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Document 61989TJ0065

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

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1. Wettbewerb ° Verwaltungsverfahren ° Akteneinsicht ° Verpflichtung der Kommission gemäß den von ihr selbst in einem Bericht über die Wettbewerbspolitik aufgestellten Regeln

2. Wettbewerb ° Verwaltungsverfahren ° Akteneinsicht ° Zweck ° Wahrung der Verteidigungsrechte ° Anhörungsrecht

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 19 Absätze 1 und 2; Verordnung Nr. 99/63 der Kommission, Artikel 2)

3. Wettbewerb ° Beherrschende Stellung ° Mißbrauch ° Alleinbezugsverträge ° Treuerabatt

(EWG-Vertrag, Artikel 86)

4. Wettbewerb ° Beherrschende Stellung ° Mißbrauch ° Begriff

(EWG-Vertrag, Artikel 86)

5. Wettbewerb ° Beherrschende Stellung ° Mißbrauch ° Begriff ° Kein Verschulden

(EWG-Vertrag, Artikel 86)

6. Wettbewerb ° Beherrschende Stellung ° Mißbrauch ° Verbot ° Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 ° Unbeachtlich

(EWG-Vertrag, Artikel 85 Absatz 3 und 86)

7. Wettbewerb ° Beherrschende Stellung ° Mißbrauch ° Begriff ° Vorrangige Belieferung von Kunden, die nicht bei Konkurrenten beziehen, bei Lieferengpässen

(EWG-Vertrag, Artikel 86)

8. Wettbewerb ° Beherrschende Stellung ° Mißbrauch ° Treuerabatt

(EWG-Vertrag, Artikel 86)

9. Wettbewerb ° Beherrschende Stellung ° Beeinträchtigung des Handels zwischen Mitgliedstaaten ° Kriterien

10. Wettbewerb ° Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften ° Von einer Tochtergesellschaft begangene Zuwiderhandlung ° Der Muttergesellschaft zuzurechnende Zuwiderhandlung ° Voraussetzungen

11. Wettbewerb ° Gemeinschaftsrechtliche Vorschriften ° Zuwiderhandlungen ° Vorsätzliche Begehung ° Begriff

(Verordnung Nr. 17 des Rates, Artikel 15)

Leitsätze

1. Hat die Kommission ein Verfahren zur Akteneinsicht in Wettbewerbssachen geschaffen und die entsprechenden Regeln in einem ihrer Berichte über die Wettbewerbspolitik aufgestellt und bekanntgemacht, so ist sie verpflichtet, den von einem Verfahren zur Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages betroffenen Unternehmen die Gesamtheit der belastenden und entlastenden Schriftstücke zugänglich zu machen, die sie im Laufe der Untersuchung gesammelt hat; hiervon ausgenommen sind nur Geschäftsgeheimnisse anderer Unternehmen, interne Schriftstücke der Kommission und andere vertrauliche Informationen.

2. Bei Wettbewerbssachen soll das Verfahren der Akteneinsicht die Empfänger einer Mitteilung der Beschwerdepunkte in die Lage versetzen, die Beweisstücke in der Akte der Kommission zur Kenntnis zu nehmen, damit sie sinnvoll zu den Schlußfolgerungen Stellung nehmen können, zu denen die Kommission in ihrer Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgrund dieser Beweisstücke gelangt ist. Die Akteneinsicht gehört somit zu den Verfahrensgarantien, die die Rechte der Verteidigung schützen und insbesondere eine effektive Ausübung des in Artikel 19 Absätze 1 und 2 der Verordnung Nr. 17 und in Artikel 2 der Verordnung Nr. 99/63 vorgesehenen Anhörungsrechts sicherstellen sollen.

3. Ein Unternehmen in marktbeherrschender Stellung trägt eine besondere Verantwortung dafür, daß es einen wirksamen und unverfälschten Wettbewerb auf dem Gemeinsamen Markt nicht beeinträchtigt. Ein solches Unternehmen, das Abnehmer, sei es auch auf deren Wunsch, durch die Verpflichtung oder Zusage, ihren gesamten Bedarf oder einen beträchtlichen Teil davon ausschließlich bei ihm zu beziehen, an sich bindet, nutzt eine beherrschende Stellung im Sinne von Artikel 86 des Vertrages mißbräuchlich aus, ohne daß es darauf ankäme, ob die fragliche Verpflichtung ohne weiteres oder gegen eine Rabattgewährung eingegangen worden ist. Wenn nämlich ein Wirtschaftsteilnehmer eine starke Marktstellung innehat, stellt der Abschluß von Alleinbezugsverträgen für einen erheblichen Teil der Umsätze eine nicht hinnehmbare Behinderung des Zugangs zu diesem Markt dar.

