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Document 62014CJ0483

    Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 7. April 2016.
    KA Finanz AG gegen Sparkassen Versicherung AG Vienna Insurance Group.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Übereinkommen von Rom – Anwendbares Recht – Grenzüberschreitende Verschmelzung – Richtlinie 78/855/EWG – Richtlinie 2005/56/EG – Verschmelzung durch Aufnahme – Gläubigerschutz – Übergang des gesamten Aktiv- und Passivvermögens der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft.
    Rechtssache C-483/14.

    Court reports – general

    Rechtssache C‑483/14

    KA Finanz AG

    gegen

    Sparkassen Versicherung AG Vienna Insurance Group

    (Vorabentscheidungsersuchen des Obersten Gerichtshofs)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Übereinkommen von Rom — Anwendbares Recht — Grenzüberschreitende Verschmelzung — Richtlinie 78/855/EWG — Richtlinie 2005/56/EG — Verschmelzung durch Aufnahme — Gläubigerschutz — Übergang des gesamten Aktiv- und Passivvermögens der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Dritte Kammer) vom 7. April 2016

    1. Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen – Zulässigkeit – Grenzen – Hypothetische Fragen

      (Art. 267 AEUV)

    2. Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Übereinkommen über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht – Geltungsbereich – Verschmelzung von Gesellschaften – Ausschluss

      (Übereinkommen von Rom vom 19. Juni 1980, Art. 1 Abs. 1 und 2 Buchst. e)

    3. Niederlassungsfreiheit – Gesellschaften – Richtlinie 2005/56 – Grenzüberschreitende Verschmelzungen von Kapitalgesellschaften – Recht, das nach einer grenzüberschreitenden Verschmelzung durch Aufnahme anzuwenden ist auf die Auslegung, die Erfüllung der Verpflichtungen und die Arten des Erlöschens eines Anleihevertrags – Recht, das vor der Verschmelzung auf diesen Vertrag anzuwenden war – Vorschriften, die für den Schutz der Gläubiger der übertragenden Gesellschaft gelten – Nationale Rechtsvorschriften, denen diese Gesellschaft unterlag

      (Richtlinie 2005/56 des Europäischen Parlaments und des Rates, 3. Erwägungsgrund, Art. 2 Nr. 2 Buchst. a, Art. 4 und 14 Abs. 2 Buchst. a)

    4. Niederlassungsfreiheit – Gesellschaften – Regelung über die Verschmelzung von Aktiengesellschaften – Richtlinie 78/855 – Verschmelzung durch Aufnahme – Art. 15 – Wertpapiere, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind – Begriff

      (Richtlinie 78/855 des Rates in der durch die Richtlinie 2009/109 geänderten Fassung, Art. 15)

    5. Niederlassungsfreiheit – Gesellschaften – Regelung der Verschmelzung von Aktiengesellschaften – Richtlinie 78/855 – Verschmelzung durch Aufnahme – Art. 15 – Geltungsbereich – Verleihung von Rechten an die Emittentin von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind – Ausschluss

      (Richtlinie 78/855 des Rates in der durch die Richtlinie 2009/109 geänderten Fassung, Art. 15)

    1.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 41-44)

    2.  Aus Art. 1 Abs. 2 Buchst. e des Übereinkommens von Rom vom 19. Juni 1980 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht und dem Bericht über dieses Übereinkommen von Mario Giuliano und Paul Lagarde geht hervor, dass es nicht für die Fusion von Gesellschaften gilt.

      (vgl. Rn. 50-52)

    3.  Das Unionsrecht ist in dem Sinne auszulegen, dass zum einen nach einer grenzüberschreitenden Verschmelzung durch Aufnahme auf die Auslegung, die Erfüllung der Verpflichtungen und die Arten des Erlöschens eines von der übertragenden Gesellschaft geschlossenen Anleihevertrags, wie eines Vertrags über eine Nachranganleihe, dasselbe Recht anzuwenden ist wie es vor der Verschmelzung auf diesen Vertrag anzuwenden war, und zum anderen für den Schutz der Gläubiger einer übertragenden Gesellschaft weiterhin die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, dem diese Gesellschaft unterlag, gelten.

