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Document 62013CJ0352

    CDC Hydrogen Peroxide

    Rechtssache C‑352/13

    Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA

    gegen

    Akzo Nobel NV u. a.

    (Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Dortmund)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts — Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen — Verordnung (EG) Nr. 44/2001 — Besondere Zuständigkeiten — Art. 6 Nr. 1 — Klage gegen mehrere in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Beklagte, die an einem für unvereinbar mit Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erklärten Kartell teilgenommen haben, auf ihre gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften — Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hinsichtlich der Mitbeklagten — Rücknahme der Klage gegen den Beklagten, der in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem das angerufene Gericht seinen Sitz hat — Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung — Art. 5 Nr. 3 — Gerichtsstandsklauseln — Art. 23 — Effektive Durchsetzung des Kartellverbots“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 21. Mai 2015

    1. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen — Verordnung Nr. 44/2001 — Besondere Zuständigkeiten — Mehrere Beklagte — Zuständigkeit des Gerichts eines der Beklagten — Enge Auslegung — Voraussetzung — Zusammenhang Begriff des Zusammenhangs

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 6 Abs. 1)

    2. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen — Verordnung Nr. 44/2001 — Besondere Zuständigkeiten — Mehrere Beklagte — Klage gegen mehrere Unternehmen, die an einem für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärten Kartell teilgenommen haben, auf ihre gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften — Rücknahme der Klage gegen den einzigen Beklagten, der im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts seinen Sitz hat — Unbeachtlich — Voraussetzung — Kein kollusives Zusammenwirken der Parteien

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 6 Abs. 1)

    3. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen — Verordnung Nr. 44/2001 — Besondere Zuständigkeiten — Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung — Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, und Ort des ursächlichen Geschehens — Klage gegen mehrere Unternehmen, die an einem für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärten Kartell teilgenommen haben, auf ihre gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften — Schädigendes Ereignis in Bezug auf jeden einzelnen angeblichen Geschädigten — Wahl des Gerichtsstands durch den Geschädigten

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3)

    4. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen — Verordnung Nr. 44/2001 — Vereinbarung über die Zuständigkeit — Gerichtsstandsvereinbarung — Gerichtsstandsklausel in einem Vertrag — Wirksamkeit gegenüber Dritten — Voraussetzung — Zustimmung des Dritten zu dieser Klausel — Grenze — Gesamtrechtsnachfolge, bei der der Dritte in alle Rechte und Pflichten des ursprünglichen Vertragspartners eintritt

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 23)

    5. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen — Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen — Verordnung Nr. 44/2001 — Vereinbarung über die Zuständigkeit — Gerichtsstandsvereinbarung — Gerichtsstandsklausel in einem Liefervertrag — Klage gegen mehrere Unternehmen, die an einem für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärten Kartell teilgenommen haben, auf ihre gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften — Bindung des angerufenen Gerichts durch eine solche Klausel, die besondere Zuständigkeitsregeln derogiert — Voraussetzung — Klausel, die sich auf Streitigkeiten aus einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bezieht

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3, 6 Nr. 1 und 23 Abs. 1)

    1.  Für die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist zu prüfen, ob zwischen den verschiedenen Klagen eines Klägers gegen verschiedene Beklagte ein Zusammenhang besteht, der eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheinen lässt, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren möglicherweise widersprechende Entscheidungen ergehen. Dabei können Entscheidungen nicht schon deswegen als einander widersprechend betrachtet werden, weil es zu einer abweichenden Entscheidung des Rechtsstreits kommt, sondern diese Abweichung muss außerdem bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten.

      Diese letztgenannte Voraussetzung, dass es sich um dieselbe Sach- und Rechtslage handeln muss, ist erfüllt, da die Beklagten des Ausgangsverfahrens an der Umsetzung eines Kartells, das nach der Feststellung der Kommission eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen darstellte, durch den Abschluss und die Durchführung entsprechender Vereinbarungen beteiligt waren, obwohl diese Beteiligung räumlich und zeitlich unterschiedlich war.

      (vgl. Rn. 20, 21)

    2.  Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung aufgestellte Regel einer Zuständigkeitskonzentration bei einer Mehrzahl von Beklagten anwendbar ist, wenn Unternehmen, die sich örtlich und zeitlich unterschiedlich an einem in einer Entscheidung der Europäischen Kommission festgestellten einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen das unionsrechtliche Kartellverbot beteiligt haben, als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und in diesem Rahmen auf Auskunftserteilung verklagt werden, und dass dies auch dann gilt, wenn der Kläger seine Klage gegen den einzigen im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts ansässigen Mitbeklagten zurückgenommen hat, es sei denn, dass das Bestehen eines kollusiven Zusammenwirkens des Klägers und des genannten Mitbeklagten zu dem Zweck, die Voraussetzungen für die Anwendung der genannten Bestimmung im Zeitpunkt der Klageerhebung künstlich herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten, nachgewiesen wird.

