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Dieses Dokument ist ein Auszug aus dem EUR-Lex-Portal.

Dokument 62010CJ0566

Leitsätze des Urteils

Rechtssache C-566/10 P

Italienische Republik

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsmittel — Sprachenregelung — Bekanntmachung von allgemeinen Auswahlverfahren für die Einstellung von Verwaltungsräten und Assistenten — Vollständige Veröffentlichung in drei Amtssprachen — Sprache der Prüfungen — Wahl der zweiten Sprache unter drei Amtssprachen“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 27. November 2012

  1. Europäische Union – Sprachenregelung – Verordnung Nr. 1 – Anwendungsbereich – Beziehungen zwischen den Organen und ihren Bediensteten – Einschluss mangels besonderer Vorschriften

    (Verordnung Nr. 1 des Rates)

  2. Beamte – Auswahlverfahren – Allgemeine Stellenausschreibung – Vollständige Veröffentlichung im Amtsblatt nur in bestimmten Amtssprachen – Unzulässigkeit – Diskriminierung wegen der Sprache – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Veröffentlichung der Aktualisierungen oder Änderungen in allen Amtssprachen – Keine Auswirkung

    (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 21; Beamtenstatut, Art. 1d Abs. 1 und Anhang III Art. 1 Abs. 2; Verordnung Nr. 1 des Rates, Art. 5)

  3. Beamte – Auswahlverfahren – Ablauf eines allgemeinen Auswahlverfahrens – Prüfungssprachen – Gleichbehandlung – Anforderung, bestimmte Sprachkenntnisse zu haben – Begründung – Rechtfertigung im Hinblick auf das dienstliche Interesse – Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

    (Beamtenstatut, Art. 1d und Art. 27 erster Gedankenstrich)

  4. Beamte – Klage – Nichtigkeitsurteil – Wirkungen – Nichtigerklärung von Bekanntmachungen allgemeiner Auswahlverfahren – Berechtigtes Vertrauen der ausgewählten Bewerber – Keine Infragestellung der Ergebnisse der Auswahlverfahren

    (Art. 266 AEUV; Beamtenstatut, Art. 91)

  1.  Mangels besonderer Vorschriften für die Beamten und Bediensteten und mangels entsprechender Bestimmungen in den Geschäftsordnungen, die die Organe erlassen können, lässt kein Rechtsakt den Schluss zu, dass das Verhältnis zwischen den Organen und ihren Beamten und Bediensteten, zu dem die Stellenausschreibungen gehören, völlig vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ausgeschlossen wäre, in deren Art. 1 ausdrücklich geregelt ist, welche Sprachen Arbeitssprachen der Organe sind. Das gilt erst recht für die Beziehungen zwischen den Organen und den Bewerbern eines externen Auswahlverfahrens, die grundsätzlich weder Beamte noch Bedienstete sind.

    (vgl. Randnrn. 67-69)

  2.  Allgemeine Stellenausschreibungen müssen gemäß Art. 1 Abs. 2 von Anhang III des Statuts in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, nach dem das Amtsblatt der Europäischen Union in allen Amtssprachen erscheint, vollständig in allen Amtssprachen veröffentlicht werden.

    Da die genannten Bestimmungen keine Ausnahme vorsehen, heilt die spätere Veröffentlichung von nur spärliche Angaben enthaltenden Aktualisierungen oder Änderungen in allen Amtssprachen nicht das Fehlen der vollständigen Veröffentlichung der Stellenausschreibungen im Amtsblatt in allen Amtssprachen. Auch wenn solche Aktualisierungen oder Änderungen eine Reihe von Angaben zum Auswahlverfahren enthält, muss – davon ausgehend, dass die Unionsbürger das Amtsblatt der Europäischen Union in ihrer Muttersprache lesen und diese eine der Amtssprachen der Union ist – ein potenzieller Bewerber, dessen Muttersprache nicht eine der Sprachen ist, in der die Stellenausschreibungen vollständig veröffentlicht wurden, sich jedenfalls dieses Amtsblatt in einer dieser Sprachen beschaffen und die Stellenausschreibung in dieser Sprache lesen, bevor er über seine Teilnahme an einem der Auswahlverfahren entscheidet. Ein solcher Bewerber ist gegenüber einem Bewerber, dessen Muttersprache eine der Sprachen ist, in denen die Stellenausschreibungen vollständig veröffentlicht wurden, benachteiligt, sowohl was das Verstehen dieser Ausschreibungen als auch was die Frist zur Vorbereitung und Absendung einer Anmeldung für die entsprechenden Auswahlverfahren angeht.

