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Document 61987CJ0265
Leitsätze des Urteils
Leitsätze des Urteils
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1 . Landwirtschaft - Gemeinsame Marktorganisation - Getreide - Mitverantwortungsabgabe - Rechtsgrundlage
( EWG-Vertrag, Artikel 39, 4O und 43; Verordnung Nr . 2727/75 des Rates, Artikel 4 Absatz 4 in der Fassung der Verordnung Nr . 1579/86 )
2 . Eigene Mittel der Europäischen Gemeinschaften - Artikel 2O1 EWG-Vertrag - Anwendungsbereich - Abgaben, die in einem Agrarsektor erhoben und zur Finanzierung der Ausgaben in diesem Sektor verwendet werden - Ausschluß - Beschluß des Rates vom 21 . April 1970 - Tragweite
( EWG-Vertrag, Artikel 2O1; Beschluß des Rates vom 21 . April 1970, Artikel 2 Absatz 2 )
3 . Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Grundrechte - Eigentumsrecht - Freie Berufsausübung - Beschränkungen - Zulässigkeit - Voraussetzungen - Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor - Zulässigkeit
4 . Gemeinschaftsrecht - Grundsätze - Verhältnismässigkeit - Maßnahmen, durch die finanzielle Belastungen auferlegt werden - Verhältnismässigkeit - Beurteilungskriterien - Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik - Gerichtliche Nachprüfung - Grenzen
( EWG-Vertrag, Artikel 4O und 43 )
5 . Landwirtschaft - Gemeinsame Marktorganisation - Getreide - Mitverantwortungsabgabe - Den Erfordernissen des Funktionierens der gemeinsamen Organisation angepasste Maßnahme - Keine Verletzung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes
( EWG-Vertrag, Artikel 39 Absatz 1 Buchstabe c; Verordnung Nr . 2727/75 des Rates, Artikel 4 in der Fassung der Verordnung Nr . 1579/86 )
6 . Landwirtschaft - Gemeinsame Marktorganisation - Diskriminierende Unterscheidung zwischen Erzeugern oder Verbrauchern - Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor - Befreiung im Fall des Verbrauchs des Verarbeitungsprodukts im Betrieb des Erzeugers - Gewährung nur bei Verarbeitung im Betrieb selbst - Rechtswidrigkeit - Wirkungen - Vorläufige Beibehaltung der streitigen Regelung in nichtdiskriminierender Weise
( EWG-Vertrag, Artikel 4O Absatz 3 Unterabsatz 2 und Artikel 177; Verordnung Nr . 2040/86 der Kommission, Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 2 in der Fassung der Verordnung Nr . 2572/86 )
1 . Eine Maßnahme wie die Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor, die zur Stabilisierung dieses durch strukturelle Überschüsse gekennzeichneten Marktes beitragen soll und somit eine Rolle spielt, die mit derjenigen der anderen in diesem Sektor vorgesehenen Interventionen vergleichbar ist, fällt unter die Artikel 39 und 4O EWG-Vertrag und hat somit ungeachtet der Abgabenhöhe eine geeignete und ausreichende Rechtsgrundlage in Artikel 43 EWG-Vertrag .
2 . Artikel 2O1 EWG-Vertrag betrifft nur die Einnahmen, die zur allgemeinen Finanzierung des Haushalts der Gemeinschaft dienen, nicht dagegen die Agrarabgaben, die in einem bestimmten Agrarsektor erhoben und nur zur Finanzierung der Ausgaben in diesem Sektor verwendet werden . An diesem Ausschluß ändert auch Artikel 2 Absatz 2 des Ratsbeschlusses vom 21 . April 1970 über die Ersetzung der Finanzbeiträge der Mitgliedstaaten durch eigene Mittel der Gemeinschaften nichts . Diese Vorschrift soll nämlich lediglich die Schaffung neuer Eigenmittel im Rahmen der gemeinsamen Politik unter der Voraussetzung ermöglichen, daß das Verfahren des Artikels 2O1 eingehalten wird, und kann nicht entgegen ihrem Wortlaut dahin ausgelegt werden, daß sie für den Erlaß einer Maßnahme, die sich in den Rahmen einer gemeinsamen Politik einfügt, das Verfahren des Artikels 201 vorschreibt, nur weil mit dieser Maßnahme Einnahmen erzielt werden .
