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Document 62015CJ0028

Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 15. September 2016.
Koninklijke KPN NV u. a. gegen Autoriteit Consument en Markt (ACM).
Vorlage zur Vorabentscheidung – Gemeinsamer Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste – Richtlinie 2002/21/EG – Art. 4 und 19 – Nationale Regulierungsbehörde – Harmonisierungsmaßnahmen – Empfehlung 2009/396/EG – Rechtliche Tragweite – Richtlinie 2002/19/EG – Art. 8 und 13 – Betreiber, der als Betreiber mit beträchtlicher Macht auf einem Markt eingestuft wird – Von einer nationalen Regulierungsbehörde auferlegte Verpflichtungen – Verpflichtung zur Preiskontrolle und Kostenrechnung – Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte – Umfang der Kontrolle, die die nationalen Gerichte in Bezug auf die Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden vornehmen können.
Rechtssache C-28/15.

Court reports – general

Rechtssache C-28/15

Koninklijke KPN NV u. a.

gegen

Autoriteit Consument en Markt (ACM)

(Vorabentscheidungsersuchen des College van Beroep voor het bedrijfsleven)

„Vorlage zur Vorabentscheidung — Gemeinsamer Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste — Richtlinie 2002/21/EG — Art. 4 und 19 — Nationale Regulierungsbehörde — Harmonisierungsmaßnahmen — Empfehlung 2009/396/EG — Rechtliche Tragweite — Richtlinie 2002/19/EG — Art. 8 und 13 — Betreiber, der als Betreiber mit beträchtlicher Macht auf einem Markt eingestuft wird — Von einer nationalen Regulierungsbehörde auferlegte Verpflichtungen — Verpflichtung zur Preiskontrolle und Kostenrechnung — Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte — Umfang der Kontrolle, die die nationalen Gerichte in Bezug auf die Entscheidungen der nationalen Regulierungsbehörden vornehmen können“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 15. September 2016

  1. Rechtsangleichung – Telekommunikationssektor – Elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste – Rechtsrahmen – Richtlinien 2002/19 und 2002/21 – Kontrolle einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde, mit der Preisverpflichtungen auf dem Anrufzustellungsmarkt auferlegt werden und von einer Empfehlung der Kommission abgewichen wird, durch das nationale Gericht – Fehlen der Befugnis, von dieser Empfehlung abzuweichen – Grenzen – Gründe, die mit den Besonderheiten des Marktes zusammenhängen

    (Art. 288 AEUV; Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2002/19, Art. 8 und 13, und 2002/21, Art. 4, Abs. 1; Empfehlung der Kommission 2009/396)

  2. Rechtsangleichung – Telekommunikationssektor – Elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste – Rechtsrahmen – Richtlinien 2002/19 und 2002/21 – Kontrolle einer Entscheidung einer nationalen Regulierungsbehörde, mit der Preisverpflichtungen auf dem Anrufzustellungsmarkt auferlegt werden, durch das nationale Gericht – Beurteilung der Verhältnismäßigkeit – Zulässigkeit – Pflicht, glaubhaft zu machen, dass die Ziele der genannten Richtlinien tatsächlich verwirklicht werden – Fehlen

    (Richtlinien des Europäischen Parlaments und des Rates 2002/19, Art. 8 Abs. 4 und Art. 13, und 2002/21, Art. 6, 7 und 8; Empfehlung der Kommission 2009/396)

  1.  Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2002/21 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) in der durch die Richtlinie 2009/140 geänderten Fassung in Verbindung mit den Art. 8 und 13 der Richtlinie 2002/19 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie) in der durch die Richtlinie 2009/140 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass es einem nationalen Gericht in einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit einer von der nationalen Regulierungsbehörde (NRB) für die Vornahme von Anrufzustellungen in Fest‑ und Mobilfunknetzen auferlegten Preisverpflichtung nur dann gestattet ist, von der Empfehlung 2009/396 über die Regulierung der Festnetz- und Mobilfunk-Zustellungsentgelte in der Europäischen Union, in der das „reines Bulric“ („Bottom-Up Long-Run Incremental Costs“) genannte Kostenrechnungsmodell als geeignete Preismaßnahme auf dem Anrufzustellungsmarkt empfohlen wird, abzuweichen, wenn es dies aufgrund der tatsächlichen Umstände des konkreten Falles, insbesondere der Besonderheiten des Marktes des betreffenden Mitgliedstaats, für geboten erachtet.

