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Document 62017TJ0340

Urteil des Gerichts (Vierte erweiterte Kammer) vom 30. März 2022.
Japan Airlines Co. Ltd gegen Europäische Kommission.
Wettbewerb – Kartelle – Luftfrachtmarkt – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens zwischen der Gemeinschaft und der Schweiz über den Luftverkehr festgestellt wird – Abstimmung von Preisbestandteilen für Luftfrachtdienste (Treibstoffaufschlag, Sicherheitsaufschlag, Zahlung einer Provision auf die Aufschläge) – Austausch von Informationen – Räumliche Zuständigkeit der Kommission – Art. 266 AEUV – Verjährung – Verteidigungsrechte – Nichtdiskriminierung – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Höhe der Geldbuße – Umsatz – Schwere der Zuwiderhandlung – Zusatzbetrag – Mildernde Umstände – Ermutigung zu wettbewerbswidrigem Verhalten durch Behörden – Sehr geringfügige Beteiligung – Verhältnismäßigkeit – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung.
Rechtssache T-340/17.

ECLI identifier: ECLI:EU:T:2022:181

Rechtssache T‑340/17

Japan Airlines Co. Ltd

gegen

Europäische Kommission

Urteil des Gerichts (Vierte erweiterte Kammer) vom 30. März 2022

„Wettbewerb – Kartelle – Luftfrachtmarkt – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen Art. 101 AEUV, Art. 53 des EWR-Abkommens und Art. 8 des Abkommens zwischen der Gemeinschaft und der Schweiz über den Luftverkehr festgestellt wird – Abstimmung von Preisbestandteilen für Luftfrachtdienste (Treibstoffaufschlag, Sicherheitsaufschlag, Zahlung einer Provision auf die Aufschläge) – Austausch von Informationen – Räumliche Zuständigkeit der Kommission – Art. 266 AEUV – Verjährung – Verteidigungsrechte – Nichtdiskriminierung – Einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung – Höhe der Geldbuße – Umsatz – Schwere der Zuwiderhandlung – Zusatzbetrag – Mildernde Umstände – Ermutigung zu wettbewerbswidrigem Verhalten durch Behörden – Sehr geringfügige Beteiligung – Verhältnismäßigkeit – Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung“

  1. Wettbewerb – Regeln der Union – Räumlicher Geltungsbereich – Zuständigkeit der Kommission – Zulässigkeit im Hinblick auf das Völkerrecht – Durchführung oder qualifizierte Auswirkungen der missbräuchlichen Verhaltensweisen im EWR – Alternative Möglichkeiten – Kriterium der unmittelbaren, wesentlichen und vorhersehbaren Wirkung – Bedeutung im Fall von Verhaltensweisen, die die Beschränkung des Wettbewerbs bezwecken

    (Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53)

    (vgl. Rn. 78, 79, 93, 95-104, 116-118, 122-130, 132-134, 143-152)

  2. Nichtigkeitsklage – Gründe – Unzuständigkeit des Organs, das Urheber der angefochtenen Handlung ist – Prüfung durch den Unionsrichter von Amts wegen – Voraussetzung – Beachtung des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens

    (Art. 263 AEUV)

    (vgl. Rn. 166, 167)

  3. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Beschluss der Kommission, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Feststellung der geahndeten Zuwiderhandlungen – Anforderungen, die sich aus dem Grundsatz des wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes ergeben – Klarheit und Eindeutigkeit des verfügenden Teils des Beschlusses – Beurteilung – Vorrang des Wortlauts des verfügenden Teils gegenüber der Begründung

    (Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8 und 11; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 47)

    (vgl. Rn. 173, 174, 177-183)

  4. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Verfolgungsverjährung – Ruhen – Aufschiebende Wirkung anhängiger Gerichtsverfahren – Tragweite – Wirkung erga omnes – Fehlen – Folge – Bestimmung anhand des Gegenstands des Rechtsstreits

    (Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 und 25 Abs. 6)

    (vgl. Rn. 205, 206, 212)

  5. Wettbewerb – Verwaltungsverfahren – Befugnisse der Kommission – Befugnis, nach Ablauf der Verfolgungsverjährung im Sinne der Verordnung Nr. 1/2003 einen Beschluss zu erlassen, mit dem eine Zuwiderhandlung festgestellt wird – Voraussetzung – Vorliegen eines berechtigten Interesses an einer solchen Feststellung

