflicht auf, die jedem Beamten gegenüber dem Organ, dem er angehört, und seinen Vorgesetzten obliegt. Diese Treue- und Mitwirkungspflicht enthält nicht nur positive Verpflichtungen, sondern erst recht auch die negative Verpflichtung, ganz allgemein Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Würde des Organs und seiner Funktionsträger sowie den Respekt ihnen gegenüber beeinträchtigen (Randnrn. 96 und 97).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 14. Dezember 1966, Alfieri/Parlament, Slg. 1966, 654, 672; Williams/Rechnungshof, a. a. O., Randnr. 72

    Die als beleidigend und diffamierend beurteilten Äußerungen des Klägers in den beiden Schriftstücken stellen ihrem Wesen nach eine schwere Verletzung der Treue-und Mitwirkungspflicht dar, die jedem Beamten gegenüber dem Organ, dem er angehört, und seinen Vorgesetzten obliegt. Die beleidigenden und diffamierenden Behauptungen des Klägers in den streitigen Flugblättern beziehen sich nämlich praktisch ausschließlich auf die Art und Weise, in der der Rechnungshof seine Aufgabe der Rechnungsprüfung im institutionellen Rahmen der Gemeinschaft erfüllt. Somit ist der Umfang der Treue- und Mitwirkungspflicht, die dem Kläger gegenüber dem Organ, dem er angehört, und seinen Vorgesetzten obliegt, gerade im Lichte der Tatsache zu beurteilen, daß er als Beamter zur Erfüllung der seinem Organ übertragenen Kontrollaufgabe beiträgt. Der Umstand, daß die fraglichen Äußerungen im Rahmen einer Kampagne für die Wahl der Personalvertretung des Rechnungshofs erfolgten, kann an dieser Beurteilung nichts ändern. Denn die Beachtung dieser Treue- und Mitwirkungspflicht ist nicht nur bei der Durchführung der dem Beamten übertragenen speziellen Aufgaben geboten, sondern gilt auch für den gesamten Bereich der Beziehungen zwischen dem Beamten und dem Organ. Eine Wahlkampagne betreffend eine aufgrund des Statuts geschaffene Einrichtung fällt in den Bereich der Beziehungen zwischen dem Beamten und seinem Organ, und anläßlich dieser Kampagne darf nicht gegen die in Artikel 21 Absatz 1 des Statuts verankerte Verpflichtung verstoßen werden (Randnrn. 98 bis 100).

    Verweisung auf: Williams/Rechnungshof, a. a. O., Randnr. 72

    Zum Recht des Beamten auf freie Meinungsäußerung genügt der Hinweis, daß ein solches Recht keinesfalls im Wege diffamierender oder beleidigender Behauptungen ausgeübt werden darf (Randnr. 101).

    Der Beklagte hat die Verbreitung der beiden schriftlichen Äußerungen mit vollem Recht als einen Verstoß gegen Artikel 21 Absatz 1 des Statuts eingeordnet. Dieser Klagegrund ist somit zurückzuweisen (Randnrn. 102 und 103).

    Zum Klagegrund des Verstoßes gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und des Fehlens einer schlüssigen Begründung

    — Zum Umfang des Klagegrunds

    Die Anstellungsbehörde kann die angemessene Disziplinarstrafe wählen, wenn die dem Beamten zur Last gelegten Handlungen festgestellt sind, und der Gemeinschaftsrichter kann die von der Anstellungsbehörde getroffene Wahl nicht beanstanden, sofern die verhängte Disziplinarstrafe nicht unverhältnismäßig im Hinblick auf die dem Beamten zur Last gelegten Handlungen ist (Randnr. 106).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 4. Februar 1970, Van Eick/Kommission, 13/69, Slg. 1970, 3, Randnrn 24 und 25; Gerichtshof. 30. Mai 1973. De Geef/Kommission, 46/72, Slg. 1973, 543, Randnrn 44 bis 46; Gerichtshof, 29. Januar 1985. F./Kommission, 228/83, Slg. 1985, 275, Randnr. 34; Gerichtshof, 19. April 1988. M./Rat. 175/86 und 209/86. Slg. 1988, 1891, Randnr. 9; Williams/Rechnungshof, a. a. O., Randnr. 83

