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Document 62016TJ0298

    Urteil des Gerichts (Erste Kammer) vom 14. Dezember 2018.
    East West Consulting SPRL gegen Europäische Kommission.
    Außervertragliche Haftung – Instrument für Heranführungshilfe – Drittstaat – Nationaler öffentlicher Auftrag – Dezentrale Verwaltung – Beschluss 2008/969/EG, Euratom – Frühwarnsystem (FWS) – Warnmeldung im FWS – Schutz der finanziellen Interessen der Union – Weigerung der Kommission, eine Ex-ante-Genehmigung zu erteilen – Nichtvergabe des Auftrags – Zuständigkeit des Gerichts – Zulässigkeit der Beweise – Fehlende Rechtsgrundlage für die Warnmeldung – Verteidigungsrechte – Unschuldsvermutung – Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht – Kausalzusammenhang – Materieller und immaterieller Schaden – Verlust des Auftrags – Verlust einer Chance, andere Aufträge zu erhalten.
    Rechtssache T-298/16.

    Rechtssache T‑298/16

    East West Consulting SPRL

    gegen

    Europäische Kommission

    „Außervertragliche Haftung – Instrument für Heranführungshilfe – Drittstaat – Nationaler öffentlicher Auftrag – Dezentrale Verwaltung – Beschluss 2008/969/EG, Euratom – Frühwarnsystem (FWS) – Warnmeldung im FWS – Schutz der finanziellen Interessen der Union – Weigerung der Kommission, eine Ex-ante-Genehmigung zu erteilen – Nichtvergabe des Auftrags – Zuständigkeit des Gerichts – Zulässigkeit der Beweise – Fehlende Rechtsgrundlage für die Warnmeldung – Verteidigungsrechte – Unschuldsvermutung – Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht – Kausalzusammenhang – Materieller und immaterieller Schaden – Verlust des Auftrags – Verlust einer Chance, andere Aufträge zu erhalten“

    Leitsätze – Urteil des Gerichts (Erste Kammer) vom 14. Dezember 2018

    1. Schadensersatzklage – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Zuständigkeit des Unionsrichters – Prüfung von Amts wegen

      (Art. 268 AEUV)

    2. Schadensersatzklage – Gegenstand – Ersatz des Schadens, der durch eine Entscheidung der Kommission entstanden sein soll, den Kläger in das Frühwarnsystem (FWS) einzugeben, mit der Folge, dass ein nationaler Auftraggeber einen Vertrag über einen Auftrag, der an das vom Kläger geleitete Konsortium vergeben worden war, nicht abgeschlossen hat – Zulässigkeit

      (Art. 268 und 340 Abs. 2 AEUV)

    3. Schadensersatzklage – Zulässigkeitsvoraussetzungen – Prüfung von Amts wegen – Grenzen

      (Art. 268 AEUV; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 113)

    4. Gerichtliches Verfahren – Klageschrift – Formerfordernisse – Bestimmung des Streitgegenstands – Kurze Darstellung der Klagegründe – Klage auf Ersatz von Schäden, die durch ein Unionsorgan verursacht worden sein sollen – Mindestanforderungen – Schwer zu beziffernder Schaden

      (Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 76 Buchst. d)

    5. Gerichtliches Verfahren – Vorlegung von Beweisen – Frist – Verspätete Beweisangebote – Voraussetzungen

      (Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 85 Abs. 1 und 3)

    6. Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Schaden – Kausalzusammenhang – Kumulative Voraussetzungen – Nichtvorliegen einer der Voraussetzungen – Abweisung der Schadensersatzklage in vollem Umfang

      (Art. 340 Abs. 2 AEUV)

    7. Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das Unionsrecht – Voraussetzung einer offenkundigen und erheblichen Überschreitung der Grenzen des Ermessens durch die Organe – Anhaltender Verstoß gegen das Unionsrecht trotz Verkündung eines Urteils, in dem der Verstoß festgestellt wird, oder Bestehens einer gefestigten Rechtsprechung des Unionsrichters – Einbeziehung

      (Art. 340 Abs. 2 AEUV)

