Choose the experimental features you want to try

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62014CJ0479

    Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 8. Juni 2016.
    Sabine Hünnebeck gegen Finanzamt Krefeld.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Freier Kapitalverkehr – Art. 63 AEUV und 65 AEUV – Schenkungsteuer – Schenkung einer im Inland belegenen Immobilie – Nationale Regelung, die für Gebietsansässige einen höheren Steuerfreibetrag vorsieht als für Gebietsfremde – Bestehen einer optionalen Regelung, die es jeder in einem Mitgliedstaat der Union ansässigen Person erlaubt, den höheren Freibetrag in Anspruch zu nehmen.
    Rechtssache C-479/14.

    Court reports – general

    Rechtssache C‑479/14

    Sabine Hünnebeck

    gegen

    Finanzamt Krefeld

    (Vorabentscheidungsersuchen des Finanzgerichts Düsseldorf)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Freier Kapitalverkehr — Art. 63 AEUV und 65 AEUV — Schenkungsteuer — Schenkung einer im Inland belegenen Immobilie — Nationale Regelung, die für Gebietsansässige einen höheren Steuerfreibetrag vorsieht als für Gebietsfremde — Bestehen einer optionalen Regelung, die es jeder in einem Mitgliedstaat der Union ansässigen Person erlaubt, den höheren Freibetrag in Anspruch zu nehmen“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 8. Juni 2016

    1. Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen – Zulässigkeit – Grenzen – Offensichtlich unerhebliche Fragen und hypothetische Fragen, die in einem eine zweckdienliche Antwort ausschließenden Zusammenhang gestellt werden

      (Art. 267 AEUV)

    2. Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Grenzen – Zuständigkeit des nationalen Gerichts – Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Rechtsstreits – Anwendung der einschlägigen nationalen Regelung – Von den Parteien vertretene Annahmen – Nichtberücksichtigung

      (Art. 267 AEUV)

    3. Freier Kapital- und Zahlungsverkehr – Beschränkungen – Schenkungsteuer – Freibetrag auf die Bemessungsgrundlage bei Schenkung einer im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats belegenen Immobilie – Freibetrag, der, sofern nicht der Erwerber einen spezifischen Antrag stellt, bei Schenkungen zwischen einem Schenker und einem Schenkungsempfänger, die beide in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, unterhalb des Freibetrags liegt, der gilt, wenn zumindest eine dieser Personen ihren Wohnsitz im Inland gehabt hätte – Möglichkeit für den Empfänger einer Schenkung unter Gebietsfremden, auf seinen Antrag in den Genuss des für Schenkungen unter Beteiligung zumindest eines Gebietsansässigen vorgesehenen höheren Freibetrags zu gelangen – Für die Berechnung der Steuer erfolgende Zusammenrechnung aller Schenkungen, die der Schenkungsempfänger in den zehn Jahren vor und den zehn Jahren nach der Schenkung von derselben Person erhalten hat – Unzulässigkeit – Rechtfertigung – Fehlen

      (Art. 63 AEUV und 65 AEUV)

    1.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 30)

    2.  Im Rahmen einer Vorlage zur Vorabentscheidung ist allein das vorlegende Gericht für die Feststellung und die Würdigung des Sachverhalts des ihm vorliegenden Rechtsstreits und für die Auslegung und Anwendung des einzelstaatlichen Rechts zuständig. Der Gerichtshof hat seine Prüfung grundsätzlich auf die Beurteilungsfaktoren zu beschränken, die ihm das innerstaatliche Gericht vorgelegt hat. In Bezug auf die Anwendung des einschlägigen innerstaatlichen Rechts hat sich der Gerichtshof somit an die Lage zu halten, die dieses Gericht als feststehend ansieht, und ist nicht an Annahmen gebunden, die von einer der Parteien des Ausgangsverfahrens vertreten werden.

      (vgl. Rn. 36)

    3.  Die Art. 63 AEUV und 65 AEUV sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach bei Schenkungen unter Gebietsfremden die Steuer unter Anwendung eines niedrigeren Steuerfreibetrags berechnet wird, wenn der Erwerber keinen spezifischen Antrag stellt. Diese Artikel stehen auch und auf jeden Fall einer nationalen Regelung entgegen, wonach die Steuer auf Antrag eines solchen Erwerbers unter Anwendung des höheren Freibetrags berechnet wird, der für Schenkungen unter Beteiligung zumindest eines Gebietsansässigen gilt, wobei die Wahrnehmung dieser Option durch den gebietsfremden Erwerber bewirkt, dass für die Berechnung der Steuer auf die betreffende Schenkung alle Schenkungen, die dieser Schenkungsempfänger in den zehn Jahren vor und den zehn Jahren nach der Schenkung von derselben Person erhalten hat, zusammengerechnet werden.

