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Document 62021CJ0050

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 8. Juni 2023.
    Prestige and Limousine, S.L. gegen Área Metropolitana de Barcelona u. a.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 49 AEUV – Art. 107 Abs. 1 AEUV – Dienstleistung der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer (Funkmietwagen) – Genehmigungsregelung, die voraussetzt, dass zusätzlich zu einer Genehmigung, die die Erbringung von örtlichen und überörtlichen Beförderungsdiensten im gesamten Inland gestattet, eine zweite Betriebslizenz erteilt wird, um städtische Beförderungsdienste in einem Stadtgebiet erbringen zu können – Begrenzung der Anzahl der Lizenzen für Funkmietwagendienste auf ein Dreißigstel der Anzahl der Lizenzen für Taxidienste.
    Rechtssache C-50/21.

    Court reports – general

    ECLI identifier: ECLI:EU:C:2023:448

    Rechtssache C‑50/21

    Prestige and Limousine, S.L.

    gegen

    Área Metropolitana de Barcelona u. a.

    (Vorabentscheidungsersuchen
    des Tribunal Superior de Justicia de Cataluña)

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 8. Juni 2023

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 49 AEUV – Art. 107 Abs. 1 AEUV – Dienstleistung der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer (Funkmietwagen) – Genehmigungsregelung, die voraussetzt, dass zusätzlich zu einer Genehmigung, die die Erbringung von örtlichen und überörtlichen Beförderungsdiensten im gesamten Inland gestattet, eine zweite Betriebslizenz erteilt wird, um städtische Beförderungsdienste in einem Stadtgebiet erbringen zu können – Begrenzung der Anzahl der Lizenzen für Funkmietwagendienste auf ein Dreißigstel der Anzahl der Lizenzen für Taxidienste“

    1. Vorlagefragen – Zulässigkeit – Formulierung von Fragen, die geeignet ist, den Gerichtshof zu beeinflussen – Keine Auswirkung auf die Zulässigkeit

      (Art. 267 AEUV; Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 94 Buchst. a und c)

      (vgl. Rn. 44)

    2. Vorlagefragen – Zulässigkeit – Frage, die klar beantwortet werden kann – Keine Auswirkung auf die Zulässigkeit

      (Art. 267 AEUV; Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 99)

      (vgl. Rn. 45)

    3. Vorlagefragen – Zulässigkeit – Von einem obersten nationalen Gericht vorgenommene frühere Prüfung der möglichen Relevanz der vom vorlegenden Gericht angeführten Vorschriften des Unionsrechts – Keine Auswirkung auf die Zulässigkeit

      (Art. 267 AEUV)

      (vgl. Rn. 47)

    4. Vorlagefragen – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Frage in Bezug auf einen Rechtsstreit, der nicht über die Grenzen eines einzigen Mitgliedstaats hinausweist – Nationale Bestimmungen, die sowohl für Inländer als auch für die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Geltung haben – Zuständigkeit in Anbetracht der möglichen Beeinträchtigung von Personen aus anderen Mitgliedstaaten

      (Art. 49 und 267 AEUV)

      (vgl. Rn. 48, 49)

    5. Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln – Begriff „staatliche Mittel“

      (Art. 107 Abs. 1 AEUV)

      (vgl. Rn. 53, 54)

    6. Staatliche Beihilfen – Begriff – Dem Staat zurechenbare Gewährung einer Vergünstigung aus staatlichen Mitteln – Genehmigungsregelung, die voraussetzt, dass zusätzlich zu einer Genehmigung, die die Erbringung von örtlichen und überörtlichen Beförderungsdiensten im gesamten Inland gestattet, eine zweite Betriebslizenz erteilt wird, um städtische Beförderungsdienste in einem Stadtgebiet erbringen zu können – Begrenzung der Anzahl der Lizenzen für solche Dienste auf ein Dreißigstel der Anzahl der Lizenzen für Taxidienste – Keine staatlichen Mittel – Keine Beihilfe

      (Art. 107 Abs. 1 AEUV)

      (vgl. Rn. 55-58, Tenor 1)

    7. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Beschränkungen – Genehmigungsregelung, die voraussetzt, dass zusätzlich zu einer Genehmigung, die die Erbringung von örtlichen und überörtlichen Beförderungsdiensten im gesamten Inland gestattet, eine zweite Betriebslizenz erteilt wird, um städtische Beförderungsdienste in einem Stadtgebiet erbringen zu können – Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Überprüfung durch das vorlegende Gericht

      (Art. 49 und Art. 106 Abs. 2 AEUV)

      (vgl. Rn. 61-64, 69-74, 81, 82, 85-93, Tenor 2)

    8. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Beschränkungen – Begrenzung der Anzahl der Lizenzen für Dienstleistungen der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer in einem Stadtgebiet auf ein Dreißigstel der Anzahl der Lizenzen für Taxidienste – Rechtfertigung durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses – Nicht gegeben – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – Verstoß

      (Art. 49 und Art. 106 Abs. 2 AEUV)

      (vgl. Rn. 61-64, 69-74, 81, 82, 97-100, 102, Tenor 3)

