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Document 62008CJ0073

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1. Unionsbürgerschaft – Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten – Richtlinie 2004/38

    (Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates 2004/38, Art. 24 Abs. 1)

    2. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Gleichbehandlung – Unionsbürgerschaft – Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit

    (Art. 18 AEUV und 21 AEUV)

    3. Gemeinschaftsrecht – Grundsätze – Gleichbehandlung – Unionsbürgerschaft – Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit

    (Art. 18 AEUV und 21 AEUV; Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, Art. 13 Abs. 2 Buchst. c)

    Leitsätze

    1. Die Situation von studierenden Unionsbürgern, die nach der Regelung des Aufnahmemitgliedstaats als nicht ansässig angesehen werden und sich deshalb nicht für eine Hochschulausbildung in diesem Staat einschreiben können, fällt möglicherweise unter Art. 24 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, der für jeden Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, gilt.

    Der Umstand, dass solche Studierenden in dem Aufnahmemitgliedstaat möglicherweise keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben, ist unerheblich, da die Richtlinie 2004/38 für alle Unionsbürger unabhängig davon gilt, ob sie im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats als Arbeitnehmer oder als Selbständige wirtschaftlich tätig sind oder nicht.

    (vgl. Randnrn. 34-36)

    2. Die Art. 18 und 21 AEUV stehen einer Regelung eines Mitgliedstaats entgegen, die die Zahl der als nicht in diesem Staat ansässig angesehenen Studierenden, die sich zum ersten Mal für einen medizinischen oder paramedizinischen Studiengang an einer Hochschuleinrichtung dieses Staates einschreiben können, beschränkt, es sei denn, das nationale Gericht stellt nach Würdigung aller von den zuständigen Stellen angeführten relevanten Gesichtspunkte fest, dass diese Regelung im Hinblick auf das Ziel des Schutzes der öffentlichen Gesundheit gerechtfertigt ist.

    Eine solche Ungleichbehandlung zwischen ansässigen und nichtansässigen Studierenden stellt nämlich eine mittelbare Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit dar, sofern sie nicht durch das Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung gerechtfertigt werden kann, wenn es zur Erreichung eines hohen Niveaus des Gesundheitsschutzes beiträgt. Insoweit ist zu prüfen, ob die Regelung geeignet ist, die Erreichung dieses Ziels zu gewährleisten, und ob sie nicht über das hinausgeht, was zu dessen Erreichung erforderlich ist; dies festzustellen ist Sache des nationalen Gerichts.

    Als Erstes wird dieses zu prüfen haben, ob der Schutz der öffentlichen Gesundheit wirklich gefährdet ist. Bei der Prüfung dieser Gefahren hat es zunächst zu berücksichtigen, dass zwischen der Ausbildung des künftigen medizinischen Personals und dem Ziel der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung nur ein mittelbarer Zusammenhang besteht, der weniger kausal ist als der Zusammenhang zwischen dem Ziel der öffentlichen Gesundheit und der Tätigkeit des bereits auf dem Markt verfügbaren medizinischen Personals. Die Würdigung eines solchen Zusammenhangs hängt nämlich u. a. von einer Untersuchung der voraussichtlichen Entwicklung ab, bei der ausgehend von vielen zufallsabhängigen und ungewissen Elementen extrapoliert und die künftige Entwicklung des betreffenden Gesundheitssektors berücksichtigt werden muss, aber auch von einer Untersuchung der zum Ausgangszeitpunkt bestehenden Situation. Sodann hat das nationale Gericht den Umstand zu berücksichtigen, dass der Mitgliedstaat, wenn eine Ungewissheit hinsichtlich des Vorliegens oder der Bedeutung der Gefahren für die öffentliche Gesundheit bleibt, Schutzmaßnahmen treffen kann, ohne warten zu müssen, bis es an medizinischem Personal fehlt. Dies hat auch dann zu gelten, wenn die Qualität des Unterrichts in diesem Bereich gefährdet ist. Der Nachweis, dass solche Gefahren tatsächlich bestehen, obliegt daher den zuständigen nationalen Stellen und muss auf eine objektive, eingehende und auf Zahlenangaben gestützte Untersuchung gestützt sein, anhand deren sich mittels zuverlässiger, übereinstimmender und beweiskräftiger Daten nachweisen lassen muss, dass die öffentliche Gesundheit tatsächlich gefährdet ist.

    Als Zweites hat das nationale Gericht, sofern es den Schutz der öffentlichen Gesundheit für tatsächlich gefährdet hält, zu prüfen, ob in Anbetracht der Angaben der zuständigen Stellen die Regelung als geeignet angesehen werden kann, die Erreichung des Ziels des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten. In diesem Zusammenhang hat es u. a. zu bewerten, ob eine Begrenzung der Zahl der nichtansässigen Studierenden tatsächlich geeignet ist, die Zahl der Absolventen zu erhöhen, die für die Gewährleistung der Gesundheitsversorgung in der fraglichen Gemeinschaft letztlich zur Verfügung stehen.

    Als Drittes schließlich hat das nationale Gericht zu beurteilen, ob die Regelung nicht über das hinausgeht, was zur Erreichung des angeführten Ziels erforderlich ist, insbesondere, ob das angeführte im Allgemeininteresse liegende Ziel nicht durch weniger einschränkende Maßnahmen erreicht werden könnte, mit denen für Studierende, die ihr Studium in der fraglichen Gemeinschaft absolvieren, ein Anreiz geschaffen würde, nach Abschluss des Studiums dort zu bleiben, oder für außerhalb der Französischen Gemeinschaft ausgebildete Berufsangehörige ein Anreiz, sich dort niederzulassen. Ebenso ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob die zuständigen Stellen die Erreichung dieses Ziels angemessen mit den sich aus dem Unionsrecht ergebenden Erfordernissen in Einklang gebracht haben, insbesondere mit dem den Studierenden aus anderen Mitgliedstaaten zustehenden Recht auf Zugang zum Hochschulunterricht, das zum Kernbereich des Grundsatzes der Freizügigkeit der Studierenden gehört.

    (vgl. Randnrn. 62-64, 66, 69-71, 75-79, 82, Tenor 1)

    3. Die zuständigen Stellen eines Mitgliedstaats können sich nicht auf Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte berufen, wenn ein nationales Gericht feststellt, dass eine Regelung des Mitgliedstaats zur Regelung der Studierendenzahl in bestimmten Studiengängen des ersten Zyklus des Hochschulunterrichts nicht mit den Art. 18 und 21 AEUV vereinbar ist.

    Nach dem Wortlaut von Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes dient dieser nämlich im Wesentlichen demselben Ziel wie die Art. 18 und 21 AEUV, nämlich, den Grundsatz der Nichtdiskriminierung beim Zugang zum Hochschulunterricht zu gewährleisten. Dies wird durch Art. 2 Abs. 2 des Paktes bestätigt, wonach die Vertragsstaaten des Paktes sich verpflichten, zu gewährleisten, dass die in diesem verkündeten Rechte ohne Diskriminierung u. a. hinsichtlich der nationalen Herkunft ausgeübt werden. Dagegen verlangt Art. 13 Abs. 2 Buchst. c des Paktes von einem Vertragsstaat nicht und gestattet es ihm auch nicht, einen breiten Zugang zu einem Hochschulunterricht von guter Qualität nur für seine eigenen Staatsangehörigen zu gewährleisten.

    (vgl. Randnrn. 86-88, Tenor 2)

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