    Die Bestimmung der Disziplinarstrafe beruht auf einer Gesamtwürdigung aller konkreten Tatsachen und aller Umstände des jeweiligen Falles durch die Anstellungsbehörde, da die Artikel 86 bis 89 des Statuts das Verhältnis zwischen den Strafen und den verschiedenen Arten von Pflichtverletzungen des Beamten nicht festlegen und nicht regeln, inwiefern sich das Vorliegen von erschwerenden oder mildernden Umständen auf die Wahl der Strafe auszuwirken hat. Daher beschränkt sich die Prüfung des Gerichts auf die Frage, ob die Gewichtung der erschwerenden und mildernden Umstände durch die Anstellungsbehörde verhältnismäßig war, wobei sich das Gericht bezüglich der Werturteile, die die Anstellungsbehörde insoweit getroffen hat, wohlgemerkt nicht an deren Stelle setzen kann (Randnrn. 107 und 108).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 5. Februar 1987, F./Kommission, 403/85, Slg. 1987, 645, Randnr. 26; Williams/Rechnungshof, a. a. 0., Randnr. 83

    — Zum ersten erschwerenden Umstand

    Das Gericht kann dem ersten Argument des Klägers, die verwendeten Worte seien aufgrund seiner psychischen Störungen nicht reiflich überlegt gewesen, nicht folgen. Die vom Kläger mehrere Monate nach dem Verfassen der fraglichen Schriftstücke abgegebenen Erklärungen konnten die Beurteilung der Anstellungsbehörde, daß die verwendeten Worte reiflich überlegt gewesen seien, nur bestätigen (Randnr. 116).

    Das Gericht kann auch dem zweiten Argument des Klägers nicht folgen, daß während einer Wahlkampagne gefallene Äußerungen sprachliche Ausfälle enthalten könnten. Das Gericht hat nämlich entschieden (siehe Randnr. 67), daß die betreffenden Schriftstücke beleidigende und diffamierende Äußerungen enthielten und daß auch im Rahmen einer Wahlkampagne die Verwendung dieser Art von Sprache durch nichts gerechtfertigt sein kann. Im übrigen beziehen sich die beleidigenden und diffamierenden Behauptungen des Klägers in den streitigen Flugblättern praktisch ausschließlich auf die Art und Weise, in der der Rechnungshof seine Aufgabe der Rechnungsprüfung im institutionellen Rahmen der Gemeinschaft erfüllt; diese Aufgabe, die in den Artikeln 188a undl88c EG-Vertrag niedergelegt ist, fällt keinesfalls in die Befugnisse der Personalvertretung, in die der Kläger gewählt werden wollte. Deren Befugnisse, wie sie in Artikel 9 des Statuts niedergelegt sind, betreffen nämlich ausschließlich die interne Arbeitsweise eines Organs und die Beteiligung an der Personalverwaltung. Es bestand somit keine Verbindung zwischen der Funktion der Einrichtung, in die der Kläger gewählt werden wollte, und dem Inhalt seiner schriftlichen Äußerungen. Folglich können die in den Flugblättern aufgestellten Behauptungen in Anbetracht des vollständig fehlenden Zusammenhangs mit den Funktionen der Einrichtung, in die der Kläger gewählt werden wollte, nicht aufgrund ihres Zusammenhangs mit der Wahl gerechtfertigt sein (Randnr. 117).

    Überdies hatte es der Disziplinarrat in seiner Stellungnahme vom 10. Juli 1992 als einen erschwerenden Umstand angesehen, daß die beleidigenden und diffamierenden Äußerungen schriftlich erfolgt seien. Daher ist die Rüge des Klägers zurückzuweisen (Randnrn. 118 und 119).

    — Zum zweiten erschwerenden Umstand

    Das Argument des Klägers geht aus tatsächlichen Gründen fehl. Es wurde nämlich entschieden (siehe Randnr. 81), daß die Verbreitung der Flugblätter innerhalb und außerhalb des Organs erwiesen war und daß der Kläger selbst einräumte, daß die Verbreitung dieser schriftlichen Äußerungen im Restaurant und in der Cafeteria auch nicht beim Rechnungshof beschäftigte Personen berührt hatte und er Persönlichkeiten außerhalb des Organs Exemplare zugesandt hatte. Außerdem war der Disziplinarrat in seiner Stellungnahme vom 10. Juli 1992 der Ansicht, daß die Verbreitung der fraglichen Schriftstücke im Restaurant und in der Cafeteria des Rechnungshofs zu einem Zeitpunkt, in dem nicht beim Organ beschäftigte Personen anwesend gewesen seien, einen erschwerenden Umstand darstelle. Die Rüge ist daher zurückzuweisen (Randnrn. 123 bis 125).

