EUR-Lex Access to European Union law

Back to EUR-Lex homepage

This document is an excerpt from the EUR-Lex website

Document 62014CJ0363

Parlament / Rat

Rechtssache C‑363/14

Europäisches Parlament

gegen

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage — Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Europol — Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen Europol Abkommen schließt — Bestimmung der Rechtsgrundlage — Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geltender Rechtsrahmen — Übergangsbestimmungen — Abgeleitete Rechtsgrundlage — Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Durchführungsmaßnahmen — Anhörung des Parlaments — Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 10. September 2015

  1. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Europäisches Polizeiamt (Europol) — Herstellung von Beziehungen zu Drittstaaten — Beschluss 2014/269 zur Änderung der Liste der Staaten und Organisationen, die Parteien eines Abkommens mit Europol sein können — Rechtsgrundlage — Aufhebung von Art. 34 EU — Keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit des Beschlusses 2014/269

    (Art. 34 EU; Beschlüsse 2009/371 des Rates, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a, 2009/934, Art. 5 und 6, 2009/935 und 2014/269)

  2. Handlungen der Organe — Wahl der Rechtsgrundlage — Wahl, die auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen muss

    (Art. 5 EUV)

  3. Handlungen der Organe — Verfahren des Zustandekommens — Vorschriften der Verträge — Zwingender Charakter — Möglichkeit eines Organs zur Schaffung abgeleiteter Rechtsgrundlagen — Fehlen

    (Art. 13 Abs. 2 EUV)

  4. Handlungen der Organe — Grundregelung und Durchführungsregelung — Keine Änderung oder Ergänzung der wesentlichen Aspekte einer Grundregelung durch die Durchführungsregelung — Einstufung als wesentliche Aspekte — Berücksichtigung der Merkmale und Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets — Änderung der Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, die Parteien eines Abkommens mit dem Europäischen Polizeiamt (Europol) sein können, durch einen Durchführungsrechtsakt — Zulässigkeit — Änderung, die keinen wesentlichen Aspekt der Grundregelung darstellt

    (Art. 290 AEUV; Beschlüsse 2009/371 des Rates, Art. 23, und 2009/934, Art. 5 Abs. 4)

  5. Nichtigkeitsklage — Angefochtene Handlung — Beurteilung der Rechtmäßigkeit anhand der bei Vornahme der Handlung verfügbaren Informationen

    (Art. 263 TFUE)

  6. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Rechtsgrundlage — Art. 34 EU — Maßnahmen zur Durchführung der Beschlüsse des Rates — Erlass, der nicht der vorhergehenden Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission unterliegt

    (Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU; Beschlüsse 2009/371 des Rates, Art. 23, 2009/934, Art. 5 Abs. 4 und 6, 2009/935, Art. 1, und 2014/269)

  7. Verträge der Union — Übergangsbestimmungen — Aufrechterhaltung der Wirkungen der auf der Grundlage des EU-Vertrags erlassenen Rechtsakte — Unvereinbarkeit mit den nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon anwendbaren Verfahrensvorschriften — Keine Auswirkung

    (Art. 290 AEUV; Protokoll Nr. 36 zum EU- und zum AEU-Vertrag, Art. 9; Beschluss 2009/371 des Rates, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a)

  8. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Europäisches Polizeiamt (Europol) — Herstellung von Beziehungen zu Drittstaaten — Änderung der Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, die Parteien eines Abkommens mit Europol sein können — Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments — Umfang

    (Art. 39 Abs. 1 EU; Art. 291 AEUV; Protokoll Nr. 36 zum EU- und zum AEU-Vertrag, Art. 9; Beschlüsse 2009/371 des Rates, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a, und 2009/935)

  9. Handlungen der Organe — Verfahren des Zustandekommens — Anhörung des Parlaments — Fehlerhafte Durchführung eines Verfahrens der fakultativen Anhörung — Rechtmäßigkeit — Voraussetzungen

  1.  In Anbetracht des Wortlauts des Beschlusses zur Änderung des Beschlusses 2009/935 hinsichtlich der Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen das Europäische Polizeiamt (Europol) Abkommen schließt, der grundsätzlich die Rechtsgrundlage, auf die er gestützt ist, anführen muss, damit die Begründungspflicht erfüllt ist, kann daher nicht angenommen werden, dass dieser Beschluss auf Art. 34 EU beruht. Dieser Beschluss nimmt nämlich nicht auf Art. 34 EU Bezug und seine Bezugsvermerke verweisen ausdrücklich auf Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 zur Errichtung von Europol sowie auf die Art. 5 und 6 des Beschlusses 2009/934 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Beziehungen von Europol zu anderen Stellen einschließlich des Austauschs von personenbezogenen Daten und Verschlusssachen.