4. Zwar kann das Vorliegen einer beherrschenden Stellung einem Unternehmen, das sich in dieser Stellung befindet, nicht das Recht nehmen, seine eigenen geschäftlichen Interessen zu wahren, wenn diese bedroht sind, und es hat auch in angemessenem Umfang die Möglichkeit, so vorzugehen, wie es dies zum Schutz seiner Interessen für richtig hält; jedoch ist ein Verhalten des Unternehmens nicht zulässig, das auf eine Verstärkung dieser beherrschenden Stellung und ihren Mißbrauch abzielt.

5. Da der Begriff der mißbräuchlichen Ausnutzung ein objektiver Begriff ist, kann das Verhalten eines Unternehmens in beherrschender Stellung auch ohne jedes Verschulden als mißbräuchlich im Sinne von Artikel 86 des Vertrages betrachtet werden.

6. Die Gewährung einer Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages schließt eine Anwendung des Artikels 86 nicht aus.

7. Artikel 86 des Vertrages verbietet es einem beherrschenden Unternehmen, seine Stellung durch andere Mittel als solche eines Leistungswettbewerbs zu stärken. Einem Unternehmen in beherrschender Stellung steht es deshalb zwar frei, bei Lieferengpässen Kriterien für die vorrangige Erledigung von Aufträgen festzulegen; diese Kriterien müssen jedoch objektiv sein, dürfen in keiner Weise diskriminierend sein und müssen objektiv gerechtfertigt sein und den Regeln eines lauteren Wettbewerbs unter Wirtschaftsteilnehmern gehorchen.

Diesem Erfordernis genügt ein Kriterium nicht, das auf der Unterscheidung zwischen Kunden, die ihre Lieferungen ausschließlich von dem Unternehmen in beherrschender Stellung beziehen, und denen beruht, die auch mit Erzeugnissen handeln, die bei bestimmten Konkurrenten gekauft wurden.

8. Es stellt einen Mißbrauch im Sinne von Artikel 86 des Vertrages dar, wenn ein Lieferant, der eine marktbeherrschende Stellung hat und von dem der Kunde aus diesem Grund mehr oder weniger abhängig ist, einen wie auch immer gearteten Treuerabatt gewährt und dadurch versucht, seine Kunden über die Gewährung finanzieller Vorteile vom Bezug bei seinen Konkurrenten abzuhalten.

9. Für die Anwendbarkeit von Artikel 86 des Vertrages ist es notwendig und ausreichend, wenn das mißbräuchliche Verhalten geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen; es ist nicht erforderlich, das Vorliegen einer gegenwärtigen und tatsächlichen Auswirkung auf den zwischenstaatlichen Handel festzustellen. Die Voraussetzung der Beeinträchtigung des Handels ist nämlich als erfuellt anzusehen, wenn nachgewiesen ist, daß der innergemeinschaftliche Handel tatsächlich oder, zumindest potentiell, spürbar beeinträchtigt worden ist.

10. Der Umstand, daß eine Tochtergesellschaft eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, schließt noch nicht aus, daß ihr Verhalten der Muttergesellschaft zugerechnet werden kann; dies gilt insbesondere dann, wenn die Tochtergesellschaft, obwohl sie eigene Rechtspersönlichkeit besitzt, ihr Marktverhalten nicht autonom bestimmt, sondern im wesentlichen Weisungen der Muttergesellschaft befolgt. Eine hundertprozentige Tochtergesellschaft befolgt grundsätzlich zwangsläufig die von der Muttergesellschaft festgelegte Politik.

11. Die Einstufung eines Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln des Vertrages als vorsätzlich setzt nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstosses gegen ein durch diese Regeln festgelegtes Verbot bewusst gewesen ist; es genügt vielmehr, daß es sich nicht in Unkenntnis darüber befinden konnte, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Verfälschung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bezweckte oder bewirken konnte.

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