      Es ist nämlich zum einen davon auszugehen, dass es im Fall getrennter Entscheidungen über Schadensersatzklagen gegen mehrere in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen, die sich unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union an einem einheitlichen und fortgesetzten Kartell beteiligt haben, zu widersprechenden Entscheidungen in getrennten Verfahren im Sinne von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 kommen kann.

      Zum anderen kann, auch wenn die Würdigung der beweiskräftigen Indizien für das Bestehen eines kollusiven Zusammenwirkens der betreffenden Parteien zu dem Zweck, die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung im Zeitpunkt der Klageerhebung künstlich herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten, dem angerufenen Gericht obliegt, die bloße Führung von Verhandlungen zum Zweck eines etwaigen Vergleichs nicht als Nachweis für ein solches kollusives Zusammenwirken angesehen werden. Dagegen wäre dies nachgewiesen, wenn zutage träte, dass ein solcher Vergleich tatsächlich geschlossen, jedoch verschleiert wurde, um den Anschein zu erwecken, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 vorliegen.

      (vgl. Rn.. 25, 31-33, Tenor 1)

    3.  Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass bei einer Klage, mit der von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Beklagten Schadensersatz verlangt wird wegen eines von der Europäischen Kommission festgestellten, in mehreren Mitgliedstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Beklagten begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, das schädigende Ereignis in Bezug auf jeden einzelnen angeblichen Geschädigten eingetreten ist und jeder von ihnen gemäß Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 entweder bei dem Gericht des Orts klagen kann, an dem das betreffende Kartell definitiv gegründet oder gegebenenfalls eine spezifische Absprache getroffen wurde, die für sich allein als das ursächliche Geschehen für den behaupteten Schaden bestimmt werden kann, oder bei dem Gericht des Orts, an dem er seinen Sitz hat.

      (vgl. Rn. 56, Tenor 2)

    4.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 64, 65)

    5.  Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er es bei Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zulässt, in Lieferverträgen enthaltene Gerichtsstandsklauseln auch dann zu berücksichtigen, wenn dies zur Derogation eines nach Art. 5 Nr. 3 und/oder Art. 6 Nr. 1 der genannten Verordnung international zuständigen Gerichts führt, sofern sich diese Klauseln auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beziehen.

      Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann nämlich nur eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit betreffen, was die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung auf die Rechtsstreitigkeiten einschränkt, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde. Dieses Erfordernis soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde. Im Hinblick auf dieses Ziel hat das nationale Gericht u. a. zu berücksichtigen, dass eine Klausel, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit erfasst, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seines einem rechtswidrigen Kartell entsprechenden Verhaltens belangt wird. Bei einem solchen Rechtsstreit kann nämlich, da er für das geschädigte Unternehmen im Zeitpunkt seiner Zustimmung zu der genannten Klausel nicht hinreichend vorhersehbar war, weil diesem Unternehmen eine Beteiligung seines Vertragspartners an dem rechtswidrigen Kartell zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, nicht davon ausgegangen werden, dass er auf den Vertragsverhältnissen beruht.

      Sofern dagegen eine Klausel vorläge, die sich auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bezieht und in der ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats als dem des vorlegenden Gerichts bestimmt wird, müsste sich das vorlegende Gericht selbst dann für unzuständig erklären, wenn diese Klausel zu einer Verdrängung der in den Art. 5 und/oder 6 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln führen sollte.

      (vgl. Rn. 68-72, Tenor 3)

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    Rechtssache C‑352/13

    Cartel Damage Claims (CDC) Hydrogen Peroxide SA

    gegen

    Akzo Nobel NV u. a.

    (Vorabentscheidungsersuchen des Landgerichts Dortmund)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts — Gerichtliche Zuständigkeit in Zivil- und Handelssachen — Verordnung (EG) Nr. 44/2001 — Besondere Zuständigkeiten — Art. 6 Nr. 1 — Klage gegen mehrere in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Beklagte, die an einem für unvereinbar mit Art. 81 EG und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum erklärten Kartell teilgenommen haben, auf ihre gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften — Zuständigkeit des angerufenen Gerichts hinsichtlich der Mitbeklagten — Rücknahme der Klage gegen den Beklagten, der in dem Mitgliedstaat ansässig ist, in dem das angerufene Gericht seinen Sitz hat — Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung — Art. 5 Nr. 3 — Gerichtsstandsklauseln — Art. 23 — Effektive Durchsetzung des Kartellverbots“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 21. Mai 2015