    In diesem Zusammenhang ist die Annahme, dass Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU die einzig mögliche Rechtsgrundlage für den Erlass einer Maßnahme wie des Beschlusses 2014/269 darstellte, selbst wenn sie zutrifft, unerheblich, da die ausdrückliche Entscheidung des Rates, in dem Beschluss nicht diese Bestimmung, sondern Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 sowie die Art. 5 und 6 des Beschlusses 2009/934 zu nennen, eindeutig zum Ausdruck bringt, dass der Beschluss 2014/269 auf die zuletzt genannten Bestimmungen als solche gestützt ist. Unter diesen Umständen entzieht die Aufhebung von Art. 34 EU durch den Vertrag von Lissabon dem Beschluss 2014/269 nicht seine Rechtsgrundlage.

    (vgl. Rn. 23, 24, 26, 28)

  2.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 41)

  3.  Da die Grundsätze über die Willensbildung der Unionsorgane in den Verträgen festgelegt sind und nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten oder der Organe selbst stehen, können allein die Verträge ein Organ in besonderen Fällen dazu ermächtigen, ein von ihnen geschaffenes Entscheidungsverfahren zu ändern. Würde daher einem Organ die Möglichkeit zur Schaffung abgeleiteter Rechtsgrundlagen gegeben, die den Erlass von Gesetzgebungsakten oder Durchführungsmaßnahmen ermöglichen, sei es im Sinne einer Verschärfung oder einer Erleichterung der Modalitäten des Erlasses eines Rechtsakts, so liefe dies darauf hinaus, ihm eine Rechtsetzungsbefugnis zu verleihen, die über das in den Verträgen vorgesehene Maß hinausginge.

    (vgl. Rn. 43)

  4.  Der Erlass der wesentlichen Vorschriften einer Materie wie der polizeilichen Zusammenarbeit ist der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers vorbehalten; diese Bestimmungen sind in der Grundregelung zu erlassen. Daraus folgt, dass Bestimmungen, die wesentliche Aspekte einer Grundregelung festlegen und deren Erlass politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen, weder Gegenstand einer solchen Befugnisübertragung sein noch in Durchführungsrechtsakte aufgenommen werden können. Insoweit muss sich die Bestimmung der Aspekte einer Materie, die als wesentlich einzustufen sind, nach objektiven Gesichtspunkten richten, die Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein können, und verlangt, die Merkmale und die Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets zu berücksichtigen.

    Was die Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen das Europäische Polizeiamt (Europol) Abkommen schließt, angeht, wie sie dem Beschluss 2009/935 zur Festlegung dieser Liste beigefügt ist, ist deren Änderung kein wesentlicher Aspekt des durch den Beschluss 2009/371 zur Errichtung von Europol geregelten Bereichs und steht es dem Unionsgesetzgeber daher frei, vorzusehen, dass diese Änderung durch einen Durchführungsrechtsakt vorgenommen werden kann. Die Aufnahme von Beziehungen zwischen Europol und Drittstaaten stellt nämlich eine mit den Tätigkeiten von Europol zusammenhängende Tätigkeit dar, da die Zusammenarbeit mit diesen Staaten in Anwendung von Art. 23 Abs. 1 des Beschlusses 2009/371 im Übrigen nur hergestellt und unterhalten werden kann, soweit dies für die Erfüllung der Aufgaben von Europol erforderlich ist. Zudem hat der Unionsgesetzgeber den Grundsatz der Herstellung und Aufrechterhaltung solcher Beziehungen verankert, das mit diesen Beziehungen zu verfolgende Ziel festgelegt und den Rahmen abgesteckt, in dem sich diese Beziehungen halten müssen. Selbst wenn daher ein Beschluss zur Änderung der Liste bestimmte Schiedsverfahren mit technischer und politischer Dimension einschließt, kann nicht angenommen werden, dass ein solcher Beschluss politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen.

