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Document 62017CJ0029

Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 21. November 2018.
Novartis Farma SpA gegen Agenzia Italiana del Farmaco (AIFA) u. a.
Vorlage zur Vorabentscheidung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 3 Nr. 1 – Art. 6 – Richtlinie 89/105/EWG – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Art. 3, 25 und 26 – Umverpackung eines Arzneimittels im Hinblick auf seine Anwendung für eine nicht von seiner Genehmigung für das Inverkehrbringen gedeckte Behandlung (‚off-label‘) – Kostenübernahme durch das nationale Krankenversicherungssystem.
Rechtssache C-29/17.

Court reports – general – 'Information on unpublished decisions' section

Rechtssache C‑29/17

Novartis Farma SpA

gegen

Agenzia Italiana del Farmaco (AIFA) u. a.

(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato)

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83/EG – Art. 3 Nr. 1 – Art. 6 – Richtlinie 89/105/EWG – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Art. 3, 25 und 26 – Umverpackung eines Arzneimittels im Hinblick auf seine Anwendung für eine nicht von seiner Genehmigung für das Inverkehrbringen gedeckte Behandlung (‚off-label‘) – Kostenübernahme durch das nationale Krankenversicherungssystem“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 21. November 2018

  1. Mitgliedstaaten – Verbliebene Zuständigkeiten – Anpassung der Systeme der sozialen Sicherheit – Grenzen – Einhaltung des Unionsrechts – Schutz der öffentlichen Gesundheit – Gestaltungsspielraum der Mitgliedstaaten

    (Art. 168 Abs. 7 AEUV; Verordnung Nr. 726/2004 des Rates, Art. 1 Abs. 2; Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs 3; Richtlinie 89/105 des Rates)

  2. Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83 – Geltungsbereich – Umverpackung eines Arzneimittels im Hinblick auf seine Anwendung für eine nicht von seiner Genehmigung für das Inverkehrbringen gedeckte Behandlung – Einbeziehung

    (Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2012/26 geänderten Fassung, Art. 3 Nr. 1)

  3. Rechtsangleichung – Humanarzneimittel – Richtlinie 2001/83 – Genehmigung für das Inverkehrbringen – Tragweite – Umverpackung eines Arzneimittels im Hinblick auf seine Anwendung für eine nicht von seiner Genehmigung für das Inverkehrbringen gedeckte Behandlung – Erlass nationaler Maßnahmen, die die Voraussetzungen für die Umverpackung festlegen – Zulässigkeit

    (Richtlinie 2001/83 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Richtlinie 2012/26 geänderten Fassung, Art. 6)

  4. Agenturen der Europäischen Union – Europäische Arzneimittelagentur (EMA) – Befugnisse – Ausschließliche Zuständigkeit für die Prüfung von Anträgen auf Verkehrsgenehmigung – Nationale Regelung, die die Überwachung der Off-label-Anwendung von Arzneimitteln, deren Kosten der nationale Gesundheitsdienst übernimmt, durch eine nationale Behörde vorsieht – Zulässigkeit

    (Verordnung Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Verordnung Nr. 1027/2012 geänderten Fassung, Art. 3, 25 und 26)

  1.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 48 -51)

  2.  Art. 3 Nr. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel in der durch die Richtlinie 2012/26/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass Avastin, nachdem es gemäß den Voraussetzungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen umverpackt wurde, in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2012/26 geänderten Fassung fällt.

    Es ist festzustellen, dass die Ausnahme vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/83 nach deren Art. 3 nur die in einer Apotheke „zubereiteten“, d. h. in der Apotheke hergestellten, Arzneimittel erfasst, nämlich die formula magistralis und die formula officinalis. Das Arzneimittel Avastin gehört aber keiner dieser Kategorien an. Ferner geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Unterlagen hervor, dass die Umverpackung von Avastin, die im Einklang mit den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen vorgenommen wird, die Zusammensetzung, die Form oder andere wesentliche Elemente dieses Arzneimittels nicht substanziell ändert. Diese Umverpackung ist nicht mit der „Zubereitung“ eines neuen Arzneimittels auf der Grundlage von Avastin mittels einer formula magistralis oder formula officinalis gleichzusetzen. Sie fällt daher nicht unter Art. 3 der Richtlinie 2001/83.

    (vgl. Rn. 57, 58, 65, Tenor 1)

  3.  Art. 6 der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2012/26 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Maßnahmen wie denen des Ausgangsverfahrens, die die Voraussetzungen festlegen, unter denen Avastin für die Zwecke seiner Anwendung zur Behandlung von nicht von seiner Verkehrsgenehigung erfassten ophtalmologischen Indikationen umverpackt werden kann, nicht entgegensteht.

    In einer Situation, die der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden entspricht, hat der Gerichtshof entschieden, dass das Umpacken von Avastin im Hinblick auf seine Off-label-Anwendung zur Behandlung von Augenkrankheiten keine neue Verkehrsgenehmigung benötigt, sofern der fragliche Vorgang nicht zu einer Veränderung des Arzneimittels führt und nur auf der Grundlage individueller Rezepte mit einer entsprechenden Verschreibung vorgenommen wird (Urteil vom 11. April 2013, Novartis Pharma, C‑535/11, EU:C:2013:226, Rn. 42). Vorbehaltlich von Sachverhaltsprüfungen, die dem vorlegenden Gericht obliegen, erfordert das Umpacken von Avastin unter den Voraussetzungen der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Maßnahmen somit keine Verkehrsgenehmigung, da dieser Vorgang von einem Arzt mittels eines individuellen Rezepts verschrieben und von Apotheken für die Verabreichung dieses Arzneimittels im Krankenhaus vorgenommen wird.

    (vgl. Rn. 72, 75, 79, Tenor 2)

  4.  Die Art. 3, 25 und 26 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur in der durch die Verordnung (EU) Nr. 1027/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Maßnahme, wie sie sich aus Art. 1 Abs. 4a des Decreto-legge 21 ottobre 1996, n. 536, recante „Misure per il contenimento della spesa farmaceutica e la rideterminazione del tetto di spesa per l’anno 1996“, convertito dalla legge del 23 dicembre 1996, n. 648 (Gesetzesdekret Nr. 536 vom 21. Oktober 1996 über „Maßnahmen zur Kontrolle der Ausgaben für Arzneimittel und zur Neubestimmung der maximalen Höhe der Ausgaben für das Jahr 1996“, umgewandelt durch das Gesetz Nr. 648 vom 23. Dezember 1996), in der durch das Decreto-legge del 20 marzo 2014, n. 36, convertito dalla legge del 16 maggio 2014, n. 79 (Gesetzesdekret Nr. 36 vom 20. März 2014, umgewandelt durch das Gesetz Nr. 79 vom 16. Mai 2014), geänderten Fassung ergibt, der die Agenzia Italiana del Farmaco (AIFA) (Italienische Arzneimittelagentur [AIFA]) dazu ermächtigt, Arzneimittel wie Avastin, für deren Off-label-Anwendung der Servizio Sanitario Nazionale (Nationaler Gesundheitsdienst, Italien) die Kosten übernimmt, zu überwachen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz der Patientensicherheit zu ergreifen, nicht entgegenstehen.

    (vgl. Rn. 86, Tenor 3)

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