    1. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Mehrere Beklagte – Zuständigkeit des Gerichts eines der Beklagten – Enge Auslegung – Voraussetzung – Zusammenhang Begriff des Zusammenhangs

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 6 Abs. 1)

    2. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Mehrere Beklagte – Klage gegen mehrere Unternehmen, die an einem für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärten Kartell teilgenommen haben, auf ihre gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften – Rücknahme der Klage gegen den einzigen Beklagten, der im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts seinen Sitz hat – Unbeachtlich – Voraussetzung – Kein kollusives Zusammenwirken der Parteien

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 6 Abs. 1)

    3. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Besondere Zuständigkeiten – Zuständigkeit für Klagen aus unerlaubter Handlung – Ort, an dem der Schaden eingetreten ist, und Ort des ursächlichen Geschehens – Klage gegen mehrere Unternehmen, die an einem für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärten Kartell teilgenommen haben, auf ihre gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften – Schädigendes Ereignis in Bezug auf jeden einzelnen angeblichen Geschädigten – Wahl des Gerichtsstands durch den Geschädigten

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3)

    4. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Vereinbarung über die Zuständigkeit – Gerichtsstandsvereinbarung – Gerichtsstandsklausel in einem Vertrag – Wirksamkeit gegenüber Dritten – Voraussetzung – Zustimmung des Dritten zu dieser Klausel – Grenze – Gesamtrechtsnachfolge, bei der der Dritte in alle Rechte und Pflichten des ursprünglichen Vertragspartners eintritt

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 23)

    5. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Gerichtliche Zuständigkeit und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen – Verordnung Nr. 44/2001 – Vereinbarung über die Zuständigkeit – Gerichtsstandsvereinbarung – Gerichtsstandsklausel in einem Liefervertrag – Klage gegen mehrere Unternehmen, die an einem für unvereinbar mit dem Unionsrecht erklärten Kartell teilgenommen haben, auf ihre gesamtschuldnerische Verurteilung zur Zahlung von Schadensersatz und auf Erteilung von Auskünften – Bindung des angerufenen Gerichts durch eine solche Klausel, die besondere Zuständigkeitsregeln derogiert – Voraussetzung – Klausel, die sich auf Streitigkeiten aus einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bezieht

      (Verordnung Nr. 44/2001 des Rates, Art. 5 Nr. 3, 6 Nr. 1 und 23 Abs. 1)

    1.  Für die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist zu prüfen, ob zwischen den verschiedenen Klagen eines Klägers gegen verschiedene Beklagte ein Zusammenhang besteht, der eine gemeinsame Entscheidung geboten erscheinen lässt, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren möglicherweise widersprechende Entscheidungen ergehen. Dabei können Entscheidungen nicht schon deswegen als einander widersprechend betrachtet werden, weil es zu einer abweichenden Entscheidung des Rechtsstreits kommt, sondern diese Abweichung muss außerdem bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten.

      Diese letztgenannte Voraussetzung, dass es sich um dieselbe Sach- und Rechtslage handeln muss, ist erfüllt, da die Beklagten des Ausgangsverfahrens an der Umsetzung eines Kartells, das nach der Feststellung der Kommission eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 EWR-Abkommen darstellte, durch den Abschluss und die Durchführung entsprechender Vereinbarungen beteiligt waren, obwohl diese Beteiligung räumlich und zeitlich unterschiedlich war.

      (vgl. Rn. 20, 21)

    2.  Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass die in dieser Bestimmung aufgestellte Regel einer Zuständigkeitskonzentration bei einer Mehrzahl von Beklagten anwendbar ist, wenn Unternehmen, die sich örtlich und zeitlich unterschiedlich an einem in einer Entscheidung der Europäischen Kommission festgestellten einheitlichen und fortgesetzten Verstoß gegen das unionsrechtliche Kartellverbot beteiligt haben, als Gesamtschuldner auf Schadensersatz und in diesem Rahmen auf Auskunftserteilung verklagt werden, und dass dies auch dann gilt, wenn der Kläger seine Klage gegen den einzigen im Mitgliedstaat des angerufenen Gerichts ansässigen Mitbeklagten zurückgenommen hat, es sei denn, dass das Bestehen eines kollusiven Zusammenwirkens des Klägers und des genannten Mitbeklagten zu dem Zweck, die Voraussetzungen für die Anwendung der genannten Bestimmung im Zeitpunkt der Klageerhebung künstlich herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten, nachgewiesen wird.

