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Document 62016TJ0098

    Urteil des Gerichts (Dritte erweiterte Kammer) vom 19. März 2019.
    Italienische Republik u. a. gegen Europäische Kommission.
    Staatliche Beihilfen – Intervention eines privatrechtlich organisierten Bankenkonsortiums zugunsten eines seiner Mitglieder – Genehmigung der Intervention durch die Zentralbank des Mitgliedstaats – Beschluss, mit dem eine Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird – Nichtigkeitsklage – Begriff der staatlichen Beihilfe – Zurechenbarkeit an den Staat – Staatliche Mittel.
    Verbundene Rechtssachen T-98/16, T-196/16 und T-198/16.

    ECLI identifier: ECLI:EU:T:2019:167

    Verbundene Rechtssachen T‑98/16, T‑196/16 und T‑198/16

    Italienische Republik u. a.

    gegen

    Europäische Kommission

    Urteil des Gerichts (Dritte erweiterte Kammer) vom 19. März 2019

    „Staatliche Beihilfen – Intervention eines privatrechtlich organisierten Bankenkonsortiums zugunsten eines seiner Mitglieder – Genehmigung der Intervention durch die Zentralbank des Mitgliedstaats – Beschluss, mit dem eine Beihilferegelung für mit dem Binnenmarkt unvereinbar erklärt wird – Nichtigkeitsklage – Begriff der staatlichen Beihilfe – Zurechenbarkeit an den Staat – Staatliche Mittel“

    1. Nichtigkeitsklage – Natürliche oder juristische Personen – Handlungen, die sie unmittelbar und individuell betreffen – Unmittelbare Betroffenheit – Individuelle Betroffenheit – Kriterien – Beschluss der Kommission, mit dem die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt festgestellt wird – Klage eines privatrechtlich organisierten Bankenkonsortiums, das Rechtspersönlichkeit besitzt und die als Beihilfe eingestufte Maßnahme durchführt – Zulässigkeit

      (Art. 263 Abs. 4 AEUV)

      (vgl. Rn. 50-56)

    2. Staatliche Beihilfen – Begriff – Dem Staat zuzurechnende Gewährung von Vergünstigungen – Intervention eines privatrechtlich organisierten Bankenkonsortiums zur Unterstützung eines seiner Mitglieder – Beteiligung der Behörden am Erlass der Maßnahme – Nachweis des Vorliegens eines öffentlichen Auftrags – Intervention, mit der die privaten Interessen der Banken, die Mitglieder des Konsortiums sind, verfolgt werden – Ausschluss – Nachweis des Vorliegens einer erheblichen öffentlichen Kontrolle bei der Festlegung der Intervention – Fehlen – Ausschluss

      (Art. 107 Abs. 1 AEUV)

      (vgl. Rn. 96-106, 113-132)

    3. Staatliche Beihilfen – Begriff – Beihilfen aus staatlichen Mitteln – Begriff „staatliche Mittel“– Intervention eines privatrechtlich organisierten Bankenkonsortiums zur Unterstützung eines seiner Mitglieder – Nachweis des Vorliegens einer öffentlichen Kontrolle über die Mittel – Fehlen – Ausschluss

      (Art. 107 Abs. 1 AEUV)

      (vgl. Rn. 139-161)

    Zusammenfassung

    Im Urteil Italien u. a./Kommission (T‑98/16, T‑196/16 und T‑198/16) vom 19. März 2019 hat das Gericht im Rahmen einer Nichtigkeitsklage nach Art. 263 AEUV den Beschluss 2016/2018 ( 1 ) der Kommission über die staatliche Beihilfe Italiens zugunsten einer italienischen Bank, Banca Tercas, für nichtig erklärt und entschieden, dass die Kommission zu Unrecht die Auffassung vertreten hat, dass die streitigen Maßnahmen dem Staat zuzurechnen seien und die Verwendung staatlicher Mittel darstellten.

    2013 bekundete eine italienische Bank, die Banca Popolare di Bari (BPB), ihr Interesse an der Zeichnung einer Kapitalerhöhung für eine andere italienische Bank, die Banca Tercas, die seit 2012 infolge von Unregelmäßigkeiten, die die Zentralbank der Italienischen Republik, die Banca d’Italia, festgestellt hatte, unter Sonderverwaltung steht. Eine der von BPB für dieses Geschäft gestellten Bedingungen betraf die Deckung des Vermögensdefizits von Banca Tercas durch den Fondo Interbancario di Tutela dei Depositi (FITD), für das auch ein Audit verlangt wurde. Der FITD ist ein privatrechtliches, auf Wechselseitigkeit beruhendes italienisches Bankenkonsortium, das das Recht hat, zugunsten seiner Mitglieder nicht nur im Rahmen der im Fall der verwaltungsbehördlichen Zwangsliquidation einer seiner Mitglieder vorgesehenen gesetzlichen Einlagensicherung (obligatorische Intervention), sondern auch – gemäß seiner Satzung – auf freiwilliger Basis tätig zu werden, wenn diese Intervention es ermöglicht, die Belastungen zu verringern, die sich für seine Mitglieder aus der Einlagensicherung ergeben können (freiwillige Intervention, u. a. die in Rede stehende freiwillige unterstützende oder präventive Intervention).