    Dieser Nachteil beruht auf einer durch solche Veröffentlichungen bedingten unterschiedlichen Behandlung wegen der Sprache, die durch Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 1d Abs. 1 des Statuts verboten ist. Die Praxis der eingeschränkten Veröffentlichung beachtet nämlich nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und stellt daher eine Diskriminierung aufgrund der Sprache dar, die durch Art. 1d des Statuts verboten ist.

    (vgl. Randnrn. 71-75, 77)

  3.  Eine Beschränkung der Wahl einer Sprache als zweite Sprache für die Teilnahme an den allgemeinen Auswahlverfahren der Union kann durch das dienstliche Interesse gerechtfertigt sein. Insbesondere Art. 1d des Statuts erlaubt Einschränkungen des Diskriminierungsverbots und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Das genannte dienstliche Interesse muss aber objektiv gerechtfertigt sein und das Niveau der verlangten Sprachkenntnis muss sich nach den tatsächlichen dienstlichen Anforderungen richten. Außerdem müssen die Regeln, mit denen die Wahl der zweiten Sprache eingeschränkt wird, klare, objektive und vorhersehbare Kriterien vorsehen, so dass die Bewerber rechtzeitig im Voraus wissen, welche Anforderungen an die Sprachkenntnisse gestellt werden, um sich optimal auf die Auswahlverfahren vorbereiten zu können.

    Soweit ein legitimes Ziel von allgemeinem Interesse geltend gemacht und nachgewiesen werden kann, muss eine Ungleichbehandlung wegen der Sprache außerdem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, d. h., sie muss zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet sein und darf nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen. Nach Art. 27 Abs. 1 des Statuts ist bei der Einstellung der Beamten nämlich anzustreben, dem Organ die Mitarbeit von Beamten zu sichern, die in Bezug auf Befähigung, Leistung und Integrität höchsten Ansprüchen genügen. Da dieses Ziel besser erreicht werden kann, wenn die Bewerber ihre Auswahlprüfungen in ihrer Muttersprache oder in der zweiten Sprache, die sie ihrer Einschätzung nach am besten beherrschen, absolvieren, müssen die Organe das legitime Ziel, das die Beschränkung der Zahl der Sprachen der Auswahlverfahren rechtfertigt, und das Ziel, die Bewerber zu ermitteln, die in Bezug auf ihre Befähigung höchsten Ansprüchen genügen, zum Ausgleich bringen.

    Im Übrigen spielen die Sprachkenntnisse der Beamten eine wesentliche Rolle bei ihrer Karriere, und die Anstellungsbehörden haben verschiedene Mittel, um diese Kenntnisse und die Anstrengungen, die die Beamten unternehmen, um sie anzuwenden oder möglicherweise weitere zu erwerben, zu überprüfen. Insofern haben die Organe also das legitime Ziel, das die Begrenzung der Sprachen des Auswahlverfahrens rechtfertigt, und die Möglichkeiten für die eingestellten Beamten, die im Hinblick auf das dienstliche Interesse erforderlichen Sprachen in den Organen zu erlernen, zum Ausgleich zu bringen.