    — Zum dritten erschwerenden Umstand

    Der hier zu prüfende erschwerende Umstand besteht nicht darin, daß der Kläger zu unangemessen Vorgehensweisen gegriffen hat, sondern darin, daß er rückfällig geworden ist, d. h. daß er zu Vorgehensweisen gegriffen hat, die mit denen vergleichbar sind, die ihm in der Vergangenheit bereits Disziplinarstrafen eingebracht hatten. Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden, daß die Verwaltung trotz der Schwere der erhobenen Vorwürfe berechtigt ist, mit Rücksicht auf sonstige Umstände, etwa weil der Kläger bisher noch nicht mit einer Disziplinarstrafe belegt worden war, nur eine leichte Strafe zu verhängen. Im Gegenschluß kann aus dieser Rechtsprechung gefolgert werden, daß die Anstellungsbehörde das Vorliegen einer früheren Disziplinarstrafe als erschwerenden Umstand berücksichtigen kann (Randnr. 128).

    Verweisung auf: Gerichtshof, 8. Juli 1965, Fonzi/Kommissionder EAG, 27/64 und 30/64, Slg. 1965, 652. 676 f.

    Aus den Akten ergibt sich, daß gegen den Kläger wegen Handlungen, die mit den vorliegenden vergleichbar sind, bereits zwei Disziplinarstrafen verhängt wurden, nämlich wegen einer Note, der es an der elementarsten Höflichkeit gegenüber einem Vorgesetzten fehlte, und wegen schriftlicher Äußerungen, die als beleidigend und diffamierend für den Rechnungshof, seine Mitglieder und seine Bediensteten angesehen worden waren. Gegen die letztgenannte Entscheidung erhob der Kläger beim Gericht Klage, über die mit Urteil vom 26. November 1991 (Williams/Rechnungshof, a. a. O.) entschieden wurde, das die gegen den Kläger verhängte Disziplinarstrafe im vollen Umfang bestätigte. Der Umstand, daß der dem vorliegenden Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt in eine Wahlkampagne eingebettet ist, während die dem Kläger in den vorangegangenen Disziplinarverfahren zur Last gelegten Handlungen in einem anderen Rahmen erfolgten, kann die Beurteilung der Anstellungsbehörde nicht entkräften, daß das Verhalten des Klägers als Rückfall zu werten sei. Überdies wurden in den Noten, die zu der im Urteil vom 26. November 1991 (Williams/Rechnungshof, a. a. O.) behandelten Disziplinarstrafe führten, und in den Flugblättern, aufgrund deren gegen den Kläger die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst verhängt wurde, beleidigende und diffamierende Äußerungen gegenüber Mitgliedern des Rechnungshofs gesehen (Randnrn. 129 bis 131).

    Schließlich war der Disziplinarrat in seiner Stellungnahme vom 10. Juli 1992 der Ansicht, daß das Vorliegen früherer Disziplinarstrafen wegen für unhöflich, verleumderisch oder diffamierend befundener schriftlicher Äußerungen einen erschwerenden Umstand darstelle. Das Gericht ist daher der Auffassung, daß der Beklagte befugt war, als erschwerend den Umstand zu berücksichtigen, daß gegen den Kläger bereits zwei Disziplinarstrafen wegen Handlungen verhängt worden waren, die mit den vorliegenden vergleichbar waren. Daher ist die Rüge des Klägers zurückzuweisen (Randnrn. 132 bis 134).

    Nach alledem ist das Gericht der Auffassung, daß nichts dafür ersichtlich ist, daß die verhängte Disziplinarstrafe gegenüber dem vorgeworfenen Verhalten und den von der Anstellungsbehörde zutreffend festgestellten erschwerenden Umständen unverhältnismäßig ist. Ferner ergibt sich, daß die angefochtene Entscheidung eine

    angemessene Begründung enthält, da sie die zu Lasten des Klägers festgestellten Tatsachen und die Beurteilungskriterien klar darlegt, aufgrund deren die Anstellungsbehörde die Disziplinarstrafe der Entfernung aus dem Dienst erlassen hat. Daher ist der Klagegrund zurückzuweisen und die Anfechtungsklage als unbegründet abzuweisen (Randnrn. 135 bis 138).

    Zu den anderen Anträgen

    Zu dem Antrag auf Wiederverwendung des Klägers in allen seinen Aufgaben erinnert das Gericht daran, daß das Gemeinschaftsgericht einem Gemeinschaftsorgan keine Anweisungen erteilen kann, ohne in dessen Zuständigkeitsbereich einzugreifen. Daher ist dieser Antrag als unzulässig abzuweisen (Randnr. 139).

    Verweisung auf: Gericht. 10. April 1992, Bollendorff/Parlament.T-15/91, Slg. 1992, II-1679, Randnr. 57

    Da der Aufhebungsantrag nicht begründet ist, sind die weiteren Anträge, die für den Fall gestellt sind, daß die Entscheidung über die Entfernung aus dem Dienst aufgehoben wird, gegenstandslos. Daher ist die Klage insgesamt abzuweisen (Randnrn. 140 und 141).

    Tenor:

    Die Klage mrd abgewiesen.

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