    Aus Art. 4 Abs. 1 der Rahmenrichtlinie ergibt sich nämlich, dass der durch diese Bestimmung garantierte Rechtsbehelf auf einem wirksamen Einspruchsverfahren beruhen muss, durch das den Umständen des Falles angemessen Rechnung getragen werden kann. Außerdem muss nach dieser Bestimmung die zur Entscheidung über einen solchen Rechtsbehelf berufene Stelle, die auch ein Gericht sein kann, über angemessenen Sachverstand verfügen, um ihrer Aufgabe wirksam gerecht zu werden. Daher kann ein nationales Gericht, wenn es mit einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit einer von der NRB nach den Art. 8 und 13 der Zugangsrichtlinie auferlegten Preisverpflichtung befasst ist, von der Empfehlung 2009/396 abweichen. Wenngleich die Empfehlungen keine bindenden Wirkungen entfalten sollen, sind die nationalen Gerichte verpflichtet, sie bei der Entscheidung der bei ihnen anhängigen Rechtsstreitigkeiten zu berücksichtigen, insbesondere dann, wenn sie Aufschluss über die Auslegung zu ihrer Durchführung erlassener nationaler Vorschriften geben oder wenn sie verbindliche Unionsvorschriften ergänzen sollen.

    (vgl. Rn. 39, 40-43, Tenor 1)

  2.  Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einem nationalen Gericht in einem Rechtsstreit über die Rechtmäßigkeit einer von der nationalen Regulierungsbehörde (NRB) für die Vornahme von Anrufzustellungen in Fest‑ und Mobilfunknetzen auferlegten Preisverpflichtung gestattet ist, die Verhältnismäßigkeit dieser Verpflichtung im Hinblick auf die in Art. 8 der Richtlinie 2002/21 über einen gemeinsamen Rechtsrahmen für elektronische Kommunikationsnetze und ‑dienste (Rahmenrichtlinie) in der durch die Richtlinie 2009/140 geänderten Fassung und in Art. 13 der Richtlinie 2002/19 über den Zugang zu elektronischen Kommunikationsnetzen und zugehörigen Einrichtungen sowie deren Zusammenschaltung (Zugangsrichtlinie) in der durch die Richtlinie 2009/140 geänderten Fassung genannten Ziele zu beurteilen und den Umstand zu berücksichtigen, dass die Preisverpflichtung zur Förderung der Interessen der Endnutzer auf einem nicht für eine Regulierung in Betracht kommenden Endkundenmarkt dient.

    Aus Art. 8 Abs. 4 und Art. 13 der Zugangsrichtlinie sowie Art. 8 der Rahmenrichtlinie ergibt sich nämlich, dass sich eine NRB beim Erlass einer Entscheidung, mit der sie den Betreibern derartige Tarifverpflichtungen auferlegt, dessen vergewissern muss, dass diese Verpflichtungen sämtlichen in Art. 8 der Rahmenrichtlinie und in Art. 13 der Zugangsrichtlinie genannten Zielen gerecht werden, also zum einen der Art des aufgetretenen Problems entsprechen und im Hinblick auf die Ziele des Art. 8 der Rahmenrichtlinie angemessen und gerechtfertigt sind und nur nach der Anhörung gemäß den Art. 6 und 7 der Rahmenrichtlinie auferlegt werden und zum anderen die wirtschaftliche Effizienz und einen nachhaltigen Wettbewerb fördern und für die Verbraucher möglichst vorteilhaft sind. Zudem muss ein nationales Gericht im Rahmen der gerichtlichen Kontrolle dieser Entscheidung sicherstellen, dass die NRB allen sich aus Art. 8 der Rahmenrichtlinie und Art. 13 der Zugangsrichtlinie ergebenden Anforderungen genügen. Insoweit entzieht die Tatsache, dass eine Preisverpflichtung auf die Empfehlung 2009/396 gestützt ist, dem nationalen Gericht nicht die Befugnis, die Verhältnismäßigkeit dieser Verpflichtungen im Hinblick auf die in Art. 8 der Rahmenrichtlinie und in Art. 13 der Zugangsrichtlinie genannten Ziele zu prüfen.

    Dagegen kann ein nationales Gericht bei seiner gerichtlichen Kontrolle einer Entscheidung der NRB von dieser Behörde nicht verlangen, dass sie glaubhaft macht, dass mit der Preisverpflichtung die Ziele des Art. 8 der Rahmenrichtlinie tatsächlich verwirklicht werden. Einer NRB eine solche Beweislast aufzuerlegen, würde nämlich außer Acht lassen, dass der Erlass von Verpflichtungen auf einer analytischen Prognose der Marktentwicklung beruht, der für die Lösung der aufgetretenen Wettbewerbsprobleme das Verhalten und/oder die Kosten eines effizienten Betreibers als Ausgangspunkt dienen. Die Erbringung eines solchen Nachweises, der zukunftsorientierte Maßnahmen betrifft, ist aber unmöglich oder übermäßig schwierig.

    (vgl. Rn. 48-51, 55, 58-61, Tenor 2)

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