    2014 beschloss der FITD, nachdem er sich vergewissert hatte, dass die Intervention zugunsten von Tercas wirtschaftlich vorteilhafter war als die Rückzahlung an die Einleger dieser Bank, ihr negatives Eigenkapital zu decken und ihr bestimmte Garantien zu geben. Die Maßnahmen wurden von der Banca d’Italia genehmigt. Die Europäische Kommission leitete eine eingehende Untersuchung dieser Maßnahmen ein, weil sie Zweifel an ihrer Vereinbarkeit mit den Vorschriften der Union über staatliche Beihilfen hatte. Mit dem Beschluss 2016/2018, der Gegenstand der Klage in der vorliegenden Rechtssache ist, kam sie zu dem Ergebnis, dass die in Rede stehenden Maßnahmen eine staatliche Beihilfe Italiens zugunsten von Banca Tercas darstellten.

    Nach einem Hinweis auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs über die Einstufung einer Beihilfe im Sinne von Art. 107 AEUV hat das Gericht als Erstes geprüft, ob diese Maßnahmen dem italienischen Staat zurechenbar sind, und als Zweites, ob sie aus staatlichen Mitteln finanziert wurden.

    Das Gericht hat entschieden, dass die Kommission einen Fehler begangen hat, als sie davon ausging, sie habe nachgewiesen, dass die italienischen Behörden bei der Festlegung der Intervention des FITD zur Unterstützung von Banca Tercas eine erhebliche öffentliche Kontrolle ausgeübt hätten, da die Kommission nicht rechtlich hinreichend nachgewiesen hat, dass die italienischen Behörden an der Annahme der betreffenden Maßnahme beteiligt waren und diese Maßnahme daher dem Staat im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV zuzurechnen ist. Nachdem es darauf hingewiesen hat, dass es im Fall einer von einer privaten Einrichtung durchgeführten Beihilfe der Kommission obliegt, darzutun, dass genügend Hinweise vorliegen, um zu dem Schluss zu gelangen, dass sie unter dem Einfluss oder der tatsächlichen Kontrolle der Behörden erlassen wurde, hat das Gericht anschließend den Umfang des dem FITD erteilten öffentlichen Auftrags und dann die Autonomie des FITD bei der Annahme der Intervention geprüft.

    Zum ersten Punkt war es zum einen der Auffassung, dass die Unterstützungsmaßnahmen des FITD in erster Linie auf die Verfolgung der privaten Interessen der Mitglieder des FITD abzielen, und zum anderen, dass sie keinerlei durch die italienischen Rechtsvorschriften erteilten öffentlichen Auftrag umsetzen. Hierzu hat es insbesondere festgestellt, dass der dem FITD nach italienischem Recht erteilte Auftrag ausschließlich darin besteht, als Einlagensicherungssystem Rückzahlungen an Einleger (bis zu einem Höchstbetrag von 100000 Euro je Einleger) zu leisten, wenn eine Bank, die Mitglied des Konsortiums ist, einer verwaltungsbehördlichen Zwangsliquidation unterliegt, und dass der FITD außerhalb dieses Rahmens nicht in Verfolgung eines öffentlichen Ziels handelt, das nach italienischem Recht vorgeschrieben ist. Es hat daraus geschlossen, dass die Unterstützungsmaßnahmen somit einem anderen Zweck dienen als Einlagenrückzahlungen im Fall einer verwaltungsbehördlichen Zwangsliquidation und nicht die Durchführung eines öffentlichen Auftrags darstellen.

