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Document 62014CJ0157

    Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 17. Dezember 2015.
    Neptune Distribution gegen Ministre de l'Économie et des Finances.
    Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 – Richtlinie 2009/54/EG – Art. 11 Abs. 1 und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Verbraucherschutz – Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben – Natürliche Mineralwässer – Gehalt an Natrium oder an Salz – Berechnung – Natriumchlorid (Tafelsalz) oder Natriumgesamtmenge – Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit – Unternehmerische Freiheit.
    Rechtssache C-157/14.

    Court reports – general

    Rechtssache C‑157/14

    Neptune Distribution SNC

    gegen

    Ministre de l’Économie et des Finances

    (Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Frankreich])

    „Vorlage zur Vorabentscheidung — Verordnung (EG) Nr. 1924/2006 — Richtlinie 2009/54/EG — Art. 11 Abs. 1 und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union — Verbraucherschutz — Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben — Natürliche Mineralwässer — Gehalt an Natrium oder an Salz — Berechnung — Natriumchlorid (Tafelsalz) oder Natriumgesamtmenge — Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit — Unternehmerische Freiheit“

    Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Vierte Kammer) vom 17. Dezember 2015

    1. Zur Vorabentscheidung vorgelegte Fragen — Zuständigkeit des Gerichtshofs — Bestimmung der relevanten Elemente des Unionsrechts — Umformulierung der Fragen

      (Art. 267 AEUV)

    2. Rechtsangleichung — Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel — Verordnung Nr. 1924/2006 — Angabe zum Natrium- oder Kochsalzgehalt natürlicher Mineralwässer — Etiketten, die den Eindruck entstehen lassen, dass Mineralwässer natriumarm oder kochsalzarm sind, während ihr Gehalt tatsächlich 20 mg/l beträgt oder überschreitet — Unzulässigkeit

      (Verordnung Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Verordnung Nr. 107/2008 geänderten Fassung, Art. 8 Abs. 1 und Anhang; Richtlinie Nr. 2009/54 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 9 Abs. 2 und Anhang III)

    3. Rechtsangleichung — Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel — Verordnung Nr. 1924/2006 — Verbot von Etiketten, die den Verbraucher hinsichtlich des Natrium- oder Kochsalzgehalts natürlicher Mineralwässer irreführen können — Unverhältnismäßige Einschränkung der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit sowie der unternehmerischen Freiheit — Fehlen — Berücksichtigung des Vorsorgegrundsatzes

      (Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 11 Abs. 1 und Art. 16; Verordnung Nr. 1924/2006 der Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Verordnung Nr. 107/2008 geänderten Fassung, Art. 8 Abs. 1 und Anhang; Richtlinie 2009/54 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 9 Abs. 2 und Anhang III)

    4. Rechtsangleichung — Nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel — Verordnung Nr. 1924/2006 — Bedingungen für die Verwendung solcher Angaben — Ermessen des Unionsgesetzgebers — Gerichtliche Nachprüfung — Grenzen

      (Verordnung Nr. 1924/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates in der durch die Verordnung Nr. 107/2008 geänderten Fassung, Art. 8 Abs. 1)

    1.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 33, 34)

    2.  Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung Nr. 107/2008 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass für natürliche Mineralwässer und andere Wässer die Angabe „sehr natriumarm/kochsalzarm“ und jegliche Angabe, die für den Verbraucher voraussichtlich dieselbe Bedeutung hat, nicht verwendet werden darf.

      Darüber hinaus ist Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2009/54 über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern dahin auszulegen, dass er Angaben oder Hinweisen auf den Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer oder in der Werbung für diese entgegensteht, die beim Verbraucher den Eindruck entstehen lassen, dass die fraglichen Wässer natriumarm/kochsalzarm oder für eine natriumarme Ernährung geeignet sind, wenn der Gesamtgehalt an Natrium in allen seinen vorhandenen chemischen Formen 20 mg/l beträgt oder überschreitet.