    8. Kommission – Befugnisse – Ausführung des Haushaltsplans der Gemeinschaften – Beschluss zur Einführung eines Frühwarnsystems, in das Personen, die Gegenstand einer Untersuchung durch das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung sind, als Rechtssubjekte, die eine finanzielle Gefahr für die Union darstellen, eingetragen werden können – Fehlende Rechtsgrundlage – Unzuständigkeit der Kommission

      (Art. 5 AEUV; Beschluss 2008/969 der Kommission)

    9. Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Umfang – Beurteilung der Begründungspflicht anhand der Umstände des Einzelfalls

      (Art. 296 Abs. 2 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. c)

    10. Eigenmittel der Europäischen Union – Schutz der finanziellen Interessen der Union – Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen – Von den Anweisungsbefugten der Kommission und den Exekutivagenturen zu verwendendes Frühwarnsystem – Fehlende Mitteilung der Gründe für die Eingabe an eine im System eingetragene Person – Verletzung der Verteidigungsrechte und der Begründungspflicht

      (Art. 296 Abs. 2 AEUV; Beschluss 2008/969 der Kommission, Art. 12 Abs. 2 und 3)

    11. Eigenmittel der Europäischen Union – Schutz der finanziellen Interessen der Union – Bekämpfung von Betrug und sonstigen rechtswidrigen Handlungen – Von den Anweisungsbefugten der Kommission und den Exekutivagenturen zu verwendendes Frühwarnsystem – Eingabe einer Warnmeldung ins System bezüglich einer Person, die weder von Ermittlungen noch von einem gerichtlichen Verfahren betroffen ist – Fehlende Rechtsgrundlage für die Warnmeldung – Verstoß gegen den Grundsatz der Unschuldsvermutung

      (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48 Abs. 1; Beschluss 2008/969 der Kommission)

    12. Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht – Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht – Begriff – Verteidigungsrechte und Unschuldsvermutung – Einbeziehung

      (Art. 340 Abs. 2 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 48)

    13. Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Rechtswidrigkeit – Hinreichend qualifizierter Verstoß gegen eine Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht – Rechtsnorm, die dem Einzelnen Rechte verleiht – Begriff – System der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Organen und den Mitgliedstaaten – Einbeziehung – Voraussetzung

      (Art. 5 und 340 Abs. 2 AEUV)

    14. Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Kausalzusammenhang – Begriff – Beweislast

      (Art. 340 Abs. 2 AEUV)

    15. Außervertragliche Haftung – Voraussetzungen – Tatsächlicher und sicherer Schaden – Beweislast

      (Art. 340 Abs. 2 AEUV)

    1.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 84)

    2.  Der Unionsrichter ist für die Entscheidung über eine Klage zuständig, die darauf abzielt, Ersatz des Schadens zu erhalten, der einer Gesellschaft durch die Entscheidung der Kommission, sie in das Frühwarnsystem (FWS) einzugeben, und die anschließende, auf diese Entscheidung gestützte Weigerung einer Delegation der Union entstanden sein soll, einen Vertrag über einen von einem Drittstaat ausgeschriebenen dezentralisierten öffentlichen Auftrag zu bestätigen, der an das vom Kläger geleitete Konsortium vergeben worden war und von der Union finanziert werden sollte. Denn auch wenn die Entscheidung über die Aufhebung des Verfahrens zur Vergabe des fraglichen Auftrags von dem nationalen Auftraggeber getroffen wurde, geht die Rechtswidrigkeit, die zur Stützung der Klage geltend gemacht wird, von einem Organ, einer Einrichtung oder einer sonstigen Stelle der Union aus, und es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sie auf eine nationale Behörde zurückzuführen ist.

      (vgl. Rn. 86, 91)

    3.  Nach Art. 113 der Verfahrensordnung kann das Gericht von Amts wegen die unverzichtbaren Zulässigkeitsvoraussetzungen prüfen. Der Unionsrichter kann jedoch seine Entscheidung grundsätzlich nicht auf einen von Amts wegen geprüften Rechtsgrund – sei er auch zwingenden Rechts – stützen, ohne die Parteien zuvor aufgefordert zu haben, sich dazu zu äußern.