    Zum zweiten Punkt war das Gericht der Auffassung, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, dass die italienischen Behörden an der Annahme der betreffenden Maßnahme beteiligt waren. Hierzu hat das Gericht festgestellt, dass es sich beim FITD um ein privatrechtliches Konsortium handelt, das gemäß Art. 4 Abs. 2 seiner Satzung „für Rechnung und im Interesse“ seiner Mitglieder handelt, und dass seine Führungsgremien von der FITD-Hauptversammlung gewählt werden und sich wie diese ausschließlich aus Vertretern der Mitgliedsbanken des Konsortiums zusammensetzen. Unter diesen Umständen hat das Gericht insbesondere festgestellt, dass die von der Banca d’Italia erteilte Genehmigung zur Intervention des FITD zugunsten von Banca Tercas kein Indiz darstellt, aufgrund dessen die fragliche Maßnahme dem Staat zugerechnet werden kann, da die Banca d’Italia insoweit für Aufsichtszwecke lediglich die Einhaltung des rechtlichen Rahmens überwacht. Des Weiteren hat es festgestellt, dass die Anwesenheit von Vertretern der Banca d’Italia bei den Sitzungen der Führungsgremien des FITD auch kein Indiz für die Zurechenbarkeit der betreffenden Maßnahme an den Staat darstellt, da sie nur als Beobachter ohne Stimm- oder Beratungsrecht fungieren. Ferner war es der Auffassung, dass die Kommission keine Beweise dafür vorgelegt hat, dass die Banca d’Italia einen entscheidenden Einfluss auf die Verhandlungen zwischen dem FITD einerseits sowie BPB und dem Sonderverwalter andererseits hatte, da diese Verhandlung nur Ausdruck eines legitimen und normalen Dialogs mit den zuständigen Aufsichtsbehörden ist, der es der Banca d’Italia ermöglichte, über die Entwicklung der Angelegenheit informiert zu werden, um ihre Entscheidung über die Genehmigung der betreffenden Maßnahme schneller treffen zu können, nachdem diese von den Führungsgremien des FITD angenommen worden war. Außerdem hat die Kommission nicht dargetan, dass das von der Banca d’Italia an den FITD gerichtete Ersuchen, um eine ausgewogene Vereinbarung mit BPB zu erzielen, was die Deckung des negativen Eigenkapitals von Banca Tercas betrifft, Auswirkungen auf die Entscheidung des FITD hatte, zugunsten von Banca Tercas tätig zu werden. Schließlich hat das Gericht festgestellt, dass der Umstand, dass der Sonderverwalter das Verfahren einleiten kann, das gegebenenfalls zu einer Unterstützungsmaßnahme des FITD führt, indem er diesem ein entsprechendes unverbindliches Ersuchen übermittelt, die Autonomie des FITD auch nicht in Frage stellt, da die Stellung eines solchen Ersuchens diesen nicht verpflichtet, dem Ersuchen stattzugeben, er autonom über den Inhalt eines solchen Ersuchens entscheidet und der FITD vorträgt, er könne selbst die Initiative zur Einleitung des Verfahrens zur Durchführung einer Unterstützungsmaßnahme ergreifen, ohne dass diese Behauptung durch die Satzung des FITD oder die italienischen Rechtsvorschriften widerlegt wird.

    Als Zweites hat das Gericht, als es die drei Hinweise geprüft hat, die von der Kommission für die Schlussfolgerung berücksichtigt wurden, dass die Intervention des FITD aus öffentlichen Mitteln finanziert wurde, entschieden, dass die Kommission nicht dargetan hat, dass die Banca Tercas gewährten Mittel der Kontrolle der italienischen Behörden unterlagen und diesen daher zur Verfügung standen.

    Es hat daher erstens die Feststellung zurückgewiesen, dass der FITD einen öffentlichen Auftrag hatte und dass seine Intervention zugunsten von Banca Tercas zum Schutz der Einlagen der Einleger erfolgte. Es verweist insoweit auf die Prüfung, die es im Rahmen der Zurechenbarkeit der Intervention des FITD an den Staat vorgenommen hat. Es hat zweitens die Auffassung vertreten, dass die Kommission zu keinem Zeitpunkt dartun konnte, dass die Banca d’Italia durch ihre formale Kontrolle, dass die vom FITD verwendeten Mittel ordnungsgemäß verwendet wurden, versucht hat, die diesem zur Verfügung gestellten privaten Mittel zu steuern. Es war drittens der Auffassung, dass die Tatsache, dass die Beiträge zu den vom FITD für die Finanzierung der Intervention verwendeten Mitteln Pflichtcharakter hatten, da die dem FITD angehörenden Banken in der Praxis keine andere Wahl hatten, als diesem beizutreten, und sie weder gegen Entscheidungen des FITD votieren noch die Beteiligung an von diesem beschlossenen Maßnahmen verweigern konnten, im Kern theoretisch und für die Intervention irrelevant bleibt. Hierzu hat es u. a. festgestellt, dass es sich bei den für die Intervention des FITD verwendeten Mitteln um private Mittel handelt, die von den Mitgliedsbanken des Konsortiums bereitgestellt wurden, dass die Verpflichtung der Mitglieder des FITD, zu der Intervention beizutragen, nicht auf einer Rechtsvorschrift beruht, sondern auf einer Satzungsbestimmung privatrechtlicher Natur, die die Entscheidungsautonomie der FITD-Mitglieder wahrt, und dass sich der FITD, bevor er die Entscheidung über die Intervention traf und damit die privaten Mittel seiner Mitglieder mobilisierte, vergewisserte, dass die Kosten dieser Intervention unter den Kosten für die Liquidation von Banca Tercas, also der Umsetzung der gesetzlichen Einlagensicherung lagen, so dass diese Intervention im Interesse von BPB, Banca Tercas und allen seinen Mitgliedern lag.


    ( 1 ) Beschluss (EU) 2016/2018 der Kommission vom 23. Dezember 2015 über die staatliche Beihilfe Italiens zugunsten der Banca Tercas (SA.39451 [2015/C] [ex 2015/NN]) (ABl. 2016, L 203, S. 1).

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