    (Art. 101 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 7 und 25)

    (vgl. Rn. 207, 222)

  6. Nichtigkeitsklage – Gegenstand – Beschluss, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt wird, die von mehreren Adressaten begangen worden ist – Teile, die andere Adressaten als den Kläger betreffen und nicht oder nicht fristgemäß angefochten worden sind – Ausschluss – Folge – Ausschließliche Berücksichtigung der Bestandteile des verfügenden Teils des Beschlusses und der entsprechenden Gründe betreffend den Kläger

    (Art. 101, 263 und 288 Abs. 4 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 7 und 25)

    (vgl. Rn. 214-218)

  7. Kartelle – Verbot – Zuwiderhandlungen – Vereinbarungen und abgestimmte Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen – Verantwortlichmachung eines Unternehmens für die gesamte Zuwiderhandlung – Voraussetzungen – Rechtswidrige Praktiken und Verhaltensweisen, die sich in einen Gesamtplan einfügen – Beurteilung – Notwendigkeit eines Wettbewerbsverhältnisses zwischen den beteiligten Unternehmen – Fehlen

    (Art. 101 Abs. 1 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53 Abs. 1)

    (vgl. Rn. 250-264, 269, 283)

  8. Wettbewerb – Geldbußen – Beurteilung anhand des individuellen Verhaltens des Unternehmens – Auswirkung des Fehlens einer Sanktion gegen einen anderen Wirtschaftsteilnehmer – Fehlen – Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung, die mit der Einhaltung des Gebots rechtmäßigen Handelns vereinbar sein muss – Umfang der Begründungspflicht

    (Art. 101 und 296 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 20)

    (vgl. Rn. 289-296)

  9. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Ermittlung des Umsatzes – Umsätze, die mit der Zuwiderhandlung in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang stehen – Kartell im Sektor der Luftfrachtdienste – Kartell, das mehrere Bestandteile der Preise für Luftfrachtdienste umfasst – Berücksichtigung des Gesamtumsatzes aus Frachtdienstleistungen – Zulässigkeit – Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit – Fehlen

    (Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 6 und 13)

    (vgl. Rn. 304-312, 316-330)

  10. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Schwere der Zuwiderhandlung – Beurteilungskriterien – Art der Zuwiderhandlung – Horizontale Preisabsprache – Einer solchen Zuwiderhandlung inhärente Schwere, die die Anwendung eines hohen Schwerekoeffizienten rechtfertigt

    (Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 19 bis 23)

    (vgl. Rn. 336-341)

  11. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Festlegung des Grundbetrags – Ermittlung des Umsatzes – Berücksichtigung nur des Umsatzes, der im unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit dem Verstoß im relevanten räumlichen Markt steht – Umsätze, die innerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums erzielt wurden – Kartell im Sektor der Luftfrachtdienste – Berücksichtigung der Umsätze aus eingehenden Frachtdienstleistungen – Zulässigkeit

    (Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 13)

    (vgl. Rn. 361-373)

  12. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Anpassung des Grundbetrags – Mildernde Umstände – Ermessen der Kommission, eine Gesamtwürdigung vorzunehmen – Kriterium der sehr geringfügigen Beteiligung – Beurteilungsfaktoren

    (Art. 101 AEUV; EWR-Abkommen, Art. 53; Luftverkehrsabkommen EG-Schweiz, Art. 8; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 23 Abs. 2 und 3; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission, Ziff. 29)

    (vgl. Rn. 396-399)

  13. Wettbewerb – Geldbußen – Höhe – Festsetzung – Gerichtliche Nachprüfung – Befugnis des Unionsrichters zu unbeschränkter Nachprüfung – Umfang – Grenze – Beachtung des Diskriminierungsverbots – Berücksichtigung der Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen

    (Art. 261 AEUV; Verordnung Nr. 1/2003 des Rates, Art. 31; Mitteilung 2006/C 210/02 der Kommission)

    (vgl. Rn. 426-432)

Zusammenfassung

Bei der Klägerin, der Japan Airlines Co. Ltd, vormals Japan Airlines International Co. Ltd, handelt es sich um eine Luftfahrtgesellschaft. Eine ihrer Sparten erbringt unter dem Namen JAL Cargo Luftfrachtdienste. Zur maßgeblichen Zeit war die Klägerin eine Tochtergesellschaft der Japan Airlines Corp., die sie seither übernommen hat und deren Rechtsnachfolgerin sie ist.

