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Document 62019TJ0030

Urteil des Gerichts (Zehnte erweiterte Kammer) vom 4. Mai 2022 (Auszüge).
China Rubber Industry Association (CRIA) und China Chamber of Commerce of Metals, Minerals & Chemicals Importers & Exporters (CCCMC) gegen Europäische Kommission.
Dumping – Subventionen – Einfuhren einer für Omnibusse und Kraftfahrzeuge verwendeten Art bestimmter neuer oder runderneuerter Luftreifen aus Kautschuk mit einer Tragfähigkeitskennzahl von mehr als 121 mit Ursprung in der Volksrepublik China – Endgültiger Antidumpingzoll – Endgültiger Ausgleichszoll – Nichtigkeitsklage – Klagebefugnis – Unmittelbare Betroffenheit – Individuelle Betroffenheit – Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht – Rechtsschutzinteresse – Schädigung eines Wirtschaftszweigs der Union – Objektive Prüfung – Kausalzusammenhang – Berechnung der Preisunterbietung und der Schadensspanne – Fairer Vergleich der Preise – Rechnerisch ermittelte Einfuhrpreise – Ersten unabhängigen Abnehmern in Rechnung gestellte Preise – Unterschied bei der Handelsstufe – Komplexe wirtschaftliche Bewertungen – Intensität der gerichtlichen Kontrolle – Schadensindikatoren – Datengewichtung – Zugang zu nicht vertraulichen Untersuchungsdaten – Verteidigungsrechte.
Rechtssachen T-30/19 und T-72/19.

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2022:266

Verbundene Rechtssachen T30/19 und T72/19

(Auszugsweise Veröffentlichung)

China Rubber Industry Association (CRIA)
und
China Chamber of Commerce of Metals, Minerals & Chemicals Importers & Exporters (CCCMC)

gegen

Europäische Kommission

 Urteil des Gerichts (Zehnte erweiterte Kammer) vom 4. Mai 2022

„Dumping – Subventionen – Einfuhren einer für Omnibusse und Kraftfahrzeuge verwendeten Art bestimmter neuer oder runderneuerter Luftreifen aus Kautschuk mit einer Tragfähigkeitskennzahl von mehr als 121 mit Ursprung in der Volksrepublik China – Endgültiger Antidumpingzoll – Endgültiger Ausgleichszoll – Nichtigkeitsklage – Klagebefugnis – Unmittelbare Betroffenheit – Individuelle Betroffenheit – Rechtsakt mit Verordnungscharakter, der keine Durchführungsmaßnahmen nach sich zieht – Rechtsschutzinteresse – Schädigung eines Wirtschaftszweigs der Union – Objektive Prüfung – Kausalzusammenhang – Berechnung der Preisunterbietung und der Schadensspanne – Fairer Vergleich der Preise – Rechnerisch ermittelte Einfuhrpreise – Ersten unabhängigen Abnehmern in Rechnung gestellte Preise – Unterschied bei der Handelsstufe – Komplexe wirtschaftliche Bewertungen – Intensität der gerichtlichen Kontrolle – Schadensindikatoren – Datengewichtung – Zugang zu nicht vertraulichen Untersuchungsdaten – Verteidigungsrechte“

1.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Individuelle Betroffenheit – Kriterien – Verordnungen, mit denen Antidumping- und Ausgleichszölle eingeführt werden – Klage eines in den Verordnungen ausdrücklich genannten Ausführers der mit diesen Zöllen belasteten Ware – Zulässigkeit

(Art. 263 Abs. 4 AEUV; Verordnung 2018/1579 der Kommission, Verordnung 2018/1690 der Kommission)

(vgl. Rn. 44, 47, 49, 50, 74)

2.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Klage einer berufsständischen Vereinigung, die die Interessen ihrer Mitglieder verteidigt und vertritt – Zulässigkeit – Voraussetzungen

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 45)

3.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Begriff des Rechtsakts mit Verordnungscharakter im Sinne von Art. 263 Abs. 4 AEUV – Jeder Rechtsakt mit allgemeiner Geltung mit Ausnahme der Gesetzgebungsakte – Verordnungen, mit denen Antidumping- und Ausgleichszölle eingeführt werden – Einbeziehung – Verordnungen, die Durchführungsmaßnahmen gegenüber den Einführern, nicht aber gegenüber den ausführenden Herstellern nach sich ziehen – Klage von produzierenden und exportierenden Unternehmen – Zulässigkeit

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 56, 57, 65-70)

4.      Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbare Betroffenheit – Kriterien – Verordnungen, mit denen Antidumping- und Ausgleichszölle eingeführt werden – Unmittelbare Betroffenheit der ausführenden Hersteller der betreffenden Ware

(Art. 263 Abs. 4 AEUV)

(vgl. Rn. 58-64)

5.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Ermessen der Organe – Gerichtliche Überprüfung – Grenzen

(vgl. Rn. 102, 103, 115)