      (vgl. Rn. 56 und Tenor 1)

    3.  Das Verbot, auf Verpackungen und Etiketten natürlicher Mineralwässer und in der Werbung für diese Angaben oder Hinweise zu einem niedrigen Natriumgehalt dieser Wässer zu machen, wie es in Art. 8 Abs. 1 in Verbindung mit dem Anhang der Verordnung Nr. 1924/2006 über nährwert- und gesundheitsbezogene Angaben über Lebensmittel in der durch die Verordnung Nr. 107/2008 geänderten Fassung und in Art. 9 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang III der Richtlinie 2009/54 über die Gewinnung von und den Handel mit natürlichen Mineralwässern vorgesehen ist, stellt einen Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit des Unternehmers sowie in seine unternehmerische Freiheit dar.

      Zum einen jedoch ist dieser Eingriff gesetzlich vorgesehen und zum anderen beeinträchtigen diese Bestimmungen nicht den Wesensgehalt der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit des Unternehmers, indem sie lediglich für die Informationen, die dem Verbraucher in Bezug auf den Natrium- oder Salzgehalt natürlicher Mineralwässer übermittelt werden können, bestimmte Bedingungen aufstellen. Die fragliche Regelung ist jedoch weit davon entfernt, die Herstellung und den Vertrieb natürlicher Mineralwässer zu verbieten, und beschränkt sich darauf, die Etikettierung und Werbung für solche Getränke innerhalb eines klar abgegrenzten Bereichs zu regeln. Damit beeinträchtigt sie in keiner Weise den Wesensgehalt der unternehmerischen Freiheit. Darüber hinaus bleibt das Erfordernis, dem Verbraucher möglichst genaue und transparente Informationen über die Eigenschaften des Erzeugnisses zu gewährleisten, eng mit dem Schutz der menschlichen Gesundheit verbunden und stellt eine Frage von allgemeinem Interesse dar, die Einschränkungen der Freiheit der Meinungsäußerung und der Informationsfreiheit sowie der unternehmerischen Freiheit des Unternehmers rechtfertigen kann.

      Was die Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit betrifft, konnte der Unionsgesetzgeber, da nicht ersichtlich ist, dass ein Risiko für die menschliche Gesundheit durch einen übermäßigen Konsum von Natrium, das in verschiedenen chemischen Verbindungen, insbesondere in Natriumbicarbonat, vorhanden ist, ausgeschlossen wäre, annehmen, dass Vorgaben und Einschränkungen, wie sie in Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1924/2006 und Art. 9 Abs. 2 der Richtlinie 2009/54 vorgesehen sind, hinsichtlich der Verwendung von Angaben oder Hinweisen zum niedrigen Natriumgehalt natürlicher Mineralwässer angemessen und erforderlich waren, um den Schutz der menschlichen Gesundheit in der Union sicherzustellen. Der Unionsgesetzgeber muss nämlich das Vorsorgeprinzip berücksichtigen, nach dem bei Unsicherheiten hinsichtlich des Vorliegens oder des Umfangs von Risiken für die menschliche Gesundheit Schutzmaßnahmen getroffen werden können, ohne dass abgewartet werden müsste, dass das Bestehen und die Schwere dieser Risiken vollständig dargelegt werden. Wenn es sich als unmöglich erweist, das Vorliegen oder den Umfang des behaupteten Risikos mit Sicherheit festzustellen, weil die Ergebnisse der durchgeführten Studien unschlüssig sind, die Wahrscheinlichkeit eines tatsächlichen Schadens für die Gesundheit der Bevölkerung jedoch fortbesteht, falls das Risiko eintritt, rechtfertigt das Vorsorgeprinzip den Erlass beschränkender Maßnahmen. Folglich steht der Eingriff in die Freiheit der Meinungsäußerung und Informationsfreiheit sowie in die unternehmerische Freiheit des Unternehmers in einem angemessenen Verhältnis zu dem angestrebten Zweck.

      (vgl. Rn. 67, 69-71, 74, 81-85)

    4.  Siehe Text der Entscheidung.

      (vgl. Rn. 76)

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