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Document 62022CJ0421

    Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 21. Dezember 2023.
    „DOBELES AUTOBUSU PARKS” SIA u. a. gegen Iepirkumu uzraudzības birojs und „Autotransporta direkcija” VSIA.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Verkehr – Öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße – Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 – Art. 1 Abs. 1 – Art. 2a Abs. 2 – Art. 3 Abs. 1 – Art. 4 Abs. 1 – Art. 6 Abs. 1 – Auftrag für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen – Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags – Offenes, transparentes und diskriminierungsfreies Ausschreibungsverfahren – Ausschreibungsbedingungen – Höhe der von der zuständigen nationalen Behörde gewährten Ausgleichsleistung – Indexierung, die zeitlich und auf spezifische Kostenkategorien beschränkt ist – Risikoverteilung.
    Rechtssache C-421/22.

    Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:1028

    Rechtssache C‑421/22

    „DOBELES AUTOBUSU PARKS“ SIA u. a.

    gegen

    Iepirkumu uzraudzības birojs,

    „Autotransporta direkcija“ VSIA

    (Vorabentscheidungsersuchen der Augstākā tiesa [Senāts])

    Urteil des Gerichtshofs (Fünfte Kammer) vom 21. Dezember 2023

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Verkehr – Öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße – Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 – Art. 1 Abs. 1 – Art. 2a Abs. 2 – Art. 3 Abs. 1 – Art. 4 Abs. 1 – Art. 6 Abs. 1 – Auftrag für öffentliche Personenverkehrsdienste mit Bussen – Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags – Offenes, transparentes und diskriminierungsfreies Ausschreibungsverfahren – Ausschreibungsbedingungen – Höhe der von der zuständigen nationalen Behörde gewährten Ausgleichsleistung – Indexierung, die zeitlich und auf spezifische Kostenkategorien beschränkt ist – Risikoverteilung“

    Verkehr – Öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße – Verordnung Nr. 1370/2007 – Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge für Personenverkehrsdienste mit Bussen – Offenes, transparentes und diskriminierungsfreies Ausschreibungsverfahren – Ausgleichsleistung für die Kosten von Personenverkehrsunternehmen, die mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen einhergehen – Modalitäten für die Aufteilung der Kosten – Beurteilungsspielraum der zuständigen nationalen Behörden – Möglichkeit für diese Behörden, eine Ausgleichsregelung vorzusehen, wonach die Kosten im Zusammenhang mit der Verwaltung und der Erbringung dieses Dienstes nicht automatisch vollständig gedeckt werden – Zulässigkeit – Fehlen einer regelmäßigen Indexierung der Kosten – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Fehlen

    (Verordnung Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 1 Abs. 1, Art. 2a, Art. 3 Abs. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1)

    (vgl. Rn. 41‑44, 46‑52, 54‑56, 58, 59 und Tenor)

    Zusammenfassung

    In Lettland wurde ein offenes Ausschreibungsverfahren zur Vergabe des Rechts zur Erbringung öffentlicher Busverkehrsdienste im regionalen Liniennetz für die Dauer von zehn Jahren eingeleitet.

    „Dobeles Autobusu parks SIA“ und mehrere andere im Verkehrsbereich tätige lettische Gesellschaften legten einen Rechtsbehelf bei der Iepirkumu uzraudzības biroja Iesniegumu izskatīšanas komisija (Prüfungsausschuss der Aufsichtsbehörde für das öffentliche Auftragswesen, Lettland) ein, mit der sie die Bestimmungen der Ausschreibungsbedingungen beanstandeten. Ihrer Auffassung nach werde mit diesen Ausschreibungsbedingungen und dem entsprechenden Vertragsentwurf ein rechtswidriger Ausgleichsmechanismus für den fraglichen Dienst eingeführt, der kein vollständiges Verfahren zur Anpassung des Preises dieses Dienstes im Fall von Änderungen der Kosten vorsehe, die sich auf diesen Preis auswirkten. Nachdem dieser Ausschuss ihren Rechtsbehelf zurückgewiesen hatte, riefen diese Gesellschaften die Administratīvā rajona tiesa (Bezirksverwaltungsgericht, Lettland) an. Dieses Gericht wies ihre Klage ebenfalls ab, was es im Wesentlichen damit begründete, dass der Staat beim Verfahren zur Anpassung des Auftragswerts für die Leistung nicht verpflichtet sei, alle Kosten der Betreiber eines öffentlichen Verkehrsdienstes zu decken, und dass das im Entwurf des Vertrags über die öffentliche Auftragsvergabe vorgesehene Verfahren zur Indexierung nicht gegen die Verordnung Nr. 1370/2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße ( 1 ) verstoße.