6.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Schädigung – Feststellung des Kausalzusammenhangs – Verpflichtungen der Organe – Berechnung der Preisunterbietung der in Rede stehenden Einfuhren – Pflicht zu einem fairen Vergleich des Preises der betreffenden Ware mit dem Preis der gleichartigen Ware des Wirtschaftszweigs der Union – Vergleich zwischen Preisen, die auf unterschiedlichen Handelsstufen erzielt wurden – Verstoß – Folge – Nichtigerklärung der Verordnungen, mit denen Antidumping- und Ausgleichszölle eingeführt werden – Voraussetzungen

(Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 3 Abs. 2 und 3; Verordnung 2016/1037 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 8 Abs. 1 und 2)

(vgl. Rn. 114, 116-155, 164-171, 173-176, 179, 180, 184-192, 194-200)

7.      Gemeinsame Handelspolitik – Schutz gegen Dumpingpraktiken – Untersuchung – Wahrung der Verteidigungsrechte – Verpflichtung der Organe zur Unterrichtung der betroffenen Unternehmen im Einklang mit der Verpflichtung zur Wahrung der Vertraulichkeit der Informationen – Verstoß gegen die Unterrichtungspflicht – Voraussetzungen – Weigerung, Informationen zur Verfügung zu stellen, die für die Verteidigung des Unternehmens von Nutzen sein könnten

(Verordnung 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 7, Art. 19 und 20; Verordnung 2016/1037 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 11 Abs. 7, Art. 20 und 30)

(vgl. Rn. 236-271)


Zusammenfassung

Nachdem mehrere Beschwerden bei ihr eingegangen waren, erließ die Europäische Kommission nach einer Untersuchung zwei Durchführungsverordnungen(1) (im Folgenden: angefochtene Verordnungen), mit denen ein endgültiger Antidumpingzoll bzw. ein endgültiger Ausgleichszoll auf die Einfuhren einer für Omnibusse und Kraftfahrzeuge für den Transport von Waren verwendeten Art bestimmter neuer oder runderneuerter Luftreifen aus Kautschuk mit einer Tragfähigkeitskennzahl von mehr als 121 (im Folgenden: betreffende Ware) mit Ursprung in der Volksrepublik China eingeführt wurden.

Die für einige ihrer Mitglieder handelnden Verbände China Rubber Industry Association (CRIA) und China Chamber of Commerce of Metals, Minerals & Chemicals Importers & Exporters (CCCMC, im Folgenden: Klägerinnen) erhoben zwei Klagen auf teilweise Nichtigerklärung der angefochtenen Verordnungen.

Mit der Stattgabe dieser Klagen erkennt das Gericht erstmalig die Klagebefugnis von ausführenden Herstellern an, die in den Antidumping- und Antisubventionsverordnungen, gegen die Nichtigkeitsklage erhoben wurde, nicht namentlich genannt werden. Außerdem wendet es die Rechtsprechung über die Pflicht der Kommission, bei der Berechnung der Preisunterbietung bei den Einfuhren, die Gegenstand von Antidumping- und Antisubventionsuntersuchungen sind, einen fairen Vergleich der Preise auf derselben Handelsstufe vorzunehmen, um eine Schädigung des Wirtschaftszweigs der Union infolge dieser Einfuhren festzustellen, an und präzisiert diese.

Würdigung durch das Gericht

Was zunächst die Zulässigkeit der Klage betrifft, entscheidet das Gericht, dass die Klägerinnen als repräsentative Verbände befugt sind, auf der Grundlage von Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV gegen die endgültigen Antidumping- und Ausgleichszölle auf die Einfuhren der von den Unternehmen Weifang Yuelong Rubber und Hefei Wanli Tire (im Folgenden: in Rede stehende Unternehmen) hergestellten Waren zu klagen, auch wenn sie in den angefochtenen Verordnungen nicht namentlich genannt werden.

In diesem Zusammenhang weist das Gericht darauf hin, dass drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sein müssen, damit eine Klage nach Art. 263 Abs. 4 dritte Variante AEUV zulässig ist. Der angefochtene Rechtsakt muss erstens ein Rechtsakt mit Verordnungscharakter sein, zweitens die klagende Partei unmittelbar betreffen und darf drittens keine Durchführungsmaßnahmen nach sich ziehen.

In Bezug auf die angefochtenen Verordnungen stellt das Gericht erstens fest, dass es Rechtsakte mit Verordnungscharakter sind, da sie zum einen allgemeine Geltung haben und zum anderen nicht in einem ordentlichen oder besonderen Gesetzgebungsverfahren erlassen wurden.

Zweitens betreffen diese Verordnungen die in Rede stehenden Unternehmen als ausführende Hersteller der betreffenden Ware unmittelbar, da sie endgültige Antidumping- und Ausgleichszölle auf die Einfuhren von Waren einführen, die von „allen übrigen“ darin nicht namentlich genannten Unternehmen, darunter die in Rede stehenden Unternehmen, hergestellt werden, und sich somit auf ihre Rechtsstellung auswirken.