    (vgl. Randnrn. 87, 88, 90, 91, 93, 94, 96, 97)

  4.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Randnrn. 102, 103)

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Rechtssache C-566/10 P

Italienische Republik

gegen

Europäische Kommission

„Rechtsmittel — Sprachenregelung — Bekanntmachung von allgemeinen Auswahlverfahren für die Einstellung von Verwaltungsräten und Assistenten — Vollständige Veröffentlichung in drei Amtssprachen — Sprache der Prüfungen — Wahl der zweiten Sprache unter drei Amtssprachen“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 27. November 2012

  1. Europäische Union — Sprachenregelung — Verordnung Nr. 1 — Anwendungsbereich — Beziehungen zwischen den Organen und ihren Bediensteten — Einschluss mangels besonderer Vorschriften

    (Verordnung Nr. 1 des Rates)

  2. Beamte — Auswahlverfahren — Allgemeine Stellenausschreibung — Vollständige Veröffentlichung im Amtsblatt nur in bestimmten Amtssprachen — Unzulässigkeit — Diskriminierung wegen der Sprache — Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit — Veröffentlichung der Aktualisierungen oder Änderungen in allen Amtssprachen — Keine Auswirkung

    (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 21; Beamtenstatut, Art. 1d Abs. 1 und Anhang III Art. 1 Abs. 2; Verordnung Nr. 1 des Rates, Art. 5)

  3. Beamte — Auswahlverfahren — Ablauf eines allgemeinen Auswahlverfahrens — Prüfungssprachen — Gleichbehandlung — Anforderung, bestimmte Sprachkenntnisse zu haben — Begründung — Rechtfertigung im Hinblick auf das dienstliche Interesse — Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

    (Beamtenstatut, Art. 1d und Art. 27 erster Gedankenstrich)

  4. Beamte — Klage — Nichtigkeitsurteil — Wirkungen — Nichtigerklärung von Bekanntmachungen allgemeiner Auswahlverfahren — Berechtigtes Vertrauen der ausgewählten Bewerber — Keine Infragestellung der Ergebnisse der Auswahlverfahren

    (Art. 266 AEUV; Beamtenstatut, Art. 91)

  1.  Mangels besonderer Vorschriften für die Beamten und Bediensteten und mangels entsprechender Bestimmungen in den Geschäftsordnungen, die die Organe erlassen können, lässt kein Rechtsakt den Schluss zu, dass das Verhältnis zwischen den Organen und ihren Beamten und Bediensteten, zu dem die Stellenausschreibungen gehören, völlig vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft ausgeschlossen wäre, in deren Art. 1 ausdrücklich geregelt ist, welche Sprachen Arbeitssprachen der Organe sind. Das gilt erst recht für die Beziehungen zwischen den Organen und den Bewerbern eines externen Auswahlverfahrens, die grundsätzlich weder Beamte noch Bedienstete sind.

    (vgl. Randnrn. 67-69)

  2.  Allgemeine Stellenausschreibungen müssen gemäß Art. 1 Abs. 2 von Anhang III des Statuts in Verbindung mit Art. 5 der Verordnung Nr. 1 zur Regelung der Sprachenfrage für die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, nach dem das Amtsblatt der Europäischen Union in allen Amtssprachen erscheint, vollständig in allen Amtssprachen veröffentlicht werden.

    Da die genannten Bestimmungen keine Ausnahme vorsehen, heilt die spätere Veröffentlichung von nur spärliche Angaben enthaltenden Aktualisierungen oder Änderungen in allen Amtssprachen nicht das Fehlen der vollständigen Veröffentlichung der Stellenausschreibungen im Amtsblatt in allen Amtssprachen. Auch wenn solche Aktualisierungen oder Änderungen eine Reihe von Angaben zum Auswahlverfahren enthält, muss – davon ausgehend, dass die Unionsbürger das Amtsblatt der Europäischen Union in ihrer Muttersprache lesen und diese eine der Amtssprachen der Union ist – ein potenzieller Bewerber, dessen Muttersprache nicht eine der Sprachen ist, in der die Stellenausschreibungen vollständig veröffentlicht wurden, sich jedenfalls dieses Amtsblatt in einer dieser Sprachen beschaffen und die Stellenausschreibung in dieser Sprache lesen, bevor er über seine Teilnahme an einem der Auswahlverfahren entscheidet. Ein solcher Bewerber ist gegenüber einem Bewerber, dessen Muttersprache eine der Sprachen ist, in denen die Stellenausschreibungen vollständig veröffentlicht wurden, benachteiligt, sowohl was das Verstehen dieser Ausschreibungen als auch was die Frist zur Vorbereitung und Absendung einer Anmeldung für die entsprechenden Auswahlverfahren angeht.