    Die Augstākā tiesa (Senāts) (Oberstes Gericht, Lettland), das vorlegende Gericht in der vorliegenden Rechtssache, das mit einer Kassationsbeschwerde befasst war, entschied sich, den Gerichtshof im Wege der Vorabentscheidung dazu zu befragen, ob nach der Verordnung Nr. 1370/2007 eine Ausgleichsregelung zulässig ist, nach der keine regelmäßige Indexierung des Auftragswerts unter Berücksichtigung der Kostensteigerungen, die mit der Erbringung des Dienstes einhergehen und dem Einfluss des Anbieters entzogen sind, vorgesehen ist.

    In seinem Urteil prüft der Gerichtshof die Frage, ob die Mitgliedstaaten im Rahmen von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen, die nach einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Ausschreibungsverfahren vergeben werden, einen Ausgleichsmechanismus einrichten dürfen, der dazu führt, dass einem Erbringer von Personenverkehrsdiensten die mit der Preisentwicklung verbundenen Risiken übertragen werden, so dass aufgrund der Erhöhung bestimmter Preise die Gefahr einer unzureichenden Ausgleichsleistung besteht. Hierzu stellt der Gerichtshof fest, dass die Verordnung Nr. 1370/2007 einer solchen Ausgleichsregelung nicht entgegensteht, wonach die zuständigen nationalen Behörden nicht verpflichtet sind, einem Erbringer dieses öffentlichen Dienstes, der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unterliegt, eine vollständige Ausgleichsleistung zu gewähren, die mittels einer regelmäßigen Indexierung jede sich seiner Kontrolle entziehende Kostenerhöhung im Zusammenhang mit der Verwaltung und der Erbringung dieses Dienstes deckt.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    Als Erstes weist der Gerichtshof darauf hin, dass nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1370/2007 in den öffentlichen Dienstleistungsaufträgen zum einen zuvor in objektiver und transparenter Weise die Parameter, anhand deren gegebenenfalls die Ausgleichsleistung berechnet wird, aufgestellt werden müssen ( 2 ), und zum anderen die Durchführungsvorschriften für die Aufteilung der Kosten, die mit der Erbringung von Dienstleistungen in Verbindung stehen, festzulegen sind ( 3 ).

    Daraus ergibt sich, dass die zuständigen nationalen Behörden, soweit es ihnen obliegt, die Parameter für die Ausgleichsleistung, die einem Erbringer eines öffentlichen Verkehrsdienstes geschuldet wird, und die Modalitäten für die Aufteilung der mit der Erbringung dieses Dienstes verbundenen Kosten festzulegen, im Rahmen eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags bei der Gestaltung des Mechanismus für einen solchen Ausgleich über einen Beurteilungsspielraum verfügen. Insbesondere stellt der Gerichtshof fest, dass die Möglichkeit der Kostenaufteilung notwendigerweise bedeutet, dass diese Behörden nicht verpflichtet sind, alle Kosten auszugleichen, sondern die Risiken, die mit der Entwicklung einiger dieser Kosten verbunden sind, auf den Erbringer dieser öffentlichen Dienstleistung abwälzen können, ohne dass es darauf ankommt, ob dieser Dienstleistungserbringer die Entwicklung der betreffenden Kosten vollständig beherrschen kann oder nicht, weil diese auf Umständen außerhalb seiner Sphäre beruht.

    Aus dem Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1370/2007 ergibt sich somit, dass die zuständigen nationalen Behörden in Ausübung ihres Beurteilungsspielraums eine Ausgleichsregelung vorsehen können, die aufgrund der Parameter für die Ausgleichsleistung und die Modalitäten für die Aufteilung der von diesen Behörden definierten Kosten dem Erbringer des öffentlichen Verkehrsdienstes nicht automatisch die volle Deckung der Kosten garantiert.

    Als Zweites hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass mit der Verordnung Nr. 1370/2007 die Voraussetzungen für die Gewährung einer Ausgleichsleistung festgelegt werden sollen, die die Erbringung eines öffentlichen Personenverkehrsdienstes gewährleistet, der effizient und zugleich finanziell rentabel ist ( 4 ), und daraus gefolgert, dass jede Ausgleichsregelung nicht nur darauf abzielen muss, einen übermäßigen Ausgleich der Kosten zu vermeiden, sondern auch darauf, eine höhere Effizienz beim Erbringer einer öffentlichen Verkehrsdienstleistung zu fördern. Eine Ausgleichsregelung, die unter allen Umständen die automatische Deckung aller mit der Erfüllung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags verbundenen Kosten garantiert, bietet jedoch keinen solchen Anreiz für eine höhere Effizienz, da der betreffende Erbringer nicht dazu veranlasst wird, seine Kosten zu begrenzen.

    Dagegen kann eine Ausgleichsregelung, die mangels regelmäßiger Indexierung nicht automatisch sämtliche Kosten deckt, sondern dazu führt, dass bestimmte Risiken auf den Erbringer des öffentlichen Dienstes abgewälzt werden, zur Verwirklichung dieses Ziels beitragen. Denn selbst in Bezug auf Kosten, die sich der Kontrolle des betreffenden Erbringers einer öffentlichen Dienstleistung entziehen, werden die von ihm erzielten Effizienzgewinne es ihm ermöglichen, seine finanzielle Tragfähigkeit zu stärken, um diese Kosten zu bewältigen, was wiederum dazu beitragen wird, die ordnungsgemäße Erfüllung der Verpflichtungen aus dem öffentlichen Dienstleistungsauftrag sicherzustellen.