      (vgl. Rn. 92)

    4.  Im Rahmen einer Klage aus außervertraglicher Haftung ist es Sache der klagenden Partei, dem Unionsrichter Beweise für den Eintritt und den Umfang des von ihr geltend gemachten Schadens zu erbringen. In bestimmten Fällen, insbesondere wenn der behauptete Schaden schwer zu beziffern ist, ist es jedoch nicht unabdingbar, in der Klageschrift den genauen Schadensumfang anzugeben und den beantragten Schadensersatzbetrag zu beziffern.

      (vgl. Rn. 96, 97)

    5.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 101-103)

    6.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 109, 112)

    7.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 122-124, 145-147)

    8.  Der Grundsatz der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 AEUV verlangt, dass jedes Organ nach Maßgabe der ihm durch den Vertrag zugewiesenen Zuständigkeiten tätig wird. Der Grundsatz der Rechtssicherheit verlangt außerdem, dass jede Maßnahme, die rechtliche Wirkungen erzeugen soll, ihre Bindungswirkung einer Bestimmung des Unionrechts entnimmt, die ausdrücklich als Rechtsgrundlage bezeichnet sein muss und die Rechtsform vorschreibt, in der die Maßnahme zu erlassen ist.

      Die W3b-Warnmeldung bezüglich einer Gesellschaft im Frühwarnsystem (FWS) aufgrund der Bestimmungen des Beschlusses 2008/969 über das von den Anweisungsbefugten der Kommission und den Exekutivagenturen zu verwendende Frühwarnsystem ist daher rechtswidrig, da es keine Rechtsgrundlage gibt, aufgrund deren die Kommission berechtigt wäre, derartige Bestimmungen zu erlassen, die negative Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Personen haben können, für die diese Art von Warnmeldung gilt. Da die W3b-Warnmeldung im FWS bezüglich dieser Gesellschaft unbestreitbar Auswirkungen auf deren Rechtsstellung hatte, kann die Kommission auch nicht behaupten, die Bestimmungen des Beschlusses 2008/969, die diese Art von Warnmeldung und ihre Folgen regeln, seien lediglich Vorschriften zur Durchführung des Gesamthaushaltsplans der Union. Die Kommission kann sich überdies nicht darauf berufen, dass das Fehlen einer Rechtsgrundlage für den Beschluss 2008/969 noch nicht förmlich festgestellt gewesen sei, als sie die Gesellschaft in das FWS eingegeben habe. Dass eine solche Feststellung nicht getroffen wurde, hindert die Gesellschaft nämlich keineswegs daran, sich im Rahmen einer Schadensersatzklage auf die Rechtswidrigkeit des genannten Beschlusses zu berufen, um Ersatz des Schadens zu erlangen, den sie ihrer Auffassung nach infolge der Eingabe in das FWS erlitten hat.

      (vgl. Rn. 127-130)

    9.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 132, 133, 135)

    10.  Die Pflicht zur Begründung eines beschwerenden Rechtsakts dient dem Zweck, den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, dass er erkennen kann, ob der Rechtsakt sachlich richtig oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der seine Anfechtung vor dem Unionsrichter zulässt, und außerdem dem Unionsrichter die Prüfung der Rechtmäßigkeit des Rechtsakts zu ermöglichen. Daraus ergibt sich, dass die Begründung dem Betroffenen grundsätzlich gleichzeitig mit der ihn beschwerenden Entscheidung mitzuteilen ist und dass das Fehlen der Begründung nicht dadurch geheilt werden kann, dass der Betroffene die Gründe für die Entscheidung während des Verfahrens vor dem Unionsrichter erfährt.

