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Document 61994CJ0150

Leitsätze des Urteils

Schlüsselwörter
Leitsätze

Schlüsselwörter

1 Rechtsakte der Organe - Begründungspflicht - Umfang - Verordnungen - Keine ausdrückliche Erwähnung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes - Keine Verletzung der Begründungspflicht

(EG-Vertrag, Artikel 3b und 190; Verordnung Nr. 519/94 des Rates)

2 Verfahren - Streithilfe - Antrag, der auf die Unterstützung der Anträge einer Partei gerichtet ist, jedoch andere Argumente enthält - Zulässigkeit

(EG-Satzung des Gerichtshofes, Artikel 37 Absatz 4)

3 Gemeinsame Handelspolitik - Regelung durch die Gemeinschaftsorgane - Ermessen - Gerichtliche Nachprüfung - Grenzen - Verordnung Nr. 519/94 - Einfuhrkontingente für bestimmtes Spielzeug aus der Volksrepublik China - Kein Beurteilungsfehler

(Verordnung Nr. 519/94 des Rates)

4 Gemeinsame Handelspolitik - Regelung durch die Gemeinschaftsorgane - Einführung einer neuen einheitlichen Einfuhrregelung auf Gemeinschaftsebene - Rolle des Rates - Berücksichtigung des Allgemeininteresses des Gemeinschaft - Keine Verpflichtung, frühere Entscheidungen der Mitgliedstaaten zu bestätigen

(EG-Vertrag, Artikel 4; Verordnung Nr. 519/94 des Rates)

5 Gemeinsame Handelspolitik - Handel mit Drittländern - Mengenkontingente für die Einfuhr - Zulässigkeit - Voraussetzungen

(EG-Vertrag, Artikel 110)

6 Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Verhältnismässigkeit - Verordnung Nr. 519/94 zur Einführung von Einfuhrkontingenten für bestimmtes Spielzeug aus China - Ermessen des Gemeinschaftsgesetzgebers im Bereich der Gemeinsamen Handelspolitik - Gerichtliche Nachprüfung - Grenzen

7 Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Gleichbehandlung - Verstoß - Fehlen nicht vergleichbarer Sachverhalte

(Verordnung Nr. 519/94 des Rates)

Leitsätze

1 Der Umfang der durch Artikel 190 des Vertrages auferlegten Begründungspflicht hängt von der Rechtsnatur der betreffenden Maßnahme ab; bei Rechtsakten mit allgemeiner Geltung kann sich die Begründung darauf beschränken, die Gesamtlage anzugeben, die zum Erlaß der Maßnahme geführt hat, und die allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihr erreicht werden sollen. Wenn aus dem angefochtenen Rechtsakt der von dem Organ verfolgte Zweck in seinen wesentlichen Zuegen hervorgeht, wäre es übertrieben, eine besondere Begründung für die verschiedenen technischen Entscheidungen, die das Organ getroffen hat, zu verlangen.

Zwar stellt der in Artikel 3b Absatz 3 des Vertrages niedergelegte Verhältnismässigkeitsgrundsatz einen allgemeinen Grundsatz der Gemeinschaftsrechtsordnung dar, doch kann vom Rat insoweit nicht verlangt werden, daß er, um seiner Begründungspflicht aus Artikel 190 des Vertrages nachzukommen, diesen Grundsatz ausdrücklich in den Begründungserwägungen einer Verordnung erwähnt, wenn aus der streitigen Verordnung hervorgeht, daß die in ihr vorgesehenen Maßnahmen - entsprechend dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz - notwendig sind, um die verfolgten Ziele zu erreichen.

2 Artikel 37 Absatz 4 der Satzung des Gerichtshofes verwehrt es einem Streithelfer nicht, andere Argumente vorzubringen als die von ihm unterstützte Partei, solange er damit die Unterstützung der Anträge dieser Partei oder die Abweisung der Anträge der Gegenpartei bezweckt.

So betrifft das Vorbringen der Streithelferin bezueglich des Fehlens einer speziellen Begründung im Hinblick auf den in Artikel 3b Absatz 3 des Vertrages niedergelegten Verhältnismässigkeitsgrundsatz den vom Kläger geltend gemachten Klagegrund der fehlenden Begründung und ist auf die Unterstützung der Anträge des Klägers gerichtet.

3 Die Gemeinschaftsorgane verfügen bei der Wahl der zur Verwirklichung der gemeinsamen Handelspolitik erforderlichen Mittel über einen Ermessensspielraum. In einem solchen Bereich, in dem komplexe wirtschaftliche Sachverhalte zu beurteilen sind, ist die gerichtliche Kontrolle insbesondere dann, wenn der betreffende Rechtsakt allgemeine Geltung hat, darauf zu beschränken, ob die Verfahrensvorschriften eingehalten worden sind, ob der Sachverhalt, der der getroffenen Wahl zugrunde gelegt wurde, zutreffend festgestellt worden ist und ob keine offensichtlich fehlerhafte Beurteilung dieses Sachverhalts und kein Ermessensmißbrauch vorliegen.