Die Klägerin gehört zu den 19 Adressaten des Beschlusses C(2017) 1742 final der Kommission vom 17. März 2017 in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV, Artikel 53 des EWR-Abkommens und Artikel 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr (Sache AT.39258 – Luftfracht) (im Folgenden: angefochtener Beschluss). Mit diesem Beschluss stellte die Europäische Kommission das Vorliegen einer einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung gegen die genannten Bestimmungen fest, in deren Rahmen die in Rede stehenden Unternehmen in der Zeit von 1999 bis 2006 ihr Verhalten bei der Preisbildung für die Erbringung von Frachtdienstleistungen weltweit abgestimmt hätten. Wegen der Beteiligung der Klägerin an dieser Zuwiderhandlung verhängte die Kommission eine Geldbuße von 35700000 Euro gegen sie.

Am 7. Dezember 2005 beantragten Lufthansa und zwei ihrer Tochtergesellschaften bei der Kommission die Anwendung der Mitteilung über Zusammenarbeit der Kommission von 2002 ( 1 ). In diesem Antrag wurde von wettbewerbswidrigen Kontakten zwischen mehreren auf dem Luftfrachtmarkt aktiven Unternehmen (im Folgenden: Fluggesellschaften) berichtet, die sich auf mehrere Bestandteile des Preises für im Rahmen dieses Marktes erbrachte Dienstleistungen bezogen, nämlich die Einführung eines Treibstoffaufschlags und eines Sicherheitsaufschlags, sowie im Wesentlichen die Weigerung, Spediteuren einen Nachlass auf diese Aufschläge zu gewähren. Auf der Grundlage der Informationen, die sie zusammengestellt hatte, sowie basierend auf ihren Erhebungen übermittelte die Kommission am 19. Dezember 2007 eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an 27 Fluggesellschaften. Am 9. November 2010 nahm sie in weiterer Folge einen ersten Beschluss ( 2 ) in Bezug auf 21 Fluggesellschaften an, darunter die Klägerin. Dieser wurde jedoch vom Gericht mit Urteilen vom 16. Dezember 2015 ( 3 ) innerhalb der Grenzen der jeweiligen Nichtigkeitsanträge für nichtig erklärt, da die Begründung des Beschlusses Widersprüche enthielt.

In seinem Urteil hat das Gericht den Anträgen auf Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses und den Anträgen auf Herabsetzung der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße teilweise stattgegeben. Es hat einen Verstoß gegen die Verjährungsvorschriften für die Sanktionierung von Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt und zugleich die Beurteilung bestätigt, die der Feststellung der Kommission zugrunde liegt, wonach eine einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung im Zusammenhang mit mehreren Arten von Flugverbindungen vorliegt. Ferner hat das Gericht nähere Ausführungen zum Umfang der räumlichen Zuständigkeit der Kommission für teilweise außerhalb der Union an den Tag gelegte Verhaltensweisen und zur Anwendung der Kriterien für die Festlegung von Geldbußen unter solchen Umständen gemacht.

Würdigung durch das Gericht

Als Erstes hat das Gericht den Klagegrund geprüft, mit dem geltend gemacht wird, dass die Kommission nicht befugt gewesen sei, einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV und Art. 53 des EWR-Abkommens auf den Strecken aus Drittländern in den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) festzustellen und zu ahnden. Es hat insoweit auf die Befugnis der Kommission verwiesen, eine außerhalb des Gebiets der Union oder des EWR an den Tag gelegte Verhaltensweise festzustellen und zu ahnden, wenn sie innerhalb der Union oder des EWR durchgeführt wurde oder wenn vorhersehbar war, dass sie dort unmittelbare und wesentliche Auswirkungen haben wird. Im vorliegenden Fall konnte sich die Kommission aufgrund der qualifizierten Auswirkungen der streitigen Zuwiderhandlung für zuständig erklären. Insbesondere die Schädlichkeit, die einer horizontalen Absprache oder Verhaltensweise zur Festlegung der Preise wie der streitigen Zuwiderhandlung inhärent ist und aus der sich auch ihre Einstufung als „bezweckte“ Wettbewerbsbeschränkung ergibt, befreite die Kommission davon, die konkreten Auswirkungen dieser Zuwiderhandlung innerhalb des EWR zu untersuchen. Im Übrigen konnte die Kommission – ohne Beanstandung durch das Gericht – annehmen, dass die Auswirkungen der streitigen Verhaltensweise innerhalb des EWR vorhersehbar, unmittelbar und wesentlich waren, was sich daraus ergibt, dass das normale Funktionieren des Binnenmarktes vernünftigerweise erwarten lässt, dass die Spediteure, die die höheren Kosten der Luftfrachtdienste auf den betroffenen Strecken zu tragen haben, die entsprechenden Mehrkosten an die Absender weitergeben, was zu einem Anstieg des Preises der in den EWR eingeführten Waren beitragen kann.