    Dieser Nachteil beruht auf einer durch solche Veröffentlichungen bedingten unterschiedlichen Behandlung wegen der Sprache, die durch Art. 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 1d Abs. 1 des Statuts verboten ist. Die Praxis der eingeschränkten Veröffentlichung beachtet nämlich nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und stellt daher eine Diskriminierung aufgrund der Sprache dar, die durch Art. 1d des Statuts verboten ist.

    (vgl. Randnrn. 71-75, 77)

  3.  Eine Beschränkung der Wahl einer Sprache als zweite Sprache für die Teilnahme an den allgemeinen Auswahlverfahren der Union kann durch das dienstliche Interesse gerechtfertigt sein. Insbesondere Art. 1d des Statuts erlaubt Einschränkungen des Diskriminierungsverbots und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Das genannte dienstliche Interesse muss aber objektiv gerechtfertigt sein und das Niveau der verlangten Sprachkenntnis muss sich nach den tatsächlichen dienstlichen Anforderungen richten. Außerdem müssen die Regeln, mit denen die Wahl der zweiten Sprache eingeschränkt wird, klare, objektive und vorhersehbare Kriterien vorsehen, so dass die Bewerber rechtzeitig im Voraus wissen, welche Anforderungen an die Sprachkenntnisse gestellt werden, um sich optimal auf die Auswahlverfahren vorbereiten zu können.

    Soweit ein legitimes Ziel von allgemeinem Interesse geltend gemacht und nachgewiesen werden kann, muss eine Ungleichbehandlung wegen der Sprache außerdem den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, d. h., sie muss zur Erreichung des angestrebten Ziels geeignet sein und darf nicht über das dazu Erforderliche hinausgehen. Nach Art. 27 Abs. 1 des Statuts ist bei der Einstellung der Beamten nämlich anzustreben, dem Organ die Mitarbeit von Beamten zu sichern, die in Bezug auf Befähigung, Leistung und Integrität höchsten Ansprüchen genügen. Da dieses Ziel besser erreicht werden kann, wenn die Bewerber ihre Auswahlprüfungen in ihrer Muttersprache oder in der zweiten Sprache, die sie ihrer Einschätzung nach am besten beherrschen, absolvieren, müssen die Organe das legitime Ziel, das die Beschränkung der Zahl der Sprachen der Auswahlverfahren rechtfertigt, und das Ziel, die Bewerber zu ermitteln, die in Bezug auf ihre Befähigung höchsten Ansprüchen genügen, zum Ausgleich bringen.

    Im Übrigen spielen die Sprachkenntnisse der Beamten eine wesentliche Rolle bei ihrer Karriere, und die Anstellungsbehörden haben verschiedene Mittel, um diese Kenntnisse und die Anstrengungen, die die Beamten unternehmen, um sie anzuwenden oder möglicherweise weitere zu erwerben, zu überprüfen. Insofern haben die Organe also das legitime Ziel, das die Begrenzung der Sprachen des Auswahlverfahrens rechtfertigt, und die Möglichkeiten für die eingestellten Beamten, die im Hinblick auf das dienstliche Interesse erforderlichen Sprachen in den Organen zu erlernen, zum Ausgleich zu bringen.

    (vgl. Randnrn. 87, 88, 90, 91, 93, 94, 96, 97)

  4.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Randnrn. 102, 103)

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