EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62007CJ0523

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung Nr. 2201/2003 – Geltungsbereich – Begriff „Zivilsachen“

(Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates, Erwägungsgründe 5 und 10, Art. 1 Abs. 1 und 2 Buchst. d sowie Art. 2 Nr. 7)

2. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung Nr. 2201/2003 – Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1

(Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates, Erwägungsgrund 12 und Art. 8 Abs. 1)

3. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung Nr. 2201/2003 – Einstweilige Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen

(Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates, Art. 20, 53 und 55 Buchst. c)

4. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung Nr. 2201/2003 – Gerichtliche Zuständigkeit

(Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates, Art. 53)

Leitsätze

1. Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass eine Entscheidung, die die sofortige Inobhutnahme und die Unterbringung eines Kindes außerhalb der eigenen Familie anordnet, unter den Begriff „Zivilsachen“ im Sinne dieser Bestimmung fällt, wenn die Entscheidung im Rahmen des dem öffentlichen Recht unterliegenden Kindesschutzes ergangen ist.

(vgl. Randnr. 29, Tenor 1)

2. Da Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1347/2000 für die Ermittlung des Sinnes und der Bedeutung des Begriffs „gewöhnlicher Aufenthalt“ nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, ist hierfür auf den Kontext der Vorschriften der Verordnung und auf deren Ziel abzustellen, wie es namentlich aus ihrem zwölften Erwägungsgrund hervorgeht, wonach die in der Verordnung festgelegten Zuständigkeitsvorschriften dem Wohle des Kindes entsprechend und insbesondere nach dem Kriterium der räumlichen Nähe ausgestaltet wurden. Der Begriff „gewöhnlicher Aufenthalt“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 ist deshalb dahin auszulegen, dass darunter der Ort zu verstehen ist, der Ausdruck einer gewissen sozialen und familiären Integration des Kindes ist. Hierfür sind insbesondere die Dauer, die Regelmäßigkeit und die Umstände des Aufenthalts in einem Mitgliedstaat sowie die Gründe für diesen Aufenthalt und den Umzug der Familie in diesen Staat, die Staatsangehörigkeit des Kindes, Ort und Umstände der Einschulung, die Sprachkenntnisse sowie die familiären und sozialen Bindungen des Kindes in dem betreffenden Staat zu berücksichtigen. Es ist Sache des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller tatsächlichen Umstände des Einzelfalls den gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes festzustellen.

(vgl. Randnrn. 33, 35, 38, 44, Tenor 2)

3. Eine Schutzmaßnahme wie die Inobhutnahme von Kindern kann von einem nationalen Gericht gemäß Art. 20 der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1347/2000 beschlossen werden, sofern folgende Voraussetzungen erfüllt sind:

– die betreffende Maßnahme muss dringend sein,

– sie muss in Bezug auf Personen getroffen werden, die sich in dem betreffenden Mitgliedstaat befinden, und

– sie muss vorübergehender Art sein.

Die Durchführung dieser zur Wahrung des Kindeswohls getroffenen Maßnahme und deren Bindungswirkung bestimmen sich nach nationalem Recht. Nach der Durchführung der Schutzmaßnahme ist das nationale Gericht nicht verpflichtet, die Rechtssache an das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats zu verweisen. Da die einstweiligen Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen jedoch vorübergehender Art sind, können Umstände betreffend die körperliche, psychologische und intellektuelle Entwicklung des Kindes ein vorzeitiges Tätigwerden des zuständigen Gerichts zum Zweck der Anordnung endgültiger Maßnahmen erforderlich machen. Soweit es der Schutz des Kindeswohls erfordert, muss das nationale Gericht, das einstweilige Maßnahmen einschließlich Schutzmaßnahmen durchgeführt hat, folglich direkt oder durch Einschaltung der aufgrund von Art. 53 der Verordnung bestimmten Zentralen Behörde das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats hiervon in Kenntnis setzen.

(vgl. Randnrn. 47, 56, 59, 64-65, Tenor 3)

4. Ist das Gericht eines Mitgliedstaats überhaupt nicht zuständig, muss es sich von Amts wegen für unzuständig erklären, ist aber nicht verpflichtet, die Rechtssache an ein anderes Gericht zu verweisen. Soweit es der Schutz des Kindeswohls erfordert, muss allerdings das nationale Gericht, das sich von Amts wegen für unzuständig erklärt hat, direkt oder durch Einschaltung der aufgrund von Art. 53 der Verordnung Nr. 2201/2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung Nr. 1347/2000 bestimmten Zentralen Behörde das zuständige Gericht eines anderen Mitgliedstaats hiervon in Kenntnis setzen.

(vgl. Randnr. 71, Tenor 4)

Top