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Document 62012CJ0225

Leitsätze des Urteils

Court reports – general

Rechtssache C‑225/12

C. Demir

gegen

Staatssecretaris van Justitie

(Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State [Niederlande])

„Vorabentscheidungsersuchen — Assoziierungsabkommen EWG–Türkei — Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats — Stillhalteklausel — Begriff ‚ordnungsgemäßer Aufenthalt‘“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 7. November 2013

  1. Völkerrechtliche Verträge – Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats – Tragweite – An die Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot der Einführung neuer Beschränkungen für die erstmalige Aufnahme türkischer Staatsangehöriger in ihrem Hoheitsgebiet – Beschränkungen zur Definition der Ordnungsmäßigkeit des Aufenthalts türkischer Staatsangehöriger – Einbeziehung – Grenzen – Zwingende Gründe des Allgemeininteresses – Verhinderung der rechtswidrigen Einreise und des rechtswidrigen Aufenthalts

    (Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei, Art. 13 und 14)

  2. Völkerrechtliche Verträge – Assoziierungsabkommen EWG–Türkei – Freizügigkeit – Arbeitnehmer – Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats – Tatbestandsmerkmale – Türkischer Staatsangehöriger, dessen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat „ordnungsgemäß“ ist – Begriff

    (Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei, Art. 13)

  1.  Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation, erlassen vom Assoziationsrat, der durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet wurde, ist dahin auszulegen, dass, wenn mit einer Maßnahme eines Aufnahmemitgliedstaats die Kriterien für die Rechtmäßigkeit der Lage der türkischen Staatsangehörigen festgelegt werden sollen, indem die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung dieser Staatsangehörigen im Gebiet dieses Staates erlassen oder geändert werden, und wenn diese Voraussetzungen eine neue Beschränkung der Freizügigkeit der türkischen Arbeitnehmer im Sinne der Stillhalteklausel in diesem Artikel darstellen, die Anwendung dieser Klausel nicht schon dann ausgeschlossen werden kann, wenn mit der Maßnahme die rechtswidrige Einreise und der rechtswidrige Aufenthalt vor Stellung eines Antrags auf eine Aufenthaltserlaubnis verhindert werden sollen.

    Zwar können sich die Maßnahmen, die gegenüber türkischen Staatsangehörigen getroffen werden können, deren Lage rechtswidrig ist, auf die Wirkungen dieser Rechtswidrigkeit beziehen, ohne unter die Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 zu fallen, doch dürfen sie nicht die Rechtswidrigkeit selbst feststellen. Eine solche Beschränkung, mit der bezweckt oder bewirkt wird, die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Inland durch einen türkischen Staatsangehörigen strengeren Voraussetzungen zu unterwerfen, als sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 galten, ist verboten, sofern sie nicht zu den in Art. 14 dieses Beschlusses aufgeführten Beschränkungen gehört oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In dieser Hinsicht stellt zwar das Ziel, die rechtswidrige Einreise und den rechtswidrigen Aufenthalt zu verhindern, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, doch muss die Maßnahme auch zur Verwirklichung dieses Ziels geeignet sein und darf nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehen.

    (vgl. Randnrn. 36, 38, 40-42, Tenor 1)

  2.  Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation, erlassen vom Assoziationsrat, der durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet wurde, ist dahin auszulegen, dass der „Aufenthalt“ der türkischen Staatsangehörigen nicht „ordnungsgemäß [ist]“, wenn diese eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis besitzen, die nur bis zur endgültigen Entscheidung über ihr Aufenthaltsrecht gilt.

    Der Begriff „ordnungsgemäß“ im Sinne dieser Bestimmung bezieht sich nämlich auf eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, die ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraussetzt.