Als Zweites hat das Gericht den von Amts wegen geprüften Gesichtspunkt zurückgewiesen, dass die Kommission nicht befugt gewesen sei, einen Verstoß gegen Art. 53 des EWR-Abkommens auf den Strecken zwischen der Schweiz einerseits und Norwegen und Island andererseits festzustellen und zu ahnden. Sowohl aus dem verfügenden Teil als auch aus der Begründung des angefochtenen Beschlusses geht nach Ansicht des Gerichts nämlich hervor, dass die Kommission auf diesen Strecken keinen Verstoß gegen die genannte Bestimmung festgestellt hat.

Als Drittes hat das Gericht geprüft, ob der Ablauf der Verjährungsfrist ( 4 ), wie von der Klägerin geltend gemacht, die Kommission daran hindert, ihre Sanktionsbefugnis auszuüben. Soweit die Klägerin im angefochtenen Beschluss für die streitige Zuwiderhandlung in Bezug auf Strecken verantwortlich gemacht wurde, die nicht im verfügenden Teil des Beschlusses vom 9. November 2010 enthalten sind, hat das Gericht zwischen den im verfügenden Teil des Beschlusses vom 9. November 2010 genannten Strecken, für die die von der Klägerin erhobene Klage hinsichtlich der Verjährungsfrist eine aufschiebende Wirkung entfalten konnte, und den Strecken, die nur im verfügenden Teil des angefochtenen Beschlusses genannt sind – also die Strecken innerhalb des EWR und die Strecken von der Union in die Schweiz – und für die kein Grund zur Verlängerung der Verjährungsfrist zum Tragen kommt, unterschieden. Zu den letztgenannten Strecken ist festzuhalten, dass der angefochtene Beschluss über zehn Jahre nach Beendigung der in Rede stehenden Verhaltensweisen erlassen wurde, so dass sich die Klägerin in dieser Hinsicht auf den Ablauf der Verjährungsfrist berufen kann, ohne jedoch die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses insgesamt beanspruchen zu können.

Als Viertes hat das Gericht in Bezug auf die Rügen, mit denen die Klägerin der Kommission vorwarf, sie für die streitige Zuwiderhandlung auf Strecken verantwortlich zu machen, die sie nicht bediene oder nicht bedienen dürfe, darauf hingewiesen, dass die Zurechnung wettbewerbswidriger Verhaltensweisen, die eine einheitliche Zuwiderhandlung darstellen, an ein Unternehmen, das an diesen nicht direkt beteiligt war, das Vorliegen eines Gesamtplans erfordert, mit dem ein gemeinsames Ziel verfolgt wird, sowie den vorsätzlichen Beitrag des betreffenden Unternehmens zu diesem Plan und die (bewiesene oder vermutete) Kenntnis des Unternehmens von diesem Verhalten. Da diese Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt waren, konnte die Kommission die Klägerin für die einheitliche und fortgesetzte Zuwiderhandlung auf den Strecken zwischen dem EWR und Drittländern (außer Japan) verantwortlich machen, und zwar unabhängig von ihrer etwaigen Eigenschaft als potenzielle Wettbewerberin auf diesen Strecken.