    Zwar kann die Übermittlung personenbezogener Daten, die die in Anwendung von Art. 23 des Beschlusses 2009/371 geschlossenen Abkommen zulassen können, einen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen darstellen, und können bestimmte dieser Eingriffe so erheblich sein, dass der Unionsgesetzgeber tätig werden muss. Der Grundsatz der Übermittlung personenbezogener Daten an bestimmte Drittstaaten und der Rahmen, in dem diese Übermittlung zu erfolgen hat, sind jedoch vom Gesetzgeber selbst festgelegt worden, da nach Art. 23 Abs. 6 Buchst. b des Beschlusses 2009/371 und Art. 5 Abs. 4 des Beschlusses 2009/934 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Beziehungen von Europol zu anderen Stellen insbesondere festzustellen ist, dass der betreffende Drittstaat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet. Jedenfalls erlaubt die Aufnahme eines Drittstaats in die Liste als solche keine Übermittlung der personenbezogenen Daten an diesen, da eine solche Übermittlung erst nach dem Abschluss eines Abkommens zwischen Europol und diesem Staat möglich ist, das speziell die Übermittlung solcher Daten zulässt.

    (vgl. Rn. 46, 47, 49-51, 53-55, 57)

  5.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 59)

  6.  Was das Verfahren zum Erlass der Maßnahmen betrifft, die zur Durchführung der im Rahmen des Titels des Vertrags über die Europäische Union zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erlassenen Beschlüsse erforderlich sind, unterscheidet Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU zwischen Beschlüssen, die der Rat einstimmig erlassen kann, und den zu deren Durchführung auf Unionsebene erforderlichen Maßnahmen, die der Rat mit qualifizierter Mehrheit erlässt. In diesem Zusammenhang ist die Wendung „auf Initiative eines jeden Mitgliedstaats oder der Kommission“ in Anbetracht der Syntax der Sätze, die diese Bestimmung bilden, so zu verstehen, dass sie sich nur auf die grundlegenden Maßnahmen bezieht, die der Rat einstimmig erlassen kann. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht demnach hervor, dass sie dahin auszulegen ist, dass eine Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission für den Erlass von Durchführungsmaßnahmen nicht erforderlich ist.

    (vgl. Rn. 60, 62-64)

  7.  Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen, das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügt ist, ist dahin auszulegen, dass eine Bestimmung eines vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ordnungsgemäß auf der Grundlage des EU-Vertrags ergangenen Rechtsakts, die Modalitäten für den Erlass von Durchführungsmaßnahmen zu diesem Rechtsakt vorsieht, weiterhin ihre Rechtswirkungen entfaltet, solange sie nicht aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert worden ist, und den Erlass dieser Maßnahmen in Anwendung des von ihr definierten Verfahrens ermöglicht.

    Was das Argument zur Unvereinbarkeit von Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 zur Errichtung von Europol mit den nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon anwendbaren Verfahrensvorschriften betrifft, kann, da Art. 290 AEUV nicht anwendbar ist, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a daher nicht mit dieser Bestimmung des AEU‑Vertrags unvereinbar sein.

    (vgl. Rn. 68, 70, 71)

  8.  Die ordnungsgemäße Anhörung des Parlaments stellt in den durch die anwendbaren Regelungen des Unionsrechts vorgesehenen Fällen ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Missachtung die Nichtigkeit der betroffenen Handlung zur Folge hat.

    Was die Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen das Europäische Polizeiamt (Europol) Abkommen schließt, angeht, wie sie dem Beschluss 2009/935 zur Festlegung dieser Liste beigefügt ist, ist der Rat nach Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 zur Errichtung von Europol gehalten, vor einer Änderung dieser Liste das Parlament anzuhören. In diesem Zusammenhang kann die Aufhebung von Art. 39 Abs. 1 EU durch den Vertrag von Lissabon diese Pflicht zur Anhörung des Parlaments nicht in Frage stellen, da diese in Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 ausdrücklich vorgesehen ist. Ebenso wenig von Bedeutung ist der Umstand, dass Art. 291 AEUV keine Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments vorsieht. Denn die Verpflichtung, das Parlament anzuhören, stellt eine der Rechtswirkungen des Beschlusses 2009/371 dar, die gemäß Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen, das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügt ist, nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon fortbesteht.

