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Document 62014CJ0441

    Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 19. April 2016.
    Dansk Industri (DI) gegen Sucession Karsten Eigil Rasmussen.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Sozialpolitik – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Richtlinie 2000/78/EG – Verbot der Diskriminierung wegen des Alters – Nationale Regelung, die gegen eine Richtlinie verstößt – Möglichkeit des Einzelnen, den Staat wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht haftbar zu machen – Rechtsstreit zwischen Privatpersonen – Abwägung verschiedener Rechte und Grundsätze – Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes – Rolle des nationalen Gerichts.
    Rechtssache C-441/14.

    Court reports – general

    Rechtssache C‑441/14

    Dansk Industri (DI)

    gegen

    Nachlass des Karsten Eigil Rasmussen

    (Vorabentscheidungsersuchen des Højesteret)

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Sozialpolitik — Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Richtlinie 2000/78/EG — Verbot der Diskriminierung wegen des Alters — Nationale Regelung, die gegen eine Richtlinie verstößt — Möglichkeit des Einzelnen, den Staat wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht haftbar zu machen — Rechtsstreit zwischen Privatpersonen — Abwägung verschiedener Rechte und Grundsätze — Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes — Rolle des nationalen Gerichts“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 19. April 2016

    1. Unionsrecht – Grundsätze – Gleichbehandlung – Verbot der Diskriminierung aus Gründen des Alters – Verhältnis zur Richtlinie 2000/78 – Nationale Regelung, die Arbeitnehmer, die eine von ihrem Arbeitgeber gezahlte Altersrente beziehen können und ihrem Rentensystem vor Vollendung des 50. Lebensjahrs beigetreten sind, von einer Entlassungsabfindung ausschließt – Unzulässigkeit – Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auf dem Arbeitsmarkt – Keine Auswirkung

      (Richtlinie 2000/78 des Rates, Art. 2 und 6 Abs. 1)

    2. Sozialpolitik – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78 – Verbot einer Diskriminierung aus Gründen des Alters – Für dem allgemeinen Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters zuwiderlaufend befundene nationale Regelung – Pflichten eines nationalen Gerichts, das mit einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen befasst ist – Nichtanwendung entgegenstehender nationaler Bestimmungen – Vorrang der Auslegung des Unionsrechts vor den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes – Keine Auswirkung der Möglichkeit des Einzelnen, den Mitgliedstaat haftbar zu machen

      (Art. 267 AEUV, Richtlinie 2000/78 des Rates)

    1.  Das allgemeine Verbot einer Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass es auch in einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach Arbeitnehmer – unabhängig davon, ob sie sich dafür entscheiden, auf dem Arbeitsmarkt zu verbleiben, oder beschließen, in Rente zu gehen – keine Entlassungsabfindung beziehen können, wenn sie Anspruch auf eine Altersrente haben, die von ihrem Arbeitgeber aus einem Rentensystem gezahlt wird, dem sie vor Vollendung ihres 50. Lebensjahrs beigetreten sind.

      Das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Alters ist nicht in der Richtlinie 2000/78 selbst verankert, sondern sie konkretisiert dieses Verbot lediglich im Bereich von Beschäftigung und Beruf, so dass die Tragweite des von der Richtlinie gewährten Schutzes nicht über den mit diesem Verbot gewährleisteten Schutz hinausgeht.

      Angesichts dessen, dass die Art. 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 einer nationalen Regelung entgegenstehen, wonach Arbeitnehmer, die eine Altersrente beziehen können, die von ihrem Arbeitgeber aus einem Rentensystem gezahlt wird, dem sie vor Vollendung ihres 50. Lebensjahrs beigetreten sind, allein aus diesem Grund eine Entlassungsabfindung nicht beziehen können, die dazu bestimmt ist, die berufliche Wiedereingliederung von Arbeitnehmern mit einer Betriebszugehörigkeit von mehr als zwölf Jahren zu fördern, gilt andererseits das Gleiche für den tragenden Grundsatz der Gleichbehandlung, der im allgemeinen Verbot der Diskriminierung wegen des Alters lediglich eine besondere Ausprägung findet.

      (vgl. Rn. 23, 26, 27, Tenor 1)

    2.  Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass ein nationales Gericht, das mit einem in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf fallenden Rechtsstreit zwischen Privatpersonen befasst ist, die von ihm anzuwendenden Vorschriften seines nationalen Rechts so auslegen muss, dass sie im Einklang mit dieser Richtlinie angewandt werden können, oder, falls eine solche richtlinienkonforme Auslegung unmöglich ist, erforderlichenfalls alle Vorschriften des nationalen Rechts, die gegen das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Alters verstoßen, unangewendet lassen muss. Weder die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes noch die Möglichkeit für den Einzelnen, der glaubt, durch die Anwendung einer gegen das Unionsrecht verstoßenden nationalen Vorschrift geschädigt worden zu sein, den betreffenden Mitgliedstaat wegen Verstoßes gegen das Unionsrecht haftbar zu machen, können diese Verpflichtung in Frage stellen.

      Insoweit umfasst das Erfordernis einer unionsrechtskonformen Auslegung erstens die Verpflichtung der nationalen Gerichte, eine gefestigte Rechtsprechung gegebenenfalls abzuändern, wenn sie auf einer Auslegung des nationalen Rechts beruht, die mit den Zielen einer Richtlinie nicht vereinbar ist. Im Übrigen verleiht das Verbot der Diskriminierung wegen des Alters dem Einzelnen ein subjektives Recht, das er als solches geltend machen kann und das die nationalen Gerichte auch in Rechtsstreitigkeiten zwischen Privatpersonen verpflichtet, von der Anwendung mit diesem Verbot nicht im Einklang stehender nationaler Vorschriften abzusehen.

      Zweitens kann der Grundsatz des Vertrauensschutzes einem nationalen Gericht, das mit einem Rechtsstreit zwischen Privatpersonen befasst ist, nicht als Grundlage dienen, um weiterhin eine nationale Rechtsvorschrift anzuwenden, die gegen das allgemeine Verbot der Diskriminierung wegen des Alters in seiner Konkretisierung durch die Richtlinie 2000/78 verstößt. Die Anwendung dieses Grundsatzes in der Weise, eine solche Vorschrift des nationalen Rechts weiter anzuwenden, liefe nämlich in Wirklichkeit darauf hinaus, die zeitlichen Wirkungen der vom Gerichtshof vorgenommenen Auslegung zu begrenzen, da diese Auslegung dann in dem Verfahren vor dem nationalen Gericht keine Anwendung fände. Abgesehen von ganz außergewöhnlichen Umständen muss der nationale Richter das Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof jedoch auch auf Rechtsverhältnisse anwenden, die vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind.

      Der Vertrauensschutz kann jedenfalls nicht geltend gemacht werden, um demjenigen, der das Verfahren eingeleitet hat, das den Gerichtshof veranlasst, das Unionsrecht dahin auszulegen, dass es der fraglichen nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, den Vorteil zu versagen, der ihm aus dieser Auslegung entsteht.

      (vgl. Rn. 33, 36-41, 43, Tenor 2)

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