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Document 62018CJ0393
Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 17. Oktober 2018.
UD gegen XB.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Art. 8 Abs. 1 – Zuständigkeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung – Begriff ‚gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes‘ – Erfordernis körperlicher Anwesenheit – Festhalten von Mutter und Kind in einem Drittstaat gegen den Willen der Mutter – Verletzung der Grundrechte von Mutter und Kind.
Rechtssache C-393/18 PPU.
Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 17. Oktober 2018.
UD gegen XB.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Art. 8 Abs. 1 – Zuständigkeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung – Begriff ‚gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes‘ – Erfordernis körperlicher Anwesenheit – Festhalten von Mutter und Kind in einem Drittstaat gegen den Willen der Mutter – Verletzung der Grundrechte von Mutter und Kind.
Rechtssache C-393/18 PPU.
Rechtssache C‑393/18 PPU
UD
gegen
XB
(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England and Wales], Family Division)
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Eilvorabentscheidungsverfahren – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 – Art. 8 Abs. 1 – Zuständigkeit auf dem Gebiet der elterlichen Verantwortung – Begriff ‚gewöhnlicher Aufenthalt des Kindes‘ – Erfordernis körperlicher Anwesenheit – Festhalten von Mutter und Kind in einem Drittstaat gegen den Willen der Mutter – Verletzung der Grundrechte von Mutter und Kind“
Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 17. Oktober 2018
Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen – Eilvorabentscheidungsverfahren – Voraussetzungen – Sehr junges Kind – Gefahr einer irreversiblen Beeinträchtigung der Entwicklung des Kindes – Gefahr einer Beeinträchtigung der Integration des Kindes in ein neues familiäres und soziales Umfeld, das es künftig eventuell haben wird
(Verfahrensordnung des Gerichtshofs, Art. 107)
Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Frage nach der Auslegung der in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 vorgesehenen Zuständigkeitsregel – Frage, die sich in einem Rechtsstreit stellt, der Anknüpfungspunkte zu den Gerichten eines Mitgliedstaats und zu den Gerichten eines Drittstaats aufweist – Einbeziehung
(Art. 267 AEUV; Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates, Art. 8 Abs. 1)
Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Zuständigkeit sowie Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung – Verordnung Nr. 2201/2003 – Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts des Kindes – Kind, das in dem Mitgliedstaat niemals physisch anwesend war – Fehlen eines gewöhnlichen Aufenthalts in diesem Mitgliedstaat – Geburt, die infolge eines vom Vater auf die Mutter ausgeübten Zwangs in einem Drittstaat stattgefunden hat – Festhalten von Mutter und Kind in dem Drittstaat gegen den Willen der Mutter – Verletzung der Grundrechte von Mutter und Kind – Keine Auswirkung
(Verordnung Nr. 2201/2003 des Rates, Art. 8 Abs. 1)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Rn. 26, 27)
Siehe Text der Entscheidung.
(vgl. Rn. 31-42)
Art. 8 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2201/2003 des Rates vom 27. November 2003 über die Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Ehesachen und in Verfahren betreffend die elterliche Verantwortung und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1347/2000 ist dahin auszulegen, dass ein Kind körperlich in einem Mitgliedstaat anwesend gewesen sein muss, damit angenommen werden kann, dass es in diesem Mitgliedstaat seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Sinne dieser Vorschrift hat. Hierbei kommt Umständen wie den im Ausgangsverfahren streitigen – nämlich zum einen dem vom Vater auf die Mutter ausgeübten Zwang mit der Folge, dass die Mutter ihr Kind in einem Drittstaat zur Welt gebracht hat und sich mit diesem seit dessen Geburt dort aufhält, und zum anderen der Verletzung der Grundrechte der Mutter oder des Kindes –, auch wenn sie nachgewiesen sind, keine Bedeutung zu.
Insoweit geht aus dem zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2201/2003 hervor, dass diese mit dem Ziel erlassen worden ist, dem Wohl des Kindes zu entsprechen, und deshalb dem Kriterium der räumlichen Nähe den Vorzug gibt. Der Gesetzgeber war nämlich der Auffassung, dass das in geografischer Nähe zum gewöhnlichen Aufenthalt des Kindes gelegene Gericht die im Interesse des Kindeswohls anzuordnenden Maßnahmen am besten beurteilen kann.
Art. 8 der Verordnung Nr. 2201/2003 setzt dieses Ziel um, indem er für die Gerichte des Mitgliedstaats, in dem das Kind seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, eine allgemeine Zuständigkeit für Entscheidungen vorsieht, die die elterliche Verantwortung betreffen (Urteil vom 15. Februar 2017, W und V, C‑499/15, EU:C:2017:118, Rn. 52).
Die Bedeutung, die der Unionsgesetzgeber der räumlichen Nähe beigemessen hat, wenn es um die Bestimmung des Gerichts geht, das für Entscheidungen, die die elterliche Verantwortung betreffen, zuständig sein soll, lässt sich auch aus Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 ablesen, der die Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats gerade dann an der bloßen Anwesenheit des Kindes festmacht, wenn dessen Aufenthalt in keinem Mitgliedstaat als „gewöhnlich“ im Sinne von Art. 8 Abs. 1 dieser Verordnung gewertet werden kann und sich diese Zuständigkeit nicht auf der Grundlage ihres Art. 12 bestimmen lässt.
Daher hat der Gerichtshof entschieden, dass die Feststellung des gewöhnlichen Aufenthalts eines Kindes in einem bestimmten Mitgliedstaat zumindest erfordert, dass das Kind in diesem Mitgliedstaat körperlich anwesend war (Urteil vom 15. Februar 2017, W und V, C‑499/15, EU:C:2017:118, Rn. 61).
Aus den Erwägungen in den Rn. 45 bis 52 des vorliegenden Urteils ergibt sich, dass die körperliche Anwesenheit in dem Mitgliedstaat, in dem das Kind mutmaßlich integriert ist, eine Bedingung ist, die der Bewertung der Beständigkeit dieser Anwesenheit notwendigerweise vorausgeht, und sich der „gewöhnliche Aufenthalt“ im Sinne der Verordnung Nr. 2201/2003 nicht in einem Mitgliedstaat festmachen lässt, in den sich das Kind niemals begeben hat. Diese Auslegung findet eine Stütze in dem Platz, den Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2201/2003 innerhalb der Zuständigkeitsvorschriften einnimmt, die diese Verordnung für die elterliche Verantwortung betreffende Entscheidungen vorsieht.
(vgl. Rn. 48, 49, 51-54, 70 und Tenor)