3 . Sowohl das Eigentumsrecht als auch die freie Berufsausübung gehören zu den allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts, dessen Wahrung der Gerichtshof sichert . Diese Grundsätze können jedoch keine uneingeschränkte Geltung beanspruchen, sondern müssen im Hinblick auf ihre gesellschaftliche Funktion gesehen werden . Folglich können die Ausübung des Eigentumsrechts und die freie Berufsausübung namentlich im Rahmen einer gemeinsamen Marktorganisation Beschränkungen unterworfen werden, sofern diese Beschränkungen tatsächlich dem Gemeinwohl dienenden Zielen der Gemeinschaft entsprechen und nicht einen im Hinblick auf den verfolgten Zweck unverhältnismässigen, nicht tragbaren Eingriff darstellen, der die so gewährleisteten Rechte in ihrem Wesensgehalt antastet .
Anhand dieser Kriterien kann nicht festgestellt werden, daß die Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor die Grundrechte der Getreideverarbeiter verletzt .
4 . Nach dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit sind Maßnahmen, durch die den Wirtschaftsteilnehmern finanzielle Belastungen auferlegt werden, nur rechtmässig, wenn sie zur Erreichung der zulässigerweise mit der fraglichen Regelung verfolgten Ziele geeignet und erforderlich sind . Dabei ist, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen; ferner müssen die auferlegten Belastungen in angemessenem Verhältnis zu den angestrebten Zielen stehen . Bei der gerichtlichen Nachprüfung der Einhaltung dieser Voraussetzungen ist jedoch zu berücksichtigen, daß der Gemeinschaftsgesetzgeber im Bereich der Gemeinsamen Agrarpolitik über einen Ermessensspielraum verfügt, der seiner politischen Verantwortung, die ihm die Artikel 4O und 43 EWG-Vertrag übertragen, entspricht . Folglich kann die Rechtmässigkeit einer in diesem Bereich erlassenen Maßnahme nur dann beeinträchtigt sein, wenn diese Maßnahme zur Erreichung des Ziels, das das zuständige Organ verfolgt, offensichtlich ungeeignet ist .
5 . Bei der Einführung der Mitverantwortungsabgabe im Getreidesektor und beim Erlaß der Durchführungsbestimmungen hat der Gemeinschaftsgesetzgeber unter verschiedenenen Möglichkeiten die Methode gewählt, die ihm für die Verringerung der strukturellen Überschüsse auf dem Getreidemarkt am besten geeignet erschien und die darin besteht, einen unmittelbaren, wenn auch gemässigten Druck auf den an die Getreideerzeuger gezahlten Preis auszuüben . Eine solche Maßnahme, mit der das Angebot durch eine Senkung des Erzeugerpreises beschränkt werden soll, ist grundsätzlich als geeignet zur Erreichung des in Artikel 39 Absatz 1 Buchstabe c EWG-Vertrag genannten Ziels der Stabilisierung der Agrarmärkte anzusehen, selbst wenn sie wegen bestimmter Befreiungen nicht alle fraglichen Erzeugnisse trifft . Der Gemeinschaftsgesetzgeber hat somit die Grenzen seines im Bereich der Landwirtschaft bestehenden Ermessens nicht überschritten und den Grundsatz der Verhältnismässigkeit nicht verletzt .
6 . Artikel 1 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Verordnung Nr . 2040/86 in der Fassung der Verordnung Nr . 2572/86 ist ungültig, soweit er die im Betrieb des Erzeugers mit betriebseigenen Anlagen vorgenommene erste Getreideverarbeitung von der Mitverantwortungsabgabe befreit, wenn das Verarbeitungsprodukt in demselben Betrieb verbraucht wird, aber keine solche Befreiung für die erste Verarbeitung vorsieht, wenn diese ausserhalb des Erzeugerbetriebs oder mit Anlagen, die nicht zum Inventar dieses Betriebs gehören, vorgenommen wird, auch wenn das Verarbeitungsprodukt in diesem Betrieb verbraucht wird . Bis zum Erlaß geeigneter Maßnahmen zur Herstellung der Gleichheit zwischen den Wirtschaftsteilnehmern durch den Gemeinschaftsgesetzgeber haben die zuständigen Behörden die streitige Befreiung weiter anzuwenden, wobei diese jedoch auf die von der festgestellten Diskriminierung betroffenen Wirtschaftsteilnehmer zu erstrecken ist .