    (vgl. Rn. 82, 84-86)

  9.  Ein dem Rat bei der Auslegung der anwendbaren Rechtsgrundlage hinsichtlich des zwingenden Charakters der Anhörung des Parlaments unterlaufener Fehler stellt als solcher keine Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift dar, da nicht nachgewiesen worden ist, dass dieser Fehler in der Praxis dazu geführt hätte, dass der dem Parlament in dem Verfahren zum Erlass des fraglichen Rechtsakts eingeräumte Platz eingeschränkt oder der Inhalt dieses Rechtsakts berührt worden wäre. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Parlament dem Rat vor dem Erlass des Rechtsakts seinen Standpunkt darlegen konnte. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der vom Rat begangene Fehler die wirksame Beteiligung des Parlaments an dem fraglichen Verfahren verhindert oder zu einer Beeinträchtigung der Bedingungen geführt hat, unter denen das Parlament seine Funktionen ausübt.

    Da außerdem die fehlerhafte Ersetzung einer Rechtsgrundlage, die die Anhörung des Parlaments nicht vorsieht, durch eine Rechtsgrundlage, die eine solche Anhörung gebietet, einen rein formalen Fehler darstellt, ist der Umstand, dass der Rat über den Rechtsrahmen geirrt hat, in dem er das Parlament anhört, nicht geeignet, sich auf den Inhalt des am Ende des betreffenden Verfahrens ergangenen Beschlusses auszuwirken.

    (vgl. Rn. 89-91, 94, 96)

Top

Rechtssache C‑363/14

Europäisches Parlament

gegen

Rat der Europäischen Union

„Nichtigkeitsklage — Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen — Europol — Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen Europol Abkommen schließt — Bestimmung der Rechtsgrundlage — Nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon geltender Rechtsrahmen — Übergangsbestimmungen — Abgeleitete Rechtsgrundlage — Unterscheidung zwischen Gesetzgebungsakten und Durchführungsmaßnahmen — Anhörung des Parlaments — Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 10. September 2015

  1. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäisches Polizeiamt (Europol) – Herstellung von Beziehungen zu Drittstaaten – Beschluss 2014/269 zur Änderung der Liste der Staaten und Organisationen, die Parteien eines Abkommens mit Europol sein können – Rechtsgrundlage – Aufhebung von Art. 34 EU – Keine Auswirkung auf die Rechtmäßigkeit des Beschlusses 2014/269

    (Art. 34 EU; Beschlüsse 2009/371 des Rates, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a, 2009/934, Art. 5 und 6, 2009/935 und 2014/269)

  2. Handlungen der Organe – Wahl der Rechtsgrundlage – Wahl, die auf objektiven und gerichtlich nachprüfbaren Umständen beruhen muss

    (Art. 5 EUV)

  3. Handlungen der Organe – Verfahren des Zustandekommens – Vorschriften der Verträge – Zwingender Charakter – Möglichkeit eines Organs zur Schaffung abgeleiteter Rechtsgrundlagen – Fehlen

    (Art. 13 Abs. 2 EUV)

  4. Handlungen der Organe – Grundregelung und Durchführungsregelung – Keine Änderung oder Ergänzung der wesentlichen Aspekte einer Grundregelung durch die Durchführungsregelung – Einstufung als wesentliche Aspekte – Berücksichtigung der Merkmale und Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets – Änderung der Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, die Parteien eines Abkommens mit dem Europäischen Polizeiamt (Europol) sein können, durch einen Durchführungsrechtsakt – Zulässigkeit – Änderung, die keinen wesentlichen Aspekt der Grundregelung darstellt

    (Art. 290 AEUV; Beschlüsse 2009/371 des Rates, Art. 23, und 2009/934, Art. 5 Abs. 4)

  5. Nichtigkeitsklage – Angefochtene Handlung – Beurteilung der Rechtmäßigkeit anhand der bei Vornahme der Handlung verfügbaren Informationen

    (Art. 263 TFUE)

  6. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Rechtsgrundlage – Art. 34 EU – Maßnahmen zur Durchführung der Beschlüsse des Rates – Erlass, der nicht der vorhergehenden Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission unterliegt