    9. Freizügigkeit – Niederlassungsfreiheit – Nationale und lokale Regelungen im Bereich der Taxidienstleistungen und der Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer – Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse – Feststellung – Ermessen der Mitgliedstaaten – Umfang – Voraussetzungen – Umstände, die nicht ausreichen, um das Vorliegen einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse festzustellen

      (Art. 49 und Art. 106 Abs. 2 AEUV)

      (vgl. Rn. 75-80)

    Zusammenfassung

    Die Prestige and Limousine, S.L. (im Folgenden: P&L) bietet im Großraum Barcelona (Spanien) Dienstleistungen der Vermietung von Personenkraftwagen mit Fahrer (im Folgenden: Funkmietwagendienste) an. P&L und 14 weitere dieselben Dienstleistungen erbringende Unternehmen, darunter Unternehmen, die mit internationalen Online-Plattformen verbunden sind, beanstanden vor dem Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Obergericht Katalonien, Spanien) die Wirksamkeit einer Regelung der Área Metropolitana de Barcelona (Großraum Barcelona, Spanien, im Folgenden: GB) betreffend die Organisation solcher Dienste im Großraum Barcelona. Im Rahmen dieses Rechtsstreits zweifelt dieses Gericht an der Vereinbarkeit der fraglichen Regelung insbesondere mit der Niederlassungsfreiheit.

    Nach dieser Regelung ist zum einen zusätzlich zu der nationalen Genehmigung, die für die Erbringung von städtischen und überörtlichen Funkmietwagendiensten in Spanien erforderlich ist, eine weitere Genehmigung erforderlich, um Funkmietwagendienste im Großraum Barcelona zu erbringen. Zum anderen begrenzt sie die Anzahl der Lizenzen für Funkmietwagendienste auf ein Dreißigstel der für diesen Großraum erteilten Lizenzen für Taxidienste. Nach den Angaben des vorlegenden Gerichts besteht das Ziel dieser Regelung im Wesentlichen darin, den Wettbewerb von Funkmietwagendiensten gegenüber Taxis zu reduzieren.

    Zur Rechtfertigung der fraglichen Maßnahmen beruft sich der GB u. a. auf das Ziel, die Qualität, die Sicherheit und die Zugänglichkeit von Taxidiensten sicherzustellen. Diese Dienste würden als „Dienstleistung von allgemeinem Interesse“ angesehen werden, da die Tätigkeit von Taxis stark reguliert sei und für Taxidienste u. a. Lizenzquoten, regulierte Tarife sowie eine universelle Beförderungspflicht gälten und sie für Personen mit eingeschränkter Mobilität zugänglich sein müssten. Der GB führt hierzu aus, dass die wirtschaftliche Lebensfähigkeit dieser Tätigkeit aufgrund des zunehmenden Wettbewerbs durch die Tätigkeit von Funkmietwagendiensten gefährdet scheine.

    Mit seinem heutigen Urteil stellt der Gerichtshof fest, dass das Erfordernis einer zusätzlichen besonderen Genehmigung für die Erbringung von Funkmietwagendiensten im Großraum Barcelona unter bestimmten Voraussetzungen mit Art. 49 AEUV vereinbar sein kann. Demgegenüber steht dieser Artikel der Begrenzung der Anzahl der Lizenzen für Funkmietwagendienste entgegen, da diese Maßnahme über das hinauszugehen scheint, was erforderlich ist, die Ziele einer guten Organisation der Beförderung, des Verkehrs und des öffentlichen Raums sowie das Ziel des Umweltschutzes zu erreichen.

    Würdigung durch den Gerichtshof

    Erstens weist der Gerichtshof das Vorbringen der Parteien des Ausgangsverfahrens zurück, wonach das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig sei. Der Gerichtshof stellt fest, dass der Umstand, dass die Antworten auf die Vorlagefragen klar aus seiner Rechtsprechung abgeleitet werden können, nicht zur Unzulässigkeit eines solchen Ersuchens führt, sondern ihm erlaubt, dieses gegebenenfalls durch Beschluss zu beantworten ( 1 ). Des Weiteren ist der Umstand, dass ein nationales oberstes Gericht bereits im Rahmen eines Rechtsstreits, der Ähnlichkeiten mit dem im Ausgangsverfahren fraglichen aufweise, die mögliche Relevanz der vom vorlegenden Gericht angeführten Vorschriften des Unionsrechts geprüft habe, nicht geeignet, zur Unzulässigkeit eines Vorabentscheidungsersuchen zu führen, das darauf abzielt, dass sich der Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV zur Auslegung dieser Bestimmungen äußert.

    Sodann stellt der Gerichtshof fest, dass die beiden durch die fragliche Regelung vorgesehenen Maßnahmen nicht dazu zu führen scheinen, dass die Taxidienste erbringenden Unternehmen staatliche Beihilfen im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV erhalten. Im Anschluss prüft der Gerichtshof zweitens die Vereinbarkeit dieser Maßnahmen mit Art. 49 AEUV. Insoweit stellt er zunächst fest, dass diese Maßnahmen tatsächlich den Marktzugang für jeden neuen Marktteilnehmer beschränken, da sie die Anzahl der im GB niedergelassenen Anbieter von Funkmietwagendiensten einschränken. Folglich sind sie als Beschränkung der nach dieser Bestimmung garantierten Niederlassungsfreiheit einzuordnen.