      Im Unterschied zu Schenkungen unter Beteiligung zumindest eines Gebietsansässigen, bei denen für die Berechnung der Steuer nur frühere Schenkungen zusammengerechnet werden können, so dass der Steuerpflichtige den Betrag der zu entrichtenden Steuer vorhersehen kann, erfasst nämlich bei Schenkungen unter Gebietsfremden die Zusammenrechnung der Erwerbe auch diejenigen Erwerbe, die innerhalb von zehn Jahren nach der betreffenden Schenkung erfolgen, so dass die Erwerber nicht wissen, in welcher Höhe die Schenkungsteuer später zu entrichten ist.

      Ein solcher Mangel an Vorhersehbarkeit kann dazu führen, dass Gebietsfremde davon abgehalten werden, in Deutschland belegene Vermögenswerte zu erwerben oder zu behalten, da deren spätere Übertragung auf andere Gebietsfremde bewirkt, dass sich diese länger im Ungewissen über künftige Steuern befinden, die dieser Mitgliedstaat möglicherweise erheben wird.

      Unter diesen Umständen ist – vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht unter Auslegung und Anwendung des deutschen Rechts zu treffenden Feststellungen zur Länge des Zeitraums, der berücksichtigt wird, wenn auf Antrag gebietsfremder Erwerber der höhere Freibetrag angewandt wird – festzustellen, dass hinsichtlich der Länge des der Zusammenrechnung von Schenkungen zugrunde gelegten Zeitraums, der bei Anwendung des höheren Freibetrags berücksichtigt wird, die ungünstigere steuerliche Behandlung von Schenkungen unter Gebietsfremden im Vergleich zu Schenkungen unter Beteiligung zumindest eines Gebietsansässigen eine grundsätzlich nach Art. 63 Abs. 1 AEUV untersagte Beschränkung des freien Kapitalverkehrs darstellt.

      Wenn eine nationale Regelung für die Zwecke der Besteuerung der durch Schenkung erfolgten Übertragung einer Immobilie, die in dem betreffenden Mitgliedstaat belegen ist, gebietsfremde Schenkungsempfänger, die diese Immobilie von einer gebietsfremden Person erhalten haben, einerseits und gebietsfremde oder gebietsansässige Schenkungsempfänger, die eine solche Immobilie von einem gebietsansässigen Schenker erhalten haben, sowie gebietsansässige Schenkungsempfänger, die diese Immobilie von einem gebietsfremden Schenker erhalten haben, andererseits auf die gleiche Stufe stellt, kann sie diese Schenkungsempfänger im Rahmen dieser Besteuerung hinsichtlich der Anwendung eines Freibetrags auf die Steuerbemessungsgrundlage für diese Immobilie nicht unterschiedlich behandeln, ohne gegen die Vorgaben des Unionsrechts zu verstoßen. Indem der nationale Gesetzgeber Schenkungen an diese beiden Personengruppen – außer in Bezug auf den Zeitraum, der bei der Anwendung des Freibetrags berücksichtigt wird, der dem Schenkungsempfänger gegebenenfalls zugutekommt – gleich behandelt, hat er anerkannt, dass zwischen ihnen im Hinblick auf die Modalitäten und die Voraussetzungen für die Erhebung der Schenkungsteuer kein Unterschied in der objektiven Situation besteht, der eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen könnte.

      Da der bei der Anwendung des Freibetrags berücksichtigte Zeitraum nicht von der Höhe der Steuerbemessungsgrundlage abhängig ist, sondern für den Schenkungsempfänger aufgrund seiner Eigenschaft als Steuerpflichtiger gilt, können folglich die Merkmale der Steuerbemessungsgrundlage des gebietsfremden Schenkungsempfängers, der eine Schenkung von einem gebietsfremden Schenker enthält, nicht zu einem objektiven Unterschied zwischen der Situation dieses Schenkungsempfängers einerseits und der Situation eines gebietsfremden Empfängers einer Schenkung eines gebietsansässigen Schenkers oder der eines gebietsansässigen Empfängers einer Schenkung eines gebietsfremden Schenkers führen.

      Was schließlich die etwaige Rechtfertigung aus einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses angeht, kann die Zusammenrechnung der Schenkungen eines Zeitraums von 20 Jahren, wenn der Erwerber die Gewährung des höheren Steuerfreibetrags beantragt, weder als geeignetes Mittel zur Erreichung des Ziels der Gewährleistung der Kohärenz der deutschen Steuerregelung noch als geeignetes Mittel zur Gewährleistung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zwischen den Mitgliedstaaten angesehen werden.

      (vgl. Rn. 46-48, 56, 59, 63, 65, 68 und Tenor)

    Top