    (Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU; Beschlüsse 2009/371 des Rates, Art. 23, 2009/934, Art. 5 Abs. 4 und 6, 2009/935, Art. 1, und 2014/269)

  7. Verträge der Union – Übergangsbestimmungen – Aufrechterhaltung der Wirkungen der auf der Grundlage des EU-Vertrags erlassenen Rechtsakte – Unvereinbarkeit mit den nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon anwendbaren Verfahrensvorschriften – Keine Auswirkung

    (Art. 290 AEUV; Protokoll Nr. 36 zum EU- und zum AEU-Vertrag, Art. 9; Beschluss 2009/371 des Rates, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a)

  8. Polizeiliche und justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Europäisches Polizeiamt (Europol) – Herstellung von Beziehungen zu Drittstaaten – Änderung der Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, die Parteien eines Abkommens mit Europol sein können – Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments – Umfang

    (Art. 39 Abs. 1 EU; Art. 291 AEUV; Protokoll Nr. 36 zum EU- und zum AEU-Vertrag, Art. 9; Beschlüsse 2009/371 des Rates, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a, und 2009/935)

  9. Handlungen der Organe – Verfahren des Zustandekommens – Anhörung des Parlaments – Fehlerhafte Durchführung eines Verfahrens der fakultativen Anhörung – Rechtmäßigkeit – Voraussetzungen

  1.  In Anbetracht des Wortlauts des Beschlusses zur Änderung des Beschlusses 2009/935 hinsichtlich der Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen das Europäische Polizeiamt (Europol) Abkommen schließt, der grundsätzlich die Rechtsgrundlage, auf die er gestützt ist, anführen muss, damit die Begründungspflicht erfüllt ist, kann daher nicht angenommen werden, dass dieser Beschluss auf Art. 34 EU beruht. Dieser Beschluss nimmt nämlich nicht auf Art. 34 EU Bezug und seine Bezugsvermerke verweisen ausdrücklich auf Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 zur Errichtung von Europol sowie auf die Art. 5 und 6 des Beschlusses 2009/934 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Beziehungen von Europol zu anderen Stellen einschließlich des Austauschs von personenbezogenen Daten und Verschlusssachen.

    In diesem Zusammenhang ist die Annahme, dass Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU die einzig mögliche Rechtsgrundlage für den Erlass einer Maßnahme wie des Beschlusses 2014/269 darstellte, selbst wenn sie zutrifft, unerheblich, da die ausdrückliche Entscheidung des Rates, in dem Beschluss nicht diese Bestimmung, sondern Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 sowie die Art. 5 und 6 des Beschlusses 2009/934 zu nennen, eindeutig zum Ausdruck bringt, dass der Beschluss 2014/269 auf die zuletzt genannten Bestimmungen als solche gestützt ist. Unter diesen Umständen entzieht die Aufhebung von Art. 34 EU durch den Vertrag von Lissabon dem Beschluss 2014/269 nicht seine Rechtsgrundlage.

    (vgl. Rn. 23, 24, 26, 28)

  2.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 41)

  3.  Da die Grundsätze über die Willensbildung der Unionsorgane in den Verträgen festgelegt sind und nicht zur Disposition der Mitgliedstaaten oder der Organe selbst stehen, können allein die Verträge ein Organ in besonderen Fällen dazu ermächtigen, ein von ihnen geschaffenes Entscheidungsverfahren zu ändern. Würde daher einem Organ die Möglichkeit zur Schaffung abgeleiteter Rechtsgrundlagen gegeben, die den Erlass von Gesetzgebungsakten oder Durchführungsmaßnahmen ermöglichen, sei es im Sinne einer Verschärfung oder einer Erleichterung der Modalitäten des Erlasses eines Rechtsakts, so liefe dies darauf hinaus, ihm eine Rechtsetzungsbefugnis zu verleihen, die über das in den Verträgen vorgesehene Maß hinausginge.

    (vgl. Rn. 43)

  4.  Der Erlass der wesentlichen Vorschriften einer Materie wie der polizeilichen Zusammenarbeit ist der Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers vorbehalten; diese Bestimmungen sind in der Grundregelung zu erlassen. Daraus folgt, dass Bestimmungen, die wesentliche Aspekte einer Grundregelung festlegen und deren Erlass politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen, weder Gegenstand einer solchen Befugnisübertragung sein noch in Durchführungsrechtsakte aufgenommen werden können. Insoweit muss sich die Bestimmung der Aspekte einer Materie, die als wesentlich einzustufen sind, nach objektiven Gesichtspunkten richten, die Gegenstand einer gerichtlichen Kontrolle sein können, und verlangt, die Merkmale und die Besonderheiten des betreffenden Sachgebiets zu berücksichtigen.

