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Document 62005CJ0119

    Leitsätze des Urteils

    Schlüsselwörter
    Leitsätze

    Schlüsselwörter

    1. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Vorlage zur Auslegung von Normen, die im Zusammenhang mit dem EGKS‑Vertrag stehen, nachdem dieser außer Kraft getreten ist – Einbeziehung

    (EGKS-Vertrag, Art. 41; Art. 234 EG)

    2. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Zuständigkeit des nationalen Gerichts

    (Art. 234 EG)

    3. Vorabentscheidungsverfahren – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Offensichtlich unerhebliche Fragen und hypothetische Fragen, die in einem eine zweckdienliche Antwort ausschließenden Zusammenhang gestellt werden

    (Art. 234 EG)

    4. Staatliche Beihilfen – Begriff – Auslegung

    (EGKS-Vertrag, Art. 4 Buchst. c; Art. 87 Abs. 1 EG und 88 Abs. 3 EG; Allgemeine Entscheidung Nr. 3484/85, Art. 1 und 6)

    5. Vorabentscheidungsverfahren – Gültigkeitsprüfung – Feststellung der Ungültigkeit – Unzuständigkeit der nationalen Gerichte

    (EGKS-Vertrag, Art. 41; Art. 234 EG)

    6. Staatliche Beihilfen – Entscheidung der Kommission, mit der die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt festgestellt und ihre Erstattung angeordnet wird

    (Art. 88 Abs. 2 EG und 230 Abs. 2 und 5 EG)

    7. Gemeinschaftsrecht – Unmittelbare Wirkung – Vorrang – Entscheidung der Kommission, mit der die Rückforderung einer Beihilfe angeordnet wird

    (Art. 10 EG und 88 Abs. 2 EG)

    Leitsätze

    1. Der Gerichtshof bleibt für die Entscheidung über Vorlagefragen zuständig, die die Auslegung und Anwendung des EGKS‑Vertrags und der auf dessen Grundlage erlassenen Rechtsakte betreffen, auch wenn diese Fragen ihm nach Außerkrafttreten des EGKS‑Vertrags unterbreitet werden. Obwohl Art. 41 EGKS‑Vertrag unter diesen Umständen nicht mehr zur Begründung der Zuständigkeit des Gerichtshofs herangezogen werden kann, liefe es dem Zweck und der Kohärenz der Verträge zuwider und wäre mit der Kontinuität der Gemeinschaftsrechtsordnung unvereinbar, wenn der Gerichtshof nicht dazu berufen wäre, eine einheitliche Auslegung der Normen sicherzustellen, die im Zusammenhang mit dem EGKS‑Vertrag stehen und weiterhin auch nach dessen Außerkrafttreten Wirkungen zeitigen.

    (vgl. Randnr. 41)

    2. In einem Verfahren nach Art. 234 EG, der auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, fällt jede Beurteilung des Sachverhalts in die Zuständigkeit des nationalen Gerichts. Ebenso hat nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen.

    (vgl. Randnr. 43)

    3. Ausnahmsweise obliegt es dem Gerichtshof, zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem nationalen Gericht angerufen wird. Er kann die Entscheidung über eine Vorlagefrage eines nationalen Gerichts nur ablehnen, wenn die erbetene Auslegung des Gemeinschaftsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit der Realität oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine sachdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind.

    (vgl. Randnr. 44)

    4. Innerstaatliche Gerichte können auf dem Gebiet der staatlichen Beihilfen mit Rechtsstreitigkeiten befasst werden, in deren Rahmen sie den in Art. 87 Abs. 1 EG enthaltenen Begriff der Beihilfe auslegen und anwenden müssen, insbesondere um zu bestimmen, ob eine ohne Beachtung des in Art. 88 Abs. 3 EG vorgesehenen Vorprüfungsverfahrens eingeführte staatliche Maßnahme diesem Verfahren hätte unterworfen werden müssen. Auch um feststellen zu können, ob eine staatliche Maßnahme, die ohne Beachtung des in Art. 6 der Allgemeinen Entscheidung Nr. 3484/85 zur Einführung gemeinschaftlicher Regeln für Beihilfen zugunsten der Eisen- und Stahlindustrie geregelten Vorprüfungsverfahrens getroffen wurde, dieses Verfahren durchlaufen musste, kann sich ein nationales Gericht zur Auslegung des Beihilfebegriffs in Art. 4 Buchst. c EGKS‑Vertrag und Art. 1 der Allgemeinen Entscheidung veranlasst sehen.

    Dagegen sind innerstaatliche Gerichte nicht zuständig, darüber zu befinden, ob eine staatliche Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar ist. Denn ausschließlich die Kommission, die dabei der Kontrolle des Gemeinschaftsrichters unterliegt, ist für die Beurteilung der Vereinbarkeit von Beihilfenmaßnahmen oder einer Beihilferegelung mit dem Gemeinsamen Markt zuständig.

    (vgl. Randnrn. 50-52, 62)

    5. Zwar können die innerstaatlichen Gerichte grundsätzlich berufen sein, die Gültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts zu prüfen; sie sind jedoch nicht befugt, selbst die Ungültigkeit von Rechtsakten der Gemeinschaftsorgane festzustellen. Für die Feststellung der Ungültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts ist somit allein der Gerichtshof zuständig. Diese ausschließliche Zuständigkeit ergab sich im Übrigen auch ausdrücklich aus Art. 41 EGKS‑Vertrag.

    (vgl. Randnr. 53)

    6. Entscheidungen von Gemeinschaftsorganen, die von ihren Adressaten nicht innerhalb der in Art. 230 Abs. 5 EG vorgesehenen Frist angefochten worden sind, werden ihnen gegenüber bestandskräftig.

    Insoweit ist es ausgeschlossen, dass der Empfänger einer staatlichen Beihilfe, der eine nur an den Mitgliedstaat, dem er angehört, unmittelbar gerichtete Entscheidung der Kommission, die diese Beihilfe zum Gegenstand hatte, zweifellos hätte anfechten können und die hierfür in Art. 230 Abs. 5 EG vorgesehene Ausschlussfrist verstreichen ließ, vor den innerstaatlichen Gerichten anlässlich einer Klage gegen die von den nationalen Behörden getroffenen Maßnahmen zur Durchführung dieser Entscheidung deren Rechtmäßigkeit mit Erfolg in Frage stellt. Die gleichen Grundsätze gelten notwendigerweise sinngemäß auch im Rahmen des Anwendungsbereichs des EGKS‑Vertrags.

    (vgl. Randnrn. 54-55)

    7. Es ist Sache der innerstaatlichen Gerichte, die Vorschriften des nationalen Rechts so weit wie möglich derart auszulegen, dass sie in einer zur Verwirklichung des Gemeinschaftsrechts beitragenden Art und Weise angewandt werden können.

    Hierbei ist ein innerstaatliches Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt.

    Folglich steht das Gemeinschaftsrecht der Anwendung einer auf die Verankerung des Grundsatzes der Rechtskraft abzielenden Vorschrift des nationalen Rechts entgegen, soweit ihre Anwendung die Rückforderung einer unter Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht gewährten staatlichen Beihilfe behindert, deren Unvereinbarkeit mit dem Gemeinsamen Markt durch eine bestandskräftig gewordene Entscheidung der Kommission festgestellt worden ist.

    (vgl. Randnrn. 60-63 und Tenor)

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