      Was nämlich erstens die Wirkung einer Verschmelzung durch Aufnahme im Sinne des Art. 2 Nr. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/56 über die Verschmelzung von Kapitalgesellschaften aus verschiedenen Mitgliedstaaten betrifft, geht aus Art. 14 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2005/56 hervor, dass die grenzüberschreitende Verschmelzung ab dem Zeitpunkt ihres Wirksamwerdens den Übergang des gesamten Aktiv‑ und Passivvermögens der übertragenden Gesellschaft auf die übernehmende Gesellschaft bewirkt. Eine Verschmelzung durch Aufnahme bedeutet somit, dass die übernehmende Gesellschaft die übertragende Gesellschaft vollständig erwirbt, ohne dass Verpflichtungen erlöschen, wie dies bei einer Liquidation der Fall wäre, und führt ohne Novation dazu, dass die übernehmende Gesellschaft hinsichtlich sämtlicher Verträge, die von der übertragenden Gesellschaft geschlossen wurden, als Partei an deren Stelle tritt. Damit ist das Recht, das vor der Verschmelzung auf diese Verträge anzuwenden war, auch nach der Verschmelzung auf sie anzuwenden.

      Zweitens gelten zum Schutz der Interessen der Gläubiger im Rahmen einer grenzüberschreitenden Verschmelzung nach dem dritten Erwägungsgrund und Art. 4 der Richtlinie 2005/56 für eine an einer grenzüberschreitenden Verschmelzung beteiligte Gesellschaft, was den Schutz ihrer Gläubiger angeht, weiterhin die Vorschriften und Formalitäten des innerstaatlichen Rechts, das im Rahmen einer innerstaatlichen Verschmelzung anwendbar wäre. Folglich gelten in einem Fall der Zeichnung einer Nachranganleihe für den Schutz der Gläubiger einer übertragenden Gesellschaft, die in ihrer Eigenschaft als Zeichner einer solchen Anleihe handeln, weiterhin die Vorschriften des innerstaatlichen Rechts, dem diese Gesellschaft vor der Verschmelzung unterlag.

      (vgl. Rn. 57-61, Tenor 1)

    4.  Mit Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, im Sinne von Art. 15 der Dritten Richtlinie 78/855 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften in der durch die Richtlinie 2009/109 geänderten Fassung sind u. a. Schuldverschreibungen, bei denen ein Umtausch‑ oder Bezugsrecht auf Aktien, ein Vorzugsrecht auf Zeichnung des Gesellschaftskapitals oder ein Anspruch auf Gewinnbeteiligung eingeräumt wird, gemeint. Es handelt sich mithin um Wertpapiere, deren Inhaber mehr Rechte haben als das auf bloße Tilgung der Verbindlichkeiten und Zahlung der vereinbarten Zinsen. Dies gilt insbesondere für die Wertpapiere, deren Inhaber das Recht auf Umtausch gegen Aktien oder Anspruch auf Gewinnbeteiligung an der Emittentin haben.

      Soweit von einer übertragenden Gesellschaft vor der Fusion gegen Zeichnung einer Nachranganleihe emittierte Wertpapiere nicht mehr Rechte verleihen als das Recht auf bloße Tilgung der Verbindlichkeiten und Zahlung der vereinbarten Zinsen, fallen sie grundsätzlich nicht unter Art. 15 der Richtlinie 78/855, was zu prüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

      (vgl. Rn. 65-67)

    5.  Art. 15 der Dritten Richtlinie 78/855 gemäß Artikel 54 Absatz 3 Buchstabe g) des Vertrages betreffend die Verschmelzung von Aktiengesellschaften in der durch die Richtlinie 2009/109 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass danach dem Inhaber von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, Rechte verliehen werden, nicht aber ihrer Emittentin.

      Denn nach dieser Bestimmung müssen die Inhaber der Wertpapiere, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, in der übernehmenden Gesellschaft Rechte erhalten, die mindestens denen gleichwertig sind, die sie in der übertragenden Gesellschaft hatten, es sei denn, dass eine Versammlung der Inhaber – sofern die einzelstaatlichen Rechtsvorschriften eine solche Versammlung vorsehen – der Änderung dieser Rechte oder dass jeder einzelne Inhaber der Änderung seines Rechts zugestimmt hat oder dass diese Inhaber einen Anspruch auf Rückkauf ihrer Wertpapiere durch die übernehmende Gesellschaft haben. Diese Bestimmung bezweckt demnach den Schutz der Interessen der Inhaber von Wertpapieren, die mit Sonderrechten verbunden, jedoch keine Aktien sind, und den Inhabern dieser Wertpapiere werden Rechte verliehen, nicht aber ihrer Emittentin. Unter diesen Umständen ist eine nationale Regelung, nach der die Emittentin der Wertpapiere berechtigt ist, ihr Rechtsverhältnis zum Zeichner dieser Wertpapiere einseitig zu beenden und ihn in vollem Umfang abzufinden, weder nach dem Wortlaut noch dem Sinne des Art. 15 der Richtlinie 78/855 vorgesehen und kann somit keine Umsetzung von Art. 15 darstellen.

      (vgl. Rn. 68-71, Tenor 2)

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