      Es ist nämlich zum einen davon auszugehen, dass es im Fall getrennter Entscheidungen über Schadensersatzklagen gegen mehrere in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässige Unternehmen, die sich unter Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht der Union an einem einheitlichen und fortgesetzten Kartell beteiligt haben, zu widersprechenden Entscheidungen in getrennten Verfahren im Sinne von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 kommen kann.

      Zum anderen kann, auch wenn die Würdigung der beweiskräftigen Indizien für das Bestehen eines kollusiven Zusammenwirkens der betreffenden Parteien zu dem Zweck, die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmung im Zeitpunkt der Klageerhebung künstlich herbeizuführen oder aufrechtzuerhalten, dem angerufenen Gericht obliegt, die bloße Führung von Verhandlungen zum Zweck eines etwaigen Vergleichs nicht als Nachweis für ein solches kollusives Zusammenwirken angesehen werden. Dagegen wäre dies nachgewiesen, wenn zutage träte, dass ein solcher Vergleich tatsächlich geschlossen, jedoch verschleiert wurde, um den Anschein zu erwecken, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 vorliegen.

      (vgl. Rn.. 25, 31-33, Tenor 1)

    3.  Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass bei einer Klage, mit der von in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässigen Beklagten Schadensersatz verlangt wird wegen eines von der Europäischen Kommission festgestellten, in mehreren Mitgliedstaaten unter unterschiedlicher örtlicher und zeitlicher Beteiligung der Beklagten begangenen einheitlichen und fortgesetzten Verstoßes gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum, das schädigende Ereignis in Bezug auf jeden einzelnen angeblichen Geschädigten eingetreten ist und jeder von ihnen gemäß Art. 5 Nr. 3 der Verordnung Nr. 44/2001 entweder bei dem Gericht des Orts klagen kann, an dem das betreffende Kartell definitiv gegründet oder gegebenenfalls eine spezifische Absprache getroffen wurde, die für sich allein als das ursächliche Geschehen für den behaupteten Schaden bestimmt werden kann, oder bei dem Gericht des Orts, an dem er seinen Sitz hat.

      (vgl. Rn. 56, Tenor 2)

    4.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 64, 65)

    5.  Art. 23 Abs. 1 der Verordnung Nr. 44/2001 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass er es bei Schadensersatzklagen wegen Verstoßes gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum zulässt, in Lieferverträgen enthaltene Gerichtsstandsklauseln auch dann zu berücksichtigen, wenn dies zur Derogation eines nach Art. 5 Nr. 3 und/oder Art. 6 Nr. 1 der genannten Verordnung international zuständigen Gerichts führt, sofern sich diese Klauseln auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht beziehen.

      Eine Gerichtsstandsvereinbarung kann nämlich nur eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit betreffen, was die Geltung einer Gerichtsstandsvereinbarung auf die Rechtsstreitigkeiten einschränkt, die ihren Ursprung in dem Rechtsverhältnis haben, anlässlich dessen die Vereinbarung geschlossen wurde. Dieses Erfordernis soll vermeiden, dass eine Partei dadurch überrascht wird, dass die Zuständigkeit eines bestimmten Gerichts für sämtliche Rechtsstreitigkeiten begründet wird, die sich eventuell aus den Beziehungen mit ihrem Vertragspartner ergeben und ihren Ursprung in einer anderen Beziehung als derjenigen haben, anlässlich deren die Begründung des Gerichtsstands vorgenommen wurde. Im Hinblick auf dieses Ziel hat das nationale Gericht u. a. zu berücksichtigen, dass eine Klausel, die sich in abstrakter Weise auf Rechtsstreitigkeiten aus Vertragsverhältnissen bezieht, nicht einen Rechtsstreit erfasst, in dem ein Vertragspartner aus deliktischer Haftung wegen seines einem rechtswidrigen Kartell entsprechenden Verhaltens belangt wird. Bei einem solchen Rechtsstreit kann nämlich, da er für das geschädigte Unternehmen im Zeitpunkt seiner Zustimmung zu der genannten Klausel nicht hinreichend vorhersehbar war, weil diesem Unternehmen eine Beteiligung seines Vertragspartners an dem rechtswidrigen Kartell zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt war, nicht davon ausgegangen werden, dass er auf den Vertragsverhältnissen beruht.

      Sofern dagegen eine Klausel vorläge, die sich auf Streitigkeiten aus Haftung wegen einer Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht bezieht und in der ein Gericht eines anderen Mitgliedstaats als dem des vorlegenden Gerichts bestimmt wird, müsste sich das vorlegende Gericht selbst dann für unzuständig erklären, wenn diese Klausel zu einer Verdrängung der in den Art. 5 und/oder 6 der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen besonderen Zuständigkeitsregeln führen sollte.

      (vgl. Rn. 68-72, Tenor 3)

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