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Document 62015TJ0136

    Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 14. Dezember 2017.
    Evropaïki Dynamiki – Proigmena Systimata Tilepikoinonion Pliroforikis kai Tilematikis AE gegen Europäisches Parlament.
    Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Aufforderungen zur Angebotsabgabe für alle Lose einer Ausschreibung – Verweigerung des Zugangs – Keine individuelle und konkrete Prüfung der angeforderten Dokumente – Ausnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit – Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen – Ausnahme zum Schutz der Privatsphäre – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses – Allgemeine Vermutung – Unvertretbarer Arbeitsaufwand.
    Rechtssache T-136/15.

    Rechtssache T-136/15

    Evropaïki Dynamiki – Proigmena Systimata Tilepikoinonion Pliroforikis kai Tilematikis AE

    gegen

    Europäisches Parlament

    „Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Aufforderungen zur Angebotsabgabe für alle Lose einer Ausschreibung – Verweigerung des Zugangs – Keine individuelle und konkrete Prüfung der angeforderten Dokumente – Ausnahme zum Schutz der öffentlichen Sicherheit – Ausnahme zum Schutz geschäftlicher Interessen – Ausnahme zum Schutz der Privatsphäre – Ausnahme zum Schutz des Entscheidungsprozesses – Allgemeine Vermutung – Unvertretbarer Arbeitsaufwand“

    Leitsätze – Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 14. Dezember 2017

    1. Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Enge Auslegung und Anwendung – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Umfang – Ausschluss der Verpflichtung – Möglichkeit, sich auf allgemeine Vermutungen zu stützen, die für bestimmte Kategorien von Dokumenten gelten – Grenzen

      (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)

    2. Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz des Entscheidungsprozesses – Voraussetzungen – Konkrete, tatsächliche und schwere Beeinträchtigung dieses Prozesses – Bedeutung

      (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1)

    3. Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz der geschäftlichen Interessen – Geltungsbereich – Von Bietern für einen öffentlichen Auftrag vorgelegte Angebote – Einbeziehung – Für die Ausnahme vom Recht auf Zugang sprechende allgemeine Vermutung – Anwendbarkeit der Vermutung auf Aufforderungen zur Angebotsabgabe, die der öffentliche Auftraggeber in Durchführung eines Rahmenvertrags formuliert – Nichteinbeziehung

      (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 erster Gedankenstrich)

    4. Öffentliche Aufträge der Europäischen Union – Ausschreibungsverfahren – Entscheidung, ein Angebot nicht zu berücksichtigen – Antrag auf Gewährung des Zugangs zu Dokumenten – Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang zu Dokumenten

      (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, und Verordnung Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 102)

    5. Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Schutz der geschäftlichen Interessen – Geltungsbereich – Aufforderungen zur Angebotsabgabe, die der öffentliche Auftraggeber in Durchführung eines Rahmenvertrags erstellt – Nichteinbeziehung

      (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4, und Verordnung Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 102)

    6. Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Prüfung, die sich als besonders belastend und unangemessen erweist – Ausnahme von der Prüfungspflicht – Begrenzte Geltung – Das Organ treffende Beweislast – Verpflichtung des Organs, sich mit dem Antragsteller zu beraten

      (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 3, und Art. 8 Abs. 2)

    7. Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Prüfung, die sich als besonders belastend und unangemessen erweist – Begriff

      (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 7 Abs. 1 und 3, und Art. 8 Abs. 1 und 2)

    8. Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Unvertretbarer Arbeitsaufwand – Verpflichtung des Organs, sich mit dem Antragsteller zu beraten – Grenzen – Mangelnde Kooperation des Antragstellers

      (Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 3, Art. 7 Abs. 1 und 3, und Art. 8 Abs. 1 und 2)

    1.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 37, 38, 47, 48)

    2.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 58)

