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Document 62014CJ0504

Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 10. November 2016.
Europäische Kommission gegen Hellenische Republik.
Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Naturschutz – Richtlinie 92/43/EWG – Art. 6 Abs. 2 und 3 sowie Art. 12 Abs. 1 Buchst. b und d – Wildlebende Tiere und Pflanzen – Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Meeresschildkröte Caretta caretta – Schutz der Meeresschildkröten in der Bucht von Kyparissia – Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung ‚Dünen von Kyparissia‘ – Artenschutz.
Rechtssache C-504/14.

Court reports – general

Rechtssache C‑504/14

Europäische Kommission

gegen

Hellenische Republik

„Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats – Umwelt – Naturschutz – Richtlinie 92/43/EWG – Art. 6 Abs. 2 und 3 sowie Art. 12 Abs. 1 Buchst. b und d – Wildlebende Tiere und Pflanzen – Erhaltung der natürlichen Lebensräume – Meeresschildkröte Caretta caretta – Schutz der Meeresschildkröten in der Bucht von Kyparissia – Gebiet von gemeinschaftlicher Bedeutung ‚Dünen von Kyparissia‘ – Artenschutz“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 10. November 2016

  1. Umwelt–Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen–Richtlinie 92/43–Besondere Schutzgebiete–Verpflichtungen der Mitgliedstaaten–Verbot der Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten–Verstoß–Der Kommission obliegende Beweislast–Umfang

    (Richtlinie 92/43 des Rates, Art. 6 Abs. 2 und 4)

  2. Umwelt–Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen–Richtlinie 92/43–Besondere Schutzgebiete–Verpflichtungen der Mitgliedstaaten–Festlegung der nötigen Erhaltungsmaßnahmen–Unterbleiben des Erlasses vorläufiger Maßnahmen zum Schutz eines Gebiets bis zum Abschluss schwebender Gerichtsverfahren über ein Bauprojekt mit zerstörerischen Auswirkungen–Verstoß

    (Richtlinie 92/43 des Rates, Art. 6 Abs. 2)

  3. Vertragsverletzungsklage–Prüfung der Begründetheit durch den Gerichtshof–Maßgebende Lage–Lage bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzten Frist

    (Art. 258 AEUV)

  4. Umwelt–Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen–Richtlinie 92/43–Besondere Schutzgebiete–Verpflichtungen der Mitgliedstaaten–Verbot der Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten–Ausnahme für Projekte, die durch zwingende Gründe des überwiegenden öffentlichen Interesses gerechtfertigt sind–Erforderlichkeit der Prüfung anderer, weniger nachteiliger Alternativen und der Abwägung der betroffenen Interessen

    (Richtlinie 92/43 des Rates, Art. 6 Abs. 2 bis 4)

  5. Umwelt–Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen–Richtlinie 92/43–Besondere Schutzgebiete–Verpflichtungen der Mitgliedstaaten–Verbot der Verschlechterung der natürlichen Lebensräume und der Habitate der Arten–Umfang–Anwendung sowohl auf neue als auch auf bereits vorhandene schädliche Tätigkeiten

    (Richtlinie 92/43 des Rates, Art. 4 Abs. 2 und Art. 6 Abs. 2)

  6. Vertragsverletzungsklage–Nachweis der Vertragsverletzung–Obliegenheit der Kommission–Vortrag von Tatsachen, die die Vertragsverletzung erkennen lassen

    (Art. 258 AEUV)

  7. Umwelt–Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen–Richtlinie 92/43–Besondere Schutzgebiete–Verpflichtungen der Mitgliedstaaten–Prüfung der Verträglichkeit eines Projekts mit einem Gebiet–Keine Anwendbarkeit der Verpflichtung im Falle einer ohne Genehmigung des betreffenden Mitgliedstaats durchgeführten Tätigkeit

    (Richtlinie 92/43 des Rates, Art. 6 Abs. 3)

  8. Umwelt–Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen–Richtlinie 92/43–Strenger Schutz für die in Anhang IV Buchst. a genannten Tierarten–Notwendige Maßnahmen zur Einführung eines Schutzsystems

    (Richtlinie 92/43 des Rates, Art. 12 Abs. 1 Buchst. b und d und Anhang IV Buchst. a)

  9. Umwelt–Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen–Richtlinie 92/43–Artenschutz–Verpflichtungen der Mitgliedstaaten–Begriff der absichtlichen Störung

    (Richtlinie 92/43 des Rates, Art. 12 Abs. 1)

  1.  Eine Tätigkeit kann nur dann als mit Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen im Einklang stehend angesehen werden kann, wenn gewährleistet ist, dass sie keine Störung verursacht, die die Ziele der Richtlinie 92/43, insbesondere deren Ziele auf dem Gebiet der Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen, erheblich beeinträchtigen kann. Zur Feststellung eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43 hat die Kommission rechtlich hinreichend darzutun, dass der betreffende Mitgliedstaat keine angemessenen Maßnahmen ergriffen hat, um zu verhindern, dass die Tätigkeiten im Zusammenhang mit dem Betrieb von Projekten – soweit sie nach der Ausweisung der Gebiete entfaltet wurden – die Habitate der betreffenden Arten verschlechtern und zum Nachteil dieser Arten Störungen verursachen, die erhebliche Auswirkungen im Hinblick auf das Ziel dieser Richtlinie, die Erhaltung dieser Arten zu gewährleisten, haben könnten.

