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Document 62015CJ0174

    Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 10. November 2016.
    Vereniging Openbare Bibliotheken gegen Stichting Leenrecht.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Vermiet- und Verleihrecht an geschützten Werken – Richtlinie 2006/115/EG – Art. 1 Abs. 1 – Verleih von Vervielfältigungsstücken eines Werkes – Art. 2 Abs. 1 – Verleih von Gegenständen – Verleih einer digitalen Kopie eines Buches – Öffentliche Bibliotheken.
    Rechtssache C-174/15.

    Court reports – general

    Rechtssache C‑174/15

    Vereniging Openbare Bibliotheken

    gegen

    Stichting Leenrecht

    (Vorabentscheidungsersuchen der Rechtbank Den Haag)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Vermiet- und Verleihrecht an geschützten Werken – Richtlinie 2006/115/EG – Art. 1 Abs. 1 – Verleih von Vervielfältigungsstücken eines Werkes – Art. 2 Abs. 1 – Verleih von Gegenständen – Verleih einer digitalen Kopie eines Buches – Öffentliche Bibliotheken“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 10. November 2016

    1. Rechtsangleichung–Urheberrecht und verwandte Schutzrechte–Richtlinie 2006/115–Vermiet- und Verleihrecht an geschützten Werken–Verleihen–Begriff–Herunterladen einer digitalen Kopie eines Buches vom Server einer öffentlichen Bibliothek–Einbeziehung

      (Richtlinie 2006/115 des Europäischen Parlaments und des Rates, vierter Erwägungsgrund und Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 6 Abs. 1)

    2. Rechtsangleichung–Urheberrecht und verwandte Schutzrechte–Richtlinie 2006/115–Vermiet- und Verleihrecht an geschützten Werken–Ausschließliches öffentliches Verleihrecht–Ausnahmemöglichkeit–Zurverfügungstellung digitaler Buchkopien durch öffentliche Bibliotheken–Nationale Regelung, die die Anwendung der Ausnahme davon abhängig macht, dass diese Kopien in der Union durch den Inhaber des Rechts zur Verbreitung an die Öffentlichkeit in den Verkehr gebracht worden sind–Zulässigkeit

      (Richtlinie 2001/29 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2, und Richtlinie 2006/115 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 6 Abs. 1

    3. Rechtsangleichung–Urheberrecht und verwandte Schutzrechte–Richtlinie 2006/115–Vermiet- und Verleihrecht an geschützten Werken–Ausschließliches Verleihrecht–Ausnahmemöglichkeit–Zurverfügungstellung digitaler Buchkopien durch öffentliche Bibliotheken–Nationale Regelung, die die Anwendung der Ausnahme auf Kopien zulässt, die aus illegalen Quellen stammen–Unzulässigkeit

      (Richtlinie 2006/115 des Europäischen Parlaments und des Rates, zweiter Erwägungsgrund und Art. 6 Abs. 1)

    1.  Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 Buchst. b und Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2006/115 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums sind dahin auszulegen, dass der Begriff „Verleihen“ im Sinne dieser Vorschrift das Verleihen einer digitalen Kopie eines Buches erfasst, wenn dieses Verleihen so erfolgt, dass die in Rede stehende Kopie auf dem Server einer öffentlichen Bibliothek abgelegt ist und es dem betreffenden Nutzer ermöglicht wird, diese durch Herunterladen auf seinem eigenen Computer zu reproduzieren, wobei nur eine einzige Kopie während der Leihfrist heruntergeladen werden kann und der Nutzer nach Ablauf dieser Frist die von ihm heruntergeladene Kopie nicht mehr nutzen kann.