    3.  Im Bereich des Zugangs zu Dokumenten hat der Gerichtshof das Bestehen allgemeiner Vermutungen anerkannt, die in einer Reihe von Fällen für Kategorien von Dokumenten aufgrund ihrer Natur gelten, darunter für die Angebote von Bietern im Rahmen der Ausführung öffentlicher Aufträge. Bezüglich der Aufforderungen zur Angebotsabgabe, die ein Organ an die Bieter, mit denen es einen Rahmenvertrag abgeschlossen hat, versandt hat, kann jedoch eine allgemeine Vermutung der Beeinträchtigung geschäftlicher Interessen weder auf die Rechtsprechung über den Zugang zu den Angeboten von Bietern noch allgemein auf die Rechtsprechung zum Beihilfenkontrollverfahren und zu Fusionen gestützt werden. Den Rechtssachen, in denen die Rechtsprechung zum Beihilfenkontrollverfahren und zu Fusionen ergangen ist, war nämlich das Merkmal gemein, dass eine von der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission verschiedene Regelung mit besonderen Bestimmungen bestand, die den Zugang zu den Akten bzw. zu den angeforderten Dokumenten sowohl hinsichtlich der Personen als auch hinsichtlich der Information selbst genau begrenzten.

      Insoweit unterliegt anders als bei der Bekanntmachung des Auftrags und der Bekanntmachung der Auftragsvergabe eine Aufforderung zur Angebotsabgabe, die der öffentliche Auftraggeber in Durchführung eines Rahmenvertrags formuliert, keiner besonderen Bestimmung der Verordnung Nr. 966/2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union oder der Verordnung Nr. 1268/2012 über die Anwendungsbestimmungen für die Haushaltsordnung, die die Informationen, die der öffentliche Auftraggeber den Bietern oder den anderen Bewerbern übermitteln muss oder kann, genau festlegen oder eingrenzen würde.

      Das betroffene Organ kann außerdem nicht geltend machen, dass die Offenlegung der Aufforderungen zur Angebotsabgabe seine eigenen Interessen beeinträchtigen könnte, weil dadurch sein „Beschafferprofil“ auf dem Markt preisgegeben würde. Selbst wenn nämlich die Offenlegung des Verhältnisses zwischen den auszuführenden Arbeiten und der für die erfolgreiche Ausführung erforderlichen Zahl von Arbeitstagen es den Bietern im Rahmen zukünftiger öffentlicher Aufträge ermöglichen könnte, die Bewertungstechnik dieses Organs zu durchschauen, ist der Umstand, dass diese Bieter den in der Vergangenheit für eine gleichwertige Leistung angewandten Preis kennen können, eher geeignet, eine Situation wirksamen Wettbewerbs herbeizuführen als eine Situation, in der der Wettbewerb verfälscht wird.

      (vgl. Rn. 62-65, 71)

    4.  Die Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission und die Verordnung Nr. 966/2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union haben unterschiedliche Ziele und enthalten keine Bestimmung, die ausdrücklich den Vorrang der einen vor der anderen vorsieht, so dass eine Anwendung jeder dieser Verordnungen sicherzustellen ist, die mit der Anwendung der jeweils anderen vereinbar ist und somit eine kohärente Anwendung ermöglicht. Der in Art. 102 der Verordnung Nr. 966/2012 genannte Grundsatz der Transparenz ist folglich mit dem Schutz des öffentlichen Interesses, der legitimen Geschäftsinteressen von Unternehmen und des lauteren Wettbewerbs in Einklang zu bringen.

      (vgl. Rn. 67)

    5.  Um das Ziel der unionsrechtlichen Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge zu erreichen, dürfen die öffentlichen Auftraggeber keine die Vergabeverfahren betreffenden Informationen preisgeben, deren Inhalt dazu verwendet werden könnte, den Wettbewerb in einem laufenden oder in späteren Vergabeverfahren zu verfälschen. Insoweit können wirtschaftliche und technische Angaben, die in den Angeboten der Bieter enthalten sind, die Weigerung des betroffenen Organs rechtfertigen, Zugang zum Angebot des ausgewählten Bieters zu gewähren. Dies gilt insbesondere, wenn diese Angebote die spezifischen Fachkenntnisse der Bieter betreffen.

      Anders verhält es sich bei einer Aufforderung zur Angebotsabgabe, die ein öffentlicher Auftraggeber in Durchführung eines Rahmenvertrags erstellt. Angesichts von Natur und Zweck einer solchen Aufforderung kann nämlich nicht vermutet werden, dass dieses Dokument wirtschaftliche und technische Angaben über den Auftragnehmer enthält oder dessen spezifische Fachkenntnisse darlegt. Eine Aufforderung zur Angebotsabgabe, die vom öffentlichen Auftraggeber und nicht von seinen Auftragnehmern ausgeht, enthält vielmehr im Allgemeinen eine Beschreibung der Aufgaben, die der öffentliche Auftraggeber aufgrund des mit dem Auftragnehmer geschlossenen Rahmenvertrags ausführen lassen möchte. Der Auftragnehmer macht grundsätzlich erst auf diese Aufforderung zur Angebotsabgabe hin nähere Angaben zu den Leistungen, die er meint, dem öffentlichen Auftraggeber erbringen zu können, zum Profil der Fachleute, die er zur Verfügung stellen könnte, und zu den Kosten seiner Leistungen.