Drittens bestätigt das Gericht, dass diese Verordnungen keine Durchführungsmaßnahmen gegenüber den in Rede stehenden Unternehmen nach sich ziehen. Es trifft nämlich zwar zu, dass es gegenüber den Einführern Durchführungsmaßnahmen in Form von Rechtsakten der nationalen Behörden gibt, mit denen die Höhe der Antidumping- und Ausgleichszölle zum Zweck ihrer Erhebung festgesetzt wird, gegenüber den ausführenden Herstellern gibt es jedoch keine Durchführungsmaßnahmen.

In der Sache hatten die Klägerinnen mehrere Klagegründe geltend gemacht, mit denen sie verschiedene Verstöße gegen die Antidumping-Grundverordnung(2) und die Antisubventions-Grundverordnung(3) rügten, u. a. einen Klagegrund in Bezug auf Fehler, die die Kommission bei der Ermittlung der Auswirkungen auf die Preise und der Schadensbeseitigungsschwelle für den Wirtschaftszweig der Union begangen habe.

Hierzu weist das Gericht darauf hin, dass die in Art. 3 Abs. 2 der Antidumping-Grundverordnung bzw. in Art. 8 Abs. 1 der Antisubventions-Grundverordnung vorgesehene Pflicht zur objektiven Prüfung des Vorliegens einer Schädigung des Wirtschaftszweigs der Union infolge gedumpter oder subventionierter Einfuhren verlangt, einen fairen Vergleich, also auf derselben Handelsstufe, des Preises der betreffenden Ware mit dem Preis der gleichartigen Ware des genannten Wirtschaftszweigs bei Verkäufen im Unionsgebiet vorzunehmen.

Aus der Prüfung der Rechtssache ergibt sich jedoch, dass die Kommission bei Vorliegen desselben Vermarktungsmodells, das durch den Rückgriff auf verbundene Verkaufseinheiten gekennzeichnet ist, die Verkäufe der Unionshersteller und die der chinesischen ausführenden Hersteller dadurch unterschiedlich behandelt hat, dass sie bei Ersteren die Wiederverkaufspreise an die ersten unabhängigen Abnehmer und bei Letzteren die errechneten Verkaufspreise frei Grenze der Union herangezogen hat. Obwohl nicht erwiesen ist, dass die Verkaufseinheiten, je nachdem ob sie mit den chinesischen ausführenden Herstellern oder mit den Unionsherstellern verbunden waren, unterschiedliche wirtschaftliche Rollen spielen, stellt das Gericht daher einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 2 der Antidumping-Grundverordnung und Art. 8 Abs. 1 der Antisubventions-Grundverordnung fest, da die Kommission die Preisunterbietung durch einen Vergleich der Preise der betreffenden Ware auf unterschiedlichen Handelsstufen ermittelt hatte.

Ferner führt das Gericht aus, dass der bei der Berechnung der Preisunterbietung festgestellte Fehler die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Verordnungen in Frage stellen kann. Dieser Fehler hat sich nämlich auf die Analyse der Kommission in Bezug auf das Vorliegen einer Schädigung und eines Kausalzusammenhangs und zum anderen auf ihre Berechnungen der Höhe der endgültigen Antidumping- und Ausgleichszölle ausgewirkt. Infolgedessen ist das Gericht der Auffassung, dass die angefochtenen Verordnungen aufzuheben sind, soweit sie die in Rede stehenden Unternehmen betreffen.


1      Durchführungsverordnung (EU) 2018/1579 der Kommission vom 18. Oktober 2018 zur Einführung eines endgültigen Antidumpingzolls und zur endgültigen Vereinnahmung des vorläufigen Zolls auf die Einfuhren einer für Omnibusse und Kraftfahrzeuge für den Transport von Waren verwendeten Art bestimmter neuer oder runderneuerter Luftreifen aus Kautschuk mit einer Tragfähigkeitskennzahl von mehr als 121 mit Ursprung in der Volksrepublik China und zur Aufhebung der Durchführungsverordnung (EU) 2018/163 (ABl. 2018, L 263, S. 3) und Durchführungsverordnung (EU) 2018/1690 der Kommission vom 9. November 2018 zur Einführung endgültiger Ausgleichszölle auf die Einfuhren einer für Omnibusse und Kraftfahrzeuge für den Transport von Waren verwendeten Art bestimmter neuer oder runderneuerter Luftreifen aus Kautschuk mit einer Tragfähigkeitskennzahl von mehr als 121 mit Ursprung in der Volksrepublik China und zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) 2018/1579 (ABl. 2018, L 283, S. 1).


2      Verordnung (EU) 2016/1036 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz gegen gedumpte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern (ABl. 2016, L 176, S. 21).


3      Verordnung (EU) 2016/1037 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2016 über den Schutz gegen subventionierte Einfuhren aus nicht zur Europäischen Union gehörenden Ländern (ABl. 2016, L 176, S. 55).

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