    Allerdings braucht die Kommission für den Nachweis eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43 nicht das Vorliegen eines ursächlichen Zusammenhangs zwischen dem Betrieb der aus einem Projekt entstandenen Anlagen und einer erheblichen Störung der betreffenden Arten darzutun. Es genügt nämlich, wenn sie die Wahrscheinlichkeit oder die Gefahr nachweist, dass der Betrieb solche Störungen verursacht. Der Nachweis des Vorliegens einer solchen Wahrscheinlichkeit oder einer Gefahr durch die Kommission schließt es jedoch nicht aus, dass der betroffene Mitgliedstaat dartun kann, dass die in Rede stehende Maßnahme die von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 92/43 vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt und dass ihre Auswirkungen auf die Ziele der Erhaltung des geschützten Gebiets geprüft worden sind.

    (vgl. Rn. 28-30)

  2.  Obwohl ein Mitgliedstaat Eröffnungen von Straßen in einem besonderen Schutzgebiet im Sinne der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen weder genehmigt noch durchgeführt hat, hat er, indem er zum einen lediglich Strafverfahren gegen die Verantwortlichen der Gesellschaft betreibt, die die in Rede stehenden Straßen gebaut hat, und gegen diese Gesellschaft Verwaltungssanktionen verhängt sowie zum anderen vor den nationalen Gerichten vorbringt, dass diese Straßen rechtswidrig seien und beseitigt werden müssten, die ihm durch Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43 auferlegte spezifische Verpflichtung nicht erfüllt.

    Indem er nämlich keine vorläufigen Maßnahmen zum Schutz dieses Gebiets im Hinblick auf die Beschränkung der Benutzung der in Rede stehenden Zufahrtsstraßen bis zum Abschluss der verschiedenen anhängigen Gerichtsverfahren über die Rechtmäßigkeit und eventuelle Beseitigung dieser Zufahrtsstraßen ergriffen hat, obwohl kein Anhaltspunkt dafür vorliegt, dass solche Maßnahmen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich wären, hat der betreffende Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43 verstoßen.

    (vgl. Rn. 54, 55, 57)

  3.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 69)

  4.  Zwar kann grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass eine in einem besonderen Schutzgebiet errichtete Plattform, die die Fortbewegung von Behinderten erleichtern soll, aus zwingenden Gründen des überwiegenden öffentlichen Interesses im Zusammenhang mit der Gesundheit des Menschen im Sinne von Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen errichtet wurde, jedoch setzt eine solche Rechtfertigung insbesondere die Prüfung der Frage voraus, ob weniger nachteilige Alternativen bestehen, sowie eine Abwägung der betroffenen Interessen, die sich auf eine Prüfung auf Verträglichkeit mit den für das geschützte Gebiet festgelegten Erhaltungszielen nach Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie stützt. In Ermangelung entsprechender Ausführungen des betreffenden Mitgliedstaats stellt die Genehmigung einer solchen Plattform einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie dar.

    (vgl. Rn. 77)

  5.  Nach der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen beschränkt sich das dort vorgesehene Verschlechterungsverbot nicht auf die Verpflichtung des betroffenen Mitgliedstaats, nur neue schädliche Tätigkeiten zu untersagen oder zu beenden. Insoweit hat der betreffende Mitgliedstaat dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Art. 6 Abs. 2 der Richtlinie 92/43 verstoßen, dass er nicht die geeigneten Schutzmaßnahmen ergriffen hat, um zu vermeiden, dass die bereits vorhandene öffentliche Beleuchtung ab der Aufnahme eines besonderen Schutzgebiets in die Liste der Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung nach Art. 4 Abs. 2 der genannten Richtlinie die Meeresschildkröte Caretta caretta stört.

    (vgl. Rn. 100, 101)

  6.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 111)

  7.  Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen sieht ein Prüfungsverfahren vor, das mittels einer vorherigen Kontrolle gewährleisten soll, dass Pläne oder Projekte, die nicht unmittelbar mit der Verwaltung des betreffenden Gebiets in Verbindung stehen oder hierfür nicht notwendig sind, die ein solches Gebiet jedoch erheblich beeinträchtigen könnten, nur genehmigt werden, soweit sie dieses Gebiet als solches nicht beeinträchtigen. Daher ist diese Bestimmung nur einschlägig, wenn die zuständigen nationalen Behörden ein Projekt genehmigen, da der Genehmigung in diesem Fall eine Prüfung des Projekts auf Verträglichkeit mit dem betroffenen Gebiet vorausgehen muss.

    Folglich findet Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 92/43 keine Anwendung auf alle Tätigkeiten, deren Durchführung einer Genehmigung bedarf, die jedoch ohne eine solche – somit rechtswidrig – durchgeführt worden sind.

    (vgl. Rn. 120-122)

  8.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 140, 141, 148)

  9.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 159)

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