      Dies gilt für ein Schreiben, mit dem die Kommission einer Gesellschaft förmlich mitteilt, dass sie von einer W3b-Warnmeldung im Frühwarnsystem (FWS) betroffen sei, und zwar ohne vorherige Anhörung, sondern lediglich mit Hinweis auf die in Art. 12 Abs. 2 des Beschlusses 2008/969 über das von den Anweisungsbefugten der Kommission und den Exekutivagenturen zu verwendende FWS angeführten allgemeinen und abstrakten Umstände. Damit versäumt es die Kommission, dieser Gesellschaft die Gründe für die sie betreffende W3b-Warnmeldung im FWS zu dem Zeitpunkt mitzuteilen, zu dem diese eingegeben wurde. Eine solche Begründung ist aber umso erforderlicher, wenn kein Gerichtsverfahren diese Gesellschaft betrifft und sich nationale Verfahren, die sich auf Personen beziehen, mit denen sie in Verbindung steht, erst in der vorgerichtlichen Phase, nicht aber in der gerichtlichen Phase befinden, also der einzigen Verfahrensphase, die in den betreffenden Mitgliedstaaten durch eine rechtskräftige Entscheidung abgeschlossen werden kann. Zudem ist die genaue Tragweite von Art. 12 des Beschlusses 2008/969 ungewiss. Insbesondere ist im Hinblick auf Art. 12 Abs. 3 dieses Beschlusses nicht ersichtlich, dass die W3b-Warnmeldungen unter der Geltung des Untersuchungsgrundsatzes ab Beginn der vorgerichtlichen Phase Anwendung finden können.

      (vgl. Rn. 134, 137)

    11.  Die W3b-Warnmeldung bezüglich einer Gesellschaft im Frühwarnsystem (FWS) gemäß den Bestimmungen des Beschlusses 2008/969 über das von den Anweisungsbefugten der Kommission und den Exekutivagenturen zu verwendende FWS verstößt insofern gegen den in Art. 48 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerten Grundsatz der Unschuldsvermutung, als es keine Rechtsgrundlage gibt, aufgrund deren die Kommission berechtigt wäre, solche Vorschriften zu erlassen, und diese Gesellschaft zum Zeitpunkt der Warnmeldung im FWS von keinen Ermittlungen und keinem gerichtlichen Verfahren unmittelbar betroffen ist, und die gerichtlichen Verfahren, die sich gegen die mit ihr in Verbindung stehenden Personen richten, sich noch in der vorgerichtlichen Phase befinden. Diese Gesellschaft wurde behandelt, als sei sie des Betrugs oder schwerwiegender Verwaltungsfehler schuldig, ohne dass ihre unmittelbare oder mittelbare Schuld für dieses Verhalten gerichtlich nachgewiesen worden wäre.

      Insoweit bedeutet der Grundsatz der Unschuldsvermutung, dass die Kommission, wenn sie es für erforderlich hielte, in einem Frühstadium präventive Maßnahmen zu ergreifen, eine Rechtsgrundlage benötigte, die es ihr erlaubte, ein solches Warnsystem zu schaffen und die damit zusammenhängenden Maßnahmen zu ergreifen, d. h. ein System, das die Verteidigungsrechte, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und den Grundsatz der Rechtssicherheit achten müsste, wonach die rechtlichen Regelungen klar, bestimmt und hinsichtlich ihrer Folgen vorhersehbar sein müssen, insbesondere wenn sie gegenüber dem Einzelnen nachteilige Folgen haben können.

      (vgl. Rn. 140, 141)

    12.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 142, 143)

    13.  Zwar reicht ein Verstoß gegen das System der Verteilung der Zuständigkeiten auf die verschiedenen Organe der Union, das die Beachtung des von den Verträgen vorgesehenen institutionellen Gleichgewichts sicherstellen, nicht aber den Einzelnen schützen soll, allein nicht aus, um die Haftung der Union den Einzelnen gegenüber auszulösen, jedoch verhält es sich anders, wenn eine Maßnahme der Union nicht nur unter Missachtung der für die Organe geltenden Zuständigkeitsverteilung, sondern – nach ihrem sachlichen Gehalt – auch unter Missachtung einer den Schutz Einzelner bezweckenden Rechtsnorm ergangen ist.

      (vgl. Rn. 144)

    14.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 159)

    15.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 163, 164)

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