    Als Drittes stellt der Gerichtshof fest, dass, wenn ein öffentlicher Dienstleistungsauftrag nach einem wettbewerblichen Vergabeverfahren vergeben wird, ein solches Verfahren an sich bewirkt, dass die dem Erbringer des öffentlichen Verkehrsdienstes geschuldete Ausgleichsleistung auf ein Minimum reduziert wird, so dass durch eine automatische Anpassung nicht nur eine übermäßige, sondern auch eine unzureichende Ausgleichsleistung vermieden wird.

    Jeder Dienstleister, der sich dafür entscheidet, an einem Ausschreibungsverfahren zur Erfüllung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags teilzunehmen, legt nämlich die Bedingungen seines Angebots selbst fest, und zwar unter Berücksichtigung aller relevanten Parameter und insbesondere der wahrscheinlichen Entwicklung der Kosten, die sich auf die Erbringung des Dienstes auswirken können, so dass er den Grad des Risikos bestimmt, das er zu tragen bereit ist. Daher kann vermutet werden, dass sein Angebot ihm, wenn er den Zuschlag erhält, eine Rendite für das eingesetzte Kapital garantieren kann, die dem eingegangenen Risiko entspricht. Daraus folgt, dass eine Ausgleichsregelung im Zusammenhang mit einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag, der nach einem offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Ausschreibungsverfahren vergeben wird, dem Erbringer dieses öffentlichen Dienstes als solche eine Deckung seiner Kosten gewährleistet, wobei diese Deckung ihm auch eine angemessene Ausgleichsleistung sicherstellt, die entsprechend dem Risiko variiert, das zu tragen er bereit ist.

    Somit sind die zuständigen nationalen Behörden im Rahmen eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens nicht verpflichtet, mittels einer regelmäßigen Indexierung automatisch alle Kosten auszugleichen, die dem Erbringer eines Verkehrsdienstes im Zusammenhang mit der Erfüllung eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags unabhängig davon entstehen, ob sie seiner Kontrolle unterliegen, damit dieser Vertrag ihm eine angemessene Ausgleichszahlung verschafft.

    Im Übrigen stellt das Fehlen eines Mechanismus der regelmäßigen Indexierung der Kosten allein keinen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit dar. Ein Erbringer von Verkehrsdiensten, der an einem Ausschreibungsverfahren teilnimmt, legt nämlich die Bedingungen seines Angebots und die Höhe des Risikos, das er angesichts der im öffentlichen Dienstleistungsauftrag angeführten Modalitäten der Ausgleichsleistung und insbesondere des Fehlens eines solchen Mechanismus einzugehen bereit ist, selbst fest. Sollte eine zuständige nationale Behörde im Rahmen eines wettbewerblichen Vergabeverfahrens Bedingungen vorsehen, die angesichts der vom betreffenden Erbringer des öffentlichen Dienstes zu tragenden Risiken unangemessen oder überzogen sind, wäre es folglich unwahrscheinlich, dass Angebote bei ihr eingereicht werden, so dass die Behörde diese Bedingungen ändern müsste, um sie mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Einklang zu bringen.

    Die Möglichkeit, dass ein Erbringer von Personenverkehrsdiensten in der Hoffnung auf einen Zuschlag einen Auftragspreis anbietet, der eine künftige Kostenerhöhung nicht hinreichend berücksichtigt, und den Auftrag nicht in angemessener Weise erfüllen kann, wohnt jedem Ausschreibungsverfahren inne. Diese Möglichkeit rechtfertigt somit nicht, dass die öffentlichen Dienstleistungsaufträge, die nach einem offenen Ausschreibungsverfahren vergeben werden, stets einen Mechanismus zur regelmäßigen Indexierung enthalten, der automatisch eine vollständige Ausgleichsleistung für jede Erhöhung der mit ihrer Erfüllung verbundenen Kosten unabhängig davon gewährleistet, ob der Dienstleistungserbringer die Kontrolle über sie hat.


    ( 1 ) Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. 2007, L 315, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2016/2338 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Dezember 2016 (ABl. 2016, L 354, S. 22) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 1370/2007).

    ( 2 ) Art. 4 Abs. 1 Buchst. b Unterabs. 1 Ziff. i der Verordnung Nr. 1370/2007.

    ( 3 ) Art. 4 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1370/2007.

    ( 4 ) Art. 1 Abs. 1, Art. 2a Abs. 2 und Nr. 7 des Anhangs im Licht der Erwägungsgründe 4, 7, 27 und 34 der Verordnung Nr. 1370/2007.

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