      (vgl. Rn. 68-70)

    6.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 78-82)

    7.  Bei einem Antrag auf Zugang zu Dokumenten, der es erforderlich machen würde, unter mehr als 10000 Dokumenten in mehr als 1000 Dateien von Hand ungefähr 1500 Dokumente auszusortieren, die jeweils aus durchschnittlich 12 Seiten bestehen und insgesamt mindestens 18000 Seiten umfassen, ist festzustellen, dass die individuelle Prüfung aller angeforderten Dokumente einen das betreffende Organ besonders belastenden Arbeitsaufwand darstellen würde.

      Dieser Verwaltungsaufwand kann nämlich als unvertretbar angesehen werden, da er bedeuten würde, dass für die Prüfung der angeforderten Dokumente innerhalb der strengen Fristen nach Art. 7 Abs. 1 und 3 sowie Art. 8 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission mehrere Vollzeitkräfte für die Prüfung der angeforderten Dokumente in mehreren Generaldirektionen eingesetzt werden müssten, und dies allein im Interesse des Antragstellers. Diese Arbeitskräfte, die vom betroffenen Organ zur Erfüllung von Aufgaben eingestellt worden sind, die im öffentlichen Interesse liegen, und deren Vergütung aus öffentlichen Mitteln erfolgt, wären daher nicht mehr in der Lage, die Aufgaben zu erfüllen, die ihnen in erster Linie übertragen worden sind, um diesem öffentlichen Interesse zu dienen, wodurch das ordnungsgemäße Funktionieren der betreffenden Dienststellen ernsthaft beeinträchtigt werden könnte. Das betroffene Organ darf daher das Interesse am Zugang der Öffentlichkeit zu den Dokumenten gegen den sich hieraus ergebenden Arbeitsaufwand abwägen, um die Interessen einer ordnungsgemäßen Verwaltung zu schützen.

      (vgl. Rn. 84, 90-92)

    8.  Was die Verpflichtungen eines Organs, bei dem ein Antrag auf Zugang zu einer großen Anzahl von Dokumenten gestellt wurde, betrifft, sich mit dem Antragsteller zu beraten und weniger belastende Alternativlösungen ins Auge zu fassen, wenn der Antragsteller eine Haltung einnimmt, die jede Zusammenarbeit vermissen lässt, und den fairen Kompromissvorschlag des betroffenen Organs ohne Weiteres zurückweist, obwohl er die Dokumente, die nach seiner Auffassung von vorrangiger Bedeutung waren, durchaus hätte bezeichnen können, ist es diesem Organ unmöglich, innerhalb der knappen Frist der Verordnung Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission weitere konkrete Vorschläge zu formulieren, die die Gewährung eines zumindest teilweisen Zugangs zu den angeforderten Dokumenten ermöglicht hätten, um das Interesse an einer ordnungsgemäßen Verwaltung mit dem Interesse an einem Zugang der Öffentlichkeit zu den angeforderten Dokumenten in Einklang zu bringen.

      Unter diesen Umständen darf sich das betroffene Organ auf einen unvertretbaren Arbeitsaufwand berufen, um eine konkrete und individuelle Prüfung aller angeforderten Dokumente abzulehnen, ohne dabei mangels anderer denkbarer Optionen verpflichtet zu sein, in seiner Entscheidung ausführlich zu begründen, weshalb auch solche anderen Optionen einen unvertretbaren Arbeitsaufwand mit sich bringen würden. Das betroffene Organ darf demzufolge den Zugang zu den genannten Dokumenten insgesamt verweigern, ohne dass es erforderlich ist, das Organ zur Vorlage einer Kopie der von ihm tatsächlich geprüften Dokumente aufzufordern.

      (vgl. Rn. 100, 102)

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