Ausserdem erstreckt sich das Ermessen, über das der Rat bei der Würdigung einer komplexen wirtschaftlichen Situation verfügt, nicht allein auf die Art und die Tragweite der zu erlassenden Vorschriften, sondern bis zu einem gewissen Grad auch auf die Ermittlung der zugrundeliegenden Daten, was insbesondere bedeutet, daß es dem Rat freisteht, sich gegebenenfalls auf globale Feststellungen zu stützen. Denn wenn der Rat auch alle ihm vorliegenden Angaben berücksichtigen muß, kann doch nicht verlangt werden, daß er vor dem Erlaß eines Rechtsakts mit allgemeiner Geltung alle betroffenen Wirtschaftssektoren eingehend untersucht.

Im Fall der Einführung einer neuen Einfuhrregelung für bestimmtes Spielzeug aus der Volksrepublik China durch die Verordnung Nr. 519/94, die die Festsetzung von Einfuhrkontingenten vorsieht, ist das Ermessen des Rates in keiner Weise dadurch beschränkt, daß er selbst beschlossen hat, daß die Liberalisierung der Einfuhren den Ausgangspunkt für die neue Regelung bilden müsse. Denn anders als der Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft ist die Beseitigung aller mengenmässigen Beschränkungen für Einfuhren aus Drittländern kein Rechtsgrundsatz, an den sich der Rat grundsätzlich halten müsste, sondern das Ergebnis einer Entscheidung, die dieses Organ in Ausübung seines Ermessens getroffen hat.

4 Beim Erlaß einer Verordnung, mit der auf Gemeinschaftsebene eine neue einheitliche Regelung für Einfuhren aus bestimmten Drittländern eingeführt wird, die an die Stelle der vorherigen, auf den Entscheidungen der einzelnen Mitgliedstaaten beruhenden Regelung treten soll, hat der Rat das Allgemeininteresse der Gemeinschaft insgesamt zu berücksichtigen und ist bei der Ausübung seines Ermessens nicht durch die in der Vergangenheit von den Mitgliedstaaten individuell getroffenen Entscheidungen gebunden, denn andernfalls würde die Rolle missachtet, die diesem Organ gemäß Artikel 4 EG-Vertrag bei der Wahrnehmung der der Gemeinschaft zugewiesenen Aufgaben zukommt. Folglich kann daraus, daß die neue Regelung wesentlich von der zuvor geltenden abweicht, nicht auf einen Beurteilungsfehler geschlossen werden.

5 Artikel 100 ist nicht dahin zu verstehen, daß er der Gemeinschaft jede Maßnahme verbietet, die den Handel mit Drittländern beeinträchtigen könnte. Wie aus dem Wortlaut dieser Vorschrift folgt, kann das Ziel, zur schrittweisen Beseitigung der Beschränkungen im internationalen Handelsverkehr beizutragen, für die Organe nicht die Verpflichtung begründen, die Einfuhren aus Drittländern zu liberalisieren, wenn sich ein solches Vorgehen als den Interessen der Gemeinschaft zuwiderlaufend erweist.

6 Was die Kontrolle der Verhältnismässigkeit im Bereich der gemeinsamen Handelspolitik betrifft, in dem die Gemeinschaftsorgane über ein weites Ermessen verfügen, so kann die Rechtmässigkeit einer Maßnahme nur dann beeinträchtigt sein, wenn diese Maßnahme zur Erreichung des verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet ist. Ist der Gemeinschaftsgesetzgeber für den Erlaß einer Regelung genötigt, die künftigen Auswirkungen dieser Regelung zu beurteilen, und lassen sich diese Auswirkungen nicht genau vorhersehen, so kann seine Beurteilung nur dann beanstandet werden, wenn sie angesichts der Erkenntnisse, über die er zum Zeitpunkt des Erlasses der Regelung verfügte, offensichtlich irrig erscheint. Diese Beschränkung der Kontrolle durch den Gerichtshof ist insbesondere dann geboten, wenn sich der Rat veranlasst sieht, einen Ausgleich zwischen divergierenden Interessen herbeizuführen und so im Rahmen der in seinem Verantwortungsbereich zu treffenden politischen Entscheidungen eine Auswahl vorzunehmen. Der Gerichtshof kann jedoch insoweit nicht die vom Rat vorgenommene Beurteilung der Frage, ob die von ihm gewählten Maßnahmen angemessen sind, durch seine eigene Beurteilung ersetzen, wenn der Beweis nicht erbracht ist, daß diese Maßnahmen zur Verwirklichung des verfolgten Zieles offensichtlich ungeeignet waren.

7 Der Gleichheitsgrundsatz, wonach vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, es sei denn, daß eine Differenzierung objektiv gerechtfertigt wäre, wird nicht dadurch verletzt, daß die Festsetzung der Einfuhrkontingente im Rahmen der Verordnung Nr. 519/94 des Rates zur Einführung von Einfuhrkontingenten für bestimmtes Spielzeug aus China unterschiedlichen Verfahrensregeln folgt, je nachdem, ob die Kontingente unter die von der Verordnung eingeführte allgemeine einheitliche Regelung oder unter die in derselben Verordnung vorgesehenen Überwachungs- und Schutzmaßnahmen fallen, da die Situation bezueglich dieser Kontingente nicht vergleichbar ist. Es kann nämlich nicht verlangt werden, daß die Verfahrensbestimmungen, die die angefochtene Verordnung für künftige Änderungen der durch sie eingeführten Regelung enthält, bereits für die Festlegung dieser Regelung durch den Rat gelten.

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