Als Fünftes hat das Gericht die Rügen der Klägerin bezüglich der Festsetzung der Höhe der gegen sie verhängten Geldbuße geprüft, insbesondere in Bezug auf die Ermittlung des Umsatzes und auf die Bestimmung des Schwerekoeffizienten gemäß den Voraussetzungen der Leitlinien von 2006 ( 5 ). Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass die Kommission den maßgeblichen Umsatz anhand des mit der Erbringung von Frachtdienstleistungen auf den eingehenden Strecken erzielten Umsatzes ermittelt hat und nicht nur anhand der Einkünfte durch die in Rede stehenden Aufschläge. Der Umsatz muss nach Ansicht des Gerichts nämlich den Preis widerspiegeln, der den Kunden für die Frachtdienstleistungen in Rechnung gestellt wird. Die Aufschläge stellen nur einen Bestandteil dieses Preises dar. Im Übrigen wird die Festsetzung eines Schwerekoeffizienten auf 16 % – innerhalb einer möglichen Bandbreite von 0 % bis 30 % – als korrekt betrachtet. Zum einen ist nämlich ein solcher Schwerekoeffizient angesichts der den streitigen Verhaltensweisen inhärenten Schwere für die Klägerin sehr günstig. Zum anderen hat sich die Klägerin gegen keinen der drei zusätzlichen Faktoren gewandt, auf die sich die Kommission bei der Bestimmung des Schwerekoeffizienten gestützt hat, nämlich die kumulierten Marktanteile der beschuldigten Fluggesellschaften, das geografische Ausmaß der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung und die Durchführung der streitigen Verhaltensweisen. Soweit die Klägerin schließlich die ihr aufgrund des Vorliegens mildernder Umstände gewährte allgemeine Ermäßigung um 15 % im Hinblick auf die Besonderheiten des japanischen Rechtsrahmens als nicht ausreichend erachtet, hat das Gericht ihr Vorbringen als unzureichend belegt erachtet.

Schließlich hat das Gericht von seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung Gebrauch gemacht, um über den Antrag auf Herabsetzung der verhängten Geldbuße zu entscheiden. Ohne von der Berechnungsmethode abzuweichen, die die Kommission im angefochtenen Beschluss angewandt hat, hat es die Konsequenzen aus seinen Feststellungen gezogen, insbesondere zum Eintritt der Verjährung im Hinblick auf die Verhaltensweisen betreffend die Strecken innerhalb des EWR und die Strecken zwischen der Union und der Schweiz. Das Gericht hat in der Folge festgestellt, dass die Beteiligung der Klägerin an der einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung begrenzt war und aus diesem Grund eine zusätzliche Herabsetzung vorzunehmen ist. Folglich wird der Betrag der gegen die Klägerin verhängten Geldbuße, den die Kommission auf 35700000 Euro festgesetzt hat, auf 28875000 Euro herabgesetzt.


( 1 ) Mitteilung der Kommission über den Erlass und die Ermäßigung von Geldbußen in Kartellsachen (ABl 2002, C 45, S. 3).

( 2 ) Beschluss C(2010) 7694 final der Kommission vom 9. November 2010 in einem Verfahren nach Artikel 101 AEUV, Artikel 53 des EWR-Abkommens und Artikel 8 des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und der Schweizerischen Eidgenossenschaft über den Luftverkehr (Sache COMP/39258 – Luftfracht).

( 3 ) Urteile vom 16. Dezember 2015, Air Canada/Kommission (T‑9/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:994), Koninklijke Luchtvaart Maatschappij/Kommission (T‑28/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:995), Japan Airlines/Kommission (T‑36/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:992), Cathay Pacific Airways/Kommission (T‑38/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:985), Cargolux Airlines/Kommission (T‑39/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:991), Latam Airlines Group und Lan Cargo/Kommission (T‑40/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:986), Singapore Airlines und Singapore Airlines Cargo Pte/Kommission (T‑43/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:989), Deutsche Lufthansa u. a./Kommission (T‑46/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:987), British Airways/Kommission (T‑48/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:988), SAS Cargo Group u. a./Kommission (T‑56/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:990), Air France KLM/Kommission (T‑62/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:996), Air France/Kommission (T‑63/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:993), und Martinair Holland/Kommission (T‑67/11, nicht veröffentlicht, EU:T:2015:984).

( 4 ) Im vorliegenden Fall handelt es sich um die in Art. 25 Abs. 5 und 6 der Verordnung Nr. 1/2003 festgelegte Frist von zehn Jahren ab Beendigung der Zuwiderhandlung.

( 5 ) Leitlinien für das Verfahren zur Festsetzung von Geldbußen gemäß Artikel 23 Absatz 2 Buchstabe a) der Verordnung Nr. 1/2003 (ABl. 2006, C 210, S. 2).

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