    Was die Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen das Europäische Polizeiamt (Europol) Abkommen schließt, angeht, wie sie dem Beschluss 2009/935 zur Festlegung dieser Liste beigefügt ist, ist deren Änderung kein wesentlicher Aspekt des durch den Beschluss 2009/371 zur Errichtung von Europol geregelten Bereichs und steht es dem Unionsgesetzgeber daher frei, vorzusehen, dass diese Änderung durch einen Durchführungsrechtsakt vorgenommen werden kann. Die Aufnahme von Beziehungen zwischen Europol und Drittstaaten stellt nämlich eine mit den Tätigkeiten von Europol zusammenhängende Tätigkeit dar, da die Zusammenarbeit mit diesen Staaten in Anwendung von Art. 23 Abs. 1 des Beschlusses 2009/371 im Übrigen nur hergestellt und unterhalten werden kann, soweit dies für die Erfüllung der Aufgaben von Europol erforderlich ist. Zudem hat der Unionsgesetzgeber den Grundsatz der Herstellung und Aufrechterhaltung solcher Beziehungen verankert, das mit diesen Beziehungen zu verfolgende Ziel festgelegt und den Rahmen abgesteckt, in dem sich diese Beziehungen halten müssen. Selbst wenn daher ein Beschluss zur Änderung der Liste bestimmte Schiedsverfahren mit technischer und politischer Dimension einschließt, kann nicht angenommen werden, dass ein solcher Beschluss politische Entscheidungen erfordert, die in die eigene Zuständigkeit des Unionsgesetzgebers fallen.

    Zwar kann die Übermittlung personenbezogener Daten, die die in Anwendung von Art. 23 des Beschlusses 2009/371 geschlossenen Abkommen zulassen können, einen Eingriff in die Grundrechte der betroffenen Personen darstellen, und können bestimmte dieser Eingriffe so erheblich sein, dass der Unionsgesetzgeber tätig werden muss. Der Grundsatz der Übermittlung personenbezogener Daten an bestimmte Drittstaaten und der Rahmen, in dem diese Übermittlung zu erfolgen hat, sind jedoch vom Gesetzgeber selbst festgelegt worden, da nach Art. 23 Abs. 6 Buchst. b des Beschlusses 2009/371 und Art. 5 Abs. 4 des Beschlusses 2009/934 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zur Regelung der Beziehungen von Europol zu anderen Stellen insbesondere festzustellen ist, dass der betreffende Drittstaat ein angemessenes Datenschutzniveau gewährleistet. Jedenfalls erlaubt die Aufnahme eines Drittstaats in die Liste als solche keine Übermittlung der personenbezogenen Daten an diesen, da eine solche Übermittlung erst nach dem Abschluss eines Abkommens zwischen Europol und diesem Staat möglich ist, das speziell die Übermittlung solcher Daten zulässt.

    (vgl. Rn. 46, 47, 49-51, 53-55, 57)

  5.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 59)

  6.  Was das Verfahren zum Erlass der Maßnahmen betrifft, die zur Durchführung der im Rahmen des Titels des Vertrags über die Europäische Union zur polizeilichen und justiziellen Zusammenarbeit in Strafsachen erlassenen Beschlüsse erforderlich sind, unterscheidet Art. 34 Abs. 2 Buchst. c EU zwischen Beschlüssen, die der Rat einstimmig erlassen kann, und den zu deren Durchführung auf Unionsebene erforderlichen Maßnahmen, die der Rat mit qualifizierter Mehrheit erlässt. In diesem Zusammenhang ist die Wendung „auf Initiative eines jeden Mitgliedstaats oder der Kommission“ in Anbetracht der Syntax der Sätze, die diese Bestimmung bilden, so zu verstehen, dass sie sich nur auf die grundlegenden Maßnahmen bezieht, die der Rat einstimmig erlassen kann. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht demnach hervor, dass sie dahin auszulegen ist, dass eine Initiative eines Mitgliedstaats oder der Kommission für den Erlass von Durchführungsmaßnahmen nicht erforderlich ist.