      Der Begriff der „Vermietung“ im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2006/115 ist nämlich so zu verstehen, dass unter ihn nur körperliche Gegenstände fallen, und der Begriff „Vervielfältigungsstücke“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin gehend, dass er, soweit es um die Vermietung geht, ausschließlich Vervielfältigungsstücke erfasst, die auf einem physischen Träger angebracht sind. Zwar müssen unkörperliche Gegenstände und trägerlose Vervielfältigungsstücke vom in der Richtlinie 2006/115 geregelten Vermietrecht ausgeschlossen werden, damit es nicht zu einem Verstoß gegen die Vereinbarte Erklärung im Anhang des WIPO- Urheberrechtsvertrags kommt; weder der WIPO-Urheberrechtsvertrag noch die Vereinbarte Erklärung in dessen Anhang stehen jedoch einer Auslegung des Begriffs „Verleihen“ im Sinne dieser Richtlinie entgegen, die gegebenenfalls auch bestimmte Formen des Verleihens einschließt, die sich digital vollziehen.

      Diese Schlussfolgerung wird im Übrigen durch das mit der Richtlinie 2006/115 verfolgte Ziel gestützt. Im vierten Erwägungsgrund dieser Richtlinie wird nämlich u. a. ausgeführt, dass der Schutz, den das Urheberrecht gewährt, an neue wirtschaftliche Entwicklungen, wie z. B. an neue Nutzungsarten, angepasst werden muss Das digitale Verleihen ist unbestreitbar eine solche neue Nutzungsart und macht daher eine Anpassung des durch das Urheberrecht gewährten Schutzes an die neuen wirtschaftlichen Entwicklungen erforderlich. Außerdem liefe ein vollständiger Ausschluss des digitalen Verleihens vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2006/115 dem allgemeinen Grundsatz zuwider, der ein hohes Schutzniveau für die Urheber vorschreibt.

      (vgl. Rn. 35, 39, 44-46, 54, Tenor 1)

    2.  Das Unionsrecht, namentlich Art. 6 der Richtlinie 2006/115 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums, ist dahin auszulegen, dass es einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, die Anwendung von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2006/115 mit der Bedingung zu verknüpfen, dass die von der öffentlichen Bibliothek zur Verfügung gestellte digitale Kopie eines Buches durch einen Erstverkauf oder eine andere erstmalige Eigentumsübertragung dieser Kopie in der Europäischen Union durch den Inhaber des Rechts zur Verbreitung an die Öffentlichkeit oder mit dessen Zustimmung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft in den Verkehr gebracht worden ist.

      Aus Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2006/115 in Verbindung mit deren 14. Erwägungsgrund, wonach die Rechte der Urheber in Bezug auf das öffentliche Verleihwesen geschützt werden müssen, sowie den Anforderungen des allgemeinen Grundsatzes eines hohen Schutzniveaus für die Urheber lässt nämlich sich ablesen, dass nur eine Untergrenze des Schutzes für die Urheber vorgegeben wird, die bei der Umsetzung der Ausnahme für das öffentliche Verleihwesen beachtet werden muss. Folglich steht es den Mitgliedstaaten frei, gegebenenfalls zusätzliche Voraussetzungen festzulegen, die den Schutz der Rechte der Urheber über die Vorgaben dieser Vorschrift hinaus verbessern können.

      (vgl. Rn. 61, 65, Tenor 2)

    3.  Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2006/115 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums ist dahin auszulegen, dass er der Anwendung der von ihm vorgesehenen Ausnahme für das öffentliche Verleihwesen auf die Zurverfügungstellung einer digitalen Kopie eines Buches durch eine öffentliche Bibliothek in dem Fall entgegensteht, dass diese Kopie aus einer illegalen Quelle stammt.

      Zwar sieht der Wortlaut von Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 2006/115 nicht ausdrücklich ein Erfordernis vor, dass die von der öffentlichen Bibliothek zur Verfügung gestellte Kopie rechtmäßigen Ursprungs sein muss; unbeschadet dessen ist eines der Ziele dieser Richtlinie die Bekämpfung von Piraterie, wie aus ihrem zweiten Erwägungsgrund hervorgeht. Zu erlauben, dass eine von einer öffentlichen Bibliothek verliehene Kopie aus einer unrechtmäßigen Quelle stammt, käme aber einer Duldung, wenn nicht sogar einer Förderung der Verbreitung gefälschter oder nachgemachter Werke gleich und liefe somit offensichtlich diesem Ziel zuwider.

      (vgl. Rn. 67, 68, 72, Tenor 3)

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