    Als Nächstes stellt der Gerichtshof zum Vorliegen zwingender Gründe des Allgemeininteresses, die zur Rechtfertigung solcher Beschränkungen geltend gemacht werden können, fest, dass die Ziele einer guten Organisation der Beförderung, des Verkehrs und des öffentlichen Raums sowie das Ziel des Umweltschutzes in einem solchen Großraum solche Ziele darstellen können. Dies ist jedoch bei dem Ziel, die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Taxidienste zu gewährleisten, nicht der Fall, da die Wahrung eines Gleichgewichts zwischen den beiden fraglichen Stadtverkehrsarten eine Erwägung rein wirtschaftlicher Art darstellt. Dass Taxidienste nach spanischem Recht als „Dienstleistung von allgemeinem Interesse“ gelten, ist insoweit nicht maßgeblich. Aus den vom GB angeführten Merkmalen geht zwar hervor, dass mit der Regulierung der Taxidienste u. a. die Qualität, die Sicherheit und die Zugänglichkeit von Taxidiensten zugunsten der Nutzer sichergestellt werden soll, doch werden mit den im Ausgangsverfahren fraglichen Maßnahmen für sich genommen diese Ziele nicht verfolgt. Es scheint auch nicht so, dass die Anbieter von Taxidiensten mit einem besonderen Auftrag von öffentlichem Interesse betraut wären, der gegebenenfalls als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DAWI) im Sinne von Art. 106 Abs. 2 AEUV eingeordnet werden könnte.

    Schließlich prüft der Gerichtshof die Verhältnismäßigkeit zum einen des Erfordernisses einer zusätzlichen Genehmigung und zum anderen der Begrenzung der Anzahl der Lizenzen für Funkmietwagendienste auf ein Dreißigstel der Anzahl der Lizenzen für Taxidienste. Erstere Maßnahme erscheint geeignet, die genannten Ziele zu erreichen, und kann zu deren Erreichung als erforderlich angesehen werden. Angesichts der Art der fraglichen Dienstleistung sowie der Unmöglichkeit, in einem großen Stadtgebiet zwischen für Funkmietwagendienste genutzten und privat genutzten Fahrzeugen zu unterscheiden, kann davon ausgegangen werden, dass eine nachträgliche Kontrolle zu spät käme, um deren tatsächliche Wirksamkeit sicherzustellen. Das Erfordernis einer zusätzlichen Genehmigung kann daher gerechtfertigt sein, wenn diese Genehmigung auf objektiven, nicht diskriminierenden und im Voraus bekannten Kriterien beruht, die jede Willkür ausschließen und die sich nicht mit Kontrollen überschneiden, die bereits im Rahmen des nationalen Genehmigungsverfahrens durchgeführt wurden, sondern besonderen Bedürfnissen des betreffenden Großraums entsprechen. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind.

    Die zweite Maßnahme erscheint hingegen nicht geeignet, die Erreichung der Ziele einer guten Organisation der Beförderung, des Verkehrs und des öffentlichen Raums zu erreichen. Zunächst wurde nämlich vor dem Gerichtshof das Vorbringen zugunsten von Funkmietwagendiensten nicht entkräftet, mit dem nachgewiesen werden sollte, dass diese Dienste tatsächlich die Erreichung dieser Ziele fördern können, u. a. mittels eines Rückgangs der Nutzung von privaten Fahrzeugen, mittels des Beitrags, den diese Dienste durch ihren Digitalisierungsgrad und ihre Flexibilität bei der Erbringung von Dienstleistungen zum Ziel einer effizienten und inklusiven Mobilität leisten, und dadurch, dass die staatliche Regulierung von Funkmietwagendiensten den Einsatz von Fahrzeugen, die alternative Energien nutzen, fördert.

    Ferner ist nicht auszuschließen, dass eine mögliche Auswirkung der Funkmietwagen-Flotte auf die Beförderung, den Verkehr und den öffentlichen Raum im Großraum Barcelona durch weniger einschränkende Maßnahmen als eine Beschränkung der Lizenzen angemessen begrenzt werden kann. Der Gerichtshof führt hierzu beispielhaft Maßnahmen zur Organisation der Funkmietwagendienste, Beschränkungen dieser Dienste zu bestimmten Uhrzeiten oder auch Verkehrsbeschränkungen in bestimmten Räumen an. Der Gerichtshof fügt hinzu, dass nicht auszuschließen ist, dass das Ziel des Umweltschutzes im Großraum Barcelona durch Maßnahmen erreicht werden kann, die weniger stark in die Niederlassungsfreiheit eingreifen, wie Emissionsgrenzwerte für Fahrzeuge, die in diesem Großraum verkehren.


    ( 1 ) Vgl. Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

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