    (vgl. Rn. 60, 62-64)

  7.  Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen, das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügt ist, ist dahin auszulegen, dass eine Bestimmung eines vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon ordnungsgemäß auf der Grundlage des EU-Vertrags ergangenen Rechtsakts, die Modalitäten für den Erlass von Durchführungsmaßnahmen zu diesem Rechtsakt vorsieht, weiterhin ihre Rechtswirkungen entfaltet, solange sie nicht aufgehoben, für nichtig erklärt oder geändert worden ist, und den Erlass dieser Maßnahmen in Anwendung des von ihr definierten Verfahrens ermöglicht.

    Was das Argument zur Unvereinbarkeit von Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 zur Errichtung von Europol mit den nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon anwendbaren Verfahrensvorschriften betrifft, kann, da Art. 290 AEUV nicht anwendbar ist, Art. 26 Abs. 1 Buchst. a daher nicht mit dieser Bestimmung des AEU‑Vertrags unvereinbar sein.

    (vgl. Rn. 68, 70, 71)

  8.  Die ordnungsgemäße Anhörung des Parlaments stellt in den durch die anwendbaren Regelungen des Unionsrechts vorgesehenen Fällen ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Missachtung die Nichtigkeit der betroffenen Handlung zur Folge hat.

    Was die Liste der Drittstaaten und dritten Organisationen, mit denen das Europäische Polizeiamt (Europol) Abkommen schließt, angeht, wie sie dem Beschluss 2009/935 zur Festlegung dieser Liste beigefügt ist, ist der Rat nach Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 zur Errichtung von Europol gehalten, vor einer Änderung dieser Liste das Parlament anzuhören. In diesem Zusammenhang kann die Aufhebung von Art. 39 Abs. 1 EU durch den Vertrag von Lissabon diese Pflicht zur Anhörung des Parlaments nicht in Frage stellen, da diese in Art. 26 Abs. 1 Buchst. a des Beschlusses 2009/371 ausdrücklich vorgesehen ist. Ebenso wenig von Bedeutung ist der Umstand, dass Art. 291 AEUV keine Verpflichtung zur Anhörung des Parlaments vorsieht. Denn die Verpflichtung, das Parlament anzuhören, stellt eine der Rechtswirkungen des Beschlusses 2009/371 dar, die gemäß Art. 9 des Protokolls (Nr. 36) über die Übergangsbestimmungen, das dem Vertrag über die Europäische Union beigefügt ist, nach Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon fortbesteht.

    (vgl. Rn. 82, 84-86)

  9.  Ein dem Rat bei der Auslegung der anwendbaren Rechtsgrundlage hinsichtlich des zwingenden Charakters der Anhörung des Parlaments unterlaufener Fehler stellt als solcher keine Verletzung einer wesentlichen Formvorschrift dar, da nicht nachgewiesen worden ist, dass dieser Fehler in der Praxis dazu geführt hätte, dass der dem Parlament in dem Verfahren zum Erlass des fraglichen Rechtsakts eingeräumte Platz eingeschränkt oder der Inhalt dieses Rechtsakts berührt worden wäre. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn das Parlament dem Rat vor dem Erlass des Rechtsakts seinen Standpunkt darlegen konnte. Unter diesen Umständen kann nicht davon ausgegangen werden, dass der vom Rat begangene Fehler die wirksame Beteiligung des Parlaments an dem fraglichen Verfahren verhindert oder zu einer Beeinträchtigung der Bedingungen geführt hat, unter denen das Parlament seine Funktionen ausübt.

    Da außerdem die fehlerhafte Ersetzung einer Rechtsgrundlage, die die Anhörung des Parlaments nicht vorsieht, durch eine Rechtsgrundlage, die eine solche Anhörung gebietet, einen rein formalen Fehler darstellt, ist der Umstand, dass der Rat über den Rechtsrahmen geirrt hat, in dem er das Parlament anhört, nicht geeignet, sich auf den Inhalt des am Ende des betreffenden Verfahrens ergangenen Beschlusses auszuwirken.

    (vgl. Rn. 89-91, 94, 96)

Top