    (vgl. Randnrn. 48, 49, Tenor 2)

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Rechtssache C‑225/12

C. Demir

gegen

Staatssecretaris van Justitie

(Vorabentscheidungsersuchen des Raad van State [Niederlande])

„Vorabentscheidungsersuchen — Assoziierungsabkommen EWG–Türkei — Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats — Stillhalteklausel — Begriff ‚ordnungsgemäßer Aufenthalt‘“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 7. November 2013

  1. Völkerrechtliche Verträge — Assoziierungsabkommen EWG–Türkei — Freizügigkeit — Arbeitnehmer — Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats — Tragweite — An die Mitgliedstaaten gerichtetes Verbot der Einführung neuer Beschränkungen für die erstmalige Aufnahme türkischer Staatsangehöriger in ihrem Hoheitsgebiet — Beschränkungen zur Definition der Ordnungsmäßigkeit des Aufenthalts türkischer Staatsangehöriger — Einbeziehung — Grenzen — Zwingende Gründe des Allgemeininteresses — Verhinderung der rechtswidrigen Einreise und des rechtswidrigen Aufenthalts

    (Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei, Art. 13 und 14)

  2. Völkerrechtliche Verträge — Assoziierungsabkommen EWG–Türkei — Freizügigkeit — Arbeitnehmer — Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrats — Tatbestandsmerkmale — Türkischer Staatsangehöriger, dessen Aufenthalt im Aufnahmemitgliedstaat „ordnungsgemäß“ ist — Begriff

    (Beschluss Nr. 1/80 des Assoziationsrats EWG–Türkei, Art. 13)

  1.  Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation, erlassen vom Assoziationsrat, der durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet wurde, ist dahin auszulegen, dass, wenn mit einer Maßnahme eines Aufnahmemitgliedstaats die Kriterien für die Rechtmäßigkeit der Lage der türkischen Staatsangehörigen festgelegt werden sollen, indem die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung dieser Staatsangehörigen im Gebiet dieses Staates erlassen oder geändert werden, und wenn diese Voraussetzungen eine neue Beschränkung der Freizügigkeit der türkischen Arbeitnehmer im Sinne der Stillhalteklausel in diesem Artikel darstellen, die Anwendung dieser Klausel nicht schon dann ausgeschlossen werden kann, wenn mit der Maßnahme die rechtswidrige Einreise und der rechtswidrige Aufenthalt vor Stellung eines Antrags auf eine Aufenthaltserlaubnis verhindert werden sollen.

    Zwar können sich die Maßnahmen, die gegenüber türkischen Staatsangehörigen getroffen werden können, deren Lage rechtswidrig ist, auf die Wirkungen dieser Rechtswidrigkeit beziehen, ohne unter die Stillhalteklausel in Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 zu fallen, doch dürfen sie nicht die Rechtswidrigkeit selbst feststellen. Eine solche Beschränkung, mit der bezweckt oder bewirkt wird, die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit im Inland durch einen türkischen Staatsangehörigen strengeren Voraussetzungen zu unterwerfen, als sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Beschlusses Nr. 1/80 galten, ist verboten, sofern sie nicht zu den in Art. 14 dieses Beschlusses aufgeführten Beschränkungen gehört oder durch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist. In dieser Hinsicht stellt zwar das Ziel, die rechtswidrige Einreise und den rechtswidrigen Aufenthalt zu verhindern, einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses dar, doch muss die Maßnahme auch zur Verwirklichung dieses Ziels geeignet sein und darf nicht über das zu dessen Erreichung Erforderliche hinausgehen.

    (vgl. Randnrn. 36, 38, 40-42, Tenor 1)

  2.  Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 über die Entwicklung der Assoziation, erlassen vom Assoziationsrat, der durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichtet wurde, ist dahin auszulegen, dass der „Aufenthalt“ der türkischen Staatsangehörigen nicht „ordnungsgemäß [ist]“, wenn diese eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis besitzen, die nur bis zur endgültigen Entscheidung über ihr Aufenthaltsrecht gilt.

    Der Begriff „ordnungsgemäß“ im Sinne dieser Bestimmung bezieht sich nämlich auf eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, die ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraussetzt.

    (vgl. Randnrn. 48, 49, Tenor 2)

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